Feldzug Rabenmark, Kapitel 17: Aufbruchsstimmung

Aufbruchsstimmung

Ähnlichkeiten - oder: Wer ein Orgilsbunder werden will muss dienen

Eines Abends, nach dem Abendessen, trat Vitold von Baldurstolz auf seine Rickenbacher Nachbarin zu.
“Ah! Plötzbogen. Gut, dass ich Euch treffe. Zunächst einmal: Respekt, Ihr habt Euch in den Schlachten wacker geschlagen. Kompliment.” Er reichte ihr einen dampfenden Becher mit Würzwein, den Ira zwar annahm, aber erst einmal nur hielt. “Und dann wollte ich Euch noch um etwas bitten.” Er machte eine kurze Pause, da es ihm nicht leicht fiel, wie sie sehen konnte. “Folcrad hält viel von eurem Bund. Er ist ein guter Junge und ich möchte nicht, dass Ihr ihn vorverurteilt, nur weil er ein Baldurstolz ist, beziehungsweise, weil er mein Knappe ist. Versteht mich nicht falsch, wenn es nach mir ginge, dann würde er sich bereits jetzt um einen Platz am Baronshof bemühen. Aber er hält den Bund für eine gute Sache und redet von nichts anderem mehr. Also bitte ich Euch: betrachtet ihn wie einen Knappen, der nichts mit Eisenstein oder mir zu tun hat. Er hat es verdient.”
“Aha.” brummt Ira und überlegte kurz, ob sie mit Vitold überhaupt über den Orgilsbund sprechen wollte. Das fühlte sich irgendwie… seltsam an. Allein dass er aber nun hier war und quasi als Bittsteller auftrat, ihr sogar etwas zu Trinken und wohlmeinende Worte mitgebracht hatte, gaben den Ausschlag dafür, dass Ira dem Ritter den Platz gegenüber von sich anbot.
“Wir wissen, dass er sich gerne auch dem Dienst am Heiligen Orgil verschreiben möchte. Da ihr ehrlich zu mir wart, möchte ich auch aufrichtig zu euch sein, Vitold: wir haben aus Sicht des Bundes noch überhaupt nicht festgelegt, wann und ob wir überhaupt neue Mitglieder aufnehmen wollen. Ich kann euch also leider keine Zusage machen, wenn ihr versteht, was ich meine? Falls wir es in Erwägung ziehen, werde ich an eure Bitte natürlich denken. Aber ich bin nicht diejenige, die alleine darüber entscheidet, das muss euch bewusst sein.” Ein sehr geschicktes Hintertürchen, wie Ira fand. “Als Schwertvater müsstet ihr bei einer Aufnahme natürlich hinter seiner Entscheidung und auch hinter dem Orgilsbund stehen, da meine Bundbrüder und ich mit Blut und Schwur aneinander gebunden sind und kompromissloses Einstehen füreinander von zentraler Bedeutung für uns ist. Wir sind nicht einfach eine Gruppe, in der man einfach so mitmachen kann. Wir sind Brüder, …” weil sich das aus ihrem Mund blöd anhörte, schob sie schnell hinterher “Geschwister.” Sie ließ das einfach mal so wirken.
“Folcrad ist wie ein Sohn für mich und derzeit auch der Einzige, der das Haus und den Namen weiterführen wird. Zumindest, solange ich unverheiratet bleibe. Wie für meine Untertanen, wünsche ich nur das Beste für ihn. Ich stehe hinter ihm, sonst wäre ich nicht hier. Wie Ihr Euch denken könnt, wäre seine Hochgeboren wenig erfreut, wenn er wüsste, dass ich hier privat mit Euch plaudere. Ihr seht also, dass ich durchaus gewillt bin mein Wohl für ihn aufs Spiel zu setzen.”
Mit skeptischem Blick sah sie ihn an. “Warum sollte denn Seine Hochgeboren etwas dagegen haben, dass Folcrad…?”
Der Baldurstolzer musste kurz die Augen schließen und tief durchatmen. Diese Frau konnte ganz schön anstrengend sein. Ob er das auch denken würde, wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten? “Was ich meinte war eigentlich, dass Rajodan…”
Ira stutzte. Er nannte den Baron beim Geburtsnamen?
