Maskenball Fest

Kapitel 11: Fest

Schon früh zeigte sich den beiden jungen Frauen das Motto des heutigen Abends. Es solle eine ´Nacht in Belhanka´ werden, ein Ball der Sinne und der Lüste. Und genau das schrie die Atmosphäre des brillant dekorierten Weingutes ihnen förmlich zu; bunte Lampions, die das Ambiente in mehrfärbiges Licht tauchten, bunte Bänder und kunstvoll gearbeitete Statuen, die sich schon recht bald danach als am ganzen Körper mit Kalk bedeckte Menschen herausstellen sollten. Entweder nackt oder nur mit einigen Tüchern bekleidet standen sie regungslos da und dienten als besonderer Schmuck des Festes. Doch nicht nur die Statuen vermochten zu verwundern, auch die Tische waren gedeckt mit Geschirr aus Zinn, kleinen Weinfässchen und Weinranken als Tischschmuck.

Die Gauklerin sah sich überrascht und verwundert um, denn noch vor gefühlt kurzer Zeit war nur wenig von dieser ganzen überfließenden Dekoration zu sehen gewesen. Und diese lebenden Statuen … wo hatte Adda die denn aufgetrieben? Sie hatte vor Jahren einmal einen Künstler getroffen, der als eine solche Statue sein Geld verdiente, und wusste von ihm, dass man sogar Stillstehen und Nichtstun lange üben musste, insofern konnten die gekalkten Menschen kaum einfache Bauern aus der Umgegend sein.

Ansonsten musste Doratrava zugeben, dass die Belhankaner Stimmung gut eingefangen wurde, soweit ihre zwei bisherigen, nicht allzu ausgedehnten Aufenthalte dort einen Vergleich zuließen.

Unabhängig von ihrem Staunen begann ihr Geist aber schon ganz ohne ihr bewusstes Zutun damit, Räume zu messen, Hindernisse zu katalogisieren und Klettermöglichkeiten zu erspähen. Später, wenn sie auf ihre besondere Weise tanzte, würde das wichtig sein.

Die Gäste waren allesamt in wunderschöne, horasisch anmutende Kleider gewandet und hatten ihre Gesichter mit Masken verdeckt, die jenen der beiden jungen Frauen nicht unähnlich waren. Das Fest hatte noch nicht begonnen, aber Doratrava fühlte sich schon jetzt in die Straßen der Belenissima versetzt. Trotz der ausladenden Kleider war auch einiges an Haut zu sehen. Die Damen schienen sich mit aufreizenden Dekolletés gegenseitig übertreffen zu wollen, man sah nackte Rücken und die viele Männer betonten zuvorderst ihre Brust mit tiefen Ausschnitten.

Rahjalind und Doratrava konnten die interessierten Blicke förmlich fühlen, als sie aus dem Haupthaus traten und begannen, sich unter die Festgesellschaft zu mischen. Auch manch obszönes Lächeln sollte dabei gewesen sein. Offensichtlich schienen der Männer und Frauen hier die zumindest teilweise Anonymität zu genießen.

Viel Haut war Doratrava aus Belhanka gewohnt, aber nicht diese Blicke. Zwar fiel sie überall auf, wenn sie nicht ihren Kapuzenmantel trug, aber selten sah man sie beim ersten Mal so offen … hungrig an. Ihr lief ein kleiner Schauer über den Rücken. Das trübte die schöne Stimmung, die sich gerade begonnen hatte aufzubauen, ein wenig. Aber ganz unerwartet kam das nicht nach all den ganzen Andeutungen, und sie ignorierte die Blicke, so gut es eben ging. Davon abgesehen konnte die Gauklerin aber bislang nichts Bedrohliches oder Verderbtes entdecken, was Rahjalind gefährlich werden könnte, oder was auch immer sonst die Novizin genau befürchtete.

„Ach ihr zwei Süßen …“, noch bevor sich die beiden jungen Frauen zur Gänze umgesehen hatten, wurden sie schon von einer bekannten Stimme begrüßt. Adda von Halberg hatte sich ihnen genähert, und als einzige der Frauen schien sie keine Maske zu tragen. Dafür jedoch ein wunderschönes Kleid in Rot und Gold. Ein Meisterwerk, sofern die Gauklerin es beurteilen konnten. Mehrere Unterröcke in gekonterten Farben ließen den unteren Teil des Stückes ausladend wirken und bildeten einen interessanten Kontrast zum schulterfreien Stil und dem durch ein hohes Mieder enganliegenden oberen Teil. Gerade das Mieder schaffte es, Addas so schon beachtliche Oberweite noch mehr zu betonen, sodass es schwer war, seinen Blick davon zu nehmen. Wie sie die Hausherrin kannte, war das der Halbergerin wohl sogar sehr recht.

