Nilsitz Jagd Ankunft Jagdhuette

Kapitel 4: Ankunft in der Jagdhütte

4. und 5. Ingerimm 1042 BF

Ankunft an der Jagdhütte

<literal>

<a name='Ankunft_an_der_Jagdhuette'></a> Ankunft an der Jagdhütte

</literal> _nach oben_↑

Anfang Ingerimm des Jahres 1042 nach dem Fall Bosparans fanden sich Angroschim nahezu aller Bergkönigreiche, aber auch Adlige aus dem gesamten Herzogtum Nordmarken im Wald von Nilsitz ein, um der Einladung des zwergischen Vogts der gräflichen Ländereien zu folgen. Borindarax, Sohn des Barbaxosch, Urenkel des Rogmarog vom Eisenwald, hatte die Nilsitzer Jagdhütte, einen jener Bauten, in denen die Lex Zwergia einst ausgehandelt worden war und seither das friedvolle Zusammenleben von Menschen und Angroschim auf ein rechtlich sicheres Fundament stellte, wiedererrichten lassen und wollte nun zur Einweihung eine große Jagd, aber ebenso ein Festbankett abhalten.

Bevor man den Festplatz, auf dem die Jagdhütte stand jedoch erreichte, musste ein kleines Hindernis überwunden werden. Dort wo der Wald endete und der großen, künstlichen Lichtung gewichen war, auf dem die Jagdhütte stand, hatte das Isenhager Garderegiment ‚Ingerimms Hammer‘ einen weiten Ring aus kleinen Wachposten errichtet, die jeden kontrollierten, der das Areal betreten oder verlassen wollte. Zusätzlich marschierten immer wieder kleinere Patrouillen der schwer gerüsteten Zwerge am Waldrand entlang und so mancher Gast hatte sogar kleine Krähennester in den Bäumen erblickt, in denen Zwerge mit Armbrüsten saßen und Ausschau hielten.

Ankunft Doratrava

_nach oben_↑

Lang war der Marsch gewesen, bequem war etwas anderes, immer wieder hatte Regen die Wege in schlammige Pisten verwandelt, und dann waren auch noch Kopfgeldjäger hinter ihr her gewesen. Aber nun sah Doratrava endlich das Ziel ihrer Reise vor sich. Die ‚Jagdhütte‘. In ihren Augen war das eher eine Festung. Doch zunächst verstellte ihr ein zwergischer Wächter den Weg. Sie trug wie meist den langen Mantel mit Kapuze, welcher ihre exotische Gestalt vor neugierigen Augen verbarg, dazu außer einer Umhängetasche nichts als Gepäck, so dass der Zwerg nicht recht wusste, woran er war. „Halt!“ rief er, „Erklärt Euch!“ Warum mussten diese Adligen immer so seltsam sprechen und konnten nicht klar sagen, was sie wollten? „Mein Name ist Doratrava. Euer Vogt Bo … Borin … Borindarax hat mich eingeladen. Ich bin Gauklerin.“ Der Gerüstete sah mit seinen bernsteinfarbenen Augen zu beiden Seiten an Doratrava vorbei, ganz offensichtlich über den Umstand irritiert, dass sie ganz allein durch den Wald gekommen war. Gleich darauf drehte er sich mit einem angedeuteten Kopfschütteln zur Seite und deutete zum Gebäude. "Mein Name ist Andragrimm, edle Dame. Bitte folgt mir." ‚Edle Dame.‘ Nun gut, wenn der Zwerg es so wollte, sie widersprach ihm nicht. Doratrava schritt hinter dem Krieger mit den kupferroten Haaren hinterher an eine der Längsseiten des Gebäudes, durch die vielen Zelte hindurch, die drumherum standen oder sich noch im Aufbau befanden. Ihr Ziel war ein anderer Angroscho, der dort stand und das rege Treiben aufmerksam beobachtete. Die Gauklerin hatte schon einige Vertreter des kleinen Volkes gesehen auf ihren Reisen, besonders hier in den Nordmarken oder bei den Nachbarn des Herzogtums im Kosch, aber einem mit einem glattrasierten Kinn war sie bisher noch nicht begegnet. Dies hieß indes jedoch nicht, dass dieser Zwerg haarlos war im Gesicht, oh nein. Der Bart des weißblonden Angroschos begann einfach nur nicht wie üblich am Kinn, sondern an seinen Wangen. Er trug einen ausgeprägten Backenbart. In eine edle moosgrüne Tunika mit silbernen, geometrischen Stickereien gekleidet, sah er Doratrava lächelnd an und hob dabei ein kleines Büchlein in der Rechten, um es aufzuschlagen. „Mein Name ist Boringarth“, begrüßte er den Gast. „Wie ist euer Name, werte Dame?“ Nanu, hatte sie sich doch falsch an den Namen erinnert? Immerhin fing derjenige des seltsam gewandeten Gesellen vor ihr auch mit ‚Borin‘ an … aber nein, Namen konnte sie sich zwar nicht gut merken, aber Gesichter schon, und der Zwerg, der sie eingeladen hatte, hatte außerdem einen vollständigen Bart von feuerroter Farbe gehabt, das wusste sie noch genau. „Seid gegrüßt, edler Herr. Mein Name ist Doratrava. Der Vogt hat mich eingeladen“, fasste sie sich kurz und versuchte gar nicht erst, den Namen des Genannten schon wieder herauszuquetschen. Das ersparte ihr peinliches Gestammel. Der Zwerg stutzte kurz beim Vernehmen des Namens, schlug das Büchlein jedoch sogleich zu ohne darin gesucht zu haben und lächelte erneut. „Die Gauklerin. Borindarax hat mir von euch erzählt. Auch davon wie angetan er von euren Darbietungen war. Wenn ihr Dinge ablegen beziehungsweise euch umziehen wollt, dann lasst euch von einer der Bediensteten im Haus ins Dachgeschoss führen. Der Vogt gab mir Anweisung, euch dort unterzubringen. Keine Sorge, es ist sauber, warm und trocken, jedoch sind unsere koscher Brüder und Schwestern, die uns bei der Ausrichtung der Feier helfen, auch dort oben einquartiert. Ich hoffe dennoch, dass ihr euch bei uns wohlfühlen werdet.“ Mit einem knappen Kopfnicken in Richtung des kräftig wirkenden Soldaten gab Boringarth diesem zu verstehen, dass er nicht länger zu warten brauchte und so zog der Angroscho wieder von dannen in Richtung des Waldrandes zu seinen Kameraden. Nach dieser zwar freundlichen, aber knappen Begrüßung sah sich Doratrava ein wenig verloren um. Dann entschloss sie sich kurzerhand, auf eigene Faust den Weg zum Dachgeschoss der ‚Jagdhütte‘ zu suchen. Sauber, warm und trocken hörte sich schon mal gut an nach der Reise durch den unwirtlichen Wald. Wenn sie sich und ihre Kleidung waschen könnte, wäre das sogar noch besser. Sie traute sich aber nicht, den edel gekleideten Zwerg danach zu fragen. Eins nach dem anderen. Da oben gab es bestimmt jemanden, der mehr über die hiesigen Gepflogenheiten zu berichten wusste. Achselzuckend suchte sie den Eingang und dann eine Treppe, wobei sie sich im Inneren des Gebäudes aufmerksam und neugierig umsah.

