Maskenball Kleider

Kapitel 2: Kleider

Die Gauklerin warf Adda einen nachdenklichen Blick hinterher. Selbst beim Abgang unterließ die Hausherrin es nicht, die eleganten Kurven ihres Körper vollendet in Szene zu setzen. Das versprach noch interessant zu werden.

Nun sollte auch erstmals die Novizin etwas auftauen. Obwohl sie ihrer Mutter optisch sehr ähnlich sah, bemerkte man schnell, dass die beiden grundverschiedene Persönlichkeiten hatte. Adda war eine Diva, die sich selbst gern inszenierte und es gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen, wo immer sie auch auftauchte. Rahjalind, dem zum Gegensatz, war ein empathisches, sehr ruhiges Mäuschen.

Doratrava sah ihr in die Augen und wunderte sich ein wenig, wie zurückhaltend, ja fast schüchtern die junge Novizin auftrat, so ganz anders, als man sich eine Anwärterin der Rahja gemeinhin vorstellte. Sie wollte schon etwas sagen, aber da ergriff Rahjalind doch das Wort.

„Ich werde dein Pferd versorgen und deine Taschen aufs Zimmer bringen lassen …“, brach die junge Adelige dann das kurz andauernde Schweigen zwischen den beiden. Dann bedeutete sie der Gauklerin, ihr ins Haus zu folgen. Beim Betreten des Haupthauses des Anwesens kamen Doratrava sofort die Stadtpalazzi im Horasreich in den Sinn. Es war offensichtlich, dass sich die Edlen von Linnartstein durch den überregionalen Handel mit Wein ein extravagantes Leben leisten konnten, und auch die geschmackvolle Einrichtung verstärkte diesen Eindruck. Im fahlen Licht der Kerzen sah sie kunstvoll gearbeitete Statuen, Gemälde mit größtenteils rahjanischen Motiven und sogar gepolsterte Möbel. Eine Treppe aus Rosenmarmor und einen kurzen Flur später stand sie in einem kleinen Zimmer mit Bett, Schrank, einer Waschschüssel und einem Sekretär.

„Leider hat dein Zimmer keinen eigenen Kamin. Wenn dir kalt ist, veranlasse ich jedoch, dass man dir warme Steine ins Bett legt“, erklärte Rahjalind, nachdem sie ihrem Gast ein paar Herzschläge lang Zeit gab, sich umzusehen, nur um im nächsten Moment wieder das Thema zu wechseln. „Mutter ist manchmal … denk dir einfach nichts dabei. Sie ist ein guter Mensch.“ Sie lächelte.

Die Gauklerin war ein wenig erschlagen von dem ganzen Prunk. Nicht, dass sie so etwas zum ersten Mal sah, denn wenn sie per Zufall oder sonstwie einmal zu Geld gekommen war, hatte sie sich auch schon mal für ein paar Tage in einem Luxushotel eingemietet, nur so zum Spaß. Gerade in Belhanka hatte sie das schon einmal getan, wie sie innerlich schmunzelnd feststellte. Dennoch war sie beeindruckt, zumal die Einrichtung des Hauses ihrer bescheidenen Urteilsfähigkeit in solchen Dingen nach nicht nur teuer sein sollte, sondern größtenteils wirklich kunstfertig und ansprechend gestaltet war.

„Nein, ist schon gut,“ ging Doratrava schließlich auf die Frage der Novinzin ein. Sie war ganz andere Dinge gewohnt, auch das Schlafen auf hartem Waldboden im Winter oder in einem zugigen Stall zwischen muhenden Kühen. „Es ist wirklich schön hier, auch ohne warme Steine.“ Die Gauklerin grinste nun fast schon ein wenig schelmisch, aber dann nahm ihr Gesicht unvermittelt wieder einen leicht angespannten Ausdruck an, und sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Sag, Rahjalind, wie wird denn die Feier morgen ablaufen? Wer wird denn alles kommen? Hast du eine genaue Vorstellung, was ich vorführen soll? Muss ich auf irgend etwas achten? Ich weiß ja immer noch nicht so genau, wie man sich beim Adel verhält und will nicht gleich alles falsch machen. Manchmal scheint es mir sogar so, als würden die hohen Herrschaften die Regeln jedes Mal neu festlegen, so dass die Erfahrungen vom letzten Fest nahezu nutzlos sind!“ Unwillkürlich hatte Doratrava Rahjalind während dieses Redeschwalls bei den Schultern gefasst. Schnell ließ sie die Arme wieder fallen und trat einen Schritt zurück. „Oh … entschuldige, ich wollte nicht ...“.

