Nilsitz Jagd Der Morgen Danach

Kapitel 10: Der Morgen danach

Der Morgen danach (7. Ingerimm)

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Rotkehlchen und Singdrossel hatten ihren morgendlichen Gesang längst begonnen, als die letzten Gäste ihr Haupt zur Ruhe beteten. Die fleißigen Bediensteten waren da bereits dabei das Frühstück für andere vorzubereiten, die eher Ruhe gefunden hatten. Nur langsam, fast zögerlich füllte sich die große Halle der Jagdhütte. Der Geruch nach Gerstensaft und würzigem Tabak war trotz dem offenstehendem Doppeltor und der vielen kleinen, geöffneten Fenster nicht gänzlich gewichen. Die große Tafel und die Halle an sich waren wieder in einem vorzeigbaren Zustand.  Für die ersten Hungrigen hatten die Mägde Körbe mit noch dampfendem Brot und Holzteller voller Käse auf der Tafel platziert. Wer sich setzte wurde aber auch sogleich nach seinem Begehr gefragt. Es gab Butter, Schmalz und Schinken. Eine lokale Spezialität war der Beerenkompott aus Tannenbruch, einem Dorf der Vogtei, welcher diejenigen zufriedenstellte, die morgens gerne etwas Süßes auf ihrem Brot aßen.

Im Zeltlager der Wolfstrutzer

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Draußen schien bereits die Sonne als Rondradin die Augen aufschlug. War es schon so spät? Stöhnend setzte der Geweihte sich auf. Er musste zuviel getrunken haben, denn er konnte sich nicht erinnern wie er hier gelandet war. Plötzlich vernahm Rondradin von rechts ein protestierendes Gemurmel und er wandte den Kopf um  zu sehen, wer da gesprochen hatte. Ihm den Rücken zukehrend lag eine kleinere Gestalt neben ihm im Bett. Einzig das lange kupferrote Haar, welches sich über die nackte, schneeweiße Schulter ergoss, gaben Hinweise darauf, wer es sein könnte. Vorsichtig beugte Rondradin sich zu der Schlafenden hinüber und sah Geldas liebreizendes Gesicht. Bei Rahja, im Schlaf wirkte sie nochmal so schön. Sanft küsste er erst ihre Schulter und wanderte dann küssend über den Nacken den Hals hinauf. Mit einem verschlafenen "Guten Morgen, Rondradin", verkündete sie schließlich, dass auch sie aufgewacht war. "Wir müssen aufstehen, die anderen warten sicher schon auf uns", säuselte er in ihr Ohr, auch wenn es ihm nichts ausmachen würde, einfach hier zu bleiben und stattdessen mit Gelda Zeit zu verbringen. "Wir könnten auch hierbleiben und uns eine Ausrede einfallen lassen", meinte Gelda und rollte sich herum, bis sie rittlings auf Rondradin saß. Ihr Hände lagen auf seiner Brust und sie drückte ihn fest zurück, als er Anstalten machte sich aufzurichten. Rondradin schluckte als er gewahr wurde, dass die Frau auf ihm nackt war und nur eine Wolldecke ihrer beiden Körper voneinander trennte. Zärtlich nahm sie sein Gesicht in seine Hände. Strähnen ihres Haares kitzelten seine Nase , als sie sich zu ihm herabbeugte. Ihre Lippen waren nur einen Herzschlag von seinen entfernt, als sie ihm tief in die Augen sah und ein fragendes "Tapfen? Gobbihobb?" entgegen hauchte. Ruckartig setzte sich Rondradin auf und sah sich verstört um. Durch einen Schlitz im Zelt konnte er sehen, dass die Praiosscheibe gerade aufging. Schnell warf er einen Blick nach rechts, aber da war niemand. Wie auch? Es war nur ein einfaches Feldbett. Nur ein Traum, dachte er bei sich. Den Zwölfen sei Dank, Maura von Altenberg hätte ihn wahrscheinlich gevierteilt und sein Onkel gleich ein zweites Mal. 

Die Altenberger

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Die junge Gelda von Altenberg war schon eher auf, als ihre beiden Verwandten. Der Abend gestern war aufregend gewesen und sie hatte auch etwas zuviel von Bier und Wein getrunken. Noch immer merkte sie den leichten Kopfschmerz. Allerdings war sie zu aufgeregt auf die kommende Jagd, um den Schmerz sie daran abzuhalten. Sie war schon recht früh auf, hatte einige Leibesübungen hinter sich und saß nun beim morgendlichen Mahl. Die geübte Jägerin hatte jetzt wieder ihre grüne Jagdmontur an, das Jagdmesser gegürtet und den Bogen nicht all zu weit abgestellt. Auf ihren Teller hatte sie ein Stück Brot, das sie mit einer dünnen Scheibe Käse belegt und mit einem Klacks Beerenkompott verziert hatte. Gelda war überrascht, das nicht mehr Gäste früher auf waren. Waren sie den nicht genauso aufgeregt wie sie? Während sie ihr belegtes Brot genüsslich kaute, beobachtete sie den Eingang, um zu sehen wer eintrifft. Sie konnte es kaum abwarten ihr Gefährten für die Jagd zu treffen.  Ein Frühaufsteher war auch Nivard. Sowohl aus Übung - bereits an der Herzöglichen Kadettenakademie hatten die täglichen Pflichten über weite Teile des Jahres noch zur nächtlichen Stunde gerufen, und als Geleitschützer geziemte es sich ebenfalls, noch vor seinen Schützlingen auf zu sein. Als auch als Folge der zurückliegenden Nacht - zuerst hinderten ihn, trotz der späten Stunde und der leichten Angetrunkenheit, die den Tag verarbeitenden Gedanken am Einschlafen und später die nachlassende Wirkung der geistreichen Getränke und die immer noch in seinem Geiste kreisenden Bilder am erholsamen Durchschlafen, so dass er seinem Hin- und Herwälzen ein frühes Ende bereitete. Gemessen daran machte der junge Krieger einen überraschend frischen Eindruck, als er in seiner jagdtauglichen Alltagsmontur die noch recht leere große Halle betrat und dort zu seiner Überraschung und Freude bereits Gelda ausmachte, noch ganz alleine. Schnurstracks hielt er auf sie zu: “Guten Morgen!” grüßte er sie leise, mit einem Lächeln und leicht errötenden Wangen, während er bereits seine Jagdutensilien abstellte. “Na, gut geschlafen? Treibt Dich die Jagdlust so früh von Deinem Lager?” “Guten Morgen, Nivard!”, sagte sie fröhlich zurück. Bewundert schaute sie sich ihn an. “Ich bin schon sehr gespannt. In Elenvina habe ich ja kaum jemand, der mit mir auf die Jagd geht. Ab und an kommt meine große Schwester Sabea mit. Allerdings fehlt es ihr an Geduld und Feingefühl. “ Gelda fühlte sich wohl bei dem jungen Krieger. Endlich jemand, der auf ihrer Wellenlänge zu sein scheint. Sie biss nochmals vom Brot ab und erwartete den nächsten Jagdgenossen.  Der nächste Bekannte, den sie erblickte war Tharnax. Dieser kam mit pitschnassen und deswegen leicht tropfenden Haaren aus einem Durchgang neben dem der in die Küche führte und derzeit stark frequentiert war von den Bediensteten.  Der Bergvogt machte eine leicht verdrießliche Miene, als er der Frühstückstafel entgegenschritt. Welch ein Wunder, war doch der Zwerg einer der letzten Zecher in der großen Halle gewesen und hatte Bier und Gebrannten reichlich zugesprochen.  Gekleidet nur in eine Wildlederhose und ein weites, mehr oder minder korrekt geschnürtes Wollhemd, setzte er sich mit einem seufzten den beiden Menschen gegenüber. Die Frage eine Magd, ob er einen Wunsch habe beantwortete Tharnax mit einem knappen "Ferdoker", was die junge Zwergin kopfschüttelnd davoneilen ließ.  Erst dann kam er dazu das Wort zu ergreifen. "Angrosch zum Gruße. Wie es scheint hört ihr den Schmied nicht wie ein Geisteskranker auf den Amboss kloppen. Ihr beide seht recht frisch aus."

Nivard grinste in sich hinein, als Tharnax sich ein Bier zum Frühstück bestellte - wahrscheinlich brauchten die Zwerge dieses als Zielwasser. Er orderte bei der selben Magd zu deren Überraschung eine warme Ziegenmilch mit etwas Honig. "Ein bisschen mitgenommen bin ich auch, das dürft Ihr mir glauben, aber es geht schon wieder halbwegs. Nach dem Frühstück sind wir wahrscheinlich alle wieder hergestellt. Und ich glaube, wir werden nicht die einzige Jagdgruppe sein, die hier nicht gänzlich ausgeruht in die Wälder aufbricht." Er setzte sich Gelda gegenüber und machte sich zuerst über ein Butterbrot mit Beerenkompott und dann ein Schmalzbrot zum Schinken her. Für seine hagere Gestalt und trotz des üppigen Mahls des Vortages hatte er bereits wieder einen guten Appetit. Aber all die guten Sachen sollten nicht schlecht werden, und wer weiß, wann es zum nächsten Mal etwas geben würde, je nachdem, wie die Jagd lief.

Morgenmuffel

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Die Jagdgefährten wurden aufmerksam, als sie ein lautes "Autsch!" vernahmen, dass nach Doratravas Stimme klang. Als sie sich umsahen, erkannten sie die Gauklerin, wie sie in ihrer Straßenkleidung und mit etwas wirren Haaren zwei Tische weiter stand und sich die Seite rieb. Es sah so aus, als sei sie gegen die Ecke eines der Tische gelaufen. Schließlich setzte sie ihren Weg leicht humpelnd fort und ließ sich mit einem vernehmlichen Ächzen neben Nivard auf einen Stuhl fallen. Heute Morgen sah die Gauklerin nicht so aus, als wäre sie in der Lage, großartige Kunststücke zu vollführen. Vielmehr blickten ihre wässrig-blauen Augen eher trübe und ihr Gesicht konnte man fast schon als eingefallen bezeichnen. "Morgen. Was gibt's zu essen?" krächzte sie unbestimmt und mürrisch in die Runde. In diesem Moment kam Borix herein. Er wirkte obwohl der mit Tharnax einer der letzten gewesen war und auch er dem Bier und Brannt eifrig zugesprochen hatte, frisch und munter. Gekleidet war wieder  - oder vielleicht auch noch - wie am Vorabend, ausgetretene Stiefel und abgewetzte Lederhose, darüber Kettenhemd und  den Wappenrock mit dem achteckigen Wappen von Ishna Mur auf der linken Brust. Quer über den Rücken hatte er eine Armbrust geschnallt, am Gürtel trug er einen Zwergenschlägel. Fröhlich winkte er zu dem Tisch mit “seiner” Jagdgruppe und setzte sich zu ihnen. Noch bevor ihn eine der herum eilenden Mägde nach seinen Wünschen fragen konnte, hatte er sich mit seinem Dolch eine dicke Scheibe Brot und ein ebenso mächtiges Stück Käse abgeschnitten und beginn freudig drauf los zu kauen. Mit vollem Mund fragte er in die Runde: “Seid ihr … hmm, lecker …. alle bereit heute die … das ist echt gut, oder? ... Trophäe des Jagdkönigs zu ergattern?” "Willens auf jeden Fall.” entgegnete Nivard, ebenfalls kauend, aber mit etwas weniger vollem Mund. “Wenn uns Firun und der heilige Kurim wohlgesonnen sind und das Jagdglück hold ist, kehren wir vielleicht tatsächlich als Jagdkönige zurück... Ihr müsst auch von dem Kompott hier kosten, sehr gut... aber wahrscheinlich kennt Ihr dieses... dass wir alle schon so früh hier und als erste Gruppe vollständig sind, erscheint mir schon mal als gutes Zeichen. Auf jeden Fall freue ich mich auf eine schöne und kurzweilige Jagd mit Euch!” Nivard hob seinen Becher mit gesüßter Ziegenmilch zum Anstoßen, musste aber feststellen, dass dies reichlich seltsam anmutete, und stellte diesen, in Richtung Gelda und Doratrava grinsend, direkt wieder ab.

Gelda setze einen besorgten Blick auf. “Alles in Ordnung mit dir, Doratrava? So wie du ausschaust, wirkt es nicht so, das du für die Jagd bereit wärst. Oder bist du einfach keine Frühaufsteherin?”  Dann drehte sie sich zu Borix um. “Da könnt ihr gerne noch ein Bier darauf trinken. Und ob ich  bereit für die Jagd bin!” Sie lachte. “Das wäre vielleicht nicht das Schlechteste”, antwortete der Zwerg mit breitem Grinsen, “aber die Nacht gab es genug zu trinken, da reicht mir die Ziegenmilch.” Nach diesen Worten prostete er mit seinem Becher Nivard zu. Doratrava seufzte und rieb sich erneut die Seite. “Hmhm…”, brummte sie. Gelda konnte das als Zustimmung auffassen, nur zu welcher ihrer Fragen?

Tharnax, der inzwischen sein Bier erhalten hatte und durstig trank, begann nach dem stillen seines Durstes damit, sich über den Käse herzumachen. Der Angroscho schien dabei eine Vorliebe für den besonders Übelriechenden zu haben, hier griff er kräftig zu. Brot aß er nur wenig.

Nach und nach entspannte sich die verdrießliche Miene des Bergvogts bis er sich schließlich auf seinem Stuhl zurücklehnte und herzhaft aufstieß. “Jetzt geht's mir besser”, verkündete er nun wieder sichtlich besser gelaunt, wobei er sich genüsslich den Bauch streichelte. “Aber ein Bier brauche ich noch”, sagte er mit einem Augenzwinkern und hob die Hand um selbiges zu ordern. “Sonst hab ich später eine zittrige Hand, wenn ich auf das Schwarzwild anlege.”

Die Gauklerin verzog das Gesicht, als der Gestank des von Tharnax bevorzugten Käses zu ihr herüber wehte. Ihr blasses Gesicht bekam einen leichten Grünstich, und sie musste ein wenig abrücken, um aus dem Einzugsbereich der Geruchswolke zu entkommen. Dann nahm sie eine Scheibe Brot und kaute lustlos darauf herum, die Lust auf Käse hatte sie verloren und für Wurst war ihr Magen noch nicht bereit. Als die Schankmagd das nächste Mal an ihren Tisch kam, krächzte sie nur “Wasser!”  “Ich nehm' noch ein Bier”, meinte Tharnax mit vollem Mund. “Zielwasser!” An Doratrava richtete er aufbauende Worte. “Keine Sorge Mädchen. Unterwegs werden wir all das ausschwitzen, was uns jetzt noch den Geist benebelt und die Glieder schwer macht. Glaub mir, das geht vorüber.”

Gelda griff nach einem Säckchen, das sie am Gürtel trug. Als die Schankmagd das Wasser und das Bier brachte, hielt sie es Doratrava hin. “Meine Muhme die Doctora hat mir das gegeben. Es soll gegen Kopfschmerz und Übelkeit helfen nach einem Trinkgelage. Das ist Brüllenfelser Salz. Eine Prise davon in dein Wasser sollte ausreichen.“ Doratrava sah mit trübem Blick auf und blickte Gelda verständnislos an. “Was? … Äh … nein”, schüttelte sie den Kopf, “Nein, nein, ich … bin nur müde. Ich … trinke normalerweise nie so viel, dass es mir am nächsten Morgen schlecht geht, weil es mir auch so schlecht genug geht, wenn ich so früh wie heute aufstehen musste. Ich konnte ja nicht einmal baden … zu wenig Zeit … zu viele Leute dort oben …” Erschöpft von diesen vielen Worten am frühen Morgen, fast noch in der Nacht für ihre Verhältnisse, hielt sie inne.

"In den Wäldern, bei Schwarzwild und Hirsch, brauchst Du nicht gebadet sein, keine Sorge. Ob gebadet oder ungebadet, mit dem Wind riecht uns das Wild so oder so." Nivard war auch etwas besorgt, Doratrava so fertig zu sehen. "Am besten packst Du Dir gleich noch etwas Wegzehrung ein, für ein zweites Frühstück, wenn Deine Lebensgeister zurückgekehrt sind. Sonst vertreibt Dein Magenknurren noch unsere Beute, auch gegen den Wind." Doratrava lächelte ein wenig gezwungen über Nivards Witz. “Ja … ja, das sollte ich wohl tun”, zeigte sie sich dennoch dankbar über seinen Vorschlag, denn so weit dachte sie jetzt am frühen Morgen noch nicht. Sie sah sich nach der Schankmaid um, damit sie ihre Wünsche kundtun konnte.

Nach ein paar weiteren Bissen fragte er Tharnax und Borix: "Sagt, wie weit muss man von hier in die Wälder ziehen, um auf die besten Jagdgründe zu stoßen?" "Der Wald ist hier so dicht und voller Wild, dass wir kaum würden lange gehen müssen um eine Fährte aufzunehmen”, antwortete Tharnax. “Wichtig wird jedoch sein, dass die Jagdgruppen alle in unterschiedliche Richtungen aufbrechen und erst mit der Jagd beginnen, wenn wir uns entsprechend weit entfernt haben, damit wir anstelle von Wild nicht irgendwann einen Menschen oder gar Angroschim vor Armbrust und Bogen haben, aber dafür sorgen die Jagdhelfer schon. Borindarax meinte, dass alle entsprechend instruiert seien.  Außerdem wird jeder von ihnen ein Signalhorn dabei haben, wenn wir aufbrechen. Falls wir etwas wirklich gefährlichem begegnen, sollen so die Gebirgsjäger gerufen werden. Diese stehen den Tag über in Bereitschaft. Der Oberst der Eisenwalder wird sie nötigenfalls persönlich ins Feld führen."

“Aber nicht nur deshalb sollten wir etwas als Wegzehrung einpacken”, stimmte Borix Nirvad zu, “denn wir werden erst wieder hierher zurückkommen, wenn die Jagd beendet ist. Und das wird vermutlich erst kurz vor Anbruch der Nacht sein. Und wichtig ist auch, dass ihr bequeme Schuhe habt, nicht dass ihr euch Blasen laufen, wenn wir den ganzen Tag durch den Wald rennen.” Schweigend hörte Doratrava den anderen zu, nachdem sie sich etwas zu essen hatte einpacken lassen. Als die in dieser Gruppe vermutlich Unerfahrenste, was die Jagd anging, versuchte sie trotz ihrer Müdigkeit alles an Ratschlägen aufzuschnappen, was sie hörte, man wusste nicht, wozu es gut war. Gut, bequeme Stiefel hatte sie, war sie doch auch sonst Meilen um Meilen zu Fuß unterwegs. Der Luxus eines Pferdes war ihr noch nicht lange vergönnt und zur Zeit stand ihres in Twergenhausen.

Gestern war ihr die Jagd noch wie ein lustiges Spiel vorgekommen, aber heute morgen war ihr durchaus ein wenig mulmig zumute. Heute musste sie vermutlich anwenden, was sie gestern gelernt hatte, und ein echter Keiler war vermutlich nicht ganz so nachsichtig wie ein Schubkarren schiebender Nivard. Unwillkürlich fröstelte sie leicht. Gelda hörte aufmerksam zu und bereitete sich noch ein Brot vor. Sorgsam holte sie ein Tuch aus einer ihrer Gürteltaschen, wickelte das Brot ein und verstaute es wieder. Sie erhob sich. “Die Edlen Herren, ich habe genug von dem Frühstück. Ich werde die Zeit noch ein wenig nutzen mich aufzuwärmen. Lange kann es ja jetzt nicht mehr dauern. Ihr findet mich vor der Hütte. Möchte sich jemand mir anschließen ?”, fragte sie in die Runde. Nivard schwankte kurz zwischen seinem inneren Drängen, ihr direkt zu folgen, und der Überlegung, ob er sich damit, sowohl gegenüber Gelda selbst als auch den anderen, wirklich einen Gefallen tat. Im Rückblick auf die Verarbeitung des gestrigen Abends obsiegte aber sein inneres Drängen. 

“Ich bin auch gut gesättigt und komme gerne mit.” Rasch packte er seine Ausrüstung und seine Tagesverpflegung zusammen und folgte ihr. Dabei hoffte er, dass die anderen vielleicht noch ein bisschen Hunger hatten. Oder noch zu geschafft für Ertüchtigungen waren. Doratrava schaute auf, als auch Nivard den Tisch verließ. Im ersten Impuls wollte sie folgen, denn auch sie brachte gerade nichts mehr hinunter, aber erstens kostete Aufstehend Energie und zweitens war ihr natürlich nicht entgangen, wie Nivard Gelda schon die ganze Zeit gestern angesehen hatte. Zu Neckereien war sie jetzt noch nicht aufgelegt, also sollten die beiden erstmal ohne sie ihren Spaß haben. Dann war sie zwar mit den Zwergen allein am Tisch, aber vielleicht schnappte sie dabei ja noch die eine oder andere nützliche Information zur Jagd auf.

“Ihr solltet wirklich etwas essen!” meint Borix kauend zu Doratrava, “Oder ist es nur die frische Luft, die Euch fehlt?”  Borix überlegte während der sich eine Scheibe Brot nach der anderen auf den Teller legte und diese üppigst mit Käse und Wurst belegte, ob er auch an alles gedacht hatte und ob er der Gauklerin noch einen Rat geben könnte, aber nachdem er seinen Tagesvorrat fertig auf seinem Teller liegen hatte, war ihm noch nichts weiter eingefallen. So wandte es sich dann an Tharnax: “Was wollen wir den zu trinken mitnehmen?” Dieser zuckte nur schmatzend mit den Schultern. “Ich dachte an nur ein kleines Fläschchen, welches sich gut verstauen lässt. Vielleicht brauchen wir ja etwas hochprozentiges zum Wunden reinigen.” “Na ja”, gibt Borix zu bedenken, “mit nur einem kleinen Fläschchen Schnaps kommen wir wohl nicht über den Tag. Was denkst Du daher ist besser Schläuche mit Wasser oder mit Ziegenmilch?” Und nach einer kleinen Pause fügt er grinsend hinzu: “Und natürlich ein bis zwei Fläschchen.” “Wasser brauche ich nur, wenn ich mich waschen will”, gab Tharnax lachend zurück. Doratrava rollte innerlich mit den Augen. Schnaps! Diese Zwerge waren unmöglich. Wenn sie zu viel trank, kam sie womöglich beim Tanzen ins Stolpern oder verfehlte bei Übungen mit Stangen einen Griff in drei Schritt Höhe - alles nichts, was sie freiwillig riskieren würde. Und war eine Jagd nicht genauso ein Anlass, wo man besser seine Sinne beisammen hielt? Sie gestand sich ein, hier nichts mehr über die Jagd, sondern höchstens noch über die ausgefeiltesten Trinktechniken der Zwerge hören zu können, also stand sie seufzend doch auf, schnappte ihr Essensbündel, nickte den Zwergen nichtsdestotrotz so freundlich zu, wie sie es am frühen Morgen auf die Reihe kriegte, und ging, um nach Nivard und Gelda zu suchen. Nochmals stieß der Bergvogt aus dem Kosch herzhaft auf, nur um sich daraufhin schwerfällig zu erheben. "Ich gehe mich rüsten und meine Armbrust holen. Treffen wir uns draußen um aufzubrechen?" 

