Im Rattennest Die Ankunft

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Kapitel 1 - Die Ankunft

Stadt Herzogenfurt, Hesinde 1043 BF

Langsam aber sicher bewegte sich das Praiosmal dem Horizont zu und Firuns Hauch nistete sich, wie für den Mond üblich, wieder zwischen den Häusern des Städtchens Herzogenfurt ein. Einige frühe Sterne glitzerten am Himmel, dazu pfiff ein kalter Wind durch die Gassen. Die Bewohner der schmucken Stadt machten sich daran ihr Tagwerk zu beenden und heim an das warme Herdfeuer in den Kreis ihrer Familien zurückzukehren.

Der Ruf einer jungen Frau zerschnitt die Stille am Marktplatz vor der Ruine des alten Praiostempels;

“Benedictum Nomen Sanctum eius!” [Gepriesen sei Sein heiliger Name]

Nur einen Herzschlag später ritt eine in weiß gekleidete Kriegerin mit schwarzem Haar auf einem weißen Pferd heran. Dabei war sie diese so rücksichtslos, dass sie beinahe über ein kleines Mädchen geritten wäre, hätte dessen Mutter nicht geistesgegenwärtig reagiert und ihren Nachwuchs zur Seite gezogen. In ihrer Rechten hielt die angekommene Reiterin eine Stange, auf der ein weißes Banner mit einer von Flammen umhüllten, zwölfstrahligen Sonne hing. Wortlos wendete sie ihr Pferd und hielt an. Ihr Antlitz war von der herrschenden Kälte gerötet und der Atem der Frau und auch ihres Reittieres wurde in Form kleiner Wölkchen sichtbar.

Dass die Unbekannte nicht lange alleine bleiben würde, wurde nur wenige Augenblicke später klar. Das Geklapper von Dutzenden Hufen auf gepflasterten Boden kündigte die Ankunft von weiteren Reitern an; in zwei Reihen zu je zehn Tieren kamen allesamt gerüstetes und in weiß gekleidetes Waffenvolk und gaben dabei einen Ehrfurcht erweckenden Anblick ab. Die wenigen Menschen, die noch auf den Beinen waren scharten sich nun schaulustig, aber in Respektabstand zu den Neuankömmlingen und beäugten diese neugierig. Den beiden Reihen voran ritten zwei junge Ritter. Ein groß gewachsener, dunkelblonder Mann mit eisblauen Augen, in dessen gepflegten Vollbart sich ob der herrschenden Temperaturen Eiskristalle gesammelt hatten. Und an seiner Seite eine kleingewachsene junge Frau mit blondem Haar, die keine Miene zu verziehen schien.

“Absitzen …”, gab der junge Ritter zu verstehen, der hier allem Anschein nach das Kommando hatte. Wenige Momente später standen die Männer und Frauen in weiß in zwei Reihen, wobei ihnen die junge blonde Frau gegenüberstand. Auf ein weiteres Kommando hin beugten alle 20 simultan ein Knie.

Dann hob die Frau in einer kräftigen Stimme, die man ihr ob ihrer zierlichen Erscheinung nicht zugetraut hatte, an zu sprechen:

“In desperatione et tenebris!” [In Verzweiflung und Finsternis!]

“Lux triumphat!” [Siegt das Licht!], kam es gleichzeitig aus 20 Kehlen.

“Contra maleficas et mendaces!” [Gegen Hexen und Lügner], setzte dann wieder die junge Frau hinzu.

“Lux triumphat!” [Siegt das Licht!], antworteten wiederum die anderen.

“Per ignem et gladium!” [Durch Feuer und Schwert!], war es wieder die kräftige Stimme der Geweihten.

Mit einem letzten “Lux triumphat” erhoben sich die Krieger wieder und scharten sich um ihren groß gewachsenen Befehlshaber.

“Gwynna …”, dieser wandte sich der schwarzhaarigen Bannerträgerin zu, “... reitet hoch zur Baronsburg und kündigt mich und ihre Gnaden von Halberg an.”

“Ja, Euer Ehren”, die junge Bannstrahlerin wandte sich pflichtbewusst um, ging schnellen Schrittes zu ihrem Pferd und tat wie ihr angewiesen worden war.

“Quenion …”, dann lag der Blick des Ritters auf einem anderen der Gerüsteten, der sogleich nickte, “... hört Euch in der Stadt um. Laut Aussage der Auskunftsperson gibt es in einem Brunnen einen weiteren Zugang in die Katakomben. Der Knappe Ucurian wird Euch begleiten.”

Der Angesprochene nickte und verließ dann gleich die Gruppe.

“Eximia, wir werden den ´Herzog´ beziehen …”, der groß gewachsene Mann wies auf das schöne Hotel gegenüber der Ruine, “... leitet alles Nötige in die Wege. Solltet Ihr Probleme haben, grüßt den Hotelier von mir. Er sollte mich noch kennen.” Der Ritter lächelte. “Der Rest riegelt den Platz ab. Zwei Schichten. Lasst niemanden an die Ruine heran.”

