Jedem Seine Erfahrungen

Jedem seine Erfahrungen

Nach dem Essen war Ise im Schloss aufgetaucht. Sie sah müde aus, aber ihre Augen leuchteten als wäre der Schalk hinein gefahren und sie wirkte auf erstaunliche Art erfrischt und ... fröhlich. Zu Yoldes Unmut hatte die alte Geweihte Elgor, Sulvana, Ful und Grif mitgebracht. Ise stellte sie gegenüber Praiotrud als vier Akuluthen der Tsakirche vor, die sich bekennen wollten, mit Yolde gemeinsam die Schmierereien an die Gemälde und Skulpturen geschmiert zu haben. Wütend hatte Yolde erst die Praiosgeweihte angefunkelt, als diese sie zufrieden angelächelt hatte, und sich dann mit ihren Freunden gestritten.

Sie hatten doch entschieden, dass Yolde die Schuld auf sich nähme, sollte es jemals zu einer solchen Situation kommen?

Borix verabschiedete sich nach dem Essen rasch, um seiner Frau von seinen Erlebnissen zu erzählen. Ein junger Novize, der im Moment von Rahjan ausgebildet wurde, hatte sich angeboten, dem älteren Tsageweihten die müden Muskeln zu lockern. Quindan war gerne darauf eingegangen. Die letzten Tage hatten ihm alles abverlangt. Alles.

Ruhe und Harmonie, die der Rahjani ihm geben mochte, waren das, was er brauchte.

Rahjan selbst lud die übrigen der Gruppe ins Badehaus ein. Er empfahl ein heißes Bad, eine entspannende Massage oder einen ruhigen Spaziergang im Garten.

Ise saß auf den Stufen des Badehauses. Die Harmonie des Rahjaschreins hatte sich um sie gelegt und sie lächelte still in die Wipfel der Bäume, die aus den Tiefen der Wälder herausragten. Der Abend starb und mit ihm der Tag. Yolde war erbost auf sie zugestapft. Die anderen vier „Schmierfinken“-wie die alte, verbohrte Praiotin sie genannt hatte - waren bei Verwandten im Ort untergekommen.

„Soviel Feuer, meine Liebe?“ Ise klopfte neben sich auf die Stufe. Und Yolde liess sich schnaubend nieder: „Wieso hast du sie mitgebracht. Es ist gefährlich!“ Herrschte sie die alte Frau an, wenngleich man ihr Bemühen bemerkte, sich zurück zu halten. Ises kleine, runzlige Hand legte sich behutsam auf Yoldes Knie: „Du möchtest Veränderung erzwingen. Aber manchmal muss man ihr einfach nur Raum geben.“

Yoldes Hände verkrampften sich, doch ehe sie etwas erwidern konnte, hatte Ise ein Prisma aus der Tasche gezogen und ließ es nun vor den Augen der anderen baumeln. „Dein Leben wird dich noch weit führen. Da bin ich sicher. Vielleicht wirst du eines Tages an dem Punkt sein, an dem ich bin.“ Die alten Finger fuhren durch den Regenbogen, der sich vor Yoldes Augen zeigte.

„Was ist Wahrheit, Yolde? Was bedeutet Gerechtigkeit? Hast du Recht, wenn du Gerechtigkeit willst und die vielen rahjanischen Kunstwerke zerstörst? Hat Praiotrud recht, die stets von...“, die Alte überlegte kurz… Kramte in ihrem Gedächtnis: „‘Formaljuristischer‘ Korrektheit spricht? Hat Quindan recht, wenn er Rache will? Oder gar der Baron?“ sie tippte das Prisma an und ließ den Regenbogen so vor Yoldes Augen tanzen. „als er Tsalinde einsperren ließ, weil sie nicht darauf geachtet hatte, was seine Kinder nachts machten?“

Yolde schnappte nach Luft und starrte in den tanzenden Regenbogen vor ihren Augen. „Versuche das zu ergründen.“

Und Ises Zeigefinger glitt durch die Luft und bewegte sich vor dem Prisma auf und ab.

