Nilsitz Jagd Im Zeltlager

Kapitel 6: Im Zeltlager

5. Ingerimm

Inhalt:

Im Zeltlager (5. Ingerimm)

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Tharnax stemmte die Hände in die Hüften und trat vor das Zelt. Eigentlich hatte er lieber in den Kellern der Jagdhütte Unterkunft finden wollen, aber da gleich drei Grafen und eine große Abordnung aus Schlund mehr als genug Platz im Gebäude einnahm, hatte er sich als einfacher Bergvogt nicht aufspielen wollen. Das Leben in einem Feldlager kannte der Sohn des Thorgrimm zudem aus seiner Zeit als Soldat. Er machte sich nichts draus. Tharnax war lange Jahre Geschützmeister gewesen und hatte allen voran den Schwarzpelzen am Katapult und an den Torsionsgeschützen das Fürchten gelehrt.  Nach Beendigung seiner aktiven Zeit bei den berühmten Angbarer Sappeuren hatte ihm der Rogmarog von Koschim die Wacht Arxozim mit deren Stadt Athykril anvertraut und damit die wohl reichsten Toschkril-Minen Westaventuriens. 

Der Einäugige grinste, als er hinter sich leichte Stänkereien vernahm. Zwei seiner Männer maßen sich mit Worten, etwas, das auch Tharnax alles andere als fremd war, gerade auf so engem Raum.  Natürlich schlief er nicht allein in einem Zelt, sondern mitten unter seinen Kriegern. Die Nähe zu seinen Männern war ihm wichtig. Er war schließlich einer von ihnen und das enge Gefüge unter Anführer und Gefolgsmann sollte seiner Meinung nach immer auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt basierte, nicht auf Herrschaft und Unterordnung, wie bei den Menschen.   Die Fahne über dem großen Zelt, dass ihm Soldaten von Ingerimms Hammer auf Nachfrage überlassen hatte, zeigte auf grünem Grund ein silbernes Achteck mit davor gekreuzten, schwarzen Spitzhacken.

Der schwarze Mantikor

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Der Korgeweihte und seine Begleiter hatten die beiden schwarzen Zelte etwas Abseits der restlichen Zeltstadt aufgebaut. Die schon etwas mitgenommenen Zelte standen nahe dem Wald, am Zelt des Geweihten wehte ein Banner mit dem Schwertkreuz des Herrn der Schlachten. Innen war das Zelt des Geweihten zweckmäßig, aber durchaus bequem eingerichtet. Zwei große Feldbetten mit Fellen und Decken und ein kleines Regal. Vor dem Zelt hatten die Söldner eine Feuerstelle angelegt. Daneben stand ein Tisch mit drei Scherenstühlen und einem großen Stuhl aus schwarzem Holz. Auf der hohen Rückenlehne war das Wappen des Geweihten eingeschnitzt und stach rot aus dem schwarzen Holz hervor. Radomir saß mit seinen Begleitern am Tisch, rauchte eine Pfeife und trank heißen gewürzten Wein, den seine Adjutantin in einem Kessel über dem Feuer erhitzt hatte. Eine ganze Weile saßen die Tandoscher beisammen und beobachteten das rege Treiben im Lager um sich herum, doch irgendwann fing Radomir unvermittelt an wölfisch zu grinsen und irritierte damit seine Untergebenen um sich. Nur er hatte bemerkt, dass sich jemand den Weg durch die Zelte zu ihnen bahnte. Und er kannte diesen jemand.  "Nehmt euch in acht ihr Lämmer, denn der schwarze Panther streift durch die nilsitzer Wälder und er sieht hungrig aus." Metenax 'Einhand' war es, der seinen Glaubensbruder schon von weitem anrief und seine intakte, rechte Hand mit Wucht auf die Brust schlug zum Gruße. Radomirs Auge begann zu leuchten. „Bruder Metenax. Dich hätte ich hier am wenigsten erwartet", sagte der Geweihte als er sich erhob und dem Sohn des Mantikor entgegen ging. Auch er schlug sich kräftig mit der Faust auf die Brust, bevor er den Angroschim kräftig umarmte. „Setz Dich, Bruder. Darf ich Dir einen heißen Gewürzwein anbieten? Oder eher etwas Stärkeres?“ Während er sprach hatte sich einer der Söldner erhoben, um den Stuhl links neben Radomir frei zu machen. Auch Assara hatte sich erhoben und grüßte den zwergischen Geweihten. Ohne viel Gehabe ging dieser auf sie zu und zog auch sie an sich. „Und Dich freue ich mich auch zu sehen, kleine Schwester.“ begrüßte er sie. Dann nahm er Platz. “Etwas Stärkeres bitte, Rado. Und dann den Wein.“ Der Angesprochene nickte und der Söldner, der den Stuhl frei gemacht hatte, holte eine große Steingutflasche und dazugehörende kleine Becher aus dem Zelt, die er mit einer fast schwarzen Flüssigkeit füllte. Metenax roch daran und spürte ein Brennen in der Nase. „Was bei Kors Spieß ist das?“, fragte er. „Eine Spezialität aus der Arena von Al’Anfa. Wir haben es getrunken, bevor wir zum Kampf gegangen sind. Nur der Alchemist der Arena kennt das Rezept, und es wird nur mündlich weitergegeben. Auf Kor. Und auf eine erfolgreiche Jagd.“ Radomir trank und verzog kaum eine Miene. Auch der Zwerg leerte den kleinen Becher. Der Geschmack war angenehm. Nach Anis und Ulkikaneel.  Mit einer Spur Arange. Aber was dann kam, hatte er nicht erwartet. Es fühlte sich an, als würde ein Drache in seinem Gedärm Feuer speien und zeitgleich ein Eissturm durch seine Adern fließen. Ihm brach der Schweiß aus. „Du verstehst,“ sagte Radomir ruhig, „dass ich diesen Willkommenstrunk nicht jedem anbieten kann. Ich habe schon neue Kämpfer nach einem kleinen Becher bewusstlos werden sehen.“ Metenax sah auch auf Radomirs kahlem Schädel eine einzelne Schweißperle. Metenax nickte bedächtig, um etwas Zeit zu gewinnen. Die Luft für eine Antwort fehlte ihm noch. "Das kann sich mit echtem Premer Feuer messen", brachte er schließlich halb lachend, halb hustend hervor. "Großartig! Ich möchte wetten, dass sich das Monster, dass einem nach einer mit diesem Zeug durchzechter Nacht am Morgen erwartet, mit einem ausgewachsenen Lindwurm messen kann."

Ishna Mur

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Tharnax ließ seinen Blick über die vielen anderen Zelte schweifen. Viele der Wappen derer er ansichtig wurde sagten ihm nichts. Menschliche Adelshäuser gehörten nicht zu seinen heraldischen Interessen, auch wenn er die bedeutendsten zumindest aus dem Kosch sehr wohl zuordnen konnte. Im Gegensatz dazu konnte er wohl jeder militärischen Einheit des nördlichen Kontinents Farben und Symbole zuordnen. Das Banner zur rechten Seite der Koscher zeigte eine oktagonale Form, auf weiß ein roter Turm unter schwarzem, mit Zinnenschnitt geteiltem Schildhaupt- zweifelsohne ein zwergisches Symbol. Tharnax' Interesse war geweckt, denn es war ihm unbekannt und das galt es zu ändern. In diesem Moment trat Borix aus dem ihm zugewiesenen Zelt, in das er gerade seine Sachen gebracht hatte. Dank des Gastgebers war es ein wenig eingerichtet – ein Feldbett, ein Klappstuhl und ein einfacher Tisch – aber er hatte ja fast sein ganzes Leben im Feld verbracht, so dass es ihm nicht schwer fiel, es sich auch hier gemütlich zu machen. Selbst an das Banner von Ishna Mur hatte sein Gastgeber gedacht, was auch gut war, denn Borix hatte es natürlich vergessen und nur ein Wappen auf seinem Rock. Da sah er den Einäugigen. „Bei Angroschs Klöten!“ rief Borix laut aus, „wenn das nicht der alte Haudegen aus Angbar ist!“  Der auf so schmeichelhafte Weise betitelte blieb wie vom Donner gerührt stehen und stutzte, als könne er seinen Augen nicht trauen. „Borix?“ fragte er leise und mehr zu sich selbst. Dann, als die Erkenntnis einsetzte, breitete Tharnax die Arme aus und überbrückte die fehlenden Schritte in Windeseile, um sein Gegenüber lachend zu umarmen. „Alter Säufer, schön, dich wiederzusehen! Du bist fett geworden! So wie es sich gehört für Männer in unserem Alter.“ Wiederum lachte er herzhaft. „Ja, wenn man sich ein wenig zur Ruhe begibt, dann ist das wohl so“, erwiderter Borix mit lautem Lachen. „Aber bei Dir scheint noch mehr Ruhe eingekehrt zu sein als bei mir“, meinte der Zwerg und klopfte Tharnax mit dem Handrücken auf den sich über dem Bund ausdehnenden Bauch. „Das kann man wohl so sagen“, bestätigte der Angroscho prustend. „Was ist das für ein Wappen, Borix?“ wechselte Tharnax schließlich das Thema und nickte in Richtung des Banners vor dem Zelt des Sohnes des Barax. „Es gehört nicht deiner Sippe.“ „Na ja“, meinte der Angesprochene grinsend. „Das ist aber nur zum Teil richtig. Du weißt doch noch, dass ich nach dem Feldzug meinen Ruhestand angetreten habe. Und da der Ruhestand mir nicht behagt, habe ich versucht mein Wissen noch ein paar Rotärschen beizubringen. Tja, und das muss dem Rogmarog wohl irgendwie zu Ohren gekommen sein, denn seit einem Jahr bin ich nun Bergvogt. Und das da ist mein neues Wappen.“ "Meister Borix", Tharnax legte prüfend den Kopf schief, während er die Anrede aussprach. Dann nickte er anerkennend und grinste. "Klingt nicht schlecht. Daran kann ich mich gewöhnen. Meinen Glückwunsch zu der Ehrung alter Freund. Auch darauf werden wir morgen einen trinken.“ Dann sah er an Borix vorbei in Richtung des offenstehenden Zeltes. “Wo ist Murla?“ „Sie wäre gerne mitgekommen“, antwortete der Angesprochene, „aber Du weißt ja, wie sie ist. Sie kann die ‚Kinder‘ doch nicht allein lassen. Bengur hat seine Handelsreisen aufgegeben und steht der Bergwacht nun als Haushofmeister zu Diensten. Und Baschtasch ist als Marktscheider unten in der Binge tätig. Nach dem ersten Jahr bekommen wir auch schon eine ordentliche Ausbeute an Erz ans Tageslicht. Aber was erzähle ich Dir von den Mühen der Arbeit, wir sind doch die Tage nur zum Vergnügen hier und wollen uns doch mit der Jagd beschäftigen. Und wenn mir was passiert, dann kann Murla mich ja wieder zusammenflicken.“  „Eben“, erwiderte Tharnax voller Überzeugung. „Und weil Murla nicht da ist, kann auch niemand meckern, dass wir zu viel saufen.“ Das eine, dem Bergvogt verbliebene Auge zwinkerte Borix verschwörerisch zu. „Man muss in allem immer das Positive sehen.“ Borix grinste und schlug Tharnax mit der flachen Hand auf den Rücken. „Na dann los, Alterchen“, meint er zu seinem langjährigen Kampf- und Weggefährten. „Weißt Du wo es hier was gibt? Schließlich haben wir uns lange nicht gesehen und daher genug zu erzählen.“ So machte er sich mit Tharnax auf den Weg, um irgendwo ein Fässchen gutes, kühles Bier zu finden und das dann gemeinsam mit ihm zu leeren. 

Ein Rabe, Silber auf Schwarz

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Die Zelte der Rabensteiner bestanden aus schwarzem Tuch, nur das Wappen der Familie, ein silberner aufsteigender Rabe auf schwarzem Feld, durch einen Schrägrechtsbalken in verwechselten Farben geteilt, bildete einen dezenten Farbklecks. Die Pferde waren in einem zweiten Zelt untergebracht – so früh im Jahr war im Hochgebirge ein letzter Schneefall jederzeit möglich, eng lagen hier, nahe der Baumgrenze, Firuns und Praios' Reich beisammen. Zu nahe, als dass der Einäugige hier auf Risiko gespielt hätte. Der Baron hatte bequem auf einem Scherenstuhl Platz genommen, betrachtete die Mühen seiner Untergebenen, das Lager zu errichten, und taxierte abschätzend seine Nachbarn. 

Der schwarze Mantikor

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Mühsam zog sie den alten Wappenteppich aus der Satteltasche, schüttelte ihn ordentlich durch und betrachtete ihn noch einmal. Noch vor der Reise ließ Maura das Wappen der Altenbergs aus dem Traviatempel holen, dessen Behüter der Familieninsignien er war. Ein paar Ausbesserungen waren vonnöten gewesen, aber jetzt sah er wieder aus wie neu. Auf Weiß ein blauer Dreiberg. Es war an der Zeit, dass der Adel wieder an das Wappen der „von Altenberg“ erinnert werde. Zu lange schon war das Haus unauffällig gewesen. Das sollte sich ändern, zumindest war das ihr Plan. Sie übergab den Teppich an Oren, der sogleich sich daran machte, diesen an dem blau-weißen Zelt zu befestigen. Die gutaussehende Fünfzigerin holte tief Luft und schaute sich um. `Ob die Plötzbogen und Brüllenfels hier sind?´ fragte sie sich und suchte die Wimpel und Wappen der benachbarten Zelte ab. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie das Zelt der Rabensteiner, das nicht allzu weit von dem ihrigen lag. ´Was für eine glückliche Fügung!´, dachte sie bei sich. Im Efferdmond hatte sie durch Zufall die Baronin Shanija in Elenvina kennengelernt, mit der sie einen äußerst Interessanten Nachmittag erlebt hatte. Seitdem waren die beiden Frauen im Briefkontakt. „Elvan, Schatz, komm doch einmal zu mir, ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Sie blickte dabei ins Zelt und wartete. Von drinnen könnte man das Stöhnen der beiden Altenberger hören, die sich abmühten, das Gepäck zu verstauen und das Zelt ordentlich herzurichten. „Oh, euer Hoheit wird gerufen. Und ich muss wieder alles alleine machen.“, stellte Gelda mit schnippischen Unterton fest. „Du kannst das eh besser. Ich bin … Künstler.“, sagte Elvan etwas unsicher und kam aus dem Zelt. Ein verächtliches Schnauben folgte. Die Doctora rollte mit den Augen. „Gelda, Kind, du natürlich auch. Wir haben uns hier von unserer besten Seite zu zeigen, hört ihr?“ Maura musterte die beiden kurz, richtete hier und da Elvans Kleidung und Geldas kupferrotes Haar. „Seht ihr da drüben das dunkle Zelt? Das sind die Barone von Rabenstein. Und wir werden uns jetzt als ordentliche Nachbarn vorstellen. Also, mir nach!“ Beide nickten und folgten der Doctora in Richtung des Rabensteiner Zeltes. „Doctora von Altenberg! Was für eine angenehme Überraschung!“ Die Baronin von Rabenstein strahlte die Neuankömmlinge an. „Wollt Ihr mir ein wenig Gesellschaft leisten und Eure Begleiter vorstellen?“ Maura erwiderte das Strahlen der Baronin.  Für den Tag der Ankunft hatte die Doctora ein grünes, figurbetontes Kleid gewählt, das viel Beinfreiheit besaß. Das blonde Haar war zu einem Zopf geflochten und ihr Gesicht nur mit leichter Schminke betont. Elvan stand direkt neben ihr und war nur 5 Halbfinger größer als seine Mutter und von eher schlanker Erscheinung. Die Ähnlichkeit zu Maura war unverkennbar, beide hatten dieselben blauen Augen und die spitze Nase. Nur sein Haar war dunkelbraun, das er kurz trug. Ein gestutzter Bart umrahmte sein Gesicht, das fein und ansehnlich geschnitten war. Unter einem grünen Umhang trug er einen blauen Wams aus Wildleder. Braune Hosen und feste Stiefel machten sein Erscheinungsbild komplett. Gelda hingegen trug braune Reiterhosen und Stiefel, dazu ein Lederwams. An einem breiten Gürtel hing eine Dolchscheide mit einem Hirschfänger. Das blasse Mädchen hatte keine Ähnlichkeiten mit den anderen beiden. Ihr kupferrotes Haar trug sie lang, glatt und gescheitelt. Ihr Gesicht hatte eine ovale Form und ihre grünen Augen waren eher mandelförmig zu bezeichnen. Elvan wie auch Gelda schauten neugierig aber zurückhaltend die Baronin an. „Ich bin ja so erfreut, euch wieder zu sehen, euer Hochgeboren!“  Die Doctora machte einen kurze Verbeugung. „Das hier ist mein Sohn Elvan, von dem ich euch erzählt habe. Und diese junge Dame hier“, dabei schob sie Gelda ein wenig nach vorne,“ ist meine Nichte Gelda von Altenberg. Die einzige in der Familie, die etwas von der Jagd versteht.“ Gelda errötete ein wenig. „Ich bin erfreut, euer Hochgeboren“ hauchte sie dahin. Auch Elvan machte nun einen Schritt nach vorne. „Das gilt natürlich auch für mich, euer Hochgeboren von Rabenstein.“, sagte er ganz selbstsicher. Während die Jüngsten sich vorstellten, versuchte Maura über die Schulter von Shanija zu schauen, um einen Blick auf den Baron zu erhaschen. Shanija von Rabenstein trug ein langes, dunkelgrünes Kleid mit silbergrauen Einsätzen an Ärmeln und Rock. Verziert war es mit feinsten Silberstickereien, schlicht geschnitten und für eine Jagd im Wald gut geeignet. Ihr langes Haar von der Farbe dunklen Honigs trug sie in einer Flechtfrisur um den Kopf gesteckt. „Ich freue mich sehr, euch kennenzulernen. Eure Mutter hat mir viel über euch berichtet.“ Sie betrachtete die jungen Leute, knapp halb so alt wie sie selbst, mit einem offenen Lächeln, bemerkte Mauras gereckten Hals und runzelte einen Lidschlag lang die Brauen, ehe sie wie in Gedanken den Kopf schüttelte. „Darf ich Euch meinen Gemahl vorstellen – seine Hochgeboren Lucrann von Rabenstein.“ Sie wandte sich zu dem Baron um, der gerade hinter ihr aus dem Zelt getreten war. „Dies hier ist Doctora von Altenberg – ich habe Euch von ihr bereits erzählt. Ihr Sohn Elvan, und Gelda von Altenberg.“ „Sehr angenehm, Wohlgeboren.“ Der Rabensteiner Baron trat zu den Neuankömmlingen, ergriff Mauras Hand und beugte sich in einem formvollendeten – und somit lediglich angedeuteten – Handkuss über diese. Seine Hände steckten in schwarzen Lederhandschuhen, und seine restliche Kleidung – Reitstiefel, eine Hose aus feinem Leder, und ein Wams aus demselben Material, über einem Hemd aus feinem Bausch – war ebenfalls in derselben Farbe gehalten. Sein einziger Schmuck war ein Siegelring am Finger und ein einfaches, silbernes Boronsrad, das er an einer Kette um den Hals trug. Seine Haut war äußerst hell, fast schon bleich, und ein starker Gegensatz zu seinem noch immer dunklen, doch an den Schläfen längst ergrauten Haar, das er schulterlang und zu einem Almadanerzopf gebunden trug. Sein linkes Auge verbarg eine Augenklappe. Sein verbliebenes Auge, mit dem er Maura aufmerksam musterte, war so dunkel, dass es fast schwarz schien, und ohne jegliche Tiefe, wie ein glänzender, polierter Obsidian. „Meine Gemahlin hat mir von Euch berichtet. Ihr seid ebenfalls eine Abgängerin der Akademie zu Vinsalt? Ein ungewöhnlicher Lebensweg für eine Nordmärkerin, will mir scheinen.“ Die Doctora war sichtlich geehrt bei der Begrüßungsgeste des Baron. „Mein verstorbener Vater war auch ein Doctor und wollte nur die beste Ausbildung für seine einzige Tochter. Das und ein guter Freund an der Akademie hat ihn dazu bewegt, mich dorthin zu schicken. Aber ihr habt recht. Etwas ungewöhnlich in der Wahl. Aber ich bin Nordmärkerin im Herzen und somit bin ich meiner Heimat treu.“ Maura lächelte den Baron an und drehte sich so, das sie Baronin und Baron gemeinsam anschaute. „Ein wahrlich beeindruckende Jagdhütte hat der Herr Vogt erbauen lassen. Obwohl ich es mir etwas kleiner vorgestellt hatte. Hatte Ihr schon die Gunst, den Vogt zu treffen? Leider haben wir ihn noch nicht gesehen. Mein Sohn Elvan hat ein Geschenk für ihn mitgebracht. Ihr müsst wissen, euer Hochgeboren, er hat seine Prüfung zum Schreiber und Kalligraph im Hesinde erfolgreich bestanden. Er hat des Vogts Namen in schönster Kalligraphie auf edlem Pergament geschrieben, und das auch noch in Rogolanrunen!“ Mit stolzen Blick wandte sie sich zu ihren Sohn um. Dieser war gerade etwas abgelenkt und beobachtete die anderen Zelte. Er schrak kurz zusammen, als er bemerkte das die ganze Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. „Er hat uns bereits begrüßt.“ Beantwortete der Baron die erste Frage der Doctora. Er besaß ein sehr klar und scharf geschnittenes Gesicht, mit einem unangenehm eindringlichen Blick, wie Elvan deutlich bemerkte. „Ein außergewöhnliches Geschenk. Dies wird gewiss kein Zweiter mit sich führen.“ Er betrachtete nachdenklich den jungen Mann. „Hat Euer Sohn im Zuge seiner Schreiberlehre auch die Buchhalterei erlernt?“ Was dazu führen würde, dass sich gewiss so einige Standeskollegen um den Jungen schlagen würden. Der Blick seiner Mutter machte Elvan klar, dass er nun für sich antworten sollte. „Jawohl, euer Hochgeboren. Neben der Kunst des Schreibens gehörte auch die Rechenkunst und die Buchführung zu meiner Ausbildung. Meine Lehrmeisterin, Nirjaschka Strowinsky aus dem Hesindetempel zu Elenvina bestand sogar darauf, dass wir auch ein wenig Rechtskunde studieren. Nur ein guter und wohl vorbereiteter Schreiber kann einem Lehnsherren gut dienen. So sagte sie immer.“ Der junge Altenberger versuchte selbstbewusst den Baron anzuschauen, was ihm aber schwerfiel. ´Dieser Blick, als ob er einen in die Seele schauen könnte´, ging es ihm durch den Kopf. Der Schwarzgekleidete nickte auf die Worte des Jungen. „Eine gute Verbindung. Damit wird es Euch leichtfallen, eine Anstellung zu finden.“ Er überlegte kurz. „Zeigt mir bei Gelegenheit eine Probe eurer Schreiberkunst.“  Sein eigener Schreiber kam bedauerlicherweise in die Jahre, was sich mit zunehmend schwindendem Augenlicht und zittrigen Händen bemerkbar machte. Vielleicht präsentierte sich hier eine Lösung eines Problems, bevor dieses entstand. Lucrann strich sich über seinen Bart und besah sich den Jungen etwas eingehender. „Es wäre mir eine Ehre, Euer Hochgeboren.“ Der junge Mann fühlte sich nun bestätigt und seine Unsicherheit war gänzlich gewichen. „Lasst mich wissen, wann diese Gelegenheit für Euch am willkommensten ist. Ich stehe jederzeit zu Euren Diensten.“ Elvan lächelte und verneigte sich vor den Baronspaar. Während die Doctora und ihr Sohn im Gespräch mit den Baronen von Rabenstein beschäftigt war, fing Gelda an, sich zu langweilen. Ihr war klar, dass das Interesse auf Elvan gerichtet war. Immerhin war er und kein anderer des Hauses Altenberg von der Alt-Herzogin zu einer Flussfahrt und nun von einem Vogt zur Jagd geladen worden. Sie hingegen war die Letztgeborene ihrer Eltern und wurde meistens übersehen. Gestört hatte sie das noch nie, es war ihr sogar ganz recht. Bis jetzt konnte sie schon immer machen, was ihr am meisten Spaß machte: das Reiten und das Jagen. Ihre Mutter hatte dieselben Interessen und hielt eine lockere Hand über sie, im Gegensatz zu ihren älteren Geschwistern. Sie blickte sich um und betrachtete all die bunten Zelte und Wappen. Dabei fiel ihr der schlaksig wirkende Krieger auf, der mitsamt seinem Gepäck, neben dem Zelt der Altenbergs halt machte. ´Er wirkt so verträumt, fast als wüsste er nicht, wo er eigentlich ist.´ Ihre Interesse war geweckt. Plötzlich stand eine weißhaarige Schönheit neben ihn, die so gar nicht in das allgemeine Bild der Leute passen wollte. ´Wer die beiden wohl sind?´, dachte sie bei sich. Maura hörte bedächtig zu und tauschte sich ab und zu Blicke mit der Baronin aus. Wie stolz sie war. Hier unter all den Adligen des Reiches. Ein richtiges Turnier und ein Ball in einem Schloss wäre ihr lieber gewesen, aber für den Anfang war ein großer Schritt in die richtige Richtung getan. Als ihr Sohn und der Baron zu Ende gesprochen hatte, riss sie wieder die Aufmerksamkeit auf sich. „Euer Hochgeboren, ich hoffe wir werden noch mehr Gelegenheiten haben für angenehme Gespräche. Ich muss leider die beiden hier wieder zurück zu unserem Lager bringen. Wir sind mitten im Aufbau und meine Zöglinge hier sind noch nicht ganz ihrer Aufgabe nachgekommen, unser Zelt zu einer standesgemäßen Unterkunft einzurichten!“ Sie schmunzelte. „Lasst mich euch nicht aufhalten.“ Der Freiherr verabschiedete die drei mit einer knappen, nichtsdestotrotz aber freundlichen Geste, während seine Frau hinzufügte. „Wenn Euer Zelt steht, Doctora, seid herzlich auf einen Tee – oder einen Wein – eingeladen. Ich freue mich auf das Gespräch.“ Mit einem Lächeln sah die die Doctora, eine einsame Gestalt der Gelehrsamkeit unter so viel Kriegsvolk, von dannen ziehen. „Ich schließe mich sehr gerne an, Euer Hochgeboren. Ich denke, ein Wein wäre genau das richtige für diese Veranstaltung. Ich bin gleich wieder bei Euch, Frau Baronin!“ Auch sie verbeugte sich und ging mit den beiden Jüngeren wieder zurück zu ihrem Zelt.

Alte Seilschaften

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Nivard bahnte sich, sein Pferd am Zügel führend, den Weg durch die langsam anwachsende Zeltstadt, wobei es genau genommen weniger ein ‚Bahnen‘ als vielmehr ein ‚Treiben lassen‘ war‘. All diese Eindrücke … . Sein Blick strich mal hier, mal dort über die ebenso farbenfrohen wie vielgestaltigen Zelte und das rege Treiben in und um diese, und blieb dabei immer wieder an der anmutigen Tänzerin mit dem trotz ihres offensichtlich jungen Alters gänzlich weißen Haar vor ihm haften. Ohne es zu beabsichtigen, ganz unwillkürlich, war er ihr bereits einige Zeit hinterhergelaufen. Auf einmal drehte sich diese In einem eleganten Schwung und ihre Blicke kreuzten jäh die seinen, verfingen sich dabei länger, als ihm angenehm war. Nivard fühlte sich ertappt (bei was eigentlich?) und schalt sich sogleich innerlich dafür – warum musste ihn sein sonst so ausgeprägter Mut unbekannten hübschen Frauen gegenüber immer noch so regelmäßig verlassen? Zunächst reflexartig zuckend, dann gewollt beiläufig wendete er seine Augen von ihr ab in die Umgebung, wo sie zu seiner Freude das Wappen der von Altenbergs entdeckten. Ob Elvan hier irgendwo steckte? An seinem Zelt konnte er ihn aber erstmal nicht ausmachen … . Daneben war aber jedenfalls noch hinreichend Platz für Nivards kleines Reisezelt. Er begann, sich an seinem Pferd zu schaffen zu machen, und hoffte dabei, dass sich die peinliche Situation inzwischen aufgelöst hätte.  Die Gauklerin hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Sie drehte sich einmal summend um die Achse und musterte die Leute hinter sich. Da, tatsächlich, ein junger Mann, recht kriegerisch vom Aussehen her, starrte sie unverhohlen an. Doratrava blieb unvermittelt stehen und starrte zurück, warum, wusste sie nicht. Dann wandte der Mann sich plötzlich ab und machte sich an seinem Pferd zu schaffen, als sei nichts gewesen. Ihr war langweilig, und hungrig war sie immer noch, also warum sich nicht ein wenig Ablenkung verschaffen? Ein schalkhaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sich leichtfüßig an den Krieger, der ja so betont gar nicht auf sie achtete, heranschlich. Als die Gauklerin bis auf einen halben Schritt an ihn herangekommen war, erhob sie laut ihre Stimme: „Seid gegrüßt, guter Mann. Wisst Ihr zufällig, wo es hier etwas zu essen gibt?“ Nivard hörte ihre Schritte auf ihn zukommen, tat aber zunächst, als ob er sie nicht wahrnehme und ganz auf sein Tun konzentriert sei. Trotzdem er damit rechnete, dass die Tänzerin (oder was auch immer sie war) ihn wohl gleich ansprechen würde, fuhr ein kurzes Zucken durch seinen hageren Leib, als dies tatsächlich geschah. Wenigstens raschelte nicht mehr das geerbte, viel zu breite und dafür etwas zu kurze Kettenhemd, das er bis vor kurzem auftrug, verräterisch dabei - die Plötzbogner hatten ihn mit einem passenden ausgestattet, schließlich sollte er bei seinen Aufträgen einen guten Eindruck machen. Und auch sonst konnte er sich inzwischen von seinem Verdienst endlich etwas hochwertigere Kleidung leisten, wenngleich er noch immer vor allem auf deren Zweckmäßigkeit achtete - robuste braune Lederbeinlinge ragten unter gelber Tunika, Kettenhemd und dem grünen Wappenrock mit dem goldenen Hirschhaupt hervor, dem Familienwappen, das er zu wichtigen Anlässen in eigener Sache zeigte. Unter seinem trotz seines jungen Alters (Anfang 20 war er) bereits schütteren dunkelblonden Haar bildeten sich kleine Schweißperlen, und seine Wangen waren leicht rötlich verfärbt. Nivard blickte die junge Frau kurz unschlüssig an, bevor er leise entgegnete: "Weiß nicht ... Ich meine ... nachher gibt es Spinnensuppe .... aber jetzt? Ich bin auch gerade erst angekommen … ." 'Was stammelte er hier eigentlich zusammen? Warum klappte es mit den geschliffenen Versen immer nur im Kämmerlein? Oder verschollen in Feenwelten?' Von der Seite mischten sich auf einmal tiefe Stimmen ins Gespräch ein  und verschafften ihm kurz Zeit, sich zu sammeln.  Die beiden Zwerge waren gerade auf der Suche nach einem kühlen Bier, als Borix die Frage der Gauklerin hörte. An Tharnax gewandt meine er auf Rogolan: „Was zu essen, wäre auch nicht schlecht, oder?“ Dann wandte er sich ebenfalls recht laut auf Garethi an die Umstehenden: „Die Frage der Dame hat doch etwas für sich, oder? Kennt Ihr nun den Weg?“ Dann verneigte er sich kurz und meinte. „Verzeiht mir die Unhöflichkeit, ich vergaß uns vorzustellen: Mein Name ist Borix groscho Barax, ich bin der Bergvogt von Ishna Mur. Und das ist mein alter Freund, Tharnax groscho Thorgrimm.“  Das eine, intakte Auge des soeben als Tharnax vorgestellten Zwergen musterte Doratrava unverhohlen, als er erkannte, dass sie elfisches Blut in sich trug. Währenddessen blieb seine Miene davon weiterhin unberührt und prächtig gelaunt. Nivard holte unterdessen tief Luft - jetzt nochmal von vorne und mit fester Stimme an alle Anwesenden, besonders aber die Tänzerin gerichtet: "Verzeiht ebenfalls meine Unhöflichkeit: mein Name ist Nivard von Tannenfels, aus der Baronie Ambelmund, Krieger und Geleitschützer und hier auf persönliche Einladung des Vogts Borindarax. Es freut mich, Euch alle kennenzulernen. Was ich soeben sagen wollte, ist, dass ich noch nicht erkunden konnte, wo und was es zu essen gibt, doch weiß ich, dass unsere Gastgeber eine Spinnensuppe zu fertigen gedenken, die in Bälde verkostet werden kann. Sicher wird es aber auch ... gewöhnlichere ... Speisen geben. Ich werde mich gleich auch auf die Suche begeben, vielleicht können wir uns zusammentun." Seine graubraunen Augen verfingen sich nochmals in den Augen der jungen Frau vor ihm. Das schlohweiße Haar ... die leicht spitzen Ohren ... er nahm seinen Mut zusammen: "Sagt: wer seid Ihr, wenn ich fragen darf? Entstammt Ihr ... dem Volk der Eiselfen? Und was hat Euch dann soweit in den Süden, auf ein Fest der Angroschim verschlagen?"  „Igitt – Spinnensuppe?“ entfuhr es Doratrava zunächst impulsiv, bevor sie ihr Temperament zügeln konnte. Irgendwie war ihr der Appetit nun aber vergangen. Sie konnte sich gerade noch verkneifen, eine abfällige Bemerkung über die Essgewohnheiten der Zwerge zu machen. Das stand ihr nicht zu, sie kannte sich mit dem kleinen Volk ja überhaupt nicht aus. Stattdessen besann sie sich der vielen fragenden Blicke und verneigte sich formvollendet. „Gestatten, Doratrava. Ihr würdet mich eine Gauklerin nennen, aber ich hoffe, Euch ein wenig mehr bieten zu können!“ Huh, schon wieder nahezu unaussprechliche und noch schwerer zu merkenden zwergische Namen! Na ja, ‚Borix‘ und ‚Tharnax‘ konnte sie sich vielleicht merken, den Rest vergaß sie ganz schnell wieder. Hoffentlich würde sie Borix nicht mit Borindadings verwechseln, wenn die beiden mal zusammen waren. Sie musste ein Kichern unterdrücken. Dann wandte die Gauklerin sich wieder dem schüchternen Krieger zu und blickte ihn aus nebelgrauen Augen an. „Gern begleite ich Euch auf der Suche nach etwas Essbarem.“ Dann drang erst in ihren Geist, was der Mann … Nivard, genau ... sonst noch von sich gegeben hatte. Eiselfen? Das war ja etwas ganz neues. Sahen die aus wie sie? Dann sollte sie einmal … egal, nicht jetzt. Laut antwortete sie, auch, wenn ihr das Thema sichtlich unangenehm war: „Ich … bin ein Findelkind und kenne meine leiblichen Eltern nicht. Und auf dem Fest bin ich, weil der Herr Borin … da … rax? - mich eingeladen hat. Ich habe ihn auf der Hochzeit in Hlûtharswacht kennengelernt.“ Ein Schatten fiel bei diesen Worten über ihr ebenmäßiges, sehr symmetrisches Gesicht. Um von ihren plötzlich aufkommenden düsteren Gedanken abzulenken, wandte sie sich an die beiden Zwerge. „Vielleicht wollen die beiden Herren sich uns anschließen bei der Suche nach Speis‘ und Trank?“ "Hat sie mit ‚Herren‘ uns gemeint", Tharnax warf Borix einen recht amüsierten Blick zu? Borix nickte und erwiderte leise auf Rogolan: „Natürlich meint sie uns, wenn denn?“ "Wenn ja, sollten wir unbedingt mitgehen. Die Spinnensuppe will ich probieren. Sowas krieg ich bei mir hoch oben am Götterfirst nur selten zu essen. Wir haben kaum Ungeziefer in den Tunneln von Arxozim und kurz vor der Waldgrenze gibt es natürlich auch kaum noch wilde Tiere." Ein Findelkind? Wie seine jüngste Schwester Silfrun – auch die war eigen, äußerlich wie innerlich, zugleich aber auch gänzlich anders wie die Frau vor ihm… Nivard sah Doratrava nachdenklich an. Naja, vor Spinnensuppe hätte sich Silfrun sicher nicht geekelt. Ein kurzes Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er an den kleinen Wildfang denken musste, den er aber schon lange nicht mehr gesehen hatte … er musste unbedingt Elvan fragen, ob dieser etwas darüber gehört hatte, wie sie sich so an der Rechtsschule in Gratenfels machte. Er verharrte nicht in diesem Gedanken, denn schmerzlich nahm er wahr, wie sich der Gesichtsausdruck der Gauklerin bei ihrer weiteren Rede kurz verdüsterte. Der junge Krieger hoffte, dass er mit seiner aufkeimenden Neugier in Bezug auf ihre elfischen Wurzeln nicht an Wunden gerührt hatte – er hatte halt einfach kein Händchen im Umgang mit der Weiblichkeit, zumindest nicht mit der auf dem Lande. Und was meinte die ‚Elfentänzerin‘ mit ihrer Hoffnung, ‚ein wenig mehr bieten zu können‘. Sie verwirrte ihn, irgendwie … . Dankbar griff Nivard daher den Themenschwenk hin zu Unverfänglichem wie Speis und Trank und zwergischen Spezialitäten auf: „Nun, auch ich muss unbedingt von der Spinnensuppe kosten. Wenn alle Angroschim so von ihr schwärmen, möchte ich mir eine solche Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen, und sie entweder genießen oder daraus wenigstens einen guten Schwank mit von dieser Reise nehmen! Ich will nur rasch mein Zelt gleich hier aufschlagen und mein Pferd absatteln, dann bin ich zur Suche nach Labsal für Kehle und Magen bereit.“ Er begann, weiter zu nesteln, dann hielt er nochmals kurz inne: „Ich möchte Euch aber, hungrig und durstig wie Ihr nach der Reise sicher ebenfalls seid, nicht aufhalten. Gerne komme ich nach meiner Zeltplatznahme nach und geselle mich auf Euer zweites oder drittes Bier zu Euch!“  Doratrava sah den Krieger unverhohlen ungläubig an. „Du willst das Spinnenzeug wirklich probieren? - Ups, ich meinte Ihr. Ach“, sie blickte von Nivard zu den Zwergen, die nicht sehr adlig aussahen, „können wir das Geihrze nicht einfach lassen, das finde ich immer so anstrengend.“ Nochmals warf sie einen Blick zu den Zwergen hinüber. „Ich habe gehört, Zwerge essen auch Steine, also wäre ich vorsichtig, etwas zu essen, nur weil Agro … äh, Zwerge davon schwärmen!“ Ihre Augen und ihr etwas schmaler, aber dennoch wohlgeformter Mund lachten, als sie das einfach so dahinsagte. Die Bemerkung mit den Steinen ließ Borix kurz auflachen, dann meine er: „Das stimmt nicht so ganz, nur weil die Kurzlebigen nicht den gleichen Geschmack haben wie wir Angroschim und unsere Speisen nicht immer vertragen, so essen wir keine Steine!“ 