“...es sicher nicht gerne sieht, wenn wir zwei”, er deutete mit dem Finger auf sich und Ira, “uns miteinander unterhalten. Er scheint Euch nicht zu mögen. Warum, weiß ich nicht. Ich nehme mal an, weil er Frauen bestimmte Dinge nicht zutraut, keine Ahnung. Oder meint Ihr er hat etwas gegen den Orgilsbund?”
Ira Stirn runzelte sich. War das eine Fangfrage? Wenn ja, fand sie es nicht lustig, wenn er sie hier verarschte. “Da müsst ihr Seine Hochgeboren schon selbst fragen, Vitold. Ich möchte seiner Hochgeboren nichts in den Mund legen, hört ihr.”
Der Ritter winkte ab: “Ja, ja, schon gut. Es geht mich auch nichts an. Ich wollte nur sagen, dass ich es Euch anrechnen würde, solltet Ihr Folcrad nicht von vornherein ausschließen.”
“Und ich wollte nur sagen, dass ihr ihn selbst fragen müsst, ob er etwas gegen den Orgilsbund hat.” Sie verkniff sich dabei die Bemerkung, dass dieses Arschloch ja gegen alles etwas einzuwenden hatte. Zumindest, wenn es im Zusammenhang mit ihr stand. Aberml das sollte der Baldurstolz lieber mal alleine herausfinden. Da Ira allerdings nciht mit dem anderen streiten wollte, lenkte sie ein. “Also schön. Ich versuche…” sie hielt inne und überdachte ihre Worte. “Ich schließe ihn, weil ihr gerade so ehrlich zu mir wart und euch der Gefahr ausgesetzt habt, mit mir zu plaudern, nicht grundsätzlich aus. In Ordnung?” Dass sie die Worte zu einem kleinen Teil nicht ernst nahm, machte das feine Lächeln deutlich, das sich dabei über ihre Lippen stahl.
Vitold sah mit Skepsis auf dieses Lächeln, doch auch er hatte keine Lust zu streiten. “In Ordnung. Soll ich ihn für zwei, drei Tage zu Euch schicken, damit Ihr ihn besser kennenlernen könnt?”
“Zu mir??” Vor lauter Schreck fiel ihr der dampfende Würzwein aus der Hand, und sie sprang fluchend auf, weil etwas davon auf ihr Hosenbein geschwappt war.
“Lasst ihn die Hunde ausführen, ihren Dreck wegmachen, Latrinen ausheben, Eure Wäsche waschen, was weiß ich. Prüft ihn, ob er es wert ist. Solange wir noch auf der Rückreise sind, sollte das kein Problem darstellen. Ich werde es schon verkraften mich ein paar Tage selbst um meine Sachen zu kümmern.”
“Ihr wisst doch, dass ich über seine Aufnahme nicht allein entscheide. Aber wenn Ihr meint, dass ihr Folcrad einige Zeit, ähm, entbehren könnt…” Ihr Gesicht machte deutlich, dass sie sich dabei jedoch nicht so ganz wohl fühlte. “Soll er dann eurer Meinung nach auch bei mir nächtigen?”
“Behandelt ihn in dieser Zeit, als wäre er Euer Knappe. Seine Verpflegung geht natürlich weiterhin auf mein Säckel. Wenn Ihr ihn des nächtens nicht hier haben wollt, dann schickt ihn eben wieder zu mir und er wird vor Sonnenaufgang vor Eurem Zelt auf Eure Befehle warten.”
“Na schön.” Ira entließ ein angestrengtes Seufzen und wollte sich gerade zurücklehnen...
Da griff sie im nächsten Moment über den Tisch nach seinem Unterarm, und sah den älteren mit einem eindringlichen Blick an. “Ich mach das für euren Verwandten...euer Haus könnte man sagen. Als Traviadienst. Wenn Rickenbach das aber zum Nach-.... Nein, anders: diese Sache läuft auf euch, Baldurstolz. Wenn also von ganz bestimmter Stelle eine ganz bestimmte Frage kommt, werde ich auch ganz bestimmt auf euch verweisen.” Und um die Eindringlichkeit nicht gar so drohend wirken zu lassen, ließ sie Vitolds Arm schnell wieder los und fügte mit einer Prise Ehrlichkeit hinzu, mit der sie auch Schultern und Arme ein wenig anhob. “Ach, ihr wisst doch, wie das sonst läuft. Darauf kann man verzichten.” Sie wählte bewusst die neutrale Variante am Ende. “Schickt den Jungen, wenn es euch passt. Wir haben eine Abmachung.”
