Kleine Schritte

Kleine Schritte

Ort: Senalosch in den Vogteien Nilsitz

Zeit: Praios 1042 BF

Personen: Oberst DwaroschSohnDesDwalin und Ihre Gnaden MarboLieb sowie ein kleiner Unruhgeist namens Mirla.

Eine Briefspielgeschichte von RekkiThorkarson und IseWeine.

Inhalt: Von Kindern, ersten Schritten und Stachelbeerkompott. (Dokument hängt an).


Kleine Schritte

Praios 1042 BF
Draußen war Sommer. Alles, was  sich davon im Haus des Vogts zu Senalosch bemerkbar machte, waren die schrägen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in den oberirdisch gelegenen Speiseraum fielen und Myriaden von winzigen Staubkörnern als schimmernden Glitter in der Luft tanzen ließen.  Sehr zur  Freude der kleinen Mirla, die in einem der Sonnenflecken auf dem Boden spielte und ein auf’s andere Mal jauchzend versuchte, die tanzenden Funken einzufangen. Der hölzerne Löffel und die ebensolche Schüssel, die sie - zusammen mit einem ausgekochten, blanken und weißen Knochen - als Spielzeug in der Küche erbeutet hatte, lagen längst unbeachtet in der Ecke. Immer wieder griff sie mit ihren Kinderhändchen nach den flüchtigen Erscheinungen und eilte ihnen auf allen Vieren hinterher. Das Krabbeln hatte sie inzwischen sehr gut gelernt - zum insgeheimen Leidwesen ihrer Mutter, die mit einemmal alle Hände voll zu tun hatte, ihr Kind immer wieder einzufangen. Im Augenblick aber saß sie mit untergeschlagenen Beinen in einem der bequemen Sessel in der guten Stube des Vogtes, genoss die Wärme und war dabei, zufrieden einzudösen, sich sicher, dass ihr Kind in diesem Raum kaum Unheil würde anrichten und, wichtiger noch, in Gefahr geraten könne. Alles in allem bot die Szene das Bild häuslichen und sehr glücklichen Friedens. Bis Mirla abermals nach einer Staubmotte griff, diese aber mit einem eleganten Schnörkel über die Nase des Mädchens nach oben und direkt aus der fordernd gereckten Faust des Kindes gen Decke segelte. “Meins!” befahl die kleine, deren dunkles Haar wie der Flaum eines jungen Kätzchens um ihr energisches Gesicht wehte. Sie reckte sich, eine Hand stützend an einem Stuhl - und kam mit einem entschiedenen Plumps wieder auf ihren vier Buchstaben zu sitzen. “Meins!” deutlich fordernder diesesmal - und ebenso heftig das Plumpsen, als die Erde sie ohne Erbarmen zurückforderte. Energischer packte sie zu, zog sich wackelnd auf die Beine, verfehlte den leuchtenden Funken, blickte sich verwundert um - und setzte sich erneut zu Boden.

Der Oberst kam an diesem Morgen bereits vom Widdertor zurück, als sich Mutter und Tochter in der guten Stube eingefunden hatten. Dwarosch war früh aufgestanden und hatte einen Morgenappell in Mortrazrom, den Kasernen Isnatoschs, abgenommen, wo ein Teil seiner Soldaten stationiert war. Da alles zu seiner Zufriedenheit abgelaufen war, hatte Dwarosch ausnehmend gute Laune.  Marbolieb hörte den Zwergen bereits, als dieser zur Tür und damit in den Flur eintrat. Sein Kettenpanzer schepperte bei jedem seiner schweren Schritte. Genau dort, wo die Geweihte die Tür der Stube zum Flur wusste, endete das Scheppern ebenso wie die Schritte. Eine Zeitlang war es still, Marbolieb vernahm lediglich noch Topaxandrina, die in der Küche bereits dabei war, alles für das Mittagessen vorzubereiten. Dann lachte Dwarosch leise. “Sie versucht aufzustehen”, sprach er in einem sanften und sehr liebevollen Ton. Sie hörte, wie er lächelte.