Ankunft Thalissa di Triavus

_nach oben_↑

Dass die Nordmarken im Vergleich zum Horasreich ein wilder Landstrich waren, hatte Thalissa di Triavus, die Baronin von Rickenhausen, nun schon mehr als einmal feststellen müssen. Aber diesmal führte ihr Weg durch Gegenden, die ihrer Meinung nach auch hätten im Orkland liegen können, wenn sie es nicht besser gewusst hätte. Abseits aller als solche erkennbaren Wege schlug sie sich nun seit Tagen durch Felsen und Wälder und hatte zeitweise auch noch langanhaltenden Regen ertragen müssen. Ein Wunder, dass die Pferde es hier heraufgeschafft hatten, ohne sich alle Beine zu brechen. Diesmal war Thalissa wahrlich froh, ihren Leibwächter Tar‘anam sin Corsacca nicht zuhause gelassen zu haben. Mit dem Tuzakmesser des alten Kriegers an ihrer Seite hatte sie sich in den finsteren Wäldern durchaus sicherer gefühlt, wenn auch erstaunlicherweise keine Situation eingetreten war, in welcher sie Waffen gebraucht hätten. Seiner Rolle und dem Anlass der Reise entsprechend trug der Krieger mit den kurzen weißen Stoppelhaaren praktische Lederkleidung samt Lederharnisch und sonst nichts Ausgefallenes. Hinter den beiden führte Melisande della Yaborim, Thalissas treue Zofe, auf ihrem eigenen Pferd reitend noch ein Packpferd am Zügel. Die junge Frau mit den glatten, mittellangen dunklen Haaren sah sich neugierig um. Auch sie war dem Anlass entsprechend in Lederhose, ein ledernes Wams und Reitstiefel gewandet, darüber einen einfachen, aber wasserdichten Mantel. Als die Reihe der Wächter um das imposante Gebäude, welches hier als Jagdhütte durchging und eigentlich so gar nicht in diese Umgebung passen wollte, in Sicht kam, schlug die junge Baronin die Kapuze ihres weit geschnittenen, an den Rändern mit ein paar verspielten Applikationen versehenen Reisemantels zurück und schüttelte ihre blonde Lockenpracht aus, damit sie von Weitem erkennbar war. Zudem prangte auf der Satteldecke ihres Pferdes das unverkennbare Wappen von Rickenhausen. Langsam lenkte sie ihr erschöpftes Reittier auf einen der Zwerge zu, der einen höheren Rang bekleidete, soweit sie das erkennen konnte. „Seid gegrüßt! Ich bin Thalissa di Triavus, Baronin von Rickenhausen, samt Begleitung.“ Abwartend blickte sie den Zwergen an. Der in einen hell glänzenden Kettenpanzer mitsamt Paradehelm gerüstete Angroscho nickte den Neuankömmlingen zu, als er sich ihnen zuwandte. Eindeutig erkannte Thalissa den Wappenrock des Eisenwalder Garderegimentes über dem Brustharnisch.   „Erfreut eure Bekanntschaft zu machen, Hochgeboren“, antwortete der für seine Spezies außergewöhnlich große und nicht minder bullige Angroscho förmlich. Thalissa kam diese Stimme bekannt vor. Sie war tief aber wohlklingend, trotz des leicht dumpfen Tones, den das Visier des Helmes verursachte und sie besaß viel weniger Dialekt, als es die Baronin von anderen Zwergen gewohnt war. Auch der Bart, der sich unterhalb des Helmes bis hin zur Gürtelschließe des Waffengurtes erstreckte meinte sie wiederzuerkennen. Er war schwarz, graumeliert und besaß allerlei metallischen Schmuck, welcher in ihn eingeflochten war. Die Baronin geriet ins Grübeln, wo sie diesem Zwerg begegnet war. Doch erst als der Zwerg den Helm abnahm, begriff Thalissa, wer vor ihr stand. Diese schwarzen, stechenden Augen gehörten dem Oberst der Eisenwalder, den sie aus Rodaschquell kannte. Mit einem breiten, warmen Lächeln sah der Sohn des Dwalin zu den drei Reitern auf. „Schön, dass ihr der Einladung Borindaraxs gefolgt seid. Er wird sich freuen, euch begrüßen zu dürfen, Hochgeboren.“ „Oberst Dwarosch. Welche Überraschung“, gab die Baronin von Rickenhausen lächelnd zurück. „Die Freude ist ganz meinerseits. Habt Ihr die Prüfung der Wehr der Nordmarken beendet, oder seid Ihr hier auf Urlaub?“ Ihre dunkelblauen Augen blitzten ein wenig schelmisch, so dass der Oberst erkannte, dass die Frage nicht ganz ernst gemeint war. Auch Tar‘anam und Melisande nickten den Zwergen zu, ersterer militärisch knapp, letztere mit einem freundlichen Lächeln. Die beiden kannten den Oberst vom ersten Zusammentreffen der Baronin mit ihm bei einem Besuch der Elfenbaronin von Rodaschquell. Der Oberst lachte herzhaft auf die Frage hin, vergaß dabei aber dennoch nicht, die Grüße des Herren und der Dame an der Seite der Baronin im Anschluss zu erwidern, bevor er eine Antwort gab.  "Sagen wir so, die Bestandsaufnahme im Isenhag war interessant und durchaus erbauend. Die Instandsetzungsmaßnahmen laufen gut an und ich bin zuversichtlich in wenigen Jahren eine positive Bilanz zu ziehen, bevor ich mir im speziellen die Grenzen des Herzogtums und deren Befestigungen ansehe. Jeder braucht eine Aufgabe, das gilt für euch ebenso wie für mich. Im Übrigen hat Borindarax unsere gemeinsame Bekanntschaft, die Baronin von Rodaschquell, ebenfalls eingeladen. Ich gespannt, ob sie kommen wird.“ „Oh?“ gab sich Thalissa erstaunt. „Nun, die Dame machte mir jetzt eher nicht den Eindruck, sonderlich interessiert zu sein an der Waidmannskunst. Andererseits scheint sie mir immer für eine Überraschung gut zu sein. Lassen wir uns eben einfach überraschen.“ Thalissa ließ ihren Blick über den Platz vor der Jagdhütte schweifen, aber bisher war niemand da, den sie näher kannte. Zumindest, soweit sie das von hier aus erkennen konnte. Dwarosch nickte wissend und wechselte dann das Thema. „Hattet ihr eine angenehme Reise durch die Wälder im Rahja des Wedengrabens?", fragte Dwarosch am Ende und Thalissa erkannte anhand eines gewissen Untertons in seiner Stimme, dass dies keine einfache Höflichkeitsfloskel war.  Die Baronin sah den Zwerg nachdenklich an. Wohl hatte sie den Unterton bemerkt, konnte ihn aber nicht recht einordnen. „‘Angenehm‘ ist jetzt nicht das richtige Wort“, gab sie schließlich zögernd zur Antwort. „Das Wetter war recht nass und die Wege sind teilweise recht anspruchsvoll, um es einmal so auszudrücken. Aber immerhin sind wir vor Räubern und wilden Tieren verschont geblieben. Oder wolltet Ihr auf etwas anderes hinaus?“ fragte sie nun doch direkt. „Ich möchte euch nicht beunruhigen. Hochgeboren. Andere Gäste haben Spuren von Steinschraten gefunden und eine Delegation aus dem Kosch hatte sogar eine kurze Begegnung mit einem solchen Troll. Dieser zeigte jedoch kein sonderlich großes Interesse an einer irgendwie gearteten Auseinandersetzung und suchte das Weite.“ Der Oberst zuckte leicht mit den Schultern. „Nichts für ungut. Schön, dass ihr unbehelligt hierhergekommen seid. Ich wünsche euch schöne Tage im Schatten der Eisenberge.“ „Habt Dank, Oberst. Man sieht sich hoffentlich, Ihr werdet nicht immer Wachdienst haben.“ Letzteres hörte sich eher wie eine Feststellung an denn wie eine Frage, und Thalissa gab mit einem letzten Wink in Richtung von Dwarosch ihrem Pferd die Sporen. Tar‘anam und Melisande samt Packpferd folgten, wobei letztere es nicht lassen konnte, dem Zwergen noch freundlich zuzuzwinkern. Bald erreichten sie die Jagdhütte selbst, wo sie andere Zwerge in Empfang nahmen.

Ankunft der Rabensteiner

_nach oben_↑

Weit war die Reise in die unmittelbare Nachbarschaft nicht gewesen – kaum einmal eine Woche. Keine Strecke, die auf einer gut ausgebauten Reichsstraße nicht in anderthalb Tagen zu schaffen gewesen wäre – doch eine solche gab es hier nicht. Dennoch - jetzt, im Frühling, war die Strecke firunwärts entlang des Gingelbachs fast vollkommen schneefrei und angenehm gangbar, so dass der Baron von Rabenstein und seine Begleitung nach einem angenehmen und kurzen Ritt in Nilsitz anlangten. „Ich bin sehr gespannt, was uns erwartet. Seine Hochgeboren hat sehr eindrücklich von den baulichen Besonderheiten der Jagdhütte berichtet – selbst von Zwergenbauten soll sich diese sehr abheben.“ Shanijas Augen funkelten – nur zum Teil ob der Tatsache, dass hier, mitten im Wald, eine Jagdhütte entstanden war. Ihr Gemahl indessen verschluckte ein resigniertes Seufzen – seine Gemahlin hatte beschlossen, dass diesem nachbarschaftlichen Gesellschaftsanlasse zu folgen sei. Also würde er ihr diesen Gefallen tun. Er warf einen Blick zurück, wo seine zwei Paginnen, die Schweinsfolder Knappin, die Zofe seiner Gemahlin und zwei seiner Büttel die Nachhut bildeten, zuckte die Schultern und parierte sein Pferd durch, als die ersten Wachen auf den Weg traten und nach dem Woher und Wohin verlangten. Die Soldaten indes wurden im wahrsten Sinne des Wortes sofort wieder zurückgepfiffen, als der etwas abseitsstehende Befehlshaber der Wachen die Wappen erkannte, die die Reiter trugen. Dank der unmittelbaren Nähe zu Nilsitz waren die Farben Rabensteins selbst den Zwergen bekannt. Der Hauptmann grüßte, als Lucrann an der Spitze der Schar den Wachposten passierte und führte dann ein schlankes Horn zum Mund, um einen kurzen Signalton abzugeben.

