Praios Garten

Begrüßung im Praiosgarten

Dieser erste Gartenteil war ganz offensichtlich dem Herre Praios, dem Hauptgott des Hauses Keyserring, gewidmet. Die Rasenfläche maß exakt zwölf mal zwölf Schritt und in ihrer Mitte prangte eine etwa 3 Schritt hohe Statue: Ein Greif, der golden in der Sonne strahlte und seinen Blick ebenso wie der Betrachter über die prachtvolle Anlage gleiten ließ; Um ihn herum ein rundes Beet, in dem dicht bepflanztes Gilbornkraut einen fein herben Duft abgab.

Eine einzelne Stufe führte von dort auf einen breiten Treppenabsatz, von dem aus man zu den tiefer gelegenen Teilen des Gartens hinabschreiten konnte.

Der Baron von Eisenstein begrüßte hier seine Gäste persönlich und erläuterte ihnen zunächst, dass sie eingeladen wären, den Garten zu erkunden, mit Speis und Trank verköstigt zu werden oder sich einfach nur ein wenig auf den Bänken oder Sesseln niederzulassen, um zu ruhen bis die Musik begänne. Ein Gong würde ertönen, kurz bevor die Musiker zum ersten Mal aufspielen würden.

An seiner Seite beäugte eine alte Praios-Geweihte jeden Neuankömmling genau. Dem rahjagefälligen Treiben schien sie nicht viel abgewinnen zu können.

Mikael, ein Geweihter der Ifirn, Lares von Mersingen, der Knappe des Allwasservogtes, und Berylla, womöglich mehr als eine Niederadelige, die sich als Köchin verdingte, sind die ersten, die der Baron begrüßt. Während es vorallem Beryllas weibliche Attribute sind, die den Baron ansprechen und zu einem kleinen Flirt anregen, freut es den Gastgeber, dass der Allwasservogt einen Gesandten geschickt hat. Der merkwürdige Geweihte allerdings entsetzt die Hofgeweihte mehr als es Rajodan amüsierte, den merkwürdigen Zausel als Gast zu begrüßen.

Die junge Hartsteigerin ging gemessenen Schrittes und so, wie man es von einer Frau von Stand erwartete, auf den Gastgeber und die Geweihte zu. Kaum bei den beiden angekommen, knickste sie artig, wobei sie mit den Fingerspitzen das Kleid ein Stückchen weit anhob, um es nicht bei der niedergehenden Bewegung im Sand zu baden, und so tief, wie es sich für sie gehörte, vor dem Baron und der Geweihten: „Euer Hochgeboren… Euer Ehrwürden… es ist mir eine Ehre, Euch persönlich kennen lernen zu dürfen.“ Dabei blickte die hübsche, junge Frau respektvoll zu dem Baron und wagte es augenscheinlich nicht, mehr zu sagen. Sie mimte die wortkarge, unterwürfige Tochter aus gutem Hause, welche sich nicht getraute, den Herrn länger als nötig zu belästigen.

„Nicht so viel der Ehre für den Moment, meine Liebe.“ Rajodan lächelte die junge Frau an. Er hatte sie im Heerzug einige Male gesehen. Sie beobachtet. Sie war ein Juwel, eine Perle. Das hatte er mit einem Blick erkannt. Sie konnte mehr sein als die Köchin, die sie war. „Hebt Euch einige Eurer entzückenden Worte für die Musiker auf. Und es würde mich freuen, hernach Eure Meinung zu hören: Ob die Töne Eurem Ohr so schmeicheln konnten, wie dieses Gewand Eurem Wesen.“

Während der Gastgeber mit Berylla von Hartsteig sprach, trat Lares heran, hielt jedoch respektvoll Abstand. Trotz all der Unrast, die sich in ihm eingestellt hatte, sollte er ja schließlich dem Herzogenhaus keine Schande machen. Zurückhaltung war das Gebot der Stunde – reine Repräsentanz. Sein Blick fiel dabei auf die Geweihte, die sich im Hintergrund hielt. ‚Scheinbar teilt zumindest eine Aufrichtige meine Einstellung zu diesem Abend‘, dachte er und verkniff sich ein Lächeln. Stattdessen wirkte der junge Mann, wie so oft, abweisend und reserviert.

Ein wenig später trat ein weiterer Gast durch den Rundbogen. Gekleidet war er wie ein Waidmann, trug einen edlen Bogen nebst Köcher und sogar einen schönen, frisch erlegten Fuchs über der Schulter. An den Füßen saßen (immerhin saubere) Lederstiefel aus dunklem Braun, die wohl schon etliche Meilen getragen wurden. Darüber jedoch trug der Mann eine weiße Hose, ebenfalls aus Leder, deren Seitennähte mit Daunen gesäumt waren. Die Hose hielt ein schmaler Gürtel zusammen, dieser wieder aus dunklem Material, an dem ein imposantes Jagdmesser und diverse Beutelchen hingen. Darüber trug er ob der Hitze ein weißes Hemd, diesmal aus einfachem Leinen. Die Borten, die eher einfach, denn kunstfertig daran befestigt waren, leuchteten in der Sonne in einem schönen Eisblau. In vielen Stunden hatte Mikail auf den Rücken des Hemdes das Abbild seiner Herrin Ifirn gestickt, so dass ein stolzer Schwan mit weit erhobenen Schwingen zu erkennen war. Um den Hals trug er eine Lederschnur, an der eine einzelne Schwanenfeder mit einer weißen Perle befestigt war. Und dann folgte der Bart. Wild wuchernd, kaum in Form geschweige denn gestutzt, saß er in dem freundlich wirkenden Gesicht fast wie ein Fremdkörper. Der Mann hatte recht schmale Wangen, Lippen die eigentlich immer lächelten und braungrüne Augen, die freundlich die Anwesenden musterten. Den Haarschopf aus dunkelbraunen Haaren hatte er ob der Hitze mit einem Lederband zu einem Pferdeschwanz gebunden. Und doch weigerten sich die dicken und ziemlich strubbeligen Haare, angemessen gebunden zu bleiben.