Die Novizin blinzelte etwas verstört ob der vielen Fragen, die nun auf sie hereinbrachen. Es war ein kurzer Moment der Irritation, der jedoch schnell vorüber ging. Sie fand es beinahe amüsant, wie viel Sorgen sich die Gauklerin machte, zu unrecht, wie Rahjalind meinte. Deshalb versuchte sie sogleich, Doratrava ihre Ängste zu nehmen.

„Wer alles kommen wird, weiß ich nicht …“, eröffnete sie lächelnd. Auch an der Berührung der Gauklerin schien sie sich offensichtlich nicht zu stören. „Diskretion ist eines der wichtigsten Dinge bei den Feiern meiner Eltern. Es werden keine Namen genannt und die Gesichter sind zu einem Teil mit Masken bedeckt. Einzig meine Eltern wandeln als Gastgeber nicht auf verborgenen Pfaden und sie wissen als einzige um die Identität ihrer Gäste.“ Ihr Lächeln wurde etwas breiter und vielsagender. „Ich glaube deshalb nicht, dass du etwas falsch machen kannst …“, sie hob ihre Schultern, „… und selbst wenn, würde es nicht an dir festzumachen sein, weil ja niemand weiß wer du bist.“ Rahjalind tippte sich auf die Nasenspitze.

*

Doratravas Gesicht nahm einen recht zweifelnden Ausdruck an. Die Masken, welche sie gerade im Horasreich schon gesehen hatte, kamen ihr eher wie ein schlechter Scherz oder eine Ausrede vor, was das Verschleiern der Identität anging. Sie bedeckten oft gerade mal die Augenpartie, so dass sich die Gauklerin nicht vorstellen konnte, dass man damit jemanden täuschen konnte, den man auch nur ansatzweise kannte. Und was sie selbst betraf: wie viele Frauen mit weißen Haaren, weißer Haut und spitzen Ohren gab es wohl? Sie gedachte eigentlich nicht, voll verschleiert aufzutreten, in so einer Gewandung war man dann doch sehr eingeschränkt in der Auswahl der möglichen Darbietungen. Aber gut, Doratrava verkniff es sich, die Novizin schon wieder zu unterbrechen, und hörte erst einmal weiter zu.

„Ablaufen tun die Feste eigentlich immer gleich. Du warst ja schon einmal in den Straßen Belhankas, dort, wo das ewige Fest gefeiert wird.“ Nun kam auch die junge Novizin erstmals etwas ins Schwärmen und Doratrava konnte ihr nun doch noch eine leichte Ähnlichkeit zu Adda attestieren. „Das Thema ist ein horasischer Maskenball, das heißt es wird schöne Kleider und tolle Frisuren geben und die Gäste werden sich übertrieben schminken.“ Die Aufregung und Vorfreude hatte Rahjalind in diesem Moment kindliche rote Flecken auf die Wangen gemalt. „Du kannst die Gäste unterhalten wie es dir beliebt, es gibt kein ´MUSS´ auf den Festen auf Gut Linnartstein. Solltest du nichts Passendes anzuziehen haben, finden wir sicher etwas für dich.“

„Hm, na gut, da bin ich ja mal gespannt“, gab Doratrava mit ein paar nachdenklichen Furchen im Gesicht zurück. „Ich habe ein paar Kleider und Kostüme mitgebracht, wenn du magst und Zeit hast, können wir die ja nachher mal durchsehen. Aber ich sehe mir auch gern an, was ihr für mich haben könntet. Ich liebe Kleider!“ Kurz erhellte Begeisterung das Gesicht der Gauklerin, welche aber schnell wieder aus ihrer Miene verschwand. Ja, sie liebte Kleider, aber wann konnte sie sich schon ein neues leisten? Die meisten der wenigen in ihrem Besitz befindlichen hatte sie geschenkt bekommen. Immerhin.