Nochmals steckte der Zwerg sich ein Stück Käse in den Mund und begann zu kauen während er auf Antwort der anderen wartete.  Da die anderen schon am Aufbrechen waren, nickte Borix seinem alten Freund zu: “Ja, lass uns gehen, wir wollen nicht die Letzten sein, wenn die Jagd beginnt!” Er packte die Verpflegung für den Tag in die Tasche und nahm sich auch noch zwei volle Schläuche Ziegenmilch von einer der Mägde entgegen. Dann nickte er den übrigen Frühstücksgästen zu und ging nach draußen. Dort schaute er sich nach seinen Jagdgefährten um.

Katerstimmung im Zelt des Oberst

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Es wurde endlich Morgen - zumindest wurde es im Lager lauter. Viel geschlafen hatte sie nicht - und schon gar nicht gut. Nachdem sich der Abend gestern immer mehr in die Länge gezogen hatte, waren ihre Hoffnungen schließlich bis zu einer liebevollen Umarmung geschrumpft (dass Dwarosch sie nicht aus der Halle getragen hatte, hatte ein Teil von ihr sehr erleichtert zur Kenntnis genommen - während der andere Teil es ebenso heftig bedauerte). Doch nicht einmal diese hatte sie schlussendlich erhalten, statt dessen aber eine ordentliche Schelte über das Wesen der Götter und die Verfehlungen ihrer Diener.

Sie hatte nicht erwartet, dass Dwarosch der Segen der Zwölfe derart wichtig war - wusste sie doch von Anfang an, dass ein solcher für sie beide niemals im Rahmen des Möglichen gelegen hatte. Dennoch hatte sie Dwarosch ihr Herz geschenkt - vorbehaltlos. Und ihm damit wohl unbeabsichtigt die Aussicht auf einen Bund vorgetäuscht, den sie ihm nicht geben konnte. Die Geweihte drückte ihren Kopf in die Kissen und erstickte ein Stöhnen. Was hätte sie denn tun können? Sie war davon ausgegangen, dass auch Dwarosch wusste, dass beide niemals eine Familie mit dem Segen der Götter würden gründen können. Was hätte sie tun sollen? Weniger eine Frage, als die unangenehme Wahrheit, was sie hätte tun müssen. Es waren bloße Selbstsucht und Unmäßigkeit ihrerseits, die sie geheißen hatten, ihrem Herzen nachzugeben  und über einen Götterlauf lang in Senalosch bei ihrem Liebsten zu bleiben, obwohl sie wusste, dass ihre Pflichten und ihre Tempel auf sie warteten. Ihre Blindheit war ein so einfacher und willkommener Grund, sich vor diesen zu drücken. Und die Rechnung hatte der arme Dwarosch zahlen müssen, dem sie offenbar die ganze Zeit eine Hoffnung vorgehalten hatte, die sie nicht erfüllen konnte. Scham und Schande ergriffen Besitz von ihn und trieben ihr die Röte in die Wangen, während sie ihren Kopf noch tiefer in die Kissen drückte. Sie musste ihn um Verzeihung bitten. Schleunigst. Auch wenn ihr die Aussicht, sich von Dwarosch trennen zu müssen - früher oder später - schier das Herz zerriss. Sie nahm all ihren Mut zusammen und tastete in die Kissen neben ihr.

Er jetzt registrierte die Geweihte, dass es nicht ruhig im Zelt war und das sie wohl deswegen aus Bishdariels Umarmung entronnen war. Marbolieb vernahm den ihr wohlbekannten Klang von sich bewegendem, leicht klirrendem Kettengeflecht und übereinander schabenden Plattenteilen. Dwarosch rüstete sich. Eine Prozedur, die viel Zeit in Anspruch nahm, half ihm nicht sein Adjutant. Aber auch Marbolieb selbst hatte dem Oberst dabei oft geholfen. Ihre Blindheit hatte Dwarosch nicht gehindert, ihr zu zeigen, wo sie Schließen zu befestigen oder Schnüre zu binden hatte. Besonders die Kettenhaube bereitete dem Oberst einige Schwierigkeiten, musste das untere Stück, welches auf den Schultern, Brust und Rücken auflag, doch mit dem eigentlichen Kettenhemd verbunden werden, ein Unterfangen, das speziell im Nacken Beweglichkeit erforderte, die Dwarosch aufgrund ausgeprägter Muskulatur nicht besaß. Jeder andere hätte Schnüre und Schließen an diesen Stellen einfach offen gelassen, ging es wohl an diesem Morgen nur darum, einen Appell abzunehmen. Nicht jedoch Dwarosch. Für ihn galt es stets ein Vorbild an Pflichtbewusstsein für seine Soldaten zu sein. 

Marbolieb hatte selten so gefroren wie in dieser Nacht. Trotz der Bettpfanne. Nicht nur durch die Kälte der Nacht. Dennoch erwischte sie die eisige Morgenluft wie ein erneuter Schlag, als sie ihre bloßen Beine aus dem Bett schwang und ihre nackten Zehen den kalten Boden berührten. Die Geweihte streckte die Hände die die Richtung, aus der das Rasseln erklang, und tat einige vorsichtige Schritte, bis sie schließlich das kalte Kettengeflecht auf der bulligen Statur des Zwergen berührte. Sie trug nicht mehr als ein dünnes Leinenhemd, das nur bis zu den Knien reichte, ihre Schultern und Brüste umschmeichelte und ihre Arme freiließ. Über ihre Haut krochen feine Pusteln, als sie nach den Riemen tastete und wortlos begann, die Schnallen zu schließen.  Inzwischen war sie geübt darin, Dwarosch die Rüstung anzulegen.

Auch wenn sie in dem umgekehrten Vorgang so sehr viel mehr Übung besaß. Doch hier war der Mann darunter warm. Und lebendig. 

Sie trat einen weiteren Schritt nach vorn und legte die Wange an die Kettenglieder an seiner Schulter, kalt unter ihrer bloßen Haut, der Geruch ihres Liebsten vertraut und willkommen, die Riemen für diesen Moment vergessen.

Dwarosch hielt inne, als er Marbolieb und ihre Bemühungen ihm zu helfen registrierte. “Ich weiß”, setzte der Oberst mit einer dünnen, rauen Stimme an, “dass ich vergangene Nacht hätte feinfühliger sein sollen. Ich will dafür keine Begründung suchen oder aufführen. Es tut mir leid, Räblein.” Er seufzte schwer. “Meine Gefühle für dich sind stark und daran wird kein Gott etwas ändern, keiner - nicht Angrosch, nicht Kor und ganz gewiss nicht Travia. Ich bitte dich, lass sie keinen Keil zwischen uns treiben. Wir mögen ihnen durch gesellschaftliche Zwänge ausgeliefert sein in vielen Belangen unseres Lebens und ich zweifle weder ihre Macht, noch ihren Sinn für die Schöpfung an. Ich bewundere deine Berufung und habe selbst an Leib und Seele erfahren, was du durch die Kraft deines Herren vermagst, doch …”, kurz hielt Dwarosch inne, um die richtigen Worte zu suchen. “Niemand und nichts sollte zwischen Mann und Frau stehen, Götter und Glauben eingeschlossen.”

Die hinter ihm stehende Geweihte stand sehr still, als der Oberst sprach, schlang dann ihre Arme um seine breite Brust, grub ihre Wange in die harten Metallringe seines Kettenzeugs und hielt ihn so fest, wie es ihre Kraft erlaubte.  Dennoch kannte Dwarosch sie gut genug, um das verräterische Beben ihrer Schultern richtig einzuordnen. Warm und tröstend legten sich die kräftigen Hände des Zwergen auf die feingliedrigen Marboliebs und drückten sie sanft. 

"Streit gehört zum Leben Räblein, daran ändern Gefühle, die man füreinander hegt nichts. Sie machen es sogar manchmal noch schlimmer, eben weil man liebt.  Wichtig ist, dass man versucht miteinander zu reden und die Dinge, die einen Konflikt bergen, ausräumt. Noch bedeutsamer dabei sind das Vermögen sich einen eigenen Fehler eingestehen und dann um Entschuldigung bitten zu können." Langsam und darauf bedacht den Körperkontakt zu Marbolieb nicht abreißen zu lassen drehte sich Dwarosch um und barg dann, als er ihr zugewandt stand Marboliebs Gesicht in seinen Händen um sie zu küssen. Dabei bemerkte er zum ersten Mal, wie blass und kalt sie war.  "Beim Weißen Mann, du fühlst dich an wie ein Klotz aus Eis. Ein äußerst hübscher, aber eben wie Eis." Eiligst bugsierte Dwarosch Marbolieb zu seiner Reisetruhe, die in einer Ecke des Zeltes stand und legte ihr einen dicken Fellmantel um, der dort über dem polierten Holz der Kiste gelegen hatte. 

"Ich glaube, du solltest ein heißes Bad nehmen, wenn wir in die Wälder aufbrechen, Räblein. Dir scheint die Kälte hier draußen nicht zu bekommen. Borax schuldet mir eh mehr wie einen kleinen Gefallen." Sanft drückte er ihren zerbrechlichen Leib an sich.  In den warmen Umhang gehüllt schmiegte sich die kleine Geweihte an ihren Liebsten. In ihren Wimpern hing noch immer ein sehr verräterischer Tropfen. Dwarosch war ihr erster Liebster; der Streit vom vergangenen Abend das erste Mal, dass sie derart aneinander geraten waren. Sie schnüffelte, und fädelte eine eiskalte Hand zwischen Hals und Rüstung des Zwergen. Ihre Lippen suchten Dwaroschs zu einem süßen, sinnlichen und ausgiebigen Kuss, der kein Ende finden wollte. Aller Zweifel und Sorge der vergangenen, unschönen Nacht lag darin - und alle Zuneigung, Vertrauen und Verlangen, das sie mit diesem sturen, schwierigen und doch so überaus liebenswerten Mann verband. Marbolieb seufzte glückselig und machte keine Anstalten, den Oberst so rasch wieder freizugeben. Auch wenn er doch gerade zum Appell hatte gehen wollen.

Der Zwerg erwiderte ihren Kuss ohne Zurückhaltung, wie sie es gewohnt war. Dwarosch war leidenschaftlich, wenn es ihr bisweilen auch schwer fiel, diese in ihm verborgen liegende Hingabe zu wecken. Dies habe nichts mit ihr zu tun, sondern sei eine Wesenseigenschaft aller Zwerge, hatte ihr Topaxandrina, die Haushälterin des Vogts in Senalosch, einmal im Stillen anvertraut. “Die Geweihte der Rahja, mit der ich den Tanz wagte, gab mir ein Geschenk für dich”, flüsterte Dwarosch in Marboliebs Ohr, als sich ihre Lippen trennten. “Wenn die Jagd und das Fest vorbei sind, wirst du in seinen Genuss kommen.” Marboliebs Augen leuchteten auf Dwaroschs Versprechen hin auf. Sie schmiegte ihre Wange an ihn und verstärkte ihre Umarmung. Der Oberst spürte ihren raschen, kräftigen Herzschlag unter ihrer kühlen Haut. Ihre Finger, die wie ein Guss Eiswasser über seinen Nacken gekrochen waren, erwärmten sich - langsam.  “Ich möchte zusammen mit dir baden.” flüsterte sie an seiner Wange und ging auf sein großzügiges Angebot ein.

“Heiße Bäder sind für Adlige und Reiche - dürfen wir das?” Indes, die Aussicht war fast noch besser als die versprochene Überraschung. Ihr letztes ausgiebiges warmes Bad war schon lange her - sehr lange. Der Aufwand, genug Wasser für ein Bad zu erhitzen, war immens und verbrauchte enorm viel Feuerholz, Zeit und Wasser - viel mehr als das Bad dauerte. Diesen Aufwand hatte sie in ihrem Tempel in Calmir genau ein einziges Mal versucht - und dann aus gutem Grunde nie wieder. Dennoch zauberte allein die Aussicht auf diesen Luxus ein verklärtes Lächeln auf ihr Gesicht. “Und ob wir das dürfen, Räblein”, antworte Dwarosch weiterhin im leisen Ton. “Der Gefallen wird halt nur etwas größer ausfallen. Lass das nur meine Sorge sein. Borax ist nicht umsonst mein bester Freund. Heute Abend”, fügte er nun wieder energischer, aber im nicht weniger vertraulichem Ton an, “wenn alle anderen in der Halle schmausen, werden wir zwei uns im Baderaum einschließen und unsere eigene, kleine Feier haben.” Als Antwort schmiegte sich die Geweihte enger an Dwarosch. Er konnte sehen, wie eine merkliche Röte über ihre Wangen kroch, zusammen mit einem verschämten, vorfreudigen Strahlen, das ihre Züge von innen erleuchtete. Einige Atemzüge lang kostete sie die verheißungsvolle Aussicht aus, während ihre Nägel probehalber über seinen Nacken fuhren. Dann gewann ihre pragmatische Seite wieder die Oberhand. “Und Mirla?” flüsterte sie in sein Ohr, ihre Lippen eine federleichte Berührung in seinem Haar. Irgend jemand sollte auf das Kind aufpassen … aber aus ganz eigensüchtigen Gründen wollte sie ihr Töchterchen bei diesem Bad doch lieber nicht dabei haben.

Als hätte das Mädchen gehört, dass von ihm die Rede war, hob sich aus dem dichten Nest aus Laken ein verstrubbelter, kleiner Kopf. “Dado?” fragte eine verschlafene Kinderstimme. “Gobbihopp?” Dwaroschs Brustkorb bebte leicht während er leise lachte. “Sie hat dich gehört, Räblein. Ich glaube sie würde am liebsten mit in den Zuber.  Hmmm”, brummte der Oberst, als er nachsann, wie sie etwas Zeit für sich erlangen konnten. Die Lösung des Problems indes folgte rasch. “Ach, wozu habe ich einen Adjutanten?” Eine rhetorische Frage, bei der Marbolieb an Dwaroschs Stimme erkannte, wie breit er grinste.  “Borin ist pfiffig, er kriegt das hin und Mirlaxa wird schon artig sein.” Nun lachte Dwarosch herzhaft. “Armer Borin.” murmelte Marbolieb und begann, das Naheliegende zu tun - sie liebkoste das Ohr ihres Liebsten mit federleichten Lippen und biss sanft zu, als dieser sich zu Mirla umwandte. Gut, dass sie die Schließen an der Kettenhaube noch nicht vollständig geschlossen hatte - das eröffnete gänzlich neue Wege … .  “Dado!” Ein entschiedener und bestimmender Tonfall, dieses Mal. “Ham!” Entschlossen machte Mirla sich daran, aus dem Bett zu klettern. “Gobbihopp?” setzte sie fragend und sehnsuchtsvoll hinterher. Marbolieb lauschte auf die beherrschende Konkurrenz aus eigenem Hause, lächelte versonnen, und erkundete mit ihrer Zungenspitze eine Stelle, von der sie ganz genau wusste, wie kitzlig der massige Zwerg dort war. Mit ein gutturalem Knurren bedeutete der Zwerg, wie sehr ihm die Bemühungen gefielen, die die immer noch unter dem Pelz leichtbekleidete Frau unternahm, um sich seiner vollen Aufmerksamkeit gewiss zu sein. Gleichzeitig jedoch war er sich seiner Pflichten nur allzu bewusst.

"Du weißt, dass ich gehen muss, Räblein", sprach er nun wieder leiser, bedauernd, aber dennoch mit einer Spur von Humor in der Stimme. "Es tut mir wirklich leid, aber ich werde erwartet. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, das Mirlaxa nach diesem ausgedehnten Schläfchen einen Bärenhunger hat. Und du solltest auch etwas essen und dir dabei einen Platz in der Nähe des Kamins suchen." Nochmals küsste er sie. "Heute Abend bin ich ganz der Deine." Marbolieb schnurrte vor Wohlbehagen, erwiderte den Kuss und schmiegte sich an die muskulöse Gestalt des Zwergen. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Nähe, einige Atemzüge lang, ehe sie sich mit einem sehnsüchtigen Seufzen widerstrebend löste und begann, nach den letzten offenen Schnallen der Halsberge zu tasten, um diese ordnungsgemäß festzuziehen. Mirla kannte derlei Zurückhaltung nicht. Sie baute sich vor Dwarosch auf, strahlte ihn aus riesengroßen, dunklen Augen mit all der Glückseligkeit an, zu der ein kleines Kind nur irgend fähig war, und streckte dem Oberst die Arme entgegen. “Dado! Auf!” befahl sie.

Erneut lachte der Zwerg, dann beugte er sich zu dem kleinen Mädchen hinab und kam ihrer Aufforderung nach sie hochzuheben. Dabei ließ er sie mit Schwung in die Luft fliegen, nur um sie daraufhin so aufzufangen, dass ihre kleine Nase die seine berührte und sie sich in die Augen sahen.  "Sobald wir wieder in Senalosch sind, habe ich wieder mehr Zeit für dich, Mirlaxa. Und auf dem Weg zurück darfst du wieder vor mir auf dem Pony sitzen", versprach Dwarosch dem kleinen Mädchen, bevor er sie in Marboliebs Arme übergab.  "Ich schicke euch auf dem Weg zum Appell eine der Bediensteten herüber, die euch behilflich ist beim Ankleiden und zum Frühstück zu gelangen.  Bevor wir in den Wald aufbrechen, komme ich mich verabschieden."  Als Antwort tastete die Geweihte nach Dwaroschs Hand und drückte diese fest. Aus ihren Augen leuchtete die Vorfreude auf den Abend, und ihre Wangen waren noch immer sachte gerötet. Sie hoffte inniglichst, dass das gemeinsame Bad wirklich zustande käme - noch erschien ihr der Gedanke viel zu schön, um Wirklichkeit zu werden.

Zwei Freier sind einer zuviel

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Gelda schlenderte über den Übungsplatz, griff sich einen Übungsspeer aus einer Halterung und begann mit diesem zu üben. So viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Sie hatte viel erwartet von dieser Reise, nicht aber, dass ihr Männer den Kopf verdrehten. Wie konnte das nur passieren? Männer waren eigentlich immer nur ein Thema ihrer großen Schwester Sabea. Bis jetzt hatte sie keine Interesse an ihnen. Jedenfalls nicht im romantischen Sinne. Doch der gestrige Abend war anders. Da war einerseits Nivard, mit dem sie sich so natürlich einfach verstand und andererseits Rondradin, mit dem sie eine merkwürdige, anziehende Begegnung hatte. Beide Männer spukten seitdem in ihrem Kopf herum. Als sie den Speer herum wirbelte und eine Attacke vortäuschte, stand plötzlich Nivard vor ihr.  Nivard war Gelda nur mit kurzem Abstand gefolgt. Gerne hätte er sie noch auf dem Weg eingeholt, doch legte diese, wenngleich es wie ein Schlendern wirkte, einen strammen Schritt vor. Oder war der seine gehemmt? Andererseits konnte er sich so noch ein wenig zurecht legen, was er ihr sagen wollte. Doch je länger er ihr folgte, desto unsicherer wurde er, wie er sich Gelda gegenüber ausdrücken sollte. 'Seid ein Mann, kein Lappen...' Ihm wurde klar, dass profane Worte nicht zu vermitteln vermochten, was ihm auf dem Herzen brannte. Ein Gedicht, ja nur ein Gedicht würde seiner Zunge die Flügel verleihen, seine Gefühle zu tragen…

Erstes Begegnen –, glückliche Stunde! Da ich Dich sah, war ich selig verloren, Alle Gedanke sind mit Dir im Bunde, Leib und Seele mit Dir verschworen, Nichts kann mich lösen aus Deinem Bann. Deine Schönheit und Güte, die haben's gemacht, Und Dein roter Mund, der so lieblich lacht.

Ich habe Sinne und Seele gewendet An Dich Gelda, Du Gute, Du Reine. Mag mein Sehnen werden vollendet, Was ich im stillen erhoffe und meine. Was ich auf Deren an Freuden gewann, Deine Schönheit und Güte, die haben's gemacht, Und Dein roter Mund, der so lieblich lacht.