“Gut. Er wird Euch morgen früh für drei Tage zu Diensten sein.” Er reichte Ira die Hand.
“In Ordnung.” Sie drückte die Hand des Baldurstolzers. Für sich dachte Ira, dass sicher bei dieser Sache noch irgendwo ein Haken sein müsste. Sie war allerdings gespannt, welcher Art dieser sein würde. Hoffentlich hieß er nicht Folcrad. Oder Vitold. Nein, wahrscheinlich hieß er eher Rajodan.

*

Eine Stunde vor Sonnenaufgang stand der junge Knappe frisch gewaschen vor dem Zelt der Plötzbognerin. Den Morgenlauf hatte er bereits hinter sich. Er war ein wenig nervös, wusste er doch nicht, was ihn erwartete. Bei seinem Herrn würde er sich nun um die Tiere und danach um das Frühstück kümmern. Was die Ritterin wohl speisen würde? War sie überhaupt schon wach? Das Gerede am Hofe hatte er schließlich auch mitbekommen. Wenn auch nicht durch seinen Herrn, aber doch immer wieder mal, wenn er aufwarten sollte.
Ihn empfing erst ein bedrohliches Knurren, dann ein kurzes heftiges Bellen, das von einem Befehl aus dem Mund der Ritterin beendet wurde. Sofort war der Hund still. Nur einen Augenblick später, hob der Waffenknecht der Hohen Herrin die Zeltplane auf. Darek. Er trug gerade nicht mehr als eine Leinenhose. Er schlief mit seiner Herrin in einem Zelt. Mit seiner verheirateten Herrin. Ob sie auch miteinander schliefen, das blieb bisher wohl ein Geheimnis der beiden. Jedenfalls pflegten sie auch ansonsten einen recht formlosen Umgang miteinander - das zumindest wusste im Eisensteiner Lager jeder. Eben dieser Darek überzog den vor dem Zelt stehenden Knappen einer Musterung vom Scheitel bis zur Sohle, um sich dann über die Schulter zu seiner Herrin umzudrehen: “Der junge Baldurstolz.”
“Er soll reinkommen.” war die Stimme Iras aus einer dunklen Ecke des Zeltes zu vernehmen. Im nächsten Augenblick trat die Plötzbogen hinter einem Tuch hervor, das zum Abtrennen aufgehängt war. An ihrer Seite an einer dicken Lederleine einer ihrer Hunde aus dem Rudel, das sie führte. Ein Tier mit dunklem Fell. Eines der Ohren stand hoch, das andere hing herab und sah irgendwie zerfetzt aus.
Vitold hatte Folcrad von den Tieren erzählt. Sie waren eigentlich der Stolz des Barons. Bluthunde. Geboren, um zu töten, Kehlen aufzureißen, Glieder zu zermalmen. Anselm von Eschengrund hatte diese Einheit geführt, aber mehr schlecht als recht. Seit Beginn des Feldzuges unterstand das Rudel mit den Hundeführern der Plötze, die sie bereits ganz erfolgreich gegen die Wilden Hetzer angeführt hatte. Und bei noch etlichen anderen Manövern.
Ira war schon gekleidet für den Tag, bis eben auf ihre Rüstung, die auf einem Ständer dafür in einer Ecke des Zeltes lag. Auf den ersten flüchtigen Blick sah es im Innern des Rickenbacher Herrschaftszelts unaufgeräumt aus. Und es roch nach Hund.
“Nara, aus!” hörte Folcrad sogleich die strenge Stimme der Plötzbogen, die gelernt hatte, sich durchzusetzen, auch, indem man hart an der Leine zog. Härte war eine Sprache, die die Hündin verstand. Denn sie gehorchte und Ira tätschelte ihr lobend den Kopf. “Guuut. Schön, dann fangen wir gleich mal an, Folcrad. Ich werde dich bei deinem Namen nennen, du sprichst mich natürlich nicht mit meinem an, sondern wie es mir zusteht. Aber das dürfte eigentlich klar sein.”
