Mitternachtsmesse

Mitternachtsmesse

Aufbruch zum Firundienst

Abseits der versammelten Gäste fanden sich die Edle von Graufurten und ihr Jagdmeister zu einem vertraulichen Gespräche ein:
„Die Knechte sind eingewiesen?“, fragte Leuina ihren Getreuen
„Selbstverständlich.“
„Und der Custodias ist gewiss nicht in dem Einstand?“
„Ihr wisst: Gewissheit gibt es nur im Tode. Doch nach den heutigen Berichten hat er seinen Einstand mindestens zehn Meilen südwestlich. Im Beritt sind drei Hirsche bestätigt: Jualänki und seine zwei Adjutanten“
Die Edle nickte. Jualänki war ein Hirsch vom zwölften Kopfe, genau recht für den Baron von Rabenstein.
„Habt Ihr...“, begann Aureus mit gesenkter Stimme, hielt jedoch sofort inne als ihn der Blick seiner Herrin traf.
„Nein. Ich bin unentschlossen“, erwiderte sie mit ebenso leiser Stimme und einem Seufzen darin. Aureus ergriff ihre Hand.
„Du bist frei. Deine Mutter darf nicht noch vom Grabe aus über dich befehlen!“
Für diesen wackeren Vorstoß hatte sich der Jagdmeister eine schallende Ohrfeige verdient. Ungerührt nahm er sie hin, wandte nicht einmal den Blick von seiner Herrin. Bei all ihrer Stärke vermochte sie es dennoch nicht, ihm nur mit der flachen Hand Schmerzen beizubringen. Kurz maßen die beiden sich mit Blicken, doch die Spannung musste in der Luft verpuffen:
„Der Vogt wird gegen mich antreten.“, erklärte Aureus
„Der Vogt? Welcher?“
„Der von Ibenburg“
Leuina atmete tief durch.
„Soll ich ihn schonen?“, hakte Aureus nach
„Gewiss nicht!“, kam es prompt als Antwort.
„Du weisst, ich könnte ihm das Genick brechen wenn ich wollte“
„Sollst du aber nicht. Vergiss nicht, was für ein Kampf dies wird.“
„Er bedeutet nichts als Ärger. Und er demonstriert mit jedem Atemzug, dass er unwürdig ist an dieser heiligen Jagd teilzunehmen. Mich würde es nicht wundern, wenn Jarlak selbst sein Leben dem Grimmen als zu gering und zu schwach anempfehlen würde“
Die Edle rang sichtlich mit sich selbst: Aureus sprach ihr aus der Seele. Doch sie selbst folgte im Gegensatz zu diesem nicht dem Pfad des unerbittlichen Jägers, sondern dem der Barmherzigen. Sie tat einen Schritt auf ihren Diener zu, legte die Hand auf dessen Brust und fühlte seinen Herzschlag.
„Hab Mitgefühl. Er ist ein dummes Kind, dass zum ersten Mal allein auf den Hof gelassen wird. Ob er überleben wird, haben wir nicht zu entscheiden.“ Die Worte der Edlen bewirkten ein Zähneknirschen bei Aureus. Die Gedanken ihres Jagdmeisters erahnend, blickte sie ihn durchdringend an und erklärte, nun mit deutlich mehr Befehl in ihrer Stimme:
„Du wirst ihn am Leben lassen. Und richte ihn nicht zu schlimm zu. Es ist eine Messe – und der Vogt ist nicht das Opfertier. Und vorführen wirst du ihn ebenfalls nicht! Du wirst so kämpfen wie gegen jeden anderen Waidgesellen auch!“
Ein tiefes Durchatmen des Jagdmeisters folgte, ehe er antwortete:
„Nun gut. Wir sollten zurückkehren.“
Leuina nickte und wandte sich ab zum gehen, bis sie die Stimme des Jagdmeisters inne halten ließ:
„Und bei einem Ehrenhändel?“
Sie blieb stehen, erlaubte sich ein niederträchtiges Lächeln und wandte sich noch halb Aureus zu:
„Dann reiss ihn in Stücke. Bis er zwei Mal um Gnade fleht“
Mit einem beschwingten Lächeln ging die Edle zurück zum Lagerfeuer. Es ging doch nichts über verliebte Männer mit einem ausgeprägten Beschützerinstinkt. Umso besser, wenn diese über die Kampfeskraft eines Firunsbären verfügten.

Der Abend auf der Koschwacht gestaltete sich in Ruhe und Gemütlichkeit: Es wurde gegessen, gelacht und gescherzt – zumindest die Jägerschar ließ sich den letzten heiteren Abend vor der Jarlaksjagd nicht vermiesen, da konnte selbst der Baron von Rabenstein so kühl und unlustig schauen wie er wollte.
Die Baronin von Rickenhausen erfuhr noch mancherlei Geschichten mehr: Über die Schwerter und deren Namen und auch über die Kreaturen, die in den hiesigen Wäldern zu hausen pflegten. Eine wilde Mischung, deren eine Hälfte wohl gänzlich aus dem Reich der Fantasien übernächtigter und erschöpfter Jäger stammte und deren andere Hälfte beängstigend nahe an die Schilderungen der einschlägigen Fachliteratur über widernatürliche Kreaturen und deren Gebieter heran kam.

Spät wurde es und als die Zeit gekommen war, erhoben sich Jagdmeister und Edle beinahe gleichzeitig und letztere hob zu sprechen an:
„Bald bricht der Jarlakstag an. Wir sollten aufbrechen“

Der Weg führte sie fort von der Koschwacht in die Wälder. Einige der Jäger leuchteten mit Laternen den Weg für die Gäste, er war schmal und manch hinterhältige Wurzel lauerte auf einen unbedachten Fuß. Kalt und still war es im Wald und fernab des Laternenscheines harrte borongefällige Finsternis – das Madamal war noch nicht aufgegangen und Phexens Sternenschimmer gut verborgen hinter Wolken. Die Jäger, zuvor am Feuer noch sehr redselig gewesen, übten sich nun in ehrfürchtigem Schweigen. Eine Spannung lag in der Luft wie eine Warnung.

Siehe, wie stark wir sind!

Nach einiger Zeit, es war kein halbes Wassermaß vergangen, tat sich vor ihnen eine Lichtung auf. In der Mitte ragte eine mächtige Buche empor, deren Laub gänzlich in einem einheitlichen, satten Blutrot verfärbt war. Unter diesem unheimlichen Dach hatte es kein anderes Kraut gewagt, höher als bis zu den Waden zu wachsen und so war ausreichend Platz für das Bevorstehende.
Aureus und Leuina traten an den Stamm heran und sanken hinab auf beide Knie, während die verbliebenen Jäger in ruhiger Eile die Laternen am Rande des Platzes verteilten. Madawin, der kleinste von ihnen, schritt ehrfürchtig an die beiden Betenden heran, in seinen Händen trug er eine kleine Trommel.
Spärlich war das Licht, doch es würde wohl genügen müssen. Im weiten Halbkreis stellten sie sich um diese Seite des Baumes auf. Bernbrecht, der dem Baron von Galebquell im Kampf begegnen würde, korrigierte diesen leise, aber deutlich, als sich dieser neben ihn stellen wollte, und hieß ihm, sich auf der anderen Seite ihm gegenüber zu postieren. Auch den anderen Gästen, welche nicht wussten, wohin sie sollten, wurde auf diese Art von manchem Jäger geholfen.

Die Edle und ihr Jagdmeister erhoben sich aus ihrem stillen Gebet und begannen nun, ihre Kleider abzulegen. Allein dies mochte schon die erste Prüfung sein, denn wenngleich Praios Schild den ganzen Tag unerbitterlich gebrannt hatte, so zeigte sich nun in der Nacht, dass es eben schon Herbst war: Der Atem entrann den Menschen nicht, ohne Wolken zu bilden und der Gedanke daran, sich nun noch seiner wärmenden Kleider entledigen zu müssen, war keineswegs ein schöner.
Aureus stand schon bald so da, wie die Götter ihn einst schufen und lediglich ein Schurz mochte die allzu prüden unter den Gästen milde stimmen. Leuina hingegen hatte es vorgezogen, immerhin ihre Hose und ihr Bustier anzubehalten. Vermutlich um ihren Gästen zu demonstrieren, dass es keineswegs nötig wäre, sich über Gebühr zu entkleiden.
Auch die anderen Jäger, den kleinsten mit eingeschlossen, hatten es ihnen gleich getan. Mancher stand noch in Hose da, mancher wie Aureus nur mit einem Schurz bekleidet. Zu letzteren gehörte auch Bernbrecht, der sich sichtbar mühte, seinen Konterpart nicht anzüglich zu betrachten und sich stattdessen auf die bevorstehende Segnung vorzubereiten.
Den Gästen präsentierten sich so die Jäger und bestätigten, was bereits zuvor trotz der Kleider zu vermuten gewesen war: Sie waren alle stark und gesund. Zu dieser Jahreszeit pflegten die meisten von ihnen etwas mehr Speck auf den Rippen zu tragen als im Frühjahr, doch es blieb kein Zweifel, dass im Gebirge jagen unter dieser Jagdherrin genug Leibesertüchtigung war.