[gar nicht so frei nach Walther von der Vogelweide]

Ja, das war es. Und da war Gelda endlich, sie hatte innegehalten. Sie waren alleine. "Erstes Begegnen –, glückliche Stunde!"  setzte Nivard, mit vor Aufregung zunächst brüchiger Stimme an. Fester setzte er fort:  "Da ich Dich sah, war ich..."  Geldas Speer zerteilte jäh die Luft knapp vor dem jungen Krieger, verharrte drohend zwischen ihnen. Erschrocken sah er sie an. War das ihre Reaktion auf sein poetisches Reden? Hatte er sich zu weit vorgewagt und wurde nun brüsk abgewehrt? Errötet verlor sich sein Blick und mit diesem alle Entschlossenheit in ihren grünen Augen. Erschrocken wiederholte sie seine Worte :” Da ich dich sah, war ich …?”. Gelda legte den Speer zur Seite. “Nivard, als Wildsau warst du nicht so still. Ich hätte dich fast getroffen!” Sie beruhigte sich wieder. “Was warst du, als du mich gesehen hast? Ich hoffe nicht enttäuscht von meiner Speerführung.” Aufmerksam schaute sie ihn aus ihren grünen Augen an. "Nein, ganz und gar nicht, nur..  selig verloren," vollendete Nivard, noch leicht benommen vor ihr und im Strudel der Ereignisse treibend, leise den seitens Gelda nur unvollständig vernommenen Vers. Für einen weiteren Moment stand er wie paralysiert vor ihr, während sein von Verliebtheit waidwundes Herz wie wild pochte. Seine Knie wurden weich und die nach oben drängenden Gefühle stauten so in seinem Halse, dass sie ihm die Kehle zuzudrücken schienen. Nivard senkte kurz den Blick: "Nur... ein... Gedicht, das ich Dir…"  er schluckte, "für Dich…," schließlich sammelte er nochmals all seinen Mut und sah wieder in Geldas bezaubernd grüne Augen, "also ich meine, möchtest Du es hören?"  “Ein Gedicht?”, kam die fragende Stimme von Elvan, der direkt hinter Nivard stand. “Ich wußte doch, das du was dichten würdest!”, sagte er laut und schaute seinen Freund an. Er ging an ihm vorbei und umarmte seine Kusine zur Begrüßung.  Gelda begrüßte diesen ebenfalls mit einer Umarmung. “Du hast lange geschlafen, Vetter” Sie schaute ihn an. Man konnte deutlich erkennen, das Elvan noch mehr Schlaf gebraucht hätte. Dann drehte sie sich wieder zu Nivard. “Ein Gedicht für mich? Nun bin ich aber gespannt.” Mit großen Augen schaute sie ihn dabei an, der Blick Elvans war eher als listig zu bezeichnen.  Nivard stöhnte innerlich auf - so sehr er sich sonst darüber freuen würde, seinen Freund Elvan zu treffen, so wenig konnte er ihn gerade hier gebrauchen. "Guten Morgen, Elvan, Du bist... auch schon auf? Obgleich Du nicht jagst?" Er wartete die Begrüßung der beiden jungen Altenberger ab. Irgendwie war es ihm in der Feenwelt des Flussvaters leichter gefallen, auch vor Zeugen aus sich heraus zu gehen. Aber hier? Vor den Augen Elvans seiner Cousine den Hof zu machen? Das konnte nur schiefgehen. Würde er all sein Herz in seine Worte packen können? Und wäre Gelda frei, ihren Gefühlen gemäß zu reagieren? Wahrscheinlich würde die Situation für alle drei nur peinlich. Und er wäre blamiert. Sein Mut drohte ihn zu verlassen. Er konzentrierte sich auf Geldas Augen und versuchte alles um sich herum zu vergessen, auszublenden. Nivard nickte auf Geldas Frage. "Für Dich." Er konnte nicht. "Aber vielleicht feile ich... besser... noch ein wenig an den Versen... es soll Dir wirklich gefallen… ich trage es Dir später vor..." murmelte er entschuldigend. Betreten sah der junge Krieger zu Boden. Gelda kniff ein wenig die Augen zusammen. “Nun gut. dann feile noch ein wenig … und erzähle es mir nach der Jagd?!”, sagte sie ein wenig fragend. “Und du Elvan, mach dich davon, sonst geben wir dir einen Spießrutenlauf!” Sie lachte auf. “Du hast recht, kümmert ihr euch mal um die Jagd und bringt ja was gutes wieder mit!” Elvan schlug Nivard auf die Schulter und lief dann Richtung Jagdhütte. Die Altenbergerin nahm den Tannenfelser an die Hand. “Los, lass uns Doratrava finden und die Jagd beginnen!” Auffordernd schaute sie ihn an.

“Eine große Spinne werden wir hoffentlich zu Deiner Gaumenfreude erlegen” rief Nivard Elvan hinterher. Dann spürte er Geldas Hand die seine greifen, und ein prickelnder Schauer lief ihm den Rücken hinab. Jagen war jetzt gar keine schlechte Idee, sie würden sich nahe sein, ohne dass es dazu großer Worte oder des Ringens mit der Etikette bedurfte. “Du hast Recht. Auf zur Jagd - dafür sind wir ja schließlich hier.” Wieder sicherer werdend lächelte er Gelda an. “Lass uns einfach los in Richtung Jagdhütte gehen, da kommen gleich alle zusammen. Vielleicht ist Doratrava ja schon da.”  Sie setzten gerade an, loszulaufen, als ihn doch noch einmal jäh der Mut überkam. Er bremste seinen eben erst aufgenommenen Schritt, Gelda noch immer an der Hand. “Du Gelda, magst Du mein Gedicht… vielleicht.. doch... gleich hören? Es ist eigentlich doch fertig, aber eben nur für Deine Ohren bestimmt.” Nun blitzte reine Neugier in ihren Augen. Sie lächelte. “Oh, na dann. Ich bin ganz Ohr.”, sagte jetzt etwas verlegen. Ihr grünen Augen musterten ihn und ihr Gesicht nahm eine rosige Farbe an. Gelda ließ seine Hand los und rieb sich dann ihren Oberarm. War sie etwas nervös? Ihr Blick schien an seinen Lippen zu hängen, als sie plötzlich an Nivard vorbei schaute und den Rondrageweihten Rondradin sah, der sich in ihre Richtung aufmachte. Ihr Gesicht wurde jetzt kräftig rot. Sie hob ihre Hand und winkte ihm zu. “Oh, hallo Rondradin … ähh .. ich meine Euer Gnaden!”, sagte sie etwas zu hastig. "Kein Streit mit Nivard. ich habe es nicht vergessen." wiederholte der Geweihte leise sein Versprechen an die sich neben ihm befindliche Doratrava, bevor er mit einem gut hörbaren "Rondra zum Gruß!" auf die beiden Jüngeren zu schritt. Doratrava nickte, hielt sich aber zurück. Das war eine Sache, die ihre Freunde unter sich ausmachen mussten, ohne dass sie mit ihrer unnachahmlichen Art, im ungünstigsten Moment unpassende Bemerkungen zu machen, alles durcheinanderbrachte. Obwohl das natürlich lustig wäre. Aber nein, dafür war zumindest den Männern die Sache zu ernst. Gelda konnte sie in dieser Beziehung noch nicht recht einschätzen. Das Beste war es wohl, erst einmal zu beobachten. Sie ließ sich also einen Schritt hinter Rondradin zurückfallen und versuchte, eine möglichst unverfängliche Miene aufzusetzen.  Für Gelda und Nivard mochte Rondradin so wirken, wie sie ihn kennengelernt hatten, selbstsicher und in sich ruhend. Doratrava hingegen vermochte eine gewisse Anspannung bei Rondradin zu erkennen. Das Gespräch mit Rahjania beschäftigte ihn noch immer. "Was macht Ihr hier? Eine letzte Waffenübung, bevor es auf die Jagd geht?" er deutete auf den Speer in Geldas Hand.

'Nein nicht schon wieder... und schon gar nicht der Rondrageweihte, der bereits am Vorabend Geldas Nähe gesucht hatte.' Nivard sah noch einen Moment in Geldas Gesicht, die grünen Augen, die in diesem Moment bereits dem Rondrageweihten zugewandt waren, dann drehte er sich langsam um. Nahezu ausdruckslos entgegnete er ebenfalls ein "Rondra zum Gruße", ehe er Doratravas gewahr wurde, die kurz hinter Rondradin ankam. Die Gauklerin konnte deutlich erkennen, das Nivard alles andere als begeistert von der Ankunft der beiden war. Alles in Nivard spannte sich an, als er argwöhnisch zunächst den weiteren Verlauf des Gesprächs erwartete. Was wollte Rondradin hier? Was wollte er nur von Gelda? ´Oh … ja. Ich war gerade am Üben. Doch wir wollten gerade unsere Jagdgruppe suchen .. und dich!” stammelte Gelda und deutete dann auf Doratrava. In ihrem figurbetonten, grünen Jägerwams mußte jeder überzeugt sein, das sie bereit zur Jagd war. Ihr rotes Haar hatte sie heute zurückgebunden und zu einem Zopf geflochten, ihr Haupt zierte eine dunkelgrüner Jagdhut aus Filz. Die braune Wildlederhose betonte ihre weiblichen Rundungen und die festen Stiefel waren ebenfalls eng im Schnitt. Ein breiter Gürtel machte die Jägermontur komplett, an dem ein Hirschfänger hing. Einen Köcher mit einem Satz Pfeile waren über den Oberkörper geschnallt, auch wenn nirgends ein Bogen zu sehen war. Mit dem Speer in der Hand und dem aufmerksamen Blick ihrer mandelförmigen, grünen Augen, hatte sie etwas katzenhaftes an sich, eine listige Jägerin, bereit zur Jagd. Gelda atmete tief durch.´Beruhig' dich Mädchen, was ist bloß los mit dir? Du bist doch sonst nie so unsicher´,sprach sie sich selbst in Gedanken zu. Dann lächelte sie ihrer Freundin zu, stellte sich neben ihr und stützte sich galant mit der freien Hand auf Doratravas Schulter. “Es freut mich euch zu sehen, Rondradin. Ich nehme an ihr seit auch auf dem Weg eure Jagdgruppe zu finden? Und wie man sehen kann, sind eure Übungen nicht gänzlich unbeschadet verlaufen!” sie deutete mit einem Nicken auf seine Nase. Ihr Stimme war jetzt deutlich ruhiger und selbstbewusster.  “Nur eine kleine Unachtsamkeit von mir. Dank Eurer Tante, wird aber wohl noch nicht mal eine Narbe zurückbleiben.” er lächelte wieder auf diese sanfte Weise, wie er es gestern schon beim Tanz getan hatte. “Aber ich bin nicht auf dem Weg zu meiner Jagdgruppe, tatsächlich habe ich Euch gesucht und dank Doratrava auch gefunden.” Doratrava sah sich mit einem Lächeln bedacht, bevor sich Rondradin wieder Gelda zuwandte. “Wenn Ihr erlaubt, würde ich mich gerne mit Euch kurz unter vier Augen unterhalten.” Er deutete auf eine Stelle, nur ein paar Schritte von der Gruppe entfernt, gerade weit genug um sich ungehört unterhalten zu können. “Junger Herr von Tannenfels, darf ich die junge Dame in Eurer Begleitung für einen Augenblick entführen? Ihr bekommt sie auch gleich wieder zurück.” wandte sich der Geweihte dem missmutigen Krieger zu, dessen halbherziger Gruß nicht unbemerkt geblieben war.

Doratrava war immer noch etwas angespannt, da sie nicht einschätzen konnte, was nun wohl passieren würde, da Nivard, Rondradin und Gelda auf einem Haufen zusammen waren. Sie genoss die Vertrautheit ihrer Freunde und Geldas Hand auf ihrer Schulter, doch ihr Lächeln war ein wenig unsicher, als sie von Rondradin zu Nivard blickte. Ihr war danach, die Situation mit einer flapsigen Bemerkung aufzulockern, doch mühsam konnte sie ihr loses Mundwerk im Zaum halten. Sehr mühsam. 'Was sollte er schon zu Rondradins Bitte sagen, in diesem Moment?' Am liebsten hätte Nivard ihm natürlich ein ‘Nein, jetzt nicht!’ entgegengehalten. Aber darüber, mit wem sie wann sprechen wollte, hatte am Ende alleine Gelda zu befinden.  Er quittierte die Anfrage daher nur mit einem kurzen, mechanischen Nicken, seine Miene noch immer ebenso versteinert, wie es in ihm rumorte. ‘Oh bitte, Gelda, schick ihn weg.’ Aber in ihm mehrte sich die Furcht, dass dies nicht geschehen würde. Und dass er nichts dagegen tun können würde. Leicht misstrauisch schaute Gelda den Rondrageweihten an, zuckte dann mit den Schultern und drehte sich zu ihren Freunden. “Ihr könnt schon vorgehen, ich komme gleich nach. Nun gut, unterhalten wir uns.” Sie ließ Rondradin den Vortritt und folgte ihm dann. Vorher jedoch schmiss sie Doratrava einen verwunderten Blick entgegen.

Nivards Stimmung sank in bodenlose Abgründe. Mit Mühe unterdrückte er den Impuls, den beiden nachjustieren. Stattdessen riss er sich von diesem Ort los und eilte wortlos und mit weiten Schritten davon, gerade so noch nicht im Laufschritt (flüchtig wollte er keinesfalls wirken, auch wenn er genau das war), darum kämpfend, seine Züge im Griff zu behalten. Er brauchte kurz seine Ruhe. Ruhe sich zu sortieren. Und seine Contenance wieder zu finden. Er war so kurz davor… Rahja war ihm tatsächlich nicht wohlgesonnen. Immer noch nicht. Noch in Sichtweite, wenn auch nicht in Hörweite ihrer Freunde blieb Rondradin stehen und wandte sich Gelda zu. Er wirkte ruhig und sprach sanft. Trotzdem war eine gewisse Anspannung bemerkbar. “Meine liebe Gelda, zuerst möchte ich mich für den Tanz am letzten Abend bedanken, es war mir ein Vergnügen mit Euch tanzen zu dürfen. Außerdem will ich mich für mein Verhalten vor der Halle entschuldigen.Es war ein Moment der Schwäche, das wird nicht wieder vorkommen. Ich hoffe Ihr könnt mir verzeihen.” Der Geweihte verbeugte sich höflich vor Gelda und machte dann Anstalten wieder zurück zu Nivard und Doratrava zu wollen. Blieb dann aber doch stehen und sah Gelda an. “Wenn Ihr erlaubt, habe ich noch einen Rat für Euch. Stellt Euch den Herausforderungen, auch wenn sie Euch erschrecken mögen, rennt nicht davor weg.”  Doratrava hob mit einem fragend-verwunderten Blick die Schultern, der Geldas Miene fast spiegelte, als diese sie so ansah. Sie hatte keine Ahnung, welcher Art Frage Gelda auf diese Weise zum Ausdruck brachte. Da sie nun aber mit Rondradin beiseite ging, konnte sie das nicht jetzt in Erfahrung bringen. Statt dessen lief sie Nivard hinterher und legte ihm die Hand auf die Schulter. Warum war es so schwierig, Freunde zu haben? Warum konnten sie nicht alle zusammen glücklich sein? Wenn sie daran dachte, dass sie Rondradin mehr oder weniger dazu eingeladen hatte, sie mit den Altenbergern und Nivard zusammen zu begleiten, wurde ihr fast schlecht.

“Nivard”, zischte sie diesem ins Ohr und versuchte ihn festzuhalten. “Es wird sicher alles gut!” Warum sagte sie das? Sie hatte keine Ahnung, ob alles gut werden würde, aber sie fühlte das dringende Bedürfnis, zumindest einem ihrer Freunde etwas Gutes zu tun. Doch tat sie das? Nivard spürte Doratravas Hand auf seinen Schultern. Sein erster Impuls war, diese abzuschütteln, doch dann hielt er inne und blieb stehen. "Nichts wird gut! Ich bin ein restloser Idiot!" stieß er in einer Mischung aus Enttäuschung und Schmerz hervor - und Zorn, Zorn auf Rondradin, ein wenig auf Gelda, und vor allem auf sich selbst. "Ich mache mich hier zum Narren, obgleich ich es mittlerweile besser wissen sollte." Wie hatte er sich nur Hoffnungen machen können, Gelda gegen einen galanten Edlen und Geweihten der Rondra für sich gewinnen zu können? Als vielleicht edel geborener, aber einfacher Krieger Habenichts, nur mit gutem Herzen und Poesie? Er war ein Idiot!

“Nivard!” rief Doratrava, zwar immer noch gedämpft, aber nicht mehr flüsternd. Sie versuchte, den Krieger zu sich zu drehen, und als das nicht gelang, lief sie um ihn herum und stellte sich vor ihn hin. An seiner Schulter vorbei sah sie einige Schritte entfernt Gelda und Rondradin im Gespräch, aber da schien es auch nicht nach dem Geschmack beider zu laufen. Sie verdrehte die Augen. “Was ist denn los? Ein Krieger wie du sollte sich doch nicht schon von kleinen Schwierigkeiten aus der Bahn werfen lassen?” Die Gauklerin bemühte sich um ein ernstes Gesicht, jetzt war wohl keine Zeit für scherzhafte Bemerkungen. Sie senkte die Stimme jetzt doch wieder, und trotz aller Vorsätze schlich sich ein leises Lächeln auf ihre Züge. “Außerdem … scheint mir Gelda ein wenig sprunghaft zu sein. Ich denke, gut Ding will Weile haben, wie man so schön sagt.”

Nivard blickte Doratrava in die Augen. "Du hast Recht - von kleinen Schwierigkeiten sollte sich ein Krieger nicht aus der Bahn werfen lassen. Aber eben auch klug genug sein, aus seinen Fehlern zu lernen. Und nicht immer die selben wieder zu machen." brach es dabei aus Nivard heraus. Gut, genau genommen hatte ihn nur einmal vorher gemacht, doch seine schmerzhafte Niederlage vor zwei Sommern gegen Schleiffenröchte hätte ihm Lektion sein sollen. "Und seinen Platz und seine Möglichkeiten auf dem Schlachtfeld kennen," schob er schließlich mit einem Hauch Bitternis in der Stimme nach. "Außerdem hab ich das Gefühl, dass es in jedem Kampfgetümmel übersichtlicher zugeht als in der Liebe. Wie soll man da die 'taktische' Ordnung aufrechterhalten, wenn man noch nicht mal die Lage in sich selbst versteht?" 'Mensch, was gab er hier eigentlich gerade in aller Öffentlichkeit zum besten?' Sein auch für ihn ungewohnter Gefühlsausbruch wich sichtlich peinlicher Berührtheit. Nivards Blick wich dem Doratravas aus. Rasch vergewisserte er sich, dass niemand weiteres seine Worte mitbekommen hatte. "Verzeih bitte, ich wollte Dich nicht anfahren, Doratrava!" fügte er leise hinzu.

Die Gauklerin hatte den Ausbruch Nivards fast erwartet und war deshalb recht gefasst für ihre Verhältnisse. “Schon gut”, nahm sie seine Entschuldigung mit ebenso leiser Stimme an. “Du … musst dich für nichts schämen … sicher nicht vor mir. Die … Liebe …” Nun versagte ihr doch die Stimme, das war ein Thema über das es ihr sehr schwer fiel zu reden, und die letzte schmerzliche Erfahrung mit Rahjas Gaben lag erst wenige Tage zurück. Sie räusperte sich, bevor schon wieder Tränen fließen konnten, und versuchte den Satz halbwegs ordentlich zu Ende zu bringen. “Die Liebe … schenkt Glück und Schmerz und beides ist oft nicht weit voneinander entfernt ….”

Nivard nickte zaghaft. "Wahrscheinlich.... hast Du Recht," flüsterte er mehr als er sagte - aber, ja, so war es - Glück und Schmerz lagen in der Liebe eng beieinander - nur hatte er das Gefühl, dass das Glück stets nur kurz andauerte und sich aus falschen Hoffnungen und fehlinterpretierter Zuneigung speiste, und nach einer Phase des Bangens unausweichlich der Schmerz am Ende wartete. Mit Mühe suchte er diesen Gedanken wegzudrücken - wenn er in der Liebe doch nur den selben Mut hätte wie in den Dingen der Kriegskunst..." Sachte berührte er den Arm Doratravas. "Danke!" hauchte er in den kalten Morgendunst. Doratrava nahm sein Hand und blickte ihm in die Augen, dann nickte sie stumm. Trost … Hoffnung … Ablenkung … aber … nein, lieber nicht. So standen sie kurz stumm beisammen, aber es war kein peinliches Schweigen, sondern vielmehr eines des Verstehens. Noch bevor Nivard nach weiteren Worten suchen konnte, hörte er Schritte auf sie zukommen. Er straffte sich, während sein Blick herumfuhr. Und sich sogleich in blitzenden grüne Augen verfing… [weiter nachdem Rondradin gegangen ist]

