Maskenball Ankunft

Kapitel 1: Ankunft

Edlengut Linnartstein, 28. Travia 1043 BF

Der langgezogene Balzruf eines Paradiesvogels ließ Adda von Halberg zusammenzucken. Anklagend wandte sich die Hausherrin zum Störenfried um, der auf der Dachkante eines Nebengebäudes saß. Als Antwort legte das Tier seinen Kopf schief und stieß, wie zum Hohn, noch einen seiner durch Mark und Bein dringenden Rufe aus. Adda schnalzte missgünstig mit ihrer Zunge und bedachte den Vogel mit einem bösen Blick. Balzrufe im späten Travia … sie schüttelte ihren Kopf. Was war nur mit den Männern in diesen Breiten los? Nicht, dass sich deren überentwickelter Trieb nicht vorzüglich ausnutzen ließ, aber dass nun auch schon die Tierwelt darunter litt, war ihr nun doch des Guten zuviel. Die Paradiesvögel waren ein Geschenk ihres Gemahls gewesen, der sie extra hatte aus Aranien kommen lassen. Adda hoffte anfangs noch, dass die anstrengenden Vögel die strengen nordmärker Winter nicht überleben würden. Inzwischen kokettierte sie mit dem Gedanken, sie abschießen zu lassen. Abermals wandte sie sich zu jenem Nerven zerreißenden Vieh um. Der Paradiesvogel wandte ihr jedoch inzwischen den Rücken zu, und just, da er Addas Aufmerksamkeit hatte, sollte er sich erleichtern.

Die Halbergerin seufzte und wandte sich ab. Insgeheim fürchtete sie ja, dass dieses aufbegehrende Verhalten des Viehzeugs daher rührte, dass eben auch sie ihre Abneigung nicht verhehlte. Sie beschränkte sich vorerst darauf, es zu ignorieren, immerhin hatte die Hausherrin ein großes und wichtiges Fest zu organisieren. Wie jeden Götterlauf sollte der Maskenball auf dem Gut Linnartstein zum Tag des Heiligen Gilborn die Feierlichkeiten im nahen Kloster der Bannstrahler in den Schatten stellen. Eine Aufgabe, die nicht besonders schwer anmutete, wenn man bedachte, dass die Ordensbrüder und -schwestern auf St. Aldec den Tag über beschäftigt waren, gurvanische Choräle anzustimmen und zu beten. Es ging in erster Linie natürlich gar nicht darum, eine bessere Feier auf die Beine zu stellen, sondern um ein Symbol gegen die Praiosverbohrtheit im Herzogtum zu setzen. Ein Akt des Protestes, wenn man es so bezeichnen wollte.

Adda strich sich ihr enges Kleid zurecht und schritt das Anwesen ab. Überall liefen die letzten Vorbereitungsarbeiten. Bunte Bänder wurden angebracht, Tische und Bänke aufgestellt und Weinfässer aus dem Weinkeller geholt. Sie warf einen prüfenden Blick in den Himmel. Nun mussten ihr lediglich Rondra und Efferd hold sein und das Wetter bis morgen durchhalten.

„Läuft alles zu deiner Zufriedenheit, Mutter?“ Von hinten näherte sich ein hübsches Mädchen im roten Novizenkleid der Rahja.

„Rahjalind, Liebes…ja. Es könnte nicht besser laufen.“

„Wird Linnart dieses Jahr auch kommen?“ Rahjalind kannte die Antwort.

Adda blickte hoch zum Kloster der Bannstrahler. „Ich denke wohl nicht, dass ihn die dort oben morgen vor die Tür lassen.“ Sie lächelte.

Ein Lächeln, von dem sich auch die junge Rahjalind anstecken ließ. „Dafür habe ich eine Überraschung für dich. Ich weiß zwar nicht, ob sie Linnarts fehlende Anwesenheit aufwiegen würde, dem Fest könnte es aber eine weitere besondere Note verleihen.“

„Besondere Note?“, Adda zog skeptisch ihre Augenbrauen zusammen.

„Ja, du wirst schon sehen.“ Die junge Frau zwang sich zu einem Lächeln. Innerlich hoffte sie, dass Doratrava es bis zur morgigen Festivität schaffen würde.

Von der Seite näherte sich der Paradiesvogel von vorhin, und Adda schickte sich sogleich an, diesen zu vertreiben. „Mutter!“, ermahnte sie Rahjalind und warf dem Vogel ein paar Brotkrumen zu, der den beiden Frauen daraufhin sein prächtiges Rad präsentierte, was die Halbergerin verächtlich schnauben ließ, ihrer Tochter jedoch ein herzliches Lächeln entlockte.