Auch Doratravas Blick wurde von Addas Zurschaustellung ihrer Oberweite angezogen, musste sie doch ein weiteres Mal feststellen, dass sie der Hausherrin in dieser Beziehung hoffnungslos unterlegen war. Sie tröstete sich damit, dass mit diesem Vorbau manche ihrer Kunststücke nur schwerlich möglich wären. Innerlich erlaubte sie sich ein kleines Lächeln.

„Ihr seht toll aus …“, bemerkte Adda sichtlich erfreut und begrüßte beide, sowohl ihre Tochter, als auch die Gauklerin, mit jeweils drei Küsschen auf die Wange, „… wie gefällt es dir, Liebes …“, fragte sie Doratrava, „… es sollte jetzt bald los gehen. Wenn ich nur wüsste wo dein Vater schon wieder steckt.“ Sie rollte mit ihren Augen.

Die Gauklerin zuckte leicht zusammen, als Adda sie mit ihren Küssen bedachte. Solche Vertraulichkeit, noch dazu von einer Adligen, war sie nun ganz und gar nicht gewohnt und hatte sie keinesfalls erwartet. Aber für ihre Verhältnisse hatte sie sich bisher ganz gut im Griff, so dass sie mit recht unbeschwerter Stimme antworten konnte: „Toll habt ihr das gemacht, man fühlt sich wirklich an einen andern Ort versetzt.“ Allerdings wusste sie nicht, was sie sonst sagen sollte, also schwieg sie abwartend. Verstohlen sah sie sich um, ob sie die Musiker schon irgendwo entdecken konnte. Da fiel ihr noch etwas ein, und sie wandte sich an Adda und Rahjalind gleichermaßen: „Ähm, habt ihr eigentlich außer den Barden und mir sonst noch Künstler eingeladen?“ Wenn ja, musste sie ja irgendwie Rücksicht auf diese nehmen. So interessant die Feier zu werden versprach, allzu groß war das Festgelände nicht, so dass sie anderen Tänzern oder Gauklern schlecht würde aus dem Weg gehen können. Gesehen hatte sie immerhin noch keine.

Adda antwortete mit einem Lächeln. „Ich hoffe doch, dass wir alle hier, von Rahja gesegnet, auf die ein oder andere Art zu Künstlern werden.“ Die Halbergerin wandte sich kurz von Doratrava und Rahjalind ab und nahm sich einen Kelch Wein vom Tablett eines eben vorbei spazierenden Dieners. Auch der junge Mann war passend gekleidet und maskiert.

„Wollt ihr beiden auch …“, wandte sich die Hausherrin kurz zu den beiden jungen Frauen um, doch winkten diese ab. Als der junge Mann von dannen schritt bliebt Addas Blick dann etwas länger auf ihm haften, als dies schicklich gewesen wäre. So sollte es etwas länger dauern, bis sie sich wieder ihrer Tochter und deren Freundin zuwandte. „Um auf Eure Frage zurückzukommen, wir haben noch eine Harfenistin, die sogar schon in Vinsalt gespielt hat. Sie soll für etwas Hintergrundmusik sorgen, wenn Meister Aelfwin und seine Feenküsschen eine Verschnaufpause brauchen oder sich unter die Feiernden mischen wollen. Es sei ihnen ja schließlich auch vergönnt.“ Die Halbergerin prostete den beiden jungen Frauen zu und nahm dann einen Schluck vom Wein. „Ihr habt schon Bekanntschaft mit Aelfwin gemacht? Ich frage mich wo er steckt …“

Bei der Erwähnung des Halbelfen fingen ihre Wangen schon wieder an zu brennen, ein wildes Gemisch von Gefühlen brodelte kurz in Doratrava hoch, bevor sie sich wieder im Griff hatte. Manchmal war es sehr lästig, auf jede Situation mit überschäumenden Gefühlen reagieren zu müssen, auch wenn das bei der Ausübung ihrer Kunst sehr hilfreich war, indem sie sich einfach intuitiv von ihren Emotionen mitreißen lassen konnte. „Ja, wir haben heute Mittag schon gemeinsam geprobt“, gab die Gauklerin leicht gepresst von sich. „Eigentlich hat es ganz gut funktioniert ...“ Sie spürte genau, wie das klang. Schnell sprach sie weiter: „Ich habe mich auch schon gewundert, ihn und seine beiden reizenden Begleiterinnen nicht entdecken zu können.“