Den Baron von Keyserring kurz schüchtern anlächelnd, wurde die Hartsteigerin auf den Wangen leicht rot ob der ungewohnten Anrede. Mimik, wie andere Regungen des Gesichtes und des Körpers, etliche Male vor dem Spiegel im eigenen Zimmer geübt. "Ihr schmeichelt mir, Euer Hochgeboren. Mit Freude teile ich nach dem Konzert meine bescheidene Meinung über die Kunstfertigkeit der Musici mit Euch" aus den Augenwinkeln sah sie einen weiteren Herren herantreten, der so pflichtbewusst und manierlich wartete, dass es sie freute. Doch auch gleich danach kam ein anderer, einer, welcher direkt an den Baron herantrat. Gespannt wartete sie, wie er darauf wohl reagieren würde, während sie ihm höflich etwas Platz machte durch einen zierlichen Schritt zur Seite.

So trat Mikail denn vor den Mann, der ihm von einem Diener als Gastgeber gezeigt wurde. Er hielt sich nicht mit Verbeugungen auf, sondern trat direkt an den Baron heran und streckte diesem den frisch erlegten Fuchs entgegen. „Hallo Baron. Ich bin Mikail und diene der milden Herrin Ifirn. Ich habe gehört, Du gibst ein schönes Konzert, daher habe ich gedacht, ich komme Dich besuchen. Hoffentlich ist das in Ordnung, denn ich habe leider keine Einladung. Aber sieh, diesen Fuchs habe ich Dir mitgebracht! Ich hoffe, er gefällt Dir und Du kannst aus dem Pelz etwas Schönes machen.“ In Mikails Augen lag eine ansteckende Freundlichkeit als er Rajodan anlächelte.

Und da passierte etwas, das die wenigsten jemals bei Rajodan erlebt hatten. Er war für einen Moment sprachlos. Keine barsche oder brüskierende Antwort drang über seine Lippen, er klappte zwar seinen Mund auf, aber ihm fiel beim besten Willen nicht ein, was er sagen sollte. Also klappte er ihn einfach wieder zu. Starrte irritiert zwischen dem Fuchs in seinen Armen und dem Mann hin und her. Kniff die Augen zusammen und blickte in das freundliche und völlig unbedarfte Gesicht des Waldschrates.

Dann begann er laut und inbrünstig zu lachen. Der Bass seiner dunklen, tiefen Männerstimme hallte den Garten hinunter und einige Köpfe reckten sich neugierig nach oben. „Habt Dank für das Geschenk.“ Die letzten Lachsalven verebbten, ehe er weitersprach: „Seid mir willkommen, euer Gnaden. Ihr findet dort unten zu essen und zu trinken. Also seid gerne mein Gast. Erfreut Euch der Musik. Sie wird in Kürze beginnen.“ Er deutete zu den Treppenstufen, die hinunter in die anderen Teile des Gartens führten. Lachend wandte er sich wieder der dunkelhaarigen Schönheit neben dem Geweihten zu.

„<a name="_Hlk486954998"></a>Seht Ihr meine Liebe, diese Baronie hält so manche Überraschung bereit.“ Dann zwinkerte er ihr zu und senkte seine Stimme zu einem Flüsterton, den jeder der Umstehenden hören konnte: „Würdet Ihr mir den Gefallen tun und meinen neuen Gast hinunter begleiten? Ich bin mir nicht sicher, ob er etwas so Fortschrittliches wie eine Treppe zu benutzen weiß.“

Ein seichtes Schmunzeln umspielte die Lippen der Dame, als sie die Vorstellung hörte. Anschließend blickte sie aus den Augenwinkeln zu dem frisch erlegten Fuchs. Ein leises Seufzen entrann ihr, als sie das tote Tier dort sah. Von allen möglichen Wesen, allen Pelzen, die er hätte schießen können, musste es ausgerechnet das heilige Tier des Phex sein. Dieser Aufenthalt war mehr als eine kleine Prüfung, kam es ihr in den Sinn. Während der Baron noch sprachlos war –ein Anblick, für welchen alleine sich der Weg bereits gelohnt hatte – stand sie weiterhin brav und artig dort. Als er sich zu ihr beugte, lehnte sie sich grazil ein paar Zentimeter nach vorne, um den Worten auch die benötigte Achtung zu schenken. Ein sanftes, freundliches Lächeln auf den Zügen, wandte sie sich hernach zu dem Geweihten der Ifirn, um diesem, nach einem leichten Knicks, mit einer anmutigen Bewegung die eigene Hand zu präsentieren, auf das er sie nehmen könne: „Berylla von Hartsteig, Euer Gnaden. Wäret Ihr so freundlich, mich auf den Weg in den Garten zu begleiten?“

Der Waldschrat hatte, nach einem ganz kurzen Moment der Verwirrung, in das Lachen des Barons mit eingestimmt. Dann bedankte er sich beim Baron: „Hab Dank lieber Baron. Ich freue mich sehr auf die Musik.“ Als dieser ihn dann der jungen Frau ‚übergab‘, schenkte er auch ihr ein strahlendes Lächeln. „Einen kleinen Augenblick noch, bitte. Ich muss noch diese Geweihte des Herrn des Lichts begrüßen.“ Sprachs und wendete sich der älteren Praiosgeweihte zu, überbrückte die Distanz zu ihr mit zwei langen Schritten, während derer er bereits die Arme weit ausbreitete. Bei dieser Geste wurde ein weiterer Saum an der Unterseite der Arme sichtbar, an welchem viele kleine, rein weiße Federn befestigt waren. Fast wirkte es nun so, als ob er eigene Flügel ausbreitete.

Bei der Geweihten des Praios angekommen begrüßte er sie: „Schwester des Praios, es ist schön Dich zu sehen und kennenzulernen.“ Und schon schlang er seine Arme um sie um zu einer herzlichen und innigen Umarmung anzusetzen.