***

Die Sonne näherte sich mittlerweile bedenklich dem Horizont, als Doratrava vom Rücken ihres Pferdes aus endlich des Gutes Linnartstein ansichtig wurde. Zumindest sah die Ansammlung von Gebäuden so aus, wie man es ihr im letzten Ort (der auch Linnartstein hieß, wenn sie das richtig verstanden hatte) beschrieben hatte. Sie war sich nicht ganz sicher, vermeinte aber, nach ihren Fragen leises Getuschel und den Austausch bedeutsamer Blicke bemerkt zu haben. Sie hatte sich darauf keinen Reim machen können und war deshalb schulterzuckend einfach weiter geritten. Für eine kleine Gaukeleinlage, welche den Leuten sicher die Zunge gelockert hätte, war es zu spät gewesen.

Die Gauklerin war nach einem weiteren langen Reisetag rechtschaffen müde, andererseits war sie froh, gerade noch rechtzeitig einzutreffen. Da sie nun erneut zu einer Adelsfeierlichkeit eingeladen war, hatte sie den größten Teil ihres Besitzes, der vom Volumen her hauptsächlich in allerlei Tanzkleidern und Gauklerkostümen bestand, sorgfältig in große Satteltaschen gepackt, welche ihr armer Gaul nun schon die ganze Zeit schleppen musste, neben ihr selbst, natürlich. Das war der Geschwindigkeit des Reittiers nicht eben zuträglich gewesen, weshalb sie in den letzten Tagen schon in leichte Panik verfallen war, ob sie es noch rechtzeitig zur Feier schaffen würde. Umso erleichterter war Doratrava nun, das Ziel ihrer Reise vor sich zu sehen.

Die Rahjageweihte, oder nein, Novizin war sie ja noch und Rahjalind hieß sie, sie hatte sie auf der Altenberger Brautschau im letzten Jahr kennengelernt, hatte Doratrava zu einer „traditionellen Familienfeier“ eingeladen, dabei aber etwas schelmisch gelächelt und sich nicht weiter darüber ausgelassen, was die Gauklerin dort erwartete oder gar welche Art Vorstellung sie geben sollte. Natürlich konnte und wollte Doratrava eine solche Einladung nicht ablehnen, die noch immer etwas Besonderes für sie als einfache Gauklerin war … wenn auch ihr Talent (oder ihr exotisches Aussehen, oder beides) sich offenbar schon in den ein oder anderen Kreisen des Adels herumgesprochen hatte, denn hin und wieder war sie mittlerweile als Bereicherung eines Festes der hohen Gesellschaft gern gesehen. Das und ein paar andere Eskapaden hatten immerhin dafür gesorgt, dass sie nun ihr eigenes Reittier besaß. Allerdings benutzte Doratrava es nur, wenn sie musste. Viel Besitz schränkte ein, machte unfrei, behinderte sie. Wenn sie konnte, führte sie noch immer das Leben einer unbeschwert umherreisenden Gauklerin, die den einfachen Leuten und ihren Kindern Freude bereitete und mit dem zufrieden war, was sie am Leibe trug. Mit dem Unterschied, dass sie das nicht mehr musste. Außerdem hatte sie festgestellt, dass die Herausforderung, den anspruchsvollen Geschmack eines hochgestellten Publikums zu befriedigen, einen früher ungeahnten Ehrgeiz in ihr weckte, und das Gefühl, nach einer erfolgreichen Aufführung im Mittelpunkt des Jubels oder zumindest der wohlwollenden Aufmerksamkeit (nicht jeder Adlige war ein Freund von offen zur Schau getragener Begeisterung, wie sie festgestellt hatte) der Zuschauer zu stehen, war unbeschreiblich.

Solcherart in Gedanken versunken nahm Doratrava ihre Umgebung gar nicht richtig wahr, bis sie plötzlich mit ihrem Pferd auf dem freien Platz zwischen den Gebäuden des Gutes stand und aufschreckte, als das Reittier mit einem unwilligen Schnauben von selbst stehen blieb. Es war mittlerweile schon recht dämmrig, die Sonne vor kurzem hinter dem Horizont versunken, so dass nur noch wenige Bedienstete zu sehen waren, die in ihrer Arbeit innehielten und - neugierig? Misstrauisch? - zu ihr herüber sahen. Doratrava trug wie meist einen langen, im Moment vom Ritt recht staubigen, Reisemantel von grauer Farbe und mit Kapuze, da sie schlechte Erfahrungen damit gemacht hatte, ihr exotisches Aussehen außerhalb ihrer Aufführungen zu offensiv zur Schau zu stellen. So sahen die Leute nur eine einsame Reiterin mit schwer bepacktem Pferd vor sich, welche sich ein wenig verloren umblickte.