„Hochgeboren. Werte Nachbarn. Es freut mich, dass ihr es einrichten konntet zu kommen.“ Mit ausgebreiteten Armen begrüßte der Sohn des Barbaxosch Baron und Baronin, seine Gäste. „Ich hatte gehofft, dass eure werte Frau Gemahlin euch überzeugen würde“, ergänzte der Vogt nicht ohne ein spitzbübisches Lächeln. Borax trug an diesem für ihn großen Tag einen modischen, dunkelgrünen Gehrock mit silbernen, geometrischen Stickereien, wie sie bei den Zwergen häufig zu finden waren. Um den Hals lag zudem natürlich die breite Amtskette der nilsitzer Vögte, bestehend aus diversen, runenverzierten Metallplättchen, welche durch zwei parallel verlaufende Ketten gehalten wurden. Der einäugige Rabensteiner Baron nahm die Zügel des Pferdes seiner Gemahlin und hielt das Tier, bis diese sicher abgestiegen war. Sein eigener Elenviner, eine Rappstute, stand derweil mit hängenden Zügeln, wachen Augen und spielenden Ohren wie festgemauert da, bis eine der beiden vollkommen gleich aussehenden Paginnen vorsichtig und mit einem achtsamen Blick auf das Tier die Zügel aufnahm. Lucrann drückte die Zügel der Schimmelstute seiner Frau dem anderen Mädchen in die Hand und wandte sich dem Vogt zu. „Habt Dank für die Einladung, Hochgeboren. Selbstverständlich werden wir eine nachbarschaftliche Einladung nicht ausschlagen.“ Er warf einen kurzen und undeutbaren Blick zu seiner Gemahlin, die mit einem strahlenden Lächeln antwortete. „Ein kapitales Bauwerk habt Ihr da errichten lassen. Ihr seht uns gespannt auf die baulichen Details.“ Er warf einen Blick in die Runde der ankommenden Gäste. „Und ihr scheint die Neugier meiner Standeskollegen damit sehr umfassend geweckt zu haben.“ Borax nickte zustimmend und seine Miene verriet, wie zufrieden er über den Inhalt der Feststellung des Rabensteiners war. „Eine derartige Feier hat der Isenhag viel zu lange nicht gesehen, möchte ich meinen. Morgen Abend wird hoffentlich kein Auge trocken bleiben. Ich setze darauf, dass ihr ein Ferdoker oder Angbarer Dunkles mit mir trinken werdet. Meinetwegen auch zwei“, zwinkerte der Zwerg dem alten Rabensteiner zu und blickte dann zur Baronin herüber. „Hochgeborene Dame. Ich habe euch und eurem Gemahl ein Zimmer reservieren lassen. Es ist leider keines der Großen. Wegen der Gesandtschaften der Grafen und der Bergkönigreiche gibt es leider nur wenig freien Platz und die anderen Räumlichkeiten sind bereits belegt. Dies bitte ich zu entschuldigen. Geht einfach ins Gebäude und bittet eine der Bediensteten es euch zu zeigen.“ „Seid bedankt. Wir haben unsere Zelte dabei – die Knappen werden sie aufbauen.“ Der alte Baron nickte seinem Nachbarn und Adelskollegen zu. Die Drohung mit dem Bier am nächsten Tag ließ er unkommentiert. Dass der Vogt genau so etwas plante, befürchtete er mit einiger Berechtigung. „Selbstverständlich Hochgeboren“, entgegnete Borax höflich. Es gab keinen Grund für eine Widerrede, besonders nicht beim Rabensteiner, der allgemein weniger für seinen Humor bekannt war. „Ich habe euch ein Gastgeschenk mitgebracht“, eröffnete der Baron für den Zwergen überraschend. Er schnippte mit den Fingern, woraufhin die beiden Paginnen eine Truhe heranschleppten, an der die beiden halbwüchsigen Mädchen ganz offensichtlich schwer zu tragen hatten. „Dies ist eine Auswahl von Weinen und Bränden aus meiner anderen Nachbarschaft, dem sonnigen Almada. Mögen Sie Euch in einer ruhigen Stunde wohl munden.“ Leicht verwundert über das Geschenk wusste der Vogt zunächst nicht was er sagen sollte. „Vielen Dank Hochgeboren“, war es, was er schließlich herausbrachte. Dann jedoch hob er spitzbübisch einen Finger und grinste wissend. Borax meinte zu begreifen was die Intention des Rabensteiners war. „Ahhh, ich verstehe. Ihr wisst, dass ich von Wein so gut wie gar nichts verstehe und geht recht in der Annahme, dass es neben allerlei Biersorten nur nordmärkischen Wein zu trinken geben wird … Als Kenner wollt ihr natürlich vermeiden, einen solchen trinken zu müssen.“ Borax zwinkerte Baron und Baronin zu. „Ich lasse euch einen Almadanischen bringen. Ich kann unmöglich in Kauf nehmen, eure Gaumen zu beleidigen.“ „Ihr verkennt den Elenviner, Hochgeboren.“ Fast schien es, als würden sich die Fältchen um das verbliebene Auge des alten Freiherrn – und jungen Geweihten – vertiefen. Gar so einfach war weder er – noch sein Gaumen – in ungebührliche Aufregung zu versetzen. „Es besteht kein Grund, den Almadaner einem Vorkoster auszusetzen.“ Ein leichtes Aufblitzen in seinem fast pechschwarzen Auge begleitete seine Worte. Hätte er einen Anschlag auf seinen zwergischen Nachbarn geplant, so würde dieser ganz sicher nicht aus vergiftetem Wein bestehen. „Ich zweifele weder an Euren Vorbereitungen, Herr Nachbar, noch an der Kunstfertigkeit Eures Haushofmeisters.“ Der Rabensteiner nickte seinem jüngeren Amtskollegen gelassen zu, dieses Thema, was ihn anbelangte, zufrieden zu Grabe tragend. "Dann bin ich beruhigt", meinte der Vogt daraufhin, jedoch immer noch mit lachenden Augen, auch wenn seine Stimme wieder den alten Tonfall angenommen hatte.  "Hochgeboren. Ich wünsche euch einen angenehmen Aufenthalt und viel Glück bei der Jagd." Mit diesen Worten verabschiedete sich Borax höflich, da er bemerkt hatte, dass andere Gäste seiner Aufmerksamkeit bedurften. 