„Siehe, grimmer Jäger! Blick hernieder auf uns!“, die Stimme der Edlen durchfuhr die Stille wie ein Schwert. „Wir sind nicht gekommen, um zu verhandeln! Und auch nicht, um dich anzuflehen! Wir sind gekommen, um dir zu zeigen, dass wir deiner würdig sind!“, sie schlug sich die flachen Hände auf’s Brustbein, ein wilder, trotziger Ausdruck hatte von ihrem Gesicht Besitz ergriffen.
„Sieh her, wie stark wir sind!“, mit ihrem letzten Ausruf begann Madawin, der sich am Stamm niedergelassen hatte, die Trommel zu schlagen. Ein einfacher Rhythmus war das und trug doch dazu bei, den Herzschlag zu beschleunigen. Grimmig wurden die Gesichter der Jäger und glichen in diesem Lichte soviel mehr Wölfen denn Menschen.

Leuina hatte gerade ihren Platz gegenüber des Barons von Rabenstein eingenommen, da lief schon der erste auf seinen Widersacher zu: Es war Bernbrecht, der, zumindest seinem kleinen Sprint nach, den Baron von Galebquell nicht schonen würde.


Der einäugige Baron hatte es den meisten Kämpfern gleichgetan und sich Mantel, Wams und Hemd entledigt. Seine schulterlangen Haare hatte er mit einem breiten Band zu einem Almadanerzopf gebunden. Gekleidet in eine eng anliegende schwarze Hose und angetan mit den für ihn wohl unvermeidlichen Handschuhen betrachtete er die Edle. Wartete. Mit der zuversichtlichen Ruhe eines Jägers, der weiß, dass jede Beute das Ergebnis des rechten Moments darstellt.
Das geringe Licht der Laternen zeichnete ihn in ein Bild aus fahlem Silber und pechdunkler Schwärze, umspielte seine sehnige Gestalt, an der kein Skrupel überflüssiges Fett war, und verriet, dass er dem Wohlleben noch immer wenig abzugewinnen wußte. Feine Silberfäden bezeichneten einige ältere und neuere Narben auf seiner Haut und zeichneten sich als tiefes, vielfaches Muster quer über seinen gesamten Rücken. Mochte seine Gegnerin auch gleich einer wilden Wölfin sein, gewohnt den Kampf, flink und schnell und von scharfem Biß, so war es doch gleichsam Kälte des Eises und Stille der Nacht, die ihr Herausforderung entgegenwarf.
Die Edle betrachtete ihren Gegner aus der Ferne kurz – sie kannte zwei seiner Schwächen, was mehr als genug war. Mit schnellen Schritten überbrückte sie die Distanz zu ihm, ein sehr knappes Nicken war der einzige Gruß an ihren Kontrahenten. Sie spürte wie ihre Sinne schärfer wurden, ihr Puls sich beschleunigte und sich gleichsam um sie herum alles verlangsamte, der Baron von Rabenstein von einer Respektsperson zur potentiellen Beute wurde.
Kaum war sie in Reichweite, hob sie locker die Hände zum Faustkampf. Mit der ausgelegten linken deutete sie einen Schlag zur rechten Gesichtshälfte des Barons an. Dieser riss instinktiv die Arme zum Block hinauf, doch vergebens: Anstatt den Seitwärtshaken zum Ziel zu führen, glitt die Faust an der Wehr des Barons vorbei zu dessen linker Schulter. Flink waren ihre Beine, als sie ihr Gewicht nach hinten verlagerte. Mit dem nun unbelasteten linken Bein hakte sie sich von hinten in das rechte Bein des Barons ein – zusammen mit dem Druck ihrer Hand an dessen Schulter war es nun ein leichtes, Lucrann rücklings auf den Boden zu werfen.
Der griff in ihre Haare, drehte sich im Fallen halb, und zog die Edle mit sich zu Boden. Noch immer waren ihr Beine verhakt, was ihm zusammen mit dem Griff am Kopf genug Hebel verlieh, sie halb auf ihren Rücken zu wuchten. Dicht an dicht rangen die beiden Kontrahenten. Ein kraftvoller Versuch Leuinas, die Oberhand zu gewinnen, fand gerade noch sein Ende in einem Block des alten Barons, der die junge Edle mit untergehakten Beinen am Boden hielt. Mit gespannten Muskeln rangen die beiden Kämpfer, die eine, sich aus dem Klammergriff zu befreien, der andere, genau dies zu verhindern. Merklich kitzelte der Duft nach Leder, Eisenkraut und gesunder, junger Frau Lucranns Nase. Rasch hob und senkte sich ihre Brust und ihre glatte Haut leuchtete im Schein der Laternen. Appetitlich. Darauf bedacht, einen Kopfstoß Leuinas zu verhindern, berührten seine Lippen den Halsansatz der jungen Edlen. Flüchtig hing der Duft der Erzeugnisse der Gewürzinseln weit im Süden und einer anderen, schwer auszumachenden Komponente in seinen Haaren. Ein jäher Schmerz, gepaart mit Lust, Kraft und Wildheit, schoss durch ihre Adern, als sich seine Zähne durch ihre Haut gruben und das Blut rot über ihre Schulter rann. Wie Eisenstangen hielten seine Hände ihre Arme.
Ein beherzter Kopfstoß war die unmittelbare Antwort auf des Barons so tückische Attacke. Mit voller Wucht traf die Stirn der Edlen Lucrann auf der Nasenwurzel. Zu seinem Glück hatte der Winkel nicht ganz gestimmt, sodass kein hässliches Knacken zu vernehmen war. Der Schmerz jedoch blieb nicht aus, ebenso wenig wie das Blut, dass nun aus den Nasenlöchern des Rabensteiners spritzte. Leuina holte indes zu einem zweiten Angriff dieser Art aus, berauscht vom Kampf und Blut musste selbst sie sich merkbar zusammenreißen um innezuhalten. Sie blinzelte den Rausch des Blutes fort und machte Anstalten sich zu erheben, dem Rabensteiner dabei die rechte Hand entgegenstreckend.
Der schüttelte sich wie ein nasser Hund, begann sich aufzurappeln, ergriff die Hand der Edlen und kam mit ihr gemeinsam auf die Beine. Er legte den Kopf in den Nacken und wartete, bis der Blutfluß nachließ.