Tharnax indes grinste über beide Ohren. "Abseits der Berge haben sie wohl keine Ahnung von unserer hohen Kultur." Er lachte schallend auf seine eigenen Worte hin. "Es sollte in unserem Interesse sein, das zu ändern. Außerdem", der Bergvogt senkte verschwörerisch die Stimme in Richtung seines Freundes. "Dieses unbeholfene Paarungsverhalten dieser Grünschnäbel ist äußerst unterhaltsam. Das lass ich mir nicht entgehen." Borix nickte kurz, dann erwiderte er auf Rogolan leise: „Solange sie balzen trinken sie uns auch nichts weg!“ 

Nun blickte sie erneut Nivard an. „Aber – ich habe dich doch gefragt, wo man hier etwas bekommen kann, also kann ich gar nicht vorausgehen, denn ich weiß ja gar nicht wohin!“ Sie schenkte dem Krieger einen schnippischen Augenaufschlag. Sie wusste selbst nicht, was sie da ritt, es war nicht ihre Art, mit völlig Unbekannten zu flirten oder sie zu verspotten (was sie nicht tat, aber wer sie nicht kannte, mochte es so auffassen), aber diese unschuldige Unbeholfenheit, die der Mann in einer Weise ausstrahlte, dass es sogar ihr auffiel, reizte sie irgendwie. „Es sei denn, die Herren Borix und Thar… nax kennen sich besser aus und können mich führen?“ Womit ihr gar nicht mehr gelangweilte Blick wieder auf den Zwergen lag. Borix nickte der Gauklerin freundlich zu und antwortete dann: „Selbstverständlich, eine köstliche Spinnensuppe und ein paar Humpen kühles Bier lässt alle Strapazen der Anreise vergessen.“ Dann begann er in aller Ausführlichkeit die verschiedenen Zubereitungsmöglichkeiten von Spinnen zu erläutern. Mit allen Vorteilen, Nachteilen und Geschmacksvarianten. Dabei hatte er scheinbar die Abneigung der Gauklerin nicht bemerkt. „Ihr werdet es genießen, es ist eine Köstlichkeit!“ schloss er seinen Vortrag. „Und Ihr seid ebenfalls vom Vogt zu Jagd geladen, Dame Dora…, äh, … trava?“ fragt er Doratrava danach.  Die Gauklerin lächelte innerlich ein wenig. Ja, nicht nur sie hatte Schwierigkeiten mit fremden Namen. Aber dann besann sie sich auf eine Antwort: „Ja, ich bin von Vogt Borin… Borindarax zu diesem Fest hier geladen worden. Ob ich bei der Jagd teilnehmen soll, weiß ich gar nicht. Ich habe den Vogt bisher leider nicht finden können.“ „So wie ich ihn kenne, dann wird er sich auch sicherlich in der Nähe eines guten Bieres aufhalten“, antwortet Borix durch seinen Bart lächelnd. „Und da wir uns auch in diese Richtung bewegen wollen, so werden wir ihn dort finden.“ Nivard schwitzte. Was keinesfalls an der Temperatur oder an körperlicher Anstrengung lag. Wie schon die ganze Zeit war er nicht sicher, ja wurde immer unsicherer, was genau die junge Frau von ihm wollte – verfolgte sie überhaupt ein Ziel? Spielte sie mit ihm? Wie sollte er auf sie am besten reagieren, ohne sich zum Narren zu machen? Nivard war, wie eigentlich alle von Tannenfels, kein standesversessener Mann - in den Wäldern Ambelmunds bewies sich Adel nicht durch elitäres Gehabe und das Beharren auf die korrekte Anrede und Umgangsformen, sondern Tatkraft, Mut und die Standhaftigkeit, für die Untergebenen einzutreten und diese zu beschützen. Dafür hatten diese zu folgen und ohne Murren ihren Dienst zu verrichten und taten dies im Vertrauen auf die Treue ihrer Herren auch - jeder hatte eben den von den Göttern gegebenen Platz in der Schicksalsgemeinschaft, die ein Dorf in der Wildnis bildete. Gleichwohl wusste er, dass ihm Standesvergessenheit, gerade hier vor Zeugen, als Schwäche ausgelegt würde. Rondra sei Dank war er beim Nesteln, so dass seine verbissene Geschäftigkeit ihm erneut die Zeit verschaffte, sich schlagfertig anmutende Worte zurecht zu legen, mit denen er Doratrava hoffentlich nicht vor den Kopf stieß (als herumziehendes Findelkind und gerade auch Elfe fielen ihr menschliche Umgangsformen sicherlich einfach schwer, und irgendwie fand er sie zu faszinierend, um es sich ganz mit ihr verderben zu wollen), den Zwergen gesellig erschien und seinen Gesicht wahrte. Angestrengt heiter klingend antwortete er: "Zum ‚Du‘ wechsele ich normalerweise erst nach gemeinsamem Kampf oder Jagd, durchzechter Nacht oder einer gemeinsam verspeisten Spinnensuppe! Nahezu alles davon ist hier und beinahe jetzt gleich möglich … ." Derweil hatte Nivard bereits die Planen seines einfachen, schmucklos wirkenden, aber zweckmäßigen Zweimann-Zelts auf dem Boden ausgerollt und machte sich daran, die beiden stützenden Stäbe in die Erde zu rammen. „Jetzt sollte ich auch gleich fertig sein, dann können wir uns alle gemeinsam auf den Weg machen...". 

Gelda von Altenberg

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„Herr von Tannenfels? Nivard!“ erscholl es hinter dem Krieger. Als Nivard sich umdrehte, sah er dort seinen alten Gefährten Elvan. Mit weit geöffneten Armen kam der Schreiber auf ihn zu, um ihn zur Begrüßung zu umarmen. „Wie gut du aussiehst! Es scheint, dass wir in kurzer Zeit zu richtigen Männern geworden sind! Und du hast einen neuen Waffenrock!“ Elvan lachte laut auf. Kaum das Elvan Nivard aus seiner Umarmung gelassen hatte, fiel sein Blick auf Gelda. Die junge Altenbergerin stand in ihrer einfachen Jägerkleidung, die durchaus ihren weiblichen Körper betonte, etwas abseits von ihnen. Sie strich sich durch ihr glattes, langes, kupferrotes Haar, das in der Sonne fast wie flüssiges Feuer wirkte. Ihre grünen, mandelförmigen Augen musterten ihn kurz, doch wanderte ihr Blick zu der Gauklerin neben ihm. „Mit solch einer anmutigen Gestalt, wie ihr es seid, hätte ich hier nicht gerechnet. Ich bin Gelda von Altenberg.“, sprach sie Doratrava an und hielt ihr die Hand zu Begrüßung hin.

Während Doratrava noch überlegte, ob sie dem Krieger seine Ablehnung des ‚Du‘ mit einer schnippischen Bemerkung vergelten oder gar auf eines seiner Angebote eingehen sollte (was ihn sicher noch mehr verwirrt hätte, wie sie innerlich kichernd für sich feststellte), wurde Nivard von einem Neuankömmling angesprochen, so dass sie dieser Frage erst einmal enthoben war. Etwas unschlüssig stand sie daneben und überlegte sich, ob sie nun einfach mit den Zwergen weiterziehen sollte, da begrüßte sie die junge Frau, die ihr im ersten Moment aufgrund ihrer Zurückhaltung und einfachen Jagdkleidung gar nicht aufgefallen war. Völlig überrascht nahm sie zögernd die Hand, als wüsste sie nicht recht, was sie damit anfangen sollte. „Äh … ich heiße Doratrava“, stammelte sie unbeholfen und ärgerte sich sofort darüber. Um dies zu überspielen, sprach sie schnell weiter: „Ihr, äh, seid auch schön … .“ Nun lief die Gauklerin schon wieder blassrosa an. All die Adligen, die dann auch noch so herumliefen wie einfache Krieger und Jäger, machten sie noch wahnsinnig. Sie wusste nie recht, wie sie anzusprechen waren und ob sie nicht vielleicht beim kleinsten falschen Wort gleich beleidigt waren, und das machte sie schrecklich unsicher. Sie ließ die Hand sinken und blickte Gelda (wenigstens ein Name, den man sich merken konnte!) abwartend-schüchtern an.  „Das Geschenk Travias. Doratrava. Ein klangvoller Name. Stammt ihr aus den Nordmarken? Und danke für euer Kompliment. Ich werde nicht oft als schön bezeichnet.“ Nun war es an Gelda ein wenig zu erröten.   Die Gauklerin stutzte. Die noch sehr junge Frau hatte sofort die Bedeutung des ihr von ihren Zieheltern gegebenen Namens erkannt! Das passierte nicht oft; eigentlich war es noch nie passiert, zumindest hatte man sie noch nie darauf angesprochen. Dann besann sich Doratrava darauf, dass ihr eine Frage gestellt worden war, schnell antwortete sie: „Nein, fast, also eigentlich komme ich aus dem Kosch … .“ Zusammenhanglos fühlte die Gauklerin sich bemüßigt, ihr Kompliment zu erläutern, fast ohne Pause fuhr sie fort: „Euer Haar glänzt so schön … .“ Und es war rot. Rot wie das von … nein, nicht jetzt darüber nachdenken, sonst würde sie wieder erklären müssen, warum sie plötzlich so düster schaute. Gelda lachte auf. „Ich höre vieles über meine roten Haare, aber meistens nie was gutes. Ich muß euch zu einem Wein einladen, bei all den Komplimenten. Doratrava, gehört ihr zu dem Gaukelvolk?“ Unwillkürlich sah Doratrava sich um, ob denn noch andere Spielleute und Gaukler angekommen waren, konnte aber auf Anhieb keine entdecken. „Nein“, antwortete sie dann, „äh, also ja, aber … ich weiß nicht, als was ich eingeladen wurde.“ Die Gauklerin zog die Brauen zusammen. „Ja, ich bin eine Gauklerin“, erläuterte selbige dann ungefragt weiter, „allerdings kann ich nur mit drei Bällen jonglieren, wenn sie niemandem auf den Kopf fallen sollen!“ Jetzt lachte sie Gelda offen an. „Aber wie gesagt weiß ich nicht, als was Borin … der Vogt mich eingeladen hat. Das hat er damals nicht näher erklärt.“ Ja, das war ein Punkt, den es noch zu klären galt, wenn sie den Vogt in diesem Gewimmel endlich mal fand … und bis dahin nicht verdurstet war.  Da sich jetzt die Menschen (oder was immer die Frauen waren) miteinander unterhielten, blickte Borix zu seinem Waffenbruder und fragte leise in ihrer Sprache, so dass es die Menschen nicht verstehen sollten: “Ich habe jetzt aber Durst und will mir nicht noch länger das Geschwätz der Menschen anhören, kommst Du mit, irgendwo muss es doch hier ein Bier geben!“ Der angesprochene zuckte mit den Schultern. “Meinetwegen. Du hast recht, langsam wird's langweilig und Durst hab ich auch.” Tharnax legte seinem alten Freund den Arm auf die Schulter und führte ihn raus aus dem Zeltlager. “Komm, wir schauen Mal ob wir vor der Jagdhütte eine der langbeinigen Bediensteten aus dem Kosch finden. Die kann uns sicher zwei Humpen zapfen.” “Was willst Du Kurzer mit langbeinigen Schönheiten?” fragte der Vogt seinen Amtskollegen und ging mit ihm los.  “Kurzer? Nun werd mal nicht frech”, entgegnete Tharnax mehr belustigt. “Na, ich meine doch unsere Schwestern aus dem koscher Tiefland. Du weißt schon, die Groscha-Fort- Brumborim.”  Vielsagend ließ er seine Augenbrauen ein paar Mal tanzen, nur um daraufhin selbst über diesen Scherz zu lachen.

“Man merkt, dass Du bislang nicht geheiratet hast!” erwiderte Borix lachend. “Immer strebst Du nach Größerem und gibst Dich nicht mit dem zufrieden, was Du hast! Aber das war ja auch ein Grund warum ihr letztens Xorlosch verlassen habt.”  “Jetzt holst du aber weit aus”, fiel Tharnax in das Lachen seines Freundes mit ein.  “Ich bin eben immer noch auf der Suche nach einer passenden Frau, die mich mit all meinen kleinen Macken und Schrammen nimmt. Das kann schon mal gut und gerne ein paar Jahrzehnte dauern.” Der Angroscho aus dem Kosch zuckte grinsend mit den Schultern. “Und bis es soweit ist genieße ich das Leben als freier Mann.  Wenn ich erst einmal den Bund von Feuer und Erz eingegangen bin, muss ich mir dann eh immer anhören, dass ich zuviel Bier saufe. Jedenfalls sagen das alle Angroschna meiner Sippe.  Du hast es wirklich gut getroffen, dass Murla dich allein auf die Jagd lässt.” “Du bist doch der Vogt”, antwortete nun Borix. “Da sollte Dir doch keiner das Trinken verbieten können - andererseits, wenn Du dann erstmal Kinder hast, dann bist Du nicht nur Deinen Untertanen ein Vorbild, sondern auf Deiner Familie. Und dann sieht es mit dem Saufen zumindest aus diesem Grund nicht mehr so gut aus. Und was Murla betrifft: Sie will doch beim Regieren nicht immer auf meine unqualifizierten Bemerkungen hören müssen.” fügte er noch lachend hinzu.

Ein Wiedersehen unter Freunden

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„Elvan, wie schön, Dich zu sehen!“ Nivard klopfte Elvan überschwänglich auf den Rücken, während sie sich in den Armen lagen. „Auch Du siehst gut aus, mein Freund! Du musst mir unbedingt erzählen, wie es Dir ergangen ist, seit wir von Bord der Concabella gegangen sind! Eine echte Schande, dass wir uns seither nicht mehr gesehen haben, obwohl wir doch beide eigentlich in Elenvina leben – Du wohnst doch noch dort, oder? Wenn ich in den letzten Monden nur nicht nahezu ausschließlich auf Reisen gewesen wäre … .“  „Im Hesinde habe ich meine Prüfung bestanden, du kannst mich jetzt ordentlichen Schreiber nennen!“ Elvan machte eine kurze Verbeugung und lachte dabei. Nivard wirkte sichtlich gelöst, hatte er in seiner Freude über das Wiedersehen für einen Augenblick doch ganz die teils peinliche Situation gerade vergessen, aus der ihn Elvan unwissentlich befreit hatte. Als sein Blick wieder die Umstehenden streifte, erinnerte er sich jedoch an die Welt um sie und die gute Etikette – auch wenn er am liebsten direkt alleine mit dem jungen Schreiber auf ein Bierchen oder einen Wein losgezogen wäre: „Elvan, ich darf Dir die … die Dame Doratrava vorstellen … .“ Nivard versuchte, souverän zu klingen und der verwirrenden Elfe oder Halbelfe dabei nicht in die Augen und ins Gesicht zu sehen (was ihm beinahe nicht gelang und seinen Blick verräterisch weiterzucken ließ) – wer weiß, ob ein spöttisches Zucken ihrer Mundwinkel im falschen Moment oder ein neckisches Zwinkern ihn wieder aus dem Konzept bringen würden, „der Herr Bergvogt von Ishna Mur, Borix und zu seiner Rechten der Herr Tharnax.“ Nivard hoffte, sich wenigstens die Vornamen der Zwerge richtig gemerkt zu haben und versuchte gar nicht, deren ganze Namen wiederzugeben. „Ich freue mich, Euch den edlen Herrn Elvan von Altenberg vorstellen zu dürfen“ Dann wandte er sich wieder genau an diesen: „Und mit wem bist Du unterwegs? Das prächtige Zelt ist doch sicher nicht für Dich alleine?“  Elvan drehte sich zu den anderen Gästen um. Als er Doratrava ansah, gelang es ihm kaum nicht zu starren. ´Wie eine Waldfee aus den Büchern´, dachte er bei sich. Er nickte ihr zu und schaute dann zu den Zwergen. „Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Euer Wohlgeboren von Ishna Mur!“ Borix musste daraufhin breit grinsen. Die Anrede mit seinem Titel hatte er bislang noch nicht allzu oft gehört, denn die Zwerge in der Bergwacht sagten eigentlich immer ‚Väterchen‘ oder ‚Meister‘ und das reichte ihm bislang auch. „Nein, nein, nur ich bin aus Ishna Mur“, antwortete er. „Mein Freund Tharnax hier ist der Bergvogt von Ârxozim – das liegt da drüben im Kosch.“ Dann besann er sich aber auf die Etikette und begrüßte die neu hinzugetretenen Menschen mit Titel und Namen.  Tharnax indes kannte in dieser Hinsicht keine Zurückhaltung und nutzte die Gelegenheit zur Klarstellung. "Meister", warf er sachlich ein. "Dies ist die Titulatur, die bei uns Angroschim für Bergvögte gebräuchlich ist." Er zuckte mit den Schultern und führte lapidar an: "Wir sind in dieser Hinsicht einfach etwas pragmatischer als ihr Menschen." 'Die so viele wohlklingende Anreden kennen, die aber am Ende nur ausdrücken, dass einem das Geburtsrecht begünstigt hat', vollendete er seinen Gedanken im Geiste.  Elvan schaute Gelda an, die jetzt ihre Aufmerksamkeit dem Krieger und den Zwergen widmete. „Ich wurde vom Vogt eingeladen und habe meine Mutter und meine Base, die Edle Dame Gelda von Altenberg, mitgebracht. Sie ist die einzige in der Familie, die etwas von der Jagd versteht.“ Gelda setzte ein Lächeln auf und betrachtete die Zwerge und den Krieger. „Sagt, die Herren, mit welchen Waffen werdet ihr jagen? Und was glaubt ihr, wird hier das gängige Wild sein?“ Als Nivard sie dem anderen Neuankömmling vorgestellt hatte, hatte Doratrava sich mit einem kurzen Lächeln bühnenreif verbeugt, doch sie spürte, dass die Aufmerksamkeit des Kriegers nun zunehmend von ihr wegdriftete. Langsam kehrte wohl wieder Normalität ein. Elvan hatte sie betrachtet wie eine interessante Kuriosität, wenn sie den Blick richtig hatte deuten können, und Gelda hatte sich nun auch lieber dem Gespräch mit ihren Standesgenossen hingegeben. Unschlüssig stand sie neben der Gruppe, immer noch durstig. An Hunger wollte sie gerade nicht denken, da erschienen sonst aus einer Suppe ragende dicke, haarige Spinnenbeine in ihrem Geist. Sie schüttelte sich unwillkürlich mit angewidert verzogenem Gesicht. „Ich für meinen Teil führe einen einfachen Langbogen und ein Jagdmesser mit mir.“ antwortete Nivard auf Geldas Frage. Die Jagd war ein unverfängliches Thema, auf dem er sich als Abkömmling der Wälder gut auskannte (auch an der Kriegerschule wurde die Jagd gelehrt) und, selbst im Gespräch mit jungen Frauen, sicher fühlte. „Die eignen sich gut für die Jagd auf Schwarz- und Rotwild, denen wir hier wahrscheinlich nachstellen können.“ Nivard wusste nicht, was ihn ritt, als er mit einem flüchtigen Seitenblick in Richtung der ohnehin bereits leicht verdrießt dreinblickenden Doratrava hinzufügte: „Vielleicht jagen wir aber auch Spinnen, große Spinnen, wenn die hier als Delikatesse gelten. Für die erscheinen mir aber Streitkolben und Schwert oder noch besser lange Spieße geeigneter.“ Er bereute es schon, als er es ausgesprochen hatte. Die Tänzerin zu necken war ein Feld, auf dem er sich am Ende nur blamieren konnte. „Seht Ihr, die Antwort, die Herr Nivard gab, umschreibt das Jagdgeschehen ausreichend“, ergänzte Borix. „Ich für meinen Teil benutze nur statt des Bogens die Armbrust. Nicht so schnell, aber auf weite Strecken deutlich effektiver als der Bogen.“ "Schwarz- und Rotwild", meinte Tharnax auf diese Frage hin. "Wobei ich ersteres bevorzuge, es schmeckt deutlich besser. Ich werde mit einer speziellen Eisenwalder jagen gehen. Sie besitzt einen sehr starken Bogen, was das Spannen zeitaufwendiger macht - zu aufwendig für das Gefecht. Die Wucht ihrer Doppelsichelbolzen jedoch haut jeden Keiler um. Zudem werde ich eine Saufeder bei mir tragen, wenn wir in den Wald aufbrechen." Die weißhaarige Frau warf Nivard einen scharfen Blick zu. Tatsächlich machte der Krieger den Eindruck, sie mit der Spinnengeschichte verspotten – oder herausfordern – zu wollen. Wären sie allein gewesen, hätte sie ihm eine passende Antwort gegeben, so aber wollte sie sich nicht in das Gespräch der Adligen einmischen. Dafür streckte sie ihm kurz mit grimmigem Gesichtsausdruck die Zunge heraus. Das war kindisch, das war ihr sofort klar, aber da war es schon passiert. Wieder mal war ihr unberechenbares Temperament mit ihr durchgegangen. „Ich bin mir nur unschlüssig, welche Art von Jagd es werden soll – für eine Treibjagd sind hier recht wenig Gemeine, und für eine erfolgreiche Pirschjagd sind wir wohl viel zu viele…, was meint Ihr?“ Nivard blickte zu Elvan und fragte etwas leiser: „Warst Du schon mal jagen, Elvan?“ Bevor Elvan antworten konnte, prustete Gelda los. „Ha, ihr seid aber ein Scherzkeks, Nivard. Eine Spinnenjagd? Delikatesse? Elvan, du hast mir gar nicht erzählt das dein Freund hier auch ein Possenreißer ist. Wir Frauen haben euch durchschaut!“ Sie stieß Doratrava leicht mit den Ellenbogen an und steckte ebenfalls die Zunge heraus. Die Gauklerin war ganz überrascht, war sie doch solcherart Vertraulichkeit von Adligen, und seien sie noch so jung, nicht gewohnt. Aber sie passte sich erleichtert der Stimmung an, so dass sich ihre Miene nun in ein fröhliches Lächeln auflöste.

Auch der Schreiberling schaute seinen Freund verdutzt an. ´Spinnen? Meinte er das im Ernst?´ „Nun, um die Frage zu beantworten: Nein ich war noch nie jagen, weder Spinnen oder anderes Getier. Aber falls eine Spinne kommt, nehme ich ein gutes Buch oder die flache Hand.“ Nun musste auch Elvan grinsen. Jetzt fing Borix laut an zu lachen. „Ihr scheint Euch mit der hier lebenden Fauna wohl nicht sehr gut auszukennen“, wandte er sich an Elvan. „Oder aber Ihr habt große und schwere Bücher, denn die Spinnen, die sich hier in den Wäldern herumtreiben, sind gut ein Schritt groß!“  Nivards Wangen färbten sich ob der in seine Richtung herausgestreckten Zungen wieder etwas röter, gleichzeitig erwies sich die ausgebrochene allgemeine Heiterkeit aber als so ansteckend, dass nun auch auf seinem Gesicht ein breites Grinsen stand. Dann wurde er wieder ernster (wenigstens ein bisschen) und sprach zu Elvan, aber auch in die Runde gerichtet: „Kein Scherz und keine Posse, noch nicht einmal eine Übertreibung,: Bei der Spinne, die ich vorhin im Schlepptau eines Ritters sah - der Junker von Ostendorf war es und seine Mannen, soweit ich dies richtig mitbekommen habe – hättest Du ein verdammt großes Buch gebraucht – oder die Hand eines Riesen, denn das Viech maß wohl an die zwei Schritt und sah nicht danach aus, als ob mit ihm gut Kirschen essen wäre. Die Biester können einem einzelnen Menschen, ja sicher auch einer kleinen, im Kampfe unbedarften Gruppe durchaus gefährlich werden, würde ich meinen. Dafür geben sie aber wohl auch eine erkleckliche Menge Suppe ab“, sinnierte der junge Krieger mit einem Blick in Richtung der anwesenden Zwerge. 

Die Lauscher im Zelt

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 Den vermeintlichen Witz der Situation entweder nicht erkennend oder ignorierend antwortete Tharnax zunächst auf Nivards vorangegangene Überlegungen zur Art der Jagd:  "Ich hörte davon, dass es sich um eine Pirschjagd handeln würde. Mit der ganzen Gesellschaft macht dies aber keinen Sinn, da gebe ich euch recht. Es werden dann wohl diverse kleine Gruppen in den Wald aufbrechen, um Wild aufzuspüren. Platz das man sich nicht in die Quere kommt, gibt es genug", erklärte der Sohn des Thorgrimm.  „Meinst Du, wir dürfen mit in den Wald? Mit spitzen Ohren versuchte Rhena, die Gespräche neben ihrem Zelt mitzubekommen, während sie energisch das Fell ihres Pferdes bürstete. Ihre Schwester und Boromada, die Knappin, waren mit einer ziemlich vergleichbaren Tätigkeit beschäftigt und aus ähnlichen Gründen äußerst still und in sich gekehrt.  Die Pferde im Stallzelt der Rabensteiner jedenfalls glänzten. „Ich auf jeden Fall.“ Die Ältere grinste, sich ihrer Stellung wohl bewusst.  „Hörst Du! Doch keine Treibjagd!“ Rahjadas Kommentar war etwas zu laut, um nicht nach draußen zu dringen. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund, während ihre Zwillingsschwester nach draußen spähte, wo sich einige junge Krieger mit zwei Zwergen unterhielten. Neugierig, doch noch immer in der Hoffnung, nicht aufzufallen, lauschte sie schamlos weiter. Was war das für eine Stimme, die sich da so unbedarft ins Gespräch mischte? Sie klang jedenfalls noch recht jung. Nivard blickte in die Richtung, aus der diese kam, und rief, mit immer noch erkennbar gut gelaunter Stimme: „Heda, wer belauscht uns denn da?“ [Michael, Nivard, 11.09 2019] „Huch!“ erschrocken zog Rahjada wieder ihren Kopf zurück ins Zelt, nur um von Boromada entschieden wieder nach draußen geschubst zu werden. „Wenn man gefragt wird, antwortet man! Außerdem stehen wir hinter Dir!“ Ob das nun als Aufmunterung oder Drohung zu sehen war, blieb indes offen.  Nivard sah, wie ein junges Mädchen, etwa zwölf Götterläufe zählend, wie nach einem kräftigen Stoß vor das benachbarte Zelt (mit tiefschwarz gefärbten Zeltbahnen) sprang und sich verwirrt umblickte. Sie hatte dunkelblonde, zu einem bis weit auf den Rücken reichende Zopf geflochtene Haare, ihr Wams zeigte einen silbernen aufsteigenden Raben auf schwarz und wies damit auf ihr Haus – oder jenes, dem sie diente – hin. Mit weit aufgerissenen, hellbraunen Augen blickte sie Nivard erschrocken an. „Ich bin Rahjada von Leihenhof, Hoher Herr! Entschuldigt, wenn ich Euch gestört haben sollte!“ Sie fasste nach ihrem Zopf und drehte das Ende hilfesuchend um ihre Finger. „UndwerdetIhrmitaufdieJagdgehenundisteswirklicheinePirschjagd?“ platzte die Frage aus ihr heraus. Nivards Grinsen verstärkte sich - irgendwie nahm das ganze Gespräch einen immer komischeren Verlauf, nahezu wie diese klassische Typenkomödie, die er einmal, dargeboten von einer reisenden liebfelder Theatergruppe, auf einem Fest in Elenvina gesehen hatte. Er beschloss, zunächst eine passende Rolle in diesem Stück einzunehmen, und entschied sich für die des bärbeißigen Kriegers aus dem Walde: in unüberhörbar übertriebenem Ton rief er: "Ihr habt Euch der Spionage schuldig gemacht, junge Dame von Leihenhof! Ihr und Eure versteckten Komplizen solltet Euch rasch alle zeigen und ergeben. Dann befinden wir darüber, ob wir Euch direkt zur Bestrafung an Euren Herrn überstellen, oder Euch erst mit auf die anstehende Spinnenjagd nehmen!"  Doratrava musste schwer an sich halten, um nicht in prustendes Lachen auszubrechen. Sie bewegte sich wieder näher an den Krieger heran, um ihm von unten ins Ohr zu raunen: „An Euch ist ein Gaukler verlorengegangen.“ Dann musste sie doch etwas kichern. Allerdings hatte die Gauklerin sehr wohl das Wappen erkannt. Rabenstein. Der verstand keinen Spaß und hatte keinen Humor. Aber wenn in dem Zelt Kinder waren, die nichts besseres zu tun hatten, als den Gesprächen der Umstehenden zu lauschen, war der Herr Baron wohl nicht anwesend. Nivard errötete erneut – und wusste nicht so genau, wie er Doratravas Lob(?) einordnen sollte. Einerseits fühlte er sich recht wohl in der ungewohnten Rolle, von einer Frau offensichtlich als unterhaltsame, ja witzige Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Vielleicht hatte die Begegnung mit „seiner“ Nixe noch mehr in ihm ausgelöst, als er selbst wahrgenommen hatte oder sich eingestehen wollte. Und die Reisen als Geleitschutz auch der einen oder anderen Dame (obgleich diese manchmal noch etwas wortkarg von seiner Seite abliefen) trugen doch Ihr übriges dazu bei. Andererseits wusste er nicht, ob er als jemand angesehen werden wollte, an dem ein Gaukler verloren gegangen war. Immerhin war er Krieger mit Haut und Haar, das war sein Selbstverständnis. Und vielleicht noch ein bisschen Dichter. Aber kein Possenreißer. Passte das zu ihm? Ob Doratrava das ironisch meinte? Auf einmal nicht mehr ganz so heiter blickte Nivard in Richtung der jungen Lauscherin und ihrer noch immer getarnten Begleitung.

