Maskenball Fragen

Kapitel 7: Fragen

Als die beiden jungen Frauen endlich allein waren, beugte sich Doratrava vor zu ihrer Freundin und fragte in gedämpften Tonfall: „Du, ich war hoffentlich nicht zu frech? Ich meine wegen der Kleider? Und deines werde ich auf jeden Fall auch tragen. Ich weiß ja noch immer nicht genau, wie das heute Abend ablaufen wird, aber es wird vermutlich darauf hinauslaufen, dass ich mich ein paarmal umziehen muss ...“

Rahjalind machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, das passt schon.“, sagte sie lächelnd. „Du wirst es wahrscheinlich vor allem heute Abend merken, aber hier in unserer Familie gehen die Dinge etwas anders als du es wahrscheinlich von anderen Adelshöfen kennen wirst.“

‚Andere Adelshöfe? Welche anderen Adelshöfe?‘ dachte die Gauklerin bei sich, ohne aber die Novizin zu unterbrechen. Nilsitz war nicht wirklich ein ‚Hof‘ gewesen, und ansonsten hatte sie nur die Brautschau und die Hlûtharswachter Hochzeit als Vergleich, und beide Ereignisse waren sehr verschieden gewesen, was ihre Einbindung betraf. Auftritte vor einem reichen Bürger in Belhanka, vor einem Bey in den Tulamidenlanden und vor einem Sklavenhändler in Mirham konnte man wahrscheinlich auch nicht mit einem mittelreichischem Adelshof vergleichen ...

Rahjalind nahm eine Weintraube in ihren Mund und biss genüsslich zu. „Wegen heute solltest du dir nicht zu viele Gedanken machen. Das ergibt sich alles von allein. Lass dich einfach treiben – ich denke, dass es die Art von Fest ist, die dir gefallen könnte …“, Doratrava dachte sofort daran, dass jene nun gesprochenen Worte ganz andere waren als noch gestern Abend auf ihrem Zimmer, „… gib einfach nur auf dich Acht und lass mich bitte nicht zu lange allein.“

Immerhin schien Rahjalind sich bei weitem nicht mehr so viele Sorgen zu machen wie noch am gestrigen Abend. Mit leisen Zweifeln erwiderte Doratrava in heiterem, wenn auch nicht ganz echtem Tonfall: „Na, dann schaue ich mal, wo mich das Fest so hintreibt. Und es gilt, was ich dir gestern versprochen habe: ich werde auf dich aufpassen!“

Rahjalind lächelte befreit und neigte dankend ihren Kopf.

*

Doratrava senkte die Stimme nun zu einem Flüstern. „Und was ich dich noch fragen wollte … deine Eltern sind so nett zu mir, aber sie werden doch kaum netter zu mir sein als zu ihrer eigenen Tochter? Willst du mir nicht vielleicht doch jetzt schon sagen, vor was ich dich beschützen soll? - Aber nur, wenn es dir nichts ausmacht“, setzte die Gauklerin schnell hinzu, als sie Anzeichen von Unbehagen in Rahjalinds Miene zu erkennen glaubte.

Die Novizin lachte auf. Die junge Gauklerin konnte jedoch erkennen, dass in jenem Lachen keine Freude lag, sondern nur Anflüge von Bitterkeit. „Meine Eltern sind nett, ja, du hättest mich auch nicht vor ihnen direkt beschützen sollen …“, sie brach ab und kaute einen Moment lang an ihrer Unterlippe, „… es sind eher ihre Angewohnheiten und …“, sie seufzte, „… ach du wirst es heute merken.“

Nun gut, ihre Freundin wollte einfach nicht herausrücken mit der Sprache, dann würde Doratrava es nun dabei bewenden lassen. Was das wohl für Angewohnheiten waren, würde sie aber schon interessieren. Aber es half alles nichts, sie würde sich auch in dieser Beziehung überraschen lassen müssen. Um von dem offensichtlich schwierigen Thema abzulenken, brachte die Gauklerin nun die Sprache mit einem schalkhaften Lächeln auf ein hoffentlich weniger verfängliches Gebiet: „Sag mal, Rahjalind, was macht man denn so als Novizin im Rahjatempel?“