Finmar, Biora und die Waffen der Wildnis

Auch Finmar hatte sich seiner Sachen weitestgehend entledigt. Angetan mit einem einfachen Lendenschurz hatte er sich, in den Knien federnd, in eine entspannt wirkende Kampfhaltung begeben, die Arme halb hoch erhoben, seine Gegnerin nicht aus den Augen lassend. Innerlich grinste er fast, waren die Duelle, derer er schon so viele gegen Biora ausgetragen hatte, doch bisher eher auf dem Gebiet der Weisen gewesen denn ihres unbezähmbaren Bruders. Und doch wusste der junge Mann aus viel zu langer Erfahrung, dass die Hesindegeweihte, die ihm gegenüber stand, um vieles mehr war denn nur ein Bücherwurm. ‚So lange sie nicht mit irgendetwas nach mir wirft, bin ich sicher!‘, überlegte Finmar und wider Willen fast huschte ein Lächeln über seine Züge, während in Gedanken ein Zweihänder an seinem Kopf vorbeiflog und mit traumwandlerischer Sicherheit sein Ziel fand.
Biora war ein wenig erstaunt, denn hatte es nicht geheißen, die Kämpfe hätten keine Zuschauer? Wie auch immer, sie zögerte dennoch nicht, dem Beispiel aller anderen zu folgen, und legte Mantel, Wams und Hemd ab, dann zog sie ihre Stiefel aus. Ihre wildlederne Hose behielt sie an, ebenso ihr lindgrünes Brusttuch und natürlich den Schlangenhalsreif aus Bronze und Silber, das Insignium ihrer Weihe. Ihr Körper war wohlgerundet und nicht muskulös, aber sehnig, und wie beim Rabensteiner konnte man bei genauem Hinsehen diverse Narben erkennen, allerdings keine frischen. Ansonsten schien das Alter bisher recht spurlos an ihm vorübergegangen zu sein.
Die Geweihte erwiderte Finmars Lächeln leicht verschmitzt, als könne sie lesen, was er gerade gedacht hatte, dann duckte sie sich leicht und hob die Arme. Der Nahkampf ohne Waffen war etwas eher Ungewohntes für sie, deshalb ließ sie ihrem Gegner freiwillig die Initiative. Was nicht hieß, dass sie es ihm zu einfach machen wollte …
Andererseits – eigentlich gab es doch keinen Grund dafür, sich freiwillig in die Defensive zu begeben, zumal die Gefahr bestand, dass Biora dort nicht mehr herauskam. Finmar konnte ihre Augen im Mondlicht aufblitzen sehen, dann riss sie sich mit einer ruckartigen Bewegung das Brusttuch herunter, schlug es ihm ins Gesicht und trat im mit dem rechten Fuß innen gegen das linke Knie.
Für Finmar kam der Angriff völlig überraschend. Eben noch hatte er überlegt, ob es wirklich angebracht sein würde, eine Geweihte der Hesinde herauszufordern, zumal wenn es sich um eine alte Freundin und Weggefährtin handelte, da fuhr ihm Bioras Tuch ins Gesicht und er spürte einen stechenden Schmerz am linken Knie, welches entsprechend nachgab. Instinktiv stieß er sich mit dem unbelasteten Bein ab und schnellte in die Richtung, in der er Biora vermutete. Kurz sinnierte sein wie außen vor stehendes Bewusstsein über die Frage, ob er seinen Körper nicht besser - wie man das von den Bewohnern des Hylaier Archipels kannte - mit Ziegenfett eingerieben hätte, um der Gegnerin so wenig Anpack wie möglich zu gewähren, da fühlte er auch schon, wie er auf den Körper seiner Gegnerin aufprallte.
Fest schlossen sich seine kräftigen Hände um Hüfte und Schultern der Frau, den Schwung ausnutzend, den ihm sein ungelenker Sprung nach vorne gegeben hatte. Allerdings war der Sprung eben genau das gewesen, ungelenk, und sein Knie pochte und schmerzte siebtsphärig, so dass sein Schwung irgendwie außer Kontrolle geriet und er weit weniger sanft und kontrolliert als angedacht in die Hesindegeweihte hineinkrachte.
Biora war etwas überrascht, dass Finmar trotz des schweren Knietreffers noch springen konnte, und wollte sich zur Seite wegdrehen, um ihn ins Leere laufen zu lassen, doch geriet sein Sprung so unkoordiniert, dass sie nicht weit genug auswich, so dass ihr Gegner sie irgendwie zu fassen bekam. Seiner rohen Kraft hatte sie im ersten Moment nicht viel entgegenzusetzen, und da prallte sie auch schon heftig auf den unebenen Boden, Finmars ganzes Gewicht drückte sie nach unten, dass es ihr die Luft aus den Lungen trieb. Irgend etwas bohrte sich schmerzhaft in ihren nackten Rücken, es mochte ein Ast oder ein Stein sein, oder der Busch, durch dessen Äste sie beim Fallen gebrochen war, war mit einigen hinterhältigen Dornen bewehrt, der Stich war heftig genug jedenfalls, um eine Feuerlanze ihren gesamten linken Arm bis in die Fingerspitzen hinunter zu jagen. Biora stöhnte auf, doch verbissen nutzte sie den Schwung ihres Kontrahenten, um diesen nach hinten über sich hinwegzubefördern, tiefer in den Busch hinein, wenn sie auch das Gefühl hatte, ihr linker Arm würde nun vollends abfallen. Zumindest war das der Plan.
Finmar, auf den eigenen Schwung und den Fall der Geweihten völlig unvorbereitet, kniff die Augen fest zu, während er mehr Körperkontakt zu Biora erhielt, als ihm lieb war. Der eigene Schwung und die Beine der Geweihten sorgten im Verein mit den antrainierten Reflexen dafür, dass er sich über die Seite der Geweihten abrollte, um nach einem halben Purzelbaum wieder auf die Füße zu kommen - dachte er. Stattdessen trug ihn der Schwung nicht nur zielgerichtet ins Unterholz sondern zudem mitten hinein in die Mutter aller Brombeerranken. Mit der Ferse in einem üblen Dorn landend, den Rücken perforiert von einer ganzen Armada biestiger Dornenstränge und das Knie in glühendem Schmerz pochend, musste er inne halten und gegen die Übelkeit ankämpfen. Tränen standen ihm in den Augen, während er Eisen schmeckte. Zu allem Überfluss schien er sich im Abrollen auch noch in die Backe gebissen zu haben. Nur mit Mühe konnte er einen Schmerzensschrei unterdrücken, an dessen Stelle ein leidvolles Stöhnen trat.
Kaum spürte Biora Finmars Gewicht von ihrer Brust weichen, da warf sie sich herum und stützte sich blitzschnell mit den Armen und Beinen ab, um wieder in eine kampfbereite Stellung zu kommen. Doch das war ein Fehler. Als sie ihren linken Arm belastete, explodierten schwarze und rote Ringe vor ihren Augen, dass sie schon fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren. Sie biss sich heftig auf die Lippen, bis sie Blut spürte, und drängte die Ohnmacht mit großer Mühe zurück, und endlich klärte sich ihr Sichtfeld wieder. Finmar stand oder vielmehr lag halb inmitten des Busches; im Mondlicht, das zwischen den Bäumen herabsickerte, sah es fast aus, als wolle dieser ihn mit seinen Ranken erwürgen. Offensichtlich war er übel zugerichtet, so war es kein Wunder, dass er ihre momentane Schwäche nicht hatte ausnutzen können.
Biora hatte keinen Moment vergessen, dass hier ein ritueller Kampf zu Ehren Firuns stattfand. Spontan sandte sie ein stilles Stoßgebet an diesen ihr eher unvertrauten Gott: "Gestrenger Herr der Jagd, konnten wir uns Deiner Erwartungen würdig erweisen, so sende mir ein Zeichen!" Kaum hatte sie das letzte Wort gedacht, da zerriss das wütende Gebrüll eines Firunsbären die Nacht. Biora fuhr herum, was erneut glühende Messer durch ihren verletzten Arm jagte, zudem wurde sie nun gewahr, dass etwas Warmes ihren Rücken herunterlief. Doch die Quelle des Gebrülls war keinesfalls ein Bär, sondern sie erkannte Aureus, der in triumphierender Pose über seinem Gegner stand. Dennoch vermeinte die Geweihte auch, den schwachen Hauch einer geistigen Berührung zu spüren, wie sie es in viel stärkerem Maße erfuhr, wenn Hesinde ihr die Gnade erwies.
Biora drehte sich, langsam und vorsichtig diesmal, zurück zu Finmar, machte einen Schritt durch die Ranken auf ihn zu und streckte helfend die rechte Hand aus. "Lassen wir es gut sein, Finmar. Ich denke, ich spüre, wir haben dem Ritual in ausreichendem Maß Genüge getan. Mir war gar nicht recht bewusst, wieviel Schaden man einander ohne Waffen in wenigen Augenblicken zufügen kann." Ihre Stimme brach fast bei den letzten Worten, als erneut ein mörderischer Stich durch Rücken und Arm fuhr und ihr die Tränen in die Augen trieb.
Finmar richtete sich vorsichtig auf, ein gequältes Lächeln auf den Zügen, und ergriff die angebotene Hand, vorsichtig sein wehes Bein belastend, um dem Schmerz des Sporns in der Ferse zu begegnen. "Das kommt davon, wenn Schreibpulthengste auf Mütterchen Natur treffen. Ich danke Euch für diesen Kampf..." ... und will nicht wissen, was sich uns noch entgegenstellt, wenn bereits die Beeren hier derartigen Schaden anrichten. Vorsichtig auf einem Bein balancierend machte er eine Bestandsaufnahme, dann nahm er Biora in Augenschein: "Wenn Ihr Euch umdreht, dann will ich gerne versuchen, Euch von unserem gemeinsamen Bezwinger zu befreien. Und wenn Ihr mir danach ebenfalls helfen könntet, wäre ich dankbar."
„Gern“, presste Biora zwischen den Zähnen hervor, doch ansonsten zeigten ihre Augen ungeachtet des Schmerzes einen zufriedenen und schon wieder leicht schelmischen Ausdruck. Sie tat wie geheißen und wandte Finmar den offenbar blutenden Rücken zu, womit ihr Blick auf den Kampfplatz und die anderen Paarungen fiel. Interessiert betrachtete sie das Geschehen und wappnete sich innerlich, denn wie auch immer Finmars Hilfe aussah, ohne weitere Schmerzen würde sie wohl nicht davonkommen.
Vorsichtig pflückte der Edle der alten Freundin Dorne um Dorne aus der verletzten Haut, die Augen in höchster Konzentration zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und bemüht, der Geweihten so wenig Schmerzen wie nur möglich zu machen, brauchte er doch keine Phantasie, um sich die Schmerzen der Älteren vorzustellen. Um seine Beine, über Rücken und Brust wie um seine Arme wanden sich die dunkelgrünen, fast schwarzen Ranken der wilden Brombeere, in deren Herz ihn die Hesindegeweihte befördert hatte. Zwar waren etliche der dornbewehrten Peitschen am Boden geblieben und von ihrer Berührung zeugten nur die wie am Bindfaden aufgereihten Bluttropfen, doch trotz dessen wirke der schmale und ernsthafte Mann ein wenig wie eine männliche Dryade, in seinem Lendenschurz und den grünen Fäden, die ihn umsponnen.
Die vielen kleinen Dornen, welche der Edle Biora aus der Haut pflückte spürte sie kaum, doch irgendwann kam er zu der Stelle in ihrer Schulter, welche für ihre nahezu niederhöllischen Schmerzen verantwortlich war. Finmar erkannte wohl, das an dieser Stelle kein vorsichtiges Zupfen helfen würde, und zog mit einem kräftigen und schnellen Ruck den Übeltäter aus der Wunde. Biora wurde es nochmals fast schwarz vor Augen, ihren Lippen entwandt sich ein ersticktes Seufzen, doch Finmar hielt sie fest und nach einem Augenblick war der Schwächeanfall schon wieder vorüber, wenn auch nicht die Schmerzen, die nun in ein dumpfes Pochen übergingen. Der Edle zeigte ihr einen blutverschmierten, daumenlangen geraden Dorn, welcher sicher nicht von einer Brombeere stammte und sich wohl mehrere Zentimeter in ihr Fleisch gebohrt hatte.
Als Finmar mit seiner „Arbeit“ schließlich fertig war, nickte Biora ihm nochmals dankbar zu, dann nahm sie ihr Brusttuch wieder an sich und band es sich um, um dann ihrerseits seinen Körper von den Überbleibseln der hartnäckigen Brombeerranken zu befreien, was durchaus einige Zeit in Anspruch nahm.
Als die Edle fertig war, fühlte sich Finmar leicht fiebrig und schmeckte Bitterkeit. Die Prozedur war mehr als ein Mal von Finmars Zusammenzucken gestört worden, wenn die Edle einen besonders tief sitzenden Dorn gezogen hatte, und den Dorn unter seiner Ferse hatte die Edle nur unter Zuhifenahme ihres Dolches entfernen können.
Nun, während die Schmerzen langsam abebbten und einem beständigen Ziehen wichen, welches seinen ganzen Körper zu erfassen schien, überkam ihn das eigenartige Gefühl, zu schweben. Dankbar lächelte er seiner Kampfgefährtin zu und krächzte ein leises „Danke.“ Dann bemühte er sich, den wehen Fuß entlastend, ruhig stehen zu bleiben und die Schmerzen zu verdrängen, während er sachte in seine eigene Traumwelt hinüberglitt, die Schultern gestrafft, die Augen halb geschlossen und um die Mundwinkel einen ungläubigen Zug.