Doch der betagten Götterdienerin schien diese freundschaftlich gemeinte Geste in keiner Weise zu behagen. Steif wie ein Holzscheit stand sie in seinen Armen, legte ihre Hände auf seine Brust und drückte ihn bestimmt von sich weg. Ihrem säuerlichen Gesichtsausdruck war zu entnehmen, wie wenig angenehm sie diese Geste empfand: „Euer Gnaden.“ Sagte sie mit tadelnder Stimme, „ich möchte Euch entschieden bitten, davon Abstand zu nehmen, mir in derartiger Weise entgegenzutreten. Sollte es Euch allerdings ein unverrückbares Bedürfnis sein, eure Dankbarkeit so auszudrücken, mag ich Euch anempfehlen, dies gegenüber dem zweiten Hofkaplan des Barons zu tun. Ihr findet ihn im Rahjagarten.“ Sie deutete in Richtung einiger hohen Hecken, die einen blühenden Rosengarten umgaben. Dann wand auch sie sich dem nächsten Gast zu.

Kurz war Mikail verwirrt über die wenig herzliche Art der Geweihten. Doch schien ihn dies nur noch mehr anzuspornen, sich um die Frau zu bemühen. Jedoch erkannte er immerhin, dass jetzt nicht der passende Zeitpunkt dafür war, und er nickte ihr daher nur zu. „Ich verstehe, Du bist noch immer traurig über den Tod von Deinem Bruder Branjan. Ich trauere auch sehr um ihn, er fehlt mir. Dann will ich Dich nicht länger drängen, wir können ja nachher darüber sprechen.“ Er verabschiedete sich darauf hin und wendete sich Berylla zu.<a name="_Hlk487533757"></a>

Die Köchin aus dem Hause Hartsteig hatte eine Augenbraue nach oben gezogen, während ein Schlucken sichtbar war, als Mikail so überschwänglich die Geweihte begrüßte. Sie korrigierte etwas die eigene Haltung, als der junge Mann durch dieses Verhalten die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, ehe sie bei seinen Worten den Kopf einige Millimeter in Schieflage wähnte. Interessante Informationen, noch weit vor dem eigentlichen Beginn der Feier.

Lares hatte es ebenfalls die Sprache verschlagen. Wie zur Salzsäule erstarrt stand er neben dem Spektakel und schaffte es nicht, seinen Mund geschlossen zu halten. Was bei allen Zwölfen erlaubte sich dieser – Ja was eigentlich? Noch eine Weile sah er verdattert dem – Jäger? – Geweihten? nach. Dann wandte er sich wieder zum Gastgeber um. „Lares von Mersingen.“ Er verbeugte sich. „Ich bin der Knappe des Allwasservogts, der leider ausrichten lässt, persönlich nicht erscheinen zu können, jedoch mir aufgetragen hat, an seiner statt Eurem Fest beizuwohnen.“

Ein kurzes Mustern folgte. Der Allwasservogt war natürlich noch nie hier gewesen. Dennoch wurde er eingeladen. So wie alle anderen. Er, Rajodan, lud ein, er beobachtete. Wer kam. Wer fehlte. Wer einen Vertreter schickte. Und wenn ja wen. Wer mit wem anreiste. Wer sich mit wem unterhielt.

Diese Veranstaltung war sein Vergnügen. Aber sie war auch mehr. Sie war politisch. Und das vielleicht mehr, als sich der ein oder andere Gast es sich vorstellen konnte.

„Nun dann, junger Herr von Mersingen, ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt. Und viel Freude auf meinem bescheidenen Fest.“ Sagte er dann auch jovial zu dem jungen Gesandten seiner Exzellenz und bedeutete ihm den Weg in den Garten hinunter.

„Ich danke Euch und freue mich darauf, Euer Gast zu sein.“ Lares verbeugte sich noch einmal knapp und wandte sich dann der Geweihten zu: „Euer Gnaden, ich hoffe, es wird sich eine Gelegenheit ergeben, einige Worte zu wechseln. Am Liebsten ohne weitere irritierende Zwischenfälle.“

Dieser junge Mann wusste, was sich gehörte. Ein kurzes, anerkennendes Nicken war ihre erste Reaktion: „Das wäre auch mir sehr recht. Aber man kann nie wissen.“ Und ihr strenger Blick bohrte sich in die Flanke des Barons. Sie wusste schließlich nicht, wen ihr Großcousin noch so alles eingeladen hatte. „Sehr gerne werde ich auf Euch zukommen, sobald mich die Pflicht hier oben entbindet.“ Damit war auch der Junge entlassen. Sie würde auf ihn zukommen. Immerhin kam es nicht mehr oft vor, dass jemand den Austausch mit ihr suchte, seit der zweite Hofkaplan da war, dieser Rahjan.


Mikail war wieder bei Berylla angelangt. Er blickte ein wenig schuldbewusst und doch lächelnd in ihr hübsches Gesicht, zuckte entschuldigend mit den Schultern und deutete zu einer Treppe: „Ich bitte Dich vielmals um Entschuldigung, Berylla. Jetzt bin ich voll und ganz für Dich da. Was magst Du Dir ansehen?“ Auch erinnerte er sich daran, dass sie ihm vorhin die Hand gereicht hat. Scheinbar brauchte sie Hilfe beim Gehen, daher ergriff er nun die ihre und ging in die Richtung, die sie ihm wies.

<a name="_Hlk487534197"></a>Als der junge Mann sich wieder ihr zuwandte, lächelte die junge Adelige ihn erneut an und kicherte sogar leise, als er sie ansprach und ihre Hand nahm, etwas sehr Ungewohntes auf diese forsche und doch naive Art und Weise: „Ich verzeihe Euch gerne, denn Euren Worten nach verstarb ein Freund von Euch? Mein Beileid, möge Boron seine Seele behüten.“ Anschließend zog sich kurz eine kleine, fast unsichtbare Denkfalte über die Stirn, ehe sie wieder die Stimme erhob: „Lasst uns doch erst einmal die hiesiege Heimstatt des Gottes Ingerimm aufsuchen, ich bin neugierig, wie der Baron den Handwerksgott sieht.“

Utsinde von Plötzbogen, die den Baron seit langem kennt und vorallem seinem Vater zugetan gewesen war, ihr Begleiter Borax, der sich Kontakte zu den Adeligen der nordmärkischen Baronien erhofft, und Verema, die neue Gestütsverwalterin in Elenvina, werden begrüßt. Während man Utsinde und Rajodan ihre gegenseitige Abneigung durchaus anmerkt. Ist Rajodan höflich und ausgesucht freundlich zu den beiden anderen.


