Maskenball Bad

Kapitel 4: Bad

Es sollte nicht lange dauern, bis es an der Tür zu Doratravas Zimmer klopfte. Herein trat eines der Hausmädchen, das ihr schon einmal auf dem Weg über das Anwesen begegnet war. Mit einem knappen Satz setzte sie die Gauklerin darüber in Kenntnis, dass das Bad fertig war und sie ihr doch bitte folgen solle.

Doratrava zog die Augenbrauen kurz zusammen und musterte das Hausmädchen prüfend. Irgend etwas an der Art, wie sie sprach und sich hielt, kam ihr falsch vor. Hatte Rahjalind dem Mädchen gesagt, wer sie war? Dass sie nur eine einfache Gauklerin war, deren Stand keinesfalls höher zu bewerten war als der eines Hausmädchens, eher sogar niedriger? War sie verärgert, dass sie die Gauklerin trotzdem bedienen musste und versuchte das zu überspielen? Oder war Doratrava einfach müde und hungrig und sah Gespenster?

Die Reitstiefel hatte Doratrava schon vorher ausgezogen, nun überlegte sie noch, was sie nach dem Bad anziehen sollte. Unter dem kritischen Blick der Bediensteten schnappte sie sich schnell den einzigen Satz an Ersatz-Reisekleidung, welchen sie dabei hatte: eine einfache Lederhose und ein einfaches Leinenhemd von gleicher Art, wie sie sie gerade trug, nur eben sauber. Dann folgte sie barfuß der jungen Frau.

Über schwach beleuchtete Flure und Stiegen bahnten sich die beiden Frauen ihren Weg durch das geräumige Gutshaus in die Waschkammer. Eben jener Raum war ebenfalls nur spärlich durch Kerzen erleuchtet, und schon beim Eintritt konnte Doratrava die hohe Luftfeuchtigkeit fühlen, die durch das erwärmte Wasser hervorgerufen wurden. Das sonst sehr wortkarge Hausmädchen wies auf einen Tisch nahe dem Zuber. „Die junge Herrin hat mich angewiesen, Euch etwas zu essen zu richten.“ Die Gauklerin konnte eine Platte voll mit Wurst, Käse und Weintrauben und ein Körbchen voll mit Brot ausmachen. Darüber hinaus fand sich dort auch noch ein Krug voll mit frischem, rotem Traubensaft.

Als Doratrava meinte, das Hausmädchen hätte sich schon entfernt, erhob die junge Frau in ihrem Rücken stehend abermals ihre Stimme. „Wenn Ihr Euer Bad beendet habt, dürft Ihr die Tücher benutzen, die ich Euch zurechtgelegt habe.“ Mit dieser letzten knappen Anweisung entfernte sich das Mädchen dann aus der Waschkammer und ließ die junge Gauklerin alleine zurück.

Hm, gegenüber anderen Gästen würde die junge Frau, die vermutlich in etwa in Doratravas Alter war, nicht so bestimmend auftreten. Wahrscheinlich war doch etwas dran an ihren Überlegungen von vorhin. Aber im Angesicht des Zubers und des überreichlichen Essens schob sie diesen Gedanken beiseite und beschloss, erst ihren Magen zu beruhigen und dann zu baden. Oder vielleicht beides gleichzeitig? Sie schob den Tisch ganz an den Zuber heran und zog sich aus, nachdem sie den sauberen Satz Kleidung auf die andere Seite des Tisches gelegt hatte. Ihre schmutzigen Sachen ließ sie achtlos zu Boden fallen, dann stieg sie mit einem wohligen Seufzer in den fast zu warmen Zuber und ließ sich bis zum Hals darin versinken. Ihre Haare breiteten sich um sie herum auf dem Wasser aus wie ein silbern glitzernder Fächer. Nur selten hatte sie Gelegenheit für so ein Bad, normalerweise musste sie mit kaltem Wasser aus Bächen und Seen vorlieb nehmen, aber so war sie es eben gewohnt.