*

Der dadurch entstandene Aufruhr sollte auch an Adda und Rahjalind nicht unbemerkt vorüber gehen. Mehrkehlige, empörte Ausrufe lenkten die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf den Vorplatz des Haupthauses. Dort kam allem Anschein nach soeben ein Pferd mit einem unbekannten Reiter darauf zu stehen – oder einer Reiterin – der graue Mantel, der die Person verhüllte, gepaart mit dem dämmrigen Licht des hinter der Hügelkette verschwindenden Praiosmales machte es schwer, dies auszumachen. Hinter dem Pferd konnten sie jedoch Burian und Rhela – zwei ihrer Bediensteten – erkennen, die wild gestikulierend auf den Neuankömmling einredeten.

„Was zum…“ Adda wandte sich zu ihrer Tochter um, ganz so, als wolle sie sicher gehen, dass auch Rahjalind die Vorgänge beobachtet hatte. Unglauben zeigte sich auf dem Gesicht der Hausherrin.

Die junge Frau hielt sich ihre schlanke Hand vor den Mund und musste ob der sich vor ihnen bietenden Szenerie all ihre Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht lauthals loszuprusten.

Die Halbergerin quittierte dies mit einem Schnauben. „Vielleicht Gäste?“ fragte sie dann skeptisch.

„Jetzt schon ...?“ Rahjalind wirkte immer noch kindlich amüsiert. „Nein Mutter, ich denke, das ist die Überraschung, die ich dir angekündigt habe.“

Adda hatte bereits einen Schritt in Richtung ihres neuen Gastes gemacht, da bedachte sie ihre Tochter mit einem Blick zurück über ihre schmale Schulter. Ihre Stirn war gerunzelt und sie sah in diesem Moment alles andere als glücklich aus.

***

Es sollte nicht lange dauern, da erschienen die beiden Frauen vor dem Pferd Doratravas. Die Gauklerin erkannte sogleich Rahjalind, die ihr freundlich zulächelte. Die zweite sah aus wie deren ältere Schwester. Beide waren sie gekleidet in schöne und aufwendige Kleider und hatten ihre honigblonden Haare zu kunstvollen Hochsteckfrisuren modelliert. Vor allem das lange Kleid der älteren der beiden vermochte zu entzücken, war das edle, aus goldenem und rotem Stoff geschneiderte Stück doch die perfekte Mischung aus dem in diesen Breiten so typischen züchtigen Stil und aufregenden Elementen; ein hoher Kragen und lange Ärmel waren hier gepaart mit einem engen, körperbetonten Schnitt und einem hohen almadaner Schlitz, der Addas rechtes Bein bei jedem Schritt entblößte.

„Rahja zum Gruße…“, richtete die Hausherrin ihr Wort an Doratrava. Kurz fiel ihr Blick auf die Girlande, die der Gast bei seinem unachtsamen Ritt über das Gut von dessen Befestigung gerissen hatte und welche nun am Huf des Pferdes hing und deshalb wohl auch der Grund für die Erregung ihrer Bediensteten war. Adda räusperte sich, dann zwang sie sich zu einem vollendet schönen Lächeln und sah wieder hinauf zur Reiterin. „Mein Name ist Adda von Halberg. Seid willkommen auf Gut Linnartstein …“, sie wies in einer weitläufigen Handbewegung um sich, „… der Heimat Sankt Linnarts und meiner Familie. Mit wem haben wir die Ehre?“

*

Doratrava war ein wenig verunsichert ob des Wortwechsels mit den beiden aufgebrachten Bediensteten. Ja, jetzt hatte sie die Girlande am Huf ihres Pferdes auch bemerkt. Nein, während des Rittes über das Grundstück des Gutes war ihr nichts aufgefallen (und nein, sie war keine gute Reiterin, das musste sie aber niemandem auf die Nase binden). Und überhaupt, was war denn schon passiert? Aber die erregten Dienstleute hatten erst von ihr abgelassen, als die beiden edel gekleideten Frauen aus dem größten Haus getreten waren und sich auf wenige Schritt genähert hatten.