Knistern in der Luft

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Kaum war Gelda wieder alleine mit dem Geweihten, fühlte sie wieder dieses knistern in der Luft. Ihr Herz schlug wieder schneller. “Es gibt nicht zu entschuldigen, Rondradin. Ihr wart so höflich und habt einer frierenden Dame euren Umhang angeboten. Das war sehr Tugendhaft. Es wäre töricht von mir, dass als Fehlverhalten zu sehen.” Sie fasste ihm an den Arm. “Ich muß mich bei euch entschuldigen. Ich bin wirklich eine schlechte Tänzerin.” Sie lächelte ihn an. Allerdings machte sein letzter Satz Gelda ein wenig stutzig. Doch dann verstand sie. Nun fühlte sie sich herausgefordert. “Ich kann euch versichern, euer Gnaden, das ich meine Frau stehe und bis jetzt jede Herausforderung angenommen habe. Erst in diesem Winter hab ich mich alleine den grimmen Herrn Firun gestellt und überlebt. Und auch diese Jagd wird eine erfolgreiche sein.” Sie holte kurz Luft und setzte dann mit etwas Schärfe in der Stimme nach. “Allerdings wenn ein Mann seinen Bedürfnissen nach Eroberungen einer Frau gegenüber als verpasste Herausforderung darstellt, nur weil diese nicht darauf einging, muss ich euch enttäuschen, Rondradin. Ich gehöre nicht zu diesen Frauen, die echte Herausforderungen von enttäuschten Männerherzen nicht trennen können.” Nun war ihr Lächeln aus dem Gesicht entschwunden. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging sie an ihm vorbei. Doch dann drehte sie sich noch einmal um. “Nun ist es an mir euch eine Rat zu geben. Wollt ihr das Herzen einer Frau erobern, solltet ihr weniger Gelüsten folgen. Auch die Göttin Rahja gab uns Tugenden. Solltet ihr es ernst gemeint haben, könnt ihr euch gerne diese Herausforderung in Herzogenfurt stellen!” Dann lächelte sie wieder und zwinkerte ihm zu. Dann ging sie zurück zu ihren Freunden. 'Da habt Ihr mich falsch verstanden. Ihr seid mitten im Tanz weg gerannt und habt mich stehen lassen, anstatt Euch zu erklären. Zudem galt meine Entschuldigung nicht dem Umhang, sondern dem Drang Euch küssen zu wollen' hatte Rondradin ihr noch antworten wollen, aber da war Gelda schon auf dem Weg zur Gauklerin gewesen. Also sah Rondradin Gelda und Doratrava nur wortlos hinterher, bis diese aus seinem Sichtfeld verschwunden waren. Er dachte über das nach, was Gelda gerade gesagt hatte und an die Worte Rahjanias vom Vortag. Schließlich nickte der unentschlossene Junge und machte dem erfahrenen Geweihten platz, als Rondradin sich auf zu seinem Zelt machte. Es war Zeit sich für die Jagd vorzubereiten. Kaum bei ihren Freunden angekommen, nahm Gelda Doratrava an die Hand und flüsterte ihr :“ Warum sind Männer so kompliziert?” zu. Da war Gelda an die Richtige geraten. Doratravas Gesicht färbte sich schwach blassrosa, als sie darüber nachsann, dass sie, obwohl deutlich älter als Gelda, bisher nur bei einem einzigen Mann gelegen hatte. Und die meisten anderen Erfahrungen, die sie mit Männern in dieser Beziehung gemacht hatte, waren eher unerquicklich gewesen, sahen doch viele eine reisende Gauklerin eher als Freiwild an. Was für eine Antwort sollte also gerade sie der jungen Altenbergerin geben? “Ich … weiß nicht”, brachte sie verlegen heraus. Wenn sie an ihr eigenes zuweilen impulsiv-chaotisches Gefühlsleben dachte und wie das auf Andere wirken mochte, war sich die Gauklerin auch nicht so sicher, ob nur Männer kompliziert waren. “Ich ...wenn … die meisten Männer versuchen sich von einer Gauklerin einfach zu nehmen, was sie wollen … ich kann da nicht viel dazu sagen …” Verlegen brach Doratrava ab und blickte zu Boden. Gelda nickte nur und sprach leise weiter:” Du bestätigst gerade , was ich mir dachte. Die Herren denken wir sind Freiwild. Nur weil frau nett zu ihnen sind, sehen sie das als Einladung. Aber lassen wir das jetzt. Die Jagd ist jetzt wichtiger. Ich bin froh das du an meiner Seite bist!” Sie drückte Doratravas Hand fester und drehte sich zu Nivard um. Sein bedrückter Gesichtsausdruck sprach Bände. Doch von Gefühlsduseleien hatte sie erst einmal genug. “Komm schon, Nivard. Es wird Zeit das wir zur Jagd kommen und “echte”Herausforderungen annehmen. Und danach bestehe ich auf mein Lied!”, sagte sie beschwichtigend.  ‘Hatte ihn Rondradin am Ende etwa doch nicht auf ganzer Linie ausgestochen?’ Nivard war immer noch zu aufgewühlt vom Auf und Ab seiner Gefühle, als dass er sich darüber zu freuen vermochte. Eher fühlte er eine schwache Erleichterung. Oder war es eher Ermattung? Nivard nickte, fast schon schicksalsergeben,  und ein dünnes Lächeln huschte über sein Gesicht.. Ja, die Jagd wäre jetzt wohl tatsächlich das Beste. Und wer weiß, vielleicht würde sein Lied später doch Gefallen finden?  Doratrava winkte Rondradin nochmals zu, erleichtert, dass es zu keinem offenen Streit gekommen war. Dann besann sie sich darauf, dass ihre Sachen noch in der Jagdhütte lagen. Schnell rannte sie zurück, holte ihren Rucksack und den geliehenen Jagdspeer. Auf einen Bogen verzichtete sie, da schienen ihr die paar Übungsschüsse vom letzten Tag nicht ausreichend, um sich mit der sperrigen Schusswaffe zu belasten. Ihre Dolche hatte sie dabei, was auch immer ihr das nützen würde. Man würde sehen. Sie beeilte sich, um Nivard und Gelda wieder einzuholen. Sie war gespannt auf den Ablauf der Jagd, aber auch etwas nervös. Sie würde im Wald keine “Schubkeiler” treffen, sondern richtige Wildschweine, die vermutlich nicht erfreut waren, gejagt zu werden ... 

Morgendlicher Waffengang

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Langsam erst drangen die ersten Strahlen der Morgensonne über die Wipfel der Bäume und begannen eine mühevollen Kampf gegen die Schatten der Nacht, die unter den alten Ästen nur zögerlich wichen. Doch die frühe Stunde war keine Entschuldigung für die gähnende Knappin und die beiden jüngeren Leihenhoferinnen, die sich, die Augen reibend, auf dem Platz vor der Jagdhütte einfanden, angetan mit Wappenrock und Gambeson und Waffenarsenal - was im Fall der Paginnen hölzerne Übungsschwerter waren.  Hinter den verschlafen wirkenden Mädchen schritt der Rabensteiner, sein Wehrgehänge über der Schulter und gleichfalls zwei hölzerne Übungswaffen auf dem Arm. Er trug schwarze, enganliegende Hosen zu schwarzen Stulpenstiefeln und darüber ein einfaches, Hemd in derselben Farbe, einen Gambeson dazu wie immer schwarze Lederhandschuhe.  Die Müdigkeit der Halbwüchsigen wich rasch, als er sie mit wenigen Gesten in Fechtstellung scheuchte und den beiden Kleineren zusammen mit Boromada einige einfache Attacken und Konter zeigte, die sie zu üben hatten, ehe er mit der deutlich älteren Knappin nach einigen prüfenden, mehr der Auflockerung dienenden Schlagwechseln in einen komplexen Tanz mit einem einhändig geführten Schwert einstieg, der die beiden in wachsender Geschwindigkeit um die beiden Leihenhoferinnen und den gesamten Platz trug. Das knapp 18 Sommer zählende Mädchen war schnell, kräftig und offensichtlich dieses Spiel gewohnt - und doch war sie es, die fast die dreifache Wegstrecke zurücklegte, verglichen mit ihrem alten Knappenherrn, und nach der zweiten Runde bereits in Schweiß gebadet war. Einen gezielten Hieb über den Bauch vermochte sie gerade noch zu parieren, war aber zu langsam, um dem folgenden Hieb an ihre Knie mit mehr als einem Stolperer auszuweichen, was ihr dann endgültig einen kräftigen Schlag mit der flachen Klinge auf ihren Schwertarm einbrachte.  Boromada schrie auf, war aber inzwischen geistesgegenwärtig genug, die Klinge festzuhalten und dafür ihrerseits einen Ausfall zu versuchen, der ihr ein anerkennendes Nicken ihres Knappenherrn einbrachte, aber dennoch an seinem Konter scheiterte. Der alte Baron zog sich einen Schritt zurück und bedeutete seiner Knappin, ihrerseits anzugreifen. Er wechselte seine Klinge nach links und ließ sich einige Schritte von einer Attackeserie Boromadas über den Platz treiben, ihre Reaktionen auf seine Parade aus der fremden Hand austestend, ehe er mit einem Vorstoß ihre Klinge abfing und blockte. “Handwechsel” kündigte er an, ehe das geschwinde Spiel der Klingen, diesesmal von beiden linkshändig geführt, auf ein Neues begann und seine Kreise über den Platz zog, bis mit einer missglückten Parade Boromada ihr Schwert aus der Hand glitt und mit einem wilden Zischen den einen oder anderen Schritt durch die Luft wirbelte.

“Dürfen wir uns den Übungen anschließen, Hochgeboren?” Rondradin und Palinor waren auf dem Platz erschienen. Rondradin trug wieder sein volles Ornat mitsamt des  Kettenhemdes und auch Palinor trug einen Kettenpanzer. Sie hatten eine kleine Sammlung an Übungswaffen und auch scharfen Waffen dabei. Der Jüngere hatte das Schwert Boromadas aufgehoben und hielt es ihr hin. “Bitte, Eure Waffe.” Der Einäugige nickte Rondradin zu und wies einladend auf den Übungsplatz, auf dem die beiden Paginnen bei der Ankunft der beiden Männer die Holzschwerter hatten sinken lassen. Als sie den Blick des Rabensteiners bemerkten, nahmen sie mit einer Bewegung die Waffen wieder auf und droschen mit neuem Elan aufeinander ein, als hätte es diese kleine, willkommene Verschnaufpause nicht gegeben.  Boromada lächelte Palinor an, als sie das Schwert aus seiner Hand entgegennahm. “Danke.” Neugierig musterten ihre Augen den jungen Mann, knapp einen Fingerbreit kleiner als sie, vom Scheitel bis zur Sohle. Sie selbst war eine hochgewachsene, gut trainierte junge Frau um die 18 Götterläufe, mit hellbraunen Haaren und leuchtend grünen Augen. In dicken Tropfen stand ihr der Schweiß auf der Stirn und klebte ihr kurz geschorenes Haar an ihren Kopf. Was sie sah, gefiel ihr offensichtlich, denn kurz blitzte der Schalk in ihren Augen auf - der aber sogleich wieder erlosch, als sie sich ihrem Schwertvater zuwandte und ohne ein weiteres Wort das Schwert in die Linke nahm und in Verteidigungsposition ging.

Der Zweikampf

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Der Rabensteiner musterte seinen Bruder im Glauben. “Habt Ihr Lust auf einen Waffengang?”  Auch wenn - vordergründig - nichts mehr im Raume stand zwischen beiden Männern. Der Rondrianer nickte dem Baron zu. “Sehr gerne… ”, mit einem Seitenblick auf die versammelten Paginnen und Knappen, fügte er hinzu, “...eine Lektion darin, wie es aussieht, wenn eine Fechtwaffe und Parierwaffe auf einen Anderthalbhänder trifft?” Rondradin sah den Rabensteiner fragend an.  Auch Palinor hatte Boromada eingehend gemustert und erwiderte ihr Lächeln. Er hatte sie am vorigen Abend schon wahrgenommen, allerdings hatte sich keine Gelegenheit ergeben mit ihr zu sprechen. Vielleicht ergab sich später noch eine Gelegenheit, aber vorerst hieß es, Mund halten und die Erwachsenen sprechen lassen. Er ähnelte im Aussehen seinem älteren Vetter, auch er hatte blaue Augen und einen kurzen schwarzen Haarschopf. Sein Kettenhemd saß gut und seine Bewegungen waren flüssig, als wäre er das Tragen gewohnt. Im Gegensatz dazu schien es, als ob Rondradins Kettenhemd ihn nicht mehr behindern würde, als eine Tunika. “Gerne.” Der alte Baron nickte und schickte die erleichtert aufatmenden Paginnen an den Rand des provisorischen Kampfplatzes. Rhena und Rahjada warfen sich einen überaus zufriedenen Blick zu, schulterten ihre Holzschwerter und musterten die beiden Älteren, die sich nach einem Nicken der Erwachsenen mit einem Grinsen den Jüngeren anschlossen, wie es eine Katze tragen mochte, die sich unversehens vor einer Schüssel Sahne sah. Lucrann zog Rapier und Linkhand, und wartete gelassen auf den Geweihten der Himmelsleuin.

Eigentlich war Rondradin davon ausgegangen, dass sie mit Übungswaffen antreten würden, aber so war es  ihm auch recht. Eigentlich war es ihm so sogar um einiges lieber. Gelassen ließ er einige Male die Schultern kreisen, bevor er seinen Rondrakamm zog und gegenüber dem Rabensteiner Stellung bezog. Dabei achtete der Geweihte darauf, dass die vier Heranwachsenden auch genügend sehen konnten. Palinor hatte sich neben Boromada gestellt und musterte sie nochmals von der Seite, während sein Vetter sich für den Kampf bereit machte. Als der Rondrianer den Ring betrat, konzentrierte sich der Knappe aber auf den gleich beginnenden Zweikampf. 

Boromada hingegen ließ einen etwas längeren Blick auf den Zügen des jungen Knappen verweilen - sie schien noch abzuschätzen, ob das, was sie sah, hielt, was es versprach. Der Rabensteiner blickte Rondradin in die Augen, die Waffen in den Händen, die Knie leicht gebeugt, die Handgelenke so locker, dass er Bewegungsfreiheit in jegliche Richtung besaß. Sich gewiss, die gesamte Aufmerksamkeit des Jüngeren zu besitzen. Jeder Fehler würde einen Blutzoll kosten - eine Gewissheit, die beide Männer besaßen. Mit einem geschmeidigen, blitzschnellen Ausfall gleich dem Zuschnappen einer Schlange fuhr seine Klinge auf den Bauch des Rondrageweihten vor. Dieser drehte instinktiv seinen Körper und lenkte die Klinge des Rabensteiners mithilfe seines Rondrakamms ab, so dass sie knapp an seinem Bauch vorbei die Luft durchschnitt. Ein rascher zweiter Ausfallschritt, geboren aus der ersten Bewegung, spielerisch leicht eine zweite Attacke, diesesmal ein Hieb auf das Handgelenk von Rondradins Schwerthand - und damit einen direkten Angriff auf seine Möglichkeit, den Rondrakamm zu führen. In den Augen des Rondrianers konnte der Rabensteiners eines ablesen: “Wirklich?” Dieses mal fing der Rondrakamm das Rapier nicht nur ab, sondern krachte geradezu in die schmale Klinge der Fechtwaffe und öffnete damit einem möglichen Angriff Rondradins Tür und Tor. Dieser war dieses Mal auch nicht zurückgewichen, sondern stehengeblieben. Nun ging er in den Gegenangriff über. Ein mit Wucht geführter Hieb von oben schoss auf die rechte Schulter des Barons herab, der, wenn er voll traf, mehr als nur eine blutige Schramme hinterlassen würde. Mit einer minimalen Drehung, die verriet, wie genau der Alte den Schlag abgeschätzt hatte, drehte Lucrann sich zur Seite und nutzte den Schwung, um einen Stich in die durch die Attacke für einen Lidschlag lang offene  Seite des Rondrageweihten zu führen. Dieser nutzte den Schwung seines Rondrakamms und ließ ihn, einem silbernen Blitz gleich, an seiner offenen Seite vorbeigleiten, das Rapier dabei blockend. Der Rondrianer machte einen Schritt nach vorne und wirbelte dann herum. Seine Klinge schoss auf den linken Ellbogen seines Gegners zu, um im letzten Moment die Richtung zu ändern und auf den Oberschenkel des Barons zuzuhalten. Der tat einen Schritt nach hinten und zur Seite, führte den Rondrakamm mit seiner Linkhand an der Gefahrenzone vorbei und wirbelte nach vorn, zu einem erneuten Stich mit dem Rapier, waagrecht in Kopfhöhe gegen die Augen Rondradins. Rondradin tat einen Schritt zurück und die Klinge sang an seinem Kopf vorbei. Er spürte einen kurzen Schmerz und fühlte wie etwas seine Nasenspitze hinablief. Aber auch seine Klinge hatte ihr Ziel gefunden. Die Hose des Barons wies am Oberschenkel einen kleinen, blutigen Schnitt auf.  Der Blick des Boronis wurde eiskalt, doch kein Laut kam über seine Lippen. Mit einer raschen Schlagfolge drang er auf den Rondrianer mit seiner deutlich schwereren Waffe ein, suchte eine  Lücke und nutzte die höhere Geschwindigkeit, die das schlanke Rapier zuließ, gnadenlos aus. Schnell und präzise folgte Schlag auf Schlag, die Bewegungen ein rascher, schnörkelloser Tanz von tödlicher Eleganz. Doch der Rondrakamm war immer dort, wo das Rapier zustieß und wob selbst ein tödliches Netz, aus dem sich ein geringerer Gegner nicht mehr hätte retten können. Die staunenden Zuschauer konnten verfolgen, wie die Klingen der beiden Kontrahenten immer schneller und heftiger aufeinander prallten. Für die Zuschauer wirkte es, als ob ein dunkler und ein heller Blitz immer wieder funkenstiebend aufeinandertrafen, sich trennten, um dann nur noch heftiger aufeinander zutreffen. Die beiden Geweihten tanzten über den Übungsplatz, immer wieder nach Lücken in der Deckung des Gegenüber suchend und doch nichts findend. Schließlich zogen sie sich ein wenig zurück um einen Augenblick zu verschnaufen und ihre Verletzungen zu begutachten. Der Gambeson des Rabensteiners hatte mehrere Schnitte aufzuweisen, die allerdings nicht das Fleisch darunter verletzt hatten. Beim Wolfstrutzer sah es nicht besser aus, sein Wappenrock hatte ebenfalls eine stattliche Anzahl klaffender Löcher und nur das Kettenhemd hatte Schlimmeres verhindert. Rondradin nickte dem Baron anerkennend zu. Dann machte er sich bereit für die nächste Runde. Wieder war es der einäugige Baron, der den Waffengang eröffnete, eine Finte gegen das Gesicht Rondradins schlug und statt dessen einen Hieb gegen seine Flanke führte, dem an Härte und Geschwindigkeit nichts fehlte. Nur ein schneller Seitschritt des Rondrageweihten verhinderte das Schlimmste, so dass die Spitze des Rapiers über das Kettengeflecht schoss, Funken schlug und mit einem wütenden Kreischen des Rondrianers Seite entlangfuhr. Schneller als zuvor trafen und trennten sich die Klingen, das Spielerische vorbei und vergessen.

Die Jugendlichen an der Seite des Übungsplatzes waren tief im Bann des Geschehens. “Au, das tat weh.” kommentierte Boromada atemlos einen Konter Rondradins, der knapp nur zu einem Hieb über dem Rumpf des Einäugigen wurde und diesen, wäre er nur einen Lidschlag langsamer gewesen, vermutlich seinen Arm gekostet hätte. Nicht gnädiger fiel die Riposte des Rabensteiners aus, die auf das Knie seines Gegners zielte und diesen zu einer Bewegung nötigte, die ein gesunder Mensch üblicherweise nicht zustande brachte, gebührend kommentiert von einem Zischen Palinors, als der die Luft zwischen den Zähnen einsog. Da, ein weiterer Vorstoß des alten Barons, der gnadenlos auf Rondradin eindrang. Dieser zog sich nun humpelnd Schritt für Schritt zurück. Doch da! Den Atem anhaltend verfolgten 4 Augenpaare, wie die Linkhand des Barons durch die Luft segelte und irgendwo am Rand des Kampfplatzes zu liegen kam. Das Blut, das von der Nasenspitze Rondradins tropfte, hatte inzwischen seinen Mund, das Kinn und Teile des Wappenrocks rot gefärbt. “Wollt Ihr weitermachen, oder belassen wir es dabei?” Wollte er von seinem Bruder im Glauben wissen. Als Antwort hob der sein Rapier und bedeutete seinem Bruder im Glauben, mit der Attacke zu beginnen. Rondradin atmete tief ein und begann den Rabensteiner zu umkreisen. Wie ein Löwe auf der Pirsch suchte er nach einer Lücke in der Verteidigung seines Gegners. Das Auge des Rabensteiners wurde nicht müde, ihm zu folgen. Es sah einfach jedes Zucken Rondradins. Es war unheimlich und zugleich äußerst anregend, einem solchen Gegner gegenüberzustehen. Der nächste Treffer würde die Entscheidung bringen, so oder so.  Der Alte lauerte. Anders war es nicht zu benennen. Wie eine Schlange, die zuschnappen wird - und sich exakt den richtigen Zeitpunkt und Ort dafür aussucht. Rondradin setzte zu einer Finte an, einem brutalen Hieb gegen die ungeschützte linke Seite des Barons, nur um dann im letzten Moment die Klinge, einem Falken gleich nach vorne zu stoßen. Der Gambeson des Rabensteiner gab der scharfen Klinge des Rondrakamms nach und die Klinge schrammte über eine Rippe, einen blutigen Schnitt hinterlassend.  Statt einer Parade zog Lucrann seine Klinge nach oben, beschrieb eine winzige Drehung seines Handgelenks und mit der Präzision der Sense des Schnitters legte sich die Spitze seines Rapiers an die Halskehle des Rondrianers, fest genug, zu schmerzen, zu leicht, mehr als einen Tropfen Blut zu fordern. “Ihr seid tot.” Ein heiseres Flüstern. Der rasche Atem des Einäugigen das Einzige, das die jähe Stille brach.

“Ihr habt gewonnen.” Erkannte Rondradin den Sieg des Barons an und senkte seine Klinge. Einen halben Wimpernschlag lang blickte Lucrann in die Augen des so deutlich jüngeren und kräftigeren Streiters. Kalt war sein Blick, sein Auge schwarz wie ein See ohne Tiefe und Grund. Er senkte die Klinge und wischte sie über seinen von mehreren kleinen Schnitten zerfetzten Ärmel. “Ihr seid gut, Euer Gnaden.” “Habt Dank! Das ist ein hohes Lob, wenn es von Euch kommt. Wie ich schon sagte, ich kenne niemanden der besser mit dem Rapier umgeht als Ihr.”  Lucrann nahm das Lob seines Glaubensbruders mit einem Nicken entgegen. Wie selten, einen solchen Kampf zu fechten - nicht auf Leben und Tod, doch im unbedingten Widerstreit. Der Junge besaß Herz, Geist und Reaktion - und Entschlossenheit. Es wäre wahre Verschwendung gewesen, ihn in einem regulären Duell gegenüberzustehen. “Was haltet Ihr von Frühstück?” bot er an. “Eine vortreffliche Idee.” Prüfend fuhr er mit dem Handrücken über den Schnitt auf seiner Nase. “Zuvor sollte ich mich aber erst wieder präsentabel machen.”

“Lasst es nähen. Sonst bleibt eine hässliche Narbe.” Der alte Baron schaffte es, das Schmunzeln aus seiner Stimme fernzuhalten. “Meine Gemahlin versteht sich darauf.” “Das Angebot nehme ich gerne an.” Er wandte sich Palinor zu, der immer noch neben Boromada stand und die beiden geschundenen Männer mit Ehrfurcht betrachtete. Etwas derartiges hatte er noch nicht gesehen. “Bring mir doch bitte einen frischen Wappenrock und nimm die Waffen mit. Wir treffen uns dann an der Jagdhütte” Den alten benutzte er, um damit die blutende Nase abzutupfen. Der Rabensteiner schälte sich aus den Resten seines Gambesons und nahm Linkhand und Waffengurt von Boromada entgegen, die sich nach einigem Gaffen wieder auf ihre Pflichten als Knappin besonnen hatte. Der Schnitt über seinen Brustkorb hatte mittlerweile das Hemd durchnässt, so dass es ihm wie eine zweite Haut am Körper klebte. Vernachlässigbar - der Schnitt brannte, war aber nicht tief, und Shanija würde dies auf hervorragende Weise zu richten verstehen. Und eine Sache, die er bei Rondradin niemals erwarten würde, war Waffengift. Zumindest nicht mit Wissen und Wollen des Rondrageweihten aufgebracht. Mit dieser kleinen Einschränkung schlang er sich den Waffengurt um die Hüften und schickte die Paginnen weg, die Übungsschwerter aufzuräumen und dann nachzukommen, ehe er sich, mit einem auffordernden Blick auf seinen Bruder im Glauben, in Richtung der Jagdhütte aufmachte.