Um den kurzen Moment der aufkommenden Melancholie zu überspielen, fuhr Doratrava gleich fort: „Dann gibt es dieses Jahr gar kein spezielles Thema, an das man sich halten - nun, wenn nicht ‚muss‘, dann sollte? Und kannst du mir vielleicht auch die Räume zeigen, wo das Fest stattfinden wird? Was ich tun kann, hängt auch davon ab, wie viel Platz ich habe – und wie viel ich kaputt machen könnte, wenn ich nicht aufpasse.“ Beim letzten Satz hatte die Stimme der Gauklerin einen durchaus schelmischen Unterton bekommen. Es schien, als würde ihr die ganze Sache beginnen, Spaß zu machen. „Ach ja – und was wirst du anziehen? Oder ist das noch geheim?“, setzte sie dann noch erwartungsvoll lächelnd hinzu.

Rahjalind tippte nachdenklich auf ihr Kinn. „Ja warum eigentlich nicht …“, sagte sie dann mehr zu sich selbst als zu Doratrava. „Ich werde es dir einfach zeigen …“, auf dem halben Weg zur Tür wandte sie sich um - beinahe schon mahnend den Zeigefinger erhoben, doch mit einem herzlichen Lächeln auf den Lippen. „Nicht davonlaufen“, bat sie, dann stürmte sie aus der Tür in den Flur – in besorgniserregender Geschwindigkeit, wenn man bedachte, dass die Flure nur mäßig beleuchtet waren.

Doratrava nutzte die Gelegenheit, endlich den schmutzigen Mantel loszuwerden, wobei sie im ersten Moment nicht wusste, wohin damit. Sie konnte ihn doch nicht einfach in den Schrank hängen, ohne diesen völlig einzustauben. Schließlich legte sie das Kleidungsstück vorsichtig über den geschwungenen Stuhl, der vor dem seltsamen Tisch mit den vielen Schubladen stand. Darunter trug sie ein einfaches, geschnürtes Leinenhemd von weißer Farbe und eine schwarze, an den Seiten von der Hüfte bis zu den Knöcheln ebenfalls geschnürte Lederhose sowie einfache Reitstiefel. Im breiten Gürtel steckten seitlich und hinten insgesamt vier Wurfdolche. Doch nun schnallte sie den Gürtel ab, legte ihn zu dem Mantel und trat zur Waschschüssel, um sich erleichtert den Staub aus dem Gesicht zu waschen. Danach setzte sie sich auf das weiche Bett, um sich die unbequemen Stiefel auszuziehen. Endlich konnte sie die Zehen wieder richtig bewegen! Die Gauklerin ließ sich nach hinten fallen und wippte leise kichernd ein wenig auf dem weichen Bett, um dann aufzustehen und das Fenster zu öffnen, denn für ihre Verhältnisse war es recht warm in dem Zimmer. Heiße Steine. Bloß nicht!

*

Es sollte etwas mehr als der vierte Teil eines Stundenglases vergehen, bis sich die Tür in das Zimmer der Gauklerin erneut öffnete. Doratrava, die schon wieder auf dem weichen Bett lag, zuckte heftig zusammen und sprang auf, denn es hatte nicht geklopft. Herein trat jedoch nicht etwa Rahjalind, sondern ein junger Mann, der sich mit einer großen Kiste abmühte. Als diese abgestellt war, zog er zum Gruß seine Kopfbedeckung und verschwand dann wieder. Erst jetzt sollte die Novizin wieder zu der Gauklerin stoßen, und sie hatte sich allem Anschein nach umgezogen. Gekleidet war die junge Frau nun in ein langes schwarz-goldenes Kleid in einem Brokatmuster und im Ensemble mit schön gearbeiteter weißer Spitze an Ärmel, Unterrock und Kragen. Dazu trug sie eine Art Sonnenschirm, und eine schwarze Maske, die mit goldgefärbten Federn verziert war und doch einiges zu verdecken schaffte. Schwungvoll drehte sich Rahjalind in ihrem Kleid, sodass die Röcke nur so flogen und Doratrava sehen konnte, dass so züchtig das Kleid erst auch anmutete, der freie Rücken dem ganzen dann doch einen besonderen Reiz verlieh.

„Was sagst du?“, fragte sie aufgeregt. Die Gauklerin konnte sehen, dass sie dieses Kleid gerne trug. Ihr Gesicht leuchtete förmlich und die Backen nahmen abermals eine rote Farbe an. Ihre Brust bebte über dem eng geschnürten Mieder, und obwohl Rahjalind alles andere als üppig war, schaffte das Kleid es vorzüglich, ihre Weiblichkeit zu betonen.