Die Rose im Wald

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„Was muss ich da hören? Spionin?! Was geht hier vor?!“, scharf klang die Stimme des jungen Mannes, der soeben auf den Platz kam und wohl nicht den belustigten Gesichtsausdruck mitbekommen hatte. In seinem Übermut hatte er die Hand auf den Schwertknauf gelegt es aber nicht gezogen, sondern schien zunächst die Umgebung ins Auge zu fassen. Offenbar wollte er seine bildhübsche Begleiterin vor jeglicher Gefahr bewahren. Als er das Gelächter vernahm, entspannte er sich sichtlich, fühlte sich aber auch ein klein wenig beschämt. Solche Schnitzer konnte er sich eigentlich nicht mehr erlauben. "Schon gut, Aureus, die plappern bloß.." Die, selbst in dem einfachen Mantel, den sie über einem roten,recht züchtigen Wollkleid trug, sehr hübsch anzusehende Frau fasste den jungen Krieger sachte am Unterarm und lächelte äußerst angenehm. Sie schob sich die Kapuze vom Kopf und war nun unschwer als Geweihte der Rahja zu erkennen. Kurioserweise bildete sie zur exotischen Doratrava fast ein Gegenstück. Sie war nicht von hier, ihre Haut zu dunkel, angenehm braun, die schwarzen Haare in großen Locken bis zur Schulter, doch am faszinierendsten waren ihre dunklen Augen, südlich exotisch, aufmerksam, Blicke fangend... Sie lächelte heiter in die Runde und sprach nun laut zu allen. "Rahja zum Gruße, und Die anderen Götter natürlich auch, besonders Bruder Ingerimm. Fürchtet Euch nicht, als schwache Geweihte der Lieblichen reise ich nie ohne passende Begleitung." Sie sah einmal in die Runde, ihr Blick verweilte mit unverhohlenem Interesse etwas länger an den Zwergen und der Gauklerin. "Rahjania al.. ach, belassen wir es bei Rosenquarz ist mein Name, ich bin nicht eingeladen, die Göttin hat mich nach der Fahrt auf der Concabella hierher geführt. Eigentlich sollte ich längst auf dem Weg nach Weiden sein, aber es schien mir so interessant hier...nun, mit wem habe ich die Ehre ?" (Evi/Rahjania)  Überrascht ob der Aufmerksamkeit, welche die schöne Geweihte, die hier mindestens so fremdartig wirkte wie sie selbst, ihr zukommen ließ, trat Doratrava einen Schritt auf sie zu und verbeugte sich in bester Bühnenmanier. „Mein Name ist Doratrava, Ihr würdet mich wahrscheinlich als Gauklerin bezeichnen.“  „Und ich bin die Edle Dame Gelda von Altenberg, Euer Gnaden. Es ist schön jemand der heiteren Göttin hier zusehen.“ Gelda machte eine kurze Verbeugung. „Der Holden liebstes Tier ist auch das meine.“ ,vollendete sie den Satz. Rahjania strahlte die beiden Frauen freudig an und klatschte leicht in die Hände. "Wunderbar, wie schön. Wollen wir drei etwas spazieren, uns unterhalten und das Essen betrachten ?" Sie ging auf Doratrava zu und nahm sie an der Hand, eine leichte, sachte Berührung, warm und angenehm, wie frühe Morgensonne. "Aureus, du findest mich, wenn ich dich brauche, da bin ich mir sicher.  Und...ach ja.." sie wandte sich an das kleine Mädchen, das fast so hieß, wie sie. "Hochwürden heißt es eigentlich, aber das kannst du ja nicht wissen. Obwohl mein Tempel klein ist, liegt doch ein Zipfel göttlicher Herrlichkeit in ihm. Er ist wenig bekannt und klein, doch macht die Göttin keinen Unterschied. Wir messen in derischen Maßen, SIE in etwas, das wir nicht verstehen können." (Evi/Rahjania) Doch als dann noch mehr Neuankömmlinge hinzukamen, ging die Neugier mit der Rahjageweihten durch und sie verweilte noch ein wenig, um dem Treiben interessiert zuzusehen. Verlegen löste Doratrava ihre Hand wieder aus der Rahjanias. „Ähem“, Aureus räusperte sich, ein wenig lauter, als es der Höflichkeit entsprach und schluckte einen erneuten Husten herunter. „Wenn auch ich mich vorstellen dürfte: ich bin Junker Aureus Praioslaus von Altenwein und derzeitig der Beschützer ihrer Hochwürden auf ihrer Reise durch unsere schöne Heimat.“ An die neugierigen Mädchen gewandt für er fort: „Verzeiht, wenn ich euch erschreckt habe, aber so ist das, wenn man von fremden Gesprächen nur die Hälfte mitbekommt – man zieht voreilig die falschen Schlüsse.“ Er wandte sich wieder der Hochgeweihten zu: „Und auch Euch bitte ich mir zu verzeihen Hochwürden, aber bevor wir die großzügige Gastfreundschaft von Meister Borindarax in Anspruch nehmen, sollten wir uns ihm vorstellen. Er wäre sicher enttäuscht, wenn er nicht ein solches Juwel“, mit ausladender Geste deutete er auf die tulamidische Schönheit, „selbst in Augenschein nehmen dürfte. Er zwinkerte ihr zu, bevor er in die Runde fragte: „Kann mir einer der verehrten Herren oder Damen sagen, wo das Väterchen zu finden ist?“  Jetzt war es Aureus Arm, den die Geweihte hielt. Mit der freien Hand fasste sie sich gegen die Stirn. "Wie dumm von mir. Ihr habt Recht, den müssen wir unbedingt zuerst finden." Doratrava zuckte die Achseln. „Den suche ich selbst. Wahrscheinlich ist er irgendwo da“, sie deutete vage in Richtung des Jagdhütte. „Oder da, wo das Bier ist … das ich auch noch suche“, grinste die Gauklerin nun schelmisch.

Firnholz und Leihenhof

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Hatte Fedora gerade richtig gehört? Rahjada von Leihenhof? - Nun, bei der Größe der Familie Leihenhof war es kein Wunder das Mädchen hier anzutreffen, es würde wohl eine Nichte, Cousine, entfernte Verwandte ihrer Pagin sein: Liobha Linissel von Leihenhof. Diese war zwar nach dem gemeinsamen Aufstellen des Zeltes und dem Verstauen der Ausrüstung noch damit beschäftigt die Waffen zu kontrollieren und alles für die anstehende Jagd vorzubereiten, wie Fedora es ihr gezeigt hatte, aber zu einem Familientreffen sollte es sicher noch kommen. Sie wandte sich an das Mädchen: "Verzeihung, aber mir ist Dein Name aufgefallen, Du bist eine der Töchter von Roklan Boromar von Leihenhof zum Galebquell! Mein Sohn Adamar vom Firnholz ist bei ihm Knappe und bei mir in Pagenschaft befindet sich derzeit Liobha Linissel von Leihenhof, Tochter von Ivetta von Leihenhof, einer Verwandten. Ihr wollt Euch sicher gleich sehen, ich werde sie eben holen." Zu dem jungen Mann, der eben auf den Platz gekommen war und ein wenig unsicher mit der Hand am Knauf seines Schwerts da stand wie ein begossener Pudel, umgewandt, meinte sie: "Verschont mir das Mädchen, es wird sicher nur jugendlicher Übermut gewesen sein." - nicht ohne sich danach in die gesamte Runde zu begeben: "Verzeihung, ich muss mich vorstellen: Fedora Madalin vom Firnholz zum Firnholz, ich wollte keineswegs das Gespräch unterbrechen. Ich bin erfreut Eure Bekanntschaft zu machen!" „Äh … ja.“ Rahjada nickte verdattert und blickte von einem zum anderen. „Ich bin die älteste Tochter von Baron Roklan von Leihenhof. „Liobha ist hier? Das ist ja großartig!“ Sie knickste etwas verspätet vor der Firnholzer Baronin, wandte sich dann aber wieder Nivard zu und musterte den mit riesengroßen Augen. „Eine Spinnenjagd?!“ Vor Schrecken wurde ihre Stimme nochmals eine halbe Oktave höher.  Im Zelt hinter ihr konnte man undeutlich eine leise, hektische Debatte vernehmen, immer wieder von einem 'ssh!' unterbrochen. Der Schreiber Elvan von Altenberg hielt sich ein wenig abseits, trat aber jetzt vor. „Euer Hochgeboren, herzlich willkommen in Nilsitz. Ich bin der Edle Herr Elvan Winrich von Altenberg, meines Zeichens gelehrte Schreiber. Ich glaube der Edle Herr von Tannenfels, hat sich nur ein Scherz erlaubt!“  „Keine Angst, wir setzen schon keine jungen Edeldamen als Spinnenköder ein. Es sei denn, sie tuscheln weiter im Verborgenen,  anstatt sich zu zeigen.“ rief Nivard in Richtung Rahjadas und ihrer offensichtlich höchstens halbwüchsigen Begleitung. „Ihr solltet besser jetzt den Mut haben, Euch zu zeigen!“ Noch mehr Adlige liefen hier zusammen, das wurde Doratrava langsam zuviel. Sie stieß nun ihrerseits Gelda mit dem Ellbogen an und raunte ihr zu: „He, mir wird es hier langsam zu voll. Wollt ihr nicht mit mir den Zwergen folgen? Die scheinen zu wissen, wo es zum Bier geht!“ „Bier? Eine gute Idee, ich bin dabei!“, sagte die rothaarige, sechzehnjährige junge Frau. Borix hatte sich gerade mit Tharnax zum Gehen abgewandt als er die Schritte der Frauen hinter sich hörte. Er fasste seinen alten Freund am Arm: „Warte! Da will noch jemand mit uns kommen …“  Rahjada schluckte, betrachtete die Rahjageweihte mit großen Augen und knickste, einen verwirrten Blick auf die immer größer werdende Schar an Umstehenden werfend. “Rahjada von Leihenhof, Euer ... Ehrwürden.” Sicher war sicher – auch wenn die Anrede der Priesterin vielleicht eine Stufe zu hoch sein sollte. Eine Hochwürden mit eigenem Tempel war es hoffentlich nicht, die hätte sich wohl kaum ohne Gefolge auf eine Reise begeben – aber wer wusste schon, wie so etwas innerhalb der Rahjakirche gehandhabt wurde? Im Zelt ergab sich ein kurzes, heftiges Wortgefecht, dass dazu führte, dass zwei weitere Mädchen in den Rabensteiner Farben ins Freie traten – eine etwas Ältere, bereits eine Knappin, wie das stolz an der Seite getragene Knappenschwert bewies, und ein zweites Mal Rahjada – zumindest sah ihr das Kind zum verwechseln ähnlich. “Ich bin Boromada von Henjasburg” stellte die Ältere sich vor, gefolgt von einem “Rhena von Leihenhof” der Jüngeren. Beide warfen Nivard einen sehr vorsichtig abschätzenden, etwas belämmerten Blick zu. Entgegen ihrer gerade Gelda gegenüber geäußerten Absicht verdrehte Doratrava die Augen und machte ein paar schnelle Schritte auf die Kinder zu, um sich schützend vor sie zu stellen. „Herrschaften!“ wandte sie sich an die Umstehenden, „seht ihr denn nicht, dass ihr die drei völlig verunsichert? Wenn Ihr spielen wollt, dann tut das mit mir – oder wir gehen jetzt endlich alle zusammen ein Bier trinken!“ Ein wenig kroch schon wieder die blassrosa Farbe in ihre Wangen, war der Gauklerin doch bewusst geworden, was sie da gerade in ihrer gedankenlosen Art mal wieder getan hatte. Aber jetzt war es schon passiert. Nivard runzelte die Stirn - es war nie seine Absicht, die Mädchen hier vor aller Augen bloßzustellen oder im Spiel vorzuführen - eher ein wohlwollender kleiner Scherz, aus einer albernen Stimmung heraus, wie auch ein großer Bruder seine kleineren Geschwister ab und an auf die Schippe nimmt. Und wer die Großen belauschte, musste halt mit so etwas rechnen, das war eigentlich schon immer so.  Nichtsdestotrotz hatte Doratrava nicht Unrecht - und Mumm, das musste er ihr lassen - mittlerweile war gefühlt der halbe Zeltplatz hier versammelt - natürlich musste das den Mädchen peinlich sein. Nivard lächelte diese freundlich zwinkernd an: „Jetzt kennen wir endlich auch unsere jüngeren Nachbarn hier im Lager!“ Dann hob er die Stimme, auch an die anderen Dazugestoßenen gerichtet: „Seid gegrüßt, mein Name ist Nivard von Tannenfels, aus der Baronie Ambelmund in Nordgratenfels!“ um wieder etwas leiser und stärker an die Kinder gerichtet fortzufahren „... und vielleicht sehen wir uns morgen tatsächlich auf der Pirschjagd – am liebsten nach Wildschweinen und Hirschen – falls Euer Schwertvater oder Eure Schwertmutter Euch mitnimmt. Kein Scherz aber war, dass sich wohl tatsächlich unerfreulich großes Spinnengetier hier in den Wäldern herumtreibt. Bei so viel Schwertvolk hier auf dem Fest sollte das aber kein Anlass zur Furcht sein." Er blickte mit einem etwas scheueren Lächeln in Richtung Doratrava, dann auffordernd zu Elvan: „Daher klingt ein Bierchen jetzt aber wirklich nach einer guten Idee. Ich schlage nur noch kurz die Erdnägel und den Stab mit dem Wimpel ein...“  Gelda stellte sich zu Doratrava. „Lasst uns gehen, und das Bierzelt finden“, dabei blickte sie in Richtung der Zwerge, “Und ihr“, damit meinte sie die jungen Mädchen,“kommt ihr mit?“ Dann ergriff sie die Hand der Gauklerin. „Ich glaube der Herr von Tannenfels wird uns schon finden, wenn er fertig ist!“ Die Altenbergerin zwinkerte Nivard zu, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lief voran. Der Bergvogt winkte den beiden Frauen zu: „Nn kommt, bevor das Bier alle ist! Oder von der leckeren Spinnensuppe nichts mehr übrig ist!“ Dann wartete der bis Doratrava und Gelda bei ihnen waren.  Der sehnsüchtige Blick der Knappin, als Nivard das Bier ansprach, war deutlich. Boromada biss sich auf die Lippen. „Wir würden schon wollen. Aber wenn wir verschwinden, ohne dass unser Herr uns freigegeben hat, gibt das mächtig Ärger.“ Mehr, als ein noch so gutes Bier wert war. „Lasst es Euch schmecken.“ Mit einem leicht hoffnungslosen Blick wandte sie sich um und scheuchte die beiden Paginnen wieder zurück ins Zelt. „Kommt – ihr müsst die Pferde noch saubermachen. Und Zaum- und Sattelzeug und die Stiefel putzen.“ Sie selbst auch. Half ja nichts. Mit einem abgrundtiefen Seufzer drückten sich die drei wieder hinter die tiefschwarze Zeltplane. Ein kühles Bier mit diesen netten jungen Rittern wäre jetzt keine schlechte Sache gewesen. „Ich helfe dir mein Freund“, dabei klopfte Elvan auf Nivards Schulter.  „Ich danke Dir! Hältst Du kurz die Stange? Dann schlage ich hier die Heringe ein.“ Die nächsten Augenblicke waren vom gemeinsamen Zeltaufbau erfüllt. Als sich die Traube in ihrer unmittelbaren Nähe aufgelöst hatte und sie zu zweit waren, nutzte Nivard neugierig die sich bietende Gelegenheit und fragte Elvan leise: „Sag mal, bist Du eigentlich auch bei der großen Brautschau Eures Hauses dabei? Also selbst auf der Brautsuche, meine ich?“  Jegliche Freude wich aus Elvans Gesicht. „Ach, Nivard, was soll ich sagen. Ja, ich bin auch dabei. Die Alten aus meiner Familie haben beschlossen, das alle Jüngeren des Hauses Altenberg sich zur Schau stellen sollen. Also ist die frohe Botschaft auch bis nach Tannenfels gelangt.“ Der Schreiber wirkte schicksalsergeben. Dann lächelte er wieder. „Wir haben zwar keine Nixen oder Elfen in der Familie, aber meine Kusinen könnten dir Gefallen. Durinya zum Beispiel. Sie wird als sehr schön bezeichnet. Oder wenn du direkt meine Verwandtschaft suchst, könntest du ja meine kleine Schwester Elvrun freien. Und Gelda ist auch dabei.“ Jetzt grinste er herausfordernd, auch wenn ein Hauch von Melancholie in seinen blauen Augen lag.  „Eigentlich hatte ich noch nicht vor, den Bund vor Travia einzugehen. Dazu ist mein Leben wohl noch zu unstet. Und Du weißt ja, an welcher Dame mein Herz hängt – auch wenn es ganz und gar verrückt ist. Wenn ich meiner Mutter davon erzählte, würde ich sicher umgehend von ihr nach Herzogenfurt zitiert… Sie selbst wird aber wohl an Eurer Brautschau zugegen sein, mit meiner zweitjüngsten Schwester Ringard. Vielleicht werden wir beide ja über sie bald enge Verwandte - das wäre doch was! Ich denke, sie ist durchaus hübsch und in den häuslichen Dingen recht bewandert – Du könntest es schlechter treffen als mit ihr!“  Nivard spürte, dass auch diese Aussicht seinen Freund eher bedrückte als fröhlich stimmte – er wirkte weniger wie ein junger Mann auf baldigen Freiersfüßen als ein Verurteilter beim Blick auf den Richtplatz. „Dich lockt die Sache so gar nicht, oder?“ fragte er leise und in behutsamem Tonfall.  „Ach ja, die Fischfrau, wie konnte ich das vergessen“. Etwas unbeabsichtigt hörte er sich herablassend an. Wie konnte Nivard auch nur für solch ein Wesen fallen, das sich für ihn doch gar nicht interessierte. Wiederum er würde das tun. Sagen konnte er es jedoch nicht. Dennoch versuchte er weiter zu lächeln. „Du hast recht. Locken tut mich das nicht.“ Elvan schaute sich um. „Ich glaub wir sind hier fertig. Ich muss zurück und meiner Mutter helfen. Wir werden uns bestimmt morgen bei der Jagd sehen. Allerdings bin ich da nur Zuschauer. Vielleicht kannst du ja eine Auge auf meine Kusine werfen für mich. Was meinst du?“ Er legte seine Rechte auf Nivards Schulter und drückte sie leicht. Der junge Krieger hörte den ablehnenden Unterton gegenüber der Nixe heraus. Elvan war sonst so ein offener und in den schönen Dingen beflissener Mensch – Nivard konnte nie nachvollziehen, warum er so gegen sie eingenommen war – vielleicht höflicher wie beispielsweise Quintus von Münzberg, aber nichtsdestotrotz eindeutig gegen sie voreingenommen. Er beschloss aber, dies nicht hier und jetzt anzusprechen.  „Vielen Dank nochmals für Deine Hilfe! Und schade, dass Du nicht direkt mit auf ein Bier und eine leckere Spinnensuppe kommen kannst. Aber vielleicht kann ich mich direkt bei Dir revanchieren und Dir zur Hand gehen? Damit Du schneller mit zu den Festivitäten kannst. Immerhin gibt es noch viel zu erzählen. Außerdem musst Du mich noch ein wenig instruieren, wenn ich auf Dein Kusinchen aufpassen soll.“ schloss er, nun wieder grinsend.  „Sehr gerne mein Freund. Dann kann ich dir auch gleich Mutter vorstellen.“ Elvan drehte sich um und ging zum Altenberger Zelt zurück. Nivard folgte Elvan und war gespannt, welche Art von Frau dessen Mutter wohl war. Ob sie auch so einschüchternd streng auftrat wie die Muhme in Gratenfels? Er nutzte die Gelegenheit, rasch seinen Wappenrock zurechtzurücken und sich auf eine standesgemäße Vorstellung einzurichten. Das Zelt machte auf jeden Fall schon mal was her… da waren sie auch schon angekommen. Neugierig trat er in selbiges ein.

Am Bierzelt

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Nachdem sie endlich, endlich das Bierzelt gefunden und ihren Durst hatte löschen können, war Doratrava ein weiteres Mal über die Rahjani gestolpert. Diese hatte sich wiederum erfreut gezeigt und war direkt auf die Gauklerin zugegangen. „Wir könnten den vorhin ausgefallen Spaziergang nachholen, was meinst du?“ hatte sie mit freundlicher, je herzlicher Stimme gefragt. Doratrava konnte sich das Interesse der Geweihten an ihr nicht so richtig erklären. Lag es daran, dass sie eine Gauklerin war und deshalb auf ihre Weise den Leuten Freude brachte, ganz im Sinne Rahjas? Egal, sie beschloss einfach, mitzugehen, dann würde sie es schon erfahren. „Sehr gerne“, antwortete sie deshalb lächelnd und wandte sich dann Gelda zu, welche immer noch an ihrer Seite weilte. „Kommst du mit?“ Sie hoffte, dass die junge Adlige zusagte. So ganz wohl in ihrer Haut war ihr nicht, wenn sie sich vorstellte, mit Rahjania allein zu sein, zumal im Lichte der erst wenige Tage zurückliegenden Ereignisse, die sie noch gar nicht richtig verarbeitet hatte. Und deshalb vergraben hatte, tief in einer Kammer ihres Herzens, und dort sollten sie vorerst auch bleiben.

Von Zwergen und Menschen

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„Ich komme gerne mit“, beschloss Gelda, obwohl sie wusste, dass ihre Muhme wahrscheinlich schon nach ihr suchte. Sie war es leid, immer dort mitmachen zu müssen, wo es am wenigsten Spaß bereitete. Wenigstens hat mit der Gauklerin jemanden gefunden, der nicht ganz so verhalten war, wie die meisten adligen aus ihrem Stand. Sie nahm nochmals einen kräftigen Schluck Bier aus dem Humpen, stellte ihn ab und folgten den beiden Frauen. „Euer Hochwürden, was haltet ihr eigentlich von Zwergenmännern?“ eröffnete Gelda ein neues Gesprächsthema.  ‚Huch‘, dachte Doratrava verblüfft - ‚Die Kleine stellt ja Fragen … ob sie einen besonderen Grund dafür hat?‘ Aber sie hielt den Mund und lauschte interessiert der Antwort.  "Eine sehr interessante Frage, die Zwerge sind unter anderem der Grund, warum ich dieses Fest besuchen wollte. Aber lass das mit `Hochwürden` ruhig sein, in meinem Dorf kennt sich jeder und die meisten nennen mich einfach Rahjania" Wie ihre Begleiterin, hatte sich auch die Geweihte einen Humpen mit Bier besorgt. Sie nickte aufmunternd und stieß mit Gelda an. "Erzählt ihr mir doch etwas über Zwergenmänner. Für mich sind sie ein exotisches Mysterium, ich sehe nur selten welche und noch nie wollte sich einer im meinem Tempel waschen lassen." Munter hakte sie sich nun bei Doratrava ein und die drei schlenderten auf dem Festplatz umher, Sie ließen sich treiben, wie es im Leben auch war, hätte Rahjania wohl gesagt, aber sie schwieg zufrieden. Der Gauklerin war die ungezwungene Nähe der Geweihten ein wenig unheimlich, so etwas war sie nicht gewohnt von wildfremden Menschen. Außerdem diente sie ausgerechnet Rahja. Aber da sie eben dennoch eine Geweihte war, ließ sie es geschehen. Da sie allerdings selbst nichts über Zwergenmänner wusste, schwieg auch sie und sah Gelda gespannt an.  „Na viel kann ich da auch nicht erzählen, Rahjania. Viele habe ich nicht kennengelernt, nur ein paar in Elenvina. Ich frage nur, weil im nächsten Mond veranstaltet meine Familie eine große Brautschau. Und ich soll mich nach einem Ehemann umschauen. Seitdem ich hier bin, ist mir der Gedanke gekommen, ob ein Zwergenmann auch in Frage kommen kann. Immerhin ist ja der Wunsch zur Völkerverständigung da. Ehrlich gesagt hatte ich mir vorher noch gar keine Gedanken um Männer gemacht.“ Geldas Gesicht wirkte nachdenklich, während sie anfing die Männer auf dem Platz zu betrachten. Menschen und Zwerge. „Ich dachte ihr könnten mir mehr erzählen, wie das so mit den Liebesdingen bei den Zwergen funktioniert. Was sind deine Gedanken dazu, Doratrava?“ Die Gauklerin lief ob der Frage einmal mehr blassrosa an, platzte dann aber heraus: „Ähm, ich glaube, Zwerge funktionieren so wie Menschen, ich habe noch nichts anderes gehört. Allerdings war ich mal in Gratenfels und habe zufällig ein Gespräch von Praiosgeweihten gehört, wo es um das Thema ging. Die sagten, Menschen und Zwerge könnten keine Kinder kriegen. Ich weiß aber nicht, ob das stimmt.“ Der Rosa-Ton ihrer Wangen wurde ein wenig intensiver. „Äh … Gelda, du musst schon heiraten? Gefallen dir denn Zwerge überhaupt? Also, ich meine, damit … das geht doch nicht, wenn ...“ Doratravas Stimme erstarb, als sie sich immer mehr in rahjanische Fallstricke verstrickte und selbst merkte, dass das auf keinen grünen Zweig führen würde. Einmal mehr verfluchte sie in Gedanken ihre traviageweihten Zieheltern.  Gelda drehte sich beim Laufen zu der Gauklerin. „Meine Eltern haben bei der Familienversammlung zugestimmt. Ich bin wohl schon alt genug. Meine anderen Geschwister müssen auch hin. Sabea hat einen tierischen Aufstand gemacht.“ Bei diesem Gedanken, musste sie lachen. „Mir tut der Mann jetzt schon leid, der sie heiratet.“ Sie wurde wieder ernst. „Ich finde Zwerge schon interessant. Ich mag wen ich mag. Aber wenn das stimmt, dass es wie bei den Menschen funktioniert, dann erkenne ich da kein Problem. Und das mit dem Kinder kriegen,“ nun drehte sie sich etwas zu Rahjania, “, da kann ich mir vorstellen, auch welche zu adoptieren. Mein Vetter Amiel sagt immer, wir müssten mehr für die armen Waisenkinder tun. Auch mein Oheim, der Herdvater vom Elenvina Traviatempel, sagt das es eine traviagefällige Aufgabe sein. Auch wenn er immer von Ehe und Kinderkriegen predigt. Seid ihr verheiratet?“ Gelda stellte die Frage an beide. "Wie schade, noch gar keine Erfahrung mit Männern, und dann schon heiraten? Wer weiß, was man da bekommt.... Ich werde da schon in weiden sein, aber später, oder morgen, kann ich dir ein paar Kleinigkeiten zeigen, die dir helfen könnten ... und " Sie überlegte kurz, es schien so, als würde sie sich einen nackten Zwerg vorstellen. "… und in Sachen Sauberkeit muss man leider vielen Männern noch was beibringen. Das ist wichtig, erinnere mich daran. Aber warte …" Erneut dachte sie kurz nach, strich sich dabei ihre dunklen Haare aus dem Gesicht und biss sich leicht auf die Unterlippe, bevor sie antwortete. "Ich? Nein, ich bin nicht verheiratet. Es ist für einen Mann oder eine Frau schwer, sich an jemanden wie mich zu binden. Es erfordert viel Stärke und Glauben. Die Meisten würden nur eifersüchtig sein. Aber weißt du? Ich bin offen und ohne Scheu, dennoch würde ich sagen, dass dort, wo ich jetzt bin, die Bauern öfter Rahja in dem Sinne opfern, wie man es sich vorstellt, als ich. Man ist dort sehr traviagläubig und ich habe viele Aufgaben übernommen, die man in Fasar nicht mit einer Rahjani verbindet. Aber ich rede wieder zuviel... Diese Zwerge, sind die überall so haarig?" Doratrava hatte zwar bisher kaum näher Kontakt mit Geweihten der Schönen Göttin gehabt, aber diese hier war ein wenig … seltsam? Verwirrt lauschte sie ihren Ausführungen über saubere Männer, Rahja opfernde Bauern und haarige Zwerge, dann schüttelte sie kurz und heftig den Kopf, dass ihre langen, weißen Haare flogen, so dass die Geste nicht nach einer Verneinung aussah. „Wir hätten die beiden freundlichen Gesellen mitnehmen sollen, die uns zum Bier geführt haben, äh, Borix … und Tharnax, ja, das waren ihre Namen. Dann hättet Ihr sie gleich direkt fragen können, Rahjania“, warf die Gauklerin nicht ohne Schalk in der Stimme ein. Dann wandte sie sich Gelda zu: „Verheiratet? Aber wo denkst du hin? Ich bin eine Gauklerin, ziehe von Ort zu Ort, wie es mir gefällt, kann nicht lange an einem Platz bleiben, bevor ich weiter muss. Wie sollte ich da eine Familie haben können?“ Doratravas Stimme klang heiter, aber wenn man genau hinhörte, schwang doch eine ganz leise bittere Note darin mit. Gelda schaute Doratrava fragend an. „Haarig? Keine Ahnung, aber ein behaarter Mann stört mich nicht. Denk ich. Euch?“, stellte sie die Frage an die Geweihte. Als Doratrava die Zwerge erwähnte, drehte sie sich um, und sah die beiden nicht allzu weit entfernt. Beide waren noch mit Suppe und Bier beschäftigt. „Du hast recht“, sagte sie leise vor sich hin und ging auf die beiden zu. „Meister Tharnax, ich habe da eine Frage an Euch. Seid ihr verheiratet?“ Das rothaarige, blasse Mädchen errötete leicht und versuchte zu lächeln.  Überrascht über diese direkte Frage sah der Bergvogt etwas verdattert zu den Damen. „Nein, bin ich nicht.“  Nach etwas Bedenkzeit kam die Gegenfrage. „Dürfte ich wissen wofür dies von Interesse ist?“  Doratrava hielt dieses ganze Gespräch mittlerweile für sehr bizarr und wusste nicht, ob sie in haltloses Kichern ausbrechen oder vor Scham im Boden versinken sollte. Also hielt sie lieber erstmal den Mund und verbiss sich auch jegliches Kichern, was ihren Gesichtsausdruck in wenig kurios machte. In ihrem jugendlichen Übermut stellte Gelda die Frage. Überdacht hatte sie diese nicht. „Ich bin nicht sicher, ob unsere Heroldin sich auch an das Zwergenvolk gerichtet hatte. Nun, meine Familie veranstaltet eine Brautschau im nächsten Mond. Ich würde Euch dazu einladen wollen. Und natürlich auch die anderen adeligen Angroschos. Dem Vogt Borindarax liegt ja etwas an der Völkerverständigung. Das wäre doch mal ein Schritt, meint ihr nicht?“  Ziemlich verdattert ob dieser Eröffnung klappte dem Bergvogt der Mund einmal auf und wieder zu. Er schien nachdenken zu müssen, was er ‚Sinnvolles‘ darauf antworten solle. „Nun“, versuchte er es zögerlich. „Unter dem gegebenen Fakt, dass kein Vertreter meiner Rasse mit einem Menschen ein Kind zeugen kann, ist diese Einladung … nun ja … zumindest ungewöhnlich, da es eurer Familie ja sicher um den Erhalt ihres Adelsgeschlechts geht. Wenn ihr aber auch andere Gründe habt mich einladen zu wollen, denn denjenigen, mich zu verheiraten, dann könnte ich mir dies durchaus überlegen.“ Gelda war erleichtert das Tharnax sie nicht auslachte und sogar höflich blieb. So schnell ließ sie aber nicht locker. „Ihr habt wahrscheinlich recht mit dem Fakt, aber es gibt ja auch viele Waisenkinder, die liebevolle Eltern brauchen. Die können ja auch den Namen weitertragen. Und nicht alle behalten ja ihren Namen nach der Hochzeit. “ Die Altenbergerin war begeistert von dieser Idee. Da kam bestimmt noch nie jemand darauf. „Aber, falls ihr nicht nach einer Braut sucht, würde sich die Familie Altenberg auch auf euren Besuch freuen. Vielleicht könnt ihr ja das Wort für mich weitertragen?“ Die junge Frau war jetzt gänzlich errötet, was sich wegen ihrer blassen Haut kaum verbergen ließ. Sie drehte sich um, um zu sehen, ob Rahjania die Gelegenheit nutzen wollte, auch etwas zum Thema zu sagen. Zu ihrer Überraschung musste sie feststellen, dass beide Frauen ohne sie weitergegangen waren. ´Und ich dachte ...´ Etwas enttäuscht und irritiert drehte sie sich wieder zu Meister Tharnax. Wiederum überrascht von der Eröffnung überlegte der Zwerg, wie er weiterhin diplomatisch bleiben konnte. „Sicherlich teilen Menschen und Angroschim grundlegend identische Werte von Familie, in unserer sogar von Geschlechterstellung, doch… ich denke das es da immer noch vieles gibt was einer solchen Bindung entgegensteht.  Bei euch mag es legitim sein mit Heiratspolitik den Einfluss, das politische Gewicht eines Hauses zu stärken und dieses Ansinnen über das persönliche Wohl des Einzelnen zu stellen. Bei uns gilt dies nur im eingschränkten Maß. Zudem“, der Bergvogt verzog das Gesicht, als wolle er das folgende gar nicht sagen, müsste es aber. „Körperliches gehört nun Mal auch zum Bund von Feuer und Erz, so wie wir euren Traviabund nennen. Mit Verlaub, nicht jeder Angroscho findet Gefallen an Frauen eurer Rasse und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es anders herum anders ist. Dennoch“, Tharnaxs Gesicht entspannte sich wieder, da er hoffte das Schwierige gesagt zu haben, „werde ich gerne kommen, so die Einladung nach diesen Worten noch aufrechterhalten wird.“ “Man hat mir erzählt, dass das ´Körperliche´ genauso funktioniert, wie bei uns. Etwas , was eigentlich die Geweihte der Rahja näher erläutern und erforschen wollte”, immer noch mit hochrotem Gesicht wies sie auf die davon schlendernde Rahjageweihte. “Und natürlich steht diese Einladung. Ich denke es ist auch im Sinne dieses Treffens.” Mit diesen Worten verabschiedete sich Gelda, den nun kam der Zweifel. ´Was hast du dir bloß dabei gedacht? Kein Wunder, wenn Leute nix mit dir zu tun haben wollen´. Wehmütig schaute sie nochmals den beiden Frauen hinterher und ging zurück zum Altenberger Zelt. Nun hatte es dem Bergvogt endgültig die Sprache verschlagen. Er war froh darauf nichts mehr erwidern zu müssen, zu merkwürdig erschien ihm das Gespräch gewesen.  In Gedanken rekapitulierte Tharnax die letzte Worte der Frau immer und immer wieder. ‘Etwas, was die Geweihte näher ‘erläutern’ und ‘erforschen’ wollte?’  Plötzlich, als Gelda schon außer Hörweite war, blickte der Zwerg in Richtung der Dienerin der schönen Göttin und prustete los, so dass er sich den Bauch halten musste vor Lachen.  Eine Reaktion, die bei einigen Umstehenden zu verständnislosen Blicken führte. 