“Sehr wohl, Herrin”, antwortete der junge Baldurstolzer, ohne eine Miene zu verziehen.
“Das ist Darek, mein Waffenknecht. Aber das weißt du ja sicher. Und das ist Nara. Sie ist die Leithündin des Rudels, seit ihr Vorgänger starb, wahrscheinlich hast du davon gehört.” Sie glaubte ja nicht, dass es dem jungen Mann vor Mitgefühl zerriss, doch, dass er zumindest mitbekommen hatte, wenn des Barons geliebte Tiere dezimiert worden waren. “Hin und wieder hole ich sie zu mir. Ihren neuen Platz an der Spitze hat sie sich unter den anderen Hunden hart und blutig erkämpft, das hat sie das Ohr gekostet, wie man sieht. Kennst du dich mit Hunden aus?” Die Hündin schnupperte erregt in die Richtung des jungen Mannes und knurrte leise. “Ich werde mit ihr jetzt näherkommen, damit sie deinen Geruch aufnehmen kann. Sie soll dich ja als einen von uns akzeptieren. Bleib einfach ruhig stehen.”
“Der Edle zu Hinterwald lehrt auch den Umgang mit Tieren, wenngleich es sich bei den Hunden nur um einfache Jagdhelfer handelt.” Er blickte erst Ira, dann die Hündin an und nahm eine entspannte Haltung an, um nicht durch Nervosität den Hund in Unruhe zu versetzen.
Das Tier beschnüffelte den jungen Mann argwöhnisch, akzeptierte aber, dass die höher gestellte Menschin den Neuankömmling annahm. Wenig später lag die große sehnige Hündin in einer Ecke des Zeltes, während Ira und Folcrad ein paar Worte zu seiner Zeit bei ihr wechselte. Darek war gegangen, sodass die beiden nun für den Moment allein waren. Ira nutzte den Augenblick, um eines klarzustellen:
“Nun, Folcrad. Vitold möchte, dass ich dich wie meinen Knappen behandle. Das werde ich tun. Du brauchst daher keine unmenschlichen Prüfungen fürchten, oder so - falls du daran gedacht hast - denn egal, was andere sagen, aber so bin ich nicht!” sagte sie und seufzte. Ob er ihr glaubte oder nicht lag leider nicht in ihrer Hand. Sie wusste ja nur zu gut, was für einen Ruf man ihr vor allem in Obena gab. “Ich will versuchen, dich besser kennen zu lernen, um deinen Wunsch zu prüfen, im Orgilsbund Aufnahme zu finden. Im Gegenzug verlange ich von dir absolute Ehrlichkeit mir gegenüber, wenn ich dich Dinge frage, und Bereitschaft, dich mir in einer gewissen Weise zu öffnen. Kriegen wir das hin? Was meinst du?” fragte sie und dabei lächelte die Plötzbogen den jungen Mann aufmunternd an. Zuerst hatte sie aus Trotz ihre harte Seite hervorstellen wollen. Aber durch das Gespräch mit Darek am Vorabend war ihr klargeworden, dass das genau das wäre, was andere von ihr erwarteten. Diejenigen etwas anderes zu lehren, war nun ihr Plan. Also trat sie dem Baldurstolz unerwartet zugänglich entgegen.
Der Knappe überlegte einen kurzen Moment, bevor er antwortete: “Ich kenne die Herrin nicht, deswegen sehe ich keinen Grund mich Ihr gegenüber zu verschließen oder gar unwahr Ihr gegenüber zu sprechen. Allerdings möchte ich der Herrin mitteilen, dass Eide mich binden und ich der Herrin keinerlei Geheimnisse oder Privates über das Gut Hinterwald oder seinen Herrn mitzuteilen befugt bin. Ich hoffe, dass die Herrin dies nicht als Lüge betrachtet.” Eine leichte Unsicherheit war in seinem Blick, als er ihre Antwort erwartete.