Hauptleute unter sich

War nicht davon die Rede gewesen, dass die Kontrahenten ohne Zuschauer kämpfen würden? Andererseits, wenn alle mit ihrem eigenen Ringkampf beschäftigt waren, konnten sie natürlich auch nicht den anderen zusehen. Ihm war es egal, im Grunde glich das Spektaktel den Kämpfen auf dem Übungsplatz der Gardekaserne. Achselzuckend legte Garobald Umhang, Wams und Stiefel ab. Nun trug er nur mehr eine dunkle Wollhose mit weitem Schnitt, die ihm in seinen Bewegungen nicht einschränkte. Er nickte dem neben ihm stehenden Anselm zu.
Anselm tat es Garobald gleich und entkleidete sich bis auf seine wildledernen Beinkleider. Im Vergleich zu der Wollhose seines Gegners war er dadurch in seiner Beweglichkeit im Nachteil, versprach sich aber einen sicheren Stand. Außerdem hätte er andernfalls den Jagdmeister zuvor um eine leichtere Kleidung bitten müssen, und das erschien ihm unangebracht.
Als die beiden bereit nebeneinander standen und Garobald ihm zunickte, nickte Anselm ebenfalls und sie traten auf die Kampffläche.

Wie zwei streitlüsterne Weidener Kuhhirten standen die beiden einander gegenüber und fixierten sich. Während Garobald offenbar noch zögerte, um auf irgendein Zeichen der Kampferöffnung zu warten, schnellte Anselm mit hochgerissenen Armen und einem Kraftschrei nach vorn, um seinen Gegner zu Boden zu ringen. Garobald, der mit angespanntem Körper auf alles bereit war, machte einen Schritt zur Seite und versuchte, dem Vorbeistürmenden den Ellbogen ins Kreuz zu rammen.
Da Anselm sich etwas zu sehr vornüber gebeugt hatte, stürzte er bäuchlings hin und der Passierschlag Garobalds streifte ihn nur. Auf dem Boden drehte er sich schnell auf den Rücken in der Erwartung, dass der Fischwachttaler sich sofort auf ihn werfen würde. Doch der stand nur breitbeinig tänzelnd da und winkte den Flussgardist auffordernd heran.
Anselm erhob sich vorsichtig, während er den Staub von seinen Hosen klopfte. Diese Provokation zeigte Erfolg, denn Garobald schoss mit einem rechten Haken vor, der auf Anselms Gesicht zielte. Doch Anselm, der genau damit gerechnet hatte, nahm den Kopf zur Seite und versuchte, Garobalds rechten Arm zu packen.
Der entglitt ihm jedoch, da sich Garobald geschickt unter Anselms Zugriff hindurchdrehte. Der riss schnell das Knie hoch und traf Garobald im Rücken, was diesen ein Stück forttaumeln ließ. Kaum hatte er sich gefangen, wirbelte Garobald herum, um seinen Kontrahenten in einen Klammergriff zu nehmen. Anselm machte keine Anstalten, dem Angriff auszuweichen, ging aber blitzschnell in die Knie und stieß seinen Oberkörper nach vorn, um Garobald an dessen Körperschwerpunkt über seine Schulter abrollen zu lassen. Garobald stürzte über Anselm hinweg und landete rücklings auf der Erde.
Anselm drehte sich auf der Ferse. Er hatte nicht vor, Garobald wieder aufstehen zu lassen. Garobald hatte jedoch das linke Bein angezogen, und bevor Anselm springen konnte, trat er ihm mit dem Fußballen gegen die Kniescheibe. Der Bollstieger knickte ein und kippte zur Seite in den Dreck.
Schnell war Garobald wieder auf den Beinen. Seine Nachsicht hatte er nun abgelegt und hechtete sich auf den Gegner. Gerade noch konnte sich Anselm unter ihm wegdrehen und beide lagen nebeneinander. Anselm rollte zurück, um Garobald zu packen zu kriegen, doch der konterte mit einem kraftvollen Schwinger in Anselms Magengrube.
Anselm lag keuchend am Boden und röchelte. Garobald drehte sich zur Seite und erhob sich. Besorgt sah er auf seinen Gegner. Sollte dieser nun Blut spucken, hatte er sein Ziel des Kampfes erreicht, aber dafür Anselm möglicherweise mehr verletzt, als notwendig gewesen wäre.
Hustend erhob sich auch Anselm. Er spukte aus – kein Blut war zu sehen. Erneut stürzten sich die beiden aufeinander, um sich gegenseitig niederzuringen. Jeder hatte den anderen im Griff, doch keinem gelang es, den anderen von den Beinen zu heben, und so schoben sich die beiden nur abwechselnd über den Kampfplatz. Dabei blickten sie sich energisch von Angesicht zu Angesicht an und jeder erkannte die Entschlossenheit im Blick des anderen. Da stieß Anselm seine Stirn in Garobalds Gesicht, und der Schmerz löste die Griffe beider. Erschöpft und schnaubend blickten sie einander an – und lächelten. Anselms Stirn hatte Garobalds Nase getroffen. Das Nasenbein schien nicht verletzt zu sein, aber ein feiner Blutfaden rann ihm aus dem linken Nasenloch. Doch Anselms Stirn war nach dem Stoß offenbar noch gegen einen Schneidezahn Garobalds gerutscht und hatte eine feine, blutende Schramme hinterlassen.
Beide fassten sich ins Gesicht und betrachteten dann den Blutfilm auf ihren Fingern. Dann fingen sie an zu lachen, und Anselm klopfte Garobald auf die Schulter.

