Marbolieb Neugier

Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts

Ort: Senalosch in den Vogteien Nilsitz

Zeit: Rondra 1042 BF

Personen: Oberst DwaroschSohnDesDwalin und Ihre Gnaden MarboLieb. Und andere.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson und IseWeine.

Inhalt: Nach der Weihe des Kortempels in Senalosch hat eine durchaus neugierige Geweihte noch die eine oder andere Frage. Persönlicher Natur. (Dokument hängt an).

Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts

Rondra 1042 BF
Es war stockfinster. Und still, eine schwere, drückende Stille, die von tausenden Quadern Stein erzählte, die über der Decke lagen.
Nicht ungewöhnlich also, tief unter dem Berg, wo Tag und Nacht längst ihre Bedeutung verloren hatten.
„Dwarosch, bist Du wach?“
Die ruhige Stimme Marboliebs erwischte den Zwergen im besten Tiefschlaf. Aber es hätte eventuell Morgen sein können. Weit weg an der Oberfläche. Oder irgendwo anders, als hier im Gästezimmer seiner Hochgeboren Borindarax von Nilsitz, des Vogtes des Grafen vom Isenhag.
Ein tiefes, langgezogenes „hmmm“, war die einzige Antwort, die Dwarosch von sich gab. Dass er sich dabei bewegte, wusste Marbolieb aber unzweifelhaft so zu deuten, dass er tatsächlich wach war, oder sie ihn geweckt hatte. Dwarosch schlief nämlich wirklich wie ein Stein, etwas dass man allen Zwergen nachsagte. Nur besagten diese Geschichten nicht, dass sie sehr wohl schnarchen konnten und dabei nicht wie etwa Menschen Bäume sägten, sondern Stein. Eine Arbeit, die natürlich noch geräuschvoller vonstattenging. Marbolieb wandte sich zur Seite, wo sie den Oberst neben sich spürte, und strich sanft mit ihren Fingerspitzen über die Stelle, an der sie seine Wange vermutete. Mit einem zufriedenen Seufzen kuschelte sie sich bequem an seine Seite und genoss einige Atemzüge lang seine warme, solide Anwesenheit. „Hast Du zuvor schon einmal eine Menschenfrau beschlafen?“ stellte sie schließlich in die Stille hinein die Frage, die ihr nun schon seit ein paar Tagen – dero fünf, um genau zu sein – auf ihrer Zunge kribbelte.

Zunächst war da nur Schweigen, dass ihr antwortete. Doch nicht, weil der bullige Angroschim neben ihr sie nicht gehört hatte und wieder eingeschlafen war. Nein, Marbolieb spürte eine leichte Anspannung im Körper neben sich heranwachsen. Er dachte nach.
Schließlich bewegte sich der freie Arm Dwaroschs schwerfällig. Er wischte sich in einem Versuch die Müdigkeit loszuwerden durchs Gesicht und gähnte.
„Ja“, sagte er daraufhin schlicht und bewegte den Kopf auf dem Rücken liegend in ihre Richtung. „Ist die Antwort wichtig für uns?“ Tief wie gewohnt und sanft war seine Stimme. „Ich würde es gerne wissen.“ Leicht, doch merklich, schwang die Neugier in Marboliebs Stimme mit. Sie stützte ihren Kopf in eine Hand und strich mit ihrer freien Hand über die Schläfe ihres Liebsten. „Erzählst Du mir von ihr? Wer ist sie? Was hat Dich an ihr angezogen? Und wie habt ihr euch kennengelernt?“
Ihre Körperspannung verriet ihre unbedingte Aufmerksamkeit, aber auch ihr tiefes Vertrauen in den muskelbepackten Angroscho, als sie sich mit absoluter Selbstverständlichkeit an ihn schmiegte.
Dwarosch seufzte und schien gleichzeitig zu lächeln, jedenfalls klang das: „du hast es nicht anders gewollt“, danach. Sie kannte ihn gut.
Nach diesen entsprechend humorvoll gemeinten Worten schien der Zwerg kurz überlegen zu müssen bevor er erneut ansetzte. Worüber nachgedacht haben musste, wurde Marbolieb im Weiteren schnell klar.
„Ganz so einfach ist es nicht Räblein. Ich bin fast einhundertsechzig Jahre alt und blicke auf ein recht bewegtes Leben zurück.
Einige Jahrzehnte davon verbrachte ich im Süden, das heißt in Mhanadistan- Khunchom, Fasar gehörten zu den Orten, an denen ich sehr häufig war, wie auch in Zorgan. Dazu kommen die Städte der Goldenen Allianz- Al’Anfa und das Königreich Brabak. Aber auch in Chorhop war ich mehrfach. Die Sitten und Bräuche sind nicht überall so streng, wie im Kaiserreich, oder gar in den Nordmarken beziehungsweise im Kosch.