Der Beobachter

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Erst jetzt fiel den beiden Kämpen auf, dass sich offensichtlich vor einiger Zeit noch ein weiterer Zuschauer ihrem kleinen Übungskampf zugesellt hatte: Tar'anam sin Corsacca stand mit verschränkten Armen neben einem Zelt am Rande des Kampfplatzes. Als dieser ihrer Aufmerksamkeit gewahr geworden war, nickte er ihnen knapp zu, dann wandte er sich wortlos um und strebte seinerseits der Jagdhütte zu. Bevor Tar’anam mehr als ein paar Schritte machen konnte, passierte ihn der junge Knappe, ein Bündel Waffen auf dem Arm. Neben Tar’anam blieb er stehen und sah den Edlen fragend an. “Verzeiht, habt Ihr nicht gestern die Knappin zum Zelt der Rodenbrücker gebracht? Dürfte ich Euch eine Frage stellen?” natürlich wartete der Bursche erst gar nicht ab, sondern sprach einfach weiter. “Wie hat der Kampf gerade auf Euch gewirkt? Das war doch kein normales Übungsgefecht.” Mit fragendem Blick sah Palinor den Edlen an. Der alte Krieger verhielt im Schritt und sah den Knappen abschätzend an. Dann stellte er eine Gegenfrage, ohne dabei die Miene zu verziehen: “Habt ihr schon einmal auf Leben und Tod gekämpft?”

Der Knappe musterte das Gesicht seines Gegenübers. Schließlich nickte Palinor. “Ja, das habe ich.” Er verlagerte das Gewicht seines Waffenbündels und wartete darauf, dass der alte Krieger weitersprach. “Und habt Ihr dabei etwas gelernt?” lautete die nächste Frage Tar’anams. Palinor konnte seiner Miene noch immer keine Regung entnehmen, welche erkennen ließ, worauf der Leibwächter Thalissas von Rickenhausen eigentlich hinauswollte. Nur einen kleinen Funken des erhöhten Interesses vermeinte der Knappe in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Konnte dieser Kerl immer nur neue Fragen stellen, anstelle mal eine zu beantworten? Der Unmut wuchs in Palinor und zu allem Überfluss begann auch noch sein Magen zu knurren. Ein weiteres mal musste er das Bündel umpacken, da es zu rutschen begonnen hatte.  “Verzeiht, meine Frage. Ich muss weiter, meinen Pflichten nachgehen.”  Als Palinor sich wegdrehte, fiel plötzlich eine schwere Hand auf seine Schulter. Zusammenzuckend wich der junge Knappe zurück und fuhr wieder herum. Der alte Krieger stand noch immer direkt vor ihm und blickte ihm aus dunklen Augen direkt ins Gesicht. Diesmal war eine Regung im Gesicht des Kriegers zu erkennen, sogar für den nun etwas erschreckten Knappen: ein leichter Hauch von Ärger, wenn sich Palinor nicht täuschte. Offenbar war Tar’anam niemand, den man so einfach stehen ließ.

“Ihr habt mir eine Frage gestellt”, raunte der Edle von Hottenbusch mit nichtsdestotrotz völlig ruhiger Stimme. “Also sollt Ihr eine Antwort erhalten. Meine Fragen sind Teil Eurer Antwort. Lehrt Euch Euer Knappenherr oder Eure Knappenherrin keine Geduld?” Flüchtig dachte Tar’anam an Cella vom Traurigen Stein. Was war heutzutage nur los mit den Rittern? Offenbar gab es mehr als einen in den Nordmarken, welcher seine Lehrlinge nicht im Griff hatte. Doch er wartete keine Antwort Palinors ab, sondern fuhr gleich fort: “Auch Eure Antworten sind Teil der Antwort. Nun?” Tar’anam nahm die Hand von der Schulter des Knappen, der tatsächlich größer war als er selbst, wenn auch nicht breiter. Sein Griff war fest und bestimmt gewesen, wie Palinor nun etwas erleichtert feststellte, als der Druck der Hand von ihm wich. Unverwandt hielt der alte Krieger seinen Blick gefangen.

Seufzend stellte Palinor das Bündel ab. “Meine Schwertmutter lehrt mich vieles, auch Geduld. Aber sie lehrte mich auch, dass man Fragen nicht mit Gegenfragen beantwortet.” Das Kinn ein klein wenig nach vorne gereckt und kampfeslustig erwiderte er den Blick seines Gegenübers. “Ihr wolltet wissen, was ich aus dem damaligen Kampf gelernt habe? Nun, ich erkannte, dass ich noch weitaus besser werden und meinen Kampfgefährten den nötigen Respekt entgegenbringen muss. Zwei Bogenschützen unter meinem Befehl zogen den Kerl von mir herunter, bevor er mir die Kehle aufschlitzen konnte.” Er schluckte und plötzlich standen Tränen in seinen Augen. “Ist es das, was Ihr hören wolltet?” Tar’anam ging weder auf den Vorwurf ein, noch zeigte er eine sichtbare Regung bei der emotionalen Antwort des Knappen. “Ihr hört nicht zu”, maßregelte er diesen statt dessen, weiterhin mit leiser, ruhiger Stimme. “Ich fragte nicht, was ihr gelernt habt, sondern nur, ob ihr etwas gelernt habt, wollte also keineswegs in Euer Inneres dringen.” Er machte eine Pause, um zu sehen, wie der Knappe reagierte, dann fuhr er fort: “Meine Antwort auf Eure Frage lautet: beide haben kompromisslos gekämpft, den Tod des anderen billigend in Kauf nehmend. Und dennoch war es auch ein Übungsgefecht. Denn auch, nein, gerade, beim Kampf auf Leben und Tod lernt man etwas - wenn man den Kampf überlebt.” Die aufkommenden Tränen hatte er schnell mit dem Ärmel abgewischt und dann den Worten des Edlen gelauscht. “Habt Dank für eure Antwort. Ihr gebt mir damit etwas zum nachdenken.” Die Aufmüpfigkeit war verschwunden, stattdessen verbeugte sich Palinor. Dieses mal drehte sich der Knappe auch nicht einfach weg, sondern wartete darauf, dass ihn sein Gegenüber entließ.  Der alte Krieger nickte dem jungen Knappen zu, dann bedeutete er ihm mit einer kurzen Handbewegung, dass er gehen konnte, wenn er wollte. Offensichtlich hatte der junge Mann jetzt gerade keinen weiteren Gesprächsbedarf. Tar’anam hoffte aber, dass dessen Nachdenken zu einem befriedigenden Ergebnis führen würde - wie auch immer das aussah. 

Der Stolz der Lehrmeisterin

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Maura von Altenberg wartete, bis ihre Nichte Gelda das Zelt verlassen hatte, stand dann auf und weckte ihren Sohn. Sie war so stolz auf ihre Zöglinge. Bis jetzt schien es so, dass beide sich gut in die adelige Gesellschaft einfügten. Und heute würde Gelda zeigen können, aus was für einem Holz ein Altenberger geschnitzt war. Sie hatte große Hoffnung in ihre Nichte. Ihr fehlte zwar das damenhafte und eine gewisse Eleganz, doch wenn es um die Jagd ging und den Umgang mit Tieren, insbesondere Pferden, konnte man ihr nichts vormachen. Maura sagte es nie laut, aber Gelda war ihre Lieblingsnichte. Sie betrachtete Elvan, dem es sichtlich schwer fiel, so früh aufzustehen. Die Doctora setzte sich nach draußen zu ihrem Begleiter Oren, der zwischenzeitlich ein kleines Frühstück vorbereitet hatte. Der Leibwächter war Maura eindeutig zu maulfaul und freute sich schon auf die Begleitung des jungen Kriegers Nivard. Nach ihrer Stärkung schaute sie noch einmal in den Handspiegel, legte noch ein wenig Schminke auf und machte sich auf dem Weg zu dem Zelt der Rabensteiner. Den heutigen Tag wollte sie mit ihrer neuen Freundin Shanija verbringen. Man konnte ja nie wissen, wie oft  sich solch eine Gelegenheit ergab. Als das Zelt in Sichtweite kam, hielt sie Ausschau, ob sich dort schon einige regten. Sie wollte eigentlich nicht die hohe Herrschaft stören vor dem Frühstück. Die Baronin hatte lange und überaus genüsslich genächtigt und sich ohne Hast, mit der zufriedenen Aussicht auf ein leckeres Frühstück, ankleiden lassen. Wie zu erwarten war ihr Gemahl zusammen mit dem Jungvolk bereits auf und davon. Ein Blick zeigte ihr, dass die Pferde sich noch in ihrem Pferch befanden, was die abgängigen Personen auf dem Fechtplatz lokalisieren würde. Sie schmunzelte bei dem Gedanken daran - ihr Gemahl kommentierte die morgendlichen Übungsstunden niemals, doch sie wusste, dass ihm das Fechten vor dem Frühstück Freunde bereitete - wenn es nicht die Knappen waren, die dafür herhielten, so waren es die Büttel, denen aber, so die insgeheime Einschätzung Shanijas, Bewegung ganz und gar nicht schadete. Alrigor hatte einen deutlichen Schmerbauch zugelegt, und Sybia, die Weibelin, war gleichfalls in die Jahre gekommen und längstens nicht mehr so schlank und flink wie noch vor einem Dutzend Götterläufen.

Shanija ließ sich von ihrer Zofe die Haare flechten und aufstecken und sann ihren Gedanken nach. Auch in die Haare ihres Gemahls hatte sich längst das Grau gemischt, doch wusste Sie, was zu tun war, um den härtesten Bissen von Satinavs Zähnen die Schärfe zu nehmen. Sie bezweifelte, dass der Baron jemals als alter Mann in einem weichen Bett sein Ende finden würde. Wenn er doch endlich einmal damit aufhören würde, sich Hals über Kopf in irgendwelche halsbrecherischen Abenteuer zu stürzen, so hätte er - vielleicht - die Möglichkeit dazu gehabt. Doch selbst seine Weihe schien ihn hierbei nicht zu bremsen. So waren es, mehr denn jemals zuvor, nun keine Bitten mehr, sondern Weisungen seiner Kirche, die ihn dorthin schickten, wo es zu tun für ihn gab. Zumindest hatte er sich so auf ihre Nachfragen ausgedrückt … sie hatte davon abgesehen, tiefer zu bohren. Dort nicht zu fragen, wo sie die Antworten nicht hören wollte, hatte sich als weise Überlegung erwiesen. “So, fertig, Euer Hochgeboren.” Madija steckte die letzte Haarnadel fest und reichte ihrer Herrin einen kleinen, silbernen Handspiegel, damit diese ihr Werk begutachten konnte. Mit einem Stirnrunzeln hatte sie die ungewohnte Schweigsamkeit der Baronin zur Kenntnis genommen. Dies geschah immer öfter in jüngster Zeit, desto mehr, wenn der Baron einmal wieder von seinen Reisen zurückgekehrt war. “Passt alles nach Euren Wünschen?” erkundigte sie sich überflüssigerweise.  “Selbstverständlich, meine Liebe. Ich danke Dir.” Shanija schenkte ihrer langjährigen Zofe ein warmes Lächeln. “Du kannst gerne frühstücken gehen. Ich brauche Dich die nächste Zeit nicht.” 

Sie erhob sich, strich ihr Kleid glatt - schlicht und mit klaren Linien aus dunkelgrünem Tuch, verbrämt mit goldenen Stickereien und einer breiten, goldenen Borte an den schmalen Ärmeln und trat hinaus in das blendende Sonnenlicht.

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<a name='Arbeit_fuer_zwei_Freundinnen'></a> Arbeit für zwei Freundinnen

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Sie zwinkerte und ihr Lächeln vertiefte sich, als sie die Gestalt Mauras erblickte. “Doctora Maura! So früh schon wach? Wie war die Nacht?”  Die meist gutgelaunte Doctora  lächelte auch jetzt an dem frühen Morgen. Auch sie hatte wieder ein grünes Kleid gewählt, das allerdings eine heller Note besaß als das der Baronin. Über dem Kleid trug sie eine Jacke aus blauem Samt, das einen leichten Stehkragen besaß. Ihr blondes Haar war heute hochgesteckt und verbarg sich fast gänzlich unter einem grünen Filzhut, dem eine Fasanenfeder schmückte. “Baronin Shanija! Die Nacht war kurz, ich war viel zu aufgeregt. Ich bin wegen Euch gekommen!” Sie machte einen höflichen Knicks. “Ich hatte gehofft, wir könnten den Tag der Jagd zusammen verbringen. Was meint Ihr, Euer Hochgeboren?”, fragte sie ganz direkt nach. “Darauf hoffe ich doch, Doctora.” Shanijas Augen blitzen auf, als sie mit einem Lächeln die Antwort gab. Der Tag versprach ganz unerwartet unterhaltsam und kurzweilig zu werden. “Kommt Ihr mit zum Frühstück? Ich habe einen Bärenhunger. Und dann erzählt mir, was Ihr für den heutigen Tag plant! Vielleicht bringen uns später auch die Jäger ein interessantes Stück Wildpret mit - ich habe vor zwei Jahren einmal einen Dachs mit zwei Köpfen erhalten. Doch bis dahin müssen wir uns die Zeit vertreiben.” Ihr Lächeln zeigte, dass sie diesem Unterfangen keine übergebührliche Schwierigkeit beimaß. “Sehr gerne, Euer Hochgeboren”. Maura folgte Shanija zu dem Tisch an dem das Frühstück schon angereicht war. Sie setzte sich der Baronin gegenüber und ließ sich einen Tee eingießen. “Große Plane habe ich nicht. Sobald all bei der Jagd sind, dachte ich mir, weiter unsere Gespräche zu vertiefen. Ich hatte ja gestern die Gelegenheit, gleich zwei Baroninnen kennenzulernen. Ich kenne ja die Hohe Gesellschaft in Elenvina sehr gut, aber die beiden Damen waren mir bislang noch fremd. Und wer weiß, wie die Damen und Herren sich bei der Jagd anstellen. Ich habe meine Doctorentasche dabei für den Notfall!” , sagte sie mit einem funkeln in den Augen, griff nach einem Messer und schnitt sich fein und sauber eine Scheibe vom Brotlaib ab. 

“Ich freue mich drauf. Einige Stündchen ein gelehrsames Gespräch klingt so verlockend - die Götter wissen, wann ich dieses zum letzten Mal genießen durfte. Dabei fällt mir ein, dass mir der Vogt gestern Wunderdinge über das Badezimmer der Jagdhütte erzählte - ich plane auf jeden Fall ein warmes, langes Bad zu nehmen, bevor die Gesellschaft zurückkehrt. Was meint ihr - wollen wir einen Teil unseres Disputes in einen heißen Badezuber verlagern?”

“Absolut! Ein warmes, langes Bad, dazu kann ich nicht nein sagen!” Maura war begeistert. Mit einem entspannten Bad hatte sie nicht gerechnet. Als sie zu einer Fragen über die “Wunderdinge” ansetzen wollte, wurden beide von weiteren Besuch gestört.

Zwei blutverschmierte, aber durchaus selbstzufriedene Gestalten kamen ruhigen Schrittes auf die beiden Damen zu. Der eine, mit einem blutverklebtem Hemd, war der Gemahl Shanijas, der andere war der Rondrageweihte, in einem blutverschmierten Wappenrock, einem blutbedeckten Gesicht und einem leichten Humpeln. “Einen guten Morgen wünsche ich den Damen.” Rief Rondradin fröhlich und ein wenig nasal, da ihm immer noch Blut von seiner Nase tropfte. “Guten Morgen - und wohlschmecken, die Damen.” Begrüßte auch der Rabensteiner mit deutlich gelassenerer Stimme die Anwesenden, ergriff die Hand seiner Gemahlin, die sich gerade über ein wehrloses Honigbrot herzumachen gedachte, und hauchte einen Handkuss darauf. “Wenn Ihr Euer Frühstück beendet haben werdet, benötigen wir Eure Dienste, Hochgeboren. Doch zuvor: dürfen wir Euch Gesellschaft leisten?”

Shanija musterte die beiden mit großen Augen und schloss energisch ihren Mund. “Was habt Ihr getan?” Mehr eine Anklage denn eine Frage. Nach einem kurzen Blick auf die gelassene Miene ihres Gatten hefteten sich ihre rauchgrauen Augen auf den bedauernswerten Rondrageweihten. “Was, Euer Gnaden?” Rondradin begegnete ihrem Blick mit völliger Unschuld. “Nur eine Unterweisung für die Knappen, Hochgeboren.” Kurz flackerte Shanijas Blick zu Boromada, prüfte, ob das Kind unversehrt sei, notierte das Fehlen der Paginnen und richtete sich dann wieder gleich einem Flammenschwert auf die beiden so vollkommen selbstgefälligen und absolut unbedarften Männer.

“Folgt mir, alle beide!” Sie warf ihrem Honigbrot einen abschiednehmenden Blick zu und wandte sich an Boromada. “Bleib hier, lass Dir Essen bringen und pass auf, dass das hier niemand abträgt. Wir kommen wieder.” Dies geregelt, blickte sie mit einem begeisterten Funkeln in die Augen in Richtung ihrer neuen Freundin. “Maura, mögt Ihr mitkommen und mir helfen?” Der Baron schien zu wissen, wann es opportun war, seiner Gemahlin nicht zu widersprechen, bot ihr mit höchst galanter Geste den Arm und half ihr dabei, sich von der groben Bank zu erheben. Auch die Doctora setzte einen prüfenden Blick auf. “Nichts würde ich lieber tun, Euer Hochgeboren! Euer Wunsch sei mir Befehl”, sagte sie mit einem fröhlichen Unterton. Maura raffte ihren Rock und folgte der Baronin.

Mit hocherhobenen Haupte schritt Shanija zielgerichtet zu den Zelten der Rabensteiner. Männer! Die Empörung über diesen so vollkommen sinnfreien ‘Übungskampf’ strahlte aus jedem Zoll ihrer hocherhobenen, schlanken Gestalt.  Sie sorgte dafür, dass im Hauptraum des Zeltes der traditionell mit allen möglichen Dingen vollgepackte Tisch abgeräumt und die Zeltplanen so weit aufgeschlagen wurden, dass die beiden Damen über genug Licht für ihre Kunst verfügten.  Ihre Zofe brachte unaufgefordert das Handwerkszeug der Maga und breitete eine erschreckend große Anzahl von Nadeln, Pinzetten, Sonden, Skalpellen, Scheren, Wundspreizern und Knochensägen sowie einigen arcaneren Werkzeugen auf einem weißen Tuch aus. Mehrere Tiegel mit verschiedenen Tinkturen, Watte und Verbandszeug komplettierten die Auslage.

Der Rabensteiner hob eine Augenbraue und musterte seine Gemahlin. “Hochgeboren, Ihr übertreibt.” Eine ruhige Feststellung nur, die Shanija mit einem zuckersüßen Lächeln beantwortete. “Überlasst dies getrost mir, mein Gemahl. Ich mag es, vorbereitet zu sein, wie Ihr gewiss verstehen könnt.”  Der Blick, mit dem sie die beiden Männer betrachtete, hatte etwas von einer Katze, die eine wohlschmeckende Maus taxiert. “Nun denn - ausziehen! Über Kleidung verbinde ich gar nichts!” Ein Blick vollkommener Höflichkeit, der in keinster Weise über das Lachen in ihren Augen hinwegzutäuschen vermochte. “Doctora, ich würde gerne Eure Meinung zu den Schnitten wissen - und würde Euch dann bitten, dass Ihr Euch der Nase seiner Gnaden annehmt. Wäre das in Eurem Sinne?”

“Ist das wirklich notwendig, Hochgeboren? Es ist doch nur ein Schn…” Rondradin verstummte, als er dem Blick Shanijas begegnete. Er schluckte und begann dann damit, den Schwertgürtel zu lösen und den Wappenrock abzustreifen. Kurz darauf folgte auch das Kettenhemd und das wattierte Unterzeug. Der Rondrageweihte stellte sich der Doctora und der Baronin, den durchtrainierten Oberkörper nun bar jeder Kleidung, damit diese nach bisher unbemerkten Verletzungen suchen konnten. Aber abgesehen von einer Handvoll kleiner Schnitte - das Kettenhemd hatte den Großteil abgehalten - und blauer Flecken waren keine Verletzungen zu erkennen. Allerdings konnte man bei genauerem hinsehen Narben älterer Verletzungen erkennen. Mehrere davon sahen nach Krallenspuren aus. Ganz wohl schien ihm dabei nicht zu sein, sich so vor den beiden Frauen zu präsentieren,  vielleicht weil die Sonnenstrahlen die Kälte der Nacht noch nicht hatten vertreiben können.

Maura lächelte, zog aber dabei eine Augenbraue hoch. “Wie ich eindeutig sehe, ist Euer Gnaden etwas kalt.”, stellte sie sachlich fest. Dabei legte sie sie ihre rechte Hand auf seine Schulter. Mit der Linken ergriff sie sein Kinn und betrachte seine Nase. “Hmmm … gebrochen scheint sie nicht zu sein. Da habt ihr Glück. Und nur ein leichter Schnitt.  Ich werde Euch aber eine Salbe auftragen, damit die Blessur besser abheilt und keine Narbe bleibt.” Maura konzentrierte sich, während sie weiter sein Gesicht betrachtete. Den kleinen Funken Magie den sie in sich trug, holte sie aus seinem Schlaf. Sie spürte das Prickeln, als die astrale Kraft durch ihre rechte Hand floss und sich ihren Weg über Rondradins Schulter in sein Inneres bahnte. Würde es stark genug sein, um zu sehen wie der junge Mann fühlte? Dann stellte sie ihm eine Frage. “Wie gefällt Euch eigentlich meine Nichte Gelda? Ihr saht recht gut zusammen aus beim gestrigen Tanz.” Die Doctora spürte einen großen Widerstand und bemerkte gleich, das der Rondrageweihte, nicht einfach zu “bezaubern”war. Sie lief den astralen Strom wieder in seinen Schlaf fallen. Nun mußte sich sich auf ihre Menschenkenntnis verlassen und wartete seine Reaktion ab.