Aureus gegen Melcher

Als einer der Letzen entkleidete sich nun auch Melcher Sigismund. Die leicht bekleideten Körper um ihn herum schienen ihm etwas unangenehm zu sein. Nicht wegen der Körper an sich, sondern eher weil es sich um Körper seiner Mitstreitern von Stande handelte, die man eher selten in dieser Zahl zu Gesicht bekam. Nachdem er sich aus dem Wappenrock samt Umhang und der ledernen Hose gekämpft hatte, trug er nun nur noch eine knielange Baumwollhose und seine schweren Stiefel.
Sein Körper war der eines Kriegers, stämmig und muskulös mit kleinem Bauchansatz. Seine Haut war blass und der Oberkörper fein säuberlich enthaart, was im Zusammenspiel mit seinen blauen Augen und seinen schwarzen Haaren anmutig wirkte. Er war attraktiv und hatte diese feine männliche Anziehungskraft, die bestimmt einigen weiblichen Teilnehmern nicht entgangen war. Vielleicht war es seine Haltung, eine innere Stärke oder das stille Lächeln in seinem Gesicht, was den Eindruck von Unbeschwertheit und Umgänglichkeit hervorrief. Auch ohne seine edle Gewandung und das Schwert des Kriegers griffbereit in der Hand, konnte man den Stolz und die Entschlossenheit des Vogtes erkennen. Melcher machte sich nun mit einem Blick über den Platz mit seinem Gegner vertraut.
Sein Kontrahent sollte der Jagdmeister höchstselbst sein, nach dem Wunsche des Vogtes. Der Körper des Hünen glänzte im Licht der Fackeln, es machte ihn schier noch größer als er tatsächlich war. Eine dünne Fettschicht verbarg seine ausgeprägten Bauchmuskeln nur unzureichend, auch das spärliche, hellbraune Brusthaar vermochte nichts von seiner Kraft zu verstecken. Im Gegensatz zu Bernbrecht, bei dem die schieren Muskeln etwas zu viel des Guten verteilt auf zu wenig Körperlänge wirkten, passte bei Aureus alles ins Bild. Ebenso gut hätte er ein Diener der Leuin und nicht des Bären sein können.
Mit einem Blick aus Stein bedachte er Melcher und ließ ihn herankommen. Sich seines Reichweitenvorteils bewusst hatte er auch nicht die Absicht, seinen breitbeinigen Stand aufzugeben, zumindest noch nicht.
Melcher Sigismund verschränkte die Arme hinter dem Rücken und senkte den Blick für einen Moment, er schien als wäre er kurz in Gedanken versunken. Alveranischer Hüter der Ewigen Ordnung, Dein Urteil erkennt die Wahrheit. Dein Wort schafft die Weisheit, Es scheidet Wohltat und Gefahr des Wissens. Gib mir die Klugheit, die Kraft und die Einsicht, Deinen Willen zu erkennen. Nach dem stillen Gebet nahm der Vogt mit den leise gesprochenen Worten „Es sei!“ ebenfalls einen tiefen Stand ein und wartete auf den Angriff von Aureus.
Dem Jagdmeister waren die Worte seiner Herrin noch gut in Erinnerung. Er solle so kämpfen wie gegen jeden anderen Waidgesellen auch. Nun gut.
Er hob die Arme zur Deckung vors Gesicht mit offenen Händen. Ein schneller Schritt schräg nach vorn, sein rechtes Knie schnellte in die Höhe um die Magengrube seines Gegners zu finden, während sein rechter Arm hinter das Genick seines Gegners schwang um ihm am selbigen zu packen und zu sich zu ziehen. In dieser Kombination würde es den Vogt über sein Knie zu Boden werfen. Und der Jagdmeister war schnell in seinem Angriff, flinker, als man es ihm bei dieser Statur zugetraut hätte.
Unwillkürlich sog der Vogt die Luft durch die Zähne als ihn das Knie Aureus´ traf. Schützend winkelte er danach den rechten Arm zur Deckung über seine Rippen. Auch Melchers Griff ging mit der linken Hand hinter das Genick des Jagdmeisters, wollen wir uns mal nicht unter Wert verkaufen, dachte der Ibenburger.
Sein Griff ging ins Leere und während der Vogt noch mit dem Brennen in seinem Magenbereich kämpfte, fühlte er sich durch die Hand des Jagdmeisters vornüber gerissen. Er landete bäuchlings auf dem Boden und sofort war Aureus über ihm. Dessen Knie drückte ihm nun ins Kreuz und es gab wenig, was der Vogt der Kraft und Technik des Jagdmeisters entgegensetzen konnte. Sich vom eher hilflosen Gezappel seines Gegners nicht ablenkend lassend, griff Aureus diesem in den Schopf, riss seinen Kopf hoch um ihn dann mit aller Kraft und Wucht zurück auf den Boden zu donnern. Ein widerliches Knacken ertönte und Blut spritzte aus Melchers Nase. Er fühlte, wie Aureus das Knie fortnahm und offenbar neben ihm zum Stehen kam. Nun gut, dass war schnell und unerwartet gekommen. Er blutete, Nase und Magengrube schmerzten und er brauchte einige Atemzüge, um die Kontrolle über seinen Geist und seinen Leib zurück zu erlangen. Da Aureus ihm am Boden scheinbar nicht weiter zusetzen wollte, erhob er sich ruhig, mit den Händen abstützend. Als er wieder auf den Beinen war, sah er den Hünen zwei Schritt neben sich stehen, noch immer in Kampfhaltung. Als er sah, wie Melcher sich wieder auf die Beine begab, setzte er zu einem tiefen und unglaublich lauten Brüllen an, die Arme leicht von sich gestreckt. Ob es Wut oder Triumph war was er dort hinausbrüllte ließ sich nicht erkennen, doch es klang fast nach einem leibhaftigen Firunsbären, soviel war gewiss! Und es verfehlte seine Wirkung nicht:
Alle Hemmungen und Standesdünkel waren wie fortgewischt und Melcher kannte nur noch ein Ziel: Diesem elenden Kerl das Kinn zu polieren bis es glänzte wie die Schwerter der Rondrianer! Seine Fäuste versuchten, diesen Gedanken zur Ausführung zu bringen, doch es waren ungeübte Versuche, denen Aureus durch überraschend flinkes Pendeln und Wegtauchen leicht entgehen konnte. Immerhin versuchte er nicht, seinem Gegner noch eine mitzugeben – schließlich war ihm das Vorführen offiziell verboten worden.
Auf Tritte und andere akrobatische Manöver verzichtete der Vogt wohlüberlegt: Er hatte erkannt, dass er, wie er es selbst schon weit vor dem Kampf gewusst hatte, mit wehenden Fahnen untergehen würde und musste befürchten, bei derlei gewagten Aktionen das Gleichgewicht zu verlieren oder Aureus zurück in die Offensive zu locken. Innerlich verfluchte er sich dafür, dass er in der Kriegerschule dem waffenlosen Kampf nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Aureus wiederum hatte nicht nur seinen Gegner im Blick sondern auch das Geschehen um sie beide herum. Er sollte den Kampf beenden bevor es zuviele Zuschauer gäbe. Als Melcher erneut zum Schlag ausholte, verschränkte Aureus die Arme hinter dem Rücken und verzichtete auf die Ausweichbewegung. Kerzengerade, mit vorgestrecktem Kinn empfing er den Schlag des Vogtes. Er spürte, wie dessen Faust seine Nase traf, hörte selbst das Knacken und ignorierte mit firungefälliger Kälte den Schmerz, der in ihm aufstieg. Nicht einmal das Gesicht wandte er ab. Mit einer ruhigen Geste wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, blickte zum Vogt und nickte ihm zu.
„Ihr seid hartnäckig, hochgeborener Herr Vogt“, stellte er fest. „Ein guter Kampf“
„Es wahr mir eine Ehre mich mit Euch zu messen, Aureus von Mauser“, sprach der Vogt ohne auch nur die kleinste Zweideutigkeit in seinen Worten erkennen zu lassen. Schniefend wischte er mit dem Handrücken sein Blut von Nase und Mund ab, was ihm aber aufgrund der starken Blutung nicht so recht gelingen mochte.