„Das Wirkliche. Das Wahre. Wir können es nicht sehen. Nur das.“

Und ihr Finger glitt auf der rückwärtigen Seite des handtellergrossen Steins durch die Strahlen des Regenbogens.

„Manche Menschen werden niemals mehr als eine Farbe sehen. Nur den einen Teil der Wahrheit, den sie sehen wollen. Nur den einen Aspekt von Gerechtigkeit, der in ihre Sicht auf die Welt passt.“ Sie nahm sachte Yoldes Hand. „Aber womöglich ist es besser, wenn wir den ganzen Regenbogen im Auge behalten. Ein besseres Bild der Wahrheit werden wir niemals bekommen. “

Rahjan lehnte am Eingang des Badeshauses als die beiden Tsageweihten ihr Gespräch führten. Er hörte ihnen zu und blickte über die Baronie hinweg. Ins Tal. Und lächelte. Als Maeve auf ihn zutrat, zog er sie sacht in eine leichte Umarmung.

Sie genoss seine achtsame Berührung und erkannte, dass sie sich nach Rozens tröstender Umarmung gesehnt hatte. (Maeve)

Mit der freien Hand deutete er über die Aussicht: „Wunderschön nicht wahr?“ (Rahjan)

Sie folgte seinem Blick über das Tal und den über dem Wasserfall aufsteigenden Dunstschleier in dem sich das Licht brach – so als ob dort ein Prisma schwebte und nicht hier in Ises Hand pendelte. Maeve spürte deutlich, dass (Maeve)

Rahjan gelöst und entspannt zu sein schien. Als wäre etwas passiert, das ihm überaus gut gefiel. (Rahjan)

<a name="_1fob9te"></a>Seine Stimmung griff langsam auf sie über, während die Novizin den Blick über dieses perfekte Gemälde des Tals gleiten ließ. In dem Durcheinander, dass aus ihrem Leben binnen eines Praioslaufs geworden war, vermochte sie wieder etwas Frieden zu spüren und war dankbar dafür. Still rannen ihr Tränen übers Gesicht und fielen schwer auf Rahjans Arm – doch sie sagte kein Wort.

Nach einer innigen Weile fragte sie leise und vertraulich: „Woher nimmst du die Kraft und die Einsicht, das Richtige zu tun? Die Göttin weist uns nicht immer den Weg. Wie entscheiden wir, welcher der Richtige ist und welcher nicht?“ (Maeve)

Rahjan zog die junge Frau einen Moment ein Stückchen näher, ließ ihren schmalen Körper aber sofort zurück gleiten. Er schwieg zwei Atemzüge lang. Lächelnd. Er dachte an Rike und an Vieskar. Seine Freunde. Nicht Freunde des Glaubens. Freunde des Herzens. Dann deutete er auf die junge Tsageweihte. Er hatte geglaubt eine Verbundenheit zwischen den beiden jungen Frauen zu spüren, auf die er nun hinwies: „Denkst du denn, dass es einen einzigen richtigen Weg geben muss?“ (Rahjan)

„Nein, du hast sicher Recht – es gibt nicht nur einen Weg. Aber doch eine Richtung zu Rahja in die unterschiedliche Wege führen.“

Kurz fiel sie in Schweigen und hob dann wieder an: „In den letzten Stunden bin ich kaum dem Weg der Harmonie gefolgt, wie mir gelehrt worden ist. Im Gegenteil – ich habe vielleicht das erste Mal geliebt, um meiner Selbst willen und die Gebote der Herrin gebeugt oder sogar gebrochen, habe mit Leidenschaft argumentiert und Partei ergriffen. All das wurde mir gewährt, da Rozen nicht zugegen war und Tassilo mir nicht Einhalt geboten hat...