Rajodan beobachtete indessen Utsinde von Plötzbogen, die mit einem Zwerg und einer jungen, dunkelhaarigen Frau in almadischer Gewandung plaudernd auf ihn zuschritten. Der alte Drachen bequemte sich also mal wieder her. Interessant. Und sehr aufschlussreich. Er verzog das Gesicht und lächelte den Dreien entgegen. Er wollte sich den Tag nicht verderben lassen von der alten Ritterin, die ihm so wenig zugetan war wie er ihr. (Rajodan)

„Euer Ehrwürden!“ Utsinde grüßte zuerst ehrfürchtig die betagte Praiosgeweihte, bevor sie sich dem Hausherrn mit einem einfachen „Rajodan!“ und einem kopfnickenden Lächeln zuwandte. Die Oberrodascherin trat dem Eisensteiner ohne Scheu entgegen. Sie hatte keine Angst vor diesem Tyrannen, was dazu gehörte, dass sie ihn höflich beim Vornamen nannte und auch erst als zweites ansprach. Zum einen, weil dies im Beisein eines Götterdieners nur höflich war, zum anderen, weil der Eisensteiner und sie schon lange gemeinsam unter diesem Derehimmel als Nachbarn lebten und auch beide bereits das eine und andere miteinander zu tun gehabt hatten. Schließlich war der Isenhag klein. Und erst die Ingrakuppen! Utsinde belächelte daneben die Art, mit der dieser Mann sich Respekt verschaffte und bedauerte den Umstand, dass andere gute Leute im Osten gefallen waren, und jemand wie Rajodan von Keyserring – oder auch ein Anselm von Eschengrund, des Barons brutaler Kettenhund – zurückgekehrt waren. Götter waren eben hin und wieder ungerecht.

„Wie mir zugetragen wurde, sollt Ihr Euch heuer einen ganz besonderen Ohrenschmaus nach Obena geladen haben, lieber Nachbar. Und da dachte ich mir, ich sollte selbst überprüfen, was an den Gerüchten dran ist, dass Ihr damit die Toten des Kriegs feiern wollt. Eine noble Geste übrigens. Ihr wachst ja förmlich über Euch hinaus, wie mir scheint.“ Um die Spitzen in ihren Worten abzumildern, stellte sie ihre beiden Begleiter vor: „Ach, ich Plappermaul,“ tat die alte Ritterin selbstironisch schmunzelnd kund. „Darf ich Euch zwei Eurer Gäste vorstellen: die edle Domna Verema Artigas aus Cres, die just mit uns hier im Schloss ankam.“

Mit starrer Mine und leicht gerunzelten Augenbrauen stand die Almadanerin neben der Vögtin. Als diese sie dem Gastgeber quasi vorstellte schien sie erleichtert. Sie sah einen toten Fuchs am Boden liegen und eine Praiosgeweihte mit dem Gesicht einer gedörrten Zwetschge. ‚Sind die alle irre?‘ Sie lächelte, straffte sich und grüßte ihrerseits. "Praios zum Gruße und die anderen Elf ebenfalls, Hochgeboren Rajodan, Euer Ehrwürden. Habt Dank für die Einladung Hochgeboren, ich freue mich, dieses schöne Land, seine reizenden Bewohner und dieses Kleinod hier kennen zu lernen."

Das eher grimmige Gesicht des Barons wandelte sich in ein freundliches und (für alle, die ihn nicht so gut kannten wie Utsinde) sympathisches Lächeln. „Die Freude ist gänzlich auf meiner Seite, meine Liebe. Ich hoffe euch noch mehr mit den Darbietungen der Künstler erfreuen zu dürfen, die heute unser aller Ohr erfreuen werden. Genießt die Musik, den Wein und die Speisen. Und ich hoffe doch später mit euch das ein oder andere Wort wechseln zu dürfen.“ Er drückte ihr einen überhöflichen, leichten Kuss auf die Hand und wandte sich dann dem jungen Zwerg zu, der mit der scharfzüngigen Alten den Garten betreten hatte.

Die alte Dame wartete die Begrüßung der Domna durch den Baron ab, bevor sie fortfuhr: „Und das ist mein junger Amtsbruder Borindarax, Sohn des Barbaxosch. Wie Ihr sicher wisst, beerbt er unseren alten Freund Kalman als Herr über Nilsitz – möge der alte Haudegen zufrieden an Rondras Tafel sitzen!“

Der Angrosch o lächelte, trat einen energischen Schritt auf den Baron zu und reichte ihm die Hand. „Ich bin hoch erfreut euch kennenzulernen eure Hochgeboren! Ich hoffe wir erhalten am Rande der Festivitäten die Gelegenheit miteinander zu sprechen und uns kennenzulernen.“

„Diese Hoffnung ist ganz meinerseits.“ Erklärte der Baron jovial. „Es ist wichtig, für junge Würdenträger unserer Grafschaft die richtigen Kontakte zu knüpfen.“ Dabei streifte sein Blick wie zufällig Utsinde, der klar war, dass Rahjodan sie selbst wohl nicht dazu zählte: „Aber bis es soweit ist, erfreut euch des Bieres, der Speisen und nicht zuletzt natürlich der rahjanischen Pracht, die unser aller Ohr heute beglücken mag.“ Dann wandte er sich erneut an Utsinde: „Ansualda wird sehr froh sein, euch zu sehen, wenngleich euer Weg euch letztens eher selten an ihre Seite geführt hat. Ihr findet sie in der Gartengrotte.“ Der fast bittende Unterton des Barons verwirrte Utsinde, war der Baron doch niemand, der irgendwen bat. Entweder er wurde auf seine alten Tage weich oder es stand nicht zum besten mit seiner Gattin.

