Maskenball Freundinnen

Kapitel 3: Freundinnen

Etwas verlegen räusperte Doratrava sich. „Ich könnte dir mal meine paar Sachen zeigen, aber ein Teil davon ist eigentlich dafür gemacht, dass das Publikum sich weiter weg befindet.“ Leichte Röte stieg ihr ins Gesicht.

Rahjalind schritt zum geöffneten Fenster. „Sehr gerne …“, sie nickte leicht, „… weil du mich vorhin danach gefragt hast …“, der Blick der Novizin ging zum Fenster in die klare Nachtluft hinaus. Oben am Hügel, wo das Kloster St. Aldec thronte, erkannte sie kleine Lichter. „Deine Bühne wird morgen das alles da draußen sein. So uns die Götter gewogen sind, werden wir draußen im Freien feiern.“ Sie wandte sich um und lächelte herzlich. „Du hast ganz freie Hand bei deiner Kunst.“

Die Gauklerin trat neben Rahjalind und stütze sich mit den Armen auf dem Fensterrahmen ab. Jetzt, da es dunkel geworden war, wurde es schon recht kühl draußen. Doratrava nahm mit geschlossenen Augen einen tiefen Atemzug, dann erwiderte sie leichthin: „Ach, dann kann ich ja wirklich nicht viel kaputtmachen!“ Etwas ernster fuhr sie fort: „Auf jeden Fall sollte Platz dann kein Problem darstellen. Hoffen wir, dass das Wetter mitmacht.“

Die junge Frau wandte sich Doratrava zu. „Um ehrlich zu sein wollte ich dich nicht nur als Künstlerin für das Fest hier haben, sondern auch als …“, ihre Wangen wurden rot und sie nahm sich ihre Maske vom Gesicht, „… sondern auch als Freundin.“ Rahjalind drehte sich verlegen auf dem Absatz ihrer Schuhe und blickte hinunter auf den Boden. „Du wirst morgen beim Fest merken warum. Es ist nicht einfach für mich …“, sie zögerte etwas, „… ich bin zwar eine Dienerin der Schönen Göttin, aber bestimmte Dinge gehen auch mir nicht … leicht … von der Hand. Dafür liebe ich den Tanz und das Musizieren und ich male sehr gerne.“

Doratrava hob eine Braue und versuchte, nicht selbst rot zu werden. Oho, was sollte das denn heißen? Sie hatte da eine vage Vermutung, aber wollte darüber jetzt eigentlich nicht wirklich nachdenken. Aber was meinte Rahjalind genau? Was musste sie morgen denn tun? Die Gauklerin merkte, dass nun der falsche Zeitpunkt wäre, tiefer in die Novizin zu dringen, also schwieg sie lieber. Auch wenn es für ihren eigenen Seelenfrieden besser wäre, über solche Dinge Bescheid zu wissen.

Rahjalind versuchte sogleich wieder das Thema zu wechseln. Sie wies auf die Kleider, welche auf der Schlafstatt lagen. „Egal welches du morgen tragen möchtest, es soll dir gehören, und auch was den Lohn für deine Mühen angeht, sollst du alles andere als mit leeren Händen abreisen.“ Die Gauklerin fühlte ganz deutlich, dass sich nun ein leichter Schatten auf das Gemüt der jungen Adeligen gelegt hatte.

„Aber … das ist sehr großzügig von dir und deiner Familie“, entfuhr es Doratrava überrascht und ehrlich erfreut, denn es war auch schon vorgekommen, dass Adlige oder reiche Kaufleute sie mit einem Almosen oder unerwünschten Annäherungsversuchen „bezahlt“ hatten. Als die Gauklerin aber den Stimmungsumschwung der Novizin bemerkte, konnte sie dann doch nicht an sich halten. „Rahjalind … ich weiß zwar nicht, wie ich zu der Ehre komme, aber ich will gerne deine Freundin sein.“ Ihre Stimme klang leise und sanft, bekam aber einen belegten Unterton, als ihre eigenen Emotionen sie zu überwältigen drohten. Trotzdem sprach sie weiter: „Aber ich sehe, dass dich etwas bedrückt. Willst du mir sagen, was es ist? Dafür sind Freundinnen doch da, dass man ihnen alles erzählen kann.“ Vorsichtig nahm sie die Hände der jungen Novizin in ihre eigenen, darauf bedacht, sofort wieder loszulassen, wenn sie merkte, dass Rahjalind dies unangenehm sein sollte.