Nach den freundlichen Worten der Älteren ließ sich Doratrava vom Rücken ihres Pferdes rutschen, denn soweit sie wusste, war es nicht höflich, solch hochgestellte Personen von oben herab zu grüßen. Sie verneigte sich tief, um einen Moment Zeit herauszuschinden und sich zu überlegen, in welchen Gottes Namen sie antworten sollte. „Travia zum Gruße“, entschloss sie sich zu einem kleinen Versuch, um ihre Gastgeber vielleicht besser einschätzen zu können. Dabei warf sie vor allem Rahjalind ein ehrlich freundliches Lächeln zu.

In den letzten Jahren hatte Doratrava gelernt, ihre Mitmenschen besser einzuschätzen, nachdem ihre mangelnden Fähigkeiten in diesem Bereich sie in die ein oder andere unangenehme Situation gebracht hatten. So erkannte sie an der Reaktion der Älteren, dass diese erstens hier das Sagen hatte, was auch schon daraus hervorging, dass sie die Begrüßung ausgesprochen hatte, und sie zweitens keine Ahnung hatte, wer sie war, warum auch immer Rahjalind sie nicht in Kenntnis gesetzt hatte. Doratrava hoffte nicht, nur als Spielball von Adelsintrigen eingeladen worden zu sein, andererseits hatte die Novizin einen durchaus offenen und ehrlichen Eindruck gemacht und tat es noch, so dass sie diesen Gedanken schnell beiseite schob.

Doratrava streifte die Kapuze vom Kopf und schüttelte diesen, so dass ihr weißes, glattes Haar wieder frei über ihre Schultern fließen konnte, gleichzeitig wurden die leicht zugespitzten Ohren sichtbar. Selbst bei diesem Licht war die ungewöhnliche Blässe ihrer Haut offensichtlich. Ihr schönes Gesicht war ebenmäßig, wie gemeißelt, fast zu symmetrisch, die Augenfarbe war in der Dämmerung nur schwer zu erkennen, aber sie war dunkel mit einem - violetten? - Schimmer. Adda schätzte die recht zierliche, etwas über 170 Halbfinger große Frau auf Anfang Zwanzig.

„Doratrava ist mein Name“, vollendete die junge Frau ihre Vorstellung mit leiser, aber bühnenerfahrener Stimme und ein wenig Theatralik. „Gauklerin, Messerwerferin, Akrobatin, Tänzerin – eins von diesen oder alles gemeinsam, je nachdem, was Ihr von mir begehrt.“

*

Kurz musterte Adda die exotische Frau. Von Kopf bis Fuß und so eindringlich, dass es Doratrava für einen kurzen Moment lang sogar unangenehm wurde. War es tatsächlich bloß das Interesse an ihrer Person? Oder war da mehr? Es war in jedem Fall ein Blick, den sie so meist nur von Männern kannte. Eben jenem Blick folgte abermals ein Lächeln.

„Doratrava, Gauklerin…“, wiederholte sie erst langsam und schlug dann freudig ihre Hände zusammen, „… das freut mich. Bitte entschuldigt meine Verwirrung. Meine Tochter…“, sie deutete auf Rahjalind, „… hat Euch als Überraschung für mich hier herbestellt.“ Die Halbergerin biss sich kurz auf die Lippe. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise hierher nach Linnartstein?“

Adda sollte keine Antwort abwarten. Sie wedelte etwas zerfahren mit ihrer Rechten. „Eure Dienste werden hier morgen auf dem Fest mit Sicherheit Gold wert sein…“, setzte sie dann ihren Redeschwall fort, „… wir werden morgen hier eine Art horasischen Maskenball veranstalten. Nun ja, mit etwas weniger Stoff vielleicht.“ Sie kicherte. „Kein Grund zur Scham. Dafür haben wir ja die Masken…“, die Halbergerin zwinkerte Doratrava zu, „… wart Ihr schon einmal im Horasreich?“

Die Art, wie die ältere Frau sie ansah, hatte irgendwie etwas Besitzergreifendes und verursachte Doratrava ein unbehagliches Frösteln, obwohl sie den hochgeschlossenen, langen Reisemantel trug und somit keinerlei Angriffspunkte für Begehrlichkeiten lieferte, wie sie meinte. Unwillkürlich fasste sie mit der Hand an die oberen Mantelaufschläge und zog diese noch etwas weiter zusammen, bis sie sich der Geste verlegen bewusst wurde und die Hand schnell wieder fallen ließ. Die Frage nach dem Verlauf ihrer Reise bekam sie bei dem Versuch, die ungewöhnliche Begrüßung zu verdauen, gar nicht richtig mit. Sie warf Rahjalind einen schnellen Blick zu, doch die Novizin lächelte ihr zwar freundlich zu, war aber ansonsten keine Hilfe. Hoffentlich würde ihr die angehende Geweihte nachher ein wenig mehr davon erzählen, was genau hier morgen ablaufen würde und was genau ihre eigene Rolle dabei sein sollte ...