*

Zwei Dienerinnen der Herrin Rahja sind aus Albernia angereicht. Neben ihrer Anwesenheit erfreuen sie den Baron mit botanischen Gastgeschenken, die Rajodan entzücken, seine Hofkaplanin in eine Verzückung versetzen, die niemand erwartet hätte. Ein weiterer normärkischerRahjageweihter beehrt den Baron mit seiner Anwesenheit. Begleitet wird Tassilo dabei von Baldos, einem Verwandten von Rajodans Gattin.


Auf der breiten Treppe, die zum Praiosgarten hinab führte, erschienen zwei Frauen, die atemberaubend anzusehen waren. Mit eleganten Schritten gingen sie zusammen die Stufen hinab.

Die Bewegungen der dunkelhaarigen Schönheit waren elegant, jeder Schritt wohlgesetzt, einer Tänzerin gleich. Weiße kleine Perlen waren in ihr langes schwarzes Haar verwoben und bildeten einen angenehmen Kontrast zu dem dunklen Haar. Ihr fein geschnittenes, vollkommen symmetrisches Gesicht wurde dominiert von ihren großen, smaragdgrünen Augen und den glutrot geschminkten, vollen Lippen.

Ihr langes, rotes Kleid war aus hauchfeinem Stoff, umfasst von einer blutroten Borte und an den richtigen Stellen mit mehr Lagen, an den anderen richtigen Stellen mit weniger Lagen um den schlanken Leib drapiert. Ein langer Schlitz enthüllte bei jedem Schritt die wohlgeformten, schlanken, aber auch muskulösen Beine. Die Füße steckten in eleganten, roten Schuhen. An den freien Armen trug sie goldenen Schmuck, den linken Oberarm zierten mit intensiven Farben tätowierte Rosenranken. Eine mehrfach um den Hals geschlungene Kette aus Granatsplittern vervollständigten die Insignien, die die Schönheit als Priesterin der Rahja auswiesen.

An ihrer Seite hielt sich - weniger selbstbewusst - ein gerade erst zur Frau erblühendes Mädchen von natürlicher Anmut. Das braune Haar fiel ihr lang über die rote Leinentunika und war an den Schläfen in Zöpfen gebändigt. Eine schlichte Rosenblüte schmückte ihr rechtes Ohr und stilisierte Rosenranken auf ihrer Haut versickerten in ihrem tiefen Halsausschnitt. Auch auf ihren Armen und Beinen fanden sich verschlungene, rostbraune Zeichnungen, die bereits langsam verblassten.

Die junge Frau hielt ein mit Weinblättern geschmückten kleinen Weidenkorb mit einer Pflanze in beiden Händen.

Als es an ihrer Reihe war, schritten auch Rozen und Maeve zum Baron und begrüßten ihn und die Priesterin des Praios an seiner Seite. Der Hauch eines wunderbaren Parfums wurde vom leichten Sommerwind zum Baron herübergetragen, als Rozen, bezaubernd lächelnd, das Wort ergriff: „Euer Hochgeboren, Euer Ehrwürden, habt vielen Dank für die Einladung. Wir fühlen uns geehrt, in diesem Jahr Eure Gäste sein zu dürfen und in dieser wundervollen Umgebung dem musikalischen Genuss des Sommerkonzerts lauschen zu können. Mein Name ist Rozen, ich bin die Vorsteherin des Tempels der Schönen Göttin im Albernischen Orbatal. Dies an meiner Seite ist meine Schülerin, Maeve. Es freut uns sehr, Euch endlich einmal persönlich kennen zu lernen, nachdem wir schon vieles über Eure Wohltaten unserer Kirche gegenüber gehört haben.“

Zumindest die Novizin verbeugte sich kurz vor dem Baron und ihre Aufregung konnte ihm nicht verborgen bleiben.

Ein charmantes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht auf „Aber bitte, das wenige, was ich beitragen kann, tue ich mit Freuden und aus Liebe zu Eurer Göttin. Daher, bin ich es, der sich geehrt fühlen muss, zwei so bezaubernde Dienerinnen der Schönen auf meinem Fest zu wissen. Und ich danke der Liebholden, dass Ihr es einrichten konntet, uns mit Eurer Anwesenheit zu ehren. Ich hoffe Euch wird es bei uns in den Eisensteinen gefallen.“

Während der Baron galant die Hand der Geweihten nahm, um einen sanften Kuss auf ihren Handrücken zu drücken, blickte die Praiosgeweihte sauertöpfiger denn je drein. Diese Rahjanis. Immer diese Rahjanis. Aber immer noch besser als dieser Schwanendiener.

„Seid willkommen,“ schloss sie sich dann auch nur kurz angebunden an.

Maeve verbeugte sich vor der gestrengen Götterdienerin und griff instinktiv nach ihrem Rosenschmuck. Als sie sich wieder aufrichtete, reichte sie der alten Geweihten fast schüchtern die im Praioslicht samtig dunkelrosa schimmernde Blüte. Ihr leichter Duft drang Praiotrud in die Nase und erinnerte sie unerwartet an einen anderen Sommertag, der fast ein halbes Jahrhundert zurücklegen mochte, und ihre Wangen färbten sich einen kurzen Moment mit jugendlicher Röte. Maeve nickte der Älteren aufmunternd zu und flüsterte leise: „Wir sind alle Menschen, so haben uns die Götter geschaffen… Darf ich Euren Namen erfahren, Ehrwürden?“.