Kurz zeigte sich ein Lächeln auf den Lippen der jungen Adeligen und es schien fast, als fiele ihr eine große Last von den Schultern. „Es ist so schwer zu erklären …“, meinte sie zögerlich, „… du wirst es morgen am besten selbst sehen.“ Fast schien es Doratrava, als wolle es Rahjalind dabei belassen, als sie sich noch einmal dazu aufraffte ein paar erklärende Worte zu finden. „Ich werde zu nichts gezwungen, du weißt ja, alles KANN, nichts MUSS. Die Feste meiner Mutter sind nur nicht das, was ich mir wünschen würde.“

Sie wies auf die vielen verschiedenen Kleider. „Klar, ich liebe meine Kleider, den Tanz und die Musik, die morgen hier aufspielen wird. Auch das gute Essen und den süßen Traubensaft …“, nun kam die Novizin wieder ins Schwärmen, doch legte sich die eben aufgeflammte Euphorie nach einigen Herzschlägen wieder, „… aber sonst ...“ Rahjalind brach ab und hob ihre Schultern. „Viele Gäste übertreiben es in der Auslebung ihrer Gelüste …“, sie senkte ihre Stimme, „… und ich weiß nicht, ob es dabei immer der schönen Göttin gefällig abläuft.“

*

Doratrava schwante Übles, als sie das hörte. Ihr Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an. Das konnte ja heiter werden – eine völlig unpassende Redewendung in diesem Zusammenhang, wie sie sich gleich darauf selbst schalt. Hätte sie auf andere Weise davon erfahren, wäre sie wohl gar nicht gekommen oder schnell wieder abgereist. Aber nun hatte sie eben erst der jungen Novizin ihrer Freundschaft versichert, Doratrava konnte sie nun unmöglich im Stich lassen. Und dieses ‚KANN‘ und ‚MUSS‘, welches Rahjalind nun schon so oft wiederholt hatte, hörte sich in den Ohren der Gauklerin eher an wie ‚du musst nicht, solltest aber tunlichst, sonst ...‘. Sie würde sehen, wie sie sich selbst und ihre neue Freundin morgen davor schützen konnte. Als diese ihre Sorgen vortrug, sah sie so jung und verletzlich aus, die Gauklerin musste an sich halten, sie nicht tröstend in den Arm zu nehmen. Doratrava hoffte nur, dass die Befürchtungen, was die Göttergefälligkeit der Ausschweifungen anging, deutlich übertrieben waren. Außerdem sollte Rahjalind als Anwärterin auf die Priesterschaft an der Schönen Göttin das doch eigentlich selbst am besten beurteilen können? Die Gauklerin verschob weitere Fragen und konzentrierte sich wieder auf die Novizin.

Die junge Adelige wies noch einmal zum Fenster hinaus – dorthin wo die beiden jungen Frauen die entfernten Lichter des Klosters ausmachen konnten. „Manchmal denke ich, dass Mutter es nur ihretwegen macht. Ihr Onkel ist der Abt des Klosters, Praios der Hausgott ihrer Familie. Ich denke es ist schlicht und einfach eine Provokation, am heiligsten Tag des Ordens in deren Sichtweite solch eine Zusammenkunft zu organisieren, und das mag ich nicht.“ Die junge Frau reckte trotzig ihr Kinn.

Ausgerechnet Praios. „Dann verstehen deine Mutter und ihr Onkel sich wohl nicht sonderlich gut? Und der Onkel wird dann sicher auch nicht auf dem Fest erscheinen? Aber was ist das da drüben überhaupt?“ fragte Doratrava und deutete auf das große, spärlich beleuchtete Gebäude.

Rahjalind lächelte bitter. „Nein, Adelhelm wird wohl nicht am Fest erscheinen. Tat er noch nie. Männer wie er würden nie …“ Sie brach ab und ihr Blick ging abermals zum Fenster hinaus. „Es ist ein Kloster vom Orden des Bannstrahl Praios´. Es würde dir dort oben nicht gefallen …“ Der Blick der jungen Adeligen lag nun wieder auf Doratrava. Nur kurz dachte sie daran, was ein Bannstrahler sich wohl denken würde, wenn er der exotischen Gauklerin gegenüberstand. „Mein großer Bruder Linnart ist auch einer von ihnen. Du kennst ihn vielleicht auch noch von der Brautschau. Sie nennen ihn den ´samtenen Bannstrahler´, weil er nicht so fanatisch und radikal auftritt wie seine Brüder und Schwestern.“

Doratrava blinzelte. Konnte sie sich an Rahjalinds Bruder erinnern? Sei‘s drum. Aber Bannstrahler waren nicht gut. Sie war schon das ein oder andere Mal als Hexe beschimpft worden, nur wegen ihres ungewöhnlichen Aussehens, da hatte es dann keine Rolle gespielt, dass dies nicht gerade dem üblichen Hexen-Klischee entsprach. Zwar hatte sie noch nie etwas direkt mit den Bannstrahlern zu tun gehabt, aber schon einige Gruselgeschichten über deren unnachgiebige Härte und Kompromisslosigkeit bei ihrem Vorgehen gegen angeblich ‚böse‘ Magiebegabte zu hören bekommen, einschließlich der Tatsache, dass zufällig in der Nähe befindliche Unschuldige gleich mit verurteilt wurden. Gut, das mochten Übertreibungen sein, aber dennoch wurde ihr unbehaglich zumute, jetzt, da ein Kloster voll mit solchen Fanatikern unmittelbar vor ihrer Nase thronte. Fröstelnd schlang sie die Arme um die Schultern.

