Nach Hut

Nachhut

Als Rhys, Prianna und Borix bei den anderen und Ise ankamen, nickte die alte Tsageweihte ihnen lächelnd zu. „Willkommen auch euch. Hier im alten Tempel der jungen Göttin.“

Kaum dass die Ältere ausgesprochen hatte, wandte sich die Baroness an sie: „Meine kleine Schwester. Sie ist hier? Wo ist sie?“

Irritiert drehte Ise sich um, wobei ihre Robe knisterte und die bunten Farben darauf im Licht: „Ihr meint doch sicher. Oh, wo ….“

Prianna hätte aus der Haut fahren können. Doch bereits als die Wut sich in ihr aufbaute war es ihr als ob der Zorn auf ihre Schwester, die Sorge um sie und die Liebe, die sie für das jüngste ihrer Geschwister empfand, an diesem Ort eine seltsame Einheit bildeten, die sie merkwürdiger Weise beruhigte. (Prianna)

Ise seufzte, trat ein paar Schritte unter den beschädigten Pavillon und gab den Blick auf jenen halbnackten Knaben frei, der mit Basilissa die Lichtung betreten hatte. Er sah die Priesterin mit einem trotzigen Blick an, als sie in der merkwürdigen, schnellzüngigen Sprache mit ihm sprach. Dann zuckte er mit den Schultern und mit einem lauten PFFFFFffffffff f f f f f f plumpste die Tochter des Barons direktvom höchsten Punkt der Decke vor ihm auf den Boden, holte tief Luft und lachte ausgelassen:

„Das war lustig. Nochmal. Blas mich nochmal auf. Oh bitte.“ Verlangte sie ungestüm, doch ehe erneut Magie sie umfangen konnte, hatte ihre Schwester sich vor ihr auf die Knie fallen lassen und sie in eine innige Umarmung gezogen. „Oh, den Göttern sei dank, ich hatte solche Angst um dich.“ Sie wollte mehr sagten, ihrer Schwester Vorhaltungen machen. Leichtsinn, Neugier und Naivität trieben die Kleine viel zu oft an. Doch, die Worte wollten ihren Mund nicht verlassen. Stattdessen, fühlte sie nur die befreiende Erleichterung, ihre Schwester unbeschadet im Arm zu halten. (Basilissa)

Ise wartete bis beide Schwestern ebenfalls aus dem Schatten des Pavillions getreten waren und musterte die Gruppe dann neugierig. „Also? Wer ist es, den ihr jener schändlichen Taten bezichtigt?“

"Das wissen wir nicht, wir sind Basilissa gefolgt,"sie deutete auf das Mädchen. "Auf dem Schloss fand ein Verbrechen statt und wir hatten Angst und dachten, die Kleine könne entweder von dem Unhold entführt worden sein, oder ihm folgen." Sie strich sich unbewusst über den Unterbauch und suchte nach einer weiteren Erklärung. "Wir waren in großer Sorge und sind froh, sie unversehrt zu sehen. War sie denn schon öfter hier ?" (Verema)

Ise runzelte ihre faltige Stirn, zuckte aber mit den Achseln. „Ich habe sie noch niemals hier gesehen, was freilich nicht bedeuten muss, dass sie noch niemals hier gewesen ist. Allerdings…. Ist es unwahrscheinlich.“ Sie musterte das Mädchen eingehend. „Ich kann euch aber soweit beruhigen, dass sie nicht entführt worden ist. Dieser Ort hätte eine solche Grausamkeit gegen ihren kindlichen Willen niemals gestattet.“

Das kleine, blonde Mädchen nickte eifrig: „Erst bin ich dem einen Jungen in den Wald gefolgt, aber ich habe ihn aus den Augen verloren. Der andere hat mich dann mit hierher genommen.“ (Basilissa)

„Wieso hast du das getan? Es hätte dir sonst was passieren können. Solche Dinge überlässt man am besten den Erwachsenen und am allerbesten denen, die Waffen führen. Du solltest….“ Behutsamer als sie wollte, sprach die älteste Tochter des verletzten Barons zu ihrer jüngsten Schwester. (Prianna)