„Das ist ganz unterschiedlich“, meinte Rahjalind knapp. „Ich tue ja eigentlich nicht Dienst in einem Tempel der Schönen Göttin, sondern auf einem Adelshof in der Obhut eines älteren Geweihten. So habe ich vielleicht sogar mehr Möglichkeiten, mich selbst zu entfalten, als andere Novizinnen.“ Sie lächelte und naschte abermals von einer Weintraube. „Ich unterstütze so gut es geht den mir übergestellten Geweihten bei seinen Liturgien und Segnungen, helfe den Menschen bei verschiedensten Problemen oder gebe mich der Kunst hin. Ich male sehr gerne. Wenn du möchtest und Zeit hast, kann ich versuchen, auch dich zu portraitieren.“

Die Novizin schlug bescheiden ihre Augen nieder. „Darüber hinaus spiele ich gerne vor Publikum auf meiner Laute und begleite die Melodie mit meinem Gesang. Von den Tanzkursen habe ich dir ja schon erzählt.“ Nun stahl sich wieder ein herzliches Lächeln auf die Lippen der jungen Frau. „Das alles ist ein Dienst an der Göttin und gewissermaßen meine Aufgabe.“

Überrascht schaute die Gauklerin ihre Freundin an. „Kein Dienst im Tempel? Das hätte ich nicht gedacht. Aber was weiß ich schon von solchen Dingen.“ Doratrava lachte unbeschwert auf. „Ich würde es gern mögen, wenn du mich zeichnest. Und wenn wir mal tanzen könnten!“ Ein warmer Zug umspielte ihre Lippen, als sie die junge Novizin sinnend ansah. Aber dann schlich sich wieder der Schalk in ihre Miene. „Und … lernst du denn dann auch etwas über … die Liebe?“ Kaum zu glauben, wie ein Mensch sich verändern konnte. Vor einem Jahr noch hätte sie nicht im Traum daran gedacht, mit jemandem über dieses Thema zu sprechen, aber nun, da sie vor wenigen Götternamen selbst zum ersten Mal von jenem köstlichen Saft gekostet hatte, fiel es ihr leichter. Gespannt sah sie Rahjalind an.

„Die Liebe …“, wiederholte die junge Novizin sinnierend. „… ich lerne nicht nur darüber, ich kann sie in mir fühlen …“, Rahjalind legte sich die Rechte auf der Brust, ihre Augen leuchteten, „… ich kann sie fühlen. Hier in mir, in meinem Herzen. Die Liebe der Göttin ist stark.“ Die junge Adelige schwärmte. „Wie traurig wäre ein Leben ohne die Liebe. Gibt es denn in deinem Leben jemanden, den du liebst?“

Erst wollte Doratrava innerlich die Augen verdrehen, denn über Götterliebe wollte sie jetzt eigentlich nichts wissen. Doch dann nahm das Gespräch einen Verlauf, den sie so nicht erwartet hatte. Unwillkürlich verschloss sich ihre Miene, was Rahjalind nicht entging. Das hatte sie nun davon, dass sie immer gleich drauflosplapperte, wenn ihr etwas in den Sinn kam, statt ein Mal, ein einziges Mal, vorher darüber nachzudenken. Jetzt war es zu spät. Die Gauklerin wollte nicht über ihre eigene Liebe sprechen, erstens tat sie sich sowieso schwer damit, und zweitens würde das all die bittersüßen, herzzerreißenden Gefühle wieder an die Oberfläche spülen, nachdem es noch gar nicht solange her war, dass sie innerlich endlich ein wenig zur Ruhe gekommen war.