Iras Stirn furchte sich, aber wegen etwas anderem, wie er sogleich erfuhr: “Hm, also schön, lassen wir das mit dem formvollendeten Gestelze, das hört sich ja an, als hättest du einen Stock im Arsch - Will Vitold wirklich, dass du SO redest? Gruselig. Sag doch bitte Frau Ira zu mir, ja?”
“Wie Ihr wünscht, Frau Ira”, nickte der Knappe.
“Dann möchte ich dir kurz einiges über Verschwiegenheit und Eide sagen, Folcrad….” Sie ließ absichtlich eine Pause, bevor sie weitersprach: “Es ist gut, dass es sie gibt und ich werde dich natürlich nicht zwingen, etwas zu brechen. Wo denkst du hin.” erklärte sich etwas entrüstet. Dabei überlegte sie, ob seine Furcht tatsächlich dem Bild entsprang, das andere von ihr zu prägen versuchten und sie empfand Wut auf all diejenigen, was man ihr sofort anmerkte, da sich ihr Blick verdunkelte und ihre Stimme einen schneidenden Unterton bekam. “Ich habe selbst schon etliche gesprochen und kenne natürlich sehr wohl deren Bedeutung. Also keine Sorge, du musst auch diesbezüglich nichts von mir befürchten. Ogerdreck nochmal, ich interessiere mich ja in erster Linie für dich! Ich will nicht wissen, wie oft dein Schwertvater zum Scheißen geht oder mit wem er die Nächte verbringt, in Hinterwald oder wo auch immer, auch wenn das vielleicht für den Zeitvertreib ganz interessant wäre. Aber da du es ansprichst: das gleiche gilt natürlich auch andersherum. Das heißt, du wirst Vitold keine privaten Dinge über mich, mein Leben, meine Leute und Rickenbach erzählen. … Du willst mir ja ein Bundbruder werden, nicht wahr? Das ist das erste, das ich dir über den Bund beibringen kann: Wir bewahren einander.”
Etwas blitzte in ihren Augen auf, als sie seine Reaktion abwartete.
“Ich wollte Euch nichts unterstellen, sondern nur ehrlich sagen, wo die Grenze ist, bei dem, was ich antworten werde. Und Ihr könnt unbesorgt sein. Der Edle zu Hinterwald hat mir eingebläut ihm nichts zu berichten. In gewisser Weise möchte er sich aus dem Ganzen hier raus halten.”
“Aha.” stutzte Ira. “Naja, solange er dich unterstützt, wenn du Anwärter und dann später Bündler bist… da wird es nämlich nicht ohne ihn gehen. Zumindest so lange du noch nicht selbst Ritter bist.”
“Aber natürlich tut er das”, entrüstete sich der Junge, “er will nur nicht unser Kennenlernen beeinflussen. Außerdem gehört er nicht zu denen, die tratschen. Tratsch bringt nur Unfrieden, sagt er immer.”
“Das sagt er?” Ungläubig zog sie die Brauen hoch. Wenn es stimmte, was ihr Gegenüber sagte, tat sie Vitold wahrscheinlich Unrecht. Sei’s drum, das galt es noch herauszufinden. Aber nicht jetzt. “Na gut,” damit beließ sie es dabei. “also schön. Zurück zu dem, was ich eigentlich sagen wollte:
“Im Bund stehen wir füreinander ein, auch ohne, dass jemand der Unseren in Not ist. Und wir vertrauen einander. So sehr, dass wir uns - da wären wir wieder beim Thema Eide - einen Blutschwur vor der Herrin Rondra sprechen. Du hast uns in Rommilys im Tempel gesehen, stimmt’s? Weißt du, was wir da gemacht haben?”
“Nicht genau, aber ich hatte das Gefühl, ihr würdet Eure Bande erneuern oder enger schmieden.”