Ankunft Radomir von Tandosch

_nach oben_↑

Die Reise war angenehm gewesen. Nach der Weihe des Tempels war Radomir mit seinem Gefolge zurück nach Tandosch gereist, um Notwendigkeiten zu erledigen und dem Baron Bericht zu erstatten. Dann war die Einladung von Borindarax eingetroffen, und Radomir hatte sie nur zu gern angenommen. Zusammen mit seiner Adjutantin und zwei seiner Söldner war er aufgebrochen, und nun erreichte die kleine Gruppe den Wachposten. Der Geweihte stieg von dem riesigen schwarzen Hengst, als er der Zwerge ansichtig wurde, und seine Miene erhellte sich, als er das Wappen der Eisenwalder erkannte. „Kor zum Gruß, Freund Zwerg.“, rief er dem Wachposten entgegen und führte sein Pferd am Zügel weiter. Der Angroscho erkannte ihn und es blitzte in seinen Augen. „Euer Gnaden. Es freut mich Euch und Eure Begleiter Willkommen heißen zu dürfen. Bitte, reitet weiter. Ihr könnt die Jagdhütte gar nicht verfehlen.“ „Gern. Sagt, ist Euer Oberst auch anwesend?“, fragte Radomir den Zwerg und versuchte sich gleichzeitig an seinen Namen zu erinnern. „Selbstverständlich, Euer Gnaden. Er ist, soweit ich weiß, bei Borindarax. Ach, und er weiß nicht das ihr auch eingeladen seid. Borindarax wollte ihm eine kleine Überraschung bereiten.“ „Ich denke das sollte gelungen sein.“, schmunzelte der Geweihte. Er reichte dem Krieger die Hand und schwang sich dann wieder auf sein Pferd. Der große, fast zweieinhalb Schritt lange Korspieß war in einer Spezialhalterung am Sattel befestigt. Der Geweihte trug Kettenhemd, lederne Schultern mit Kragen, aufwendig punziert mit dem Symbol des blutigen Herrn der Schlachten, dazu passende Arm- und Beinschienen aus gehärtetem Leder und darüber den zerschlissenen roten Umhang, auf dem hinten der Mantikor aufgestickt war. Seine Begleiter trugen schwarze Lederkleidung und schwarze Umhänge, auf denen der Mantikor in rot eingestrickt war. Am Sattel des Geweihten hing eine Ochsenherde, eindeutig zwergischer Machart. Neu war nur die Augenklappe, welche er seit der Weihe des Kortempels trug und die die linke Augenhöhle bedeckte. Das Auge lag im Altar des zwergischen Tempels. Nach kurzem Ritt kamen sie auf der Lichtung an, und Radomir zügelte sein Pferd um sich einen kurzen Überblick zu verschaffen. Die meisten der Wappen kannte er. Bevor er jedoch dazu kam, sich weiter umzusehen, donnerte eine ihm nur zu bekannte Stimme über den Platz: „ Bei Angroschs Bart …. der schwarze Panther. Radomir, was machst Du denn hier??“ Dwarosch hatte ihn entdeckt und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu. Der Geweihte glitt aus dem Sattel und ging dem Oberst entgegen. Er breitete die Arme aus und die beiden Kämpfer umarmten sich freundschaftlich. „Borindarax war so nett, mir eine Einladung zukommen zu lassen. Und wer wäre ich, diese auszuschlagen. Wie geht es Dir, mein Freund?“ "Das Schlitzohr." Der Oberst schüttelte amüsiert den Kopf. "Die Überraschung ist ihm oder besser euch gelungen." Fest war Dwaroschs Umarmung.  "Mir geht es prächtig", antwortete er, nachdem er sich vom Radomir gelöst hatte. "Wir haben hohen Besuch. Borax ist außer sich vor Freude. Lange gab es keine solche Zusammenkunft unserer Clans. Du wirst Augen machen beim Gelage, Radomir."  Dann würde Dwarosch plötzlich ernst. "Wie geht es dir? Hast du dich an das fehlende Auge gewöhnen können?" Radomirs Hand kam hoch und er klopfte grinsend gegen die schwarze lederne Augenklappe. „Natürlich. Es ist gerade im Kampf etwas ungewohnt, aber es geht. Die ersten Tage waren extrem ungewohnt, aber jetzt komme ich damit zurecht. Auf das Gelage bin ich schon sehr gespannt. Es wird doch hoffentlich wieder Käfer geben?“ Bei diesen Worten sah Dwarosch, wie die beiden mitgereisten Söldner schluckten. Assara grinste nur. „Ich habe übrigens meinem Baron Käfer kredenzt, als er das letzte Mal bei mir zum Essen war. Danke nochmal für das Rezept und die Lieferung. Der Koch hätte sich fast übergeben.“ Der Geweihte begann schallend zu lachen. Dwarosch fiel mit ein und hieb Radomir dabei kameradschaftlich auf den Oberarm. "Das hätte ich nur zu gerne gesehen! Ich fürchte jedoch, dass Borindarax das Essen diesmal etwas weniger ausgefallen gestaltet, zumindest was den menschlichen Gaumen betrifft. Es sind einfach zu viele 'Feingeister' zugegen, oder zumindest einige, die sich für solche Experimente zu fein sind. Sei es drum, ich wette, wir werden trotzdem auf unsere Kosten kommen. Die Bierfässer, derer ich im Keller ansichtig wurde, sprechen jedenfalls dafür.  Es sind etliche Sorten, wobei Ferdoker zu den bekanntesten zählen dürfte. Ich hoffe sehr, dass du morgen Abend durstig sein wirst, denn zumindest ich habe mir vorgenommen, von allen zu kosten."

Ankunft Borix

_nach oben_↑

Borix hatte sich sehr über die Einladung Borindax gefreut, schließlich hatten die beiden Zwerge als Borix und seine Familie noch in Senalosch wohnten, das ein oder andere Pfeifchen zusammen geraucht – und naja, dabei auch den einen oder anderen Humpen Bier geleert. Nun war es fast schon ein Jahr her, dass er vom Bergkönig mit der Bergwacht Ishna Mur belehnt worden war. Seitdem hatte es für ihn dort viel Arbeit gegeben und er hatte in dem einsamen Tal im Eisenwald kaum jemanden außer den Bewohnern der Wacht gesehen. Er hatte lange überlegt, ob er die Bergwacht verlassen könnte, aber Murla hatte ihm solange zugeredet, zur Jagd zu reisen und seinen Freund wiederzusehen, dass sein Widerspruch immer schwächer wurde und er dann angefangen hatte, seine eingestaubte Gandrasch zu ölen und zu polieren. Pünktlich zum Tag des Aufbruchs hatte er dann sein Pony gesattelt, seine Satteltaschen aufgeladen und sich mit einem langen Kuss von Murla verabschiedet, ehe er durch das Tor hinausritt. Der einsame Ritt durch die Ausläufer des Eisenwaldes bis zur Jagdhütte brachte den Bergvogt auf andere Gedanken und so war er dann mit seinem Gedanken nur noch bei der Jagd, als er am Gelände der Jagdhütte ankam.  Rasch erkannten die Wachposten, wer da auf dem Pony vor ihnen saß, hatte Borix doch ihrem Obristen selbst nach dem Ende seiner aktiven Zeit bei der Ausbildung der neuen Soldaten geholfen. Zackig salutierten die vier Gerüsteten und grüßten den Sohn des Barax mit allem nötigen Respekt, bevor sie den Weg frei gaben. Borix stiegt vom Pony und erlöste die Soldaten mit einem halblauten, zackigen „Rühren!“. Dann drückte er einem von ihnen die Zügel des Ponys in die Hand und erkundigte sich bei den Soldaten, zu welchem Banner sie  gehörten und welche Gäste schon angereist waren. Nachdem er ein wenig mit den Posten gesprochen hatte, fragte er diese in leicht vorwurfsvollem Ton, ob sie nicht seine Einladung sehen wollten.  Gemeinsam lachten sie daraufhin. Nachdem er sich nach der für ihn vorgesehene Unterkunft erkundigt hatte, machte sich Borix auf den Weg dorthin, aber nicht ohne vorher zu versuchen, auch noch den Gastgeber zu begrüßen. 

Ankunft der Altenberger

_nach oben_↑

Auch wenn die Reise von Elenvina aus keine lange war, machte das Sitzen auf dem Rücken eines Pferdes, den Altenbergs schwer zu schaffen. Die einzige Ausnahme war Gelda von Altenberg und der angeheuerte Leibwächter Oren. Stolze sechzehn Götterläufe zählte die junge Altenbergerin, die ihre meiste Zeit in den herzöglichen Gestüt zu Elenvina verbrachte. Genau dieser Umstand, da sie gut zu Pferd und eine geübte Jägerin war, veranlasste ihre Verwandten, sie mit auf diese Reise zu nehmen. Der eigentlich Eingeladene war Elvan von Altenberg. Seit der abenteuerreichen Fahrt auf der Concabella stand dieser mit dem Vogt von Nilsitz im Briefkontakt. Der frisch gekürte Kalligraph war höchst erfreut, als er die Einladung erhielt, wusste aber gleich, das es unmöglich war, seine Mutter Maura von  diesem Ereignis fernzuhalten. Doctora Maura von Altenberg war recht bekannt in der Elenviner Oberschicht, versorgte sie dort doch viele Damen und Herren von Stand mit ihren Tinkturen, Salben und Pillen. Ihr hatte Elvan es zu verdanken, dass er auf die Fahrt des herzöglichen Flussseglers von ihrer Hoheit Grimberta vom Großen Fluss eingeladen worden war. So vermutete er zumindest. Angeführt wurde die kleine Gruppe von einem angeheuerten Leibwächter. Oren Rasch war ein schweigsamer Gesell, der sich sein Silber als Tagelöhner und Reisebegleiter verdingte. Elvan war ganz froh, als sie endlich ihr Ziel erreichten. Trotz der Salbe seiner Mutter war sein Hinterteil und Oberschenkel ganz wund vom Reiten und er konnte es kaum abwarten, endlich vom Pferd zu steigen. Nachdem eine Gruppe Zwerge von einem Einzelnen begrüßt worden waren und diese dann weiter zur Hütte zogen, stieg er vom Pferd ab. Der Altenberger richtet seinen grünen Umhang und griff dann zu seiner ledernen Umhängetasche.  Er blickte sich nochmals kurz zu seiner Mutter um, die ihn abwartend von ihrem Pferd beobachtete.  Elvan zog das Einladungsschreiben heraus und hielt es dem Angroscho entgegen, der auf sie zutrat. „Ich grüße euch, werter Herr! Ich bin der edle Herr Elvan von Altenberg und bin in Begleitung von meiner Mutter und Doctora Maura von Altenberg und meiner Kusine Gelda von Altenberg. Wir sind der Einladung des Vogts von Nilsitz, Borindarax, Sohn des Barbaxosch, gefolgt.“, sagte er entschlossen. Der Soldat, der dem Schreiberling entgegentrat und neben einer Kettenrüstung auch den Wappenrock des eisenwalder Garderegimentes trug, las aufmerksam, was auf dem Stück Pergament stand. Als er damit geendet hatte, nickte er zufrieden, trat auf Seite und gab den anderen Wachen einen Wink, die daraufhin den Weg frei machten. „Fragt nach Boringarth und sprecht bei ihm vor. Er wird eure Anwesenheit vermerken und einen Zeltplatz zuweisen“, sagte der Soldat, als die Gruppe ihn passierte.

