Im Rattennest Ende Gut Alles Gut

<-- Kapitel 4 - Rattenangriff


Kapitel 5 – Ende gut, alles gut?

Am nächsten Morgen

Erst am Morgen des nächsten Tages, nach dem geruht und aufgebrachte Gemüter sich beruhigt hatten, wählte die Baronin von Schweinsfold und ihre Vögtin den Traviatempel zu einem weiteren Treffpunkt. Im heimligen Tempel, vor einem großen Herdfeuer und an einer langen Tafel, saßen bei Brot und Bier, die Bannstrahler, Mutter Elva und das jetztige Tempelpaar Regintrud und Ganterhorst, Hüter Karolan, sowie der Stadtvogt.

“Gebt eurer Soldatin ein paar Tage der Ruhe im Tempel. Sie hat Schlimmes erlebt, doch scheint es, dass Lucilla schnell zu Kräften kommt und ihr Geist sich ordnet. Sie hat einen starken Willen und hat auch schon nach euch gefragt, Bannerführer.”, sagte der Boroni mit tiefer Stimme.

Linnart nickte dem Borongeweihten dankbar zu. Seine Augen wirkten schwer und das Antlitz müde. Es war das erste Mal, dass ein Ordensbruder unter seiner Verantwortung sein Leben ließ. Und für den jungen Traurigsteiner war das Wort Ordensbruder oder Ordensschwester keine leere Hülse. Die jungen Männer und Frauen waren tatsächlich wie Geschwister für ihn und gerade in Geiselhard und Lucilla konnte er sich selbst und Aurea als Knappen erkennen - auch wenn sie damals jünger waren als die beiden Waffenknechte heute. Sie waren genauso leichtsinnig und übermütig gewesen, hatten Befehle missachtet und wurden dafür mit Schlägen und Exerzitien bestraft … ja, auch sie meinten es könne ihnen nichts geschehen, weil sie den Willen des Herren Alverans ausführten. Der Verlust traf Linnart vielleicht auch deswegen besonders hart. Deshalb war es für den Befehlshaber dieser Mission auch eine Selbstverständlichkeit die Hälfte der Nacht als Ehrenwache an der Seite des Sargs mit den sterblichen Überresten seines Waffenknechts zu wachen. Sie hatten beschlossen, den Leichnam Geiselharts nach Kyndoch zu überführen und ihn in der Gruft des Klosters beizusetzen. Die herrschenden Temperaturen im Winter ließen dies zu.

"Ich werde später mit ihr sprechen. Habt Dank, Hochwürden", Linnart wandte sich für einen Moment zu Praida um, deren große braune Augen ausdruckslos die Baronin musterten, dann wandte auch er sich Selinde zu.

"Hochgeboren, wir haben die Katakomben unter der Stadt so gut es geht gereinigt und von namenlosen Einflüssen befreit, doch ist die Gefahr mit Sicherheit nicht gebannt. Dem Tempel muss sich angenommen werden und auch der Kult könnte immer noch existieren. Seid aufmerksam. Die Gemeinschaft des Lichts wird Euch dahingehend unterstützen. Ihre Gnaden von Halberg wird mit einer Hand Ordenskrieger in der Stadt bleiben und Euch bei der Reinigung und dem Schutz des Unheiligtums unterstützen ... solange diese Unterstützung gebraucht wird. Auch ich werde mit zwei Ordenskriegern noch ein paar Tage hier in der Stadt bleiben um der Geschichte mit den Kelchen nachzugehen." Sein Blick ging zwischen der Vögtin und der Baronin hin und her.

Die junge Frau straffte sich und wirkte auf einmal weniger jugendlich. “Wir sind euch sehr zu Dank verpflichtet. Und wir können jetzt nur noch beten, dass dort unten nichts mehr ist. Für ihre Gnaden von Halberg und die Ordenskriegern, werden wir veranlassen, eine gute Unterkunft herzurichten. Der Ritterturm ist zurzeit verwaist und ist nur ein Augenblick vom Praiostempel entfernt. So ist frau gleich vor Ort.” Selinde faltete die Hände und sprach ernst weiter. “ Wir haben Pläne was dem Tempel angeht. Aber hierfür erwarten wir noch Besuch. Etwas, das im Sinne der Kirchen, Schweinsfold und ja, meiner Großmutter Selinde sein wird.” Nun tauschte die Baronin einen Blick mit Mutter Elva aus. Auch diese hatte einen ernsten Gesichtsausdruck und wandte sich an Linnart.