Mit diesen Worten begab sich der Bannstrahler hin zu seinem edlen Pferd - die blondhaarige Geweihte war bereits auf das ihre aufgestiegen - und gemeinsam ritten sie in die Richtung des Baronssitzes von Schweinsfold.

***

Misstrauisch blickte die Frau in schwarzer Junkerkleidung aus dem Fenster, während sie einem großen Kolkraben über das pechschwarze Gefieder strich. Der Auftritt der Bannstrahler auf dem Marktplatz blieb nicht lange unbemerkt und die Vögtin der Baronin musste selbst einen Blick darauf werfen. Hier oben, auf der Burg Herzogenfurt, hatte sie einen guten und direkten Blick auf die Ruine des Praiostempels. “Ausgerechnet die Geißler. Eigentlich hätten wir damit rechnen müssen”, flüsterte sie vor sich hin. Dann legte sie ihre Stirn gegen die des Raben. “Mein liebster Malfado. Flieg und hol meinen Gemahl. Lass ihn wissen, dass er die alte Geweihte mitbringt.” Der prächtige Vogel krächzte und zuckte kurz mit seinem Kopf hin und her. Dann öffnete er seine Flügel und flog in den späten Abend hinaus.
***

Nicht lange danach erschien vor dem Tor der Burg Herzogenfurt die Bannstrahlerin Gwynna mit dem Kriegsbanner des Ordens. Ihre schwarzen Locken flogen durch den scharfen Ritt. “Im Namen seiner Eminenz Godefroy von Ilbenburg-Luring, kündige ich das Erscheinen des Ordens vom Bannstrahl Praios´ an”, äußerte sie den Wachen ihr Begehr.

Es dauerte nicht lange und die zwei mächtigen Torflügel wurden geöffnet. In Begleitung einer Wache stand dort eine Frau in ihren Vierzigern und war komplett in Schwarz gekleidet. Dunkle, wildlederne Halbstiefel, enge Hosen, ein schwarzes, seidenes Junkerwams und um den Hals trug sie eine silberne Amtskette. Ihre Haut war vornehm blass, ihre blauen Augen verbargen sich unter Schlupflidern und im Zusammenspiel mit ihrer leicht gebogenen Nase hatte sie etwas Raubvogelartiges. Der blonde Kurzhaarschnitt und die mürrischen Züge um den Mund ließ sie auf den Betrachter hart und unzufrieden wirken.
“Praios zum Gruße! Ich bin Junkerin Alrike von Henjasburg, Vögtin von Schweinsfold. Wir heißen Euch willkommen. Die Baronin bietet im Sinne Travias Bett und Abendmahl, für euch und eure Leute!”, sagte sie, ohne dabei herzlich zu klingen.

Die junge Frau blickte sich kurz interessiert im Hof der Burg um, ganz so als wolle sie Schwachstellen oder eventuelle Gefahren erkennen. Die Macht der Gewohnheit, denn Gwynna war nicht der Meinung, dass ihr hier Gefahr drohte. Erst kurz bevor ihr Schweigen als ein Akt der Unhöflichkeit ausgelegt werden konnte, nickte sie der Vögtin zu. "Praios zum Gruße, Wohlgeboren ...", kam es in ebenso wenig herzlichem Ton zurück, "... und habt Dank für die Aufnahme."

Die Schildmaid des Ordens wäre eine klassische Schönheit vom Lande gewesen; lange schwarze Locken, himmelblaue Augen und ein kindliches Gesicht. Sie sah auf den ersten Blick aus als könnte sie keiner Fliege was zuleide tun. Doch eben dieser Eindruck sollte sich recht bald relativieren. Ihr Blick wirkte hart, unnachgiebig und von einer Mischung aus Verbissenheit und Eifer gezeichnet. Gwynna war darauf aus sich zu beweisen. Sie wollte in den Kreis der Ritter des Ordens aufgenommen werden, was bei den Geißlern nur geschah, wenn man sich besonders um Kirche und Orden verdient gemacht hatte. Das trieb sie an und machte sie gefährlich.

Trotz der gehaltenen Bannerstrange schwang sich die junge Kriegerin elegant aus dem Sattel. Sie trug den typischen Ornat der Bannstrahler, wobei er schlichter war als bei den Angehörigen im Rang eines Ritters. Goldene Verzierungen waren quasi nicht vorhanden. An ihrer Seite hingen ein schwerer Streitkolben und eine Geißel. "Der Bannerführer und ihre Gnaden werden gleich ankommen. Ich ersuche in derer beiden Namen um eine Audienz bei ihrer Hochgeboren." Sie schob ihre dunklen Augenbrauen zusammen und musterte die Vögtin. "Ich nehme an Ihr wisst warum wir hier sind?"