Andererseits wollte Doratrava die Novizin nicht mit einer schroffen Antwort vor den Kopf stoßen, zumal sie selbst das Thema aufgebracht hatte, zudem hatte sie doch erst am gestrigen Abend selbst zu Rahjalind gesagt, dass Freundinnen genau dafür da waren: um über Dinge zu sprechen, die man sonst niemandem anvertrauen würde. Also räusperte sie sich mühsam, denn der Hals war ihr eng geworden. „Ja ...“, brachte sie schließlich heraus , „ja, es gibt da jemanden, aber …“ Die Gauklerin sank ein wenig in sich zusammen und schlug den Blick nieder. „Ich … ach, ich kann das nicht!“ brach es schließlich aus ihr heraus, und nun stahl sich doch eine Träne in eins ihrer grünen Augen.

Rahjalind erkannte sofort, dass sie damit einen wunden Punkt bei ihrer Freundin getroffen hatte, dennoch unterbrach sie sie nicht. „Weißt du …“, flüsterte sie und nahm Doratravas Hand sanft in die ihren, „… auch das ist Aufgabe von uns Dienern der Schönen Göttin. Wenn du über deinen Kummer sprechen möchtest, dann bin ich da.“

Mehr wollte sie vorerst nicht sagen. Oft war es schon genug einfach da zu sein und den leidenden Menschen zuzuhören und durch Präsenz zu beruhigen. Nichts macht uns so verwundbar wie die Liebe und auch die Gauklerin war ein lebendes Beispiel dafür. So unbeschwert und lebensfroh sie in jedem Moment seit ihrer Ankunft auch war, der Liebeskummer schaffte ihr das, zumindest kurzfristig, auszutreiben.

„Ich ...“, setzte Doratrava erneut an. Bisher hatte sie versucht, ihren Kummer in einer dunklen Kammer ihres Herzens zu verschließen. Ja, sie hatte versprochen, die Liebe in diesem ihrem Herzen zu bewahren, als sie ging, aber dass diese Liebe sich in ein widerspenstiges Biest mit Zähnen und Klauen verwandeln würde, dass immer zur Unzeit aus seinem Gefängnis ausbrach, um über sie herzufallen und heiße Stiche durch ihre Brust zu treiben, hatte sie nicht erwartet. Wie auch, hatte sie doch zum ersten Mal in ihrem Leben richtig geliebt. Vielleicht konnte Rahjalind ihr ja wirklich helfen, aber dazu musste die Gauklerin über ihren Schatten springen. „Rahjalind … ich … ja, ich will deinen Rat, aber .. später … nach dem Fest? Wenn … wenn ich jetzt davon anfange, dann … weiß ich nicht, ob ich noch für euch tanzen kann“, brachte Doratrava schließlich stockend heraus, während die Träne langsam über ihre Wange rollte und sie Rahjalinds Hände fest umklammerte, als würde sie sonst ertrinken.

„Ssssshhhhh…“, Rahjalind löste eine ihrer Hände aus der Umklammerung und streichelte damit sanft über Wange, den Rücken und durch die Haare Doratravas. Oft war sie mit jenem Schmerz konfrontiert, den die Liebe hervorzurufen vermochte. So schön und wertvoll die Gabe der lieblichen Göttin im Leben eines Menschen auch sein konnte, sie hatte eine destruktive Wirkung, wenn es denn nicht so lief wie das Herz es mochte. „Ich verstehe … ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“

Doratrava beruhigte sich ein wenig, als die Novizin sie streichelte, und ließ schließlich deren zweite Hand aus ihrem Klammergriff. „Danke“, flüsterte die Gauklerin dann einfach und nahm sich sichtlich zusammen. „Ich muss jetzt schnell was essen, denn der Schneider und die Musiker warten.“ Während des restlichen Frühstücks beschäftigten die beiden Frauen sich mit unverfänglicheren Themen, bis sich Doratrava schließlich bedauernd verabschiedete. Einfach mal mit einer Freundin über dies und das zu plaudern, war sehr erfrischend, das kannte sie mangels Freundinnen leider gar nicht.