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<a name='Frauengespraeche'></a> Frauengespräche

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Rahjania zog Doratrava unterdessen sanft aber deutlich am Arm. "Lass uns doch etwas weitergehen..." Sie flüsterte nur, Ihre Miene blieb freundlich, nur ein Mundwinkel zuckte etwas, und sie hatte niedliche Grübchen bekommen. "Ich wollte etwas.. nun, dezenter sein. Und dich etwas kennen lernen. Du hast interessante Augen." Die Geweihte hatte es geschafft, sogar noch leiser zu reden, mit einem sachten Nicken unterstrich sie ihre Worte.  Verwundert von dem Ansinnen der Rahjani und der Art, wie sie dieses vorbrachte, ließ Doratrava sich nach einem kurzen, unwillkürlichen Impuls des Widerstands mitziehen, weg von Gelda und Tharnax, denen sie etwas hilflos hinterher sah. Außer einem leicht krächzenden „Äh…?“ brachte die Gauklerin nichts heraus, da sie schon wieder gegen ihre lähmende Verlegenheit ankämpfen musste.  In sicherer Entfernung atmete  Rahjania  aus, als hätte sie  unbewusste die Luft angehalten. "Nicht doch … ich kann doch nicht einfach einen Zwerg gewisse Dinge direkt fragen. Das mache ich vielleicht einmal, wenn ich mehr über Zwerge weiß … ." Sie blieb stehen und drehte sich zu Doratrava. "Weißt du, bei uns gibt es Finsterzwerge, üble Gesellen. Wer weiß, was die anderen so denken? Am Ende sind sie eingeschnappt oder wollen ihre Ehre retten?" Sie zögerte etwas, als suche sie einen entflogenen Gedanken wieder einzufangen. "Na egal, Dotravata...wo waren wir? Beim Heiraten? Man muss ja nicht. Du aber könntest ohne weiteres Partner finden, die ebenso gerne umherziehen. Ich versuche gerne, die Geschöpfe glücklich zu machen, sie sollen mit sich im Reinen sein. Harmonisch." Immer noch reichlich verwirrt blickte die Gauklerin Rahjania an. Die Belehrung über ‚Zwergen-Etikette‘ oder wie man das nennen sollte, war doch sicher auf Gelda gemünzt, warum erklärte die Geweihte es dann ihr? Von Finsterzwergen hatte sie außerdem noch nie etwas gehört. „Ich heiße Do-ra-tra-va!“ begann sie dann mit einer Richtigstellung. Rahjania war nicht die erste, die Schwierigkeiten mit ihrem Namen hatte, aber da ihr selbst das mit fremden Namen auch nicht anders ging, konnte sie das verstehen. „Aber ...“ wollte Doratrava dann auf den zweiten Teil der Ausführungen der Geweihten eingehen und ausdrücken, dass sie doch im Reinen mit sich selbst war, doch das stimmte nicht, und Geweihte sollte man nicht anlügen. Also biss sie sich auf die Lippen und schwenkte ein wenig um. „Äh, wo finde ich denn ‚ohne weiteres‘ Partner, die mit mir herumziehen würden?“ fragte sie mit unschuldiger Stimme. In diesem Moment nahm sie den etwas enttäuschten Blick Geldas wahr und zuckte hilflos und mit entschuldigender Miene mit den Schultern in deren Richtung. „Also, erzwingen dürft Ihr es nicht, das habt Ihr auch nicht nötig. Aber, wo findet man jemanden ? Schaut in große Städte, schaut ins Liebliche Feld. Dort ist man offener. Das heißt nicht, dass Ihr dort Euer Glück findet, vielleicht wartet es schon auf dem Weg. Man darf sich nur nicht verschließen.“ Doratrava dachte zurück an Jel, und sofort verdüsterte sich ihre Miene gegen ihren Willen. Eigentlich war sie noch nicht so weit, mit jemandem über diese Sache sprechen zu wollen, nicht einmal mit einer Geweihten der Schönen Göttin, dazu war der Schmerz noch zu frisch. Sie versuchte, ihre Anwandlung zu überspielen, indem sie in leichtem, aber gekünstelten Tonfall antwortete: “Also, mich auf ein Strohlager oder in ein Bett zerren wollten schon viele, aber denen ging es doch nicht darum, mein Leben zu teilen oder gar darum, mir eine besondere Freude zu machen. Die meisten Männer denken doch nur an sich selbst! Wie soll ich denn aufrichtige Liebe erkennen?”   Rahjania musste lachen, nicht spöttisch, sondern lieb, ansteckend und voller Vertrauen. Doratrava wusste, dass das, was sie mit der Geweihten besprach, unter ihnen bleiben würde, sie ahnte auch, dass Rahjania, obwohl relativ jung für eine Hochgeweihte, stark im Glauben war und vieles in ihrem Leben geopfert hatte, das kam ihr, als die schöne Frau ihre dunklen Haare hinter das Ohr strich und ihre tulamidische Abstammung mehr als sonst zur Geltung kam. “Doratrava, ich bin Rahjani. Was weiß ich über ewige Liebe ? Ich will euch in Harmonie und Eintracht mit Rahja sehen, das schließt eigennützige Kerle aus, Rahjas Erfüllung erfordert gegenseitiges Einverständnis, eure Herzen sollen im Gleichklang sein für diesen Moment und ihr sollt euch einig sein. Ob mit einem Mann, oder einer Frau.” Sie hielt inne, und fasste Doratravas Hand als Zeichen, dass sie noch nicht fertig was. “Es erinnert mich an meine Schwester im Glauben, die eine Freundin ist, ja, wir haben in Weiden einander, sowas hat mich nie gestört.” Sie atmete tief durch, überlegte kurz, wie sie es erzählen konnte. “Sie ist hübsch, rothaarig und zart, doch sie glaubte, einen Mann gefunden zu haben, der sie liebt und nicht das, was sie ist. Fast hätte sie ihren Glauben verloren und sie hat sehr gelitten , da sie sich wünsche, als Person und nicht als Geweihte geliebt zu werden. Das ist nicht einfach. Sie hat gelernt, dass jemand in wahrer Liebe jemanden so akzeptiert, wie er ist, auch mit seinen Schwächen und Fehlern. Für jemanden wie mich ist das unmöglich, mich wird niemand lieben, ich habe das mit Rahja und meine Aufgabe ist es, die Gläubigen zu ihr zu führen.” Sie blieb stehen und gab Doratrava eine Kuss auf die Stirn. “Musst du deine Gedanken ordnen ? Ich bin dir nicht böse, wenn du anderswo Zerstreuung suchst, aber lass uns nochmal treffen, bevor wir abreisen.” ihr Lächeln nahm die Gauklerin gefangen, in ihm lag Zuversicht, Wärme und etwas wie Heimat. Obwohl nie ausgesprochen, wusste sie, dass sie mit jeder Sorge zu der jungen und doch so anziehenden Geweihten kommen könnte. Immer. Doratrava war noch immer - oder erneut? - reichlich verwirrt. Was hatte das jetzt damit zu tun, wie man jemanden fand, der einen aufrichtig liebte und in ihrem Fall bereit war, mit ihr herumzuziehen? Dennoch hatten die Worte der Geweihten sie tief berührt, auch und gerade, wenn sie an Jel zurück dachte. Aber sie beschloss, zunächst einmal die goldene Brücke anzunehmen. “Habt Dank für Euren Rat, Hochwürden. Tatsächlich muss ich jetzt erst einmal nachdenken. Aber da man hier nirgends hin kann, werden wir uns bestimmt noch ein paarmal treffen.” Die Gauklerin lächelte schief, winkte der Geweihten und machte Anstalten, sich zu entfernen. “Dora...geh ruhig, morgen oder irgendwann einmal werden wir uns wieder treffen. Bei mir bist du sicher, genauso wie alles, was du gesagt hast.” Rahjania hielt noch kurt Doratravas Hand fest. Die der Geweihten war warm und zart, ein angenehmes Gefühl breitete sich in der Gauklerin aus, sie spürte Sicherheit und etwas, was sie wohl als Liebe interpretieren würde. “Meine Freundin hat übrigens in Albernia interessante Menschen getroffen, wirklich interessant, sowohl Frauen, als auch Männer. Schau dich dort einmal um. Du bist jung, es mag eine schöne Erfahrung sein.” Sie gab Doratrava erneut einen Kuss, diesmal auf die Wange. Dann lächelte sie auffordern. “Los, ich will dich nicht länger aufhalten … aber vergiss mich nicht, ich bin immer neugierig. Erzähle mir, was du erlebt hast, oder schreib mir. Du bist außergewöhnlich, das sollte dir bewusst sein, und es ist kein Nachteil.” Aber ein Vorteil war es auch nicht immer, dachte Doratrava bei sich, noch immer verwirrt von den seltsamen Gefühlen, die die Berührungen der Geweihten in ihr hervorgerufen hatten. Sie musste tatsächlich ihre Gedanken ordnen und winkte ein zweites Mal, dann ging sie endgültig davon.

Wahrer Forschergeist

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Über das ganze Gesicht lachend tapste das Kind durch das Lager, die Arme vollgeladen mit Kiefernzapfen, die ihm immer wieder aus den kleinen Händen purzelten. Seine bloßen Füßchen hinterließen kaum einen Abdruck auf dem längst zu Matsch zertretenen Moos und Laub des Lagerplatzes, und gekleidet war es mit nicht mehr als einem knielangen, verwaschenen und oft geflickten Kittel. Das Mädchen mochte kaum zwei Sommer zählen, gerade genug, um es zielstrebig auf seinen eigenen Beinchen seinen Weg finden zu lassen. Freudestrahlend lachte es Fedora ins Gesicht, hob einen besonders schönen Zapfen in Richtung der Frau, verlor einen Teil seiner Beute und eilte lachend den davonkullernden Zapfen hinterher, mit traumwandlerischer Sicherheit seinen Weg über Heringe, Abspannschnüre und um die gröbsten Haufen zertretener Pferdeäpfel herum findend. Jubelnd verschwand es um eine Zeltecke, und nur sein Lachen hing noch einige Zeit in der Luft wie ein im Zwielicht des Waldes jäh aufschimmernder Sonnenstrahl. ´Einmal aus den Augen gelassen und schon sind die Kinder weg´ Doctora Maura von Altenberg schaute über den Zeltplatz. „Oren, habt ihr Elvan und Gelda gesehen? Die beiden drücken sich vor dem Einräumen.“ Der schweigsame Leibwächter mit dem metallenen Topfhelm verneinte die Frage mit einem Kopfschütteln. Maura seufzte. Plötzlich spürte sie ein Zupfen an ihrem Kleid, das einem fröhlichen Glucksen folgte. Als sie an sich hinabsah, lächelte sie das zwei Sommer zählende Kind an. „Ach herrje, wer bist du denn, du kleiner Sonnenschein?!“ Instinktiv beugte sie sich vor und nahm das Kind auf den Arm. „Na wollen wir mal schauen, wo du hingehörst.“ Die Kleine leicht wiegend, schritt die Doctora weiter auf den Platz und schaute sich um.  „Dado! Da – hin!“ Mit großen dunklen Augen betrachtete die Kleine die Doctora, ehe sie zielstrebig auf einen Zwergen in der Nähe deutete, mit einem Strahlen im Gesicht und ihre kostbaren Zapfen fest umklammert. Sie deutete auf Borix, von dem gerade noch der Rücken in Richtung Bierzelt zu sehen war. Borix hörte gerade noch die Rufe des Kindes, bevor er im Zelt verschwand und drehte sich erstaunt um. ‚Endlich mal jemand der kleiner ist als ich‘, grinste er in sich hinein. Sein Staunen wurde noch größer als er feststellte, dass das Kind mit dem Finger direkt auf ihn deutete. Fragend blickte er zu der Frau, die das Kind an der Hand führte.  „Da willst du also hin?“, flüsterte Maura vor sich hin. Sie kniff die Augen zusammen und musterte den Zwerg, dann das Kind. ´“Hmmm. Wie ein Zwergenkind siehst du aber nicht aus.“  Mit sicheren Schritt ging sie auf ihn zu. „Seid gegrüßt, werter Herr. Ich bin Doctora Maura von Altenberg. Kennt ihr dieses Kind? Es lief mir gerade zu und nun suche ich die Eltern. Es scheint, die Kleine kennt euch!“ Mit einem Lächeln schaute sie Borix erwartungsvoll an. „Ähm!“, war alles was der Zwerg im ersten Moment sagen konnte. Dann holte er tief Luft und stellte sich dann erst einmal mit einer Verbeugung vor. „Werte Doctora, man nennt mich Borix groscho Barax – oder wie ihr Menschen sagt, Borix Sohn des Barax. Ich bin der Bergvogt von Ishna Mur und bin bereits mit fünf Kindern gesegnet, aber dazu gehört dieses Kind nicht.“ Dann beugte er sich zu der Kleinen hinunter – es war ja nicht so weit – und fragte das Mädchen: „Nun, wenn Du schon auf mich zeigst, weißt Du denn auch wo Du hin gehörst?“  Fasziniert betrachtete das Kind den prachtvollen Bart des Angroscho und langte mit entschiedenem Griff in die dicken Flechten. „Dado!“ erklärte sie freudestrahlend. Sie fuhr durch die Haare, als suche sie etwas, blickte auf und sah dem Bergvogt ins Gesicht. Ihr Gesicht gefror und die Mundwinkel flossen nach unten, während sie Borix mit großen, kugelrunden Augen anstarrte. Ihr Mündchen öffnete sich und ihre Unterlippe begann unheilverheißend zu zittern.  Als das Kind ihm in den Bart fasste, zuckte der Zwerg kurz zurück, aber ließ es sich dann doch gefallen. Dieses Spielen mit den Flechten kannte er auch von seinen Kindern, allerdings war das auch bei Murixe schon weit über 20 Götterläufe her. Dann bemerkte er das Zittern der Unterlippe der Kleinen. Jetzt musste ihm schnell etwas einfallen bevor hier in wenigen Wimpernschlägen das große Geschrei losgehen würde. Nur was? Oh, es war so lange her, dass er das brauchte, seine Kinder weinten nicht mehr und Enkel hatten sie ihm auch noch nicht geschenkt. Also griff er in seine Gürteltasche und langte nach einem der blinkenden Steine, die er immer dabei hatte, die waren schließlich um einiges einfacher zu tragen als die Münzen der Menschen. Mit dem kleinen Edelstein in der Hand wedelte er vor dem Kind mit der Hand hin und her, immer darauf bedacht, dass der Stein schön in der Sonne glitzerte und blinkte.  Und tatsächlich – die Augen des Mädchens weiteten sich, als die Lichtreflexe über ihr Gesicht glitten, und mit einem glücklichen Lachen griff sie nach der Hand des Zwergen. Dann aber sackten ihre Mundwinkel wieder nach unten. „Wo Dado?“ verlangte sie zu wissen.  Maura lachte laut auf. „Oh, ihr seid so gut mit Kindern, Meister Borix.“ Sie beugte sich wieder vor. „Die große Frage. Wer ist Dado?“ Das Stimmengewirr eines Grüppchens ließ die Doctora aufhorchen und sie drehte sich um. Sie zählte vier Leute, die sich auf den direkten Weg in ihre Richtung bewegten. Zwei Ritter gefolgt von einem Rondrageweihten und einer Borongeweihten. Instinktiv nahm sie das Kind wieder auf den Arm und schaute Borix fragend an. ´Die wollen bestimmt etwas wichtiges von Meister Borix´, dachte sie bei sich. Borix atmete erleichtert auf als die Doctora ihm das Kind abnahm. Schnell ließ er wieder den den Edelstein in seinem Beutel verschwinden. Dann meinte er: “Ich weiß es auch nicht, wer dieser Dado ist, aber anscheinend hat er wohl einen Bart.” Damit fuhr er sich gedankenverloren durch den seinen.  Da gluckste das Kind vor sich hin und zeigte mit dem Finger in Richtung des Altenberger Zeltes. Dort sah sie ihren Sohn Elvan in Begleitung eines jungen Kriegers. Die Doctora setzte sich in Bewegung. „Entschuldigung, seid ihr Dado .. ähh .. ich meine der Vater des Kindes?“ sprach sie Nivard von Tannenfels an. Elvan schaute ihn und seine Mutter überrascht an. Nivard blickte unschlüssig zwischen der ihm unbekannten Doctora und dem Kind hin und her. „Dado? Wer? Ich? Nein! Nein, ich meine, ich bin nicht der Vater dieses Kindes. Genau genommen bin ich noch überhaupt keines Kindes Vater… Wird der Vater denn gesucht?“  Elvans Mutter war inzwischen mit dem Wonneproppen, der Nivard weiterhin anstrahlte, einige Schritt auf Elvan und ihn zugekommen. 

Wildschweinreiter

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„Gestatten, Nivard von…“ Bevor der junge Krieger sich standesgemäß vorstellen konnte, lehnte das kleine Mädchen sich ihm, mit ihren Händchen nach dem goldenen Hirschhaupt, das auf seiner Brust prangte, grapschend, jäh soweit entgegen, dass Maura von Altenberg es kaum mehr halten konnte. In einem Reflex fing Nivard das süße Wesen auf. Nun hatte er sie auf dem Arm, und sie schaute ihn erwartungsfroh an. „Dado, hopp!“ schien sie ihn mit einem Augenaufschlag aufzufordern (oder meinte sie nur den holprigen Trägerwechsel?), dem er sich einfach nicht widersetzen konnte. Was nur meinte sie mit ‚Dado hopp‘? Ihm fiel nur dieser Kinderspielreim ein, mit dem er seine Schwester Silfrun immer auf seinen Knien reitend zum Jauchzen brachte, als diese noch klein war. Ihn in der gebührlichen Wildheit zu sprechen und auszuführen wagte er allerdings angesichts der ihm unbekannten Gesellschaft nicht. Stattdessen begann er das Kind zunächst etwas verhalten auf und ab und dabei hin und her zu bewegen und dazu leise mit Kopfstimme zu sprechen:

Hoppel-di-hoppel-di-hoppel-di-hopp, reitet der Gobeli-Gobeli-Gobelin-Gob, auf der Wildsau Galopp, Galopp.

Ein klein bisschen peinlich berührt linste Nivard zu den Umstehenden, da vernahm er aus Richtung seiner Arme ein „Mehr hopp!“ Er grinste in die Runde, als auf einmal ein gemischter Trupp Gerüsteter und eine Boroni unmittelbar auf sie zuhielten … . „Hopp zu Dado!“ Energisch deutete das Mädchen nach vorn, weg von Trupp Bewaffneter, und grinste mit einem herzerwärmenden Lächeln Nivard auffordernd an. „Hopp! Hopp!“ erklärte sie freudestrahlend. Maura erkannte das Wappen des jungen Mannes sofort. ´Das muss Nivard von Tannenfels sein, Elvan hatte ja von ihm viel erzählt´. “Ihr solltet es einmal versuchen, Herr von Tannenfels. Aber vorher solltet ihr Euch eine gute Braut suchen. Ich bin übrigens Doctora Maura von Altenberg, Elvans Mutter. Es freut mich Euch endlich kennenzulernen. Ich habe gerade dieses Kind aufgegabelt und suche nun die Eltern”. Sie lächelte und nickte ihm zur Begrüßung zu. Sie folgte wieder den Gesten des Kindes. Diesmal deutete es zu den schwarzen Zelten. ´Die Rabensteiner?´ Fragend schaute sie Nivard an. “Wie es ausschaut, können wir Dado da drüben finden. Kommt mit, ich kenne die Barone von Rabenstein, vielleicht können die uns weiterhelfen. Und du Elvan, Schatz, räume jetzt bitte auf!” Ohne eine Antwort der jungen Männer abzuwarten, schritt sie auf die Zelte der Rabensteiner zu. Mit melodisch aufgesetzter Stimme rief sie: ”Euer Hochgeboren Shanija von Rabenstein, seid ihr zu sprechen?” Nivard blickte kurz unschlüssig zwischen der Doctora von Altenberg, Elvan und dem kleinen Mädchen umher, um schließlich, nach einem entschuldigenden Blick in Richtung Elvans,  dessen Mutter zu den Rabensteinern zu folgen. Wenigstens musste er aufgrund des direkten Aufbruchs nicht unmittelbar auf das Brautthema antworten. “Die Freude ist ganz meinerseits…” setzte er noch kurz an, merkte aber, dass gerade nicht der Zeitpunkt für eine tiefere Konversation war … . Für den Weg setzte er sich die junge Dame auf die Schultern und schritt stärker federnd aus, als gewöhnlich, darauf hoffend, dass das Kind ihn einerseits noch als lustiges Reittier empfinden, er aber gleichzeitig nicht allzu lächerlich auf seine größtenteils adlige Umgebung wirken möge. Dabei murmelte er noch leise den Kinderreim von den Schweinereitern, immerhin kam dieser offensichtlich gut an. ‘Elvans Mutter scheint ja aus einem anderen Holz geschnitzt zu sein als seine Muhme, deutlich nahbarer’ dachte er sich noch (auch wenn er über die Leiterin der Praiosschule in Gratenfels ebenfalls nichts Negatives sagen konnte - sie war zwar sehr streng, aber auch hilfsbereit und hatte immerhin seine Schwester als Schülerin angenommen), da erreichten sie schon das Zelt der Rabensteiner.   “Hopp, hopp! Schneller! Zufrieden glucksend griff Mirla mit beiden Händen in Nivards Haar und wäre zu gerne noch ein ganzes Stück schneller und höher gehüpft. “Weiter - mehr hopp!” bettelte sie  begeistert. Diesem charmanten Betteln konnte sich Nivard einfach nicht verweigern - er drehte noch rasch eine nun doch rasantere Extrarunde als hoppelnde Wildsau, an deren Ende er das jauchzende Kind zu dessen Freude abwarf und in seinen Armen auffing. Er sah die kleine an: “Na, ist hier Dein Dada? Wo sollen wir jetzt hinreiten?” “Weiß nicht.” Die Händchen tatschten in Nivards Haare, als das Kind sich besann. Dann trommelten die kleinen Fersen begeistert in die Schultern des Kriegers. “Da lang hopp!” Begeistert juchzend und in glückseliger Erwartung des Kommenden krallten sich die Händchen wieder fest. Shanija von Rabenstein lächelte den Neuankömmlingen entgegen. “So schnell sieht man sich wieder, Doctora. Und wen bringt ihr mir da mit? Euer neuestes Familienmitglied?” Nivard sah in die Richtung, in die die Kleine deutete, konnte aber im regen Treiben des wachsenden Zeltlagers nicht ausmachen, wen oder was sie meinte. Er drehte sich daher, Galoppbewegungen simulierend, Shanija von Rabenstein entgegen: “Gestatten, Nivard von Tannenfels, Euer Hochgeboren.” stellte er sich vor, noch leicht außer Atem vom wilden Ritt. Etwas verhaltener fuhr er fort: “Habt Ihr vielleicht gesehen, zu wem oder wohin die beherzte Reiterin auf meiner Schulter gehört?” Shanija lächelte und ihre rauchgrauen Augen leuchteten angesichts des seltsamen Gespanns. “Nein, das Kind kenne ich nicht.” Sie senkte ihre Stimme eine Winzigkeit. “Nach ihrem Äußeren ist sie aber wohl ein Kind eines der Bediensteten. Ihr solltet einen der Knechte oder eine der Mägde fragen, wem sie entlaufen sein könnte.”  Keiner der Gäste, von dem die Baronin wusste, hatte seinen Nachwuchs zur Jagd mitgebracht - anders als bei der denkwürdigen Traviensfeier zu Hlûtharswacht. Doch dann wäre ganz sicher auch eine Kindsmagd mit dabei gewesen - und das Kind hätte mindestens Schuhe und mehr als einen geflickten Kittel getragen. Nivard nickte - mit dieser Einschätzung hatte die Herrin von Rabenstein zweifellos recht. Einfacher machte das die Sache aber nicht. Sie konnten sich jetzt entweder systematisch durch das Zeltlager fragen, was ein längeres Unterfangen werden konnte, oder darauf vertrauen, dass ihr Findelkind ihnen doch noch den Weg zu seinen Eltern oder Zieheltern weisen möge. Fragend blickte er Elvans Mutter an: “Doctora von Altenberg, wohlgelehrte Dame”, begann er recht förmlich, “wo genau habt Ihr denn dies gut gelaunte Wesen aufgelesen?” Auch die Doctora folgte Nivards `Galopp` mit dem Kind mit einem Lächeln. “Nicht allzu weit von hier”, sagte sie und deutete zwischen den Zelten. Wieder erschienen die Gerüsteten mit den zwei Geweihten in ihr Sichtfeld. Diesmal war es die Kleine die in ihre Richtung zeigte. War der Geweihte der Rondra ´Dado`? Nun zeigte Maura in die Richtung der Gruppe. “Entweder die Kleine treibt ihren Schabernack mit uns oder da drüben ist der Vater, was meint ihr?” “Ihr habt Recht! Lasst uns bei diesen unser Glück versuchen!” Nivard, der das wohlwollende Lächeln der Doctora wahrgenommen hatte, verfiel - so lange sie noch etwas durch Zelte von der Menschengruppe abgeschirmt waren, auf die sie zu hielten, und sehr zur Freude des kleinen Mädchens - nochmal kurz in ein wild die Richtung wechselndes Schweinsgalopp, ehe er in deutlich gemächlicherem Tempo die letzten Schritt auf ihr nächstes Zwischenziel zuging.  “Verzeiht, ist Euch die junge Dame auf meinen Schulter bekannt?” Die strahlte über beide Ohren, so dass ihre Bäckchen spitz hervortraten, und sang begeistert “Hopp, hopp, gobbi gob!” Ihre Füßchen trommelten gegen Nivards Schulter und das kleine Kind erklärte mit leuchtenden, schwarzbraunen Augen: “Mehr hopp!” Shanija von Rabenstein lächelte und folgte in einigen Schritt Abstand der Gruppe, neugierig, wie sich die Suche auflösen würde.