Die weiteren Worte der Halbergerin rissen Doratrava schlagartig aus ihren Gedanken. Maskenball? Wenig Stoff? Was sollte das denn bedeuten? Aber bevor ihr die Röte in die Wangen stieg, was man bei ihr sowieso nur schlecht erkennen konnte, zumal bei diesem Licht, verschob sie alle weiteren Überlegungen zu diesem Thema mit einer kleinen Kraftanstrengung auf später und konzentrierte sich wieder auf die Gastgeberin. „Ja, tatsächlich hat es mich bereits zweimal nach Belhanka verschlagen“, gab die Gauklerin wahrheitsgemäß zur Antwort. Erst dann fiel ihr auf, dass sie damit vermutlich keinesfalls die ihr unangenehmen emotionalen Pfade würde verlassen können. Schon wieder drohte die Röte ihre Wangen zu fluten.

„Mmmmh… Belhanka…“, lasziv kaute Adda am Nagel ihres Zeigefingers. Ihre Augen rollten zurück und es schien für einen Moment, als hinge sie einem angenehmen Gedanken nach. „Jaaa… Belhanka, das kommt dem, was wir hier machen, schon recht nahe.“ Lächelnd wandte sie sich zu ihrer Tochter um. „Letztes Jahr hatten wir als Thema eine Kostümfeier, das war ein Spaß. Ist doch so, oder Liebes?“

„Ja Mutter…“, die Rahjanovizin bestätigte die Aussage ihrer Mutter mit einem eifrigen Nicken.

Irgendwie fühlte Doratrava, dass die eingehende Untersuchung ihrer Person nun vorbei und sie akzeptiert worden war. Zwar redete Adda noch immer von Dingen, welche ihren Zieheltern mindestens die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten, was nicht ohne Auswirkung auf ihre eigene Einstellung zu ‚solchen Dingen‘ geblieben war, aber die Gauklerin fühlte sich nun nicht mehr im Fokus einer messerscharfen Überprüfung und konnte nun innerlich ein wenig Abstand gewinnen. Sie nahm das fröhliche Geplapper der Hausherrin nun einfach hin und konnte innerlich sogar ein wenig lächeln ob der offensichtlichen Begeisterung, welche Adda ausstrahlte.

Zufrieden wandte sich die Hausherrin wieder Doratrava zu. „Da habt Ihr etwas verpasst“, verfiel sie dann in einen Plauderton. „Mein schönes Kleid…“, Adda strich mit ihren Händen den Kurven ihres Körpers nach, „… türkis und aus leichter Seide, die den einen oder anderen Blick hindurch gewährte. Vor allem im Schein der Fackeln.“ Sie kicherte. „Auch Rahjalind war letztes Jahr dabei. Na, erzähl schon, als was du dich verkleidet hast.“

„Als Feenwesen…“, kam es als knappe Antwort.

„Genau…“, nickte die Halbergerin, „… das war lieblich. Sie hatte sogar Flügel am Rücken.“ Adda seufzte. „Wird schwer, das dieses Jahr zu übertreffen.“

Bei der Erwähnung des letztjährigen Themas schien es, als würden Doratravas Augen den leichten Violett-Schimmer verlieren, das konnte in der Abenddämmerung allerdings nur jemand bemerken, der eine herausragende Wahrnehmung sein eigen nannte. Außerdem fuhr sie sich mit der Hand über das Gesicht und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, um das kurze Zucken zu verbergen, mit dem sie ein Auflachen unterdrückte, welches sicher nicht schicklich gewesen wäre.

Noch einmal legte Adda ihren Kopf schief und musterte die Gauklerin. „Rahjalind, Liebes. Es sollte noch ein Gästezimmer im ersten Stock frei sein. Sei doch so nett und führe unseren Gast dort hin. Es gilt noch einiges für morgen vorzubereiten.“

Mit diesen Worten verschwand die Hausherrin und ließ Doratrava und ihre Tochter stehen.