“Die Kelche, ja. Erst wussten wir ja nichts davon, bis uns berichtet wurde das der Junker von Wolfszahn und die Golgaritin von Moorbrück einen geborgen und wegbringen ließ. Es soll ebenfalls eine Chronik aus dem Unheiligtum weggebracht worden sein. Ich nehme an, da wird sich mehr darüber finden lassen.” Der Blick der Greisin blieb nüchtern, doch dann erhob sie ihren Zeigefinger. “Nachdem uns der Verrat vom Stadtrichter und seinen Kindern bekannt wurde, habe ich mich um etwas Nachforschung bemüht. Zusammen mit Stadtvogt von Sturmfels habe ich etwas zusammengetragen, das euch vielleicht weiterhelfen könnte. Herr Hintersass führte Korrespondenz zu einem gewissen Salman von Plückbach. Plückbach liegt in Rickenhausen und hat dort auch ein Edlengeschlecht. Ein Kelch wird erwähnt.” Nun war es Joram der sich bewegte und dem Traurigensteiner einen Bündel Briefe zu schob.

Der diese mit einem dankbaren Nicken entgegen nahm. “Ich danke Euch. Das sind sehr wertvolle Informationen. Dann werde ich diesem Edlen einmal einen Besuch abstatten.” Linnart lächelte den Umsitzenden zu. “Solltet Ihr einmal die Hilfe des Ordens oder der Kirche benötigen … Ihr könnt Euch jederzeit bei mir melden.” Neben dem Ritter löste Praida ihren Blick von der Baronin und sah nun Linnart mit gerunzelter Stirn an. Das war für gewöhnlich kein Angebot, das man so machen durfte, doch war der Mann gegenwärtig … noch … ihr Vorgesetzter und dessen Wort zu hinterfragen wäre eine Sünde. “Ich weiß bestimmt die richtigen Hebel in Bewegung zu setzen und wenn nicht, dann weiß ich an wen man sich am besten wenden kann. Mögen die Zwölf mit Euch sein, Hochgeboren. Praios ihnen voran.”

***


Tempel des Raben, Herzogenfurt, zwei Tage danach


Ein weiteres Pochen an die Tür erinnerte Lucilla daran, dass man auf sie wartete. Noch immer fühlte sie sich ein wenig schwach auf den Beinen, doch galt es jetzt Stärke zu zeigen. Die karge Kammer im Borontempel hatte ein einfaches Feldbett und einen ermattenden Spiegel an der Wand. Mit schnellen und gewohnten Handgriffen richtete sie das Bett her und betrachtete sich danach kurz im Spiegel. Blass war sie und noch immer zeigten die dunklen Ränder unter ihren Augen die leichte Erschöpfung. Vorsichtig strich sie sich über Wangen und Lippen. Ein drittes Klopfen riss sie endgültig aus ihren Gedanken und sie verließ die Kammer.

Gemächlich schritt sie durch den Speisesaal, bis ihr ein junger Mann in grauer Kutte auffiel. Dieser saß an einem Tisch und hatte sein halblanges Haar hinter seine Ohren geschoben. In seiner rechten Hand hielt er eine Schüssel und in seiner Linken einen hölzernen Löffel. Der Duft von Kohlsuppe stieg Lucilla in die Nase und erinnerte ihren Magen daran, dass sie Hunger hatte. Der Mann sprang plötzlich auf und starrte sie erschrocken an. Verzerrte Worte kamen aus seinem Mund, ohne dass sie einen Sinn ergaben, besser gesagt waren es nur Geräusche.

Die Novizin, die die Bannstrahlerin nach draußen begleiten sollte, hielt inne und ging auf ihn zu. “Beruhige dich Arik, alles ist in Ordnung.” redete sie sanft auf ihn ein. Dieser zog sich in eine Ecke zurück, den Blick immer noch auf Lucilla gerichtet. “Verzeiht. Arik hat viel erlebt. Man hat ihm die Zunge rausgeschnitten”, sagte die Novizin fast entschuldigend.

“Macht euch keine Sorgen, Schwester. Kümmert euch um ihn, ich finde den Weg allein nach draußen.” Lucilla nickte nochmals und ging. Doch bevor sie den Speisesaal verließ, schaute sie nochmals zu Arik und grinste. Ja, er hatte sie erkannt, doch keiner wird ihm glauben. Lichthild Hintersass, die jetzt Lucilla von Wiesenthurm hieß, hatte jetzt eine neue Rolle zu spielen.

Das Licht blendete sie, als ihr das Tor nach draußen geöffnet wurde und sie rieb sich kurz die Augen. Sie salutierte. “In Praios Namen, ich bin bereit zu Diensten!” Dann warf sie einen verführerischen Blick und Lächeln ihrem Vorgesetzten zu, Linnart vom Traurigen Stein.

-Ende-