“Wir erbaten den Segen Travias zur Weihe unserer Schwerter. Dabei verpflichteten wir uns noch einmal einem der Geschwister persönlich in Travias Namen. Unsere Klingen bekamen die Weihe. Doch damit nicht genug - es war auch so, dass wir uns gegenseitig versprachen, traviagefällig zu leben, denn auch das geschieht, wenn man füreinander einsteht: wäre einer von uns fehlgegangen…” Der Gedanke überkam sie dabei, ob das nicht sogar der Fall gewesen sein könnte. Und das ließ sie kurz schlucken, und auch selbst für den Moment nachdenklich werden, ehe sie zurückfand zu ihm. “...Ähm, was wollte ich sagen? Ach ja, wäre einer von uns in Travias Augen gestrauchelt, hätte sie uns allen ihre Gnade entzogen. So sagte es das Hohe Paar. Wir gingen dieses Wagnis ein, trotz der geborgenen Gefahr, weil wir einander vertrauen und bereit sind, auch solche Dinge miteinander zu teilen. Also verstehst du auf was ich hinaus will?”
“Mmmmh. Der Bund ist eine Familie, die zwar nicht durch Blut, aber durch bedingungsloses Vertrauen und brüderliche, in Eurem Fall schwesterliche, Liebe zusammengehalten wird.”
Der Junge war nicht blöd, musste sie anerkennen. “Ja. Genau so ist es. Wir dienen einander und unserer Gemeinschaft, in dem wir einerseits so sind wie wir sind und die andere so annehmen wie sie sind, andererseits verbindet uns das gemeinsam Erlebte, das aus uns allen die Ritter gefirmt hat, die wir sind. Ähm…” Kurz dachte Ira nach, ob sie etwas vergessen hatte zu erwähnen. Auf die Schnelle war es das. “...gut.” schloss sie daher ihren Vortrag fürs Erste und klatschte sich auf die Schenkel. “Ich werd dir jetzt die Pferde zeigen. Komm. Die wollen versorgt werden.”

An und für sich kannte Folcrad die beiden Rösser, die Ira mit sich führte und ritt. Aber ihre Namen waren etwas, was bisher nicht relevant schien.
“Das ist Pirmin,” erklärte Ira und streichelte dem fuchsfarbenen Wallach über den mit einer Blesse geschmückten Nasenrücken. Er war ein Pferd von gewöhnlichem Aussehen. “Ich habe ihn bekommen, als mein Streitross in Gallys von Haffaxagenten vergiftet wurden. Er hatte das Zeug nachts in die Pferdetränke geschüttet. Du kannst dir sicher ausmalen, wie verheerend die Folgen waren, als wir Knappen unsere und die Rösser unserer Schwertherrn eines morgens zur Tränke kamen.” Wieder riss eine Erinnerung sie aus der Zeit und sie kraulte versonnen den kantigen Kieferknochen des Warunkers. “Ich bin froh, in ihm einen Freund zu haben. Er trägt mich also schon das zweite Mal in den Osten. Nicht wahr, mein Guter?”
Lange mussten die drei nicht warten, bis auch Iras Stute sich von ihrer Anwesenheit animiert fühlte, näherzukommen. Mit einer Selbstverständlichkeit, die ein fast ein wenig zu ihrer Ritterin passte, schob sie den ruhigen Primin zur Seite, um ihrerseits ein paar Streicheleinheiten abzugreifen. “Gise! Mann, du kommst schon auch noch dran.” rügte Ira die Stute, die ihr sogleich den warmen Atem ins Gesicht blies. “Das ist Gise. Eine Stute aus Rickenbacher Zucht, ähm, naja, das kann man vielleicht sehen. Klein, kompakt, aber hübsch.” Wie zur Bestätigung wieherte die dunkelbraune Stute mit dem schwarzen Schatten im Fell. “Und bevor du fragst: nein, ich unterhalte kein drittes Tier. Ich reite Primin, Gise ist als Streitross ausgebildet. Mit ihr ritt ich das Turnier der Ketten in Belhanka und auch das Kaiserturnier. Sie ist sehr trittsicher, aber auch wendig. Naja, sie ist Rickenbacherin.” Ira schmunzelte und klopfte die muskulöse Brust der Stute. “Ich hätte vorgeschlagen, du fängst mal an ihnen frisches Wasser zu bringen und Heu, und dann kannst du sie striegeln. Ja?”
“Ja, Frau Ira. Was soll ich danach machen?”