Auf der Suche

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Eine Zeltplane – glatt, gewachst und kühl. Ihre Fingerspitzen glitten an ihr entlang, fanden die Naht und die Kante der Frontseite – die indes genauso sauber, gerade und vor allem leer waren wie der Rest der Zeltwände und des mit einer Decke ausgelegten Bodens. Sie war fort. Die offen hängende Zeltplane verriet auch, wohin. Deutlich wärmer war es draußen – ein Sonnenflecken wärmte ihre Haut, und die Geräusche des Lagers waren noch ein kleines Stück lauter, unmittelbarer. Menschen, Zwerge und Pferde – viele davon und alle auf einem Haufen. Keine Spur von dem Kind. Der Boden war kühl unter ihren bloßen Sohlen – wirklich warm wurde es im Wald hier im Gebirge selbst im Hochsommer nicht. Kein Vergleich zu der Stadt am Yaquir, in der sie aufgewachsen war, und in der schon im Perainemond die Luft über den Steinen flimmerte. Wohin? Rechts? Links? Geradeaus?  Sie entschied sich für ersteres, fand sie Zeltschnüre, ließ ihre Fingerspitzen an ihnen entlang gleiten und folgte ihnen mit vorsichtigen Schritten. An ihrem Ende ein breiterer Weg, zu Schlamm zerrieben von vielen Hufen und Stiefeln. Etwas weiter weg Stimmen – Menschen, darunter eventuell auch ein Angroscho. Kein Kind.  Jede Richtung war ebensogut wie die andere – also schritt sie entschlossen aus, darauf bedacht, nicht auszurutschen, aufmerksam auf jeden Mucks des Kindes lauschend. Doch das war verschwunden. „Mirla?“ Oder sie machte sich einen Spaß daraus, sich zu verstecken. Womit die junge Frau nicht gerechnet hatte, war die nächste Zeltschnur, eine unsanfte Bekanntschaft, die sie gekonnt von den Füßen zog und unkontrolliert nach vorn stolpern ließ, bis sie, nicht wirklich sanfter, auf etwas – jemand – Großes prallte, der mindestens einen Kopf größer war als die kleine, zierliche Frau. Der Geruch von Stahl, Weihrauch und dem würzigen Waffenöl umfing die Fallende als sanfte Hände sie auf fingen und wieder aufrecht hin stellten. Eine große Gestalt in der Tracht eines Rondrageweihten blickte auf seine Gegenüber hinab und lächelte. „Ihr solltet ein wenig aufpassen, mein Kind. Mit Zeltschnüren ist nicht zu spaßen.“  Die Frau mochte vielleicht acht Spann messen, nicht mehr. Sie trug eine ziemlich fadenscheinige und häufig geflickte Robe in einem undefinierbaren Grau. Bei dem Zusammenstoß war ihre Kapuze vom Kopf gerutscht und offenbarte ein sehr junges Gesicht unter schwarzem Haarflaum, der vielleicht – höchstens – einen viertel Fingerbreit lang war. Ihre Haut war gebräunt und verriet eine Herkunft aus den praioswärtigen Regionen. Um den Hals trug die junge Frau eine enge Kette aus schwerem Silber, an der ein Anhänger mit zwergischen Runen hing. Ihre baren Füße waren bis zu den Knöcheln mit dem Matsch und Kot, zu dem der Boden des Lagers zertreten worden war, beschmiert, aber ihr Kittel war peinlich sauber, ebenso wie die kleine Frau selbst, die ein feiner Hauch nach Seife umgab. Mit viel Mühe ließen sich am Saum ihrer abgeschabten Kapuze Stickereien ausmachen, die ein gebrochenes Rad zeigten. Vorsichtig legte sie ihre Hände auf die Arme des Geweihten und hob ihren Kopf. Volle, sinnliche Lippen besaß sie und große, dunkle Augen unter langen Wimpern, die des Rondrageweihten linke Schulter fixierten.  „Danke“  Ein Lächeln legte sich auf ihre schön geschwungenen Lippen. „Sagt, habt Ihr zufällig ein Kind gesehen? Ein Mädchen, mit einem Zopf, etwa zwei Götterläufe alt?“ Viel Hoffnung war in ihrer Stimme zu hören. Der Geweihte sah sich um, konnte das Kind allerdings nicht entdecken. „Es tut mir leid, aber ich habe das Mädchen nicht gesehen“, erwiderte er bedauernd. „Aber ich würde euch gerne bei der Suche helfen, wenn Ihr erlaubt.“ Sein Blick blieb einen Moment auf dem Gewand der jungen Frau hängen. „Euer Gnaden?“, ergänzte er dann fragend. „Marbolieb. Ich bin eine Dienerin Bishdariels.“ Beantwortete sie die Frage des nach Weihrauch duftenden Kriegers. Erleichterung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Sie zog sich die Kapuze wieder über den Kopf, was den Rest der Stickereien etwas besser zur Geltung brachte. Die Hälfte des Garns war bereits abgerieben und Satinavs Zähnen zum Opfer gefallen. „Sehr gerne – und vielen Dank, Herr Ritter.“ Sie steckte ihre Hände in ihre weiten Ärmel und blickte dankbar in die Richtung des Kriegsmannes. „Ich helfe doch gerne,“ erwiderte dieser und sprach weiter. „Mein Name ist Rondradin Wasir al‘Kam‘wahti von Perainefurten, ein Knappe der Herrin Rondra, aber Ihr könnt mich einfach Rondradin rufen.“ Gerade wollte er noch etwas hinzufügen als er eine Gruppe auf sie zuhalten sah. „Die Zwölfe zum Gruße, Eure Gnaden!“ Mit einer respektvoll angedeuteten Verbeugung trat ein junger Ritter, der an der Spitze einer fünfköpfigen Reisegruppe lief, einen Schritt auf die beiden zu. „Verzeiht, dass ich mich einmische, aber ich konnte nicht umhin mitzuhören. Auf unserem Weg“, dabei deutete er auf die beiden Frauen und die beiden Männer hinter ihm, allesamt mit einem Wappenrock, der auf einem silbernen Schild eine grüne Brücke über einem blauen Sparren zeigte, angetan, „durch das Zeltlager hierher ist mir tatsächlich ein kleines Mädchen aufgefallen. Eine Frau hatte es auf dem Arm. Das war in der Nähe der Zelte der Rabensteiner. Wenn Ihr wünscht, führe ich Euch gerne hin.“ „Rondra zum Gruße!“ begrüßte Rondradin die Gruppe und entbot den Schwertgruß. Er brauchte einen Moment um das Wappen zuzuordnen. Rodenbrück? Ganz sicher war er sich nicht, aber bevor der Geweihte genauer darüber nachgrübeln konnte, erwähnte der Ritter den Rabensteiner. Bei der Erwähnung dieses Namens versteifte sich Rondradin unwillkürlich. Ihr letztes Aufeinandertreffen in Albenhus lag ein gutes Jahr zurück, aber es war alles andere als harmonisch gewesen.  „Ja bitte.“ entfuhr es der Geweihten, ehe sie sich besann. „Wenn Ihr die Zeit habt, hohe Herrschaften. Wie sah das Kind denn aus?“ „Tja, also das Mädchen hatte einen einfaches Flickenkleid an, etwa knielang würde ich meinen, und war barfuß“, erwiderte der Ritter. „Ich würde sie auf vielleicht zweieinhalb Götterläufe schätzen? Ach ja, und sie hatte ihr dunkles Haar zu einem Zopf gebunden. Was meint Ihr, trifft die Beschreibung auf das gesuchte Kind zu?“ Fragend blickte er die Geweihte an. „Dann zeige ich Euch gerne den Weg. Unsere Zeltstadt, sobald wir denn eine geeignete Stelle gefunden haben, kann sicherlich auch ohne mich von meinen Gefährten errichtet werden.“ Bei den folgenden Worten wandte er sich dem Rondradiener zu, war ihm doch dessen Reaktion bei der Nennung der Rabensteiner nicht entgangen. „Die Frau, die das Kind auf dem Arm trug, gehört ziemlich sicher nicht zu den Rabensteinern. Sie stand vor einem anderen, einem blau-weißen Zelt mit einem Wappenteppich, der den blauen Dreiberg auf silbernem Schild des Hauses Altenberg ziert.“ „Das kann sie sein.“ Die Boroni atmete erleichtert aus und wandte den Kopf in Richtung des Neuankömmlings. „Könnt Ihr mich hinbringen?“ Wer auch immer der Mann mit der noch nicht allzu alt klingenden Stimme war – er schien sich auszukennen und war offensichtlich selbst von Stand, so mühelos, wie er die Wappenschilde zuordnete. Sie drehte sich wieder in Richtung des Geweihten. „Es ist mir eine Ehre, Euer Gnaden. Seid ihr aus den Tulamidenlanden, oder ist dies Euer Weihename? Ein schöner Name – und ungewöhnlich.“  Sie tastete vorsichtig mit einer Hand dorthin, wo sie den Arm eines ihrer Begleiter vermutete. „Können wir los?“ Die Sorge um ihre Tochter vermochte sie doch nicht zur Gänze zu unterdrücken. Rondradin streckte ihr hilfsbereit seinen Arm entgegen. „Wenn Ihr erlaubt.“ Er wandte sich dem Ritter zu. „Neben meinem Zelt war eben noch ein größerer Lagerplatz frei. Es ist das rot-weiße Zelt mit dem weißem Löwen und dem roten Wolf darauf, welches da hinten steht.“ Der Geweihte deutete in die Richtung. „Aber wo bleiben meine Manieren? Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Perainefurten, zu Euren Diensten.“, stellte er sich der Gruppe vor. An Marbolieb gewandt fuhr er fort, „Wasir al’Kam’wahti ist tatsächlich mein Weihename, er stammt aus dem Urtulamidischen und bedeutet so viel wie Wächter der Seelen oder Seelenwächter. Ich selbst stamme aus den Nordmarken, auch wenn ich lange Jahre fort war und einen guten Teil meine Jugend in Tobrien verbrachte.“ „Ein weiter Weg.“ stimmte die Boroni zu. „Wie aber seid ihr zu diesem Weihenamen gekommen? In Eurer Kirche dürfte das eher ungewöhnlich sein.“ “Oh verzeiht meine Unhöflichkeit! Ich habe uns ja ebenfalls noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Boromar von Rodenbrück und in Begleitung meines Bruders Gero und meiner Mutter Rondriane Cella von Rodenbrück hier”, erwiderte Boromar. “Und das ist Cella vom Traurigen Stein, die Knappin meiner Mutter. Gerne nehmen wir Euer Angebot neben dem Eurigen unser Lager aufzuschlagen an. Cella und Thisdan werden sich darum kümmern.” Mit Blick auf die durchgeklungene Sorge der Boroni endlich das Mädchen wiederzufinden, wandte er sich um. Er übergab den Zügel seines Pferdes der Knappin und bedeutete den Geweihten und seinem Bruder mit einem Kopfnicken in die Richtung, in der sich wohl die Zeltstadt der Altenberger befinden musste, aufzubrechen. “Kommt, Gero und ich geleiten Euch derweil zu den Zelten der Altenberger.” Als Cella vom Sohn ihrer Schwertmutter vorgestellt wurde, machte sie artig eine leichte Verbeugung in die Richtung der beiden Geweihten. Vor hochgestellten Personen hatte sie ihren Mund zu halten - eine Vorgabe, die die junge, wuselige und impulsive Knappin vor eine schier unlösbare Aufgabe stellte. Gerade hier, wo alles so aufregend war und die ganzen hohen Herrschaften bestimmt eine Vielzahl von spannenden Geschichten zu erzählen wussten war es doppelt schwer ruhig und artig zu bleiben. Demnach kam es ihr vielleicht sogar gelegen zum Zeltaufbau abgestellt zu werden, wo sie das durch Untätigkeit hervorgerufene Kribbeln mittels Arbeit unterdrücken konnte. “Es ist mir eine Freude Euch kennenzulernen.” Mit einem mal lief er leicht rot an. “Habe Ich Euch schon Ihre Gnaden Marbolieb, ihres Zeichens Dienerin Bishdariels, vorgestellt?” Höflich nickten die Mitglieder der rodenbrücker Gruppe der Borongeweihten erneut zu. Er beugte sich zum Ohr der Boroni herunter und flüsterte leise, “Verzeiht mir bitte, dass ich nicht zuerst Euch vorgestellt habe. Bisweilen vergesse ich ganz gern Dinge, wie zum Beispiel grundlegende Umgangsformen.” Sich wieder aufrichtend sprach der Geweihte  Boromar an. “Geht vor, wir folgen.” Damit legte er seine freie Hand auf die Marboliebs und führte sie den Weg entlang, immer Boromar und Gero folgend. Während des Gangs durch das Lager griff er die Frage Marboliebs auf. “Ihr wolltet wissen, wie ich zu meinem Weihenamen kam. Nun, es ist der Brauch die Nacht vor der Weihe in Meditation und Gebet zu durchwachen. Während meiner Meditation hatte ich eine Vision der Herrin Rondra. Sie…” Rondradin brach ab, räusperte sich kurz und sprach dann weiter. “Es fällt mir schwer alles wiederzugeben, was in der Vision geschah, bitte verzeiht. Aber während dieser Vision überreichte die Herrin mir mein Weiheschwert, stellte es als Wasir al’Kam’wahti vor und meinte dies sei von nun mein Name und meine Bestimmung. Als ich bei der Weihe dann tatsächlich den Rondrakamm aus der Vision erhalten habe ... .“ wieder unterbrach sich Rondradin und schwieg. Fest legte sich Geros Hand auf die Schulter von Boromar, der schon im Begriff war sich mit leuchtenden Augen um zuwenden. Sicherlich um Rondradin nach weiteren Einzelheiten der Vision zu fragen, so wie er seinen jüngeren Bruder und dessen Begeisterung für rondragefällige Geschichten, und dazu zählten sicherlich Visionen angehender Geweihter in der Nacht vor ihrer Weihe, kannte. “Aber, …”, wollte dieser aufbegehren, doch der ältere Zwillingsbruder schüttelte leicht den Kopf, was Boromar verstummen ließ und ihn davon abhielt sein Ansinnen weiterzuverfolgen. “Ich glaube nicht, dass ihm das jetzt recht ist”, flüsterte Gero dem Jüngeren zu. Die Geweihte lauschte, ohne ihren Begleiter zu unterbrechen und sann über seine Worte nach. “Beunruhigt Euch die Vision?” wollte sie schließlich wissen. “Nein, das nicht. Es ist mehr wie eine Last auf meinen Schultern.” Er atmete tief durch und die Anspannung in seiner Stimme verschwand. “Vielleicht erzähle ich Euch einmal alles darüber, aber jetzt ist einfach nicht die rechte Zeit dazu. Sind wir nicht hier um ein kleines Mädchen zu suchen? Wie wird die Kleine den gerufen?” Irgendwas an Marbolieb weckte den Wunsch ihr alles zu erzählen, sich alles von der Seele zu sprechen. Vielleicht weil sie eine Dienerin Borons war? “Ich würde mich später gerne mit Euch unterhalten.” Ein sanfte Stimme besaß die zierliche Borongeweihte, und nur einen halben Lidschlag lang war der Griff ihrer Hand auf dem Arm des Rondrageweihten etwas fester, ehe er wieder leicht nur wie die flüchtige Berührung einer Feder auflag. “Der Name meiner Tochter ist Mirla.” fügte sie hinzu. “Ich hoffe, sie ist nicht in Schwierigkeiten. Große Menschenmengen ist sie nicht gewohnt.” Beruhigend tätschelte der Geweihte die Hand Marboliebs. “Macht Euch keine Sorgen, wir werden sie wohlbehalten finden. Und sollte doch jemand die Hand gegen Mirla erheben, wird er sich mir stellen müssen.” Kurz vermeinte er von vorne das Lachen eines kleinen Kindes zu hören. Marbolieb nickte dankbar und hatte zu tun, den großen Schritten des hochgewachsenen Rondrageweihten nachzukommen.  Dieser verlangsamte seine Schritte als er sah, dass Marbolieb Schwierigkeiten hatte mit ihm Schritt zu halten. Rondradin und Boromar derweil sahen eine bunt zusammengewürfelte Gruppe Leute, an deren vorderster Front ein Krieger mit einem Kind auf den Schultern stand, auf sich zuhalten. “Aha, da vorne ist ja das Mädchen”, deutete Boromar mit seinem Arm in Richtung der Gruppe, verlangsamte seinen Schritt und blieb dann ganz stehen, um die Ankunft des Trüppchens abzuwarten. “Nicht mehr nur in Begleitung der Frau von Altenberg, sondern nun gleich mit einem ganzen Hofstaat. Und seht nur, es hat sich einen tannfelser Krieger als Reittier erkoren und scheint viel Spaß dort oben zu haben. Ist es denn Eure Tochter, Euer Gnaden?”, erwartungsvoll drehte sich der Ritter zu mit fragendem Blick zu Marbolieb um, die mittlerweile immer noch an der Hand des Rondrageweihten einige Schritte zurückgefallen war. “Entschuldigt bitte, da sind wir wohl etwas hoffnungsvoll vorausgeeilt.” “Ich hätte Euch auch bitten können, etwas langsamer zu laufen, da gibt es nichts zu entschuldigen. Irgendwie finde ich mit meinen Stiefeln einfach keinen guten Halt auf diesem Boden.” Der Rondrianer hob entschuldigend die Schultern und schloss zu den Brüdern auf. Es war dem jungen Rodenbrücker wohl noch nicht aufgefallen, dass Marbolieb ihr Augenlicht verloren hatte, dachte Rondradin bei sich. Nun ja, er selbst hatte auch erst einen Moment gebraucht, bis er es erkannte. Deswegen sprang er nun hilfreich bei. “Vom Alter kommt es hin und die Haare sind zu einem Zopf geflochten. Trägt eure Tochter einen einfachen Kittel?” Wollte er von Marbolieb wissen. Dabei musterte er die Gruppe vor sich. Er schluckte schwer, als er Shanija von Rabenstein erkannte, allerdings nicht in Begleitung ihres Gemahls, was es ein wenig leichter für ihn machte.  “Verzeiht, ist Euch die junge Dame auf meinen Schulter bekannt?” Die strahlte über beide Ohren, so dass ihre Bäckchen spitz hervortraten, und sang begeistert “Hopp, hopp, gobbi gob!” Ihre Füßchen trommelten gegen Nivards Schulter und das kleine Kind erklärte mit leuchtenden, schwarzbraunen Augen: “Mehr hopp!” Shanija von Rabenstein lächelte und folgte in einigen Schritt Abstand der Gruppe, neugierig, wie sich die Suche auflösen würde. Unwillkürlich musste er grinsen als die Kleine ‘Mehr hopp’ fordernd mit den kleinen Füßchen strampelte. Immer noch breitem Lächeln  begrüßte er die Gruppe mit einem “Rondra zum Gruß!” Die Antwort auf die Frage, ob es nun wirklich Mirla war, konnte nur Marbolieb beantworten. “Das ist sie!” Die Miene Marboliebs hellte sich auf, als sie deren begeistertes Juchzen hörte. Sie streckte ihre Hände nach vorn und ging vorsichtig einen Schritt in die Richtung, in der sie  ihre Tochter lachen hörte. Ihre hübschen Züge strahlten. “Komm zu mir, mein Schatz.” lachte sie, die Erleichterung deutlich in ihren Worten. Mirla dagegen lachte auf, rief “Mama!” und beugte sich so weit auf Nivards Schultern vor, dass sie fast das Gleichgewicht verlor. “Viel Hopp!” forderte sie entschieden. Die Doctora Maura stellte sich neben die Baronin Shanija. “Wie es ausschaut, haben wir die Eltern gefunden. Die Borongeweihte scheint die Mutter zu sein. Kennt ihr sie, Euer Hochgeboren?”  “Das ist Ihre Gnaden Marbolieb - sie war bis im vergangenen Jahr die Geweihte in Calmir, dem Hauptort Rabensteins. Nach einem Vorfall vorletzten Winter mit einer Paktiererin siedelte sie nach Senalosch über, unser Tempel ist seitdem verwaist. Die Arme hat dabei ihr Augenlicht verloren, habe ich gehört.” Sie aber nicht selbst untersucht. Überhaupt nur alles vom Hörensagen mitbekommen - bis auf ein ganz kurzes Zusammentreffen auf der Hlûtharswachter Hochzeit.” Sie hatte ihre Stimme bei ihren Worten gesenkt, hob sie jetzt aber wieder auf normale Gesprächslautstärke. “Wir könnten uns vorstellen - wenn die jungen Herren den Weg frei machen.” Nivard musste angesichts des “viel Hopp” lachen. “Eine ausdauernde und mutige Reiterin ist sie, Eure Tochter.” wandte er sich an die Mutter. Gestatten, Nivard von Tannenfels, Krieger und heute goblinisches Reitschwein.” Mit einem letzten Hopser warf er die junge Dame ab, fing sie in seinen Armen auf und setzte sie vor ihrer Mutter ab. Die ging in die Knie und tastete nach ihrem Kind, das sich mit einem freudigen Juchzen in ihre Arme warf, sich dann aber zu Nivard umdrehte und einen Finger in den Mund schob. “Später Hopp?” fragte sie mit riesengroßen, kugelrunden dunklen Augen, die sie ganz fest in Nivards Gesicht geheftet hatte. “Später hopp, gerne, Du kleine Ritterin”, antwortete Nivard in warmherzig heiterer Stimme. “Ich danke Euch, edler Herr.” Die Boroni hob ihre Tochter auf die Hüfte, darauf bedacht, das Kind wirklich ausbruchsicher zu fassen, und streckte eine Hand in die Richtung, in der sie Nivard vermutete. “Ich hoffe, sie hat nicht zu viel Mühe bereitet.” Der Gedanke daran, dass ein Edelmann ihre begeisterte Tochter auf den Schultern durch’s Lager trug, entlockte ihr ein warmes Lächeln, das ihr Gesicht verzauberte. Nivard griff die Hand der, wie er erkannte, scheinbar blinden Geweihten, und drückte sie kurz. “Keineswegs, seid unbesorgt, Euer Gnaden. Es war ein auch für mich spaßiger kleiner Ritt mit einer sehr wohlgelaunten Reiterin - die ihr Reittier mit Charme und Bestimmtheit zu führen weiß. Wie heißt Eure Tochter denn? … damit ich weiß, nach wem ich rufen muss, wenn Zeit für die versprochene weitere Runde ist.” Seine Stimme wurde ernster, als er sich vorzustellen versuchte, wie es wohl sein musste, sein Kind in einem Lager in der Wildnis verloren zu haben und blind nach jenem suchen zu müssen: “Ich hoffe nur, Ihr habt Euch keine allzu großen Sorgen um Eure Tochter gemacht. Sie war jedenfalls nicht nur bei mir, sondern auch zuvor in besten Händen - bei der edlen und hochgelehrten Doctora von Altenberg - und hat sich offenbar bereits mit einigen hier im Lager bekannt gemacht.” Nivard schaute abwechselnd zu Marbolieb und in die Runde. “Eure kleine Tochter ist mir regelrecht in die Arme gelaufen. Ist der Vater auch anwesend? Es schien das die Kleine auf der Suche nach ihrem `Dado´ war.”, fragte die Doctora die Geweihte und schaute dabei den Rondrageweihten genauer an. Der stand mit einem zufriedenen Lächeln da und verfolgte das Wiedersehen von Marbolieb und Mirla. Mit 193 Halbfinger gehörte der breitschultrige Mann gewiss nicht zu den kleinsten Anwesenden. Das Haupthaar war militärisch kurz geschnitten und kein Bart zierte Wangen und Kinn. Eine kleine, verblasste Narbe zog sich in gerader Linie unter seinem linken Auge. Ab und an zuckten die blauen Augen hinüber zu der Rabensteinerin und man konnte eine gewisse Nervosität beim Geweihten erkennen. Vielleicht war es auch seiner Jugend zuzuschreiben, denn älter als 23-24 Sommer zählte er sicher nicht. Der weiße Wappenrock mit dem Wappen der Leuin, der ebenfalls weiße Umhang und das Kettenhemd vervollständigten die Tracht des Knappen der Göttin, wie die einfache Schwertfibel am Umhang deutlich zeigte. Die Hose und die Stiefel hatten mehrere Dreckspritzer abbekommen, was bei dem aufgeweichten Boden kein Wunder war.  An dem Schwertgehänge hing eine 65 Finger lange Klinge mit kunstvoll gearbeiteter Parierstange, Knauf und Heft.  „Und ihr, Herr von Tannenfels, werdet einmal ein großartiger Vater sein. So wie ihr mit dem Kind umgegangen seid. Ihr solltet auch zur Brautschau im Rahja nach Herzogenfurt kommen. Ihr würdet so gut zu meiner Tochter Elvrun passen. Was meint ihr? Wenn ich mich recht entsinne, hat Eure Mutter ihren Besuch angekündigt.” Sie lächelte ihn an und zwinkerte Shanija zu.  Nivard erwiderte das freundliche Lächeln der ihm wirklich sympathischen Maura von Altenberg, geriet zugleich aber dennoch ins Schwitzen. Auf das Heiraten war er gerade so noch gar nicht eingestellt. Auch wenn er sich sicherlich Frau und Kinder wünschte. Letztere nicht nur für den Erhalt des Geschlechts, sondern weil er Kinder wirklich gerne hatte. Ja, Vater würde er gerne werden. Aber halt später. Kinder sind wirklich wunderbar. Und manchmal kann ein kleines Kind sogar einen ausgewachsenen Krieger retten, der fieberhaft um die rechte Antwort ringt. Denn auf einmal sang eine helle Stimme frohlockend und zu aller Belustigung mitten ins Gespräch der Erwachsenen hinein: “Später hopp, nochmal hopp, gobbigob!”, und Nivard musste lachen. Nicht nur aus Heiterkeit, sondern auch aus wenigstens kurzfristiger Erleichterung.  Marbolieb musste lachen angesichts der Begeisterung ihrer Tochter - und den warmen Worten des Kriegers, denn um einen solchen handelte es sich wohl. “Sie heißt Mirla, edler Herr.” Wer auch immer der vermutlich noch junge Krieger und die wohl etwas ältere Dame sein mochten. “Ich danke Euch für Eure Freundlichkeit und Eure Sorge.” Sie neigte den Kopf und lauschte dorthin, wo die Edelfrau stehen musste. “Ihr Vater ist nicht mit mir hier, edle Dame.  Doch mögt Ihr mir vielleicht verraten, wem ich als Finder meiner Tochter danken darf?” Vorsichtig legte sie ihre freie Hand auf die Schulter ihrer Tochter, sich selbst bestätigend, dass diese wohlbehalten und sicher - und nicht unbedingt  ganz freiwillig, interpretierte sie das sehnsüchtige ‘Hopp! gobbelgob!’ des kleinen Mädchens richtig - auf ihrem Arm saß.  “Verzeiht, Euer Gnaden. Ich bin die Doctora Maura von Altenberg aus Elenvina und neben mir steht Euer Hochgeboren Shanija von Rabenstein. Ihr habt eine niedliche und vor allem gesunde Tochter. Und wer ist denn da in Eurer Begleitung, wenn ich fragen darf?” Dabei wanderte der Blick wieder auf den Rondrageweihten und die anderen Gerüsteten. Der Anblick dieser jungen Männer, so stattlich und wohl auch adlig,  verzückte sie. Auch wenn sie sehr angetan war von dem Krieger Nivard, so konnte sie sich den Rondrageweihten auch sehr an der Seite ihrer Tochter vorstellen. Ein gedankliches Gebet an Travia ging ihr durch dem Kopf und hoffte inbrünstig, dass hier nicht jeder schon den Traviabund eingegangen war. Rondradin tat einen Schritt nach vorne und verbeugte sich vor den Anwesenden. “Es ist mir eine Freude Eure Bekanntschaft zu machen,” sagte er in Richtung der Edlen und dem Krieger, “und Euch wiederzusehen, Hochgeboren,” fügte er an Shanija gewandt zu. Er machte eine ausladende Geste in Richtung seiner beiden Mitstreiter. “Wenn ich vorstellen darf, dies sind die hohen Herren Boromar und Gero von Rodenbrück. Sie waren es, die uns die rechte Richtung zu Euch und der kleinen Mirla wiesen.” Der Geweihte nickte den Beiden anerkennend zu. “Ich bin Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Perainefurten, ein Knappe der Herrin Rondra.”  Mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu. “Und wie es aussieht, wurde meine aktuelle Queste, Mirla zu finden, gerade beendet.”  “Es ist mir eine Freude, Euer Gnaden. Ich hoffe, es geht euch gut und ihr genießt die Zusammenkunft hier.” Shanija lächelte angesichts des Rondageweihten, dessen Verhältnis zu ihrem Gemahl indes alles andere als einfach war. “Es ist wie immer ein Vergnügen Euch zu treffen, Hochgeboren.” erwiderte Rondradin unsicher.  Bislang hatten Gero und Boromar die Zusammenführung von Mutter und Tochter freudig und ob ihres kleinen Beitrags zufrieden lächelnd neben dem Rondrageweihten stehend verfolgt. Obschon der Rondradiener die beiden jungen Ritter um wenige Finger überragte, boten sie im Rodenbrücker Wappenrock über ihren Kettenhemden und mit gegürteten Langschwertern eine nicht minder eindrucksvolle und wehrhafte Erscheinung. Respektvoll verbeugten sich die beiden in Richtung der Gruppe Adliger, als sie namentlich von Rondradin vorgestellt wurden. Zusätzlich zum Nachnamen offenbarte auch das äußere Erscheinungsbild trotz klarer Unterschiede die familiäre Bande der beiden, waren doch ihre Augen und ihr Haar von der gleichen dunkelbraunen Farbe. “Wir freuen uns einfach, dass Mirla ihre Mutter bzw. Ihre Gnaden Marbolieb Ihre Tochter wiedergefunden hat. Da hätte sicherlich ein jeder andere ebenso gehandelt”, entgegnete Boromar, der sein Haar schulterlang trug und sorgsam rasiert war, sodass die feine Narbe auf seiner linken Wange kaum auffiel. “Nicht der Rede Wert”, brummte sein kurzhaariger, vollbärtiger Bruder. “Rondra sei Dank, sind wir hier so viele ihres Volkes, angehende Geweihte, Ritter und auch Krieger, so dass diese heikle Mission geradezu gut ausgehen musste!” griff Nivard den Scherz Rondradins auf.  “Ich bin sehr erfreut, Euch kennenzulernen, hohe Herren!” sprach er die beiden Begleiter Rondradins langsam nickend und mit ernsterer Stimme an. Nach einer kurzen Pause wandte er sich nochmal Marbolieb und Mirla zu: “Und nun weiß ich endlich den Namen der vermeintlich zu rettenden Dame, die sich in Wirklichkeit als mutige Abenteurerin entpuppte!” Mit den letzten Worten lächelte er die kleine Mirla an. “Sie hat ganz offensichtlich versäumt, sich vorzustellen.” Schmunzelte die junge Boroni - zumindest zeigte ihr Mund ein warmes Lächeln, während die ihre Kapuze noch immer bis zur Nasenspitze heruntergezogen trug. “Es scheint, sie hat ein gutes Auge für tapfere Krieger.” “Boromar und Gero von Rodenbrück”, wiederholte die Altenbergerin die Namen,” die Brüder. Welch eine Überraschung. Gerade erst im letzten Mond erhielt ich Eure Zusage zu Unserer Brautschau in Herzogenfurt. Es ist mir eine Ehre Euch jetzt schon kennen zu lernen!” Sie nickte ihnen zu.  “Und uns freut es schon hier Eure Bekanntschaft machen zu dürfen, werte Doctora von Altenberg”, antwortete Boromar freundlich, woraufhin die beiden Brüder den Gruß ebenfalls mit einem knappen Nicken erwiderten.  “Und ihr, Euer Gnaden, aus welchem Hause stammt ihr?” richtete sie die Frage an den Rondrageweihten.  “Ich gehöre dem Haus Wasserthal an, auch wenn ich diesen Namen seit meiner Weihe zum Geweihten vor nunmehr vier Jahren zugunsten des Namens meines Weihetempels nicht mehr führe. Woher das Interesse an meiner Herkunft, Edle Dame?” Fragte er unschuldig, obwohl er zu wissen glaubte, worauf das hinaus lief. Unsere Brautschau hatte die Doctora gesagt. Mit einem sanften Augenaufschlag sah ihn die Doctora an. “Ich fragte aus reiner Neugier. Es hätte ja sein können, dass Euer Haus sich auch zur Brautschau gemeldet hätte. Leider war kein Wasserthal darunter. Allerdings, wenn ihr noch ledig seit und nach einer Braut sucht, seid Ihr natürlich herzlichst willkommen. Es wäre eine Schande, so einen edlen Mann wir Ihr es seit, den nordmärkischen Adelsdamen vor zu enthalten. Am achten Rahja versammeln sich die schönsten Damen des Reiches in Herzogenfurt in der Baronie Schweinsfold!” Auffordert ließ sie ihren Blick über die anwesenden Herren wandern. Bedächtig nickend lächelte Nivard Maura von Altenberg entgegen - und war gleichzeitig erleichtert, als Marbolieb, wenngleich recht leise, das Wort an Rondradin richtete. Wer würde schon das Gespräch zweiter Geweihter übertönen wollen? Gut jedenfalls, dass seine eigene Mutter nicht zugegen war. Wahrscheinlich stünde dann längst, spätestens aber jetzt, fest, wo er den 8. Rahja verbringen würde. Stattdessen zwinkerte er Mirla verschwörerisch zu. Marbolieb senkte den Kopf - die Veranstaltung würde ganz sicher - hoffentlich - nicht in ihr Metier fallen. Zu viele Feiern in der jüngeren Vergangenheit hatten ihr unverhofft Arbeit  beschert. Immerhin jedoch besaß sie nun Namen zu den vielen Stimmen. Sie spürte die Unruhe des Rondrageweihten neben sich und hob vorsichtig die Hand, in der Hoffnung, seinen Arm zu treffen.  Sie wartete, bis die Dame von Altenberg ihre Ansprache beendet hatte, und bemerkte dann in leiserem Tonfall “Euer Gnaden, könntet Ihr mir noch bei einer Sache behilflich sein?”  Ein wenig überfordert, wem er denn nun zuerst antworten sollte, benötigte Rondradin einen kleinen Moment, bevor er schließlich Marbolieb den Vorzug gab. Er reichte ihr seine Hand und sagte mit sanfter Stimme. “Natürlich helfe ich Euch. ” Dann sah er entschuldigend die Doctora an. “Bitte verzeiht, ich stehe immer noch in Diensten Ihrer Gnaden. Eure Einladung indes nehme ich gerne an, wer könnte da schon nein sagen?” Es gab bisher keine Zusage seiner Familie? Ungewöhnlich, Onkel Dorcas und Onkel Travin wären doch normalerweise die Ersten, die ihn oder seine Schwester zu solch einer Veranstaltung schicken würden. Vielleicht hatte sein Schwesterherz dafür gesorgt, dass die Zusage auf dem Weg verloren ging. Zuzutrauen war es ihr. “Verzeiht Doctora, dürfte ich meine Schwester Andesine zu der Brautschau mitbringen?” Vielleicht fand sie auf diesem Weg ja endlich einen würdigen Ehegatten.  Sein Blick schweifte von Nivard zu Gero und blieb zuletzt auf Boromar ruhen. Vielleicht. “Es wäre dem Haus Altenberg eine Ehre wenn ihr Eure Schwester Andesine mitbringen würdet”, Maura nickt ihm zu. Mirla betrachtete fasziniert das Lächeln Nivards, während sich ein Strahlen über ihr ganzes Gesicht ausbreitete. “Gobbihopp!” lachte sie glücklich. Suchend blickte sich das kleine Mädchen um, während sein Gesicht sich gedankenvoll zerknautschte. “Tapfen?” setzte sie fragend und für die meisten der Zuhörer vollkommen aus dem Zusammenhang hinzu. Die Geweihte beugte ihr Haupt über das Köpfchen ihres Kindes, ihre Fingerspitzen vorsichtig auf dem Unterarm des großen Rondrianers, bis sie das feine Haar ihrer Tochter an ihren Lippen spürte - eine flüchtige Geste nur. Sie wartete, bis sich die allgemeine Aufmerksamkeit um die Travienbundanbahnungen erschöpft haben würde. Es war Frühling. Merklich. Ein kleines Schmunzeln hängte sich in ihre Mundwinkel und verblieb dort. Die Doctora drehte sich wieder zur Baronin. “Euer Hochgeboren. Offensichtlich haben alle wieder zueinander gefunden. Was haltet Ihr davon, wenn wir Uns jetzt einen Wein genehmigen? Ich habe den Verdacht, dass Nilsitz eine interessante Veranstaltung wird.” Sie strahlte übers ganze Gesicht. “Unbedingt. Diese glückliche Wiedervereinigung müssen wir feiern - diesen Wein haben wir uns redlich verdient!” Mit einem glücklichen Lächeln drehte sich Shanija zu ihrer neugewonnenen Freundin um und steuerte den Ausschank an, in der vagen Hoffnung, dort nicht nur Zwergenbräu kredenzt zu finden. Innerlich aufatmend verfolgte Rondradin den Abgang der Baronin. Er wandte sich wieder Marbolieb zu. “Also, wobei darf ich Euch helfen?” “Ich würde gern mein Zelt wiederfinden.” Beschämt senkte die Geweihte den Kopf. Bei der sorgenvollen Suche nach ihrer Tochter war dieses eine feine Detail etwas ins Hintertreffen geraten. “Es ist ein kleines Zwei-Personen-Zelt - am Mittelpfosten neben dem Eingang hängt ein Seil mit fünf Knoten.” Sie holte tief Luft. “Mir ist bewusst, dass diese Beschreibung mager ist. Ich hatte nicht vor, es allein zu verlassen.” “Macht Euch darüber keine Sorgen.” Versuchte Rondradin die Geweihte zu beruhigen. “Habt Ihr euch weit von eurem Zelt weg entfernt, bevor wir uns trafen?” Wortwörtlich, könnte man sagen. “Den Weg dorthin zurück kenne ich noch.” Sein Blick fiel auf die kleine Mirla. “Na, meine kleine Prinzessin, soll ich dich tragen?”  “Oh!” Mit riesigen Augen betrachtete das Mädchen den großgewachsenen Rondrapriester. “Gobbihopp!” Strahlend streckte sie ihm beide Arme entgegen und warf sich in Rondradins Richtung. Ihr plötzliches Manöver wiederum brachte ihre Mutter zum Straucheln, die ihre liebe Mühe hatte, das Kind mit beiden Händen zu packen und zu verhindern, dass beide schwungvoll, effektiv und unelegant zu Boden gingen. Bei der Rettungsaktion rutschte ihr die Kapuze endgültig bis zum Kinn, und es dauerte einige Herzschläge, bis sie ihr Kinde wieder sicher und diesen Teil ihrer Garderobe vorzeigbar gerichtet hatte.  Vorsichtig übergab sie die jubelnde Mirla in Rondradins Hände. “Haltet sie gut fest, Euer Gnaden.” bat sie und verharrte, während die Geräusche neben ihr verrieten, dass ihr glücklich jauchzendes Kind hoch oben seinen Platz einnahm. “Hopp, Hopp, Gobbigob!” sang sie ihren Schlachtruf. “Nur einige Dutzend Schritte.” antwortete Marbolieb auf Rondradins weit zurückliegende Frage und streckte vorsichtig ihre Fingerspitzen in seine Richtung.  “Danke.” setzte sie sanft hinzu. Wiederum bot Rondradin ihr seinen Arm, Mirla derweil auf dem anderen Arm haltend. "Ihr geleitet Ihre Gnaden und Mirla zurück zu ihrem Zelt, Euer Gnaden?" versicherte sich Nivard von der Seite. Als er dies bestätigt sah, verabschiedete er sich fürs erste und winkte Mirla noch einmal mit einem breiten Grinsen zu: "Bis später… Hopp, Gobbigob!" “Habt Dank für Eure Hilfe, Herr von Tannenfels.” Marbolieb nickte höflich in die Richtung des jungen und großmütigen Adelsmannes. “Es zeugt von viel Freundlichkeit und einem großen Selbstbewusstsein, ein Kleinkind vor den Augen aller Standesgenossen im Goblinschweingalopp durch ein Lager zu tragen.” Ihre Mundwinkel zuckten nach oben, als sie sich das Bild vorstellte. “Ich hoffe, wir treffen uns bald wieder.”  "Wir treffen uns dieser Tage sicher noch, immerhin habe ich Mirla gegenüber noch ein Versprechen zu erfüllen." Das gute Selbstbewusstsein ließ Nivard zunächst bis auf etwas zusätzliche Gesichtsröte unkommentiert im Raum stehen, hatte er doch wenigstens zu Anfang versucht, unauffällig durchs Lager zu kommen. Und nach dem Scheitern der ersten Strategie gab es eben nur ein Augen zu und 'Attacke'... Rondradin nickte Nivard zu. “Ich wünsche Euch noch einen geruhsamen Tag. Vielleicht können wir morgen etwas zusammen trinken. Mit dem Goblinreiter habt Ihr jedenfalls etwas angefangen, das, so befürchte ich, die kleine Dame in nächster Zeit von jedem in ihrem Umfeld verlangen wird.” Dabei sah hinunter zu der Kleinen, die an dem Wappenrock des Geweihten zog und auf seine Schultern zeigte. “Hopp!” “Na, was sage ich?” bestätigte Rondradin lachend den Ruf Mirlas und hob sie rittlings auf seine Schultern, so dass sie sich an seinem Kopf festhalten konnte. Die kleinen Händchen krallten sich erstaunlich kraftvoll in Rondradins Haar und die bloßen (und nach diesem Abenteuer nicht mehr wirklich sauberen) Fersen des Mädchens hämmerten an seine Schultern. “Gobbigob! Auf! Hopp!” Sie lachte glockenhell vor lauter Glück.  Nivard musste lachen.  "Ich würde mich freuen, mich mit Euch bei einem Bier zusammenzusetzen. Nicht nur, um uns zu unseren Erfahrungen als Reitschweine auszutauschen…" “Auf die Reitschweine, gibt jedenfalls einen guten Trinkspruch ab.” erwiderte Rondradin grinsend. “Ich freue mich auf unseren Erfahrungsaustausch.” Mirla forderte erneut lautstark ihr Recht auf ‘Gobbigob’ ein und der Geweihte seufzte. “Wie es aussieht, möchte da jemand ganz dringend ausreiten. Ihr entschuldigt mich einen Moment?” Er wandte sich Marbolieb zu. “Wenn Ihr erlaubt, gebe ich kurz dem Wunsch Eurer Tochter nach, bevor wir zusammen zu Eurem Zelt gehen.” Marbolieb hob den Kopf in Richtung Rondradins und ließ große dunkle Augen, gleich denen ihrer Tochter, unter ihrer Kapuze erahnen. “Gewiss.”  Sie zog vorsichtig ihre Hand wieder zurück und steckte sie in ihren weiten Ärmel. Das Jubeln ihrer Tochter erklärte, dass dem Kind alle Bedenken, die vielleicht seiner Mutter begegneten, sehr fremd waren. Mirla erwartete einen weiteren Schweineritt - und alles andere war zweitrangig. “Hopp, hopp, schnell!” befahl sie, ohne Arg über das ganze Gesicht strahlend. Rondradin hielt seine ‘Reiterin’ mit beiden Händen fest und verbeugte sich tief vor den rodenbrücker Brüderpaar, was Mirla mit einem Glucksen vergalt.  “Ich danke Euch für Eure Hilfe und das Angebot mit dem Bier gilt selbstverständlich auch für Euch. Aber nun muss ich wirklich dem Wunsch der jungen Dame nachkommen, bevor sie mir die Haare ausreisst.”  “Selbstverständlich, lasst Euch nicht aufhalten! Wir haben wirklich gern geholfen”, versicherte Boromar erneut. “Besonders da wir so einem kleinen, lebenslustigen Wirbelwind gefunden haben. ” “Das Angebot mit dem Bier nehmen wir natürlich gerne an!” warf Gero sicherheitshalber noch ein, bevor Rondradin verschwinden konnte. Einen Moment standen die beiden Rodenbrücker noch etwas unschlüssig da, bevor sie den Anwesenden noch kurz zum Abschied zunickten, sich umdrehten und auf den Rückweg zu ihrem Zelt machten.