„Eigentlich hat es gut funktioniert?“, fragte Adda amüsiert. Sie kannte Aelfwin und diese beiden Frauen, die er stets im Schlepptau hatte, nur zu gut und konnte die junge Gauklerin nur zu gut verstehen.

„Ja … immerhin kann er spielen, und seine Feenküsschen auch … aber sagt, woher kennt ihr den frechen Kerl?“ rutschte es Doratrava dann heraus. „Ups!“ Sie schlug sich eine Hand vor den Mund – und wurde schon wieder blassrosa. Eigentlich brauchte sie die Farbe gar nicht mehr zu wechseln, sie trat ja doch in jedes Fettnäpfchen.

Adda winkte sofort ab. Allem Anschein nach störte sie sich nicht an der etwas unangebrachten Bemerkung der Gauklerin. Es erschien Doratrava generell so, als wirkte die Hausherrin hier und jetzt noch viel lockerer, als sie sonst schon war. Ob der Alkohol der Grund dafür war? „Von einer meiner Reisen nach Albernia. Ist ja nicht weit von hier …“, sie lächelte vielsagend, „… wenn man sich mit seiner Art arrangiert hat, dann ist er ganz umgänglich. Von seiner Kunst versteht wer was, soviel ist klar. Das lässt sich ihm nicht absprechen.“

Doratrava nickte, hielt aber ansonsten sicherheitshalber den Mund.

*

Nicht lange danach sah Doratrava in ihrem Augenwinkel, wie Rahjalind kurz zusammenzuckte, und auch Adda schien diese Bewegung wahrzunehmen. Als die Gauklerin den Blick der beiden Adeligen folgte, sah sie den Edlen Thymon, allem Anschein nach schon etwas angetrunken, in Begleitung der beiden Feenküsschen aus dem Weinkeller kommen. Gespannt blickten die beiden jungen Frauen auf die Ältere und warteten ihre Reaktion ab, doch sollte die Hausherrin bloß einen Laut der Freude von sich geben. „Na dann kann es ja endlich losgehen“, bemerkte sie und ehrliche Freude klang aus ihrer Stimme. „Kommt, sonst verpassen wir die Eröffnung.“

Doratrava blickte schnell zu Rahjalind. Ging ihre Freundin auch so leicht darüber hinweg? Und was hatte Thymon mit den Feenküsschen in Weinkeller getrieben? Sonderlich verlegen sahen sie ja nicht gerade aus. Wusste Aelfwin das? Mal wieder tausend Fragen. Und Adda schien das gar nichts auszumachen. Der Gauklerin wurde heiß und kalt, wenn sie nur daran dachte, was ihr Ziehvater Herdbrand zu all dem hier gesagt hätte. Nur der Gedanke daran versetzte sie in ihre Kindheit zurück, wenn sie in seinen Augen etwas ausgefressen hatte und er Travias Strafgericht auf sie herabgerufen hatte. Sie wurde auf einmal kreidebleich, was man aber nur sehen konnte, wenn man sie gut kannte oder sehr genau beobachtete, und schwankte leicht. Ihre Sicht verschwamm, die Geräusche der vorfreudigen Festbesucher vermischten sich zu einem unbestimmten Rauschen.

Rauschen, das immer wieder von einer fernen deutlichen Stimme unterbrochen wurde. Eine Stimme, die immer wieder ihren Namen zu rufen schien. Doch nicht nur die Stimme konnte sie immer wieder deutlich vernehmen, sondern auch die sanfte Berührung einer kühlen, schmalen Hand. „Dora...?“, fragte die Stimme abermals, „… geht es dir nicht gut? Sollen wir dich zurück aufs Zimmer bringen?“

„Was? Nein … Rahjalind?“ Doratravas Blick klärte sich, das Rauschen wurde zu einem fernen Wispern, die Geräusche um sie herum normalisierten sich. Allerdings spürte sie, dass ihre Augen nass geworden waren, ihr Blick schwamm noch immer. Sie griff nach der Hand, wegen der Anrede vermutete sie Rahjalind als Sprecherin, ohne recht hinzusehen. „Ich … es geht schon, ich musste nur … ich erkläre es dir später.“ Sie blinzelte ein paar Tränen weg und sah zu Adda hinüber. Hoffentlich gab es nun keine unangenehmen Fragen.