Ich war ein Söldner und habe in vielen Feldzügen und Kriegen gekämpft. Das einfache Waffenvolk kennt wenig Scheu voreinander. Man lebt und streitet Seite an Seite. Es herrscht oft ein raues Klima und derbe Sitten. Das führt aber auch oft dazu, dass Liebeleien in der Truppe ‚passieren‘. Sie sind nicht gern gesehen, aber werden geduldet. Für die Moral sind sie eher unerheblich.
Ja und es gab in den Einheiten in denen ich diente auch Frauen, menschliche Frauen, die einem Angroscho wie mich anziehend fanden und mir dies auf die eine oder andere Weise mitteilten.
In der Nach vor einer Schlacht, wenn die Nerven blank liegen, man nicht schlafen kann, weil die Angst auf das bevorstehende im Geist regiert, will so mancher nicht allein sein und sehnt sich nach körperlicher Nähe.“
Nochmals seufzte Dwarosch, diesmal wehmütig. „Es waren Kameradinnen. Frauen, mit denen ich in derselben Schlachtreihe gestanden habe.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kann dir Namen nennen, doch was bringt es dir. Ich glaube keine von ihnen ist noch am Leben.
Was ich aber kann, ist dir von den wenigen Frauen meiner Rasse zu erzählen, die mir wie du den Kopf verdreht haben.“
„Gerne. Später.“ Ganz frei von Schmunzeln waren diese Worte nicht. Eine Fingerspitze Marboliebs verharrte auf der Schläfe des Oberst.
„Wie viele waren es?“ Die bewusst vagen Andeutungen kitzelten ihre Neugier erst recht. „Und welche hat Dir am meisten bedeutet?“ Entschiedener Forscherdrang war es, was die sanfte Stimme der jungen Frau mit sich brachte. Dass er sich nicht an seine Gespielinnen erinnern würde, das würde sie jedenfalls nur kaum glauben – das gute und vor allem weit zurückreichende Gedächtnis des Zwergen faszinierte sie ein auf’s andere Mal.

Dwarosch stieß hörbar die Luft aus, als wolle er sich beschweren, dass ihm nichts erspart blieb. Doch dann begann sein Brustkorb leicht an zu beben und er lachte herzhaft. "Ich bin ja wahrlich kein Experte. Aber ich glaube, dass du für eine Dienerin des Schweigsamen ziemlich neugierig bist."
Erneut ertönte das tiefe Lachen des Oberst, durchbrach die stille Dunkelheit ihrer Kammer unter dem Berg.
"Nun gut", lenkte er bereitwillig ein. "Du sollst ihre Namen und die Geschichte dahinter hören."
Dwarosch räusperte sich. "Die erste, menschliche Frau mit der ich das Lager teilte war eine unehrenhaft aus dem Dienst entlassene Soldatin aus Ferdok. Grantel machte sich gut als Söldnerin, doch die Erfahrung eines nächtlichen Angriffs auf unseren Handelszug nach Angbar nahm sie sichtlich mit, auch wenn sie über vierzig Sommer gesehen und sicher einiges erlebt hatte. Die Erfahrung Golgari nur knapp entkommen zu sein, das von der Hitze des Kampfes in Wallung geratene Blut brachte sie dazu sich zu mir zu legen. Sie starb durch den Arbach eines Schwarzpelz auf dem Weg nach Winhall einige Monde später.

Ashaybith, eine Tulamidin lernte ich in Fasar kennen. Ich begleitete einige Male Karawanen in und um die Khom. Sie war jung, wild und unzähmbar, aber auch sehr talentiert mit ihren Krummsäbeln. Ich glaube ich war ein Abenteuer für sie. Wir fanden am Lagerfeuer in der Wüste zueinander, als klar war, dass mein Weg mich weiterführen, dass sich unsere Wege am nächsten Tag trennen würden.