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<a name='Unterwegs_auf_Rondras_Ruecken'></a> Unterwegs auf Rondras Rücken

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“Gut festhalten!” rief Rondradin Mirla zu und rannte los, wobei er immer wieder, einem Hasen gleich, Haken schlug. Was wiederum die kleine Goblinreiterin auf seinen Schultern Jauchzen und mit den Füßen strampeln ließ. Maulaffen feilbietend verfolgten seine Waffenknechte wie er am mittlerweile aufgebauten Zelt vorbeilief, eine kleine Gestalt auf seinen Schultern, die mit ausgestrecktem linken Arm “Schneller, Hopp, Hoppihopp!” rief und glücklich lachte. Schließlich kam er wieder am Ausgangsort an, wo Marbolieb immer noch auf sie wartete. Ein wenig außer Atem stoppte er vor der Geweihten. “So, da sind wir wieder, Euer Gnaden.” Diese lachte leise und glücklich auf die Worte des Rondradieners. “Ich wusste nicht, dass ich eine so begeisterte Reiterin zur Tochter habe. Ich hoffe, das Lager hat Euren wilden Ritt gut überstanden.” Ein warmes Lächeln blieb auf ihren vollen Lippen, als sie Rondradin die Hand reichte. Der musste selbst lachen. “Das Lager steht noch, das kann ich euch versichern.” Einen Mann beobachtend, der gerade einen am Boden liegenden Hammer aufhob, während er am Daumen der anderen Hand nuckelte, sprach Rondradin weiter. “Aber es scheint als habe unser Ritt auch seine Opfer gefordert.” Der Geweihte beugte sich nah an das Ohr Marboliebs heran. “Zumindest einen blauen Daumen gibt es zu beklagen, wo der Hammer den Finger anstatt den Hering getroffen hatte.” flüsterte er ihr ins Ohr. Marbolieb senkte ihre Stimme. “Ihr steht nicht besonders gut mit der Baronin von Rabenstein, nicht wahr?” Die Anspannung in Körper und Stimme des Geweihten bei der Begrüßung der Adligen war ihr nicht entgangen. Rondradin musterte nachdenklich das Gesicht seines Gegenübers. “Ich… hm… nein…” Sich räuspernd setzte er erneut zu einer Antwort an. “Ich schätze die Baronin sehr, allerdings haben wir uns seit einem guten Götterlauf nicht mehr gesehen. Nicht seitdem der Baron und ich uns im Streit trennten.” Der letzte Satz kam fast geflüstert. Dann sah er Marbolieb direkt an. “Wenn Ihr wollt erzähle ich Euch die Geschichte, allerdings nicht hier in der Öffentlichkeit.” Schmerz und Scham schwangen in seiner Stimme mit und es war klar, dass die Geweihte einen wunden Punkt getroffen hatte. “Ich werde gerne mit euch sprechen.” Sanft war die Stimme der Boroni, und leise wie die leichte Berührung einer Feder. Sie hatte den Kopf konzentriert geradeaus gerichtet, ihre Hand locker und warm auf seinem Unterarm. “Wenn es Euch angenehm ist, seid mir willkommen in meinem Zelt.” Das erst einmal gefunden werden musste - ohne die Freundlichkeit ihres Bruders im Glauben hätte dies eine sehr lange und zunehmend hektischere Suche mit einem ungeduldigen Kind auf dem Arm bedeutet. So ertönte von Mirla nur ein glückliches “Gobbihobb!” von deren hoher Warte weit über ihrem Kopf, doch sie schien für’s erste damit zufrieden, von ihrem ‘Reittier’ aus in gemäßigtem Schritt die Umgebung zu betrachten. “Habt Dank.” hörte sie die leise Stimme des Geweihten. Schweigend führte Rondradin das Dreiergespann den Weg, den sie hergekommen waren, zurück. Kurz darauf fanden sie auch das von Marbolieb beschriebene Zelt – eine erstaunlich große Angelegenheit, über dem ein Banner mit einem schwarzen Hammer auf Weiß wehte. Dort angekommen setzte er seine Reiterin vorsichtig auf dem Boden ab. “Da wären wir.” Er hob die Zeltlasche hoch, damit Marbolieb und Mirla eintreten konnten. Der Boden war mit einem großen Wildschweinfell ausgelegt, hinter einem Tuch war wohl die Schlafstatt abgeteilt, und ein Feldtisch mit einer Bank nahm den Teil des Hauptraumes ein. In einer Ecke lagen auf einer Truhe eine kleine Umhängetasche, ein zusammengerollter Umhang und ein Wasserschlauch, neben dem Eingang lag ein zweiter und ein nicht mehr ganz sauberes Tuch. Mirla versuchte, ins Zelt zu gelangen und wurde von ihrer Mutter abgefangen, die zuerst peinlich genau die Füße des Mädchens und dann ihre eigenen reinigte. Lachend krabbelte Mirla davon und erhaschte einen hölzeren Löffel und eine hölzerne Schüssel auf dem Boden, die eindeutig mehr Spielzeug denn Gebrauchsgegenstand darstellten. “Setzt euch.” bot die Geweihte ihrem Bruder im Glauben an. Dieser sah sich kurz um und löste dann seinen Umhang, um ihn als Sitzgelegenheit nutzen zu können. “Bitte, nach Euch.” insistierte Rondradin. Die Geweihte tastete nach dem zweiten Fell und kniete sich dort bequem nieder. “Ich kann euch leider außer Wasser nichts zu trinken anbieten. Doch wenn ihr möchtet - hier in der Ecke müsste irgendwo der Schlauch liegen.”  Sie hob die Hände und schob sich die Kapuze vom Haupte, dabei ein gebräuntes, feingezeichnetes Gesicht und einen fast kahlen, nur von einem kurzen, schwarzen Haarschatten übertuschten Kopf offenbarend. “Wie kam es denn zu diesem Streit? Und was geschah, dass dieser Euch noch immer so schmerzt?” knüpfte sie mit ruhiger Stimme an das nicht lange zurückliegende Gespräch an. Einen Moment saß Rondradin ruhig da, seine Gedanken und Erinnerungen sortierend. “Es begab sich vor einem Jahr, dass der Baron, seine Gemahlin, Hochwürden Ivetta von Leihenhof, die Baronin von Rickenhausen und ich in Albenhus einem Kult des Namenlosen auf die Spur kamen. Ich war gerade erst aus den Tulamidenlanden zurückgekehrt und ob der Geschehnisse dort, ein wenig durcheinander. Eine Novizin der Rondra, Helmtrud, hatte das Zweite Gesicht. Allerdings kostete sie diese Gabe jedes mal viel Kraft und sie starb in meinen Armen, ihre letzte Vision mit mir teilend. Ihr Tod traf mich sehr hart, hatte ich sie doch… “ Er zog hörbar die Luft ein. “Etwas an ihr sprach meinen Beschützerinstinkt an. Ihr erinnert Euch an meine Bestimmung? An diesem Punkt, von Trauer überwältigt, sah ich das Angebot des Barons, sich um die tote Helmtrud zu kümmern, als versuchte Besudelung der Seele Helmtruds. Versteht Ihr was ich meine? Ich sah den Baron, in seiner Ignoranz den Regeln Rondras gegenüber, als Frevler.” Er schluckte. “Wenig später, wir wollten gerade aufbrechen um das namenlose Pack auszuräuchern, erschien die Vogtvikarin von Albenhus mitsamt Gefolge und hielt uns auf. Erst nach Sonnenuntergang ließ sie uns endlich ziehen, was zum Tode einer Mutter und beinahe auch ihres Kindes geführt hat. Jedenfalls beharrte der Baron auf seiner Armbrust und da platzte mir der Kragen und ich ging ihn übel an, nannte ihn gar einen Frevler.” Mit hängenden Schultern, den Boden vor sich fest mit den Augen fixierend, sprach er weiter. “Die Einzelheiten erspare ich Euch, ebenso die Schilderung dessen, was unten in den Katakomben genau geschah. Letztendlich konnten wir nur die Tochter lebend aus den Fängen der Va... der Kultisten retten, die Mutter allerdings nicht mehr. Wenn wir nur früher da gewesen wären.” Rondradin ballte die Fäuste. “Am nächsten Tag brach ich wütend und ohne mich zu verabschieden nach Gratenfels auf. Seitdem habe ich den Baron von Rabenstein nicht mehr gesprochen. Das ist nun ein guten Götterlauf her.” Der Geweihte verstummte und lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung. Mit einem traurigen Lächeln sah er Mirla beim Spielen zu. “Eure Tochter erinnert mich ein wenig an Alrike. Sie müsste inzwischen im selben Alter sein.” Sanft tastete Marbolieb nach der Hand ihres Bruders im Glauben und legte die ihre auf sein Handgelenk. Leicht, warm und sicher ruhte sie dort, Bestätigung und Anker im Hier und Jetzt gleichermaßen. Sie schwieg einige Atemzüge, während derer sie ihre Gedanken ordnete und über eine passende Antwort nachsann. Unter ihrer Berührung öffneten sich die noch immer geballten Fäuste Rondradins und er entspannte sich ein wenig. “Gefühlsaufwallungen sind selten kluge Ratgeber, Euer Gnaden. Ich bin mir gewiss, das wisst Ihr ebensogut wie ich.  Und doch sind wir alle Menschen. Und Menschen gehen fehl. Euch ist auferlegt, die Seelen Eurer Gläubigen zu hüten - eine Pflicht und Bürde, die wir alle tragen, manche mehr, manche minder. Und die doch so viel mehr ist.” Sie schwieg einen Moment. Geschenkt, dass sich die meisten Gläubigen alles andere brav als Schafe im Pferch hüten ließen und ihre ganz eigenen Vorstellungen von Sinn und Zweck ihres Daseins pflegten. Das Problem ihres Bruders im Glauben lag mindestens eine Schicht tiefer. “Solange Ihr Euch Eurer selbst bewusst seid, wisst, wann Euer Herz spricht - und wann Eure Galle - solange liegt es auch in Eurer Hand, Eure Äußerungen zu werten - und zu bezähmen. Wenn nicht dieses Mal, so beim nächsten Vorfall, der kommen wird.” “Normalerweise verberge ich meine Gefühle hinter einem dicken Panzer, aber als ich Albenhus ankam, hatte er bereits Risse und die Ereignisse dort sprengten ihn endgültig.” warf Rondradin verteidigend ein. Marbolieb senkte den Kopf, achtete auf die tiefen Atemzüge ihres Gegenübers, die verrieten, dass er nach dem ersten Aufwallen von Schuld, Zweifel und - nicht tief versteckt unter all dieser traurigen Geschichte - Wut, wieder zur Ruhe gefunden hatte und bereit war, ihr zuzuhören. Vorerst. “Ihr könnt die Seelen Eurer Gemeinde nur schützen, wenn ihr zuvor Eure eigene wohl  bestellt habt. Und dies, Euer Gnaden, ist die wirkliche Aufgabe - ein Kampf gegen sich selbst, den härtesten aller Gegner. Doch wisst ihr von Kämpfen mehr als ich - was könnte ich Euch hier noch raten? Nicht der Krieg ist die Domäne meines Herrn, und doch lehrt auch er Beharrlichkeit und den Weg zu einem unausweichlichen Ziel. Versucht nicht zu straucheln - und gebt die Mühen nicht verloren, auch wenn sie Euch übel hart ankommen.”  “Ich bin es leid immer wieder zu straucheln, gerade wenn es darum geht, jemanden zu beschützen. Bisweilen sehe ich die Gesichter jener, die ich nicht retten konnte, in meinen Träumen. Tsalind, Helmtrud, Garobald und noch einige mehr.” murmelte Rondradin. Beständig lag ihre schlanke Hand auf jener von Rondradin, warm, verlässlich und tröstend. Unter der Berührung Marboliebs entspannte sich der Geweihte wieder. “Ihr könnt alles tun, was in Euren Fähigkeiten steht, Euer Gnaden.  Doch Ihr seid nicht allmächtig.” Leise war die Stimme der kleinen Geweihten. Sanft und weich wie ein Umhang, der sich um seine Schultern legte, behütend und bergend. “Ihr werdet es nicht schaffen, alle zu retten. Und ihr werdet straucheln und fehlgehen.  Erkennt Euch selbst, seht euch an, ohne Lug, ohne Sebsttäuschung, und betrachtet, was ihr seid. Seid ohne Falsch Euch selbst gegenüber - und seht genau hin, was Euch an diesem Bilde stört. Was zu gering erscheint - oder zu grob. Zu nachlässig. Und dann nehmt euch dieses Dinges an - und arbeitet daran, dass es geringer wird. Aber nehmt als Wahrheit an, dass Ihr nicht die Allmacht der Zwölfe in Euch vereint - und ihr nicht ohne Fehl sein könnt. Lasst nicht zu, dass ihr in Resignation verfallt oder der Behäbigkeit nachgebt - denn die sind die Lockrufe der Siebtspährigen. Leise und doch bestimmt war ein “Niemals!” vom Geweihten zu hören.. Die Boroni verstummte einige Atemzüge lang. “Aber seid Euch ebenso gewiss, dass ohne Euch, Eure Mühen, Euer Schwert, viele verloren wären, die nur dank Euch noch unter Praios Angesicht wandeln.” Marbolieb ergriff Rondradins Hand mit beiden Händen. Schwielen fühlte er auf ihren Handflächen, und rauh war ihre Haut, ein merkliches Zeichen körperlicher Arbeit. Und doch waren es Hände, die Geborgenheit vermittelten und Ruhe, die einen zerbrechlichen Vogel ebenso zu halten vermochten wie … eine noch zerbrechlichere, vielfach flüchtigere Seele eines Gläubigen. Seine Hand war ebenfalls rauh und voller Schwielen, die Hand eines Kriegers. Über die Worte Marboliebs nachsinnend, besah er sich seine freie Hand.  “Ihr seid wichtig, Rondradin. Ihr tragt den Plan der Götter in Euch. Seid nicht hochmütig und verlangt alles - doch verzagt auch nicht in dem Irrtum, Ihr wäret nichts.” “Ich danke Euch. Eure Worte machen mir Mut.” Rondradin drückte sanft die Hand der Geweihten. “Es ist schwer jemanden zu finden, mit dem man über sowas sprechen kann.” Marbolieb verfiel erneut in Schweigen, so lange diesesmal, dass Rondradin sich zu wundern begann, ob sie noch etwas hinzufügen würde.  Nach  geraumer Zeit erst holte sie tief Luft und hob den Kopf, dorthin, wo sie den Blick ihres Gastes vermutete. “Der Herr von Rabenstein ist kein einfacher Mensch, Euer Gnaden. Er ist mein Dienstherr. Ein Frevler ist er nicht, doch einfühlsam und sanftmütig sind keine Begriffe, die ihn beschreiben.” “Ihr wärt überrascht.” Meinte Rondradin reumütig an vergangene Zeiten zurückdenkend. Die kleine Geweihte legte nachdenklich den Kopf schräg und lauschte ihrem Gast. Es dauerte einige Zeit, bis sie hinzufügte. “Dass er einen Stolperstein für Euer Gemüt darstellte, verwundert mich nicht - und gewiss liebt er es, herauszufordern und Dingen auf den Grund zu gehen. Grämt Euch nicht seinetwegen. Wenn Ihr die rechte Zeit und den rechten Ort einmal für gekommen seht, sprecht ihn darauf an, so es Euch erleichtert. Doch ich bezweifle, dass er eine Aussprache von Euch erwarten oder einfordern würde.” “Und doch stehen meine Worte, damals in Rage und ohne Vernunft gesprochen, immer noch zwischen uns. Vielleicht sollte ich ihn aufsuchen und diesen Streit endlich zu Ende bringen, wie immer es ausgehen mag.” Ihre Hände hielten diejenige Rondradins noch immer geborgen - sanft, so dass er sich ohne Mühe hätte befreien mögen, doch warm und Ruhe schenkend. “Wenn ihr wünscht, begleite ich euch.” Aufrichtigkeit stand in ihren Zügen, und ihre Augen leuchteten, als sie ihren Kopf zu Rondradin wandte, Es war schwer vorstellbar, dass sie tatsächlich nichts sah - andererseits fixierte sie einen Punkt, der irgendwo hinter seiner rechten Schulter lag.  “Habt Dank für das Angebot, aber das muss ich alleine machen.” “Wenn Ihr wünscht, gebe ich Euch gerne meinen Segen mit auf den Weg - auf dass er Euer Gemüt behüten und Euren Geist stärken möge.”  “Euren Segen nehme ich gerne an.” erwiderte Rondradin und unterdrückte den plötzlichen Drang, die Geweihte dankbar zu umarmen. Ein leises Lächeln huschte, wie ein Federhauch, über ihr Gesicht und war rasch wieder in der Ernsthaftigkeit ihrer Miene verschwunden. “Der Tod ist die Münze, mit der das Leben bezahlt wird, Euer Gnaden. Eines ist nichts ohne das andere und beide bedingen sich.” Griff sie eine Andeutung Rondradins auf. “Dennoch wiegt er schwer, vor allem, wenn er anscheinend zur Unzeit kommt.” Ihr Gegenüber nickte zustimmend. “Ihr habt recht, ein jeder schuldet der Welt noch seinen Tod und mit meinem eigenen habe ich mich schon lange abgefunden. Trotzdem schmerzt es mich, wenn jemand stirbt. Gerade wenn es jemand so junges ist, wie Helmtrud. Sie zählte noch keine 16 Lenze.” Sanft verstärkte sich der Druck ihrer Finger, um ein Weniges nur, doch spürbar. “Was ist mit Alrike geschehen? Wisst Ihr, wo sie jetzt ist - und fühlt Ihr Euch verantwortlich für das Kind?” Unwillkürlich zuckte die Hand Rondradins zurück, blieb aber dann doch in den Händen Marboliebs liegen. “Alrike geht es gut. Sie wird von Hochwürden Morand von Firnsaat, dem Tempelvorsteher in Albenhus aufgezogen. Sie hat ansonsten keine Familie. Ihre Großeltern verstießen Alrikes Mutter als sie von der Schwangerschaft erfuhren.” Keinerlei Zorn nur Unverständnis über die Entscheidung der Großeltern schwang in der Stimme des Geweihten mit. “Natürlich fühle ich mich für Alrike verantwortlich. Ich mag zwar nicht der Vater sein, trotzdem sorge ich mich um sie.” Er verstummte kurz und fragte dann. “Wisst Ihr um Thaliomnels Schlachtgesang?” Marbolieb lauschte, schwieg einige Atemzüge lang und schüttelte dann sachte den Kopf.  Rondradin lächelte und nickte. “Das habe ich auch nicht gedacht. Diese Liturgie spricht ein Geweihter der Rondra in der Regel nur ein einziges Mal, dann wenn er bereit ist in den Tod zu gehen um andere zu retten. In den Gewölben unter Albenhus standen die Dinge irgendwann so schlecht, dass ich diesen Schlachtgesang anstimmte. Plötzlich war das Gewölbe weg und ich stand in einem Nebel. Mir gegenüber stand Helmtrud, gekleidet wie eine Walküre und sagte mir, dass Rondra meinen Tod nicht wünsche. Stattdessen solle ich Alrike im Sinne Rondras erziehen und zu einer aufrechten Geweihten der Donnernden formen.” Rondradin hielt kurz inne und kratzte sich am Hinterkopf. “Ja, mir liegt am Wohlergehen Alrikes, aber nicht nur weil es meine Herrin befiehlt, sondern auch mein Herz.” Die Boroni senkte ihren Kopf, so dass sie, hätte sie gesehen, ihr Blick auf ihre Hände gefallen wäre. Lange Zeit hing sie ihren Gedanken nach.  “Seht Ihr sie hin und wieder?” verlangte Sie dann zu wissen. “Sie ist der einzige Grund warum ich Albenhus noch immer aufsuche.” erwiderte Rondradin, ein wenig von der Eindringlichkeit der Frage überrascht. “Werdet Ihr sie ausbilden, wenn sie alt genug ist, Eure Knappin zu werden?” Nach wie vor ruhig und gelassen klang die Stimme der jungen Borongeweihten, doch Rondradin war sich sicher, dass viel mehr hinter dieser Frage steckte als reine Neugier. “Es ist der Wille der Göttin und so Alrike es wünscht, werde ich sie als Novizin annehmen und zu einer guten Geweihten der Rondra ausbilden.” Er musterte Marbolieb. “Weshalb fragt Ihr?” “Die wenigsten Leute sind glücklich darüber, einen Bankert vermacht zu bekommen, Euer Gnaden. Eure Ansicht hat mich interessiert.” Der Druck ihrer Hände löste sich um eine Kleinigkeit, und Rondradin merkte, wie ihr Herzschlag vermehrt zur Ruhe fand. Nach wie vor sanft war die Stimme der Priesterin, und frei von Wertung. “Die kleine Alrike kann sich glücklich schätzen, im Schoß der Kirche ein Heim gefunden zu haben.” “Am liebsten hätte ich Alrike direkt zu mir genommen, aber da ich viel auf Reisen bin, ist sie in Albenhus derzeit am besten aufgehoben. Aber sobald ich nicht mehr auf Reisen gehen muss, würde ich sie gerne zu mir nehmen und sie aufziehen.” Ein sehnsüchtiger Tonfall stahl sich in seine Stimme.  “Ein Kind bedeutet eine gewaltige Arbeit - und eine ganz andere Art der Verantwortung, als Ihr sie zuvor schultern musstet.” Viel Wärme breitete sich bei diesen Worten in der Stimme der Geweihten aus, als sie sich in die Richtung wandte, aus der das energische Klappern des Holzgeschirrs drang, mit dem ihre Tochter selbstvergessen spielte. “Doch es gibt nichts im Leben, dass damit vergleichbar wäre, ein so kleines Geschöpf auf den Armen zu halten und es beim Aufwachsen zu begleiten.” Ihr hübsches Gesicht leuchtete von innen und strahlte eine Wärme aus, in der für einige Atemzüge lang ihre gesamte Seele offen dalag. Ein solches Strahlen hatte er bisher nirgendwo gesehen und er konnte nicht anders, als Marbolieb einige Herzschläge lang einfach anzustarren. Doch dann glitt sein Blick zu Mirla hinüber und blieb da hängen. Kurz stellte er sich vor, nicht Mirla sondern Alrike würde dort spielen. Natürlich würde es nicht leicht werden, den Vater für Alrike zu geben. Dann fiel ihm wieder ein, dass da ein bestimmter Unterton bei den Fragen Marboliebs mitschwang. “Euer Gnaden, Marbolieb, darf ich Euch etwas fragen?”  Mit noch immer strahlenden Augen, eine leichte Röte auf ihren gebräunten Wangen, wandte sich die blinde Geweihte Rondradin zu. “Selbstverständlich. Was ist es?” “Die Fragen zu Alrike, die Ihr gestellt habt, haben die etwas mit Mirla zu tun?” fragte er und bereute es sofort. “Außer der Tatsache, dass ich sie nicht mit ihrem Vater zusammen aufziehe, meint Ihr?” Die Boroni zog ihre Hände zurück und faltete sie in ihrem Schoß. Ihre Stimme blieb sanft, aber das Leuchten war aus ihren Augen verschwunden. “Ich bin selbst als Findelkind in den Schoß der Puniner Kirche gelangt. Es sind viele Kinder, die vor dem Gebrochenen Rad auf die Tempelstufen gelegt werden. Von der Kirche der Donnernden kannte ich bislang keinen einzigen Fall - bitte verzeiht meine Neugier.” Rondradin seufzte. “Bitte verzeiht meine Frage, ich wollte Euch nicht zu nahe treten, aber in eurer Stimme schwang etwas mit, was mehr als bloße Anteilnahme vermuten ließ. Es klang als ob Ihr selbst etwas zu erzählen habt was Euch belastet. Falls ich Euch beleidigt haben sollte, tut es mir leid." Rondradin machte Anstalten aufzustehen. "Ich wollte Euch nur das Angebot machen, Euch eure Probleme und Sorgen von der Seele zu reden. Aber es scheint als müsse ich noch weiter an meinem Einfühlungsvermögen arbeiten." Rondradin verfluchte sich selbst für seine voreilige Frage und hoffte, dass Marbolieb sein Angebot als das sah, was es war. Ein Angebot zur Hilfe, von einem Seelenhüter zum anderen. “Bitte bleibt.” Die blinde Priesterin tastete nach der Hand ihres Bruders im Glauben. “Ich wollte Euch mit meiner unbedachten Äußerung nicht vertreiben.  Und ich danke Euch für Euer Angebot. Ich kann Euch aber jetzt noch nicht sagen, ob ich es annehmen werde. Es geht mir gut, jetzt zu jammern käme mir schäbig vor.” Sie hob  den Kopf und blickte in die Richtung, in der sie sein Gesicht vermutete. “Ihr wolltet noch von den Schwierigkeiten berichten, welche Euch die Vision zu Eurer Weihe bereitete.” Aufmerksam lauschte sie auf ihr Gegenüber. “Zu jeder Zeit, die Euch genehm ist, Euer Gnaden.” Ein kurzes, warmes Lächeln, wie der Abglanz eines Sonnenstrahls, der sich durch die Wolken bricht, wärmte ihr Gesicht. “Aber ich bitte Euch, seht auch dies nur als Angebot, nicht als Drängen.”  Rondradin hatte bei den ersten Worten der Geweihten innegehalten und war dann auf seinen Platz zurückgekehrt. Bei den Worten Marboliebs musste Rondradin ein Lachen unterdrücken. Sie selbst wollte nicht jammern, aber auf der anderen Seite bat sie ihn, eben das zu tun. An unserer Wortwahl müssen wir wohl beide noch arbeiten, dachte er bei sich. “Ich stehe Euch jederzeit zur Verfügung, solltet Ihr eure Meinung ändern. Glaubt mir, wenn ich sage, dass es befreiend wirkt, wenn man seine Sorgen und Probleme jemanden anvertrauen kann. Ich habe es gerade selbst erlebt.”  Marbolieb schmunzelte. “Ich weiß.”   Sie horchte auf, als ein besonders energisches Klappern aus Mirlas Richtung an ihre Ohren drang. Das Kind bearbeitete den hölzernen Becher mit dem Löffel und erklärte energisch ‘Tapfen!’. Doch irgend etwas, so besagte sein konzentrierter Tonfall, war dabei ganz und gar nicht nach seinem Geschmack. “Ich werde Euch meine Geschichte erzählen. Doch nicht heute.” Sie zuckte zusammen, als ein energisches Krachen, von Holz auf Holz, hinter ihr erklang. “Tapfen!” befahl eine helle, hohe Stimme, zunehmend ungehalten.

“Werdet ihr morgen zur Jagd gehen, Euer Gnaden?” fragte Marbolieb scheinbar zusammenhanglos in das entschiedene Nörgeln ihrer Tochter. “Wenn ich eine Gruppe finde, der ich mich anschließen kann.” Er zuckte mit den Schultern. “Ein besonders guter Jäger bin ich nicht, denn allenfalls mit dem Jagdschwert bin ich auf der Jagd zu gebrauchen und ich mache mir nicht allzu viel aus der Jagd. Tatsächlich bin ich vor allem wegen meinem Vetter hier. Nach Willen seiner Schwertmutter soll er an einer großen Jagd teilnehmen, da sie allerdings keine Zeit hat, wurde ich gebeten ihn zu begleiten. Ich werde ihn Euch morgen vorstellen.” Mittlerweile sah Mirla immer öfter in Richtung des Zeltausgangs, während sie weiter ‘Tapfen!’ skandierte.  “Solltet ihr zufällig über einen Zapfen stolpern, Euer Gnaden - könntet Ihr mir bitte einen mitbringen?” Sie lächelte in Richtung ihrer Tochter. “Mirla liebt es, damit zu spielen - und ich befürchte, sie wird die Lagerfeuer der Umgebung danach ausräumen, wenn ich nicht auf sie aufpasse.” “Wenn Ihr wollte, kann ich auch gerne noch einen kurzen Spaziergang mit Mirla machen und ihr bei der Suche helfen. Es scheint, als ob sie eh drauf und dran ist, selber loszuziehen.” lachte Rondradin, als er sah, dass der Blick Mirlas inzwischen fest auf den Zeltausgang gerichtet war. Marbolieb seufzte. “Ich werde sie irgendwann anbinden müssen.” Sie wandte sich zu Rondradin um. “Wenn ihr dies tun würdet, Euer Gnaden, wäre ich Euch sehr dankbar. Aber ich möchte euch ungerne über Gebühr mit einem Kind belasten - ihr werdet Eure eigenen Angelegenheiten im Lager zu verfolgen haben.” Rondradin winkte ab. “Ach was, ich mache das gerne, Euer Gnaden. Zudem ist es eine gute Übung für mich.” Er stand auf und streckte Mirla seine Hand entgegen. “Na Mirla, sollen wir ein paar schöne Zapfen für dich suchen?” “Tapfen!” Das Kind strahlte Rondradin an, mit der vollen Wucht auf einer aufgehenden Sonne. Sie warf einen kurzen, fragenden Blick auf ihre Mutter, erhielt keine Reaktion von dieser und tapste dann entschlossen, mit ausgestreckten Ärmchen, auf den großen Rondrageweihten zu. “Hopp?” setzte sie fragend und voller Hoffnung hinzu. Dieser seufzte und schmunzelte gleichzeitig. “Vielleicht auch das.” Damit hob er sie hoch. Auf die Schultern würde er sie aber erst draußen setzen können, dafür war das Zelt zu niedrig. “Gobbigobb!” bestätigte Mirla frohgemut die Befürchtungen des Kriegers und lachte glücklich. Marbolieb schmunzelte. “Habt Dank, Euer Gnaden. Und Dir viel Vergnügen, Mirla.” “ich bringe sie wohlbehalten zurück, Euer Gnaden.” versicherte noch Rondradin, bevor er das Zelt mitsamt einer jubelnden Mirla verließ. Von draußen war zu hören, wie der Geweihte loslief, begleitet von einem glücklichen Schlachtruf, “Gobbigopp! Schnell!”. 

Der Vogt und die Gauklerin

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So trug es sich zu, dass am Abend desselben Tages der Vogt von Nilsitz persönlich ins Dachgeschoss der Jagdhütte kam, um mit Doratrava zu sprechen.  Die Bediensteten, die sogleich aufsprangen, als sie Borindarax bemerkten, beruhigte er sogleich. "Legt euch wieder hin Brüder und Schwestern. Ich bin gekommen, um mit jemand anderem zu sprechen."  Er sah sich um und trat dann sogleich auf die Gauklerin zu, die sich in einer Ecke des großen Raumes ein Lager bereitet hatte.  "Angrosch und Simia mit dir Doratrava", grüßte der Vogt, somit das Gespräch eröffnend. "Boringarth berichtete mir, dass du eingetroffen bist. Ich hoffe die Reise war nicht allzu beschwerlich? Allein zu reisen kann gefährlich sein im Isenhag." Auch Doratrava sprang erstaunt auf, als der Vogt persönlich sie aufsuchte. „A...angrosch zum Gruße“, versuchte sie sich anzupassen. Ein wenig unschlüssig starrte sie den Angroschim an. Konnte sie nun vertraulich mit ihm reden, oder musste sie ihn ihrzen, weil er doch ein Vogt war? Sie entschied, im Zweifelsfall lieber auf der sicheren Seite zu bleiben. „Ach, ich bin schnell zu Fuß und kann den meisten Gefahren ausweichen“, antwortete sie mit schiefem Lächeln. „Außerdem habe ich nicht viel Gepäck, da geht das schon. Allerdings ...“ Kurz überlegte Doratrava, ob sie die Sache überhaupt ansprechen sollte, doch dann fuhr sie fort: „Als ich in Firnruh Rast gemacht habe, sind Kopfgeldjäger aufgetaucht, die mich fangen wollten, weil ich angeblich in Twergenhausen einem Händler etwas gestohlen habe. Was eine Lüge ist!“, wie sie schnell und bestimmt hinzufügte. „Ich konnte die üblen Gesellen … abschütteln.“ Borindarax entging das leichte Zögern nicht, doch schon sprach die Gauklerin weiter: „Sonst ist mir aber nichts Gefährliches untergekommen auf der Reise. Wenn ich gewusst hätte, dass es hier Riesenspinnen gibt, wäre ich aber sicher noch vorsichtiger gewesen!“ Sie schüttelte sich leicht mit sichtlichem Unbehagen. Etwas ungläubig starrte der Vogt Doratrava an, nachdem sie geendet hatte. Der Bericht ihrer Unannehmlichkeiten verwunderte ihn sichtlich.  "Kopfgeldjäger", fragte er daher nochmals nach und schnaubte, nachdem die Schaustellerin zögerlich nickend ihre Geschichte quasi noch einmal bestätigt hatte. Zorn zeigte sich daraufhin in der Mine des bisher sehr gutmütig wirkenden Angroschos. "Das ist unerhört", platzte es aus ihm heraus. "Wir sind doch hier nicht in Nostria, Andergast oder im Svellttal, sondern in einer zivilisierten Gegend. Das lasse ich mir nicht gefallen.  Sagt, sind diese Halsabschneider noch in Nilsitz? Ich kann darum bitten Gebirgsjäger auszusenden, um sie zur Strecke zu bringen?  Auf jeden Fall müssen wir einen Bericht verfassen und eine förmliche Beschwerde im Twergenhausen einreichen.  Sagt, seid ihr des Schreibens mächtig, so dass ihr das Geschehen für mich festhalten könnt?" Mist. So einfach kam sie wohl nicht davon. Zögerlich antwortete Doratrava: „Ja, schon, ein wenig, das sollte schon gehen … aber … also, mir hat jemand geholfen, sonst säße ich nicht hier, aber … ich weiß nicht, ob er es schätzt, zuviel Aufmerksamkeit zu erfahren.“ Die unsichere Stimme der Gauklerin wurde fester, da es nun heraus war, konnte man es sowieso nicht mehr ändern. „Er nannte sich Arbosch und sah aus wie ein riesiger, bärtiger, wilder Mann mit Armen wie Baumstämmen. Aber … er ist kein Mensch … glaube ich. Er hat mich aus den Fängen der zwei verbliebenen Kopfgeldjäger gerettet und diese vertrieben, das ist aber schon ein paar Tage her. Wenn sie das Weite gesucht haben, dürften sie Nilsitz schon verlassen haben, wenn sie dagegen weiter hinter mir her sind, dann … sind sie vielleicht in der Nähe.“ Es sprudelte jetzt einfach so heraus aus der Gauklerin. „Der Anführer, Rangold hieß der, er nannte sich ‚der Unfehlbare‘ oder so, hat sich beim Kampf mit Arbosch mindestens den Arm gebrochen, mit so einer Verletzung würde zumindest ich niemanden verfolgen. Er hat noch eine Frau dabei, ich habe ihren Namen vergessen, die ist glaube ich unverletzt und kann gut mit Wurfbeilen umgehen. Der dritte, ich habe ihn ‚Bohnenstange‘ genannt, weil er eben so aussieht, ja den habe ich schwer verletzt, und ich habe Arbosch gebeten, sich um ihn zu kümmern, was er getan hat, ich weiß aber nicht, wie.“ Da wurde Doratrava plötzlich heiß und kalt. „Jel!“ stieß sie hervor. „Also Jelride, die Wirtin der Gaststube in Firnruh, sie hat einen kleinen Sohn, Sumin, dem habe ich ein wenig Tanzen beigebracht, könnt Ihr nach ihr schauen lassen? Nicht dass die Kopfgeldjäger sich an ihr rächen wollen, weil sie mir auch geholfen hat!“ Doratrava hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken, wenn sie an die junge rothaarige Frau dachte und was sie in ihrer Gedankenlosigkeit mal wieder nicht bedacht hatte. "Ich schicke euch einen Schreiber", erwiderte Borindarax ohne lange nachzudenken.  "Erzählt ihm eure Geschichte, wie sie in Twergenhausen begann, was dort geschah und wie sie in Firnruh ihren Verlauf nahm.  Zusätzlich brauche ich eine Beschreibung der drei Kopfgeldjäger und die Namen derjenigen Bewohner Firnruhs, die eure Geschichte bestätigen werden. Ihr habt mein Wort, dass wir Soldaten in das Dorf schicken werden, doch diese brauchen Informationen, wenn sie etwas bewirken sollen. Was diesen 'Arbosch' betrifft, so muss ich euch sagen, dass es in Nilsitz sowohl Stein- wie auch Waldschrate gibt. Letztere werden oft als Baumhirten bezeichnet. Ich denke ihr seid einem solchen begegnet", mutmaßte der Vogt.  Die Gauklerin nickte etwas belämmert. Auch bei den Zwergen gab es offensichtlich so etwas wie ‚Bierokratie‘, oder wie das genau hieß. Das war ihr ein Graus, da kam für Gaukler, wie sie es war, selten etwas Gutes dabei heraus. Nun ja, sie musste das Beste daraus machen und versuchen, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Obwohl sie jetzt schon wusste, dass das ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen sein würde, war doch ihre Zunge meistens schneller als ihr Verstand. „Wie Ihr wünscht“, antwortete Doratrava dann auch noch verbal und etwas förmlich, um dann hinzuzufügen: „Aber zu Twergenhausen kann ich nicht viel sagen. Ich war dort, ja, und habe ein paar Leute unterhalten, da waren auch Höhergestellte unter den Zuschauern, aber von diesem Händler, Rangold erwähnte den Namen ‚Wertlinger‘, habe ich noch nie gehört. Ich kenne die Namen meiner Zuschauer in der Regel nicht, und bestehlen tue ich sie erst recht nicht, das habe ich nicht nötig!“ Nicht wenig Stolz klang in ihrer Stimme mit, so unbedarft, jung und etwas ärmlich sie auch in ihrer einfachen Straßenkleidung vor dem Vogt stand und ihn aus großen, smaragdgrünen Augen musterte. Dann schoss Doratrava zusammenhanglos selbst eine Frage ab: „Herr Borinda...rax, Ihr habt mir gar nicht gesagt, als was ich eingeladen bin? Bin ich Gast, oder soll ich für die Leute etwas aufführen?“ Sie war fast ein wenig verwundert, den Namen des Vogts endlich nahezu ohne Stocken herausgebracht zu haben. Borax winkte ab. Mit der Geschichte um Twergenhausen schien er sich nicht weiter belasten wollen. „Es wird jemand zu dir kommen und alles notieren. Ich leite alles in die Wege, sei unbesorgt“, war alles, was er dazu noch zu sagen hatte, dann kam er auf die andere Sache zu sprechen, die Doratrava als Frage vorgebracht hatte. „Nun, mich haben deine Darbietungen fasziniert und ich hatte gehofft du könntet hier etwas Ähnliches vollführen. Es ist noch früh, die eigentliche Feier, also das Gelage ist erst morgen Abend und ich habe ein paar Handwerker hier, die in der Halle entsprechende Modifikationen durchführen können. Wir könnten Stangen anbringen, Seile, was du brauchst, um deine Kunst zu vollführen. Wir haben großes Publikum hier. Unser Graf, sowie Grafen aus dem Kosch und Almada, einen hohen Abgesandten aus Garethien, Barone aus dem ganzen Herzogtum. Ist das nicht der Traum eines jeden Schaustellers?“ Erst hatte sich Doratravas Miene aufgehellt. Sie durfte auftreten! Handwerker! Das hörte sich gut an, besser, als sie sich gedacht hätte. Aber als der Vogt von den ganzen hohen Herrschaften anfing, wurde ihr mulmig zumute. Grafen! Sie war noch nie vor einem Graf aufgetreten. Und dann noch so viele andere hohe Adlige, darüber hatte sie eigentlich noch gar nicht richtig nachgedacht. Doch der Vogt wartete auf eine Antwort, die sie ihm nun, mit etwas nachdenklich-besorgter Miene und sehr zögerlich mit leiser, fast flüsternder Stimme gab: „Hoher Herr, es ehrt mich, dass ich vor so vielen bedeutenden Persönlichkeiten meine Kunst zeigen darf. Das mag auch der Traum ‚jedes Schaustellers‘ sein. Aber ich bin nicht ‚jeder‘, und ich lebe für meine Kunst. Deren Ziel ist es, Freude im Herzen von Menschen – und auch Zwergen und anderen – zu erwecken. Wenn mir das bei den hohen Herrschaften gelingt, dann werde ich so glücklich sein wie meine Zuschauer. Wenn es mir nicht gelingt, dann werde ich so unglücklich sein wie meine Zuschauer. Da ich nicht weiß, was den hohen Herrschaften gefällt, da sie sicher schon so viele bedeutende Künstler in all ihren Palästen empfangen durften, bin ich unsicher und habe ein wenig Angst. Aber seid versichert, ich werde mich davon nicht abhalten lassen und mein Bestes geben!“ Doratrava hatte bei dieser Ansprache zu Boden gesehen, doch nun sah sie den Vogt mit gleißend saphirblauen Augen an, aus denen die ganze Fülle der Gefühle sprach, welche sie ganz offensichtlich in diesem Moment durchströmten. „Ich verstehe. Lass mich bitte wissen, wenn ich etwas tun kann, um dir deinen ‚Respekt‘ vor der neuen, herausfordernden Situation zu nehmen“, versuchte Borax einfühlsam zu antworten. „Das gilt ebenso für die schon erwähnten Vorbereitungen in der Halle unten. In Ordnung?“ „Ja, gut … also, wegen der Vorbereitungen hätte ich schon eine Idee“, meinte Doratrava daraufhin etwas zaghaft. Als der Vogt die Stangen und Seile erwähnt hatte, waren ihr völlig spontan einige grandiose (also, natürlich für ihre bescheidenen Verhältnisse als solche zu bezeichnende) Einfälle durch den Kopf geschossen, war sie doch sonst allein auf ihr eigenes Improvisationstalent angewiesen. Mit leuchtenden Augen beugte sie sich vor und flüsterte dem Vogt ins Ohr, was sie sich so vorstellte in ihrem jugendlichen Leichtsinn. Der eben geäußerte Respekt vor den ganzen hohen Herrschaften schien von jetzt auf nachher komplett verflogen zu sein, aus Doratrava sprach die reine, unverfälschte Begeisterung, deren Borindarax sich nur schwerlich verschließen konnte, auch wenn für einen langlebigen Angroschim impulsiver Überschwang eher ein wenig fassbares Konzept war. Nachdem die Schaustellerin geendet hatte lächelte der Vogt verschmitzt. Doratravas Ideen entsprachen den seinen in weiten Teilen. Bei dem was er von ihr in Hlutharswacht gesehen hatte, war es im gewissen Maße vorherzusehen gewesen, wie sie den ihr zur Verfügung gestellten Raum nutzen wollte und hoffentlich würde.  „Ich denke, dass lässt sich alles einrichten“, sprach er hoch erfreut. „Ihr müsstet die Dinge nur rasch mit den Handwerkern besprechen, so dass sie schnell an die Arbeit gehen können. Proben könntet ihr dann heute zur späten Stunde und vermutlich morgen Vormittag. Wobei niemals auszuschließen ist, dass die eine oder andere Person in der Halle ist. Die Aufführung sollte dann während des großen Gelages stattfinden, oder besser erst einen Tag später zur Kür des Jagdkönigs? Was meinst du?“ „Ach so, es gibt zwei Feiern?“ zeigte sich die Gauklerin überrascht und leicht aus dem Konzept gebracht. Sie zog überlegend die Stirn kraus, dann antwortete sie: „Hm, also, was ich Euch gerade beschrieben habe, das wäre dann wohl eher etwas für den Höhepunkt der Jagd. Das ist dann wohl die Kür des Jagdkönigs?“ Doratrava hatte keine Ahnung, was letzteres genau bedeutete, aber ‚König‘ hörte sich wichtig an. „Um den Leuten nicht die Überraschung zu verderben, könnte ich beim Gelage tanzen oder etwas Akrobatisches auf dem Boden vorführen?“ führte die Gauklerin weiter aus. Abwartend sah Doratrava den Vogt an, dann fiel ihr noch etwas ein: „Ach so, ähm, soll ich denn eigentlich mit auf die Jagd?“ Borindarax verzog für einen kurzen Moment sinnierend die Mundwinkel. „Warum nicht“, brachte er schließlich hervor. „Wenn du den Weißen Mann auf diese Weise Ehren willst, kann ich daran nichts Fragwürdiges finden. Die Frage ist nur womit du zu jagen gedenkst? Beherrscht du eine geeignete Waffe?“ Doratrava zog etwas verlegen einen Wurfdolch aus einem Stiefel und wurde einmal mehr ein wenig rosa. „Äh, also, damit kann ich gut umgehen, aber sonst ...“  Der Vogt lachte herzhaft auf. “Also wie du einem Hirsch oder einem Keiler damit zu Leibe Rücken willst möchte ich wirklich sehen!”  Amüsiert schüttelte er den Kopf. “Nein, nein, da müssen wir schon etwas ‘Größeres’ für dich finden, aber auch das sollte kein Problem sein. Stoßspeere und Saufedern haben wir da, dafür habe ich gesorgt.” “Ihr solltet Wurfdolche in den richtigen Händen nicht unterschätzen”, meinte Doratrava daraufhin mit ungewöhnlichem Ernst in der Stimme, um dann gleich wieder verlegen zu werden: “A...aber mit Speeren und so was kann ich überhaupt nicht umgehen … ?” Etwas hilflos sah sie Borindarax an. “Na, dann ist es an der Zeit das du es lernst. Jedenfalls wäre es meiner Meinung nach ein passender Zeitpunkt dafür”, entgegnete des Vogt aufmunternd und versuchte im Folgenden Doratrava auch in diesem Fall ihren Respekt vor dem Neuen zu nehmen.  “Im Grunde ist es nur ein Stecken mit einer Metallspitze, die du möglichst ins richtige Ziel bringen musst. Ich bin sicher du findest auf der Jagd jemanden, der dir erzählt, wie man einen Speer richtig hält und wo man das entsprechende Wild damit treffen muss. Ein Versuch ist es doch sicher wert oder?” Borindarax zuckte mit den Schultern. “Ich selbst habe es erst ein paar Mal gemacht und das ist noch nicht lange her.” Er senkte die Stimme verschwörerisch. “Ich war bis vor einem Mond auch noch nie auf der Jagd. Doch ich musste mich doch irgendwie vorbereiten, verstehst du?” Die Gauklerin sah den Vogt mit großen Augen an. Er war bis vor einem Mond noch nie auf der Jagd gewesen und konnte selbst noch nicht gut mit solchen Speeren umgehen? So richtig wohl war ihr nicht bei dem Gedanken, und ihre Wurfdolche würde sie sicherheitshalber auch mitnehmen, aber wenn Borindarax meinte, würde sie es eben mal versuchen. Laut sagte Doratrava: “Also, wenn Ihr meint, werde ich mein Glück auf die Probe stellen. Ihr könnt mir ja nachher mal zeigen, wie das geht?” Sie blickte den Vogt erwartungsvoll an. Dieser jedoch lachte nur amüsiert. “Oh nein meine Liebe. Ich habe einige Jagdhelfer angeheuert, die mir der herzogliche Jagdmeister empfohlen hat. Die können es dir viel besser zeigen. Erstens sind sie vom Fach und zweitens passen da die ‘Proportionen’ zusammen”. Demonstrativ blickte Borindarax an sich herab. “Jemand von meiner Größe kann dir kaum richtig zeigen wie mein einen Stoßspeer richtig hält. Wenn, dann machen wir es richtig, denn eine Jagd ist kein reines Vergnügen. Nein, sie birgt auch immer Gefahren derer man sich bewusst sein muss.” Wenn sie nur an die riesige Spinne dachte, war Doratrava schon klar, dass eine Jagd nicht ungefährlich war. Aber irgendwie war sie sich immer noch nicht richtig bewusst darüber ob sie nun ‘nur’ als Gauklerin oder eben auch als Gast eingeladen worden war. Und als letzteres wollte sie nicht hinter den anderen Gästen zurückstehen. Offenbar hatte der Vogt noch niemals jemanden gesehen, der richtig mit Wurfdolchen umgehen konnte, aber davon abgesehen würde sie seinem Vorschlag folgen und sich im Umgang mit dem Speer unterweisen lassen, also nickte sie. “Gut, dann wäre ich erfreut, wenn mir die Jagdhelfer zeigen, was ich wissen muss.” Ein wenig nervös wurde Doratrava nun allerdings schon. „Gut”, beschloss der Vogt das Thema, um auf das andere zurückzukommen. “Was eure Darbietung angeht, so stimme ich mit euch überein. Das wäre eine gute Herangehensweise, zumal ihr so noch etwas Zeit gewinnt, um den akrobatischen Teil zu proben. Komm, begleite mich in die Halle. Ich werde gleich nach meinen Handwerkern schicken.“