Seine Frage schien sie zu überraschen. “Öhm, mach doch erst mal das. Und dann wirst du mir ja bestimmt sagen können, was es noch für Arbeiten an den Pferden gibt.”
“Ich würde noch die Hufe auskratzen, den Mist wegmachen, Sättel und Zaumzeug reinigen und fetten. Ich könnte auch mit ihnen ausreiten, aber vielleicht wollt Ihr das ja selbst tun. Doch eigentlich wollte ich wissen, was ich tun soll, wenn ich mit den Pferden fertig bin.” Erwartungsvoll blickte er sie an. Offenbar schien Vitold seinem Knappen eine Menge Aufgaben in Eigenverantwortung aufzutragen.
Da sie selbst keinen Knappen hatte und auch nur ihre eigenen Knappenzeit als Referenz, kam sie bei Folcrads Fragen tatsächlich ein wenig ins Schleudern, das konnte Folcrad der Plötzbogen anmerken.
Das bewies all die Dinge, die er über Iras angebliche Unfähigkeit aufgrund ihres jungen Alters gehört hatte. Der Baron, der nichts von ihr hielt. Der Ritter von Eschengrund, der sie am liebsten flachenlegen will, den aber, wie Folcrad wusste, nur ihr Ehebund mit dem Edlen von Rickenbach davon abhielt. Folcrad hatte sogar mal gehört, dass selbst Merkan von Rickenbach die Plötzbogen zuweilen für unreif hielt. Oder so ähnlich. Aber eines musste man der blutjungen Herrin der uralten Hyndanburg lassen: sie gab sich alle Mühe, ihm das Gefühl zu geben, dass sie sich wirklich für ihn, den Knappen eines Konkurrenten, interessierte. Für seine Beweggründe für den Bund und für den Menschen, der er war und nicht für den sie ihn hielt. Sie ließ ihn auch die ganze Arbeit nicht alleine machen, sondern blieb - aus Argwohn? oder Neugierde? - stets in der Nähe. Ira half sogar mit. Machte sich schmutzig. Nebenbei unterhielten sie sich auf angenehm offene Art und Weise, so dass die Zeit rasch voranschritt und als Darek das Essen auf den kleinen Tisch zwischen den beiden Zelten abstellte, was für Ira und Folcrad das Zeichen war, um die Arbeit zu unterbrechen, hatte der Knappe bereits einiges über die Plötzbogen erfahren. Von ihren Erlebnissen während des Haffaxfeldzuges, von ihrer Beziehung mit dem Rondrageweihten Hagrian von Schellenberg, von dem sie ein Kind mit in die Ehe mit dessen Bruder gebracht hatte, sie hatte ihm auch von ihren Knappenfreunden und darüber berichtet, wie sie auf die Idee gekommen waren, den Orgilsbund zu gründen. Natürlich hatte sie ihm auch von der Gründung erzählt. Und selbstverständlich immer wieder abgefragt - mal subtil, mal ganz offen - welche Motivation ihn, Folcrad, dazu veranlasste, dort mitmachen zu wollen, seien doch ihre Brundbrüder allesamt ein merkwürdiger Haufen komischer Kauze, die sie zweifellos liebe wie Freunde, nein, wie Brüder, und sie wolle keinem von denen Wahnsinn unterstellen, doch frage sie sie schon, was Folcrad unter all diesen Verrückten wolle. Ob es vielleicht auch die Aussicht sei, dass eine Zugehörigkeit zum Schwurbund eines Rondraheiligen seinen Namen, oder den des Hauses Baldurstolz, gut tue. Man könne sich so sicherlich die eine oder andere Türe - oder Maid - aufstoßen. Er müsse wissen, dass momenten alle eine große Tatsache verband: dass sie im Krieg gegen den Reichsverräter ein Leben hinter sich gelassen hätten. Das sei nicht nur symbolisch, sondern auch wortwörtlich zu verstehen. Wen habe er, Folcrad bisher dem Kampf gegen die Schergen des Bethaniers gegeben? Würde er sich denn überhaupt wohl fühlen unter ihnen, die sie den Bund zum Instrument des Totengedenkens ins Leben gerufen hätten? Dabei gab sich Ira viel Mühe, es nicht so klingen zu lassen, dass sie ihm dies vorwarf. Es gehörte zu ihrem Interesse, mit dem sie versuchte, so gut wie möglich auszuloten, ob sie sich ihn unter ihren Freunden - als Bundbruder, dem sie sich per Eid verpflichtet fühlte durch die starke Gemeinschaft, die sie miteinander hatten - vorstellen konnte. Da Ira aber eine gewisse Ehrlichkeit anhaftete, die sie zwar nicht aussprechen musste, weil ihre Körpersprache manche Dinge einfach ohne ihr Zutun ausdrückte, erfuhr Folcrad, dass es noch etwas anderes gab, weshalb sie ihn so genau unter die Lupe nahm. Es war einerseits die Tatsache, dass er Vitolds Knappe war, und Vitold zu eben jene am Hof des Barons gehörte, die ihr das Leben schwer machten. Andererseits schien die Gemeinschaft zwischen ihr und ihren Bundbrüdern so eng, dass sie diese zu einem, der es möglicherweise nicht ehrlich mit ihnen meinte, zu beschützen gedachte.