„Womöglich habt ihr Unrecht.“ Ises irritierter Blick war während Basillias Erklärung zu einer kleinen Gruppe Halbstarker geschwenkt, die erregt diskutierten und dabei immer wieder unauffällig zu ihnen herüberlinsten. Und ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht angesprochen wurde oder dass es nicht geziemte in ein Gespräch anderer einzugreifen, unterbrach sie nun die Baroness. „Womöglich offenbaren die Götter manche Dinge deutlicher demjenigen, der sich den Waffen verweigert.“

„Verzeiht“, erhob da der Magus das Wort. „Wisst ihr, ob noch andere Fremde außer uns versucht haben dieses Refugium zu betreten, wurde sie verfolgt? Und vielleicht viel wichtiger ist die Frage ob es möglich ist, dass diese Personen ebenfalls bis hierhin vordringen konnten- sprich, verhindert der Ort lediglich ein bewaffnetes Vordringen, oder reicht ein übles Ansinnen aus, um von göttlicher Macht abgeschirmt zu werden?“

Rhys glaubte die Antwort zu kennen, war sein eigener Weg bis hierhin doch sehr speziell und somit aufschlussreich gewesen, doch er wollte hören, wie Eingeweihte das Wirken der Unsterblichen beschrieben. (Rhys)

Ise war von diesen Fragen deutlich verwirrt. „Ihr stellt merkwürdige Fragen, mein Junge.“ Dann kratzte sie sich am Hals. „Es wäre niemals der jungen Göttin gefällig Fremde auszusperren. Welchen Sinn sollte das machen? Allerdings sind es meistens verirrte Wanderer, die hierher finden, oder einsame, traurige Seelen. Manchmal bringt auch jemand, der schon einmal hier war, jemanden mit, der noch niemals hier war. Eure zweite Frage verstehe ich nicht recht. Niemand, der Waffen bei sich trägt, kann hierher, das habt ihr sehr gut beobachtet. Und hier ist das Herz eines jeden befriedet, so dass Wut, Zorn und Hass keine Früchte der Gewalt tragen können. Doch kein Herz auf der Welt ist jemals frei von Widersprüchen, von kalter Wut, oder heißem Zorn.“ Jetzt zuckte sie mit den Achseln. „… und vergesst nie, dass etwas, das für den einen ein übles Ansinnen ist, für den Nächsten eine Sache tiefster Gottgefälligkeit sein mag.“ Sie sah Rhys mit schräg gestelltem Kopf an. „Ich habe eure Fragen nicht allzu befriedigend beantwortet, mein junger Freund?“

“Nein”, ließ der Magus trocken vernehmen. Mehr brachte er nicht hervor. Es wäre wohl auch wenn nur Spott gewesen und so konnten sich seine Begleiter glücklich schätzen, dass er weitere Worte für sich behielt. (Rhys)

Irgendetwas ließ Tassilo keine Ruhe. Störte ihn. Neben den beiden jungen Damen des Baronshauses in die Knie gehend schaute er der Jüngeren tief in die Augen. Einfühlsam, sanft und wohlwollend klang seine angenehme Stimme und dennoch war ein so gar nicht zur einem Diener der schönen und heiteren Göttin passender Unterton der Ernsthaftigkeit nicht zu leugnen. „Kannst du uns alles berichten was du gesehen hast? Alles was dir aufgefallen ist seitdem du in das unterirdische Tunnelsystem gestiegen bist und auch alles, was dich dazu getrieben hat?“ Egal wem sie bis zu diesem ungewohnten Ort gefolgt war, es hat womöglich keinen Bezug zu ihrer eigentlichen Suche. Was jedoch für ihn feststand. War das sie zumindest Teile der Tat beobachtet haben musste, das sie den Angreifer unmittelbar folgen konnte und das sie eine Fährte hinterlassen hatte die es ihnen ermöglicht hatte ihr zu folgen. [Tassilo]