<a name="_3znysh7"></a>Ich fühle Wut auf mich selbst und Enttäuschung über Tassilo, dass er als Geweihter und Vorbild so wenig beigetragen hat. Aber ohne ihn und sein Verhalten würde ich nun auch nicht mit dir reden – und dir meine Zweifel mitteilen können…

Tatsächlich weiß ich gerade nicht, ob ich noch der Richtung der Göttin folge, denn all mein Streben kommt mir so sinnlos vor, da sich nichts verändert hat. Nicht zum Besseren zumindest. Aber vielleicht ist auch das die Prüfung… eine des Glaubens... immerhin vermochte auch Rozen der Baronin nicht zu helfen…?“, unsicher blickte sie Rahjan an. (Maeve)

<a name="_2et92p0"></a>Dieser wand den Kopf sachte in ihre Richtung und musterte Maeve lange aus unergründlichen Augen. Es schien, als würde er nicht nur auf eine warme und behutsame Weise ihre Augen betrachten, sondern auch ihr Wesen ergründen wollen.
Als er das Gesuchte gefunden zu haben schien, begann er, ohne den Augenkontakt zu verlieren, sanft zu sprechen: "Mein Meister sagte einmal zu mir: 'Rahtschan'". Er hob belehrend den Zeigefinger der freien Hand und betonte seinen eigenen Namen mit einem gespielt scharfen und übertriebenen tulamidischen Akzent. Weich und akzentfrei fuhr er fort, als er die Hand wieder senkte: "In der Finsternis wird selbst der kleinste Funke zu einem Leuchtfeuer. Und so sind es nun auch die dunkelsten Stunden, in denen das Schönste im Menschen aufflammt. Diesen Moment zu erkennen, birgt für uns die Möglichkeit, einen unverschleierten Blick auf seine Seele zu werfen. - Und jetzt steh' auf du versoffener Ackergaul, die anderen trainieren bereits seit vier Stundengläsern." Er musste aufgrund der Erinnerung unweigerlich grinsen und richtete seinen Blick wieder über das Tal. Liebevoll und ohne Spott ergänzte er: "Der alte Bock hatte es schon wirklich nicht leicht mit mir."
Noch schmunzelnd fuhr er fort: "Weißt du, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Funken zu sammeln. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen verhält es sich mit der Schönheit nämlich so, dass sie sich durchs Teilen mehrt. Dieser wunderschöne Ausblick hier vor uns wird für mich nicht weniger schön, weil du ihn mit mir teilst. Im Gegenteil. Er wird durch deine Gegenwart sogar schöner." Er zog sie noch einmal sanft an sich, um das Gesagte zu unterstreichen.
Ein weiterer Augenblick angenehmer Stille verstrich, bevor Rahjan in überraschend ernstem Ton weitersprach: "Jeder Mensch ist schön, Maeve. Und jeder Mensch hat es verdient, geliebt zu werden, egal wer er ist oder was er getan hat. Doch es sind leider oft erst die dunklen Momente, in denen wir das erkennen. Die schöne Göttin liebt uns alle. Bedingungslos. Und somit sollten auch wir dies zumindest versuchen. Das ist nicht immer leicht." Einen Herzschlag blickte er in die Leere. Seine Stimmung hellte sich jedoch schlagartig auf, als er sie wieder anschaute. Er wischte ihr sanft eine halb getrocknete Träne von der Wange - wie als Ausgleich zu der, die er nun selbst verlor. "Aber gerade das ist ja auch das Schöne an der ganzen Sache. Es ist in Ordnung, Fehler zu begehen. Es ist in Ordnung, zu straucheln und vom Weg abzukommen. Es ist sogar wichtig für unsere Entwicklung und unabdingbar für unser Vorankommen. Jeder Fehlschlag und jedes Versagen gibt dir die Chance auf einen neuen Funken. Und ob es dann dein eigener oder ein fremder ist, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du sie erkennst und nutzt. Wenn du das verstanden hast, und du gelernt hast, dir selbst und anderen zu vergeben, dann wirst du einen bedeutenden Schritt weiter sein. Weiter als ich in deinem Alter. Sieh die Welt, wie sie ist. Die Welt ist hart. Und die Welt ist schön. Liebe! Hasse! Fühle! Das alles gehört nun mal dazu. Ich selbst bin gerade sehr glücklich. Ich habe in den vergangenen dunklen Stunden einen besonders kleinen Funken gefunden." Mit einem verschwörerischen Grinsen beugte er sich zu ihrem Ohr und flüsterte: "Das sind die wertvollsten."
Rahjan bedachte Maeve mit einem zärtlichen Kuss auf die Schläfe und beobachtete dann schweigend ein paar Blätter, die das Tal tanzend herab wirbelten. (Rahjan)