Die Segnung

Der Vogt bekam ein Nicken als Antwort auf seine Worte, dann blickte sich der Jagdmeister auf dem Platz um: Alle Beteiligten hatten ihre Kämpfe beendet, Finmar und Biora kamen ebenfalls gerade aus dem Unterholz zurück, beide gut verschrammt und blutend. Aureus schien zufrieden mit dem was er sah und trat in die Mitte des Platzes.
Leuina nickte dem Baron von Rabenstein noch einmal zu, wirkte dabei sowohl grimmig als auch dankbar und erhaben zugleich.
Sie gesellte sich zu Aureus. Noch immer lag knisternde Spannung über der Lichtung, während sich das Madamal am Firnament in voller Pracht zeigte. Das Flüstern der Buchen und Eichen im sachten Wind kündete von der Urgewalt der Natur, deren Zeuge sie nun alle werden würden.

Leuina atmete tief durch und sprach dann mit lauter Stimme:
„Hoher Jagdmeister, ehrbar und fein
Werden die Opfer
im Sinne des Heil’gen sein?“
Prüfend blickte der Hüne in die Runde, seine blutende, geschwollene Nase schien ihn nicht zu stören, obwohl ihm das Blut mittlerweile vom Kinn durch den Bart und auf die blanke Brust tropfte. Einen jeden der Kämpfer durchbohrte er schier mit seinem Blick.
„Meine edle Herrin und der Schwanen Geleit
Das zu ergründen steht uns morgen an
Für heut sei das blut’ge Handwerk getan!
Und ein jeder von seiner Schuld befreit“
Gab Aureus dann zur Antwort. Madawin trat an die beiden heran und streckte ihnen eine Schale aus schneeweißem Elfenbein entgegen. Ehrfürchtig und demütig hielt der Knabe dabei den Blick gesenkt. Leuina nahm die Schale mit der linken Hand entgegen, mit der rechten ergriff sie eine schlichte, silberne Klinge welche in dieser gelegen hatte.
Sie wollte sich gerade dem Jagdmeister mit der Klinge in der Hand zuwenden, als sie inne hielt und sich an ihre Gäste wandte:
„Meine Gäste, meine wack’ren Waidgesellen und Jagdpagen! Blut habt ihr alle gegeben. Nun obliegt es mir als Herrin dieser Jagd, es einzufordern auf dass wir die milde Tochter des Grimmen um Gnade und den Heiligen Jarlak um einen schnellen Tode bitten können!“ Diese Worte gingen ihr nicht so leicht über die Lippen, vermutlich war diese Erklärung des weiteren Vorgehens improvisiert – ihren eigenen Jägern würde sie kaum die Hintergründe für das nun folgende erklären müssen.
Dann wandte sie sich wieder Aureus zu:
„Mein Jagdmeister, Dein Blut für das Blut der Kameraden“, während sie mit sanfter, gütiger Stimme voller Liebe diese Worte sprach, reckte sie sich zu ihrem Getreuen empor und zog mit der Klinge das Blut ab, sodass es in die Schale tropfte. Als dies vollendet war, antwortete Aureus mit ebenso liebevoller Stimme:
„Mein Blut für das Blut deiner Beute, meine Jagdherrin!“
Selbiges wiederholte sie mit dem kleinen Madawin, dem im Kampf gegen Barnabas die Lippe aufgesprungen war, auch hatte er eine ordentliche Platzwunde auf der linken Augenbraue davon getragen:
„Mein Jagdpage, Dein Blut für das Blut der Kameraden!“, erneut war ihre Stimme liebevoll und vorsichtig zog sie auch ihm das Blut von der Haut ab und ließ es in die Schale tropfen. Der tapfere Knabe kniff etwas die Augen zusammen, als die kalte Klinge seine schmerzende Wunde berührte und der Druck sein Übriges tat, doch er hielt sich wacker und gab keinen Laut von sich. Dann antwortete er, mit etwas mehr Stolz in der Stimme als der Jagdmeister zuvor:
„Mein Blut für das Blut deiner Beute, meine Jagdherrin!“
Ohne Müh’ duzte der geringste von ihnen die Edle von Graufurten. Wahrscheinlich kannte der Kult des Firun keine standesbedingten Anreden, die über die Titel- oder Amtsbezeichnung hinaus gingen und so mochte es ein Teil dieser Zeremonie sein, der nicht aufgrund von Standesbewusstsein verändert werden sollte. Oder durfte.

Leuina schritt nun, mit Opferschale und Klinge bewaffnet, die Reihen ihrer Waidgesellen ab und bei jedem einzelnen von ihnen wiederholte sich die Zeremonie.
Isotta und Marisya waren als erste an der Reihe: Beide hatten sich einen gar heftigen Ringkampf geliefert und Isotta konnte eine aufgeplatzte Lippe vorweisen und Marisya gar eine kleinere Platzwunde am linken Jochbein!
Auch Barnabas, der gegen den Knaben angetreten war, streckte der Edlen seinen Arm entgegen als es an ihm war, sein Blut zu teilen: Madawin hatte ihn gar heftig in den Unterarm gebissen und der Waidgeselle blutete gar heftig.
Bernbrecht, der Stier, hatte im Kampf gegen den Baron von Galebquell auch einen ordentlichen Treffer einstecken müssen. Irgendwie hatte der Hesindediener es geschafft, ihm einen ordentlichen Schlag auf die Nase mitzugeben.

Mittlerweile war die Schale gut gefüllt und Leuina trat an den Baron von Rabenstein heran. Ausgerechnet dieser standesbewusste Mann würde der erste der Gäste sein, der nun demonstrieren durfte ob er das Ritual in seiner ursprünglichen Form vollzog und die persönliche Anrede, nur unter diesen Umständen und nur dies eine Mal, duldete und sie erwiderte oder ob er, indem er die höfische Anrede gebrauchte, der Schwanendienerin zu verstehen gab dass sie zu weit ginge und froh sein konnte, dass er sie nicht umgehend oder anschließend forderte.
Wenn Leuina derartige Gedankenspiele hegte, so zeigte sie es zumindest nicht. Ihr Blick hatte etwas Unendliches, trug ein Versprechen auf ewige Gnade und Milde in sich als sie Lucrann gegenüberstand.
„Mein Baron, Dein Blut für das Blut der Kameraden!“
Die kalte Miene des Barons ließ die Gnade der Edlen an sich abgleiten wie Sommerregen an einer Felswand. Von der versprochenen Milde schien er wenig zu halten – oder vielmehr wenig Nutzen für sie zu verspüren.
„Mein Blut für das Blut Deiner Beute, Jagdherrin.“ Tonlos war seine Stimme und dennoch trug jede Silbe bis zu der Edlen Ohren.

Leuina schritt weiter zu Finmar. Auch ihm schenkte sie jenen tiefgründigen Blick, den zuvor der Baron von Rabenstein schon erhalten hatte und forderte ihn auf:
„Mein Edler, Dein Blut für das Blut der Kameraden!“
Finmar blickte in eine nur für ihn sichtbare Ferne, in der er die vor ihm Stehende nur bedingt wahrnahm. In Gedanken stand er am Rande eines Wasserfalls und blickte über eine Jagdgesellschaft hinweg direkt in unbarmherzig klare, aber verstehende Augen. Die Gänsehaut, die seinen gesamten Körper bedeckte, kam nicht von den herrschenden Temperaturen und die Tränenflüssigkeit, die sich in seinem Augenwinkel sammelte, hatte nichts mit Trauer zu tun.
Ohne sein wirkliches Zutun bot er der Edlen seinen linken Oberarm, auf dem sich dunkelrote Tropfen gesammelt hatten, aufgereiht wie Perlen an einer Kette. Dass sein Rücken ein einziges, dunkelrotes Fanal darstellte und auch sein übriger Körper von Bluttropfen bedeckt war, zählten nicht. „Mein Blut für das Blut deiner Beute, Herr“, kam es leise und ein wenig stockend aus dem Mund des Edlen, gefolgt von einem tiefen Atemzug, einem Aufklaren des Blickes und einem volltönenden: „und mein Blut für das Blut deiner Beute, Jagdherrin.“

Biora, die inzwischen ganz die Nähe des Herrn Firun und seiner milden Tochter in Form eines leichten Fröstelns im Herzen verspürte, welches es leicht machte die Regungen der Gefühlswelt zu ignorieren wenn man denn wollte, sah sich nun auch der Dienerin des Schwanes gegenüber.
„Meine allweise Mutter, Dein Blut für das Blut der Kameraden!“
Zwar kam die ganze Zeremonie Biora durchaus befremdlich vor, doch nicht minder ernsthaft und feierlich, und so ließ sie sich gerne auf diese neue Erfahrung ein. Die seltsame Kälte, welche ihren Körper und Geist ergriffen hatte, erlaubten es ihr, das Abziehen des Blutes von ihrer tiefen Rückenwunde ohne eine sichtbare Regung über sich ergehen zu lassen, im Gegenteil schien dadurch die Kälte sie nur noch mehr einzuhüllen, aber ohne ihr ins Fleisch zu beißen, wie es winterliche Kälte sonst für gewöhnlich tut. Dann sprach auch Biora die Antwort: „Mein Blut für das Blut deiner Beute, Leuina von Bilgraten, meine Jagdherrin!“