„Praiotrud von Eisenstein.“ Und nur langsam verschwand der jugendliche Klang aus der Stimme der alten Praiotin. „Hofkaplanin von Eisenstein. Ich stehe der kleinen Praioskapelle im Ort vor.“ Der säuerliche Ausdruck war in ihren Blick zurückgekehrt. Diesem nichtsnutzigen Rahjan wollte ihr Neffe einen Tempel errichten lassen. Und ihr? Dem Herre Praios? Stirnrunzelnd blickte sie zu Rajodan hinüber. Dies alles missfiel ihr. Doch als sie ihren Kopf wieder zu dem Mädchen wandte, stieg ihr erneut der Duft der wunderhaften Blüte in die Nase. Ließ erneut ihre Gesichtszüge weicher werden. Fast sanft. Alte Erinnerungen durchströmten von neuem ihren Geist und zumindest einen Moment- einen kurzen, wie sie sich schwor- wollte sie sich erinnern. An die glücklichen Momente ihrer Jugend, in der sich auch die Schöne in ihr Leben geschlichen hatte. Vergessen war das Mädchen, vergessen ihr Neffe und der unsägliche Rahjani, der seit kurzem bei ihnen weilte.

Während dessen hatte Rajodan im Plauderton ein kurzes Gespräch mit Rozen begonnen: „Hattet ihr eine schöne Anreise? Ohne Schwierigkeiten?“

„Oh ja, es verlief alles wirklich Bestens.“ Erwiderte Rozen. „Bei diesem herrlichen Wetter lässt es sich wahrlich vortrefflich reisen. Selten führt Aves unsere Wege so weit von der Heimat weg, umso mehr konnten wir die Reise genießen.“ Dann drehte Rozen sich ein wenig zur Seite, um Maeve mehr Raum zu geben. „Natürlich haben wir Euch auch ein Gastgeschenk mitgebracht.“

Maeve hatte die Antwort und Überleitung ihrer Lehrmeisterin abgewartet und trat nun nach vorne. Mit sanfter Stimme hob sie an: „Aus dem Tempelgarten haben wir Euch eine Zimtrose mitgebracht, Euer Hochgeboren. Diese hier blüht dunkler als die Art und wir hoffen, dass sie in Eurem berühmten Garten eine zusätzliche Zierde... entlang des Baches…. sein kann.“ Auch wenn eine sanfte Röte ihre Wangen färbte, versuchte Maeve zu überspielen, dass sie fast über die eigenen Worte gestolpert wäre und bot dem Baron das Geschenk dar.

Der lächelte die junge Götterdienerin an und nahm ihr das Gewächs aus den Händen. „Wundervoll. Eine fantastische Pflanze. Und eine große Ehre, dass ihr sie mir überlasst. Ich danke euch herzlich und verspreche einen angemessenen Platz für sie zu finden.“ Während er sprach, suchte seine Nase nach den Gerüchen des grünen Lebens und seine schwarzen Augen leuchteten entzückt. „Ich hoffe euch wird das Konzert Freude bereiten. Bis es beginnt, kann ich euch anempfehlen, meinen Hofkaplan Rahjan im Rahjagarten aufzusuchen. Er verköstigt meine Gäste dort mit Rahjas Worten und ihrem Rebensaft. Er wird euch auch sicher mit einem Rundgang durch den Garten erfreuen.“

„Habt Dank, für eure Gastfreundschaft und eure Worte.“ Entgegnete Rozen. „Ich bin sicher, das Konzert wird ein Genuss, allein schon wegen der prächtigen Kulisse eures Gartens. Der Segen der Schönen liegt auf diesem Ort.“ Mit einer letzten leichten Verbeugung in Richtung des Barons und der Geweihten verabschiedete Rozen sich und geleitete Maeve mit einer zärtlichen Berührung an der Schulter weiter.

Maeve warf einen letzten Blick zur Praiosgeweihten, die immer noch lächelnd die Rose in der Hand hielt und genoss dann die vielfältige Aussicht der gestalteten Natur vor der grünen Kulisse des Isenhags.

„Ein wahrlich schöner Anblick, nicht wahr?“ Rozens Stimme war warm und weich, wie ihre sanfte Berührung an Maeves Schulter. Sie wollte ihre Schülerin fühlen, spüren, wie es Maeve ging. Ihr zeigen, dass sie für sie da war, in dieser ungewohnten Umgebung, dieser fremden Situation.

<a name="__DdeLink__2359_1030336489"></a>Instinktiv öffnete sich Maeve der vertrauten Nähe von Rozen und schmiegte sich an deren Hand. Die zarte Aufmunterung ihrer Lehrmeisterin bedeutete ihr viel und half ihr, das innere Gleichgewicht langsam wieder zu finden.

Hier und da waren jenseits des Rasens am Fuße der Treppe Stimmen zu vernehmen, doch nach der Aufregung der Begrüßung, wünschte sich Maeve nun etwas Ruhe und hoffte, dass Rozen ihr diese gewähren würde. Wie von selbst tasteten ihre Finger nach der kleinen Flöte, die unter ihrer Tunika auf ihrem Busen lag. Vielleicht ergab sich später die Gelegenheit, mit den Musikern zusammen zu spielen… noch konnte sie nicht einschätzen, ob der Baron solche Freiheit seiner Musiker schätzen würde.


Nach seiner Ankunft hatte Tassilo seine Kleidung gewechselt. Sein enges Hemd war einem weiten Gegenstück aus durchscheinendem Rot mit goldenen Borten gewichen. Die enge Lederhose durch eine luftige, zum Hemd passende Pluderhose ersetzt und die hohen Stiefel durch Sandalen ausgetauscht worden. Und auch Baldos hatte sich umgezogen, statt seiner Rüstung trug er nun dunkle Stiefel und Lederhosen zu einem feinen Hemd und einer dunkelgrünen Weste mit dem aufgestickten Familienwappen, sein Langschwert jedoch war nicht von seiner Hüfte gewichen. Es war der Münzenberger der Tassilo darauf aufmerksam gemacht hatte, das es an der Zeit war in den Garten zu gehen und so schritten die Männer hinab zum Baron von Eisenstein.