Doratrava griff nach den Trauben, während die Wärme des Wassers nach und nach ihre müden Glieder entspannte, dann tat sie sich an ein wenig Brot und Wurst und Käse gütlich, allerdings nur so lange, bis sie gerade so eben satt war. Ihre lebenslang ausgeübte Disziplin verbat ihr, sich zu überfressen, auch wenn die Verlockungen so reichlich vor ihrer Nase standen, was selten genug vorkam. Wenn sie es jetzt übertrieb, würde das zu viel Gegessene ihr morgen früh schwer im Magen liegen. Da sie noch immer nicht wusste, was sie am nächsten Tag genau erwartete und wann sie was vorführen sollte, wollte die Gauklerin morgen lieber auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sein, also nahm sie zum Abschluss noch einen tiefen Zug aus dem Krug mit Traubensaft und ließ es dann gut sein. Sie lehnte sich mit einem weiteren wohligen und zufriedenen Seufzer zurück und schloss für einen Moment die Augen. Auf einem Regal an der Wand hatte sie ein paar Waschutensilien gesehen, allerdings lag nichts direkt am Zuber bereit. Ob das Absicht des Hausmädchens gewesen war? Sie würde sich also nochmals aus dem Zuber bequemen müssen, um an Seife zu kommen, aber erst wollte Doratrava das warme Wasser noch ein wenig einfach so genießen. Nur für ein Zehntel Stundenglas oder so. Ihre Gedanken wurden schwer und träge. Einzuschlafen war jetzt aber keine so gute Idee … war das letzte, was sie artikuliert denken konnte, bevor genau das geschah.

*

Als die junge Frau das nächste Mal ihre Augen öffnete, blickte sie direkt in das strenge Gesicht des Hausmädchens von vorhin. Sogleich hatte die Gauklerin das Gefühl, dass die Frau nicht gerade glücklich über den Umstand war, sie hier vorzufinden, obwohl sie von ihr doch gerade eben erst hier hergebracht worden war. Erst nach und nach dämmerte es Doratrava, was der eigentliche Grund für den unausgesprochenen Zorn der Bediensteten sein mochte: das Wasser war bereits kalt und die Kerzen zur Hälfte herunter gebrannt.

„Habt Ihr wohl geruht?“ kam die ungeduldige Frage des Hausmädchens, noch bevor Doratrava ihren Schluss in Worte fassen konnte. „Das Wasser muss doch wohl bestimmt schon kalt sein.“

Im ersten Moment zuckte Doratrava erschreckt zurück, außerdem merkte sie nun tatsächlich die Kälte des Wassers, und sie begann zu frösteln. Doch dann riss sie sich trotzig zusammen. Es mochte wohl sein, dass das Hausmädchen allen Grund gehabt hätte, auf sie herabzusehen, wenn sie sich zufällig auf der Straße begegnet wären, aber hier war sie Rahjalinds Gast und musste sich nicht versteckten oder sich von einer einfachen Bediensteten einschüchtern lassen. Leider wurde das mit dem richtigen Waschen mit Seife jetzt wohl nichts mehr.

Die Gauklerin erhob sich ohne Rücksicht auf ihre Nacktheit aus dem Wasser, stieg platschend aus dem Zuber und nahm sich eines der bereit gelegten Tücher, um sich in aller Ruhe abzutrocknen. „Du darfst mir gerne zusehen, oder du kommst in einem Zehntel Stundenglas wieder, ganz wie es dir beliebt.“ Doratravas Miene war abweisend, ihr symmetrisches Gesicht wie in Stein gemeißelt bei diesen Worten, so dass es eher einer Statue denn einem lebenden Wesen glich.

Das auf diese Art angesprochene Zimmermädchen gab einen grunzenden Laut von sich und wandte sich dann der Tür zu. Beinahe schien es der Gauklerin, als würde sie sich darüber empören wollen, doch schienen ihr auf die Schnelle keine passenden Worte einzufallen. Kommentarlos, aber mit leicht rotem Kopf stapfte sie aus der Waschkammer.

Ein wenig schämte sich Doratrava dafür, das arme Mädchen so schroff behandelt zu haben, aber dann zuckte sie die Schultern, trocknete sich vollends ab und zog sich an. Warum sollte sie nicht ausnutzen, dass einmal nicht sie selbst auf der untersten Sprosse der Leiter stand? Sie schnappte sich noch ein paar Trauben und machte sich dann genauso barfuß, wie sie gekommen war, auf den Rückweg zu ihrem Zimmer. Zum Glück hatte sie sich den Weg gemerkt.