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Die Novizin folgte seinem Blick und den Blättern, die immer kleiner wurden und schließlich außer Sicht kamen. Für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich wie diese Blätter – getrieben vom Wind, in diesem anmutigen Reigen gefangen und so schön wie Rahjan es jedem Menschen zugesprochen hatte.

Und doch waren die Blätter den Elementen ausgeliefert. Ohne Willen, ohne Wahl.

Und sie, Maeve, hatte in diesem letzten Praioslauf oft gewählt - oder war gewählt worden: Ihre Visionen am Wasserfall, das Gefühl von Vergebung inmitten gemeinsamer Musik, Yolde...

Maeve wusste nicht, ob sie selbst mit dem kleinen Funken gemeint war, aber sie begriff, dass Rahjan ihr gerade einen bedeutsamen Weg gewiesen hatte. Obwohl er ihr nicht so nah stand wie Rozen, ahnte sie langsam, dass Nähe nicht immer notwendig war, um von anderen zu lernen – über sich selbst zu lernen.

Auch Yolde hatte sie nicht gekannt, bevor sie gemeinsam die Nacht verbracht hatten. Gerade diese Nacht aber ließ sie zweifeln, ob sie im Stande war, der Göttin ihre bedingungslose Liebe zu schenken: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich so weit bin, wie du vielleicht glaubst, Rahtschan.“

Aufgrund ihrer Mentorin kam ihr das Tulamidya leicht über die Lippen – ganz im Gegensatz zu dem nun wieder mit Macht zurückkehrenden Durcheinander in ihrem Inneren: „Ich fühle mich gerade dazwischen… durcheinander... ohne Orientierung. Ich ...weiß zwar, dass...“.

Sie brach ab und begann nochmals von vorne: „...ich habe erst hier auf Eisenstein unter dem Wasserfall das erste Mal gelernt, was Ekstase heißt, als sich mir die Herrin in buntem Licht inmitten der kalten Wasser offenbarte und mir einen Kuss schenkte. Dort sprach sie von ihrem Weg, und dass er in meinem Herzen zu meinem wird, wenn ich mich für das Neue oder das Bekannte entscheide. Und dann hörte ich eine andere Stimme, die mir verhieß, in Güte der silberweißen Schwänin zu folgen.

Das war das letzte, bevor ich dem Tode nah war…, in kaltem Wasser gefangen, konnte ich dem Meer entkommen und auf eisbedecktes Land treten, mein Blut und meine Tränen fielen mir zu Füßen in den Schnee.“

Sie hielt einen kurzen Moment inne: „Danach bin ich wohl von Lares und Rozen gerettet worden und konnte später tatsächlich das erste Mal vergeben, was damals im Krieg geschehen ist.“

Schlicht sagte sie ohne Groll: „Damals ist meine Familie getötet worden und gestern konnte ich das loslassen. Sonst hätte ich nicht Flöte spielen können am Konzertplatz.“

Maeve nickte langsam: „Es ist wie du sagst – die Liebe der Herrin hat mich begleitet, durch Rozen, durch Yolde und heute durch dich.

Aber jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll oder tun kann. Für Quindan, für Yolde, die Baronin und vielleicht auch für mich selbst“. (Maeve)

"Will man seine eigenen Probleme lösen, ist es manchmal der Beste Weg, zunächst die Probleme eines Anderen zu lösen. Doch willst du hingegen die Probleme eines Anderen lösen, löse zunächst die Eigenen." Rahjan blickte Maeve mit diesen Worten wieder sanft an.