Tannenfels kommt an

_nach oben_↑

‚Ahja, hier muss es sein.‘ Nivard von Tannenfels schmunzelte in sich hinein, als er den schwer gerüsteten Zwerg mehr schlecht als recht im Baum sitzen sah, straffte jedoch sogleich seine Züge und lenkte sein Pferd gemächlich auf den unterhalb dieses Ausgucks stationierten Wachposten zu. Er war nun doch froh, endlich an seinem Ziel anzukommen. Seine erste Reise in eigener Sache, seit er nach Empfang des Kriegerbriefs im vergangenen Sommer den Plötzbognern beigetreten war, hatte er aus freien Stücken länger ausgedehnt und weiter abseits menschlicher Gesellschaft zugebracht, als es unbedingt nötig gewesen wäre: es zog ihn dort vorbei, wo sie im vergangenen Rondra mit der Concabella verschwunden waren und er schließlich sein Herz an ein Wesen der Fluten verloren hatte.  Diese hatte ihn während seiner letzten Besuche bei ihr immer wieder gebeten, für sie dort vorbeizuziehen, doch führten ihn seine ersten Geleitschutz-Aufträge weit weg vom Großen Fluss, bis hin zum fernen Yaquir… Jetzt endlich konnte Nivard dort einige Zeit am Ufer zubringen und in ihrem Namen das eine oder andere Lied von ihr singen, alleine deshalb hatte sich die Reise schon gelohnt. Nun war es aber an der Zeit, mit Menschen und Zwergen eine Jagd zu bestreiten und zu feiern. Besonders freute er sich, einige der Gefährten des letzten Sommers wieder zu treffen, Elvan würde sicher da sein, vielleicht auch dessen guter Freund Dorcas? Rückblickend wunderte sich Nivard immer noch über die persönliche Einladung des Vogts von Nilsitz - an ihn, den Zweitgeborenen eines alles andere als betuchten Edlenhauses aus den Wäldern von Ambelmund. Er wollte auf jeden Fall das Beste daraus machen – vor dem anwesenden Adel ein gutes Bild abgeben, aber es sich auch gut gehen lassen. Außerdem hatte er noch im Rahmen des Möglichen dem Auftrag seiner Mutter nachzukommen, sich in Gegenwart der Isenhager Adligen unauffällig umzuhören, wie sich der neue Baron von Kyndoch wohl machte (oder auch nicht). Von rechts unten vernahm er ein Räuspern – in seiner Konzentration auf den entdeckten Wachposten hatte er einen unmittelbar davor im Gebüsch versteckten Zwergen glatt übersehen – Nivard schalt sich in Gedanken für diese Unachtsamkeit, selbst außerhalb des Dienstes sollten die Sinne eines Kriegers immer geschärft sein. „Rondra zum Gruße! Mein Name ist Nivard von Tannenfels, und ich komme auf Einladung Seiner Hochgeboren Vogt Borindarax, Sohn des Barbaxosch!“  „Kor zum Gruß, hoher Herr“, erwiderte der bullige Krieger mit ausladendem kupferrotem Bart und auffallend bernsteinfarbenen Augen. Der Zwerg trat näher und ließ sich das Schreiben zeigen, welches Nirvad erhalten hatte. Dann nickte er und wies in die Richtung, in die der junge Krieger bereits zuvor unterwegs gewesen war. „Immer weiter geradeaus. Dieser Trampelpfad trifft in Kürze auf einen gepflasterten Weg der direkt zum Festplatz führt. Zeigt euer Schreiben den unterwegs dort positionierten Wachen und meldet euch bei Boringarth, wenn ihr am Gebäude angekommen seid. Er wird euch einen Zeltplatz zuweisen.“ Der besagte Posten war in Bälde erreicht und ohne Schwierigkeiten passiert, so dass sich vor Nirvad nur wenig später der Wald zur großen Lichtung öffnete, auf dem das Ziel ihrer Reise stand.

Sortosch und Segril

_nach oben_↑

Deutlich abenteuerlustiger als sein älterer Bruder, war Segril gern gemeinsam mit seinem Vater auf die Reise nach Senalosch aufgebrochen. Sonst durchstreifte er auf der Suche nach Abenteuern die Lande seines Vaters, doch leider meist ohne Erfolg. All die neuen Eindrücke, die er auf dem Weg gewinnen konnte, waren auf ihn eingeströmt. Tatsächlich überlegte er, ob diese Reise ihm mehr Spaß bereitete als seine Teilnahme am letzten Schützenfest des Landgrafen, immerhin hatte er mit der Armbrust gesiegt. Nun Schritt er vor seinem alten Herrn her, die Armbrust locker geschultert behielt er die Umgebung im Auge. Sortosch hingegen sah deutlich weniger begeistert aus, der Edle mochte es nicht unter, Menschen zu reisen und noch weniger mochte er es auf eine Zusammenkunft wie diese geschickt zu werden. So stampfte er missmutig hinter seinem Sohn her, seinen Felsspalter, wie auch sein Sohn, locker auf der Schulter aufliegend. Beide Zwerge waren groß und kräftig, doch während der ältere sein stahlgraues Haar als langen Zopf trug und auch sein Bart kunstvoll geflochten trug, trug sein Sohn sein sandfarbenes Haar kurz, verziert mit hineinrasierten Runen. Bei den Wachen angelangt grüßte der alte Zwerg: „Angrosch zum Gruße!“ Seine Miene blieb derweil unverändert, ganz so, als wäre sie aus Granit gemeißelt. „In Senalosch schickte man uns her, …“ Grollte er, recht unwillig. „..  irgendwas von wegen Völkerverständigung.“ Fügte er grummelnd an und war dabei kaum mehr zu verstehen. Seine Armbrust auf der anderen Schulter ablegend, ließ er sein Kettenhemd hell aufklingen. „Sortosch, Sohn des Aborax und Segril, Sohn des Sortosch.“ Stellte er sie sogleich um einiges freundlicher vor. „Angrosch zum Gruße, Brüder“, erwiderte der vorderste der Wachsoldaten freundlich und trat näher heran. „Entschuldigt, aber ich muss auch eure Einladung sehen, bevor wir euch passieren lassen dürfen. Befehle sind Befehle.“ „Pflicht ist Pflicht.“ Stimmte Segril dem Wachsoldaten zu und suchte in seiner Tasche, gleichzeitig balancierte seine Armbrust wie von allein weiterhin auf seiner Schulter. „Hab ich dich!“ Stieß er triumphierend mit einem zufriedenen Lächeln aus und hielt das Schreiben in die Höhe. Während sich der jüngere Zwerg sichtlich darüber freute, schien es als versuche dessen älterer Begleiter das Stück Pergament, dass man ihnen in Senalosch aufgehalst hatte, allein durch seinen Blick in Flammen aufgehen zu lassen. Solche Kleinigkeiten schienen den Wachen hingegen gleichgültig. Sie besahen sich besagtes Schreiben und ließen die beiden Zwerge im Anschluss passieren. Nicht jedoch ohne ihnen viel Erfolg bei der anstehenden Jagd zu wünschen.