Rondradin errötete, als die Doctora die offensichtliche Reaktion seines Körpers auf die Kälte kommentierte. Die weitere Untersuchung ließ er ruhig über sich ergehen, verfolgte aber genau, wie sich die Doctora verhielt. Ob Gelda ihr etwas vom Abend erzählt haben mochte? Nichts Schlechtes, hatte es jedenfalls den Anschein. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass seine Verletzung auf der Nase nicht genäht werden musste. Aber warum musterte ihn die Doctora mit einem mal so intensiv. Hatte Gelda doch etwas erzählt? Und tatsächlich sprach sie ihn auf Gelda an. Er versuchte ruhig zu bleiben und glücklicherweise verriet seine Stimme kaum etwas von seiner Aufregung. Ein ehrliches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er an den Tanz mit Gelda denken musste und sein Herz schlug schneller. “Sie ist eine liebreizende junge Dame.” Er tat sich nur schwer, mit dem was nach dem Tanz geschah, klarzukommen. Sagen konnte er das der Doctora natürlich nicht. “Darf ich fragen,wie sie zu Nivard von Tannenfels steht?” versuchte der Geweihte von seinem beginnenden Unmut abzulenken. “Der Tannenfelser? Ach, eigentlich gar nichts. Er ist ein guter Freund meines Sohnes und er wird als unser Begleitschutz zu Unserer Brautschau sein”, spielte sie die Beziehung etwas herunter. Ihr war es wohlweislich nicht entgangen, dass ihre Nichte viel Zeit mit dem Tannenfelser verbrachte. “Wusstet ihr, das Geldas Mutter eine Ritterin ist? Die rondrianischen Tugenden liegen ihr sozusagen im Blut! Ihr saht gut zusammen aus!” Das ihre Schwägerin allerdings dem Schwerthandwerk abgesagt hatte, verschwieg sie.  Rondradin akzeptierte diese Antwort, vorläufig. Hatte er sich die Vertrautheit der Beiden nur eingebildet und warum musste die Altenbergerin diese Brautschau schon wieder erwähnen? Kurz schlossen sich die Augen des Geweihten, als diverse Mosaikstückchen an ihren Platz fielen. “Geldas Mutter ist den rondrianischen Idealen verpflichtet? Das ist heutzutage eine Seltenheit in den Nordmarken.” Der Rondrageweihte nickte anerkennend.” Leider hat Eure Nichte gestern so gut wie nichts von sich erzählt. Aber vielleicht mögt Ihr mir etwas von ihr erzählen, Doctora?”

Während Maura ihm das Blut aus dem Gesicht entfernte, sprach sie konzentriert weiter. “Meine Nichte ist eine aufgeweckte junge Dame. Die einzige in der Familie die weiß wie man mit Pfeil, Bogen und Pferd umzugehen weiß. Ihr solltet Euch mit ihr unterhalten, falls Ihr mehr über sie wissen möchtet, Euer Gnaden.” Der Tonfall war eindeutig und signalisierte das sie nicht mehr über ihre Nichte sagen würde. Rondradin nickte kurz, sagte aber nichts. Den aufsteigenden Seufzer unterdrückte er. Wie sollte er sich mit Gelda unterhalten, wenn sie immer weglief? Shanija betrachtete das Zusammenspiel ihrer Freundin mit dem jungen - und wirklich nicht schlecht gebauten - Rondrageweihten und runzelte die Stirn. Nicht nähen? Nun gut, wenn sie den Schmiss mittels Magie geschlossen hätte … doch Strafe musste sein. Sie setzte ihr freundlichstes Lächeln auf, blickte Rondradin direkt an die Augen und wandte sich an Maura. “Ich vertraue Eurer Expertise, Doctora. Doch bedenkt, was Magistra Cardalessia über hypertrophe Narben insbesondere im Bereich der Epidermis des Kopfes berichtete - und über die erhöhte Neigung zu einer Keloidbildung bei Schnittwunden. Einige Stiche dürften diese Gefahr beseitigen.”

Diese Sache geklärt, überließ sie die beiden ihren Angelegenheiten und wandte sich wieder ihrem Gemahl zu, der sich wortlos seines Hemdes entledigt hatte. Shanija seufzte - sie kannte jede einzelne Narbe, die sich ihre Gemahl in den letzten zwei Dutzend Götterläufen eingefangen hatte, und dankte den Zwölfen, dass es bei Narben geblieben war. “Kommt her.” beschied sie ihn und tauchte einen Wattebausch in Alkohol, um den flachen Schnitt auszuwaschen. Es sprach für ihn, dass er bei der scharfen Flüssigkeit nicht einmal mit der Wimper zuckte.

Shanija arbeitete rasch und mit geübten Händen, darüber nachsinnend, ob es wirklich notwendig sei, die Wunde zu nähen - oder doch Magie zur Heilung einzusetzen. Andererseits gab es gegen die Behandlung die Notwendigkeit des vorausgegangenen Kampfes abzuwägen.  Sie lächelte die Knappin an, die mit stoischer Miene neben dem Baron Aufstellung genommen hatte. “Du hast Dir die Hände gewaschen, Kind? Sehr gut - dann gib’ mir jetzt einmal Nadel und Faden.” Niemand, absolut niemand hatte die beiden geheißen, sich mit scharfen Waffen zu duellieren.

Maura schaute sich noch einmal den Schnitt an der Nase an. “Hmm … der Schnitt scheint mir nicht sehr tief. Aber Ihr habt Recht, Hochgeboren. Ein paar Stiche würden nicht schaden. Auch wenn eine Narbe diesem schönen Gesicht kein Schaden machen würde!” Dann griff sie zu Nadel, Faden und Alkohol. Shanija lachte Maura an, die gerade offensichtlich mit ihrem Zwiegespräch ein Ende gefunden hatte. “Beißt die Zähne zusammen und denkt an etwas Schönes.” empfahl sie den beiden Männern. Rondradin nutzte die Gelegenheit und warf einen Blick mit einer seltsamen Mischung aus Bedauern und Stolz auf die Wunden, die er dem Baron geschlagen hatte. Dann stand die Doctora wieder vor ihm. Er atmete tief ein und tat, was die Baronin ihnen geraten hatte. Der Rabensteiner ließ die Arbeit seiner Gemahlin stoisch über sich ergehen. Shanija arbeitete sicher und geübt - und dankenswerterweise schnell - mit der Nadel, dennoch war die Prozedur wenig angenehm - vor allem vor dem Hintergrund, dass Shanija als Magierin ganz andere Möglichkeiten der Heilung besaß. Aus den Augenwinkeln betrachtete er den Rondrianer, der viel seiner Gefühle auf dem Gesicht trug - aus dem das Leben nun, nachdem er den Disput über die junge Gelda mit der Doctora beendet hatte und letztere mit zufriedenem Lächeln und spitzer Nadel vor ihm stand, für’s erste gewichen schien.

Shanija lächelte ihrer Freundin zu und begutachtete deren Handwerkskunst mit eher akademischem Interesse - die abgeschlossene Ausbildung in Vinsalt sprach viel über Mauras Fähigkeiten. Sie zog den Faden nach einem letzten, besonders kunstvollen Knoten fest und beäugte das Ergebnis, ehe sie ihren Gemahl mit leichtem Bedauern freigab. Die Schmarre an seinem linken Unterarm, die er seit Mendena mit sich herumtrug und die eine Abdruckreihe von Zähnen vom Handgelenk bis zum Ellbogen zeigte, hatte sich langsam von Blau und Dunkelrot wieder harmloseren Farben angenähert. Sie schüttelte den Kopf und seufzte. Wenn den beiden nicht nur so sehr die Selbstzufriedenheit aus jeder Pore strahlten würde! Männer! “Macht Euch wieder präsentabel, wenn ihr mit uns frühstücken wollt.” Sorgfältig wusch sie sich die Hände und trocknete sie an dem Tuch, das ihr eine der beiden Paginnen gereicht hatte, ab. “Und wie sieht es bei Euch aus, Maura? Durfte seine Gnaden seine Nase behalten?” “In der Tat, Euer Hochgeboren, So gut wie neu.” Zufrieden schaute Maura sich ihr genähtes Werk an. Wie einem Pferd zum Gange bewegend, klopfte sie dem Rondrageweihten auf die Schulter. Dann wusch sie sich ihre Hände, trocknete diese und schaute Baronin abwarten an. “Ich folge wenn ihr soweit seid”, sagte sie wieder mit einem Lächeln. “Habt Dank dafür, Doctora. Ich habe die Stiche kaum bemerkt.” bedankte sich Rondradin bei Maura. Mit Hilfe von Wasser und dem eh schon dreckigen Wappenrock wusch er sich das restliche Blut vom Gesicht. “Mein Vetter wird inzwischen mit einem frischen Wappenrock bei der Halle sein. Wo wir gerade dabei sind, darf Eure Knappin mit auf die Jagd oder bleibt sie hier im Lager, Hochgeboren?” Dabei sah er Lucrann an.  “Sie wird hierbleiben, Euer Gnaden.” Der alte Baron wischte sich mit einem feuchten Tuch die Reste des langsam trocknenden Blutes ab und zog sich ein neues Hemd über den Kopf. Viel besser. “Und Euer Vetter?”  Er warf einen Blick auf seine Gemahlin, die gerade dabei war, ihr Handwerkszeug wieder aufzuräumen, und fing ihre Hand ein, um ihr einen angedeuteten Kuss auf die Fingerspitzen zu geben. “Habt Dank, Hochgeboren. Ich weiß Eure Kunstfertigkeit einmal mehr zu schätzen.”  Shanijas Blick schwankte zwischen amüsiert und enerviert, ehe sie schließlich mit einem Lächeln die Schultern zuckte. “Ihr fordert es immer wieder heraus, mein Gemahl.” Der nahm den Konter mit einem Kopfnicken auf. “Lasst uns Frühstücken.” beendete er den kleinen Schlagabtausch, zusammen mit einem Blick auf den angekratzten Rondradiener.

“Kommt ihr mit?”

“Sehr gerne. Nach ein wenig Leibesertüchtigung hat man doch immer Hunger, findet Ihr nicht?” wollte Rondradin breit lächelnd wissen. Der alte Baron nickte nur und reichte seiner Gemahlin den Arm. Knappin und Paginnen folgten in einigen Schritt Abstand, dem überaus stattlichen Rondrianer und ihrem Knappenherrn den einen oder anderen verstohlenen Blick zuwerfend. Die Zwillinge tuschelten, und verstummten abrupt, als sie den Blick eines der Erwachsenen auf sich fühlten, mit einemmal sehr an dem Zustand ihrer leidlich polierten Stiefel interessiert.

“Mein Vetter wird ebenfalls hier im Lager bleiben. Bei einer Ansitzjagd oder einer Treibjagd auf Rotwild hätte ich ihn mitgenommen.” Palinor hatte nicht glücklich gewirkt, als Rondradin ihm das heute morgen erklärt hatte. Aber genug davon. Der junge Geweihte bot lächelnd Maura seinen Arm. “Edle Dame, darf ich Euch zum Frühstückstisch geleiten?” Die Doctora nahm den Arm des Geweihten herzlichst an. “Vielleicht kann sich Euer Vetter zu uns gesellen, während der Jagd. Nur meine Nichte Gelda wird an der Jagd teilnehmen, zusammen mit dem Krieger von Tannenfels, den Bergvögten Tharnax und Borix, sowie der Darstellerin Doratrava.” Dabei zwickte sie ihn kurz in den Oberarm. Sie lächelte dabei und folgte den anderen zum Frühstückstisch. “Das ist eine gute Idee, er wirkte vorhin auch ein wenig unglücklich. Ich werde ihm Euer Angebot überbringen.” erwiderte Rondradin im Plauderton, während er Maura musterte. Wollte sie Palinor auch noch zur Brautschau einladen?

Ein frommer Wunschobijekt

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Außer Atem kam Palinor an der Jagdhütte an. Das Kettenhemd hatte er abgelegt und dafür den Wappenrock angelegt. Nun stand er da, den Wappenrock für seinen Vetter in Händen und konnte weder ihn, noch den Baron von Rabenstein entdecken. Auch die Knappin des Rabensteiners konnte er nirgendwo erblicken. Nur die beiden Paginnen saßen an einem Tisch. Aber an diesem Tisch gab es keinen freien Platz mehr. Sie richteten ihm aber aus, dass er hier bleiben und frühstücken sollte. So ließ er sich an dem nächsten freien Tisch nieder und bestellte bei einer herbei eilenden Magd sein Frühstück. Seine Gedanken waren immer noch bei dem Zweikampf zwischen dem Baron von Rabenstein und Rondradin. Noch nie hatte er gesehen, wie sich Klingen so schnell, so präzise bewegten. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er gesagt, dass sie sich zu töten versuchten. Gedankenverloren schälte er ein hartgekochtes Ei und griff nach dem Salz, als er bemerkte, dass er anstatt der Dose mit dem Salz, eine zierliche Hand ergriffen hatte.  “Oh”. Marbolieb wandte sich zur Seite, wo sie die Quelle dieser unverhofften Kontaktaufnahme vermutete, und tastete mit ihrer freien Hand nach dem Rest, der an den Fingern hängen musste, die sich da um ihre Hand schlossen. Leider war der Oberst nicht an ihrer Seite - er war zusammen mit Mirla dabei, ein kleines Missgeschick ihrer Tochter zu beseitigen. “Wer seid Ihr denn? Und was möchtet Ihr?” fragte die junge Boroni mit ein einem überraschten Lächeln auf ihren hübschen Lippen, das unter ihrer bis zur Nasenspitze gezogenen Kapuze hervorblitzte. Der Knappe zog verlegen die Hand zurück und verbeugte sich leicht in Richtung der Geweihten. “Verzeiht Euer Gnaden, ich bin Palinor von Wasserthal, Knappe bei Baroness Durahja vom Berg. Eigentlich wollte ich nur etwas Salz haben.” Offen musterte er die neben ihm sitzende Geweihte, die er beim Hinsetzen offensichtlich übersehen hatte. “Ähm, mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?” wollte er von der zierlichen Gestalt wissen. Die Stimme ähnelte einer anderen, auch wenn sie jünger und unsicherer klang. Auch diesen Jungen umgab eine schwache Wolke aus Weihrauch und Metall. “Mein Name ist Marbolieb. Ich gehöre zum Haushalt des Vogtes zu Nilsitz.” Noch zumindest. “Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Palinor.”  Die Augen der Priesterin waren von ihrer weit ins Gesicht gezogenen Kapuze verdeckt, doch ihr Lächeln war offen und ohne Vorbehalte. “Hier steht bestimmt ein Salzfässchen.” Setzte sie freundlich hinzu und begann, die Oberfläche in ihrer Reichweite abzutasten. Seltsame Dinge fand sie, sogar eine Schüssel mit Schmalzkringeln, was ihr ein erfreutes ‘ah - fein’ entlockte. Nur das Salz blieb flüchtig, vorerst.

Tatsächlich befand sich eine Holzdose mit Salz auf dem Tisch und die Boroni war gerade dabei, diese mit ihrem Ellbogen vom Tisch zu räumen. Mit einem “Vorsicht!” auf den Lippen ergriff Palinor mit der einen Hand den suchenden Arm Marboliebs, mit der anderen angelte er nach dem Döschen und brachte es in Sicherheit. Die Frau verharrte in ihrer Bewegung. Sehr schmal und zierlich war ihr Arm unter Palinors Hand und es bereitete dem Knappen keine Schwierigkeiten, sie festzuhalten. Er spürte, wie die Frau ruhig wurde und abwartete - ob auf eine Erklärung oder darauf, dass er sie losließ, blieb offen. “Verzeiht, Ihr wart im Begriff mit eurem Ellbogen das Salz vom Tisch zu stoßen.” Versuchte Palinor sein Verhalten zu erklären. Den Arm Marboliebs ließ er los und lief - für Marbolieb nicht erkennbar - tiefrot an.  “Dann hat es sich ja eingefunden.” lächelte die junge Frau, die vielleicht ein halbes Jahrzwölft mehr als Palinor zählen mochte. “Danke, Junger Herr.” Rote, volle Lippen besaß sie, und eine leicht gebräunte, glatte Haut, wie sie nur die Bewohner der südlichsten Provinzen ihr Eigen nannten. Die Geweihte drehte sich nun endgültig zu Palinor und schien zu überlegen. “Kei… keine Ursache, Euer Gnaden.” So viele hübsche Damen waren hier. Es schien ihm beinahe ein Verbrechen, eine Schönheit, wie jene, die gerade vor ihm saß, in ein so unförmiges Kleidungsstück wie eine Robe zu stecken und dazu noch mit dieser alles verhüllenden Kapuze. Der Altersunterschied war zu vernachlässigen, beschied er, denn seine Schwertmutter war wahrscheinlich noch etwas älter als Marbolieb. Welch schöner Name. Er schrak aus seinen Gedanken auf. Hatte Marbolieb, oder jemand anderes sein Starren bemerkt? Die Boroni lächelte nur und tastete nach Palinors Hand. Warm und weich strichen ihre Fingerspitzen über seinen Handrücken, eine federleichte Berührung. “Benötigt Ihr noch etwas, Palinor?” Ein hübscher Name - der gut zu einem jungen, feschen Ritter passen würde. Einen Kuss! Dachte Palinor bei sich, um sich gleich darauf zu schelten. Was dachte er da bloß? Aber hatte sie nicht gerade eben seine Hand berührt? “Ähm, nein habt vielen Dank. Ihr habt so eine schön gebräunte Haut, kommt ihr aus den Tulamidenlanden?” Seine Hand ließ er wo sie war, auch wenn das bedeutete, dass er sein Ei nicht salzen konnte.

Marbolieb lächelte, in Palinors Augen ein sehr geheimnis- und verheißungsvolles Lächeln. “Ich bin in Punin aufgewachsen.” Weiterhin lagen ihre Finger auf seiner Hand, warm und stet und .. . “Aber erzählt mir von Euch. Wo kommt Ihr her? Und was führt Euch hierher?” Sanft und dunkel war ihre Stimme, von einer ganz eigenen Präsenz, Sicherheit vermittelnd und Vertrauen. “Aus Punin? Da war ich noch nie. Ich bin Knappe am Baronshof in Meilingen. Meine Eltern sind die Edlen von Pappeln, das liegt am Halwartsstieg. Mein Vetter hat mich hierher zur Jagd mitgenommen. Das ist meine erste Jagd und eigentlich habe ich es mir anders vorgestellt.” Er begann auf seiner Unterlippe zu kauen, so wie es aussah, würde er noch nicht mal mit auf die richtige Jagd gehen dürfen, sondern hier im Lager bleiben müssen. Er seufzte.

“Ich kenne mich in den Nordmarken leider gar nicht aus.” Bekannte die junge Frau, ehe sie, mit deutlich sanfterer Stimme, hinzusetzen. “Habt Ihr Kummer?” “Es ist nichts, nur hatte ich gehofft, mich in der Jagd beweisen zu können und nicht hier im Lager zurückzubleiben.” Er musterte die liebreizende Gestalt neben sich. Gingen Borongeweihte auf die Jagd? “Seid Ihr Teil der Jagdgesellschaft oder bleibt Ihr im Lager?” Vielleicht …  . Hoffnung keimte in ihm auf. “Ich jage nicht.” Belustigung ob dieses Gedankens wärmte die Stimme der jungen Geweihten. “Ich bleibe hier  - und hoffe, dass meine Dienste nicht benötigt werden.”  Ihre Fingerspitzen strichen tröstend über Palinors Hand. “Grämt Euch nicht. Eure Zeit wird noch kommen.”

Er konnte sein Glück kaum fassen. Sie würde ebenfalls im Lager bleiben. Er nahm all seinen Mut zusammen und versuchte, trotz der dämlichen Kapuze,  ihr in die Augen zu schauen. “Habt Ihr dann schon etwas vor, wenn die anderen auf der Jagd sind?” “Ich habe nichts geplant, junger Herr.” antwortete die Geweihte wahrheitsgemäß. Was hätte sie auch tun sollen? Allein durchs Lager wandern würde sie nicht, und sie konnte nur hoffen, dass Mirla dieses eine Mal sich nicht davonmachen würde. “Vielleicht habe ich Glück, und es wird ein sehr ruhiger Nachmittag.” Sie lächelte versonnen. “Und was werdet Ihr tun? Gewiss habt Ihr viele Aufgaben, die Euch beschäftigt halten.” Beneidenswert! Nicht einmal einen Götterdienst würde es geben, außer vielleicht einer kurzen Firunsandacht beim Aufbruch, der sie hoffentlich würde beiwohnen können. Was sich von diesen Gedanken auf ihren Zügen zeigte, war indes nur eine tiefe, nachdenkliche Sehnsucht.

Sein Herz schlug schneller. Sollte er es wirklich wagen? “Ich habe keine Pflichten, die ich zu erledigen habe.” Er hielt kurz inne, atmete tief durch und fragte:” Hättet Ihr Lust den Nachmittag in meiner Gesellschaft zu verbringen?” Aus seiner Stimme sprachen jugendlicher Überschwang und Aufregung. Über Marboliebs Lippen huschte ein ehrliches Lächeln. “Das ist sehr großzügig von Euch, Junger Herr. Und Ihr wärt gewiss, Euch nicht zu langweilen?” Sie überlegte einige Augenblicke lang und senkte den Kopf. “Ich bin keine unterhaltsame Gesellschaft, Palinor. Und ich weiß nicht, wie lange meine Tochter ihren Mittagsschlaf halten wird. Vielleicht danach?”