"Das mag zunächst verwirrend und widersprüchlich klingen, aber es ist eigentlich ganz einfach. Du fühlst dich innerlich zerrissen. Du bist, wie du gesagt hast, orientierungslos und weißt noch nicht so recht wo dein Platz ist. Und zusätzlich versuchst du auch noch, die Probleme der Anderen zu lösen. Ein ehrbares Anliegen, doch ich muss dir sagen, dass es zum Scheitern verurteilt ist. Um Anderen zu helfen, musst du dich auf dich selbst verlassen können."

Er machte eine kurze Pause, um das Gesagte einsinken zu lassen. (Rahjan)

Maeve erkannte die Wahrheit eines Ideals in den Worten Rahjans und wusste dennoch, dass es möglich war, anderen zu helfen oder beizustehen, selbst wenn man selbst nicht ganz war. Sie hatte es immer als Gnade der Götter genommen, dass sie trotz der Last, die sie trug, auch anderen zu helfen vermochte – es schien ähnlich wie ihr Gedanke, dass Nähe nicht unbedingt notwendig war, um von anderen zu lernen. Dennoch war natürlich derjenige, der in sich selbst ruhte, Herausforderungen eher gewachsen, als ein belasteter Mensch – und das galt natürlich insbesondere für eine angehende Rahjageweihte. (Maeve)

"Weißt du, manchmal ist die einfachste Lösung zugleich die schwierigste.

Lass es mich dir erklären: Quindan und Yolde darfst du in der aktuellen Situation nicht helfen. Sie haben etwas Falsches getan und müssen jetzt die Konsequenzen dafür tragen."

Als sie instinktiv aufbegehren wollte, (Maeve)

erhob e r bel ehrend den Zeigefinger, um nicht unterbrochen zu werden. "Das ist der Preis dafür, dass wir immer eine Wahl haben, in dem was wir tun. Der Baronin hingegen, kannst du nicht helfen. Die Last, die auf ihr liegt, ist zu groß für deine Schultern. Für diese Art von Seelsorge bist du noch nicht bereit. Und wie du dir selbst helfen sollst, weißt du in all dem Schlamassel auch nicht.

Was du nun tun kannst, ist abwarten. Nichts tun ist sehr leicht und gleichzeitig scheinbar unendlich schwierig. Das Gefühl der Hilflosigkeit wird dir im Leben vermutlich noch öfters zuteil werden. Akzeptiere dieses Gefühl, doch lass dich nicht davon überwältigen.

Nachdem diese unangenehme Wahrheit erst einmal raus ist, nun die gute Nachricht: Du musst das nicht alles alleine bewältigen. Du hast Freunde, die dich in deinem Vorhaben unterstützen können und offensichtlich sind auch die Götter auf deiner Seite. Selbst Fremde kannst du um Hilfe fragen, wenn sie dir freundlich gesonnen sind. Du bist zu mir gekommen und ich möchte dir deshalb auch etwas von deiner Last abnehmen. Die Baronin ist in sehr guten Händen. Ein wirklich sehr freundlicher Traviageweihter und Freund, Vieskar, hat sich ihrer Belange bereits angenommen. Es wird ein sehr langer und anstrengender Weg für ihn sein, ihr Leiden zu lindern, geschweige denn es zu lösen. Die jüngsten Geschehnisse waren nur ein Bruchteil davon. Doch ich bin davon überzeugt, dass er der Richtige dafür ist. Ich unterstütze ihn, wo ich nur kann.

Was Quindan, Yolde und die anderen angeht - ich werde Morgen bei der Besprechung mit ihrer Kirche" - und er deutete auf Ise, die nur wenige Schritt entfernt saß und seinen Worten leise lauschte - "anwesend sein und die Baroness ebenso beraten wie Praiotrud es tun wird. Du musst dich nicht um sie kümmern. Ich verspreche dir, sie werden eine gerechte Strafe erhalten." Mit einem Zwinkern unterstrich er ein unausgesprochenes Versprechen. "Ich glaube, die Baroness hat gestern denselben kleinen Funken gespürt wie ich. Sie wird womöglich weiser und gerechter entscheiden als ihr alle ihr zutraut." (Rahja n)

<a name="_tyjcwt"></a>Maeve konnte noch immer nicht verstehen, welchen kleinen Funken Rahjan meinte, doch Rahjans Vertrauen in Prianna machte ihr Hoffnung. Sie spürte jedoch, dass es ihr noch immer schwerfiel, das gleiche Vertrauen aufzubringen – sie vermutete, dass ihre schlechte Meinung über den Vaters auf die Tochter abfärbte und kam sich ungnädig vor. (Maeve)

Rahjan betrachtete die Frau vor sich wieder mit einem etwas durchdringenderen Blick und tippte ihr mit dem Zeigefinger sanft auf die Nase.