Das Mädchen nickte eifrig, froh scheinbar endlich jemanden gefunden zu haben, der anzuerkennen schien, was sie getan hatte: „Also zuerst habe ich mein gutes Kleid verdorben und Vater war sehr zornig. Deshalb bin ich mit meiner Zofe hinein gegangen. Da hab ich mir ein neues Kleid angezogen und wollte durch die große Halle zurück in den Garten gehen, doch da stand ein Mann. Er war ganz schwarz angezogen und hatte einen Umhang und ein großes Messer, ein wirklich großes Messer. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Uuund als er mich gesehen hat, hat er sich umgedreht, und da hab ich mich fürchterlich erschreckt und geschrieen.“ Sprudelte es aus dem vorwitzigen Mündlein hinaus: „Er hatte das .. das Bild geschnitten. Das war schön. Das Bild. Ein Gemälde von der Baronie. Vater hat immer gesagt, es sei sehr wertvoll. Und er hat es kaputt geschnitten. Dann hat er mit roter Farbe etwas darauf geschrieben. Uuuun dann… dann kamen Vater und Prianna… Ich weiss nicht mehr, wer zuerst und dann ging alles ganz schnell. Oben auf der Ballustrade hat sich was bewegt. Und alle haben hinauf geschaut. Ich aber nur kurz, denn Prianna hat sich vor mich geschoben und da habe ich zu dem Mann mit dem Messer geschaut. Er hatte sich in eine Ecke gedrückt und Vater ganz ängstlich angesehen. Er wäre sicherlich böse gewesen, weil er das Bild kaputt gemacht hat und es mit Farbe beschmiert hat. Aber als er nach oben geschaut hat, ist er ganz blass geworden. Dann hab ich nur noch ein Sirren gehört und Vater ist .. ist auf den Boden gefallen. Und dann… dann war alles voller Blut. Genauso rot wie an der Wand. Aber Prianna stand immer noch vor mir und ich konnte nur das Blut sehen und Vater nicht, aber den Mann mit dem Messer, und der,.. der hat das Blut angestarrt und ist ein wenig grün geworden und dann ist er weggelaufen. Aber alle… alle waren so beschäftigt und da bin ich ihm nach.. ich dachte einer sollte doch schauen, wo er hingeht. Und dann waren wir plötzlich hinter der Wand. Und dann bin ich ihm nachgelaufen. Und ich… ich hatte Angst-… weil es war so dunkel und so… bin ich immer weiter hinter ihm her. Bis zu einer Leiter, und die ist er hoch geklettert. Und ich bin ihm nach, aber dann war er weg und ich war alleine im Wald. Und der war gruselig. Und ich.“ Sie unterbrach kurz den kindlichen Redeschwall und nahm ihre Unterlippe zwischen die Zähne. „Ich habe ein bisschen geweint. Weil ich hatte Angst nie mehr nach Hause zu finden und Odelia hat mir erzählt in dem Wald würden Wölfe und die bösen Geister der toten Tiere leben und die würden besonders gerne kleine Kinder zu Tode erschrecken. Aber ich will ja noch gar nicht tot sein. Dann hab ich Prianna gesehen, doch die war so wütend und ich hab Angst gekriegt, weil sie so wütend war und da hab ich ein Kichern gehört und dann wurde ich aufgeblasen und bin geflogen. Erst hatte ich Angst, aber dann war alles gut, denn das macht grooßen Spaß. Irgendwann bin ich gelandet und dann saß da auf einem Baumstumpf ein Junge. Und ich war so froh jemanden zu sehen. Er hat mich hierher geführt. Er kann mich auch aufblasen. Das ist wirklich lustig.“ (Basilissa)

Und damit endete der Redefluss des Kindes und Ise strich ihr übers Haar, während Prianna sie in die Arme zog: „Tu sowas nie nie wieder.“ Sagte sie streng, (Prianna)

während Ises Blick nachdenklich wurde und wieder in Richtung des Lagers glitt. Still schüttelte sie den Kopf, als wäre der Gedanke, den sie gerade hatte zu absurd, um weitergesponnen zu werden.