Schlagartig versteifte sich Palinor. Tochter? Mittagsschlaf? Er musste schlucken. Marbolieb war zwar eine ausnehmend schöne Frau, aber für ein Kind war er doch noch viel zu jung. Und überhaupt, gab es da nicht auch noch einen Vater? Der Knappe war verwirrt. Hatte er die Zeichen falsch gelesen? “Ihr habt eine Tochter?” fragte er vorsichtig nach “Wie alt ist sie denn?” “Mirla ist zwei Götterläufe alt.” Bedauernd zog Marbolieb ihre Hand zurück. Das Entsetzen des Knappen konnte sie deutlich fühlen. Er tat ihr aufrichtig leid - was hatte der junge Mann gehofft? Und warum fühlte sie sich mit einemmal so sehr viel älter als diese jungen, unbeschwerten Leute? Sie seufzte leise.

“Ich will Euch nicht Euch vom Essen abgehalten, Junger Herr.” Sie hielt inne, dem Knappen die Gelegenheit für einen inneren Rückzieher lassend, und suchte nach einem Stück Brot, das sich vor einiger Zeit auf ihrem Teller befunden haben musste. “Vielen Dank für Eure freundlichen Worte.” Noch bevor Marbolieb die Hand ganz wegziehen konnte, hatte Palinor diese gegriffen und hielt sie nun sanft aber bestimmt fest. “Bitte …” Der Knappe rang mit den richtigen Worten. Seine Reaktion hatte die Geweihte enttäuscht, wie er ihrem Verhalten und dem Seufzen zu entnehmen glaubte. Es tat ihm leid, aber wie sollte er ihr das sagen? Er war nicht so wortgewandt wie seine Schwertmutter oder sein Vetter. Wie würden sie das lösen? Es dauerte einen Moment, bis der Knappe weitersprach. “Marbolieb, Euer Gnaden, Ihr seid eine wunderschöne Frau und ich … und Ihr habt ein so sanftes Wesen. Ich wollte Euch gerade nicht beleidigen, mitnichten!” Er drückte ihre Hand, nur einen Herzschlag lang. “Bitte verzeiht einem jungen Knappen seine Träumereien, wenn er auf einmal mit einer almadanischen Rose zusammentrifft und seinem brechenden Herz, wenn er bemerkt, dass seine Träume eben nur Träume waren.” Hatte er das gerade wirklich gesagt? Er lief puterrot an, wagte es aber nicht, den Blick von Marbolieb abzuwenden.

Die Frau lächelte. Ein Lächeln voller Wärme. Sie legte ihre freie Hand auf die von Palinor, so dass sie diejenige des Knappen fest umschlossen hielt. “Ihr habt mich nicht beleidigt, Palinor.” Sie schwieg einige Herzschläge lang, und ihr Lächeln wurde wehmütig. “Und bitte glaubt mir, dass ich in einem anderen Leben von Herzen gerne den Nachmittag an Eurer Seite verbringen würde. Ihr seid ein aufrechter, durch und durch freundlicher junger Mann mit einem sehr großen Herzen - ich bin mir gewiss, dass Ihr eines Tages eine Frau finden werdet, die Eurer auch wert ist.” Die Finger ihrer Rechten fanden seine Schläfe, leicht wie Mottenflügel, und blieben dort. “Schämt Euch nicht Eurer Träume, Palinor. Sie sind ein Teil von Euch und machen Euch zu dem, der Ihr seid.”  Das Lächeln auf ihrem Mund gewann noch ein wenig mehr an Wärme, eine Winzigkeit nur, deutlich genug. “Und irgendwann wird Euch ein ganz bestimmter Traum mehr sein als nur ein flüchtiges Sehnen. Genug, Eure Füße auf einen Weg zu bringen, auf dem Ihr Eure Bestimmung findet. Doch noch nicht jetzt.”  Sie gab seine Hand frei und schob sich die Kapuze vom Haupt, große, dunkle, wundervolle Augen offenbarend. Augen, in denen Palinor hätte ertrinken mögen. Augen, die an ihm vorbei auf einen Punkt irgendwo hinter ihm blickten, ohne indes ein festes Ziel zu finden. “So Ihr das möchtet, will Ich Euch gern meinen Segen geben. Und solltet Ihr einmal jemanden zum Reden” sie hob einen Finger und in ihrem Lächeln blitzte etwas Schelmisches auf, so rasch verschwunden, wie es gekommen war “und nur zum Reden benötigen, so seid mir stets willkommen.“

Der Knappe genoss die Berührung Marboliebs ebenso wie ihre Worte. Kurz vergaß er zu atmen, als sie die Kapuze zurückschlug und ihr Gesicht vollends offenbarte. So wunderschön! - So fern! Trotzdem musste er kichern als Marbolieb mit dem erhobenen Finger ihr Angebot zum Reden machte. “Ich danke Euch, Marbolieb. Für Eure freundlichen Worte, für Euer Angebot zu Reden, dafür, dass Ihr einfach seid wie Ihr seid.” Er berührte sanft die Hand, die an seiner Schläfe verweilte und lachte dann befreit auf. “Wollen wir unser Frühstück fortsetzen?”

“Sehr gerne” schmunzelte die Frau und legte ihre Hände wieder züchtig auf dem Tisch ab. “Ich habe wirklich Hunger. Sagt, habt Ihr hier einen Krug mit Kräutertee gesehen?” Und da waren doch auch noch die Schmalzkringel gewesen … vorsichtig, bemüht, nichts umzuwerfen, streckte sie die Hand aus und begann, nach der Leckerei zu tasten. “Es ist mir jedoch eine Freude, Euch kennengelernt zu haben, Palinor.” “Die Freude ist ganz auf meiner Seite.” Einen Augenblick später hatte er auch den Kräutertee entdeckt und schenkte Marbolieb einen Becher ein. “Wollt Ihr Honig in euren Tee haben?” Ein Tiegel mit der klebrigen Süßigkeit stand direkt neben dem Teekrug. Ah, und endlich konnte er auch das inzwischen geschälte Ei vor sich salzen und essen. “Gerne” Die vielen Süßigkeiten waren ein seltener Luxus, den sie inniglich genoss. Und so senkte sich für eine kurze Zeit das Schweigen angelegentlichen Speisens über die beiden.

In jenem Moment trat der Oberst der Eisenwalder mit der glucksenden Mirla auf dem Arm zurück in die Halle und kam im Marschschritt zu dem Tisch gelaufen, an dem die Geweihte und der Knappe saßen. Dwarosch folgte ein weiterer Angroscho, der einen ausladenden Backenbart besaß und Spieß und Helm des Obristen in Händen hielt, sein Adjutant Boringarth. Dwarosch selbst trug an diesem Morgen nicht wie am Vortag seine Prunkrüstung aus Zwergensilber, sondern schweres, gehärtetes Leder, ganz dem Anlass und dem Gelände angemessen. Lediglich ein kurzärmliges Hemd aus feinster, senaloscher Kette rückte das Bild des wehrhaften Angroschos wieder zurecht.

"Ich breche jetzt zur Inspektion der Posten in den Wald auf, Räblein", erklärte Dwarosch leise in Richtung der Geweihten und legte ihr dabei ihre Tochter vorsichtig in die Arme. Dem Knappen schenkte der Oberst ein Lächeln und nickte diesem zu. “Danach werde ich mit Borindarax und den Grafen zur Jagd aufbrechen.” Er küsste ihre Schläfe. "Wenn du etwas brauchst oder zum Zelt möchtest, gib bitte den Bediensteten Bescheid. Borax hat eine der Angroschax eingeteilt, dass sie dann und wann nach dir sieht." Marbolieb nickte, tastete nach der Hand des Oberst und drückte sie dankbar. Sie wandte den Kopf in die Richtung, in der sie ihn vermutete, und schenkte ihm ein liebevolles Lächeln, das für einen Lidschlag lang ihr Gesicht von innen erstrahlen ließ. “Pass’ auf Dich auf.” bat die Geweihte. Mirla hielt sich mit weniger Hintergedanken auf. Mit einem glücklichen Jauchzen hatte sie die Schmalzkringel erspäht und warf sich ohne Rücksicht auf Verluste nach vorn, in Richtung der begehrten Leckerei. “Ham!” erklärte sie kämpferisch. Überrascht sah Palinor von Mirla zu Marbolieb. “Das ist Eure Tochter?” wollte er wissen. “Na du, kennst du mich noch?” fragte er bei der kleinen Dame nach, die gerade herzhaft in einen Schmalzkringel biss.  Mirla lachte auf und wedelte mit ihrem Schmalzkringel vor Palinors Nase. “Tapfen!” erklärte sie stolz. “Nochmal?”

Der Knappe sah zu dem Paar vor sich, wobei er noch gar nicht richtig verstanden hatte, dass diese ein Paar waren. “Mein Vetter brachte sie gestern mit zu unseren Zelten. Dort haben wir eine Motte für Mirla gebaut.” Der Name war ihm entfallen, erst die neuerliche Nennung in Verbindung mit der Namensträgerin brachte die Erinnerung daran zurück. Als er den Blick des Zwergs auf sich ruhen spürte, stand er auf und verbeugte sich. “Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen, ich bin Palinor von Wasserthal.” haspelte er herunter, aufgeregt wie er war.  Das Lächeln des Angroschos hielt an. “Freut mich junger Herr. Ich bin Dwarosch, der Sohn des Dwalin, Oberst der Eisenwalder”, stellte sich der bullige Zwerg nun auch vor. Nochmals nickte er dem Knappen zu, bevor er sich zum Gehen wandte.  “Ich muss mich verabschieden. Rondras Wehr über Euch, von Wasserthal.”

Marbolieb kommentierte den Aufbruch Dwaroschs mit der Andeutung eines Lächelns. Sie senkte den Kopf und strich über das Haar ihrer Tochter, die gerade dabei war, sich den zweiten Schmalzkringel in den Mund zu stopfen und Palinor mit riesengroßen, hoffnungsvollen dunklen Augen anblickte. “Gobbihopp?” fragte sie.

Auf der Suche

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Nach dem Frühstück verabschiedete sich Rondradin vorübergehend von der kleinen Gruppe und machte sich auf die Suche nach Gelda, den Rat ihrer Tante befolgend. Er würde sich noch für die Jagd umziehen müssen. Wenigstens hatte er inzwischen einen sauberen Wappenrock anlegen können. Trotzdem sah man ihm an, dass er einen Kampf hinter sich hatte. Die frisch genähte Nase war ein deutliches Anzeichen dafür. Rondradin suchte bereits seit einer Weile als er eine ihm bekannte Gestalt ausmachte. “Rondra zum Gruße und einen guten Morgen!” grüßte er freundlich. In Gedanken versunken hatte Doratrava den Geweihten der Rondra erst gar nicht wahrgenommen. Sie schreckte auf, als sie die Begrüßung hörte. “Äh … Rondradin … lange nicht gesehen … guten Morgen …”, brachte sie etwas verdattert heraus. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie den Geweihten gestern Abend schon einmal flüchtig aus den Augenwinkeln gesehen hatte, als … ja, als sie nach dem Tanz mit Liana nach draußen geflüchtet war. “Was … was machst du denn hier?” fragte sie wenig geistreich, während ihr Gesicht versuchte, sich auf einen Gefühlszustand einzupendeln, ohne dass das gelang. Dann erst sah sie die frisch genähte Wunde an Rodradins Nase. “Huch, du bist ja verletzt!” entfuhr es der Gauklerin, dann suchte sie sich einmal im Kreis drehend den Himmel ab. “Keine Harpyie zu sehen”, konstatierte sie dann, wobei sich ihre Miene nun für ein schelmisches Grinsen entschieden hatte. Ebenfalls grinsend, schüttelte der Geweihte den Kopf. “Nein, keine Harpyien, nur eine Unachtsamkeit bei einer Waffenübung.” Rondradin musterte Doratrava. “Schön, dich zu sehen, aber was machst du hier eigentlich? Gibt es etwas um das ich mir Sorgen machen müsste?” fragte er unvermittelt. Er mochte Doratrava, aber bisher waren ihre Treffen immer von irgendwelchen Katastrophen begleitet worden. “Was?” erwiderte Doratrava verblüfft. “Weswegen denn? - Und von wegen ‘was mache ich hier’ - hast du etwa nicht gesehen, wie ich gestern für die Gesellschaft getanzt habe, du … du … Barbar!” Mit entrüsteter Miene und in die Seiten gestemmten Fäusten sah die Gauklerin dem Geweihten forschend ins Gesicht. “Was könnte es denn geben, das dich vom Höhepunkt des gestrigen Abends ferngehalten hat?” Doratrava versuchte noch einen Moment, ernst zu bleiben, doch dann schlich sich ein schelmisches Lächeln in ihre vorwurfsvolle Miene, das anzeigte, dass sie sich selbst ein wenig auf die Schippe nahm. “Was weiß denn ich? Bisher ist immer irgendetwas passiert, wenn ich dich getroffen habe.” gab der Rondrageweihte scheinbar erregt zurück, wobei der Schalk aus seinen Augen blitzte. Sie sahen sich kurz an, dann lachte er. Schließlich sprach er weiter. “Deinen Auftritt habe ich gestern wohl verpasst. Aber ich kam auch erst später zum Bankett, zuvor musste ich noch etwas klären. Deinen Abgang habe ich allerdings mitbekommen.” Der Geweihte betrachtete Doratravas Gesicht. “Was war denn los? Es schien als ob du geweint hättest.” “Pffft…” machte die Gauklerin auf Rondradins erste Bemerkung hin. “Woher willst du denn wissen, dass das an mir liegt?” Dann wurde sie ein wenig blassrosa, als der Geweihte sie auf die Szene nach dem Tanz mit Liana ansprach, und sie musste schlucken. “Ja …”, gab sie dann zögernd zu, “das war wohl so. Ich … hatte … also, nachdem die Rahjageweihte alle zum Tanzen aufforderte, hatte ich einen … wunderbaren Tanz mit Liana, also der Elfe, äh, der Baronin von Rodaschquell. Und dann hat sich ihre blöde Zofe eingemischt und … ich weiß auch nicht, es fühlte sich an, als würde alles kaputt gehen … aber frag’ jetzt nicht, was ich mit ‘alles’ meine, das weiß ich selbst nicht …” Doratrava verstummte und hielt sich eisern im Zaum. Sie würde jetzt nicht schon wieder anfangen zu weinen. “Ähm … können wir das lassen? Ich möchte jetzt nicht schon wieder darüber nachdenken müssen.”  “Wenn du ein Schulter zum anlehnen brauchst, kannst du jederzeit zu mir kommen. Aber nein, wir müssen jetzt nicht darüber reden.” Rondradin suchte den Blick Doratravas und lächelte sanft. Eduina also, natürlich, wer sonst?! Innerlich seufzend suchte der Geweihte nach einem Thema, welches Doratrava vielleicht ein wenig ablenken konnte. “Gehst du mit auf die Jagd?” wollte er wissen, nachdem er Doratravas Gewandung näher in Augenschein genommen hatte.

Doratrava sah an sich herunter, als sie die Blicke Rondradins bemerkte, ohne auf sein Angebot einzugehen, auch wenn sie nochmals ein wenig blassrosa wurde, was er hoffentlich nicht bemerkte. Sie trug eine Lederhose und ein Leinenhemd, dazu halbhohe Lederstiefel. Ein wenig dürftig für die Jagd, aber viel mehr hatte sie ja auch nicht. Ihr langer Kapuzenmantel war zwar vermutlich unpraktisch im Gelände, aber den würde sie trotzdem noch holen müssen, bevor es losging, denn sonst würde es möglicherweise zu kalt sein. “Ja, klar”, antwortete die Gauklerin schließlich, als wäre es das Natürlichste von der Welt. “Mit Nivard, Gelda und zwei der Zwerge. Wir haben gestern extra mit dem Speer und dem Bogen geübt.” Sie musste ein wenig kichern, als sie an den ‘Schubkeiler’ von gestern dachte.   “Du gehst mit Gelda von Altenberg auf die Jagd?” wollte Rondradin wissen. Er schien fast ein wenig aufgeregt. “Das trifft sich gut, ich suche sie nämlich. Ich… äh… muss noch was mit ihr besprechen.” Nun war es Rondradin der errötete. “Weißt du, wo ich sie finden kann?” “Äh, ja, was, du kennst sie?” Doratrava guckte erstaunt, zuckte dann aber mit den Schultern. “Wir haben gerade gefrühstückt, aber sie ist ein Zehntel Stundenglas vor mir raus. Ich wollte gerade selbst nach ihr suchen, sie kann ja nicht weit sein. Nivard  - also Nivard von Tannen … fels? Ich hab’s nicht so mit den langen Namen - müsste bei ihr sein, der ist ihr kurz nach ihrem Abgang gefolgt. - Ist es was wichtiges?” Doratrava sah Rondradin nun etwas seltsam an, er konnte ihre Miene diesmal nicht richtig deuten.

“Warum siehst du mich so seltsam an?” wollte Rondradin wissen. Hatte Gelda irgendwas zu Doratrava gesagt? Und schon wieder dieser Nivard. Maura hatte die Beziehung heruntergespielt, aber war da doch was zwischen den beiden? Fragen über Fragen. Lieber konzentrierte er sich auf Doratrava. “Na ja, wichtig? Hm, ich würde gerne etwas klären. Ja, das trifft es ganz gut.” Er hielt inne. “Doratrava, warum siehst du mich immer noch so seltsam an?”  “Äh, tue ich das?” fragte die Gauklerin unschuldig, aber schon wieder schlich sich eine leichte Röte in ihre Gesichtsfarbe. “Also …“, sie brach ab, um dann etwas schnippisch neu anzusetzen: “Was wollt ihr eigentlich alle von Gelda?” Dann schlug sie sich die Hand vor den Mund, als hätte sie zuviel gesagt, ihre Gesichtsfarbe wurde noch ein wenig intensiver. “Warum frage ich so blöd?” flüsterte sie dann eher, aber dann fing sie sich wieder. “Ja ja, du brauchst nicht zu antworten. Ich hatte dich nur noch nicht in Geldas Nähe gesehen, deshalb war ich etwas überrascht. Also: Nivard schleicht schon die ganze Zeit um sie herum, und du jetzt auch? - Ach, ich sagte ja, du brauchst nicht zu antworten. Sollen wir Gelda - und damit wohl auch Nivard - zusammen suchen? Wie gesagt, weit können sie nicht sein.”  Rondradin schwieg einen Moment. Nivard von Tannenfels war gestern also nicht zufällig aufgetaucht. Jetzt war Gelda allein bei ihm. Doratravas Vorschlag hörte sich plötzlich gar nicht so schlecht an. “Ja, gehen wir gemeinsam auf die Suche. Gelda bin ich gestern zum ersten mal begegnet, als sie mich zum Tanz aufforderte”,  berichtete er Doratrava. “Allerdings gab es an dem Abend noch andere Ereignisse, die… der Klärung bedürfen.” Genauer würde er nicht darauf eingehen. Die Röte in Doratravas Gesicht hatte er diesmal bemerkt, ein seltener Anblick. “Sag mal, fieberst du? Dein Gesicht ist so rot.”  Doratrava lief womöglich noch ein wenig röter an, tatsächlich ein seltener Anblick, da man das bei ihrer weißen Haut sonst so gut wie nicht erkennen konnte. “Äh … was?” stotterte sie. Eine gewisse Verlegenheit war für Rondradin deutlich zu erkennen. “Äh … ich hoffe nicht. Gestern Nacht bin ich, also … es war kalt draußen vor der Halle, und ich hatte ja nur mein Kostüm an, vielleicht habe ich mich erkältet? Äh … aber ich hoffe nicht, die Jagd und so … was ist jetzt, sollen wir gehen?” versuchte sie abzulenken. “Aber nicht, dass ihr euch dann um Gelda prügelt!” setzte sie einem plötzlichen Einfall folgend hinzu. “Die beiden sind meine Freunde. So wie du.”

Rondradin musste an sich halten um nicht loszulachen, als Doratrava tatsächlich noch röter wurde. Er legte ihr die Hand auf die Stirn und fühlte die Temperatur. “Nein, ich denke du hast keine Erkältung, auch wenn es leichtsinnig war, so dünn angezogen in die kalte Nacht hinaus zu rennen.” schalt er sie ein wenig frotzelnd. “Ja, lass uns losgehen. Und mach dir keine Sorgen, ich werde keinen Streit mit Nivard vom Zaun brechen. Darauf hast du mein Wort.” Der Geweihte lies Doratrava den Vortritt. “Wo sollen wir mit der Suche beginnen?” Doratrava musste an sich halten, um nicht zurück zu zucken, als Rondradin ihr unvermittelt die Hand auf die Stirn legte, dann blickte sie ihn Anklage heuchelnd an. “Ja ja, ich weiß, aber … es war halt so. Ich bin auch recht überraschend hier angekommen, zwar hat mich der Zwerg, also der Vogt, schon vor einiger Zeit eingeladen, aber ich hatte es fast vergessen und habe deshalb fast nichts von meinen Sachen dabei, die sind alle in Twergenhausen untergestellt. Egal. Gut, wenn ihr euch nicht streiten wollt. Dann lass’ uns gehen. Am besten einmal um die Jagdhütte herum, dann werden wir sie schon finden.” Schweigend schritt Rondradin neben Doratrava her. "Doratrava, mein Vorschlag gerade war ernst gemeint. Wenn du dir jemals etwas von der Seele reden willst oder auch nur eine Schulter zum anlehnen oder ausweinen brauchst, werde ich für dich da sein. Dafür sind Freunde da." griff er ihre Worte auf. Er unterdrückte den Drang ihr die Hand auf die Schulter zu legen. Ihm war nicht entgangen, dass seine Berührung Doratrava unangenehm gewesen war, auch wenn sie es gut überspielt hatte. Vielleicht würde sie irgendwann mit ihm darüber reden wollen und dann würde er ihr gerne zuhören. Die Gauklerin warf Rondradin einen schnellen, undeutbaren Blick zu. Für einen kurzen Moment hatte der Geweihte den Eindruck, als kämpfe sie mit sich oder etwas in ihr gegen sie. Halb öffnete Doratrava den Mund, um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Dann war der Augenblick auch schon wieder vorbei. Sie nickte, dann schüttelte sie den Kopf, dann nickte sie erneut. “Danke”,  murmelte sie, um dann wieder in Schweigen zu verfallen. Die Reaktion Doratravas auf sein Angebot überraschte den Geweihten. Gern hätte Rondradin nachgebohrt, aber andererseits wollte er Doratrava auch nicht drängen. Stattdessen lächelte er sie aufmunternd an. “Du hast deine Sachen also in Twergenhausen zurückgelassen. Bist du jetzt sesshaft geworden und hast dir dort eine dauerhafte Unterkunft besorgt?” Irgendwie konnte er das nicht glauben. Doratrava war in der Vergangenheit herumgereist, ähnlich wie er selbst. Auf der anderen Seite, er war ja auch sesshaft geworden.