Mit einem warmherzigen Lächeln grüßte der Rahja-Geweihte seinen Gastgeber und die Praios-Geweihte: „Die holde Rahja und den Götterfürsten zum Gruße. Im Namen meiner Schwester, der Baronin von Vairningen, soll ich Euch für Eure Einladung herzlich danken, leider ist ihre Hochgeboren verhindert und bat mich, an ihrer statt, Euer Fest zu besuchen. Tassilo Timerlain von Vairningen Gastgeber der Leidenschaft in Albenhus, es ist mir eine Ehre.“ Leicht hinter sich verweisend, fügte er anschließend hinzu. „Und dies ist Ritter Baldos von Münzberg, er war so frei und hat mich den Weg zu Euch geleitet.“ Wie es sich gehörte grüßte Baldos bei Praios, hielt sich ansonsten aber im Hintergrund, immerhin war er nur zum Schutz des Geweihten hier.

„Willkommen.“ Das quasi inflationäre Auftreten dieser Rahjanis wollte der alten Praiotin einfach nicht gefallen. Ihr Großneffe hingegen war natürlich entzückt, wenn möglichst viele dieser offenherzigen Götterdiener hierherk amen. „Seid mir beide willkommen.“ Ergänzte er sogleich und machte ihren ernsten Blick mit einem freundlichen Lächeln wett. „Soeben sind zwei Dienerinnen der Schönen aus Albernia hier eingetroffen. Ihr findet sie vermutlich mit meinem Hofkaplan im Garten der Rahja. Er wird euch herumführen und dafür sorgen, dass ihr euch stärken könnt.“ Der Baron deutete von der erhöhten Lage des Praiosgartens auf eine von Hecken eingerahmten Rosengarten. „Auch ihr, Ritter Baldos, seid mir willkommen. Stärkt euch und genießt die schönen Künste. Falls ihr die Absicht habt, einige Worte mit meiner Frau zu wechseln, so findet ihr sie vermutlich in der Grotte, die wir dem Herre Boron gewidmet haben.“ Nun deutete er in die andere Richtung auf den unteren Teil der hohen Felswände, die den Garten umgaben.

„Sehr freundlich von Euch euer Hochgeboren, dann werde ich mich sogleich auf den Weg machen und meine Glaubensschwestern suchen gehen.“ Die Diener seiner Göttin waren in den Nordmarken mehr als rar gesät und für ihre Tempel waren nicht einmal alle Finger eine Hand notwendig. Bevor er jedoch ging verbeugte er sich nochmals flüchtig. „Möge die Schöne Göttin dieser Zusammenkunft Ihren Segen geben und uns allen ein berauschendes Fest schenken.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und entschwand federnden Schrittes gen Rahja-Garten.

Als der Baron seine Gattin erwähnte, nickte Baldos kurz und kaum merklich. Immerhin war Ansualda die Base seines Vaters und am Hofe ihres Gatten doch arg von der restlichen Familie abgeschnitten. „Meinen Aufrichten Dank Euer Hochgeboren, ich bin sehr erfreut dieser Festivität beiwohnen zu dürfen.“ Und schon machte auch er sich auf den Weg, weit weniger elegant als sein Schützling, dafür war ihm jedoch die Geschmeidigkeit eines Kämpfers anzusehen.

Tsalinde von Kaltenbaum und Aerol Bergwind, ein merkwürdiges Paar, begrüßen den Gastgeber. Hinter ihnen betreten zwei Angroschim den Garten. Wie schon Mikael ohne Einladung. Ein Ärgernis für den Baron. Doch da Borix, ein alter Kriegsveteran, ihn amüsiert und Rajodan heute gute Laune hat, werden der Zwerg und seine Gattin Murla dennoch eingelassen.


Das Paar, welches nun den Garten betrat, hätte unterschiedlicher wohl kaum sein können. Aerol Bergwind war groß gewachsen und athletisch gebaut. Seine schwarzen Haare trug er kurz geschnitten und leicht zerzaust zusammen mit der bunten Kleidung der Gaukler und fahrenden Leute.

Neben ihm schritt die eher klein gewachsene Tsalinde von Kalterbaum mit ihren rotbraunen, langen Haaren, die zu einem strengen Zopf geflochten über ihren Rücken liefen. Sie trug eine einfache Leinenbluse und dazu einen Hosenrock und eine Weste in dunkelgrünem Brokat.

Beide hatten einen länglichen Behälter aus festem Leder an ihrem Gürtel.

Zeitgleich, wie auf ein geheimes Zeichen hin verbeugten sie sich vor ihrem Gastgeber.

Rahjodan war hoch erfreut, wieviele Künstler und Rahjageweihte es in seinen Garten verschlagen hatte. Auch Aerol Bergwind war seiner Einladung gefolgt. Dies freute ihn umso mehr, als dass er ihn persönlich eingeladen hatte, hatte er doch von seinem göttergleichen Talent auf der Flöte erfahren. Die Begrüßung fiel knapper aus als der Baron es sich gewünscht hatte, denn zwei unerwartete Gäste betraten hinter den beiden Künstlern den Garten.

Die beiden Angroschim betraten etwas schüchtern den Garten des Götterfürsten, schließlich waren sie aus Neugier hierhergekommen und hatten keine Einladung erhalten. Woher auch, denn zwischen die vielen Adligen und Geweihten, die hier flanierten, kamen sich der Hauptmann im Ruhestand und die Hebamme ein wenig fehl am Platz vor.

Aber Murla ging nach einem tiefen Luftzug auf den Gastgeber zu und begrüßte ihn mit einer Verneigung.

„Euer Hochwohlgeboren, wir haben von Eurem Fest gehört und möchten gerne daran teilnehmen. Wir sind den weiten Weg von Senalosch hierher geritten, denn man spricht überall von diesem Fest.“

Borix schnaubte als seine Frau auf den Gastgeber losstürmte, aber was blieb ihm übrig ihr zu folgen und sich ebenfalls vor dem Gastgeber zu verneigen.