Das Scheppern setzte wieder ein - ein, zwei, drei Schritte, dann klirrte die Kette, in die der Oberst gehüllt war, deutlich intensiver. Gleichzeitig knarrten die Dielenbohlen. Dwarosch hatte sich vor Mirla hingekniet und streckte ihr den Zeigefinger der Rechten entgegen, damit sie sich daran festhalten konnte. “Komm Mirlaxa, probier es noch einmal, ich helfe dir.” “Dado!” Das Kind strahlte über beide Backen, als sei jäh die Sonne aufgegangen, als es des Zwergen ansichtig wurde. Sie streckte beide Händchen in Dwaroschs Richtung, griff mit erstaunlich festem Griff nach dem Zeigefinger und schloss ihre kleine Hand darum, die vollständig um den einen Finger des bulligen Oberst passte. Energisch und mit einer Kraft, die Dwarosch einem so kleinen Kind kaum zugetraut hatte, zog sie sich an seinem Finger in die Höhe, aus vollem Herzen lachend. “Dado!” wiederholte sie, diesesmal mit einer entschieden triumphierenden Note - und blieb stehen. Ihre freie Hand fuchtelte, fand den Ärmel, und haschte dann energisch nach dem prachtvollen Bart des Zwergen, der indes - noch - außer Reichweite war. Mit voller Konzentration und zusammengezogenen, wunderschön geschwungenen Kleinkinderaugenbrauen fixierte sie die Manneszier des Angroscho, nahm alle Kraft zusammen und hob zitternd ein Beinchen, nur um es nach einem schwankenden Trippelschritt wieder einen halben Schritt weiter vorn abzusetzen. “Hah!" erklärte sie voller Triumph, verlor ihr Gleichgewicht und landete abermals auf ihrem Hinterteil. "Großartig Mirlaxa", beschied der Oberst und lachte erneut. "Na los, versuch es gleich nochmal", versuchte er das Kind zu ermutigen.  An Marbolieb gerichtet, jedoch ohne zu ihr aufzusehen, sprach er dann weiter, während sich Mirla wieder aufrappelte, um einen weiteren Anlauf zu nehmen.  "Räblein? Du verschläfst doch nicht etwa die ersten Schritte unserer kleinen Kriegerin, oder?"  Die Boroni hob den Kopf und versuchte, den wohligen Schleier warmen Dösens, der sie umfasst hatte, abzustreifen.  Sie schüttelte lächelnd den Kopf und ließ sich ebenfalls auf die Knie nieder, um auf die Höhe mit ihrer Tochter zu gelangen. Mit leicht schiefgelegtem Kopf lauschte sie den Anstrengungen des Mädchens, sich wieder aufzurichten, und mit einem zielstrebigen “Dado! Bat!” zum Ziel ihrer Wünsche zu gelangen. Schwer geriet Mirla diese Riesenaufgabe, hatte das Mädchen doch sein gesamtes Gewicht auf die kleinen Füßchen zu stemmen, die das gar nicht gewohnt waren. 

Erneut hängte sich Mirla an Dwaroschs Finger, zerknautschte vor Anstrengung ihr Gesicht und zog sich mit gewaltiger Kraftanstrengung wieder auf ihre Beinchen. Energisch streckte sie ihre freie Hand aus, stieß sich ab - und griff mit voller Kraft in die gepflegten Bartflechten des Oberst, die dieser rohen Gewalt wenig entgegenzusetzen hatten. “Hah! Dado! Meins!” berichtete Mirla ihren Triumph der Welt, sich nun mit beiden Händen in dem herrlich dichten Haar festhaltend. Ihre Augen strahlten und leuchteten unter den schräg einfallenden Sonnenstrahlen in einem tiefen, schimmernden Braun. “Bat,” kommentierte sie selbstzufrieden, sich mit beiden Händen fest- und auf den Beinen haltend. Dwarosch indes beschrieb Marbolieb mit seinen eigenen Worten das was er sah. Der liebevolle Klang seiner Stimme war dabei ebenso wenig zu überhören wie sein Stolz, die Begeisterung für diesen speziellen Moment im Leben Mirlas.  Dann wieder lobte er die Kleine für ihre Tapferkeit und begann tieftönend zu lachen, als sie sich in seinem Bart festhielt. "Geschafft!" Dwarosch drückte den kleinen Leib an den seinen und seufzte. Das kleine Mädchen jauchzte begeistert und drückte ihm einen nassen Kuss auf die bärtige Wange. Dann galt es eine neue Aufgabe zu stellen.  Vorsichtig löste er Mirla von sich, indem er sie hochhob und drehte, so dass sie ihre Mutter ansah. So setzte er sie wieder behutsam auf ihre Füßchen ab und gab ihr wieder seinen Finger als Halt. "So Mirlaxa und jetzt in die Arme von Mama", forderte er sie auf.  Marbolieb lachte leise und streckte die Arme aus, fast perfekt die Richtung von Dwarosch und Mirla treffend. Ihr Gesicht leuchtete im Schein der langen, staubdurchflirrten Sonnenbahnen, als sie abwartend die offenen Hände zu beiden richtete.