Die junge Frau seufzte. „Morgen ist der Sankt Gilborns-Tag. Der Ordensheilige der Bannstrahler. Ich weiß nicht, warum Mutter das Bedürfnis verspürt, jedes Jahr gerade an diesem Tag ihr größtes Fest auszurichten. Aber eines ist sicher …“, sie rollte mit ihren Augen und schüttelte leicht den Kopf, „…Sankt Gilborn will sie damit wohl nicht ehren. Weißt du, es ist kein Geheimnis, dass meine Familie zuvorderst der Herrin Rahja zugewandt ist, stammen wir doch auch von Sankt Linnart ab und unsere Weinberge …“, Rahjalind wies in einer weitläufigen Handbewegung um sich, „… und damit auch unser Reichtum fußt auf der Gnade der schönen Göttin. Aber Mutter …“, die junge Novizin zuckte mit ihren Schultern, „… sie kommt aus einem praiosgefälligen Haus, das über Jahrhunderte die Barone dieser Lande stellte. Ich weiß nicht, was sie reitet, sich als solches Ärgernis für ihre wenigen verbliebenen Verwandten positionieren zu wollen.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Sei es drum …“, resignierend ließ Rahjalind ihren Kopf hängen, „… ich freue mich, dass du hier bei mir bist. Dann fühle ich mich nicht ganz so verloren.“

Nun ließ Doratrava doch alle Vorbehalte und Vorsicht fahren und schloss die junge Novizin sanft in die Arme – wobei sie zum ersten Mal bewusst wahrnahm, dass diese ziemlich groß war, eine knappe Handbreit größer als sie selbst; außerdem klebten noch immer Staub und Schweiß der Reise an ihrem Körper. Wieder völlig unwichtige Gedanken, wie sie ihr so oft durch den Kopf schossen. „Ich habe keine Ahnung, wie ich dir helfen kann. Aber ich werde alles daransetzen, dass dir morgen kein Leid geschieht“, flüsterte die Gauklerin leise in Rahjalinds schön geformtes Ohr. Nach all diesen Eröffnungen war sich Doratrava allerdings nicht sicher, ob sie Adda nun noch unvoreingenommen gegenübertreten konnte.

Die Gauklerin konnte durchaus fühlen, dass Rahjalind ihre Umarmung genoss. Als sie sich voneinander lösten, wischte sich die Novizin eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. „Danke …“, flüsterte sie, dann atmete sie tief durch und straffte ihre Körperhaltung – ganz so wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte, wenn einmal die Tränen flossen. Eine Dame von Stand sollte sich selbst und ihre Gefühle stets im Griff haben, meinte Adda stets. Kurz schielte Rahjalind zum Fenster hinaus. „Es ist spät geworden …“, bemerkte sie dann, „… ich werde dir deine Sachen bringen lassen.“ Ihr Blick ging weiter zum Bett. „Die Kleider lasse ich noch bei dir. Such dir eines aus.“ Die junge Frau lächelte herzlich. „Jetzt lasse ich dir deine Nachtruhe. Wir sehen uns beim Morgenmahl unten im Speisesaal.“

Also gut, zurück zu praktischen Erwägungen. Bei der Erwähnung des Morgenmahls lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Doratrava verdrängte alle weiteren Überlegungen zum nächsten Tag und erhob nochmals verlegen ihre Stimme: „Äh, Rahjalind … wo kann ich mich hier denn richtig waschen? Und … gibt es heute noch eine Kleinigkeit zu essen? Ich sterbe vor Hunger!“

Rahjalind griff sich lächelnd auf ihren Kopf. Dann fiel ihr Blick einmal mehr auf die staubigen Klamotten der Gauklerin – Staub, der sich durch die Umarmung nun auch auf ihrem schwarzen Kleid zeigte. Ja, darauf hätte sie selbst auch kommen können. „Ich nehme an, die Waschschüssel wird dafür nicht ausreichen“, es war weniger eine Frage und viel mehr eine Feststellung gewesen, und die junge Adelige ließ eben jener Bemerkung ein helles Lachen folgen. „Gerne, alles was du möchtest. Ich lasse dir den Zuber und etwas zu Essen vorbereiten. Du wirst dann geholt, wenn alles fertig vorbereitet ist.“ Dann verschwand die junge Novizin aus der Tür.