Salmfang in Nilsitz

_nach oben_↑

Kurze Zeit nach den beiden Zwergen traf eine Gruppe von drei Menschen ein. Selbst wenn sie nicht hoch zu Ross gesessen hätten, mussten sie den zwergischen Wachposten riesig erscheinen. Eigentlich war Otgar von Salmfang im Auftrag seines Barons nach Calbrozim gereist um dort vorzusprechen, im Anschluss war er sogleich mit seinen zwei Begleitern aufgebrochen. Anders als der Graf hatten sie nicht den Luxus der zwergischen Tunnel genießen können und so waren sie einem wesentlich längeren Weg gefolgt. Sein Ross vor den Wachen zügelnd brachte er die kleine Gruppe zum Stehen. „Angrosch zum Gruße die Herren.“ begrüßte er sie freundlich, während einer seiner Begleiter – ein deutlich älterer Mann mit Haarkranz – nicht minder freundlich, aber doch förmlicher weiterredete: „Seine Wohlgeboren Otgar Thietland von Salmfang, Landjunker zu Ostendorf, sowie seine Begleiter Hlûthard und Siegrond vom Kleinen Hain, Edelknechte im Schutzbund der ostendorfer Lande.“ Wer dabei wer war, war für die Zwerge dabei nur teilweise zu erkennen. Dass ihr Anführer, ein kräftiger Hüne von fast zwei Schritt, der Junker sein musste, ergab sich aus den von ihm getragenen Farben. Sein Wappenrock, wie sein Schild zeigte ein in Blau und Silber gespaltenen Schild auf dessen rechter ein silberner Efferdbart und linker Seite eine blaue Burg prangte. Seine Begleiter hingegen trugen nicht nur den gleichen Namen, sondern führten auch das gleiche Wappen – zwei silberne Apfelbäume über einem Dritten auf grünem Grund, folglich war es schwer zu sagen wer nun Hlûthard und wer Siegrond war. Alle drei waren sie gut gerüstet, doch auch sehr verschieden. Der Junker hatte ein buntes Sammelsurium an Waffen an seinem Sattel hängen, sowie eine prächtige Klinge gegürtet. Der Ältere der Edelknechte, der Mann mit dem braunen Haarkranz hingegen hatte lediglich einen Streitkolben und ein Schild. Der letzte der drei, ein Mann mit langem, blondem Haar und einem gewaltigen Zweihänder komplettierte das wehrhafte Bild. Er war es auch, der hinten sie deutete, als die Zwerge sich erkundigten ob ihre Reise ohne Zwischenfälle verlaufen war. Durch die beachtliche Statur der Ankömmlinge abgelenkt, war den Wächtern bisher entgangen was diese hinter sich hergezogen hatten. An ihrem eigenen Netz hinter ihnen her geschliffen erblicken sie eine Fischerspinne. „Die wollte uns Schwierigkeiten bereiten, doch haben wir mit ihr kurzen Prozess gemacht.“ Erklärte er lapidar, ging jedoch nicht weiter auf die genauen Umstände ein. Tatsächlich hatte sie Siegrond in ihrem Netz gefangen und ihn damit ungemein behindert. Er hatte seinen Streitkolben nicht greifen können, als sich die Spinne aus dem Baum heraus auf ihn gestützt hatte. Sein Ruf hatte seine vor ihm reitenden Begleiter auf seine missliche Lage aufmerksam gemacht und ihm zur Seite eilen lassen, während er sein Schild schützend vor sich hielt. Noch vom Rücken seines Pferdes aus hatte Otgar mit seinem Schwert auf die Spinne eingeschlagen. Gleichzeitig war Hlûthard aus dem Sattel gesprungen und hatte mit seinem gezückten Zweihänder auf die Kreatur eingedroschen. „Sie ist groß“, staunte derjenige der Soldaten, der zwei Schritte an den Reitern vorbei gemacht hatte, um das tote Tier zu beschauen. Anerkennend nickte er anschließend den Männern zu. „Ihr solltet sie dem Vogt zeigen. Es ist ein Kopfgeld von einem Silberstück für jedes dieser Viecher ausgesetzt.“ Unwillig schüttelte er den Kopf, seine Abneigung war nur allzu deutlich. „Es gibt viel zu viele von ihnen. In den Tunneln Isnatoschs sind es die lästigen Höhlenspinnen und hier draußen ihre großen Verwandten.“ Was Otgar und seine Begleiter da hörten, stimmte sie nicht grade optimistisch, eventuell hätte in der Einladung auf diesen Umstand eingegangen werden sollen. Früher wäre er nie mit Bedeckung geritten, seitdem er Junker war und ihm die Hainritter unterstanden hatte er sich jedoch daran gewöhnt, dass immer einer oder mehrere von ihnen in seiner Nähe war. Da trat einer der andere Wachen heran und kam auf die eigentliche Aufgabe des Wachpostens zu sprechen. „Habt ihr eine Einladung, die ihr vorzeigen könnt“, fragte er militärisch streng, aber mit wenig bedrohlicher Körperhaltung. „Wir werden euch nicht länger als notwendig aufhalten, hohe Herren.“ Erneut war es der älteste aus der Gruppe, der das Wort ergriff. Siegrond vom Kleinen Hain holte einen fein säuberlich gefalteten Brief aus seiner Gürteltasche und reichte sie dem Zwerg herunter. „Sie erging an Seine Hochgeboren, den Baron von Kyndoch, als dessen Vertreter mein Herr hierher angereist ist.“ Fügte er erklärend hinzu und klang dabei zugleich streng und hölzern.

Die Rose und das Schwert

Die Rose und das Schwert

_nach oben_↑

"Was für ein hässliches Ding." Leise raunte Rahjania dies ihrem Begleiter Aureus zu. "Sprich du, wenn du willst, ich bin ja gar nicht eingeladen." Kurz darauf erreichte eine weitere Reisegesellschaft die äußeren Wachposten. Wobei „Gesellschaft“ vielleicht nicht das richtige Wort dafür war, bestand sie doch nur aus zwei Personen und zwei Pferden. Vorneweg ging ein junger Mann in rotem, leicht mitgenommen wirkendem Wappenrock mit einem einzelnen goldenen Weinblatt darauf. Er war unrasiert und sein blondes Haar hing ihm nass ins Gesicht. In seiner linken Hand hielt er die Zügel eines der Pferde, das andere war an das erste angebunden, auf dem eine Frau saß, welche in einen dicken Umhang gehüllt war. Wer genauer hinsah, konnte darunter leichte Tücher in rot und rosa erkennen. Als sich eine der Wachen näherte ergriff der junge Krieger das Wort: „Fortombla hortomosch!“, sagte er mit fürchterlichem Akzent und hustete, „verzeiht, ich habe mich etwas verkühlt, dies ist Ihre Gnaden Rahjania al´Azila Amedsunya und ich bin Aureus Praioslaus von Altenwein, Ritter und seit kurzem auch Junker von Altenwein.“ Er räusperte sich und unterdrückte damit ein weiteres Husten. Der erste der Wachen, der den beiden Reisenden entgegentrat, schmunzelte bei den ersten Worten des Mannes, jedoch war nichts Abfälliges an der Mimik in seinem von einem wuscheligen, braunen Bart dominierten Gesicht. Mit tiefer Stimme erwiderte er den Gruß in seiner Muttersprache, um ein „gute Besserung, hoher Herr“, zu ergänzen. Sein Dialekt war kratzig und hart, verhinderte aber nicht, dass Aureus ihn verstand. „Ich möchte euch nicht lange aufhalten. In der Jagdhütte erwarten euch heißer Tee und eine Stärkung. Zeigt mir nur eure Einladung und wir lassen euch passieren.“ Obwohl er die Grundzüge des Rogolan beherrschte, wusste der Altenweiner über die Kultur der Zwerge beinahe nichts, was einer der Gründe war, warum er hier war. Doch eines war ihm bekannt, wenn es um die Wahrheit ging, waren Angroschs Kinder dem Herren Praios näher als ihnen lieb war. Also sagte er, während er das Einladungsschreiben aus seiner Gürteltasche fischte: „Nun, hier könnte ein kleines Problem vorliegen, welches Ihr vielleicht mit Eurem Vorgesetzten oder gar dem Gastgeber selbst besprechen solltet, denn ich habe ein solches Schreiben, allerdings habe ich Ihre Gnaden eingeladen mich zu begleiten. Sie stammt nicht von hier und ich dachte, es könne nicht schaden, ihr das stolze Volk der Angroschim vorzustellen – insbesondere ihre Art zu feiern und das weitgerühmte Bier. Sie selbst besitzt daher keine Einladung.“ Rahjania meldete sich nun selbst zu Wort. "Die Zwölfe zum Gruße, Ingerimm für Euch, Rahja für mich. Ich bin Hochgeweihte aus Weiden, im Namen der Göttin unterwegs, und nachdem ich diesem braven Mann mit den Segen zum Junker gab, erfuhr ich von der spannenden und interessanten Begebenheit hier." Der Soldat verzog den Mund und überlegte für einen Moment, dann jedoch zuckte er gleichmütig mit den Schultern. „Die ganzen hohen Herrschaften bringen ihre halbe Familie und Hofschran… äh Damen in ihrer Begleitung mit sich.“ Er blickte kurz zu Rahjania. „Ihre Gnaden ist in eurer Begleitung, daran haben wir nichts auszusetzen. Stellt euch aber bitte mit ihr bei Boringarth vor. Fragt einfach auf dem Festplatz nach ihm. Viel Glück bei der Jagd. Eure Gnaden.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Angroscho, trat auf Seite und winkte die beiden auch schon weiter. „Habt Dank Dorangrasch. Vielleicht sieht man sich später auf ein Bier. Und auch, wenn wir Gigrim euer Barom nicht vertragen, so würde ich zumindest einmal kosten wollen.“, sprach der Altenweiner und führte den kleinen Zug Richtung Zeltplatz, um Boringarth zu suchen. Als sie außer Hörweite waren, rügte die Geweihte ihren Begleiter, allerdings sanft und eher besorgt. "Aureus! Ich friere, ich weiß, ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt. Aber Ihr müsst mir sagen, wenn es Euch nicht gut geht. Ich kümmere mich."  Unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze blickten ihn dunkle Augen liebevoll an. "Lasst uns diesen Zwerg, wie er auch heißt, sie schauen gleich aus und heißen fast gleich, ich bin gespannt, sie… näher zu betrachten, suchen, dann kümmere ich mich im Zelt um Euch." Aureus lächelte und sagte mit sanfter Stimme: „Das weiß ich doch. Aber, als gestern im Wald Euer Umhang zerriss, da musste ich Euch doch den meinen geben. Ich bin mir sicher, etwas Tee und Wärme werden mir guttun. Vielleicht ist hier auch jemand, der Euren Umhang wieder flicken kann … .“ 