Ein mitfühlendes Lächeln erhellte das Gesicht der Gauklerin. Fast mehr als das wunderschöne Kleid freute sie die Begeisterung der Novizin, denn nicht zuletzt dafür lebte sie: Freude im Herzen anderen Menschen zu entfachen. Auch wenn in diesem Fall nicht sie selbst die Ursache der Freude war. „Atemberaubend“, antwortete Doratrava und ließ sich von der Begeisterung der jungen Frau anstecken. „Nichts, was ich jemals tragen könnte, aber dir steht es ausgezeichnet. Ich bin gespannt, wie du es schaffen wirst, der Aufmerksamkeiten deiner morgigen Verehrer Herr oder vielmehr Frau zu werden“, setze die Gauklerin schmunzelnd hinzu, während sie den Schnitt des Kleides bewunderte. Nun, tanzen konnte man darin sicherlich, wenn auch nichts allzu Akrobatisches.

Die junge Adelige kniete sich vor die Holzkiste, öffnete sie und begann ein Kleid nach dem anderen herauszunehmen und auf die Schlafstatt zu legen. Mit großen Augen verfolgte Doratrava, wie ein Kleid schöner als das andere auf dem Bett landete. „Mein Fundus …“, erklärte sie zwischendurch lächelnd. Als sie geendet hatte, betrachtete sie schwer atmend ihr Werk und wandte sich dann lächelnd zu Doratrava um. „So jetzt du … hmmmmm…“, Rahjalind kratzte ihr Kinn, „… etwas in dem du dich gut bewegen kannst, also nichts ausladendes …“, sie kramte in den Kleidern, „… wenige Unterröcke. Wie wäre es mit diesen beiden?“

Rahjalind verwies auf zwei leichtere Kleider, wie man sie aus der Gegend um Drôl kannte, wo die Sonne und die warme Luft aus der Khom es unmöglich machten, ausladende und mehrschichtige Röcke zu tragen. Eines davon war weinrot, das andere tiefgrün.

Angetan strichen Doratravas Hände über den leichten, weichen Stoff der beiden Gewänder. Darin würde sie sich sicher wohlfühlen, doch die Länge der Kleider schränkten ihren praktischen Nutzen leider etwas ein. Ein leicht wehmütiger Ausdruck schlich sich in das Gesicht der Gauklerin. Aber was hatte sie erwartet? Rahjalind war eine hochgestellte Dame, welche ihr angemessene Kleidung tragen musste. ‚Angemessen‘ und ‚aufführungstauglich‘ war nun meist nicht wirklich deckungsgleich.

Die Aufmerksamkeit lag dann wieder auf der Gauklerin. Ungefragt strich sie ihr durch die weißen Haare, dann nickte sie. „Für deine Haare müssen wir uns auch noch etwas überlegen …“, bemerkte sie beiläufig, „… wie wäre es damit? Schwarz … Haar vom Schweif eines Shadifs – sagt man.“ Die junge Frau lächelte breit und bot eine schwarze Perücke dar. „Passt sehr gut zu deinen schönen Augen und den Kleidern, findest du nicht?“

Mit Mühe ließ Doratrava, deren tiefgrüne Augen Rahjalind nun zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hatte, die Berührung über sich ergehen, ohne zusammenzuzucken. Es fiel ihr nicht leicht, anderen nahe zu kommen, und genauso schwer fiel ihr es, andere nah an sich heranzulassen. Doch die fröhliche junge Dame machte es ihr leicht, also sträubte sie sich nicht. Aber eine Perücke? „Rahjalind, sei mir nicht böse, aber erstens würde ich viel zu sehr schwitzen unter einer Perücke, außerdem könnte ich nicht sicherstellen, dass sie auf meinem Kopf bliebe.“ Unvermittelt schlug sie ein vollendetes Rad und kam kurz vor der Zimmertür wieder auf die Beine. „Siehst du?“

Die Angesprochene nickte kurz und kaute auf ihrer Unterlippe. Im hübschen Kopf schien es zu arbeiten. „Ja, das wird dann wohl schwer …“, meinte sie. „Macht es natürlich auch unmöglich zu versuchen, deine Identität zu verschleiern. Aber sei es drum – du weißt ja …“, die Novizin lächelte geheimnisvoll, „… alles KANN und nichts MUSS.“