Zwei Zwerge

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Was dem Vater sichtlich missfiel, bereitete dem Sohn offensichtlich große Freude. Nur wenig hatte Sortosch dafür übrig nun in einem Zelt schlafen zu müssen, war es denn nicht bereits schlimm genug das er überhaupt zu dieser bescheuerten Veranstaltung hatte reisen müssen? Er wollte doch überhaupt nicht seichtes Gewäsch mit Leuten austauschen, die ihm die Kimme runterrutschen konnten. Er wollte doch nur frisches Blut für die Feste Zwergenhammer gewinnen, auf das die stolze Zwergenfeste auch noch die nächsten Jahrhunderte ihre Wacht halten konnte. Sowieso war es schändlich, dass nur noch ein Bruchteil der einst weitreichenden Stollen bewohnt war.  Segril hingegen freute sich diebisch, das letzte Mal als er so viel Spaß gehabt hatte, war auf dem Schützenfest des Landgrafen gewesen. Nur war das hier besser. Immerhin gab es hier lauter Brüder mit denen man Zechen und Geschichten austauschen konnte. Ob es einer von ihnen bereits hinbekommen hat aus hundert Schritt Entfernung durch fünf auf Pfählen liegende Äpfel zu schießen? Ihm selbst war dieses Kunststück erst vor kaum mehr als einem Mond geglückt, kaum verwunderlich, dass er deshalb noch immer besonders stolz darauf war. Da sein alter Herr keine Anstalten machte ihm beim herrichten ihres Lagers behilflich zu sein, ging er allein zu Werk. Die Anfänge waren dabei noch schnell und leicht von der Hand gegangen, je weiter die Arbeit jedoch fortschritt desto schwieriger wurde es. Wie beim Barte Angroschs sollte er bitte die Zeltstange halten und zugleich die Seile Spannen? Soeben hatte Filwald von Landwacht den Aufbau des einfachen, aber doch recht geräumigen Zeltes beendet. Sein Sohn Firin war ihm dabei behilflich gewesen, wenn auch widerwillig. Eigentlich hatte der junge Ritter keinerlei Lust gehabt seinen Vater auf die Jagd zu begleiten, wollte er doch stattdessen lieber ehrenvolle Ritter- und Heldentaten vollbringen. Zugegeben in den letzten zwei, ja fast drei Götterläufen seit seinem Ritterschlag auf dem Schlachtfeld in Mendena und der Ehrung mit Schild und Schwert aus der herzöglichen Waffenkammer durch seine Hoheit höchstselbst, war ihm dies seltenst vergönnt gewesen, aber davon ließ Firin sich nicht ermutigen. Nur hier, bei der großen Jagd von Nilsitz, würde sich wohl kaum die Gelegenheit ergeben, eine holde Maid aus den Fängen einer fiesen Räuberbande oder den Klauen eines Ungeheuers zu befreien. Aber er geriet schon wieder ins Träumen. Andererseits hatte ihm sein Vater aber auch klar gemacht, dass sich hier vielleicht die Möglichkeit ergeben könnte einen geeigneten Dienstherrn zu finden, sodass seine mitunter eher trostlose Zeit als Heckenritter in den Nordmarken ein Ende hätte. Aber das würde noch etwas warten müssen, schließlich hatte Firin schon seine Unterstützung für den Feldzug seines Bundbruders Wunnemar zugesagt - ein Versprechen, was er zu halten gedachte. Nachdem Firin ihr Gepäck in der Unterkunft verstaut hatte und wieder ins Freie trat, fiel sein Blick auf den Angroscho schräg gegenüber, der offensichtlich seine Schwierigkeiten mit seinem Zelt hatte. ´Naja, vielleicht kann ich ja wenigstens dem Angroscho helfen. Das Aufhängen unseres Wappenwimpels kann ich auch danach noch erledigen.´ Und mit diesem Gedanken schlenderte hinüber zu dem Zwerg. “Angrosch zum Gruße”, begrüßte er den Angroschim, der Firin den Rücken zuwandte, schon aus einiger Schritt Entfernung gut hörbar, um ihn nicht zu erschrecken. “Sagt, könnt Ihr vielleicht ein weiteres Paar Hände gebrauchen?” Sich soeben wieder aus der Zeltplane heraus wühlend, streckte Segril den Kopf wieder an die Luft. “Angrosch zum Gruße.” Erwiderte er die Begrüßung und bekam derweil endlich den Kopf zur Gänze frei. “Da sag ich nicht nein, allein ist das Ding etwas widerspenstig!”  Als Firin endlich das Gesicht des Zwerges erblickte, glaubte er erst seinen Augen nicht recht zu trauen. Er blinzelte einige Male, kniff sie fest zusammen und streckte dann - wenig höflich - seinen Kopf etwas weiter vor, wie um den Zwerg noch genauer betrachten zu können. ‘Doch das ist er!’, war der Jungritter sich sicher. “Bei den Zwölfen!”, entfuhr es Firin daraufhin ungewollt. “Seid Ihr nicht Segril, Sohn des Sortosch. Der Segril, der zuletzt das Armbrustschießen beim Schützenfest des gratenfelser Landgrafen gewonnen hat? Dieser Schuss durch fünf Äpfel aus 100 Schritt. Doch Ihr müsst es einfach sein!” Entschied Firin voller Begeisterung ob dieses überraschende Zusammentreffens und klopfte dem überraschten Angroschim anerkennend und gratulierend auf die Schulter, als hätte dieser soeben erst den Wettbewerb gewonnen und nicht schon vor drei Götterläufen. Noch gänzlich durch seinen Kampf mit dem Zelt beansprucht, brauchte Segril einen Augenblick, um die doch sehr spezifische Fragen des Unbekannten zu verarbeiten. Dann jedoch ergab das soeben gehörte endlich für ihn Sinn und seine Miene hellte sich freudig auf. "Eben dieser und kein anderer, und mit wem habe ich die Ehre?" Nur zu gern erinnerte er sich an seinen Siegtreffer in Gratenfels und umso mehr freute er sich darüber, dass er aus heiterem Himmel darauf angesprochen worden war. "Mir scheint Ihr seid ein großer Freund der Schießkünste, wählt ihr dabei zwergische Handwerkskunst oder seid Ihr eher altmodisch und spannt den Bogen?" Als er auf den Bogen zu sprechen, kam klang er mit Nichten abwertend, allerdings ließ der Stolz über die zwergische Errungenschaften - wie eben der Armbrust - wenig Zweifel aufkommen, welche Präferenzen er hegte. Gleichzeitig reichte er Firin ein Ende der Zeltplane und machte sich daran langsam Ordnung in das Chaos zu bringen. Schnell ergriff Firin das angereichte Ende. “Mein Name ist Firin von Landwacht”, stellte er sich vor, während er einige Schritte nach hinten ging, um die Zeltplane lang zuziehen. “Jetzt wollt Ihr mir aber schmeicheln. Mit Euren Fähigkeiten vermag ich es mitnichten aufzunehmen. Ich selbst halte mich bestenfalls für einen durchschnittlichen Bogenschützen. Mir fehlt, glaube ich, mitunter die Geduld und Ruhe das Geschoss zielgenau von der Sehne zu lassen.” Firin ging hinüber zur nächsten Ecke und breitete auch diese aus. “Persönlich bevorzuge ich den Bogen, als ritterlichere Waffe, auch wenn sie mehr Übung erfordert.” “Es freut mich Euch kennen zu lernen und macht Euch keinen Kopf, der Umgang mit der Armbrust oder wenn es sein muss dem Bogen, ist eine Kunst für sich. Es bedarf viel Übung und Erfahrung, um auch in schwierigen Situationen einen sicheren Schuss abzuliefern.” Noch während sie so erzählten, gelang es die beiden zügig mit dem Aufbau des Zelten voran zu schreiten. Viel schneller und unkomplizierter als es einem Einzelnen möglich gewesen wäre. “Die Freude ist ganz meinerseits”, versicherte Firin erneut und erleichtert, dass Segril sich durch seine letzte, vielleicht etwas unbedachte Bemerkung nicht gekränkt gefühlt hat. “Sagt, Segril, werdet Ihr auch an der morgigen Jagd teilnehmen? Und wisst Ihr, wie diese ablaufen soll?”, wollte der Landwachter wissen. “Vielleicht könnt Ihr mir dies bei einem guten Humpen Bier erklären. Selbstverständlich erst nachdem wir das Zelt errichtet haben”, ergänzte er noch. Mit dem Kopf deutete Firin in Richtung seines Zeltes. “Und vorher muss ich auch unser Wappen gut sichtbar aufhängen.”  “Natürlich nehme ich an der Jagd teil, aber was genau sich der Vogt überlegt hat, weiß auch ich nicht.” Kam es dem Zwerg direkt über die Lippen. “Gegen einen Humpen hätte ich aber auch nichts einzuwenden, dann sollten wir uns wohl beeilen.” Lachend ging Segril sogleich wieder ans Werk, um in den Endspurt überzugehen. Auch Firin packte wieder mit an und im Nu hatten die beiden das Zelt aufgebaut. “Ich kümmer mich schnell um unser Wappen, während Ihr Euch einrichtet und dann lasst uns ein Bier auftreiben und Erfahrung bringen, wie die Jagd vonstatten geht. Irgendjemand von den vögtlichen Leuten wird ja sicherlich Bescheid wissen.” Die Aussicht auf ein gutes Bier befand der junge Zwerg für ausgesprochen ansprechend, weshalb er gut gelaunt zu stimmte und sich sogleich daran machte das Zelt fertig einzurichten. Rollte seine und die Decke seines Vaters aus, verfrachtete ihre Habe im Inneren und befestigte als letzte das Wappen seines Vaters am Zelt. 

Spinnenverwertung

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Nachdem sie das Spinnentier dem Koch überantwortet hatten, hatte die kleine Gruppe aus Ostendorf sich einen Lagerplatz gesucht. Gemeinsam hatten sie das Gepäck von den Pferden abgeladen und während sich Otgar und Hlûthard daran machten die Zelte zu errichten, versorgte Siegrond ihre Reittiere. Eigentlich hatte es der Junker nicht nötig sich bei mit dem Errichten der Zelte die Hände dreckig zu machen, allerdings fiel es ihm schwer alte Gewohnheiten abzulegen. Heute mochte er ein äußerst wohlhabender Junker sein, früher aber hatte er gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Vater und seinem älteren Bruder für die Sicherheit auf dem etwas abgelegenen Gut Avesstein gesorgt. Damals hatte es kein Personal gegeben das einem alles abnahm, damals war er noch selbst gefragt gewesen. Das Dach des Hauses war undicht? Dann kletterte er eben hinauf und sorgte dafür dass es wieder dicht war. Ein Pferd musste beschlagen werden? Dann packte man halt an! Die Sense stumpf, der Pflug kaputt, das Geschirr gerissen oder das Rad gebrochen? Dann packte man halt an! So war es immer gewesen, so war es auch jetzt noch und vermutlich würde das auch immer so bleiben. Er hatte Hände um anzupacken und nicht um Wein zu schlürfen! Gemeinsam kamen sie gut voran und kein halbes Stundenglas später stand das beachtliche, durchaus einem Baron würdige, Zelt des Junkers, sowie das kaum minder beachtliche Zelt der beiden Hainritter. In den Farben derer von Salmfang gehalten war das größere der beiden Zelte in dunklem Blau gehalten und wurde von zahlreichen silbernen Borten verziert. Das Wappen des Hauses fand sich dabei über dem Eingang mannshoch wieder, während darüber die Farben der Baronie Kyndoch und des Junkergutes Ostendorf wehten. Das minimal kleinere Zelt der beiden Hainritter war von ähnlicher Machart, nur das dieses in tiefem Grün gehalten war und die Abdeckung des Eingangs mannshoch das Wappen des Schutzbundes zeigte. Auch über diesem Zelt wehten Stolz die Wappen Kyndochs und Ostendorfs.  Nachdem die beiden Hainritter anschließend Wasser zum Waschen herbeigeschleppt hatte, maßen sich im scheinbar ungleichen Kampf. Mit nacktem, verschwitzen Oberkörper stand Hlûthard da und führte seinen mächtigen Zweihänder, der ältere Siegrond hingegen führte Kriegshammer und Schild. So ungleich die beiden hochgewachsenen Männer auch erschienen, so harmonisch wirkte doch ihr Kampf – fast so als würden sie einen einstudierten Tanz aufführen.  Gleichzeitig saß Otgar vor seinem Zelt und polierte seine Waffen, während er zugleich dem Schaukampf der beiden Edelknappen zusah. Es war beachtlich, dass sich ihre Familie dafür entschieden hatte ihre Kinder in die ritterliche Ausbildung zu geben, wohl wissend, dass diese aus finanziellen Gründen die Schwertleihe vermutlich nicht erhalten würden. Rondirai, Hlûtards ältere Schwester, hingegen hatte als Erbin der Linie den Ritterschlag empfangen und war eine von vier quasibelehnten Hainritterinnen. Anfangs war Otgar nicht schlau aus der Familie geworden, inzwischen aber war er sich sicher, dass sie die Tugenden der Schwertleuin derart hoch achteten, dass sie ungeachtet ihrer Möglichkeiten dennoch danach streben eine ritterliche Ausbildung zu ermöglichen. Die Hainritter, die traditionell dem Junker von Ostendorf, also ihm, dienten, waren dabei scheinbar ihr Garant diese Angehörigen würdig unterzubringen.  Als die beiden Männer schwer atmend aufsahen, wurden sie eines Zwergen gewahr, der etwas abseits stand und ihrem Waffengang ganz offensichtlich zugesehen hatte. Nun, da sie ihn beendet hatten und auch Otgar zu dem Fremden herübersah, nickte dieser dem Junker und seinen Knechten zu und trat näher. Der Angroscho war vollständig in hochwertige, senaloscher Kette gerüstet und trug darüber einen ärmellosen, blutroten Wappenrock mit dem schwarzen, aufrechtstehenden Mantikor auf der Brust, eine Symbolik, die keinen Zweifel zuließ, was seine Profession betraf. Auffällig an dem rotblonden Zwergen mit den unruhigen, bernsteinfarbenen Augen war sein linker Arm. An diesem endete der Ärmel des Kettenhemdes bereits kurz unterhalb des Ellenbogens und gab den Blick frei auf eine Prothese aus blank poliertem Metall.  Sie war länger als das ursprüngliche Gliedmaß aus Fleisch und Knochen und trug an ihrem Ende eine langen dornartigen Aufsatz mit drei Schneiden, der bis knapp vor den Boden reichte. Am metallischen Unterarm selbst waren kleine, nach unten hin offene Sicheln angebracht, die nur dazu da sein konnten eine Klingenwaffe zu fangen und zu blockieren. “Kor und seine donnernde Mutter zum Gruße”, eröffnete der Angroscho noch im näherkommen. Seine Stimme war rau, fast kratzig und hatte einen starken Akzent. Sein Garethi besaß dabei nicht den Klang eines in den Nordmarken heimischen Vertreter seiner Rasse. “Werte Herren, ich vernahm den Stahlgesang und kam deswegen nicht umhin euren Übungskampf mit anzusehen. Zudem erkannte ich in eurem Wappen das eines Veteranen des Feldzuges wider dem Reichsverräter. Darf ich annehmen das ihr, “er blickte zu Otgar, “der Landjunker seid?” “Kor zum Gruße, Väterchen!” Begrüßte Otgar seinen unerwarteten Gast, woraufhin es ihm seine beiden Begleiter im Chor gleich taten. “Ihr liegt richtig, ich bin Otgar von Salmfang, Landjunker zu Ostendorf. Zugegeben hätte ich nicht erwartet das man sich meiner beim Feldzug erinnert, doch seid mir willkommen und nehmt Platz und leistet uns Gesellschaft.” Gleichzeitig wussten die beiden Hainritter nicht so recht mit sich anzufangen und standen unschlüssig herum. Erst ein weiterer Wink Otgar war notwendig und sogleich besannen sie sich. Sich kurz Erfrischend warfen sie sich etwas über und bedienten ihren Herrn und seinen Gast. “Kann ich Euch etwas zu Trinken anbieten, Euer Gnaden? Einen blutroten Wein oder doch lieber etwas vom Birnenschnaps?”  "Vielen Dank Wohlgeboren. Da sage ich nicht nein. Nur bitte lieber den Schnaps. Von Wein werde ich nur träge."  Mit diesen Worten setzte sich der Geweihte.  “Nun, die Kirche des Kor hat ein Auge auf die Schlachtfelder des Ostens und führt Buch über die Häuser, die dort streiten.  Ich war zu jener Zeit, da ihr vor Mendena fochtet noch Akoluth im Tempel des Mantikors, bis nur wenig später die Höllennacht über die Kapitale des Raulschen Reiches hereinbrach.” Sogleich brachte der jüngere der beiden Hainritter ein irdenes Gefäß und füllte es vor den Augen des Geweihten großzügig mit dem angekündigten Obstler, anschließend wiederholte er die Prozedur bei seinem Lehnsherrn dessen Blick ihm jedoch früher Einhalt beim Gießen Gebot. Den Becher zum Tost erhoben erklang die kräftige Stimme des Junkers: "Baroschem!" In einem Zug kippte Otgar den Inhalt seines Bechers die Kehle hinunter, wo dieser seinen angenehmen Geschmack entfaltete. “Baroschem”, erwiderte der Angroscho und stürzte seinerseits den Schnaps herunter, ohne im Anschluss eine sichtbare Regung zu zeigen.  "Zunächst einmal möchte ich mich vorstellen Wohlgeboren”, begann der Zwerg. “Mein Name ist Metenax ‘Einhand’ und meine Füße haben den Weg zu euch nicht aus reinem Zufall heraus gewählt. Der Obrist der Eisenwalder, mein Freund Dwarosch bat mich nach Euch Ausschau zu halten. Er ebenso wie ich möchten euch im Anschluss an die Jagd nach Senalosch einladen.  Warum? Nun, im Tempel der ‘Bestie der immerwährenden Dunkelheit’ in dem ich diene, wurde ein Kriegerdenkmal zu Ehren der Gefallenen des Haffax- Feldzugs nach Dwaroschs Vorstellungen erbaut. Ihrer wollen wir gemeinsam am 10 Ingerimm gedenken, bevor wir im Anschluss gemeinsam dem Isenhager Donnergrollen beiwohnen. Seid mein Gast im neuen Kortempel Senaloschs und begeht mit meiner Gemeinde von Söldner, Kriegern und Soldaten des Isenhager Garderegimentes diesen Veteranentag." Er hatte es sowieso nicht eilig gehabt. Nachdem er für den jungen Baron am Grafenhof vorstellig geworden war, hatte er sich hierher zur Jagd begeben. Was könnten da ein paar weitere Praiosläufe schon schaden. "Ein schöner Gedanke, dessen Ausführung ich sehr gerne beiwohnen werde." Nahm er die Einladung bereitwillig an, etwas flapsiger hingegen kamen die darauf folgenden Worte. "Dann habe ich auch gleich die Gelegenheit mir einmal Senalosch anzusehen."  Wünsche und mögliche Einwände der beiden Edelknechte schien es nicht zu geben oder aber sie hatten sich bereits damit abgefunden das ihre persönlichen Befindlichkeiten auf einer gemeinsamen Reise mit ihrem Lehensherrn wenig zählten. "Darauf noch einen Schnaps!" Verkündete derweil Otgar fröhlich und bereits wenige Augenblicke später erhob er erneut den Becher. "Auf unsere Kameraden! Unsere Brüder in Schlachtreihe und unsere Gefallenen!" Nach kurzer Hektik, denn auch die Hainritter wollten bei dieser Gelegenheit mit anstoßen, hoben sich zwei weitere Becher und der Trinkspruch wart im Duett wiederholt. “Auf alle, denen es nicht mehr vergönnt ist mit uns die Becher zu heben”, stimmte auch Metenax mit ein und trank. Danach legte er den gesunden, rechten Arm auf die Metallprothese, welcher bereits auf seinen Beinen ruhte und massierte sich den Ellenbogen unter dem Kettenhemd. “Senalosch wird euch gefallen. Es gibt einige schöne Gasthäuser. Aber besonders sehenswert ist der große Angroschtempel am Fuß des Berges, welcher mit Xorlosch das Zentrum des Kultes unseres Allvaters bildet. Aber auch die Werkstätten des Meisterschmieds Thygrax, Sohn des Thygron könnten euch interessieren. Ich wette ihr habt schon von ihm gehört. Das schwarze Schwert des Jagdmeisters des Herzogs hat ihm auch in Elenvina zu einiger Berühmtheit verholfen, wie man hört. Das Donnergrollen soll in diesem Jahr übrigens besonders gut besucht sein. Es haben sich viele Geschützmannschaften angemeldet, nicht nur aus dem Isenhag und dem Kosch. Diesmal wird sogar eine aus dem Phecanowald dabei sein. Unsere Nachbarn Angoramtosch geben sich die Ehre.” Das Schwert des Richtwalders war ihm sehr wohl bekannt, ein prächtiges Stück Schmiedekunst das in erster Linie durch seine ungewöhnliche Farbe und erst auf den zweiten Blick durch seine kunstfertige und firungefällige Gestaltung Aufsehen erregte. Auf dem Feldzug hatte der Baron damals erst das Schwert, dass er von seinem Schwertvater erhalten hatte und später die Klinge seiner gefallenen Schwiegermutter geführt. Zurück in der Heimat hatte er dann die Klinge in Auftrag gegeben, stand das Schwert der Baronin doch rechtmäßig seiner Gattin zu.  "Auf Senalosch, das Donnergrollen und den Tempel bin ich sehr gespannt. Die Zwerge auf meinem Gut werden neidisch wenn ich ihnen davon erzähle." Lachte er nach der letzten Bemerkung auf. Wieder wurden die Becher erhoben und erneut der Schnaps heruntergestürzt. Diesmal jedoch verzog der Korgeweihte das Gesicht. Selbstironisch meinte er dann: “Wenn ich bei jedem der Veteranen, die ich einzuladen gedenke so gut bewirtet werde, dann schaffe ich den Weg zu meinem Zelt wohl höchstwahrscheinlich nicht mehr und bleibe irgendwo schnarchend liegen.” Die Männer lachten und Metenax Einhang erhob sich schwerfällig.  “Wohlgeboren, es war mir eine Freude. Wenn ihr vor der Mauer Senaloschs am Isenhager Tor ankommt, so sagt den Gardisten, dass ihr zu mir wollt. Die Männer werden instruiert sein und lediglich nach eurem Namen fragen. Angroschs Segen, Rondras Wehr und ihres Sohnes Grimm mit euch.” “Macht Euch keine Sorgen, ich werde es schon in die Stadt hinein schaffen.” Zwinkerte er dem Zwerg zu. “... und viel Erfolg auf Eurer Queste, Euer Gnaden! Möge Aves Eure Schritte beflügeln.”  

Die Sorgen eines Vogtes

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Leodegar von Quakenbrück hatte das Wappen der Baronie Kyndoch neben dem derer von Ostendorf direkt wahrgenommen, als er auf den Zeltplatz gelangte. Seine Augen suchten weiter, ob er dort irgendwo auch die Farben des Hauses von Fadersberg erkennen konnte. Scheinbar war der “neue Fadersberg” jedoch (zumindest noch) nicht zugegen. Er war darob nicht unglücklich (obgleich seine Herrin dies sicher anders sähe) - eine Begegnung Wunnemines mit dem Bastarderben hätte ein Streitpotential in sich getragen, der einer feierlichen Jagd wie dieser nicht zuträglich wäre - und, falls es zu einem offen ausgetragenen Disput gekommen wäre - vielleicht auch nicht dem Ruf seiner Baronin.  Gespräche mit den anfangs sicher ebenso vom neuen Baron überraschten Edlen der Baronie könnten dagegen vielleicht aufschlussreich sein... Er wies Chrodegang und Abarhild an, das weißblaue Zelt der Baronin und das ihre nahe denen der Kyndocher, jedoch nicht unmittelbar neben diesen zu errichten.  Bald schon war das Lager bereitet, und der wehende Ambelmunder Wasserdrache kündete von ihrer Zeltplatznahme, reckte sein aufgerissenes, züngelndes Maul in Richtung der Kyndocher.