Dann gab es Pratibha. Sie war eine entlaufene Sklavin aus dem Kalifat. Sie stammte wohl ursprünglich aus Thalusien am Mhanadi und verstand einiges von Pferden. Ich begegnete ihr in Khunchom, als meine Einheit dort in einer Karawanserei gastierte.
Ich hatte stets meine Mühe mit meinem bockigen Eisensteiner Pony, das amüsierte sie. Sie zeigte mir, wie ich mit ihm umgehen musste, so kamen wir uns näher. Zylvia wiederum war eine stolze Schlachtenreiterin aus Perricum, ganz in der Tradition des nabachoter Erbes in ihr. Wir begegneten uns während des Khom- Krieges. Ich weiß nicht was sie an mir fand, aber wir teilten das Lager so manche kalte Nacht in der Wüste bis sie den Al’Anfanern zum Opfer fiel. Ich habe sie eigenhändig im Wüstensand begraben.”

Dwarosch schwieg für einen kurzen, gedankenverlorenen Moment.
“Im Krieg der Drachen lernte ich schließlich Gyldiara kennen. Sie war Nachrichtenoffizierin und ich ihr aufgrund ihrer Bedeutung als Leibwächter zugeteilt. Sie war ein Genie was die Entschlüsselung von geheimen Botschaften war. Bei einem gezielten Anschlag auf sie rettete ich ihr Leben und in irgendeiner Weise ihren Dank, den ich ihr nicht abschlagen durfte.
Schon den Tag darauf starb sie durch ein verirrtes Geschoss einer Bela in meinen Armen."

Marbolieb lauschte schweigend der langen Erzählung. Sie dachte nach – das spürte Dwarosch deutlich. Schließlich strich sie mit einem bloßen Fuß über sein Bein und lehnte ihren Kopf an seine Wange. Sie holte Luft, als wolle sie etwas dazu sagen, ließ es dann aber sein.
Sämtliche seiner Bettgefährtinnen hatten sich nach seiner Aussage Dwarosch ausgesucht – nicht umgekehrt. Vermutlich, weil es eben doch nur Menschen waren – nicht die ersten, auf die das Auge eines Zwergen fiel. Glück hatte er indes keiner von ihnen gebracht – doch dies würde sie sich hüten auszusprechen. Es hätte ihn bestenfalls unangenehm berührt – und ihm schlimmstenfalls Schmerzen bereitet. Nichts, das sie freiwillig unterfangen würde.
Sie dachte an die nicht lange zurückliegende Weihe des Kortempels und ein warmes Lächeln huschte über ihre hübschen Züge. Auch wenn diese ganz besondere Situation so niemals widerkehren würde – bei der Wahl zwischen ihr und der sicheren Gewissheit einer warmen Umarmung und eine zuverlässigen Schulter unter ihrer Wange in jeder Nacht, so würde sie sich für Letzteres entscheiden.

Marbolieb schnurrte zufrieden und krauste ihre Nase, als sein dickes Barthaar sie kitzelte. „Und mit welchen Zwerginnen bist Du näher bekannt?“
"Es waren drei, um die ich geworben habe", erklärte Dwarosch ohne nachzudenken, offenbar froh, das Thema wechseln zu können. "Drei in nicht ganz einhundertsechzig Jahren", Selbstironie schwang in dieser Ergänzung mit.
"Ich muss bei Andesine anfangen. Sie war mein erster, großer Schwarm. Ich bin zu dieser Zeit Anfang fünfzig gewesen, also noch recht jung. Sie war eine reifere Angroschna im besten Alter, Tochter eines Clanoberhauptes aus Makamesch.
Sie mochte mich. Ja, darin hatte ich nie Zweifel. Doch für mehr als eine Liebelei war ich ihr zu unstet und wohl auch zu unbedeutend, trotz der Tatsache, dass ich zur Faxarasch- Sippe gehöre. Mit einem Söldner konnte sie keinen Bund eingehen. Ihre Antwort blieb immer die gleiche, egal wie oft meine Wege mich nach Makamesch führten und wie oft ich um sie warb. Jahre vergingen und irgendwann gab ich auf.
Heute ist sie Rogalrok, Hüterin des Rechts und somit Stadthalterin im Namen des Rogmarog. Sie hat sich wohl richtig entschieden indem sie mich abwies." Auch wenn die Wahl der Worte auf Bitterkeit hinwiesen, waren sie dennoch sehr nüchtern gesprochen. Marbolieb wusste daher, dass Dwarosch diesen Teil seiner Vergangenheit längst überwunden, ja hinter sich gelassen hatte.