Sogar Melcher traf ein äußerst liebevoller, sanfter Blick und er konnte gewiss sein, dass Leuina nun als Feder der Schwanenschwinge vor ihm stand und nicht als Edle von Graufurt:
„Mein Vogt, Dein Blut für das der Kameraden!“
Melcher Sigismund schien das Ritual etwas sonderbar, außer beim Dienst für die göttliche Leuin hatte er noch nie von solch einem Opfer gehört. Bestimmt war es besser sich nicht soviel Gedanken darüber zu machen, beschloss Melcher zudem die Nase noch blutete und begann anzuschwellen. Wenn sie krumm im Gesicht steht, dann ist sie auf jeden Fall gebrochen. Wären nun die Worte seines Vaters gewesen, die dem Vogt gerade in den Sinn kamen. Er streckte Leuina seinen Kopf etwas entgegen und ertrug das Abziehen seines Blutes vom Mund und Kinn um sogleich die Worte: „Mein Blut für das Blut deiner Beute, Leuina von Bilgraten, meine Jagdherrin!“, zu sprechen.


Auch der Baron von Galebquell würde sein vergossenes Blut dem Herrn Firun darbringen dürfen. Leuina stand vor ihm und sprach sanft die Worte:
„Mein Baron, Dein Blut für das der Kameraden!“
Roklan war erschöpft nach dem Kampf gewesen. Bernbrecht hatte ihn gefordert, zu Boden geworfen, bedrängt, geschlagen, getroffen. Schweißnass waren die beiden Kontrahenten auseinander gegangen – war in beider Augen Bedauern zu sehen gewesen? Doch zufrieden war der Baron von Galebquell, schon lange hatte er nicht mehr so sehr bis an das Ende seiner Kräfte gefochten. Es war wahrlich ein Kampf zu Ehren des Grimmigen Jägers gewesen.
Jetzt stand eine erneute Prüfung an: Die Schwanenschwinge stand vor ihm, die Dienerin der Sanften Tochter Firuns, der Schwanengleichen Ifirn. Die Schale in der einen Hand, die stählerne Klinge in der anderen blickte sie ihm tief in die Augen. Roklan, Consortis der weisen Göttin Hesinde, erwiderte diesen Blick. „Mein Blut für das Blut deiner Beute, Leuina von Bilgraten, meine Jagdherrin.“ sprach er mit sanfter, aber fester Stimme. Die Schwanenschwinge zog langsam mit der kalten Klinge über die Haut des Barons von Galebquell und Roklan unterdrückte ein Schaudern.

Die Edle schritt weiter zu Anselm, dem spätestens jetzt, da Leuina vor ihm stand, auch gewahr wurde dass der Blick des Grimmen auf ihm ruhte als sie sprach:
„Mein Edler, Dein Blut für das der Kameraden!“
Starr blickte Anselm seinem Gegenüber in die Augen. Wie ähnlich sie doch denen ihrer Schwester Lioba waren. Beim Gedanken an die Adjutantin der Landhauptfrau zog sich dem Flussgardist das Innere seiner Brust zu einem schweren Kloß zusammen. Wäre sie doch hier, dann würde die Urtümlichkeit dieses Ortes weit weniger unheimlich auf ihn, den Städter aus Elenvina, wirken. Doch Firun, seinem Gott, gab er sich bereitwillig hin, auch wenn diese Art, dem Wintergott zu gedenken, ihm nicht vertraut war.
Er hielt seinen Arm über die Schale: „Mein Blut für das Blut deiner Beute, Waldherrin.“

Nun war Garobald an der Reihe. Dieser mochte nicht ahnen, dass die Liebe, die aus Blick und Stimme der Edlen sprach, auch jedem anderen gegolten hatte:
„Mein Edler, Dein Blut für das der Kameraden!“

Garobald hatte es vermieden, sich das Blut aus dem Gesicht zu wischen und so floss es in den Bart und färbte diesen langsam tiefrot. Die Edle musste mit der Klinge nur sanft durch seinen Bart fahren um sein Blut aufzunehmen. In Garobalds Augen konnte man die Zuneigung lesen die er für Leuina empfand und mit sanfter Stimme sprach er: „Mein Blut für das Blut deiner Beute, meine Jagdherrin.“


Der kaiserliche Vogt erwartete ebenso, sein Blutopfer zu bringen. Als Leuina vor ihm stand, Güte und Sanftmut mit Augen und Stimme ausdrückte, erschien es ihm fast, als ob er wieder jung wäre und die weiten Ebenen der Nordlande durchschritt:
„Mein Vogt, Dein Blut für das der Kameraden!“
Verträumt und abwesend, wie entrückt in die Ferne seiner Vergangenheit antwortete er: " Julukin nenä kuläi menänen, tajakoia firuskajän !" ... und erschrak , denn ohne es zu wollen war er in die Sprache der Nivesen gerutscht. Verlegen senkte er seinen Kopf und wollte übersetzen. Doch Leuina, welche das Nujuka ebenfalls beherrschte, befand sich schon in der Bewegung zum Weitergehen.

Als letzter durfte Aldec sein Blut beisteuern. In der mittlerweile recht kühlen Nacht, noch dazu bar manch wärmender Kleidungsstücke, erschien es ihm fast so, als strahlte Leuina eine fühlbare Wärme aus als sie auch ihn aufforderte:
„Mein Ritter, dein Blut für das der Kameraden!“
Alec war kräftiger gebaut, als man es vermutet hätte und hatte den Körper eines durch und durch trainierten Kriegers. Er hatte sich eine blutige Nase gefangen ... und ein geschwollenes Auge. Mit würde jedoch nicht ohne Routine sprach er die Worte der heiligen Antwort.

Anschließend schritt Leuina zurück zu ihrem Jagdmeister. Inzwischen war jedem der Hauch der Gegenwart des göttlichen Jägers nur zu deutlich und sie alle verspürten seinen gestrengen Blick, der ihnen wie eiskalte Schauer im Nacken erschien. Denn ob sie wirklich würdig wären, würde sich erst morgen zeigen.
Leuina reichte Aureus Schale und Messer, woraufhin dieser sprach:
„Meine Jagdherrin, dein Blut für das der Kameraden!“ Mit kundigen, vorsichtigen Fingern ließ er die scharfe Klinge über den Hals der Edlen gleiten und striff das blutbenetzte Messer an der Schale ab.
Kaum war dies getan, reckte Leuina ihre Arme gen Himmel und rief:
„Mein Blut für das deiner Beute, mein himmlischer Jäger!“
Auf diesen Ruf erschallte von den Waidgesellen ein lautes „Hussa!“
Barnabas, als ältester Waidgeselle nun in der Pflicht, trat an die mächtige Eiche heran. An deren Stammansatz hatte sich im hohen Gras die Beute des Nachmittags verborgen, einen braven Rehbock hatten die Herren von Bregelsaum während ihrer Pirsch erbeutet. Diesen wuchtete er sich nun über die Schulter – auch wenn es nur wenige Schritte waren so gebührte es sich wohl nicht, ein Reh an den Läufen über den Boden zu schleifen. Er schritt in die Mitte der Versammlung und legte den toten Bock behutsam auf dem Boden ab. Kaum wurden die Waidgesellen des toten Bockes ansichtig, tippten diese sich artig an die Schläfe zum letzten Gruß für die gestreckte Beute. Sorgsam richtete er das Haupt, sodass es aufrecht auf dem Boden lag, einen Eichenzweig als letzten Bissen im Äser. Aureus ging auf die Knie, tippte sich zum Gruße an die Schläfe und durchschnitt die Drossel, um noch etwas Blut des Tieres in die Opferschale fließen zu lassen. Diese reichte er nun Leuina an:
„Meine Kameraden! Wir alle haben gezeigt, dass wir es verdienen zu leben. Und das Recht des Stärkeren einzufordern. Doch nur gemeinsam sind wir stark genug, die Jagd zu begehen sodass sie dem Heiligen ein Wohlgefallen ist!“, ihre Stimme war laut und durchdringend. Und ihr Appell mehr als notwendig, betrachtete man sich die Zusammensetzung der Jägerschar.
„Wir haben unser Blut geteilt: Gleich den himmlischen Wölfen werden wir im Rudel jagen!“, eigentlich hatte Leuina noch weiter sprechen wollen, doch aus der Ferne wurde sie jäh von Wolfsgeheul unterbrochen. Die Jäger tauschten vielsagende Blicke aus, zuversichtliche Blicke. Es war wohl ein gutes Zeichen und auch Leuina lächelte zufrieden.
„So empfangt nun den Segen Nidaris, der euch alle schützen soll solange ihr die Heil’gen Gesetze der Waidgerechtigkeit achtet!“
Zuerst war es am Jagdmeister, den Segen zu empfangen: Leuina benetzte ihren Finger mit dem gesammelten Blut aus der Opferschale und zeichnete Aureus damit einen waagerechten Strich auf die Stirn. Dabei wurden keine Worte gewechselt, nur senkte Aureus kurz dankbar den Blick, als es vollzogen war.