Die Herrin vom Rodasch

_nach oben_↑

Es war ein durchaus imposanter Tross, der da am Rande des Waldes eintraf. Allen voran ritt ein stattlicher Kämpe Mitte 30. Sein haselbraunes Haar ging ihm bis zur Schulter, und stolz hielt er eine Lanze mit einem flatternden Wimpel, auf dass ein jeder sehen möge, welches Haus er vertrat. Es war das Wappen Rodaschquells: ein springendes Einhorn in Silber auf blauem Grund, im Schwalbenschwanzschnitt schräg geteilt über einer blauen Burg auf silbernem Grund. Dasselbe Wappen zierte seinen Schild. Sein polierter, silberner Brustharnisch glänzte im Sonnenlicht. Ein blauer Umhang mit silberner Borte bedeckte seine breiten Schultern, und an seiner Seite hing ein Breitschwert in einer alten, aber dennoch gepflegten Scheide. Hinter ihm fuhr eine Kutsche in der Art, wie die hohen Herrschaften dieser Lande sie häufig zu nutzen pflegten, gezogen von vier schönen Elenvinern mit einem Federschmuck. Hinter der Kutsche ritten zwei Büttel, eine Frau und ein Mann, die einfache Hellebarden trugen. Eine etwas kleinere Kutsche, ein Zweispänner, bildete den Abschluss. Mit erhobener Hand gebot der Ritter dem Tross, zu halten. Aus der hinteren Kutsche lugte aus einem der Fenster ein Gesicht hervor. Ein Mann in den Sechzigern mit mausgrauem Haarkranz schaute heraus und blickte sich kurz um. „Sind wir schon angekommen?“, rief er laut dem Ritter entgegen. Darian ritt in Ritt ein paar Meter zurück in Richtung der beiden Kutschen. „Nicht ganz, Euer Wohlgeboren. Von hier geht es mit den Kutschen nicht weiter. Wir müssen wie erwartet die Pferde nehmen.“ Der Vogt zog ein unwirsches Gesicht. „Und wie lange wird das sein?“, fragte er brüsk mit einem nicht zu überhörenden Ton von Ungeduld. Der Ritter sprang geübt von seinem Pferd – einem wuchtigen Trallopper – und ging sogleich zur ersten Kutsche. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Nun, das kann ich nicht so genau sagen, Euer Wohlgeboren. Aber wir haben ja die Packpferde und die Zelte dabei.“ Korninger kommentierte das mit unverständlichem Gemurmel. Von dort hinten konnte ihn nur der Kutscher so recht hören, der – ohne, dass es jemand bemerkte – leicht die Augen verdrehte. Es war nicht das erste Mal im Verlauf dieser Reise, dass der Vogt von Rodaschquell sein Missfallen bekundete … . Darian antwortete nicht weiter und öffnete die Tür der vorderen Kutsche. Zuerst schritt eine blonde Dame Anfang Vierzig heraus. Sie trug ein grünes Kleid mit goldener Borte und eine Schleierhaube, wie sie bei Zofen oft gesehen wird. Der Ritter hielt ihr kurz die Hand hin, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann streckte er erneut seine Hand aus, und ein feines Lächeln umspielte seinen Mund. Die Dame, die nun die Kutsche verließ, trug ein weiß-rotes Kleid mit einer kunstvollen, breiten, goldenen Borte. Eine Kaskade von rot-braunem, sanft gewelltem Haar, das im Nacken locker zusammengebunden war, floss ihr bis auf den Rücken hinab. Die Sonne zauberte einen goldenen Glanz darauf. Sie trug einen kleinen, eleganten Hut mit zwei Fasanenfedern. Ihre spitz zulaufenden Ohren waren deutlich zu sehen, aber mehr noch fesselten ihre Augen, die aussahen wie zwei helle, makellose Amethyste aus den Tiefen der Ingrakuppen. Die Dame Morgenrot von Rodaschquell. Die beiden Kutscher kümmerten sich um die Pferde und das Gepäck. Einige Bündel und Taschen wurden zu den beiden Packpferden gebracht, während Eduina und der hagere Diener des Vogtes die Reitpferde der beiden Büttel bestiegen. Lianas Pferd und das von Vogt Korninger waren zuvor neben den beiden Packpferden hinter der Kutsche einher getrottet. Die Elfe und ihre Zofe sprangen mühelos und ohne Hilfe auf, der Vogt indes ließ sich von seinem schlaksigen Diener einen Tritt bringen, ehe Letzterer etwas unbeholfen ebenfalls aufsaß. Darian wandte sich an die beiden Büttel und die Kutscher. „Gut, dann zurück zum Dorf mit euch! Sobald die Jagd vorüber ist, werdet ihr benachrichtigt!“ Die vier Gestalten nickten nur und machten sich auf den Weg zurück zu der kleinen Stadt Nilsitz, während die Baronin, ihr Ritter, die Zofe sowie der Vogt und sein Diener in den Wald ritten. Wobei: Von Reiten konnte nicht die Rede sein. Der dichte Wald und der harte Boden gemahnten zur Vorsicht und ließen nur ein Schritttempo zu. Die Zofe der Baronin und der Diener des Vogtes führten die Packpferde. Das letzte Stück der Reise war daher alles andere als einfach oder angenehm – was der Vogt gelegentlich leise murmelnd kommentierte. Es dauerte daher gut einen halben Tag, bis die Gruppe die Lichtung erreichte, auf der sich das wiederaufgebaute Jagdhaus befand. Die Reiter hielten kurz inne und betrachteten das stattliche Bauwerk, das hier inmitten des Waldes aus der Lichtung emporragte. Dann ritt die Baronin beherzt nach vorne und auf die Wachtposten zu. Sichtlich irritiert ob des Gastes, der da nun vor ihnen stand, sahen sich die Angroschim an, einer zuckte sogar in einer hilflosen Geste die Schultern und bedeutete seinen Kameraden damit, dass er keine Ahnung habe was zu tun sei, stand doch eine leibhaftige Elfe vor ihnen.  Noch während der Soldaten überlegten, wer nun an die Gäste herantreten solle, um nach ihrem Begehr zu fragen, schritt ein weiterer, schwer gerüsteter Angroscho durch ihre Reihen und trat vor, um sofort einen Gruß anzubringen. „Hochgeborene Dame Morgenrot. Ich Grüße euch im Namen des Vogts und des Sohnes des Dwalin. Borax und Dwarosch sagten mir, dass es möglich ist, dass ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt. Ich geleite euch auf den Festplatz.“ Die Baronin neigte ihr Haupt zum Gruß. Als der Angroscho den Namen Dwarosch aussprach, wurde das Lächeln der Baronin umso strahlender und schöner. „Es wäre sehr bedauerlich gewesen, diese freundliche Einladung auszuschlagen. Ich freue mich, Gast auf Nilsitz zu sein und Freunde wiederzusehen. Gerne will ich Euch folgen.“ Sie deutete nach hinten in Richtung des Vogts, der wie ein nasser Sack auf seinem Elenviner hockte und neugierig und missmutig zugleich nach vorne blickte. „In meinem Gefolge befinden sich seine Wohlgeboren Bernhelm Korninger, Vogt von Rodaschquell, sowie ...“ sie deutete auf den Ritter „der streitbare Herr Darian von Sturmfels, Ritter zu Rodaschquell“. Darian nickte dem Angroscho freundlich zu. „Auch eure Begleiter seien willkommen, Hochgeboren. Mein Name ist Andragrimm.“ Der Kopf des Kriegers nickte kurz in Richtung des Vogts, sowie des Ritters. Bei letzterem führte der Zwerg die rechte, gepanzerte Faust respektvoll zur Brust, als er ihn grüßte. Anschließend schritt der Angroscho zur Spitze des kleinen Zuges. „Ich bringe Euch zum Festplatz. Bitte folgt mir.“ Der Ritter erwiderte den Gruß, indem er kurz seinen Schild hob und dem Zwergen dabei anerkennend zunickte. Der Vogt nickte kaum merklich. „Wohlan, Herr Andragrimm, wir folgen Euch“, sagte die Baronin von Rodaschquell und trieb ihre schneeweiße Stute sachte voran.