"Die zweite war Pytaliaxa, eine Angroschna aus Tosch Mur, eine stolze Kriegerin, die mich erst an ihrer Seite duldete, nachdem ich sie im Zweikampf besiegt hatte. Einem Kampf, der uns beide bis zur vollkommenen Erschöpfung forderte.
Sie wäre mit mir den Bund von Feuer und Erz eingegangen, doch sie forderte von mir, dass ich das Söldnerdasein aufgebe sollte, um mit ihr unter dem Amboß zu leben." Eine einige Momente währende Phase der Stille folgte diesem Teil seiner Erzählung. Marbolieb erkannte, dass diese Frau ihm viel bedeutet haben und das die Entscheidung, vor die sie ihn gestellt hatte, eine schwere gewesen sein musste.
"Ich konnte es nicht." Ein Anflug von Bedauern lag in Dwaroschs Stimme, als er weitersprach. "Kor ließ es nicht zu, dass ich seinen Pfad verließ und so verließ ich sie. Zu groß war die Sehnsucht nach der Ferne, nach der Fremde, nach Abenteuer und dem steten Kampf, der Herausforderung. Oft habe ich mich gefragt, warum ich mein damaliges Leben nicht einfach hinter mir gelassen habe, um neu anzufangen. Es wäre möglich gewesen in Tosch Mur. Ihre Sippe akzeptierte mich und ihr Vater war mir vom ersten Tag an ein Freund."
Er seufzte. "Doch wenn mein Leben anders verlaufen wäre, hätte ich dich vermutlich nicht gefunden." Sanft drückte er den zarten Leib Marboliebs in seinem Arm. "Ich sollte dankbarer sein."

‚Doch Du bist es nicht.’ Jäh und ungebeten huschte diese Erkenntnis durch Marboliebs Geist. Lange hatte Dwarosch schon gelebt – und in den vergangenen Götterläufen doch erst damit begonnen, das zu verarbeiten, was er bisher nur entschieden von sich geschoben hatte, bis er fast daran zerbrochen wäre. Immerhin die Einflüsterungen des Siebtsphärigen war er losgeworden. Sie würde sich nicht beschweren.
Kurz ordnete Dwarosch seine Gedanken. Dann sprach er weiter.
"Die letzte bedeutendste Angroschna in meinem Leben jedoch wurde eine andere. Orymaxa", die Art in der Dwarosch diesen Namen aussprach war anders als bei den zuvor vernommenen, das erkannte Marbolieb sofort.

"Es war vor etwa vier Jahrzehnten in Khunchom, dass wir uns begegneten. Sie war damals bereits Witwe, doch war der Bund kinderlos geblieben. Ich musste lange um sie werben, verließ wegen ihr meine damalige Einheit, um in der Stadt bleiben zu können.
Orymaxa war bereit, mich zurück nach Isnatosch zu begleiten. Ich wollte mich hier in Senalosch niederlassen, um mich auf die Sicherung von Erztransporten zu beschränken. Damit wäre ich oft daheim gewesen, bei ihr. Ich gab ihr dies Versprechen und ich glaube, ich war bereit dazu. Die Rastlosigkeit war gewichen. Doch es kam anders." Schon beim letzten Satz bekam Dwaroschs Stimme einen grollenden Unterton.
"Ihr Vater verweigerte uns seine Zustimmung zu unserem Bund. Mehr noch, er hetzte den ganzen Clan gegen mich auf. Ich hatte kein Handwerk erlernt, nur das blutige. So einen wollten sie nicht, auch wenn Orymaxa mit mir fortgehen wollte. Sie durfte es nicht. Ich würde ihre Sippe entehren, behaupteten sie." Dwarosch schnaubte. Zorn erwuchs in ihm, doch er rang ihn nieder.
Fast flüsternd und mit belegter Stimme beendete er seine Erzählung, schloss das Thema, dass ihn sichtlich aufgewühlt hatte. "Sie bat mich zu gehen, um es nicht noch schlimmer zu machen. Und so ging ich."