Die Gauklerin sah überrascht (oder erleichtert?) auf. “Was? Nein … nein, aber mittlerweile habe ich irgendwie schon einen ganzen Haufen Zeugs angesammelt”, begann sie etwas heiterer zu erläutern. “Ein Pferd. Und einen ganze Sack voll Kleider, viel zu viel, als dass man das immer überall hinschleppen könnte. Ich hatte mal wieder Lust auf eine kleine Wanderung zu Fuß, und deshalb habe ich die Sachen in Twergenhausen im Traviatempel untergestellt. Ich muss das da bald wieder abholen, sonst denken die noch, ich komme nicht mehr wieder.” Doch schon umwölkte sich Doratravas Blick erneut. “Ich hoffe, das gibt keinen Ärger …” “Habe ich dir damals nicht geholfen dein Pferd zu kaufen? Du hast es also immer noch.” Rondradin streckte sich im Gehen. “Du ziehst also immer noch durch die Lande. Hast du etwas erlebt, von dem es zu berichten lohnt?” Er stutzte, als er an ihren letzten Satz und ihren Gesichtsausdruck zurück dachte. “Warum sollte es denn Ärger geben, und mit wem?”  Doratrava nickte. “Ja, genau, seit damals habe ich ein Pferd, das steht jetzt eben in Twergenhausen.” Dann warf sie die Arme in die Luft. “Ach, als ich in dort aufgetreten bin”, begann sie mit der Beantwortung der zweiten Frage, “ist wohl ein Zuschauer, ein Händler, von irgend einem Dieb bestohlen worden. Ich musste dann von Kopfgeldjägern, die der Händler auf mich ansetzte, erfahren, dass er mich für schuldig hielt, sowas wie: ich lenke die Leute ab, damit mein Komplize sie beklauen kann. Völliger Schwachsinn. Hat mich trotzdem in eine unangenehme Lage gebracht, erst vor ein paar Tagen in einem Dorf nicht weit von hier.” Die Gauklerin holte tief Luft. “Ich konnte mit Hilfe die Kopfgeldjäger in die Flucht schlagen, aber ich weiß ja nicht, ob die nach Twergenhausen zurückgekehrt sind und ihrem Auftraggeber alles brühwarm erzählt haben. Oder ob sie mir nochmal irgendwo auflauern. Blöde Sache, aber ich kann niemanden einfach so umbringen, weil er mir später nochmal Ärger machen könnte. Das … das bringe ich nicht über mich, auch wenn es manchmal vielleicht besser wäre …” Doratrava brach bedrückt ab und blickte zu Boden.

Der Geweihte hätte sie am liebsten in den Arm genommen um sie zu trösten. “Hätten die Kopfgeldjäger denn wirklich den Tod verdient, nur weil sie dem Auftrag eines wütenden Händlers gefolgt sind?” Rondradin sah seine mehrmalige Reisegefährtin milde an. “Es ist gut zu hören, dass du noch immer an deinem Weg festhältst. Das mag seltsam aus dem Munde eines Rondrageweihten klingen, aber so sehe ich es. Trotzdem ist die Anschuldigung eine ernste Sache, Doratrava.” meinte Rondradin nachdenklich. “Du musst zurück nach Twergenhausen und dich den Anschuldigungen stellen. Ansonsten könnte die Geschichte noch weitere Kreise ziehen und du müsstest dich nicht nur vor den Kopfgeldjägern in Acht nehmen.  Wenn du möchtest, gehe ich mit dir nach Twergenhausen.”

“Stellen?” Doratrava blickte empört zu Rondradin auf. “Erstens habe ich nichts getan und zweitens - wem würden die Büttel wohl glauben, einem angesehenen, ortsansässigen Händler oder einer dahergelaufenen Gauklerin mit weißer Haut und spitzen Ohren? - Ja, ja, zurück nach Twergenhausen muss ich trotzdem, wenn schon nicht wegen dem Pferd, dann doch wegen all der schönen Kleider. Ich danke dir für dein Angebot, aber ich habe schon die Einladung der Altenberger und Nivards angenommen, die reisen nach dem Fest nach Elenvina, kommen dabei aber an Twergenhausen vorbei. Aber du darfst gerne mitkommen, sie haben sicher nichts gegen mehr Geleitschutz?” Einen Augenblick blitzte der Schalk in Doratravas Augen und sie konnte die düsteren Gedanken verdrängen. Eigentlich kannte sie sich selbst kaum wieder. Seit der Sache mit den Kopfgeldjägern wurde sie immer wieder von düsteren Stimmungen heimgesucht, das kannte sie sonst gar nicht. Oder waren das alles noch die Nachwirkungen, weil sie Jel verlassen hatte … ? Schon nahm ihr Gesicht erneut einen niedergeschlagenen Ausdruck an. Rondradin hob beschwichtigend die Hände. “Beruhige dich. Du hast schon recht, dir wird man wahrscheinlich kein Gehör schenken, einem Geweihten der Rondra allerdings schon. Vielleicht lässt der Händler auch mit sich reden.” Der Geweihte sprach mit ruhiger, sanfter Stimme. “Was soll das lange Gesicht? Es wird sich schon alles finden, sei dir dessen gewiss.” Er lächelte ihr aufmunternd zu.

“Ja, meistens findet sich immer alles”, antwortete Doratrava wenig überzeugt klingend. “Aber wie gesagt, ich reise mit den Altenbergern und Nivard. Ob die mir dabei helfen wollen, oder ob ich sie da überhaupt mit reinziehen will … aber das Angebot, zumindest meinerseits, steht: da kannst uns gerne begleiten. “Also gut, da du mich so nachdrücklich darum bittest, werde ich dich bis Twergenhausen begleiten.” antwortete Rondradin mit einem übertriebenen Seufzer und verdächtig zuckenden Mundwinkeln. Ob er es danach noch rechtzeitig nach Senalosch zur Einweihung schaffen könnte, würde sich  zeigen, aber Doratrava war ihm wichtiger. Doratrava sah den Geweihten scharf an. “Für dich ist das alles ein großer Spaß, was? Einer der Kopfgeldjäger hat mit der Armbrust auf mich geschossen, ich konnte gerade noch ausweichen! Und der andere hat mich mit seinem Säbel getroffen!” Fast war sie versucht, ihr Hemd hochzuziehen, um Rondradin den zwar verheilten, aber noch gut sichtbaren Schnitt über die Brust zu zeigen, sah dann aber doch davon ab. Versöhnlicher fuhr sie fort: “Ach, schon gut, es ist halt erst ein paar Tage her. Nun gut - danke, dass du mitkommst. Dann müssen wir nur noch die Altenberger und Nivard überzeugen!” Jetzt blitzte schon wieder der Schalk in den Augen der Gauklerin.

Jeglicher Schalk war schlagartig aus Rondradins Gesicht gewichen als Doratrava ihm die Worte an den Kopf warf. Er blieb stehen und starrte Doratrava finster an. “Für dich ist alles ein großer Spaß?” echote der Geweihte. Seine nächsten Worte sprach er sehr leise und mit einer Eiseskälte, welche die Gauklerin noch nie bei dem Geweihten erfahren musste. “Glaubst du das wirklich? Glaubst du wirklich, dass ich es als ‘Spaß’ auffassen würde, wenn eine geschätzte Freundin von Kopfgeldjägern verfolgt wird? Was glaubst du, erwartet dich in Twergenhausen? Glaubst du, ein Händler, der dir Kopfgeldjäger über die Baroniegrenze hinaus, hinterher schickt, würde nicht dafür sorgen, dass jeder Büttel in Twergenhausen dein Gesicht kennt? An den Stadttoren hängen mit Sicherheit Steckbriefe von dir, damit dich auch jeder Büttel erkennt.” Rondradin hatte sich langsam in Rage geredet und hielt kurz inne um tief durchzuatmen. Ruhiger fuhr er fort. “Glaubst du wirklich, ich könnte dich alleine dorthin reisen lassen, in dem Wissen was dir dort blüht?” Der junge Mann verstummte und sah Doratrava enttäuscht an.

Doratrava stolperte einen Schritt zurück, als der Geweihte sie so anfuhr. Abwehrend hob sie die Hände, völlig verwirrt schaute sie Rondradin mit großen Augen an. "Ich ... wollte nicht ...", stammelte sie etwas hilflos. "Ich ... dachte nur ... aber ... meinst du wirklich, dass da Steckbriefe von mir hängen?" Die Stimme der Gauklerin klang jetzt sehr unsicher und hatte einen leicht panischen Unterton. Der Stimmungsumschwung des Geweihten hatte sie auf dem falschen Fuß erwischt, schien er ihr doch wirklich vorher etwas scherzhaft aufgelegt zu sein, und die in Aussicht gestellte Unbill, sollte sie allein in Twergenhausen einlaufen, ängstigte sie. Darüber hatte sie sich überhaupt keine Gedanken gemacht. Mit hängenden Schultern schaute sie Rondradin an. Sie sah die Enttäuschung in seinem Blick, was ihre Unsicherheit nicht minderte, konnte sie diese doch nicht richtig nachvollziehen. "Ich ... das war auch kein Scherz, als ich mich für das Angebot deiner Begleitung bedankte."

Sein Blick wurde milder, die Enttäuschung verschwand und er räusperte sich. “Ich weiß. Es tut mir leid, Doratrava. Du hast nur einen wunden Punkt erwischt.” er senkte beschämt den Kopf. “In Albenhus starben damals Leute, was verhinderbar gewesen wäre, wenn man die Sache ernst genommen hätte. Gut, Twergenhausen wird nicht so schlimm werden, aber ich lasse dich nicht offenen Auges ins Verderben rennen. Das Schlimmste was dir passieren könnte, wäre wahrscheinlich Kerker oder Steinbruch und dazu werde ich es nicht kommen lassen.” Er nahm behutsam Doratravas Hand und sah ihr in die Augen. “Natürlich komme ich mit und stehe dir bei. Mit einem Geweihten und Adligen als Fürsprecher an deiner Seite sieht es auch gleich besser für dich aus.”  Doratrava straffte sich ein wenig bei Rondradins Entschuldigung, ihre Verwirrung wich Mitgefühl, welches nun in ihrem Blick lag, doch nur kurz, dann schüttelte es sie erneut. “Kerker? Steinbruch? Brrrr! Ich hoffe wirklich, wir bringen die Sache zusammen in Ordnung. Ich … kann mich nur nochmals bedanken.” Sie nahm die Hand Rondradins und drückte sie kurz, dann ließ sie wieder los und blickte verlegen zu Boden.

Der Geweihte machte sich ein wenig kleiner, damit er Doratrava in die Augen sehen konnte. “Das wird schon wieder, versprochen.” er zwinkerte ihr gutmütig zu. “Jetzt müssen wir nur noch deine anderen Reisegefährten finden und ihnen offenbaren, dass ich ebenfalls mitkommen werde.” Das würde ein Spaß werden, dachte er mit gemischten Gefühlen. Die Gauklerin nickte, beschloss dann aber, dass nun genug Trübsal geblasen worden war. Rondradin hatte ja gefragt, was sie so getrieben hatte seit ihrem letzten Zusammentreffen, also wollte seine Neugier befriedigen, damit sie das leidige Twergenhausen-Thema für den Moment verlassen konnten. “Hm, was ich erlebt habe … ist ja schon eine Weile her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben … in diesem schrecklichen Dschungel, weißt du noch? Und du wirst es kaum glauben, ich war nochmal da unten und in Selem, das war aber alles keine Erfahrung, welche ich wiederholen möchte. Hm, wenn ich es recht bedenke, hab’ ich in letzter Zeit ziemlich viele Erfahrungen gemacht, die ich nicht freiwillig wiederholen möchte. Verrückte Magier, Vampire … brrr.” Doratrava lief eine Gänsehaut hinunter, wenn sie an ihre erste und bisher zum Glück einzige nahe Begegnung mit einer solchen Wesenheit dachte, unwillkürlich schüttelte sie sich.

Nach einer kurzen Pause, um sich zu sammeln, fuhr die junge Gauklerin fort: “Hast du gewusst, dass ich auf der Hochzeit von Hlûtharswacht auftreten durfte? Eine Tsageweihte, die ich zufällig kennenlernte, Glöckchen wird sie genannt, hat mich eingeladen. Das war das erste Mal, dass ich überhaupt vor mittelreichischen Adligen aufgetreten bin. Ich war ziemlich nervös, aber eigentlich habe ich mich da ziemlich gut geschlagen … wäre da nicht … also … du hast sicher gehört, wie die Hochzeit geendet hat?” Wieder legte sich ein tiefer Schatten auf Doratravas Miene, als sie Rondradin zögernd ansah. “Nach Selem bringen mich keine zehn Pferde mehr.” murmelte Rondradin, gerade noch vernehmbar. Er dachte nicht gern an diese Reise zurück. “Aber wem sage ich das, hm?” er zwinkernde aufmunternd Doratrava zu. “Verrückte Magier? So schlimm war dieser Magier aus Punin, Firutin, doch gar nicht.” versuchte er Doratrava aufzuheitern. “Mit Vampiren habe ich auch meine Erfahrungen machen müssen. Das war direkt vor der Hochzeit von der du gesprochen hast, in Albenhus.” Seine Züge wurden ausdruckslos und der Blick starr in die Vergangenheit gerichtet. “Schreckliche Tage waren das. Es… “ unwillkürlich legte sich Rondradins Hand um den Griff seiner Klinge. Er verstummte und schüttelte den Kopf. Doratrava konnte sehen, dass es ihn die Ereignisse dort immer noch beschäftigten. “Nein, nicht Firutin, obwohl der auch verrückt ist”, lachte Doratrava kurz auf, um dann gleich wieder ernst zu werden. “Der, den ich meine, hat in der Nähe von Lowangen Golems zusammengeschraubt oder wie man die auch immer herstellt … eine längere Geschichte …” Doratravas Blick verlor sich für einen Moment in unbekannten Fernen, aber dann sprach sie weiter, als würde sie unvermittelt aus einem Traum erwachen: “Äh, vor der Hochzeit? In Albenhus? Noch mehr Vampire?” Die Gauklerin klang nun gelinde entsetzt. “Ja ist man denn jetzt nirgends mehr sicher vor dieser Brut? Da kriege ich ja Angst, alleine umherzureisen …” Rondradin konnte ihr anhören, dass diese etwas flapsige Bemerkung nicht im mindesten scherzhaft gemeint gewesen war.

“Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht ängstigen.” meinte Rondradin ernst. “Es ist noch zu früh um sicher zu sein, aber ich denke, das Schlimmste haben wir hinter uns. Inzwischen hört man kaum noch was über neue Fälle. Trotzdem tätest du gut daran, nicht alleine zu reisen. Es gibt noch andere Gefahren in diesen Gefilden und ich kann nicht überall sein.” den letzten Teil untermalte der Geweihte mit einem Augenzwinkern. “Bei Gelegenheit würde ich aber gerne die Geschichte über den Golembauer hören.” Plötzlich ging ihm auf, dass dies wohl das längste Gespräch war, welches er jemals mit Doratrava geführt hatte. Selbst auf ihren gemeinsamen Reisen hatte sich nie eine Gelegenheit ergeben. Vielleicht auch, weil sie mich noch nicht als Freund ansah. Dachte Rondradin bei sich, es war das erste mal, dass sie ihn als Freund bezeichnet hatte. “Ja, schon gut … du müsstest ja auch nicht überall sein, sondern nur bei mir.” Doratrava ließ den Satz einen Augenblick hängen, bevor ihr Mund sich zu einem Grinsen verzog und die Bemerkung als Scherz entlarvte. “Nein, im Ernst, ich brauche keine Amme - hoffe ich. Und meistens werde ich wohl jemanden finden, der mit mir reist oder mit dem ich reise. Was nicht heißt, dass du mich nicht begleiten darfst.” Wieder lächelte Doratrava den Geweihten schelmisch an. “Dann hätten wir auf jeden Fall Zeit für längere Geschichten. - Was guckst du so komisch?”

Den Blick in den Himmel gerichtet, war Rondradin mit verträumten Gesichtsausdruck stehengeblieben. “Ich habe es mir gerade nur vorgestellt. Du und ich alleine am nächtlichen Lagerfeuer, eng aneinander geschmiegt, einen Mantel über uns gebreitet. Nur wir, dazu das Knistern des Feuers, das Rauschen der Bäume im Wind und das leise Rufen einer Nachtigall.” Halb erwartete er einen Ellbogen in seiner Seite zu spüren, als Reaktion Doratravas auf seine freche Rede. Allerdings hatte Doratrava es auch herausgefordert. Der Ellbogen kam auch, gefolgt von einem “Autsch!” Vorwurfsvoll und sich den Arm reibend sah Doratrava den Geweihten an. “Dass ihr auch immer so unbequemes und hartes Zeug tragen müsst!  - Das hättest du wohl gerne, was? Aber Belohnungen muss man sich verdienen!” Die junge Frau grinste Rondradin frech ins Gesicht. Dieser lachte herzhaft. “Das ist die gerechte Strafe dafür, dass du einen Geweihten schlagen wolltest.” Mit einem breiten Grinsen fuhr er fort. “Du hast übrigens recht, Belohnungen muss man sich verdienen. Also, du hast noch einen weiten Weg, wenn du dich am Lagerfeuer an mich anschmiegen möchtest. Vor allem, wenn du weiterhin darauf bestehst mich zu schlagen.”

Doratrava rammte Rondradin gleich nochmal den Ellbogen in die Seite, allerdings eher symbolisch, um sich nicht erneut weh zu tun. "He, du frecher Kerl. Na warte, wenn du mal keine Rüstung anhast, schlage ich dich dort, wo es wehtut!" Der Ausdruck im Gesicht der Gauklerin strafte ihre Worte Lügen, und sie stimmte in das Lachen mit ein. “Das kannst du gerne versuchen, aber sei darauf gefasst, dass ich dich dann leider über’s Knie legen muss.” es blitzte angriffslustig in seinen Augen. Er genoss die Gegenwart Doratravas und des kleinen Disput mit ihr, der ihn an das kleine Wortgefecht erinnerte, welches er gestern verloren hatte. “Um mich über das Knie zu legen, musst du mich erst einmal erwischen”, erwiderte Doratrava mit einem frechen Lächeln und brachte sich dann mit einem spielerischen Salto aus der direkte Reichweite des Geweihten. Aus drei Schritt Entfernung drehte sie ihm eine lange Nase. Dieser lachte aus vollem Halse und warf einen Tannenzapfen in ihre Richtung, den er gerade vom Boden aufgehoben hatte. “Hast du ein Glück!” kommentierte er seinen schlechten Wurf, der einen guten Schritt an ihr vorbeigegangen war. Doratrava wollte schon selbst einen Tannenzapfen aufheben und zurückwerfen, da wurde sie ihrer anderen Freunde gewahr, die gerade hinter ein paar Büschen auftauchten.

Der Herr der Jagd

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Der Vogt von Nilsitz selbst kam am Morgen erst recht spät in die Große Halle. Er schien nicht erpicht darauf zu sein zu frühstücken, jedenfalls ließ Borax sich in der Küche nur einen starken Gewürztee aushändigen und durchmaß dann mit einem feinen Lächeln um die Mundwinkel den Raum in Richtung des Tores ins Freie. Auf seinem Weg grüßte hier und dort und erkundigte sich ab und an, wie die Nacht gewesen sei.

Morgenschlaf ist der beste Schlaf

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"Hochgeboren, darf ich Euch einen guten Morgen wünschen?" sprach Leodegar laut, mehr nach draußen zu Chrodegang und Abarhild als ins Innere gerichtet, als er das Zelt seiner Baronin betrat. Die Plane fiel hinter ihm zurück vor den Zelteingang - Halbdunkel umfing ihn. In seiner Hand balancierte er einen Teller mit etwas Brot, Schinken und Käse, darauf eine Schale mit Kompott, in der anderen einen Becher mittlerweile erkalteter Ziegenmilch. Nachdem er alles auf dem kleinen Tischchen abgestellt hatte, setzte er sich neben die Baronin und rüttelte sanft an ihren Schultern. "Wunnemine!" raunte er ihr zu. "Wunnemine, Du musst aufwachen. Die Jagd wird in Bälde beginnen, und Du solltest vorher noch etwas zu Dir nehmen." 'Seltsam, normalerweise war sie immer viel früher auf den Beinen. Mittlerweile schien bereits das ganze Lager geschäftig, und sie schlief noch immer.' Wunnemine räkelte sich. Sie war noch etwas benommen vom Schlaf. Zugleich fühlte sie sich aber ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Mit einem Lächeln öffnete die Baronin ihre Augen. "Mein guter Leodegar!" begrüßte sie ihn leise. Sie setzte sich auf und wurde des Frühstücks gewahr. Dankbar ergriff sie die Hand ihres Vogts und sah versonnen in Richtung Tisch, bevor sie sich mit gutem Hunger an das Mahl machte. So gut gelaunt hatte er seine Herrin des Morgens schon lange nicht mehr gesehen. Hierdurch und trotz oder vielleicht gerade wegen ihres noch wild zerzausten Haares erschien sie ihm schön wie schon lange nicht mehr. Still dankte er dafür den Göttern, dann setzte er sich neben Wunnemine.

Er wartete darauf, dass sie von selbst die Geschehnisse des vergangenen Abends ansprach, sie mit ihm zu diskutieren, wie sie es immer in derartigen Situationen tat. Heute war er besonders neugierig. Wegen des Tanzes mit dem Grafen. Und um den Grund für die gute Laune herauszufinden. Zu seinem Leidwesen tat sie ihm diesen Gefallen nicht: stattdessen speiste Wunnemine zügig, jedoch mit sichtlichem Genuss, schweigend und in heiterer Nachdenklichkeit, hinter der sich tief empfundene Dankbarkeit für das Geschenk der letzten Nacht verbarg, ehe sie sich schließlich erhob und eilig, aber ohne Hektik, für die Jagd präparierte.

-- Main.IseWeine - 27 Jun 2020