„Bist du dir sicher?“ Der Blick Doratravas hatte sich nun soweit aufgeklart, dass sie Rahjalinds besorgtes Gesicht deutlich erkennen konnte – trotz Maske. Auch wirkte diese nicht unbedingt überzeugt von der Bekundung der Gauklerin, dass es nun ´wieder ging´. Aber dennoch gab sie sich damit zufrieden, nahm ihre Freundin bei der Hand und führte sie hin zum ´großen Platz´, wo das Fest nun eröffnet werden sollte.

Adda war bereits vorgeeilt gewesen und nahm den Moment der Schwäche der jungen Künstlerin nicht mehr wahr. Lächelnd stand sie nun an der Seite ihres Gemahls, der ohne Feenküsschen an seiner Seite, aber dafür mit einem Weinkelch in der Hand wartete, bis Ruhe über die versammelte Gästeschar legte. „Silentium …“, rief er in die Menge und ließ darauf ein Lachen folgen. Es war ein Ausspruch, der oftmals von strengen Praiosdienern verwendet wurde, wenn sie sich Gehör verschaffen wollten.

„Liebe Freunde …“, hob der Edle dann an, als es still wurde wie in Borons Hallen, „… ich darf Euch alle beruhigen. Da ich schon den ein oder anderen begehrlichen Blick vernommen habe, werde ich Euch auch bald auf die hier wartenden Genüsse und Freuden loslassen. Ich werde mich bei meiner Eröffnungsrede kurz halten …“, er lächelte breit, „… versprochen! So wie jedes Jahr wollen wir am heutigen Tage jenes Fest begehen, das wir nun schon seit meiner Hochzeit mit dieser wunderschönen Frau …“, er wies auf Adda in ihrem aufregenden Kleid, die dann freundlich in die Menge winkte, „… jährlich ausrichten. Wie jedes Jahr haben wir uns auch heuer ein ganz besonderes Thema ausgedacht. Stand unser Zusammenkommen im letzten Jahr noch unter dem Stern der verschiedensten Kostüme, so wurden wir dieses Mal konkreter.“ Thymon wies in einer ausladenden Handbewegung um sich. „Liebe Gäste und Freunde, lasst Euch von uns nach Belhanka, in die Liebliche, die Belinissima, entführen.“ Kurz wurde die Stille durch das Handgeklapper der Menschen gebrochen. „Der albernische Zauberbarde, Meister Aelfwin und seine … Feenküsschen …“, Doratrava bemerkte, dass eben jene beiden Musikerinnen bei der Nennung ihres Künstlernamens erröteten, „…werden Euch allen nun mit einem ganz besonderen Lied die Herzen öffnen. Möge Rahja mit uns sein und habt viel Spaß und Freude getreu unserem Motto ´alles KANN und nichts MUSS´.“

Da war er schon wieder, dieser unsägliche Satz. Doratrava konnte ihn nun wirklich nicht mehr hören, aber wenigstens würde sie nun bald wissen, wie er hier wohl ausgelegt würde. Ob ich das gefiele, wagte sie zum jetzigen Zeitpunkt eher zu bezweifeln.

Die Gauklerin blickte hinüber zu dem Barden, der nun endlich an der Seite seiner … Küsschen … aufgetaucht war. Doratrava nahm sich vor, die beiden bei nächster Gelegenheit nach deren richtigen Namen zu fragen, damit ihre ‚Künstlernamen‘, wenn man dies denn so nennen wollte, nicht ständig gewisse unwillkommene Assoziationen in ihr hervorriefen. Ihr wurde nun ein wenig mulmig, nachdem sie sich gerade erst vom Schock der Erinnerung, die diese ganze der Travia eher weniger gefällige Atmosphäre in ihr ausgelöst hatte, erholt hatte. Nun würde Aelfwin gleich mit dem Zauberlied beginnen … zu welchem sie zumindest nicht zu tanzen sich vorgenommen hatte. Sie würde an der Seite ihrer Freundin und hoffentlich auch bei klarem Verstand bleiben ...