„Und seitdem verachtest Du Dich dafür?“ Mehr eine Feststellung, keine Frage. Sanft wie ein weiches Tuch war die Stimme der Priesterin, die bei dem Bericht ihres Freundes sehr still geworden war. Ein sicheres Zeichen, dass sie aufmerksam lauschte.
Lange schien Dwarosch über Marboliebs Worte nachzudenken, bevor er darauf eine Antwort fand.
"Ich empfinde keine Trauer über die Entscheidung, die ich damals getroffen habe, darüber fortgegangen zu sein und nicht länger um sie gekämpft zu haben. Es ist für mich ein vergangenes Leben, in dem ich diese Niederlage erlitt. Die Trauer ist vergangen.
Die Trollpforte, die Saat der Niederhöllen, die Todessehnsucht, der Haffax- Feldzug und die Befreiung meiner Seele, dass alles war ein anderes, ein zurückliegendes Leben. Dennoch trage ich Narben nicht nur auf meinem Körper, sondern auch auf meiner Seele. Wir sind alle die Summe unserer Erfahrungen und je länger ein Leben währt, desto größer ist die Zahl der Narben. Das kann ich nicht leugnen.
Anders herum hättest du auch nicht den Mann in mir gefunden, hätte ich diese Erfahrungen nicht gesammelt, die guten, wie auch die schlechten. Sie alle tragen zu dem bei was uns ausmacht."

Die Priesterin ließ sich lange Zeit mit einer Antwort – so lange, dass Dwarosch beinahe schon argwöhnen mochte, sie sei sang- und klanglos wieder eingeschlafen. Aus der vollständigen Dunkelheit heraus kündete schließlich ein leises Rascheln von ihrer Anwesenheit, und sanft wie eine Feder strichen ihre Finger über seinen Arm. „Wie stehst du zu ihm?“
Was vielleicht etwas zu wenig war, wenn sie das tiefe Atemholen des Oberst richtig deutete. „Wie kommt du mit dem Zwergen aus, der du heute bist?“

Dwarosch stieß die Luft aus. Dies war eine schwere Frage. Eine die darüber hinaus viel Selbstreflektion bedurfte. Aber letztlich war es auch ein Thema, dass ihm nicht ganz fremd war. In einem langen Leben musste man zwangsläufig auch lange mit sich selbst zurechtkommen.
"Ich habe in meiner Jugend als Söldner gelernt in der Gegenwart zu leben, da der nächste Waffengang nie weit entfernt lag.
Albrax brachte mir später bei in die Zukunft zu blicken, um als Offizier planen zu können, für seine Untergebenen und in Bezug auf den jeweiligen Gegner, Scharmützel, Schlachten und den Krieg als Ganzem.

Die Vergangenheit ist nur wichtig, um aus ihr zu lernen, ändern lässt sie sich nicht mehr. Das Schiff der Zeit fährt unaufhaltsam vorwärts."
Dwarosch seufzte. "Kor und ich haben unsere Differenzen, aber ich akzeptiere ihn als Kraft, die mein Schicksal bestimmt. Naja, zumindest in weiten Teilen. Auch das ist Teil der Antwort. Diese Gewissheit lässt mich bisweilen recht nüchtern auf meinen bisherigen Lebensweg und die gefällten Entscheidungen blicken.
In Summe denke ich also ich komme ganz gut mit mir selbst aus."
Der letzte Satz war nicht ohne Humor gesprochen und doch wusste Marbolieb, dass es nicht ganz so einfach war, wie Dwarosch es dargestellt hatte. Reue und Gram über Vergangenes waren auch ihm nicht gänzlich fremd.