Mirla griff beherzt und mit einem siegessicheren Funkeln in den Augen nach Dwaroschs Finger und ließ sich mit einer vollkommenen Selbstverständlichkeit, in der das ganze vorbehaltlose Vertrauen des Kindes lag, zwei wackelnde, unsichere Schritte führen - und plumpste dann mit hellem Lachen mit ganzem Gewicht in die Arme seiner Mutter - und folgerichtig auf den Hosenboden. Strahlend blickte sie die beiden Großen an und streckte die Ärmchen aus. “Hoch!” entschied sie sich für die doch deutlich komfortablere Fortbewegungsweise - mit einer uralten und bislang immer erfolgreichen Geste. “Mein großartiges Mädchen.” Die blinde Boroni tastete nach dem flaumigen Haarschopf ihrer Tochter und küsste sie sachte auf die Stirn, in ihrer Geste und ihren Worten den gleichen Stolz und die gleiche Wärme, wie sie zuvor schon in der Stimme des kriegsgewohnten Zwergen gelegen hatte. "Ich denke nun wird es nicht mehr lange dauern, bis Mirlaxa ihre Welt auf eigene Faust erkundet, Räblein." In der Begeisterung, die Dwarosch immer noch versprühte, schwang nun auch ein wenig Sorge mit. Warum, wusste die Geweihte nur zu gut.

"Ihre Bewegungsradius erhöht sich und damit auch ihre Reichweite nach oben. Bald werde ihre kleinen Hände an die Tischkante kommen und nach allem greifen, was dort auch immer liegen mag."  “Und auf sie fallen kann.” Im Geiste räumte die blinde Boroni bereits sämtliche Messer und Krüge von der Nähe der Kanten. Sie seufzte, während sie noch immer ein breites Lächeln auf den Lippen und ihre Tochter in den Armen hielt. “Ich werde Topaxandrina fragen, ob sie mir etwas helfen kann - beim Aufpassen. Glaubst Du, dem Vogt wird es viel ausmachen, wenn wir hier darauf achten, dass nichts mehr an den Kanten steht? Es ist seine gute Stube - ich möchte nicht, dass Mirla hier Unheil anrichtet.” Sie tastete nach der Hand des Oberst und drückte sie. “Danke.”   Ihr Lächeln erhielt etwas Neckisches. “Wenn ich mich nicht allzusehr irre, hat sie gerade ihre ersten aufrechten Griffe in deinen Bart getan, nicht wahr? Ich fürchte, das gute Stück hat Einiges unter ihr zu leiden.” "Darum mach dir Mal keine Sorgen, Räblein", wiegelte Dwarosch sogleich ab. "Mein Bart ist Kummer gewohnt und zwar deutlich größeren und auch ganz sicher schwereren als Mirlaxa." Der Oberst schmunzelte.  "Was glaubst du macht jeder dahergelaufene Streithammel, der mir ans Leder und eines auswischen will?" Eine rhetorische Frage. "Er greift nach dem Bart und zieht kräftig daran, um mich sogleich mit seiner geballten Faust bekannt zu machen. Ja, in dieser Hinsicht ist so ein Bart nicht sonderlich praktisch, bietet er doch ebenso wie lange Haare immer einen Nachteil im Handgemenge.  Dennoch würde keine Angroscho ihn aus diesem Grund abrasieren. Ich glaube, Mirlaxa würde das schade finden und etwas vermissen, ebenso wie ich." Dwarosch lachte leise über seine eigene Behauptung. 