"Und somit bleibst nur noch du. Losgelöst und frei von der Last, den anderen helfen zu müssen, werde ich dir nun eine Aufgabe stellen." (Rahjan)

Unsicher blickte die Novizin Rahjan an, als dieser nach kurzer Pause fortfuhr: (Maeve)

"Aber keine Angst, es wird keine Konsequenzen haben, solltest du meinen Vorschlag ablehnen. Akzeptierst du ihn hingegen, werde ich dich auf deinem Weg unterstützen so gut ich kann.

Ich möchte, dass du deine Weihe um einen Götterlauf verschiebst. Ich möchte, dass du diese Zeit nutzt, um die Götter, die ein Augenmerk auf dich geworfen haben, besser zu verstehen. Du sollst mehr über ihr Wesen erfahren, damit du herausfinden kannst, ob die heitere Herrin die richtige Wahl für dich war und ist. Ich möchte dir in Rahjas Namen zeigen, was ich mit meinen Freunden - Vieskar, der Travia, Ivetta, die Peraine. Glöckchen, die Tsa und ich, der unserer heiteren Herrin dient - tue, um den Menschen nach dem Krieg zu helfen.

Außerdem würde ich dir gerne Mikael, den du ja bereits getroffen hast, vorstellen, damit du auch eine Weile der silberweißen Schwänin folgen kannst." Er warf einen vielsagenden Blick in Richtung Yolde. "Und für den Pfad der jungen Göttin kann ich mir neben Glöckchen auch noch eine andere gute Begleitung für dich vorstellen." Er lächelte Maeve freundlich an. "Eine Tugend teilen sich diese Göttinnen nämlich: Güte. Ich halte dich für einen guten Menschen. Du hast das Herz am rechten Fleck. Deinen Funken zu finden, war nicht schwer, er ist recht hell. Was sagst du zu meiner Aufgabe, nimmst du sie an? Wenn du das möchtest, bespreche ich meinen Vorschlag auch mit Rozen." (Rahjan)

‚Ein Blatt im Wind…‘ Es war dem Wind zwar ausgeliefert, wurde aber auch von ihm getragen – weiter als sein eigenes Gewicht es vermocht hätte – und: ‚… es musste nicht entscheiden! Noch nicht!‘

„Wie könnte ich ablehnen, da ich in der Zeit hier meine Grenzen aufgezeigt bekommen, aber auch einen Ausblick darüber hinaus erhalten habe.“

Sie schluckte, da sie sich wieder auf jungfräulichen Schnee treten sah, auf einen Weg, der nicht vorgezeichnet, aber steinig war. Er würde ihr vieles abverlangen, soviel war sicher.

Sie schluckte schwer, als ihre Gedanken zu Rozen schweiften und die Ungerechtigkeit, die in dieser Entscheidung lag. Maeves Augen füllten sich mit Tränen.

Langsam nickte sie: „Wie lange es auch dauert, die Zeit wird mir die Möglichkeit geben, mich selbst und meinen Platz zu finden. Denn welchen Weg ich schließlich auch einschlagen werde, die Tage hier haben mir auch einen Ausblick gewährt, was alles möglich ist! Aber ich werde selbst mit Rozen sprechen, hab‘ dank Rahjan“, und aus ihrer Stimme sprachen neben Trauer auch Hoffnung und Entschlossenheit. (Maeve)

Die anderen, die in den letzten beiden Tagen den Weg auf sich genommen hatten, die junge Baroness zu suchen, hingen eigenen Gedanken nach, während sie den Geweihten zu hörten.

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020