Sicher, er war ein weitestgehend ausgeglichener Charakter, aber sie wusste auch, dass dies an seiner momentanen Berufung lag, die ihn ausfüllte und sie spürte nicht zuletzt, dass sie und Mirla ebenfalls zu diesem inneren Frieden beitrugen. Was ohne diese festen Stützpfeiler in seinem Leben wäre, vermochte sie nicht einzuschätzen. Zumindest wollte sich Marbolieb das nicht ausmalen – auch wenn eine grobe Vorstellung davon ihr nicht schwerfiel. Stattdessen lächelte sie und wandte ihren Kopf zu ihrem Gefährten. Leicht wie der Flügelschlag einer Motte berührten ihre warmen Lippen über seine Wange. „Das freut mich für dich, mein Liebster.“ Ein warmes Lächeln färbte ihre Stimme in der tiefen Dunkelheit weit unter dem Berg.

„Versprich mir, es mir zu sagen, wenn sich dies ändern sollte – wirst Du das tun?“
Wenig genug war für die Ewigkeit – aber manche Entwicklungen waren einfach vermeidbar. Und dass Dwarosch tief zu fallen vermochte, hatte er bereits einmal erwiesen. Doch damals war sie nicht an seiner Seite gewesen. Ihr Schmunzeln bekam eine überaus zufriedene Note, als sie etwas näher an ihn rückte und sich bequem auf den Rücken drehte. Vielleicht war es doch noch mitten in der Nacht und nicht früh am Morgen. Aber diese Nacht durfte sehr gerne noch eine ganze Weile dauern. Dwarosch gab noch ein tiefes, zustimmend es Brummen von sich, dann jedoch entspannte er sich ebenfalls soweit, dass das leise Rauschen von Bishdariels Flügel ihn erreichte und ihn in einen tiefen, traumlosen Schlaf versetzte … .
Marbolieb indessen sinnierte über die doch beachtliche Anzahl der bisherigen Gespielinnen ihres Gefährten und grub sich die Zähne in die Unterlippe. So ganz loslassen wollte sie der Gedanke daran nicht, und so entgingen ihr die gleichmäßigen Atemzüge ihres Liebsten. In rahjagefälligen Erfahrungen war Dwarosch ihr um sehr viel voraus, was zugegebenermaßen ihre Neugier kitzelte.
„Dwarosch?“ Ein leises Schnarchen antwortete ihr, so dass sie mit ihren Lippen über sein Ohr strich und ihre Ansprache wiederholte. „Dwarosch, magst Du mir sagen, welche Art des Rahjadienstes Dir mit ihnen am besten gefiel?“

Nicht, dass sie selbst über mehr als diese beiden Male – mit jedem Mann einmal – an Erfahrung verfügte. Und beide Male hatten sich deutlich unterschieden – was aber vermutlich daran lag, dass der erstere ein Mensch, der zweitere ein Zwerg gewesen war. Wahrscheinlich gingen beide Rassen dieses Unterfangen auf andere Weise an. Zumindest schienen Menschen nicht zwangsläufig einen Tisch dafür zu benötigen.
Diese Frage jedoch blieb zumindest für diesem Moment unbeantwortet. Dwarosch schlief und schien sich nicht weiter davon abhalten lassen zu wollen.

Marbolieb seufzte, die ungeklärten Fragen überdeutlich in ihren Gedanken. Zu gerne hätte sie gewusst, was sich – so grundsätzlich – in dieser ganz heimlichen Angelegenheit so zwischen Zwergen und Menschen unterschied. Zumindest schienen die Zwerge – im Gegensatz zu den Menschen – dies sehr, sehr viel gemächlicher – und deutlich seltener – anzugehen. Doch war das jetzt keine Frage, deren Antwort Bishdariel jetzt zulassen wollte – bedauerlicherweise. Und so tat sie etwas, das sie in letzter Zeit sehr häufig und ausführlich geübt hatte – sie fügte sich in Geduld, schob die Antwort in eine gedankliche Schublade, auf der ‚später’ zu lesen stand, kuschelte sich an die Schulter ihres Liebsten und schloss ebenfalls die Augen, froh über den warmen, kräftigen und vertrauten Körper des Oberst direkt neben ihr. Seine Haare kitzelten über ihre bloße Haut und ließen ihre Nase kribbelen – auch dies ein vertrautes Gefühl. Ein geborgenes, zufriedenes Lächeln huschte über ihre hübschen Lippen, ehe auch sie, gestreichelt von den Federn des Raben, wieder in die Arme des Herrn der Träume fand. ---

Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.IseWeine - 05 Aug 2019