Nachdenklich ob der Rede des jungen Mädchens kratzte sich Borindarax den Bart. „Wenn sie ihm die Leiter hinauf bis in den verwunschenen Wald gefolgt ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit doch recht groß, dass er ebenfalls hier verweilt und vielleicht gar Schutz sucht. Ihm könnte die absonderliche Beschaffenheit, ja das Wesen dieses Ortes ebenso aufgegangen sein wie uns, so dass ihm der Weg nicht versperrt blieb.“ (Borindarax)

Ein klein wenig beruhigte der Bericht ihn, denn er bot ihnen die Gelegenheit die Situation neu zu bewerten. Könnte es sein, dass die beiden Vergehen die im Schloss begangen wurden tatsächlich von zwei verschiedenen Parteien begangen wurden? Könnte es sein, dass überhaupt kein Zusammenhang zwischen den Taten bestand und ihre zeitliche Überschneidung reiner Zufall war? „Dein Vater konnte geheilt werden und das war sehr mutig von dir.“ Lobte er die junge Baroness mit fürsorglicher Miene. „Aber…“ fügte er an bevor sich jemand über sein Lob erregen konnte. „Hör auf deine Schwester und wiederhole dies bitte nicht. Du hast es selbst bereits erkannt, du hattest Angst und fühltest dich verloren. Gefühle, die berechtigt sind, Gefühle, die natürlich sind und genauso hast du deine Schwester in Angst und Sorge versetzt. Zu euer beider Wohl sieh künftig davon ab, zumindest bist du ausreichend befähigt bist dich deiner Haut standesgemäß zu erwehren.“

Langsam kam er wieder hoch und sah seine Kameraden an. „Es könnte sein, dass der verehrte Dienstritter den Angreifer auf den Baron stellen wird, während wir der Spur des Schmierfinken gefolgt sind.“ Tatsächlich schien es, dass diese Zerstörung der Schönheit und Kunst ihn nicht minder erzürnte, wie der Angriff auf das Leben des Barons. Da ihm ihr Gesichtsausdruck nicht entgangen war, blickte er nun eindringlich Ise in die Augen. „Mord passt wahrlich nicht zu diesem Ort! Eine Tat wider das Leben, eine Tat wider die junge Göttin – nein niemand, der hier lebt, dürfte sich derart an der Göttin versündigen wollen. Der Angriff auf das Gemälde hingegen würde zu Jüngern der Tsa passen, habt Ihr hierfür womöglich einen Verdacht?“ [Tassilo]

Wie zur Antwort drehte die Geweihte mit besorgtem Blick den Kopf in Richtung der Halbwüchsigen, als das sanfte Läuten einer leisen Glocke ihr ein freudiges Lächeln entlockte. „Seid unsere Gäste beim Abendessen und tut euch keinen Zwang an mit allen zu sprechen, um Informationen zu eurem Verbrechen zu finden.“

"Der Zwerg hat Recht, der Täter kann auch hier sein. " Sie wandte sich wieder an Ise. "Ist hier noch jemand, der das erste Mal hier ist ? Schaut Euch doch bitte um. Beim Essen geht das sicher am besten." (Verema)

Die Augen der alten Frau, die in jugendlicher Strahlkraft zu Verema hinüberblickten, wirkten milde, als sie antwortete: „Selbst wenn ich jemanden nicht kenne, heißt es nicht, dass er noch niemals hier gewesen ist. Ich gehöre an diesen Ort wie jeder andere: Von Zeit zu Zeit. Ich bin einmal nach über zehn Götterläufen zurückgekehrt und niemand war in dieser Zeit hier gewesen. Ein anderes Mal war ich nur wenige Wochen fort und ich kannte niemanden mehr von den Menschen, die ich hier traf. Aber ihr habt recht. Wir sollten nun hinüber gehen. Solange die Suppe warm und das Gemüse noch nicht allzu bappig ist.“ Dann hakte sie sich jovial bei der Almaderin ein. „Ich mag alt sein, aber bappiges Gemüse ist mir ein Graus. Und gerade wir beide sollten uns reichlich und mit Freude am Essen bedienen. Das Junge muss wachsen und das Alte- nun ja, das Alte verhindert sein zugrunde gehen möglichst lange.“ Sie lachte auf. „Ja, das Leben wird bald aus mir verschwunden sein, wenn ihr noch immer in der vollen Pracht von Jugend und Fruchtbarkeit erblüht. Doch das grämt mich nicht.“ Sie tätschelte Veremas Arm und schritt fast forsch mit ihr voran.

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020