Leuinas Finger zeichnete eine kühle Spur auf die Stirn des alten Barons, eine federleichte Berührung, die wie ein Zeichen aus Eiswasser auf seiner Haut zu liegen kam, selbst, als die Akoluthin längst ihre Hand fortgenommen hatte. Metallisch lag Blutgeschmack auf seiner Zunge, doch nichts mehr war vom kurz aufflammenden Hochgefühl des Kampfes geblieben als Müdigkeit, Stille und Kälte, die leisen Gefolgsleute jeden Streits. Lucrann schloß sein Auge, dem flüchtigen Segen der Schwanengleichen nachspürend, ehe dieser verging und ins Nichts zerrann und seine Bilder mit sich zog und mit ihnen auch ein Wissen, soviel mehr als der bloße Abglanz einer Ahnung. Ein tiefer Atemzug brachte Ruhe. Aufmerksamkeit in den klaren Augen eines Raben. Das Wissen um die rechte Zeit.
Bald.
Sehr bald.

‚Ich habe die mir auferlegte Jagd vollzogen.‘ Die Worte sickerten als Gedanken in die kalte Luft und fanden ihr Ziel. Noch einmal sah der junge Mann die erschreckt aufgerissenen Augen des Wildes, das er nach so vielen Jahren gestellt hatte, dessen Fährte und Schweiß alt geworden waren mit der Zeit und die er doch in akribischer Suche wieder hatte aufspüren können.
Noch einmal spürte er den Schmerzen nach, als ihn die Waffe seines Gegners traf mit einer Wucht, die ausgereicht hätte, ihn für immer zu verkrüppeln. Lediglich die Kampfkunst, die ihn der Rabensteiner gelehrt hatte, und die Wut, die er über sein ganzes Leben hin angesammelt hatte, hatten letztlich das Blatt des Schicksals auf seine Seite gezwungen.
Noch einmal durchlebte er die letzten Augenblicke der hinter ihm liegenden Jagd und bemerkte nicht einmal, wie das Blut auf seine Stirn gezeichnet wurde als Spiegel dessen, was hinter seinen Augen war.

[B6][Biora] Biora spürte den Finger Leuinas, der ihre Stirn mit dem feuchten Blut benetzte. Sie schloss die Augen und versuchte, diesem Gefühl in aller Tiefe nachzuspüren, es zu halten und zu ergründen und den göttlichen Hauch dahinter in sich aufzunehmen, sowohl aus hesindegefälliger Neugier als auch um den Segen nicht nur mit ihren Ohren zu vernehmen, sondern auch mit ihrem Geist.
Und tatsächlich spürte sie mehr, als sie erwartet hatte, einer Vision gleich fluteten flüchtige Bilder durch ihren Kopf, welche allerdings nicht wirklich für eine feierliche Stimmung bei Biora sorgen konnten, sondern vielmehr eine ernste Besorgnis bei ihr auslösten: Eine mit Raureif überzogene Speerspitze, die von himmlischen Arm gehalten suchend über die Weite der versammelten Jagdgesellschaft glitt. Hinter Nebeln verbarg sich das Antlitz der Sonne, im diesigen Licht vermochte der Eisige seine Beute nicht zu finden. Auf seiner Schulter saß ein Rabe, der Körper wie steifgefroren, doch auch seine Augen waren wachsam, zitterte, vibrierte vor Anspannung auf die nahende Beute - im Gegensatz zum Jäger war es ihm gleich, welche es sein würde. Er würde Beute machen, dass war ihm gewiss.
Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, als die Bilder verblassten. Leuina war längst auf dem Weg zum nächsten Jagdteilnehmer, so dass der Edlen von Bilgraten das Erschrecken der Hesindegeweihten völlig entging. Mit einem langen Blick in die Runde versuchte sie nochmals alle Anwesenden in sich aufzunehmen. „Wen würde es treffen?“ war ihr erster bewusster Gedanke.

Wieder trat Leuina auf Roklan zu, den Gast, den Jäger aus fremden Landen, nicht als Edle, sondern als Jagdherrin und Dienerin Ifirns. Kurz berührte ihr Finger das gesammelte Blut in der Schale dann hob sie die benetzte Hand und berührte Roklans Stirn. Er blinzelte, als das mittlerweile nur noch lauwarme bis kalte Blut seine Stirn berührte. Er spürte ein Knistern unter seiner Haut, ein Prickeln, welches sich hinter seine Stirn und seine Augen schob. Ein Schaudern rann ihm vom Nacken herab den ganzen Körper hinunter bis in die Zehenspitzen, eine Gänsehaut, wie nach einem plötzlichen Frosthauch. Für einige Augenblicke hielt der Baron den Atem an, steif, wie eingefrorener Nebel. Die Augen weit geöffnet, starrte er in das Gesicht Leuinas – doch sah er sie? Dann – sein Atem flüchtete in einer kondensierten Wolke zwischen seinen zusammengepressten Lippen aus seiner Lunge. Roklan schauderte erneut, wie unter Kälte. Er schloss die Augen, bemerkte nicht, dass ihn kurz ansah, die Stirn runzelnd. „Es ist… nichts…“ Roklan rang sich zu seinem Lächeln durch – und mit skeptischem Blick, aber nicht weiter in ihn dringend, ging Leuina weiter.
„Herrin, schütze uns…“ murmelte der Consortis leise, wie ein kaum merklicher Frothauch.

Mit geschlossenen Augen empfing Anselm das Zeichen Firuns auf seiner Stirn. Er versuchte, die Gedanken auf die vor ihm liegende Jagd zu lenken, doch glitten sie ihm in die Vergangenheit zu den geschlagenen Schlachten und den Gesichtern gefallener Kameraden. Und dann sah er wieder Lioba vor sich. Sie lächelte ihn an. Doch dann färbte sich ihr Wams blutrot. Erschrocken riss Anselm die Augen auf. War sie in Gefahr? Sollte er zu ihr eilen? Oder narrte ihn gerade nur sein erschöpfter Geist? Verwirrt blickte er sich in den Reihen seiner Mitstreiter um.

Schließlich trat Leuina wieder vor Garobald und tauchte ihren Finger in das Blut. Als das Blut seine Haut benetzte verschwamm kurz seine Sicht. Als Garobald wieder etwas erkennen konnte, stand er nicht mehr auf der madamalbeschienenen Lichtung sondern an einem auf einem sonnenbeschienenen Felsvorhang. Vor Garobald lag ein dunkler Wald, hinter ihm endete der Felsvorsprung und es ging in die Tiefe. Erst auf dem zweiten Blick erkannte er, dass er hier nicht allein war. Eine Gestalt lag zwischen ihm und den Abgrund, verletzt und erschöpft, wie es schien. Eine Kapuze verhüllte das Gesicht und auch ansonsten fand er keinen Hinweis darauf wer da lag. Mit Verwunderung stellte der Edle fest, dass er seinen Harnisch und Zweihänder trug. Aus dem Wald hinter ihm drang ein tiefes, bösartiges Grollen und Garobald wirbelte herum, bereit sich und den Verletzten gegen alles zu verteidigen was da kommen sollte und… stand wieder auf der dunklen Lichtung. Leuina war bereits weitergegangen und Garobald sah sich etwas irritiert um während ihm ein leises „Tuebor“ über die Lippen kam.

Als Wilmibert das Zeichen erhielt, war es, als würde er für einen Augenblick grimmig kalte Luft einatmen. Sie brannte in seiner Lunge. Ja, der Weiße Gott war da, mitten unter ihnen, er lies es ihn spüren. Ergriffen, erschüttert... erstarrt... starrte der Burggraf auf Leuina. Eine Stimme in seinem Kopf... seine Stimme … sprach: „Du solltest Angst haben vor dieser Jagd, das wäre vernünftig. Aber für einen Rückzug ist es nun zu spät.“ Er schluckte die bittere Kälte hinunter, festigte sein Blick und dankte für den erhaltenen Segen.

-- Main.KennyS - 30 Jun 2014