Rahjodan schaute etwas perplex. Was waren das nur für neue Sitten? „Soso.“ Antwortete er zunächst kurz angebunden und runzelte die Stirn. Von seinem Fest wurde also gesprochen, das freute ihn natürlich. Doch was würde geschehen, wenn es sich herum spräche, dass er jeden Dahergelaufenen hinein ließ. Andererseits – dieser Tag war Rahja gewidmet. Und nachdem Borix seiner Frau gefolgt und sich vorgestellt hatte, funkelten die Augen des Barons, denn er hatte seinen Ausweg gefunden: „Ein Mann des Krieges? Ich war kurz versucht euch fort zu schicken. Aber da ich dieses Fest zu Ehren der Gefallenen im Osten ausgelobt habe, wie könnte ich da einen Veteranen abweisen?“ Er machte eine kurze Pause: „Und da ihr so klein seid, werdet ihr mir wohl auch nicht die Haare vom Kopf fressen.“ Lachte er auf. „So seid mir für dieses Mal willkommen.“ Dann wurde seine Miene erneut ernst: „Dies im Übrigen ist Praiotrud von Keyserring, meine erste Hofkaplanin. Sie ist es gewohnt, dass ihr in Ehrehrbietung unseres Herre Praios eine angemessene Begrüßung zuteil wird, ehe die Gäste den Garten betreten.“ Damit hatte sich für den Baron die Begrüßung der Zwerge erledigt. Und stattdessen sahen sich die beiden nun der ältlichen Praiotin gegenüber, die sie aus zusammengekniffenen Augen musterte.

Borix war sich nicht sicher ob er zerknirscht, wütend auf Murla oder einfach nur verdutzt sein sollten, denn die kurze Begrüßung und das Weiterreichen an die Geweihte war doch sehr komisch.

Murla musste bei den Worten des Barons, dass sie ja so klein sind und nicht viel essen würden, auf die Zunge beißen, um nicht den guten Mann mit dem Hinweis auf den nicht unbeträchtlichen Bauch ihres Gatten vom Gegenteil zu überzeugen. Aber da war der Gastgeber auch schon verschwunden und ließ sie mit der Geweihten stehen.

Artig begrüßte sie diese mit einem „Praios zum Gruße, euer Gnaden!“

Borix schloss sich den Grüßen seiner Frau umgehend an und wartete nun auf die nächsten Worte der Geweihten.

„Praios möge mit den Strahlen seines Himmelsmal den Tag in Wärme hüllen.“ Antwortete die Alte pflichtbewusst. Zwerge. Ihnen konnte man nicht zum Vorwurf machen, wenn sie sich unhöflich verhielten und die Etikette brachen. Es waren eben keine Menschen. Sie hatten ihre eigenen Regeln und Gesetze. Verehrten Angrosch. Bei ihnen hatte die Praiotin stets mehr Nachsicht walten lassen als bei ihrer eigenen Rasse. „Ich hoffe ihr werdet einen schönen Tag bei uns verbringen.“ Damit deutete sie auf die Treppe, die in den Garten hinab führte und hatte sogar eines ihrer seltenen Lächeln für die Gäste übrig.

„Vielen, Euer Gnaden!“ antworte Borix mit einer ehrfürc htigen Verbeugung, während Murla knickste. „Möget Ihr immer einen warmen Platz an Angroschs Esse finden.“

Dann zog er seine Frau hinter sich her und die beiden gingen in angedeutete Richtung.

Eppo, ein aufstrebender junger Schnapsbrenner, wird begrüßt. Voller Vorfreude ist der Baron, was der junge Mann seinen Gästen bieten wird.


In rötlicher Gewandung betrat nun auch Eppo den Praiosgarten, um dem Hausherren seine Aufwartung zu machen. Das Gewand, noch aus horasischen Zeiten war eine Mischung aus Seide an Brust und Beinen, Samt an den Ärmeln und goldenen wie silbernen Applikationen überall. Der Seidenstoff war so durchlässig, dass man Eppos Stämmigkeit gut erkennen konnte, mehr als nur Andeutungsweise. Die Kleidung war zum Anlass und zu Ehr der schönen Göttin gewählt, soviel war sicher. Auch war Eppo sich seines Aussehens und seiner Wirkung stets bewusst, dies trug er auch mit einer gewissen Überzeugung nach außen.

Sorgsam hielt er das persönliche Gastgeschenk unterm Arm, eine Holzkiste mit einer Flasche aus seinem persönlichen Vorrat. Kurz wanderten seine Blicke über die Anwesenden, bevor er sich dem Baron näherte, ihn sichtlich musterte und dann zu lächeln begann. Die standesgemäße Verbeugung sollte auch nicht ausbleiben…

„Ah. Ihr müsst der Schnapsbrenner sein, von dem mir mein Hofkaplan vorgeschwärmt hat.“ Der Baron nahm entzückt das Gastgeschenk entgegen. „Habt Dank. Ich werde diesen guten Schluck hier für eine <a name="_Hlk493534757"></a>besondere Gelegenheit verwahren. Aber ich hoffe doch ihr habt noch einige Flaschen eurer Kreationen dabei. Rahjan hat einige der Gäste schon mit der Aussicht auf einen guten Tropfen eures Brandes erfreut.“

„Ihr schmeichelt mir bereits mit einem Spitznamen, den ich mir erst zu verdienen gedenke, Hochgeboren. Und natürlich habt ihr Recht, ich habe ausreichend mitgebracht.“ Er lächelte sanft und öffnete dann vorsichtig beide Kisten. „Zwölf Brände, den Zwölfen zu Ehr. Von einem jungen, milden und friedlichen TSA-Brand bis zu einem rauchig-wilden starken im Sinne des Herrn INGerimm.“ Eppo zog eine Flasche aus der Kiste. „So ihr gestattet, würde ich Eure Gärten gern ein wenig… nennen wir es… veredeln, indem ich die Flaschen verteilen lasse?“

„Ja. Sicher. Es sei euch gestattet.“ Alles, was dieses Fest zu etwas besonderem machte, war dem Baron recht. „Ihr findet Rahjan im Rahjagarten. Er wird euch sicher helfen, bei eurem Vorhaben.“ Und mit diesen Worten entließ er den jungen Mann.

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Kategorie: Briefspielgeschichte