"Was die Sicherheit angeht waren Borax und ich uns stets bewusst, dass dieser Tag kommen würde. Topaxandrina wird ein wenig umräumen und schon einmal alle mit Gefahren verbundenen Türen mit dem dazugehörigen Schlüssel versehen und zusperren. Sie hat ja selbst Kinder, wie du weißt, und einige Erfahrung in diesen Dingen." “Der Vogt ist sehr großzügig - ebenso wie Topaxandrina. Der Armen machen wir die meiste Arbeit.” Marbolieb ließ ihre Hand an Dwaroschs Arm emporwandern und legte ihren Arm um seine Schultern. Mirla blickte auf, grinste über beide Backen, erklärte “Bat!” und hängte sich, sicher auf dem Arm ihrer Mutter, abermals mit beiden Händen in das Objekt ihrer großen Begierde - und Bewunderung, die Kuben und Perlen mit neugierigen, forschenden Händchen befingernd und drehend. “Ich würde mich ihnen gegenüber gerne erkenntlich zeigen. Aber ich weiß nicht so recht, wie ich das anstellen soll. Hättest Du einen Vorschlag?” Ein warmes Lächeln überzog die feinen Züge der kleinen Boroni, als sie mit einem zufriedenen Seufzen ihren Kopf an Dwaroschs Schläfe lehnte, mehr als glücklich mit dem Hier und Jetzt. "Borax wird dir und den Rittern des Rabenordens ewig dankbar sein für das, was ihr im Heiligtum des Flussvaters und in den Kavernen unter Burg Nilsitz getan habt, Räblein. Es ist nicht nötig, sich bei ihm erkenntlich zu zeigen und ich glaube, das gleiche gilt auch für Topaxandrina, die Mirlaxa ebenso ins Herz geschlossen hat wie der Vogt. Sie sind froh, dass mit ihr etwas Leben eingekehrt ist hier." Dwarosch schmunzelte und musste an die vielen kleinen Momente denken, in denen Marboliebs Tochter die Einwohner des Stadthauses auf Trab gehalten hatte.  "Aber eine Sache fällt mir ein", meinte der Oberst nach einer kleinen Pause. "Topaxandrina liebt Stachelbeerkompott." Dwarosch schüttelte sich nur bei dem Gedanken. "Borax und ich rühren das nicht an, deswegen macht sie es nicht mehr, weil es ihr zu viel Aufwand ist.  Wie wäre es, wenn wir das machen würden und dazu einen Zopfkuchen backen? Ich weiß, dass sie Topalina, ihre Tochter, in ein paar Tagen besuchen gehen wird. Das wäre eine passende Gelegenheit." “Kompott?” Marbolieb runzelte die Stirn. “Das klingt nach einer wunderbaren Idee, Dwarosch - aber ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wie man so etwas kocht. Zopfkuchen kneten kann ich immerhin - da habe ich Topaxandrina schon einigemale geholfen.” Sie grübelte einige Augenblicke. “Hilfst Du mir dabei?” Ein kleines, schelmisches Grinsen blitzte in ihren Augen. “Dann starten wir in ein paar Tagen das Abenteuer.” Freiwillig diesesmal - eine wirklich schöne Abwechslung. Zumindest die Küche würde hinterher garantiert abenteuerlich aussehen - Mirla ließ sich das Mithelfen ganz sicher nicht nehmen, und auch Marbolieb selbst war keine auch nur ansatzweise fähige Köchin, dafür aber umso geübter darin, hinterher sauber zu machen. Das beherrschte sie nahezu perfekt.  Für den Moment aber war das Kind still zufrieden und vollauf damit beschäftigt, zu versuchen, eine besonders hübsche Bartperle aus dem Kinnschmuck des Oberst zu entwenden und dabei energisch gegen alle Widerstände anzugehen, die diese - noch - am Platz hielten.

"Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, du würdest wissen, wie man Kompott macht." Dwarosch plusterte die Backen auf und stieß die Luft danach in einem langen Stoß aus.  "Gut, dann wird das in der Tat ein Abenteuer", sprach der Zwerg mit einer gehörigen Portion Selbstironie. "Am besten ich frage Antharax, ob Pyriet weiß, wie er gemacht wird. Stachelbeeren bekomme ich hoffentlich auf dem Markt." Dwarosch legte die Arme um Marbolieb und küsste sie sanft. "Auch das kriegen wir gemeinsam hin. Das wäre ja gelacht."

-- Main.IseWeine - 15 Dec 2019