Alrike nickte nur. ”Eine Audienz ist euren Bannerführer und seine Gnaden garantiert. Glücklicherweise ist der Stadtvogt auch anwesend.” Nun schaute sie die Kriegerin abschätzig an. “Schaut euch ruhig um. Wir haben allerdings drei Burghöfe. Selbst der Greifax hat diese Mauern nicht einnehmen können.” Fast schien es, als ob die Vögtin ein Lächeln versuchte.

Die junge Bannstrahlerin kniff ihre Augen zu einer Geste zusammen, die für Alrike nicht leicht zu deuten war. Gwynna war sich nämlich unschlüssig ob der letzte Satz der Vögtin als, zugegeben, unvorteilhafter Scherz oder gar als Provokation gesetzt war. "Eine Burg ist nur so wehrhaft wie die Menschen, die sie verteidigen", meinte sie knapp zurück und ließ dabei ihren Blick über die Aufmachung ihres Gegenübers schweifen.

Nun verschränkte die Vögtin die Arme vor der Brust und das Lächeln war ein anerkennendes. “Ihr spricht wahre Worte, Bannerträgerin.”

Noch bevor Gwynna darauf eingehen konnte, kündigte das Geklapper von Hufen in ihrem Rücken die Ankunft der angekündigten Ordensmitglieder an. Auf einem edlen Yaquirtaler Braunen, der durch einen exzentrischem Gang bestach, saß ein groß gewachsener Ritter mit gepflegt gestutztem dunkelblonden Vollbart und Haupthaar, sowie hervorstechenden eisblauen Augen, in einem schweren weiß-goldenem Mantel. Neben ihm ritt auf einer weißen Elenvina Stute eine junge Frau mit schulterlangem blondem Haar und nussbraunen Augen, die Alrike zu fixieren schien. Ihr weißer Mantel war mit einem Pelzkragen verbrämt und beide Angekommenen trugen ein Langschwert an der Seite.

"Wohlgeboren von Henjasburg ...", grüßte der Ritter die Vögtin. Er schwang sich aus dem Sattel, schritt in ihre Richtung und bedachte Gwynna im Vorbeigehen mit unverständlichen Worten. Das gehorsame "ja, Euer Ehren" konnte Alrike jedoch deutlich hören. Linnart vom Traurigen Stein streifte sich die Handschuhe ab und reichte der Landvögtin seine Hand zum Gruß. Die Wangen des Traurigsteiners waren vor Kälte gerötet und in seinem Bart hatten sich kleine Eiskristalle gebildet. "Ich hatte gehofft Euch zu einem freudigeren Anlass wiedersehen zu können ...", der Ordensritter lächelte charmant und wandte sich dann zu der jungen Frau um, "... ich darf Euch ihre Gnaden Praida von Halberg vorstellen? Sie wird, zusammen mit seiner Gnaden Quenion von Hamrath, der geistliche Beistand für unsere Mission sein."

Alrike ließ ihre Arme wieder aus der Verschränkung und nickte beiden zu Begrüßung. “Wer sagt denn, dass dies nicht zu einem freudigen Anlass werden kann? Die Diener des Götterfürsten sind bei uns herzlichst willkommen. Eddo hier”, sie deutet auf einen Diener in der Nähe, „wird dafür sorgen, das eure Pferde versorgt werden und jeder eine Schlafplatz bekommt. Ein Abendmahl wird für eure Frauen und Männer angerichtet. Ihr und die Feldkaplane kommt natürlich im Haupthaus unter, auf euren Kammern könnt ihr euch frisch machen. Wenn ihr dann soweit seid, bringt euch Eddo zum Thronsaal. Wir erwarten euch dann dort.”, sagte sie knapp und wollte sich dann zurückziehen.

Der Bannerführer - Linnart war erst das zweite Mal in dieser Position und wie beim ersten Mal führte ihn sein Auftrag nach Gratenfels - nickte der Vögtin dankbar zu und wandte sich dann zu Gwynna um. “Ihr habt es gehört, bis auf seine Gnaden von Hamrath und einer Hand sollen sich alle hier in der Burg einfinden. Er wird später abgelöst und die Möglichkeit bekommen dazu zu stoßen.”

“Ja, Euer Ehren”, gehorsam wandte sie sich um und stieg auf ihr Pferd.

Als die Bannerträgerin vom Hof geritten war, wandte Linnart sich wieder Alrike zu, die sich gerade entfernen wollte. “Habt Dank für die Aufnahme, Wohlgeboren. Es ist wichtig, dass ich mit ihrer Hochgeboren spreche …”, er wies auf Praida, die eine lederne Rolle in ihren Händen hielt, “... der Illuminatus von Elenvina schickt uns. Die Kirche hat davon Kenntnis erlangt was sich unterhalb des alten Hauses des Gleißenden befindet. Es scheint als wären Leib und Seelen der hier lebenden Menschen in ernster Gefahr.”

Die Vögtin hielt kurz inne und begegnete Linnarts Blick recht emotionslos. “Ein Schein ist oft nicht die Wahrheit. Macht euch frisch, Herzogenfurt wird euren Worten lauschen.” Dann ging sie weiter.


Kapitel 2 - Vor der Baronin -->