Kyndocher Geschichten

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Nach einigen Gesprächen auf dem Festplatz hielt Wunnemine nun gemessenen Schrittes auf ihr Zelt zu, dass sie dank des Wasserdrachenbanners bereits aus einiger Entfernung ausmachen konnte. Auch wenn ihr Kettenhemd, Reiterhose und Wappenrock im Grunde nie wirklich unbequem wurden, war es nun doch an der Zeit, vor dem abendlichen Bankett leichteres Gewand anzulegen und nach Reise und Ankunftsprotokoll kurz zu ruhen. Ebenfalls nahezu direkt erkannt hatte sie die Farben und Wappen der Baronie Kyndoch; ihr Weg zu den ihren führte praktisch direkt an diesen vorbei - Leodegar hatte eine gute Lagerstelle gewählt. Den einen oder anderen Gruß empfangend und erwidernd passierte sie schließlich auch das Lager der Kyndocher. Im Vorbeigehen wurde ihr jäh und überraschend ein bekanntes Antlitz gewahr: War das nicht der vairninger Trossmeister, (zumindest damals, als er ihr im Zuge des Haffaxfeldzuges begegnet war), der hier, einen Trunk in der Hand, unter Kyndocher Flagge saß? Kein Zweifel, da waren auch die Zeichen derer von Salmfang. Wunnemine hob die Hand: "Rondra zum Gruße. Wie schön, hier ein aus Nordgratenfels bekanntes Gesicht zu entdecken!” rief sie dem Krieger zu. “Mir war gar nicht bewusst, dass Ihr nicht mehr Vairningen dient, sondern nun in Kyndoch beheimatet seid, Herr von Salmfang - falls diese Anrede noch zutreffend ist." Noch im Sitzen eine Art von Verbeugung andeutend, nahm Otgar Anlauf für die zweite unerwartete Begegnung. “Die Sturmherrin zum Gruße Hochgeboren, welch überraschender Anblick Euch hier in den Tiefen der isenhager Bergwälder anzutreffen.” Sein Getränk abstellend, erhob er sich aus seinem bequemen Leinenstuhl und maß mit einem Mal knapp zwei Schritt. “Tatsächlich fügten es die Götter, dass ich meine Zelte im schönen Vairningen abbrach. Kein Bruch mit Hochgeboren Vea, keine Sorge, vielmehr ihr mir entgegengebrachtes Vertrauen was mir Gelegenheit bot mich zu beweisen und die Dankbarkeit des Herzogs bescherte, sodass ich mich nun Landjunker zu Ostendorf nennen kann.”  Derweil trat Hainritter Siegrond aus dem grünen Zelt heraus und an Otgar heran. Ebenfalls von stattlicher Gestalt, hatte sich das Haar des erfahrenen Edelknappen zu einem Kranz zurückgezogen. “Kann ich Euch noch etwas bringen Herr?” Fragte er unaufdringlich, da er eine geeignete Lücke im Gespräch wähnte.  “Nein, danke.” Lehnte er freundlich ab, mit fragendem Unterton an Wunnemine gerichtet setzte er allerdings nach. “... außer wir können Ihre Hochgeboren davon überzeugen sich zu uns zu setzen und ebenfalls einen Schluck zu trinken.” Wunnemine zögerte nur kurz, dann lächelte sie: "Ihr habt mich bereits überzeugt, Euer Wohlgeboren! Gerne nehme ich Eure Einladung auf einen kurzen Trunk an!" Sie schritt auf Otgar von Salmfang zu und schüttelte mit festem Griff dessen ausgestreckte Hand. Anschließend legte sie ihr Schwert ab und lehnte dieses an den angebotenen Stuhl, auf dem sie sich schließlich auch niederließ, einen Seufzer unterdrückend, als sie im Setzen ihrer aufkommenden Erschöpfung nach langem Ritt und unzähligen Begrüßungen gewahr wurde. Einen Moment blickten sie gemeinsam schweigend ins abendliche Lager, bis Siegrond mit Wein gefüllte Becher herbeigebracht hatte. Die Baronin von Ambelmund wischte eine Strähne ihres langen, gerade offen getragenen braunen Haares nach hinten, dann ergriff sie aufrichtig meinend und mit entsprechend ernster Stimme das Wort: "Ich freue mich für Euch: Eure Belehnung scheint mir eine gute Entscheidung seiner Hoheit. Gerechter Lohn für Treue, Mut und Tüchtigkeit. Ein Geschenk für die Baronie Kyndoch... und ein Verlust für Vairningen. Auf Euer Wohl, Junker von Salmfang!" Den Junker ernst anlächelnd erhob sie den Becher. Sie stießen an, und Wunnemine nahm einen langen Zug. "Sagt, wie ist es Euch bislang in Eurer neuen Aufgabe ergangen? Und wie steht es um die Baronie?" Ob das Junkertum als Lehen eine gerechte Belohnung war wollte Otgar lieber nicht beurteilen, was es aber in jedem Falle war - war sein teuer erkauftes Schweigen. Den Toast auf sein Wohl aufnehmend erhob auch er sein Glas. “Auf seine Hoheit, den Herzog der Nordmarken.” Prostete er und nahm einen kleinen Schluck. “Persönlich denke ich das Ihre Hochgeboren von Vairningen meine Belehnung nicht unbedingt als Verlust betrachtet, vielmehr erweitert meine vermag sie ihre Reichweite zu erweitern.” Das ihm die Baronin heute womöglich nicht mehr schätzen könnte, bereitete ihm keine Sorge. Er wusste das dem nicht so war. Die sehr bald stattfindende Hochzeit mit ihrer jüngeren Schwester, sollte für dafür wohl ausreichend Beweis sein. Tatsächlich machte er sich eher Gedanken das er es auch Wohlbehalten und Rechtzeitig zurück schaffte. Bereits vor seinem Aufbruch hatte er alles vorbereiten lassen, sodass er nicht den langen Weg zu Pferd zurücklegen musste und dabei viel Zeit brauchte. Zeit die er nicht hatte. Stattdessen hatte er sich auf einen sehr wagemutigen Plan eingelassen, der es ihm gestattete dem Donnergrollen beizuwohnen und dennoch zwei Nächte später in Kyndoch zu heiraten. Jetzt hoffte er nur, das die Magierin auch wirklich ihn vor Senalosch erwartete und seine Reise durch den Limbus störungsfrei verlief.  “Seitdem ich in Kyndoch bin, geht es mir eigentlich gut. Allerdings hatte ich auch vieles zu erledigen und zu bewältigen. Meine neue Heimat wurde sehr Lange aufgrund seiner Vakanz durch Vögte verwaltet, da diese aber nicht im Sitz der Junker residierten sondern im Rittergut ihrer Familie, hatte ich so einiges an Arbeit um meine Heimstatt auf Vordermann zu bringen. Doch denke ich dass mir das Recht gut gelungen ist, zumindest beschwerte sich bisher Niemand darüber. Und seitdem die kyndocher Kalksteinkunstmanufaktur einen neuen künstlerischen Leiter hat, läuft auch dort das Geschäft wieder besser.” Sichtlich zufrieden mit seiner aktuellen Situation und Dankbar für all das was man ihm mit der Belehnung überantwortet hatte, war Otgar guter Laune. “Ich denke Kyndoch geht es gut, immerhin hat es jetzt mich…” Lachte er, ob seines eigenen Scherzes, kurz auf. “... nein im Ernst, der junge Baron hat einige Schritte eingeleitet um die Sicherheit für die Leute in der Nähe des Großen Flusses zu erhöhen und auch wenn es die Überfälle nicht vollständig beendet hat, so hat es die Überfälle zumindest seltener gemacht.”  'Ja, so hat die Baronin von Vairningen ihre Reichweite erhöht, während die meine zugunsten eines Bastards beschnitten wurde...' Wunnemine ließ sich ihren jäh aufsteigenden und zunächst wieder geschluckten Ärger nicht anmerken, lächelte zum Scherze Otgars und lauschte aufmerksam dessen Bericht aus der Baronie. Bei den letzten Worten schnaubte sie vernehmbar: "Dann wollen wir zum Wohle Kyndochs hoffen, dass diese Schritte die erhoffte Wirkung zeigen und behalten... Sicherlich ist es kein Vorteil für den Schutz der Baronie, wenn für diesen ein gänzlich unbedarft und, verzeiht meine offenen Worte, unter zweifelhaften Umständen zu Adel und Macht gelangter junger Mann als Baron die Verantwortung trägt. Bei allem gebotenen Respekt dem Herzog und Eurem Grafen gegenüber will ich auch keinen Hehl daraus machen, dass ich die Entscheidung, Liafwin als rechtmäßiges Mitglied des Hauses von Fadersberg, meines Hauses, und damit als Erbe Kyndochs anzuerkennen, für Rechtsbruch hielt und halte. Diese Makel machen ihn zu einem schwachen Baron, der trotz Eurer zweifellos untadeligen Unterstützung Schwierigkeiten haben dürfte, sich gegen die gegen ihn wirkenden Kräfte - und damit meine ich nicht mich - zu behaupten und die noch junge Linie der Barone aus dem Hause Fadersberg zu Kyndoch aufrechtzuerhalten." Wunnemine nippte nachdenklich an ihrem Wein. Sprach sie zu offen? Egal, was wahr ist, darf und soll gesagt werden.  "Ich denke, sowohl die Kyndocher Lande als auch Ambelmund hätten von der regulären Erbfolge profitiert, und damit am Ende das gesamte Herzogtum!" Die Baronin von Ambelmund nahm erneut einen kleinen Schluck. Dabei beobachtete sie ihren Gegenüber sehr genau, gespannt, wie er zu Liafwin und ihr stand und sich hier positionierte. Ganz offensichtlich handelte es sich um einen Wunden Punkt bei der Ambelmunderin. In den Vergangene Monden, immerhin anderthalb Götterläufe, hatte er den Jungen kennen gelernt. Er war jung und es fehlte ihm an Erfahrung, doch gleiches galt oft auch für junge Erben die sich ihrer künftigen Pflichten wohl bewusst waren. Welche Hintergründe dazu geführt haben mochten, dass der Herzog nicht wollte das Wunnemine in Kyndoch herrschte, war allein seine Angelegenheit. “Es steht mir nicht zu, über die Entscheidungen seiner Hoheit oder seiner Hochwohlgeboren zu Urteilen. Als Angehöriger des Adels der Nordmarken, steht es Euch Hochgeboren, wie auch mir zu, ja sind wir verpflichtet dem Herzog mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wenn unser Rat hingegen kein Gehör findet, müssen wir wohl oder übel damit leben.” Es lag etwas entschuldigendes in den Worten des Kriegers, doch zugleich waren sie bar jeden Zweifels - sie waren Tatsache. “Ich für meinen Teil werde den Baron, sofern es in meiner Macht steht unterstützen. Nicht aus machtpolitischen Kalkül und nicht aus persönlicher Präferenz, sondern einzig und allein zum Wohle des Herzogtums. Ohne Euch dabei zu nahe treten zu wollen, Euer Hochgeboren, doch bin ich mir nicht sicher das Eure Annahme korrekt ist. Kyndoch ist groß, hat viele Bewohner und zugleich viele Probleme. Die individuellen Probleme seiner Bevölkerung, aber auch das allgemeine Problem der Flusspiraten. Eure Stammlande hingegen mögen nicht so reich an Einwohnern sein, doch stehen diese vor größeren Herausforderungen. Nordgratenfels geht nicht so freundlich mit den Menschen um, es fordert sie mehr, es bedroht sie täglich. Beide Baronien erfordert die vollständige Aufmerksamkeit seines Herrn, diese Aufmerksamkeit zu spalten wäre folglich zum Nachteil für beide. Denn ihr könntet Euch nicht vollkommen um ihre Probleme kümmern, ihr müsstet immer delegieren und darauf vertrauen das Euren Wünschen im fernen Kyndoch oder fernen Ambelmund entsprochen wurde.”  Wenn auch nur Junker, so gebot Otgar über mehr Einwohner als die Baronin und wusste wovon er sprach. Wunnemine nickte langsam, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, voll Bitterkeit, so dass es nicht ihre ernst blickenden, tiefblauen Augen erreichte. Otgar glaubte offensichtlich an das, was er sagte, das spürte und hörte man. Ein treuer Lehnsmann, wie ihn sich ein Lehnsherr nur wünschen könnte. Sie hätte einen guten Gefolgsmann in ihm gehabt. Jetzt steht er dem Bastard zur Seite, und sie konnte Otgar dafür nicht böse sein. Wie er hätte sie bis vor nicht allzu langer Zeit auch argumentiert. Hätte der Landgraf Alrik Custodias-Greifax, mit dem bereits ihr Vater im dauerhaften Clinch lag, sie um ihre Ansprüche gebracht, wäre sie ohne Zweifel auch wütend gewesen. Aber es hätte sie nicht derart getroffen. Mit diesem kleinwüchsigen Erbsenzähler aus Calbrozim jedoch hatte sie zuvor keinen Hader. Er hätte ihr Vorrecht anerkennen müssen. Am meisten hatte sie erschüttert, dass es letztlich der Herzog selbst war, der sich zugunsten dieses Niemands Liafwin und damit gegen sie entschieden hatte. Sie, die ebenso wie ihre Vorfahren dem Herzogenhaus - auch gegen ihren Grafen - stets die Treue hielt. Im Feldzug gegen Haffax tapfer an dessen Seite focht, wie ihr Vater allzeit bereit, gegen die Feinde des Reichs zu ziehen. Ambelmund mochte nicht so viele Einwohner zählen wie andere Baronien, über geringere wirtschaftliche Potenz verfügen und im Kriegsfalle weniger (dafür aber umso tapferer und verbissener kämpfende) Mannstärke aufbringen wie andere, aber es war dennoch stets eine Stütze des Herzogtums. Wäre Recht Recht geblieben, hätte dies nicht nur ihre Machtbasis und ihr Vermögen gemehrt, sondern am Ende auch den Herzog gestärkt. Das hätte dieser doch sehen müssen. Sie musste herausfinden, ob es Ghambir war, der sie in dieser Sache maßgeblich abserviert hatte - wer weiß, was er dem Herzog mitgeteilt, diesem eingeflüstert hatte - oder ob sie beim Herzog selbst in Ungnade gefallen war. Und warum. Vor allem dafür war sie hier. In erstem Falle bliebe die Baronie Kyndoch wahrscheinlich zwar immer noch für sie verloren, insbesondere ab dem Moment, ab dem Liafwin Nachwuchs hätte (bis dahin wäre sie nach ihrem Verständnis Erbin... aber was sagte ihr Rechtsverständnis in diesen Tagen schon?). Dafür würde sie dem Grafen des Isenhag ihr Leben lang grollen, aber am Ende wäre dies alles für sie zu ertragen. Falls jedoch der Herzog selbst sie fallen gelassen hätte, würde ihr dies gewissermaßen den Boden unter den Füßen wegziehen. Vieles in Frage stellen, woran sie geglaubt hatte... Otgars Worte über die Herausforderung, eine Baronie zu führen, waren nicht gänzlich falsch, doch sie waren offenbar geprägt von den Erfahrungen eines Mannes, der im Adelsrang aufgestiegen ist und sich, wie viele Neulinge, seinen neuen Aufgaben vor allem selbst stellte. "Ihr mögt Recht haben, dass die Verantwortung für zwei Baronien schwer wiegt und nur durch die Delegation von Aufgaben zu bewältigen ist. Doch trifft dies ebenso bereits für lediglich eine zu, in schwächerem Maße selbst für ein größeres Edlen- oder Junkergut. Auch in einer Baronie kann der Baron nicht überall gleichzeitig sein. Und allzuoft zwingen die Aufgaben einen, außerhalb seiner Ländereien zu weilen, sei es im Kriege, sei es im Zuge von politischen Aufgaben. Als Baronin müsst Ihr Getreue haben, die Eure Ländereien in Eurem Sinne führen und verwalten, denen Ihr blind vertrauen könnt. Diese sind mindestens so sehr die Basis Eurer Macht wie Eure eigenen Entscheidungen; ohne deren Fertigkeiten erreicht ihr wenig, egal wie fähig Ihr sein mögt. Eine solche Basis muss sich ein gänzlich unerfahrener Emporkömmling erst noch komplett schaffen, ich hätte auf eine solche zurückgreifen können, und um vortreffliche Kyndocher Edelleute wie Euch erweitern können. Beide Baronien wären zu ihrem Recht gekommen, das versichere ich Euch, und hätten mit einer Stimme sprechend ein hohes gemeinsames Gewicht erhalten." Ja, ihr treuer Leodegar hätte auch in Kyndoch einen vortrefflichen Vogt abgegeben, und Celissa von Tannenfels in dessen Nachfolge Ambelmund zweifellos in ihrem Sinne verwaltet.  "Doch es ist anders gekommen. Nun seid Ihr meinem unverhofften neuen Verwandten eine Stütze, und dafür sollte er sich glücklich schätzen!" Otgar hatte inzwischen vieles gelernt, hatte begriffen das man seinen Untergebenen Vertrauen entgegenbringen musste. Das tat er, dennoch hatte er auch gelernt dass selbst ein treu ergebener Gefolgsmann irgendwo auch immer seine eigene Ziele verfolgen würde. Es mochte einige, sehr seltene Ausnahmen der totalen Selbstaufopferung geben, doch ihre Zahl war gewiss zu vernachlässigen. Wunnemine von Fadersberg jedoch war zu entrüstet, zu enttäuscht um das Gute an der Situation zu erkennen. Er konnte gut verstehen, dass sie nicht so ohne weiteres über eine entgangene Baronie mit mehr als 9000 Einwohnern hinweg kam, doch dabei übersah sie was ihr vergönnt worden war.  Einen versöhnlichen Ton anschlagend versuchte Otgar ihr diese neuen, die positiven Möglichkeiten aufzuzeigen. “Ich möchte Euch nicht zu nahe treten, Euer Hochgeboren, dennoch möchte ich Euch - nennen wir es einen Rat - geben. Das Haus Fadersberg steht, ohne das ich dies Böse meinen Will, kurz davor zu erlöschen. Ihr habt einen Vetter hinzugewonnen, ein Familienmitglied um auch noch in kommenden Generationen die Barone von Kyndoch und Ambelmund stellen zu können. Grämt seiner nicht, denn auch er kann nichts für die Situation. Heißt ihn stattdessen in Eurer Familie willkommen! Trefft Euch mit ihm! Redet mit ihm! Bietet ihm Rat!”  Tatsächlich hielt Otgar überhaupt nicht für unmöglich das sie Gemeinsamkeiten fanden und gar ein treuer Vasall des Hauses Fadersberg künftig an den Baronshof kommen konnte. Er war ein gradliniger Mensch und hielt wenig von höfischen Intrigen. Eine ehrliche Konfrontation mit der Waffe in der Hand, dergleichen lag ihm. Allerdings war er sich auch nicht sicher wie es um den Hof des Barons bestellt war. Die alten Gefolgsleute des gefallenen Barons unterstützten seinen Erben, allerdings verfolgten sie - so zumindest seine Wahrnehmung - unbeirrt ihre persönlichen Interessen. Ein Gefolgsmann Wunnemines könnte das gefestigte Gefüge aufbrechen und alle wieder dazu bringen sich mehr um die Baronie, als um sich selbst zu bemühen.  Jetzt klang Otgar nahezu wie Leodegar, der ihr bereits gleiches anriet. Vielleicht - wahrscheinlich - hatten beide Recht. Aber sie war noch zu verletzt, zu aufgebracht und zu stolz, um den ersten Schritt auf den "neuen" Fadersberg, den Bastarderben zuzugehen. Jetzt zumindest. Vielleicht würde sich dies ändern, wenn sie erst Klarheit darüber hätte, wer genau sie um ihr Kyndocher Erbe geprellt hatte. Ob Graf Ghambir, der Herzog selbst oder doch jemand ganz anderes der Drahtzieher war. Wenn der ‘Schuldige’ ausgemacht und ihr Zorn mit Gewissheit das richtige Ziel träfe (und dies nicht dieser Liafwin sein sollte). Wenn sie ihre aktuelle Position gegenüber dem Herzogenhaus und im Gefüge des nordmärkischen Hochadels wieder bestimmt hätte. Wenn sich ihr Blick wieder unverstellt von dieser leidigen Angelegenheit nach vorne richten konnte. Dann vielleicht würde sie die Chancen auch erkennen wollen - wenn es denn welche gab - und beim Schopfe packen. Insgeheim hatte sie ja darauf gehofft, hier zum ersten Mal auf ihren "Vetter" zu treffen. Um ihm ins Antlitz zu schauen und die Meinung zu sagen. Wenn Otgar Recht hatte, war es aber vielleicht besser so, dass jener nicht da war. Erstmal musste sie ein Wörtchen mit Ghambir gesprochen haben... "Keine Sorge, ich bin nicht so vermessen, in guter Absicht gesprochenen Rat aus vertrauenswürdigem Munde - auch wenn dieser nicht hochadligen Geblüts sein sollte - als Anmaßung und Beleidigung abzutun. Ein guter Herrscher sollte immer ein offenes Ohr für guten Rat haben - auch wenn er seine Entscheidungen selbst treffen und verantworten muss. Insofern danke ich Euch für Eure aufrichtigen Worte, Wohlgeboren! Ich hoffe, der neue Baron der kyndocher Lande denkt genauso. Mein treuer Vogt hätte ihm sicher geraten, dass sich ein neues Familienmitglied in seinem Hause vorstellen sollte... Vielleicht hört er ja auf Euren Rat." Zu einer größeren Geste war sie noch nicht gewillt, ja, derzeit noch außerstande. Wer weiß, wie sich die Sache nach dieser Reise darstellen würde… Eventuell hätte ihr Vogt ihr diesen Rat erteilen oder sie ihn befolgen sollen, egal was von beiden es hätte die Situation sicherlich entschärft. Das der neue Baron nicht direkt nach seiner Bestallung in den hintersten Winkel von Nordgratenfels reisen wollte um dort eine wütende Verwandte zu besuchen, war sicherlich leicht zu verstehen - hatte er doch mehr als genug damit zu tun sich in seine neue Aufgabe einzugewöhnen.  “Ich werde mich bemühen dem Baron zur Seite zu stehen, alles andere liegt in seiner Hand.” Die Baronin nickte dem Junker von Ostendorf gemessen zu. Eine ebenso gebührende wie wohlfeile Antwort eines Lehnsmanns, der wusste, was sich gehörte. Sie lächelte und erhob den Kelch in Richtung Otgars, um einen weiteren Schluck Wein zu nippen und ihre Zunge umschmeicheln zu lassen. Ein guter Tropfen. Was sie am Süden des Herzogtums besonders schätzte, war das im Vergleich zu ihrer Heimat weitaus bessere Weinangebot... Hätte Rahja mehr Einfluss auf ihr Sinnen und Handeln, ja wäre die liebliche Göttin imstande, Rondras Zürnen in ihr ob der empfunden Ungerechtigkeit zu besänftigen, hätte sie alleine schon des Rebensaftes wegen die familiären Bande gen Kyndoch stärken wollen... stand sie aber nicht... Trotzdem zuckten bei diesem Gedanken ganz kurz und kaum bemerkbar ihre Mundwinkel. Nach kurzer Stille, die sie aber nicht als unangenehm empfand, richtete Wunnemine wieder das Wort an Otgar: "Ihr seid bereits etwas länger hier im Lager. Sind außer Eurem noch andere Häuser aus den Kyndocher Landen hier? Und wie steht es um Vairningen? Hat weiterer Nordgratenfelser Adel den weiten Weg hierher auf sich genommen? Und sagt..." sie legte eine kurze Pause ein... "habt Ihr Euren Grafen bereits zu Gesicht bekommen?" Sich in seinem Stuhl zurücklehnend überlegte Otgar einige Augenblicke, eh er der Baronin antwortete. "Sofern mir bekannt, obliegt es mir allein Kyndoch hier zu vertreten." Vermutlich war dies nicht das was Wunnemine hatte hören wollen, so wie er das bisherige Gespräch vermochte einzuordnen wollte die Ambelmunderin viel lieber negatives über ihren Vetter hören. "Und um Vairningen steht es meines Wissens nach gut. Die Baronin erfreut sich bester Gesundheit, Leben und Handel florieren und die Erbfolge ist gesichert. Von dieser Warte aus gibt es also nichts zu Beanstanden." Das seine Wölfe im letzten Spiel gegen die Schwalben eine Niederlage erleiden mussten, zählte wohl nicht zu den erzählenswerten Dingen. Da er allerdings nicht wusste welchen Weg die Baronin genommen hatte um Nordgratenfels zu verlassen, wusste er auch nicht ob sie im Gegensatz erst kürzlich dort gewesen war. Wenn, dann verfügte sich gewiss über aktuellere Informationen als er. Das Vea in den letzten Monden nicht in den Nordmarken verbracht hatte, darüber hatte gar der Greifenspiegel berichtet.  Aus seinen Gedankengängen zurückkehrend überlegte er kurz laut. "Auf Eure letzte Frage, …" rief er sich diese wieder ins Gedächtnis. "... tatsächlich komme ich auf direktem Weg von Burg Calbrozim." Dort hatte er für den Baron in Angelegenheiten der Baronie vorgesprochen, ob es was gebracht hat müsste sich jedoch erst noch zeigen. Bis auf ein kurzes ärgerliches Verengen der Augen überging Wunnemine die geflissentliche Anspielung des Junkers auf die nicht gesicherte Erbfolge ihres Geschlechts (zumindest verstand sie seine Bemerkung zum Haus Vairningen als solche). Dass jetzt bereits der Adel in den anderen Baronien darüber sprach, versetzte ihr gleichwohl einen Stich. Derzeit wäre Radulf von Lîfstein ihr Erbe. Wäre es wenigstens noch Bernhelm, an dessen Seite sie im Dohlenfelder Erbfolgezwist gestritten hatte oder ein Lîfsteiner seines, des alten ritterlichen Schlages, wüsste sie die Baronie nach sich in guten Händen. Aber mit dem inzwischen in die Jahre gekommenen, praiosfrömmelnden Magier Radulf war sie, obgleich dieser sich zumindest nach außen treu ergeben zeigte, nie warm geworden, und er wohl auch nie mit ihr. Vielleicht würde das traditionell enge Band zum Haus Lîfstein nach ihm wieder erblühen - falls es das ihre dann noch geben sollte, dachte sie düster. Sie verscheuchte die Gedanken und fragte bewusst gleichmütig klingend: "Wie lange reitet man von hier nach Calbrozim? Falls ich Ghambir hier nicht antreffen sollte, werde ich ihm einen Besuch zu Hause abstatten. Kennt Ihr den Grafen inzwischen besser?"  Ob Otgar von Salmfang ihr Zugang zum Grafen sein könnte? Eine Anspielung auf die aktuellen Lage in Sachen Erbfolge in Ambelmund hatte überhaupt nicht in Otgar Absicht gelegen, tatsächlich hatte er lediglich seiner Freude für die einstige Lehensherrin und Heimat zum Ausdruck bringen wollen.  “Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich Seine Hochwohlgeboren besser kenne. Nachdem ich auf Burg Calbrozim mein Anliegen vorgebracht habe, wurden einige Nachfragen gestellt und anschließend verwies man darauf sich für die Entscheidungsfindung Zeit nehmen zu wollen. Was letztlich das Ergebnis sein wird, werde ich vermutlich erst zurück in Kyndoch durch einen Boten erfahren. Was den Weg anbelangt muss ich gestehen, habt Ihr eine denkbar unvorteilhafte Ausgangsposition. Am besten versucht Ihr Euer Glück in Treuenbollstein, setzt über den Großen Fluss und reitet anschließend zurück zur Feste des Grafen - wobei Ihr sicherlich drei oder mehr Praiosläufe einplanen solltet.” Otgars Bericht bestätigte den Eindruck vom Grafen, den sie bereits sowohl nach ihren flüchtigen Begegnungen mit diesem als auch nach dem unerfreulichen Schriftverkehr in der Kyndoch-Sache sowie aus Erzählungen gewonnen hatte: zurückgezogen in der Abgeschiedenheit seiner Bergfestung hausend, und bedächtig bis behäbig, wie man nur sein konnte, wenn man so viel länger lebt, aber eben nur in Gängen und Höhlen, ohne die Neugier und Aufgeschlossenheit beispielsweise der elfischen Baronin von Rodaschquell... Alleine der Gedanke an den der Welt entrückten Zwergengrafen entfachte wieder ihre Lust, das Gespräch, ja den Streit mit Ghambir zu suchen, diesen in seiner Höhle der Behäbigkeit aufzustören. Wenn nur die liebe Etikette nicht wäre, immerhin war er Graf, und sie nur Baronin... sie würde ihr Temperament zügeln müssen. Jedenfalls zerstob nach dem Bericht Otgars zusehends ihre Hoffnung, den Zwergen hier noch zu erwischen - wenn selbst die Gesandten seiner Barone mehr als eine Woche Reise auf sich nehmen mussten, um vorzusprechen, obgleich sie nun auf der selben Festivität weilen... aber wer weiß. Wunnemine verzog das Gesicht: "Nochmal eine ordentliche Strecke, also. Ich werde dann auf jeden Fall versuchen, seine Hochwohlgeboren noch hier zu sprechen. Vielleicht zeigt der Graf sich zu den Feierlichkeiten - immerhin soll dieses Ereignis ja der Völkerverständigung dienen. Wie schätzt ihr, stehen die Chancen dazu?"  Welche Chancen die Baronin hatte, konnte Otgar beim besten Willen nicht sagen und so machte er auch keinen Hehl aus seiner Unkenntnis. “Es tut mir Leid Hochgeboren, doch das kann ich Euch nicht sagen. Während ich am Hof des Grafen weilte, kamen mir keinerlei Gerüchte diesbezüglich zu Ohren.”  “Dann werde ich die Sache einfach mal auf mich zukommen lassen." Wunnemine leerte ihren Becher und erhob sich. “Ich werde noch unser Lager inspizieren, bevor sich die Dunkelheit ganz über das Lager senkt und ich es nicht mehr finde. Habt Dank für den Wein und das angenehme Gespräch, Wohlgeboren. Wir können unser Gespräch in den nächsten Tagen sicher fortsetzen.” Je nachdem, ob und was sich zwischen ihr und dem Grafen ergeben würde, könnte ein weiteres Gespräch mit Otgar interessant werden. “Nichts zu Danken und viel Erfolg auf Eurem Rundgang und natürlich der Jagd.” Wünschte der große Krieger, während er den Weinkelch zum Gruß erhob. 

In die Dunkelheit

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Die Sonne war bereits zur Gänze untergegangen und Dunkelheit hatte sich über das Zeltlager inmitten des nilsitzer Waldes gelegt. Nur vereinzelt entfachte Feuer oder Fackeln, die in gusseisernen Haltern an der Jagdhütte befestigt waren, erhellten die Szenerie. Schreie von kleineren, nachtaktiven Greifvögeln waren ebenso zu vernehmen, wie Gesprächsfetzen von zwischen den Zelten zusammensitzenden Gruppen von Menschen und Zwergen. Der Obrist der Eisenwalder war zu jener Stunden dabei einen Rundgang am Rande der großen Lichtung zu machen, um die Wachposten seiner Soldaten zu inspizieren und um die Einteilung der Nachtwache zu kontrollieren. Auf dem Rückweg zur Jagdhütte wählte Dwarosch jedoch nicht den direkten Weg, sondern strebte dem Zelt eines bestimmten Gastes entgegen. Vor dem Zelt mit dem Wappen auf dem ein aufsteigender Rabe abgebildet war blieb er stehen und hob seine Fackel, so dass ihr Schein durch die Plane hindurch zu sehen sein musste. “Wer da?” Der Ruf einer jungen Frau, unschwer erkennbar als eine Knappin mit Wachdienst, voller Ernst in der Erfüllung der ihr übertragenen, gewichtigen Aufgabe, rief aus dem Schatten neben dem Zelteingang, verstummte dann aber wie auf einen unhörbaren Befehl. Einige Herzschläge lang herrschte Schweigen, und mit einem Zischeln des Windes drang der leise, fragende Ruf eines Käuzchens ins Lager. “Was sucht Ihr?”  Scheinbar direkt neben dem Oberst standen die Worte im Dunkel, ruhig und gelassen wie die Nacht selbst. Eine Bewegung, vielleicht fünf Schritt oder mehr, hinter dem Oberst offenbarte den Sprecher, eine schwarze Robe vor dem lichtlosen Hintergrund des nächtlichen Waldes. “Euch”, antwortete Dwarosch ruhiger, als es die Situation erahnen lassen würde.  Der Oberst drehte sich langsam zu Lucrann von Rabenstein um und lächelte. “Ich hoffe es ist keine Schlaflosigkeit, die euch nach Anbruch der Nacht noch hier draußen umherwandern lässt. Dies könnte man aufgrund eurer Berufung noch als schlechtes Omen auffassen. Euer hochgeborene Gnaden.”  Bei dem letzten, besonders betonten Wort wurde Dwaroschs Lächeln noch breiter. Der Rabensteiner bedachte diese mit Schweigen. Er trat vollends in den Lichtkreis der Fackel und musterte den Zwergen mit ruhigem Blick. Er trug tiefschwarze Tuchrobe nebst hohen Stiefeln, während an seiner Seite wie selbstverständlich der Waffengurt mit Rapier und Linkhand hing - beides schlichte, unverzierte Waffen aus geschwärztem Stahl, für den Gebrauch bestimmt, nicht für die Repräsentation. “Und weshalb?” Seiner gelassenen Stimme ließ sich nicht entnehmen, ob - und falls ja, wie - er die Spitze des Oberst gewertet hatte. “Ich weiß, dass das es zwischen euch und mir gewisse Differenzen gibt wegen Marbolieb”, begann der Oberst überraschend offen. Dwarosch war bemüht um einen möglichst neutralen Klang seiner Stimme, blieb ruhig und eher sachlich. “Das ändert aber nichts daran, dass ich euch wegen eurer Taten schätze und ebenso respektiere. Wir begehen am Tag des Isenhager Donnergrollens eine Trauerfeier zu Ehren der Gefallenen des vergangenen Feldzuges im neuen Kortempel Senaloschs.  Ich möchte euch zu diesem Veteranentag einladen.” “Gern. Habt Dank.” Der Einäugige nickte, nicht gewillt, mehr Worte denn nötig daran zu verschwenden. Er würde kommen - und sei es nur, um den Kult des Schwarzen Panthers in seiner unmittelbaren Nachbarschaft näher ins Auge zu fassen. Einige Atemzüge lang begnügte er sich damit, den Oberst schweigend zu betrachten. Doch die Einladung war nicht der Grund für den Besuch des Oberst - das wusste dieser so gut wie er selbst. Doch ebenso offensichtlich war der Angroscho nicht bereit, damit herauszurücken.  Der Boroni hob eine Augenbraue, eine klare Aufforderung, zum fraglichen Punkt zu kommen. “Eines noch”, war es schließlich der Oberst, der das Schweigen durchbrach.  “Ich möchte euch bitten, Marbolieb die Möglichkeit zu geben, noch einige Götternamen in Senalosch zu verbleiben.  Die Blindheit ist ein schweres Los, auch wenn einige innerhalb der Kirche des Ewigen geben mag, die es als göttliches Zeichen, als eine Art fremdbestimmtes Gelübde auslegen würden. Doch Marbolieb ist noch jung, und sie hat ein Kind. Lasst sie zu Kräften kommen. Die Küche im Hause des Vogts tut ihr gut. Dort ist sie unter Freunden. In Calmir ist sie auf sich allein gestellt.” Dwarosch seufzte und Lucrann erkannte aufrichtige Sorge in den Zügen des Zwergen. “Ich glaube, sie ist noch nicht so weit, auch wenn sie sich das nicht eingestehen will.” “Eure Einschätzung.” Mehr Festellung denn Frage, die der Rabensteiner da traf. Fast glaubhaft war die Sorge des Oberst und der Boroni unterdrückte den Impuls, den Kopf zu schütteln.  “Nun gut. Behaltet sie bis zum Herbst in Senalosch. Wir sprechen, ehe der Winter die Pässe schließt.” Er hatte während seiner gesamten Aussage den Oberst nicht aus dem Auge gelassen - still und kalt war sein verbliebenes Auge, schwarz vor der Finsternis der Nacht. An eine Schlange erinnerte er, die nur anscheinend ruhig und still ihre Umgebung betrachtet, gespannt lauernd, wann sich ihr Opfer bewege. “Benötigt ihr noch Barschaft für Ihre Versorgung?”  Streng genommen war die Frau noch immer die Priesterin seines Tempels und er für ihr Auskommen verantwortlich. Offensichtlich war der letzte Beutel Münzen, dem er dem Angroscho im vergangenen Sommer dafür übergeben hatte, mittlerweile aufgebraucht. “Nein, ich sorge für die beiden.” Die Worte kamen entschieden, dies änderte jedoch nichts daran, dass die Stimme des Oberst bei der Antwort weiterhin ruhig blieb und keine Spur von Unwillen oder Groll zeigte.  “Herbst.” Dwarosch nickte bedächtig und bestätigte damit die gesetzte Frist. Es schien, als habe er sich nun auf die wortkarge Art seines Gegenübers eingestellt. “Habt Dank!” Der Oberst straffte sich und wandte den Blick kurz in Richtung des Weges zurück zur Jagdhütte, nur um dann seinerseits eine Feststellung zu machen. “Damit wäre wohl alles gesagt. Möge Bishdariel euch angenehme Träume senden.” “Euch desgleichen, Oberst. So er euch Träume sendet.” Was bei einem zwergischen Dickschädel selten war - wenngleich nicht unmöglich, wie er in den vergangenen Götterläufen über den Oberst erfahren hatte.  Sein Nachtspaziergang hatte sein Ende gefunden - vorerst. Inzwischen war die Knappin ganz sicher wach, aufmerksam - und im Besitz riesengroßer Ohren. Mochte es ihr zu Nutz' und Frommen gereichen. Er betrachtete die untersetzte, kompakte und von dannen schreitende Gestalt des Zwergen. Eigenartig waren die Wege der Zwölfe - und bewiesen doch einmal mehr, wie aus Krieg Leben erwachsen konnte. Er wandte sich ab und trat zurück in die Dunkelheit, aus der er gekommen war, leise und ein bloßer Schatten vor der  tiefen Finsternis des nächtlichen Bergwaldes.

-- Main.IseWeine - 14 Jun 2020