Die Dame von Ambelmund

_nach oben_↑

Leodegar von Quakenbrück hatte Mühe, mit seiner Baronin, Wunnemine von Fadersberg, mitzuhalten, die ihr Ross die letzten Meilen antrieb, als ginge es um Leben und Tod. Ein kleiner Trost war, dass es dem Rest ihres kleinen Gefolges genauso ging wie ihm. Sie ritt so nicht nur, weil sie spät dran waren - es war ihre Art, mit innerer Anspannung umzugehen - oder kalter Wut. Sie hatten sich natürlich nicht alleine der Jagd wegen auf die weite und teilweise recht anstrengende Anreise von Ambelmund gemacht - auch wenn seine Herrin ansonsten Freude an Firuns sommerlichen Geschenken hatte. Dank der Einladung an den gesamten Adel des Herzogtums war die Jagd vor allem ein willkommener Vorwand für Wunnemine, in der Grafschaft Isenhag zu weilen und dort in eigener Sache vorzusprechen und zu agieren, ohne als Bittstellerin oder ungebetener Gast zu erscheinen - dies verbot ihr ihr Stolz. Noch immer schwärte in ihr, vor etwas mehr als zwei Jahren in der Erbfolge der reichen Baronie Kyndoch unter fadenscheinigen Gründen übergangen worden zu sein - zugunsten eines dahergelaufenen Bastards. Das wusste und spürte er, auch wenn sie nicht oft und dann nur wenig darüber sprach. Wenn sie ihn zu der Sache fragte, riet er ihr genauso wie die Edle von Tannenfels, von deren Nachverfolgung bis auf weiteres abzulassen. Sich - auch wenn diese weit weniger Menschen zählte und ärmlicher war als Kyndoch - auf die Baronie Ambelmund zu konzentrieren. Und dort endlich für den Fortbestand ihres Geschlechts zu sorgen (er verdrängte beim Zureden in seiner Treue als Freund des Hauses und Vogt immer seine heimliche persönliche Hoffnung, in letzterem Unterfangen selbst eine wichtige Rolle spielen zu dürfen). Aber es war nicht Wunnemines Art, Unrecht, sei es echtes oder vermeintliches, zu erdulden, oder die Verletzung ihres Stolzes. Sie wollte Graf Ghambir gegenübertreten, der sicher da sein würde auf der Jagd. Und – falls anwesend – diesem Liafwin, der sich mittlerweile 'von Fadersberg' nannte, dem Haus aber, wie man hörte, bislang keine große Ehre machte und offenkundig ein schwacher Baron war. Gegen Flusspiratenumtriebe wäre Wunnemine jedenfalls mit ihren Edlen selbst eingeschritten (auch wenn sie selbst wiederum in den Wäldern manches laufen ließ), und hätte nicht dem Bannstrahlorden den Vortritt gelassen. Gerade diese Neuigkeiten aus Kyndoch nährten in der Baronin wohl die Hoffnung, dass in der Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen wäre. Leodegars Vorfreude auf die Jagd war unter all diesen Umständen gedämpft - wahrscheinlich würde es zu seiner wichtigsten Aufgabe, durch Rat und geschickte Worte mit dafür Sorge zu tragen, dass seine Herrin in ihrer rondrianisch-direkten Art und Weise nichts sagte oder auf diplomatischem Parkett anrichtete, was sie später bereuen sollte. Ein jähes, für ihn überraschendes Aufholen riss ihn aus seinen Gedanken - Wunnemine hatte ihr Pferd gezügelt. Offensichtlich waren sie auf einen zwergischen Wachposten gestoßen und damit wohl endlich angekommen. "Halt", erscholl unvermittelt der fordernde Ruf von rechts. Doch nicht vom Wegesrand her, sondern von schräg oben! Nahezu gleichzeitig traten vier schwer gerüstet Angroschim mit Spießen aus dem Gebüsch zu beiden Seiten des seit kurzem gepflasterten Pfades und versperrten den Weg, währenddessen die Reiter noch im Begriff waren anzuhalten und auszumachen versuchten, woher der Ausruf gekommen war. Leodegar schließlich entdeckte im dichten Blätterwerk eine hölzerne Plattform, auf der zwei Zwerge mit Armbrüsten lagen und den Weg beobachteten.  "Hohe Herrschaften, dürften wir eure Einladung sehen?", richtete einer der vier Gerüsteten das Wort an die Gäste, unmittelbar nachdem die Gruppe zum Stehen gekommen war.  Wunnemines Ross, ein ganz und gar schwarzer Trallopper Riese, tänzelte kurz ob der scharfen Bremsung, die ihm seine Reiterin aufzwang, wurde aber rasch und bestimmt zur Raison gebracht. Die Baronin von Ambelmund wunderte sich nicht wirklich, dass der geflügelte Wasserdrache auf blau-silber gespaltenem Schild den zwergischen Wachen hier im Isenhag nur wenig sagte, aber ein wenig störte es sie dennoch – wäre in der Kyndoch-Frage Recht Recht geblieben, wäre ihr Wappen hier weit bekannter. Sie schluckte ihren Ärger hinunter – die Kriegsleute hier hatten mit der Sache nichts zu tun, und genau genommen galt ihr Groll nur einem einzigen Zwerg. Sie grüßte die Wachen zunächst mit den wenigen Brocken Rogolan, die sie beherrschte, im Namen Rondras und Angroschs. Direkt anschließend wechselte sie aber ins Garethi. „Leodegar, wärt Ihr so gut, den Herren die Einladung zu zeigen?“ Der Angesprochene – gerade angekommen und noch innerlich das reiterische Geschick seiner Herrin einerseits bewundernd, anderseits darauf fluchend – war bereits dabei, das Schreiben aus seiner Tasche zu ziehen. „Hier ist die Einladung für Ihre Hochgeboren, Wunnemine von Fadersberg, Baronin zu Ambelmund, Edle von Ambelmund und Fadersberg und Ritterin von Dohlenhorst.“  Während alle darauf warteten, bis die Wachen das Schreiben geprüft hatten – in den Augen Wunnemines, bald aber auch Leodegars, dauerte dies aufreizend lange – deutete der Vogt ihr und den beiden begleitenden Bütteln, einem im Geleitschutz erfahrenen, bereits etwas älteren Kämpen namens Chrodegang und Abarhild, einer immer etwas übereifrigen Mittzwanzigerin, mit Augenbewegungen die Position der im Baum versteckten Wachen. Wenigstens wurde hier alles für die Sicherheit der Jagdgesellschaft getan – oder zumindest den Gästen das entsprechende Gefühl vermittelt. Schließlich wurde Wunnemine aber doch zu ungeduldig – mit einem für Außenstehende gerade noch neutral klingenden, für Leodegars geübte Ohren aber bereits eine gewisse Enerviertheit vermittelnden Unterton fragte sie nach: „Bestehen Unklarheiten? Oder ist etwas nicht in Ordnung?“  "Nein", kam die Antwort sachlich, aber eine Spur zu tonlos, als das daraus nicht hervorgehen musste, dass der Sprecher nicht ebenfalls leicht genervt war. Indes ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen und beäugte das Siegel des Schreibens aufmerksam weiter, bis er schließlich aufblickte und seinen Kameraden einen knappen Wink gab, den Weg wieder frei zu machen.  "Lasst euch vor der Jagdhütte einen Zeltplatz zuweisen. Angenehme Jagd."  Mehr hatte der Angroscho nicht zu sagen, bevor die vier Gerüsteten wieder ihre verdeckte Stellung einnahmen, um auf die nächsten Gäste zu warten.  Leodegar schloss zu Wunnemine auf, die in langsamem Schritt reitend dem Weg zur Jagdhütte folgte. Er zwinkerte ihr zu: „Man merkt den Zwergen in vielem ihre lange Lebensdauer an - sie nehmen sich für fast alles sehr viel Zeit. Wahrscheinlich sind sie deswegen die besten Handwerker auf dem Derenrund …“ Wunnemine musste nun auch grinsen. "Du hast Recht.“ antwortete sie, jetzt unter sich, im vertrauten Ton. „Aber als Wachposten oder Verwalter können sie einen wahnsinnig machen…“ ‚vor allem wenn man es eilig hat‚ oder unter Druck steht.‘ schloss sie in Gedanken.  Bald öffnete sich der Wald und gab den Blick auf den Festplatz frei … .

---

-- Main.RekkiThorkarson - 25 Sep 2019