Folcrad hatte schnell gemerkt, dass die Plötze nicht ganz firm darin war, wie die Dinge abzulaufen hatten. Sie hatte offenbar keine Disziplin und hielt wohl nichts von Ordnung. Aber, sie schien ein gutes Herz zu haben und ehrliches Interesse. Der Knappe führte seine gewohnten Handgriffe aus und unterließ es bei Kleinigkeiten Ira darauf hinzuweisen. Manche Dinge machte er einfach von selbst, wenn es Zeit dafür war. Er beantwortete ihre Fragen wahrheitsgemäß und stellte im Gegenzug auch welche, denn auch er wollte wissen, wen er da vor sich hatte. Vitold predigte ständig, dass man sich immer selbst ein Bild von einer Person oder auch einem Sachverhalt machen solle und nicht auf das Gerede anderer hören. Nun, Folcrad war kein Anführer. Es stand ihm nicht zu Ordnung und Disziplin zu fordern, wie der Baron, und wenn Ira ihre Arbeit ordentlich und gewissenhaft machte, dann war doch egal, in welcher Reihenfolge, oder ob ihr Zelt aufgeräumt war.

Gegen Nachmittag ging Folcrad mit der Plötzbogen auf Wache mit. Er kannte die Kreise, die zu ziehen waren, während sie mit zwei Hunden und den Hundeführern um das Heerlager patrollierten. Es war jedoch anders, es mit Ira zu tun, die weiterhin viele Fragen an ihn hatte. Beinahe ununterbrochen. Ganz allgemeine wie z.B. wer seine Helden seien, oder was er machen wolle, wenn Vitold ihm den Ritterschlag gebe. Aber auch spezielle wie z.B. wie er in einer bestimmten Gefahrensituation reagieren würde. Damit klopfte sie sein Verständnis für Taktiken und Manöver ab. Gleichzeitig erlaubte sie ihm, auch ihr selbst Fragen stellen zu dürfen - behielt sich aber vor, nicht auf alles antworten zu müssen.

Als ihre Wache am Abend endete und Ira mit Folcrad über einem Eintopf zusammensaß, hatten sie vieles ausgetauscht und einen ganzen Tag verbracht.
Ira musste zugeben, dass sie den jungen Baldurstolz völlig falsch eingeschätzt hatte. Zumindest machte er einen ganz guten ersten Eindruck auf sie. Er war in erster Linie nicht Vitold - das hatte sie begriffen - und besaß eine ‘gesunde’ Einstellung vom Leben.
Manchmal hatte sie gar fast vergessen, dass sie dem Kerl noch am Morgen so skeptisch gegenüber gestanden war. Denn irgendwie hatte Ira das Gefühl, dass Folcrad kein schlechter Kerl war und manchmal war da ein Gefühl in ihr entstanden, ihn schon länger zu kennen, als sie es tat. Merkwürdig. Aber abgesehen davon hatte sie auch eine Ahnung davon bekommen, dass der kleine Baldurstolz ein guter Freund und Bundbruder werden könnte. Naja vielleicht war dies tatsächlich der Tatsache geschuldet, dass er sie seltsamerweise nach diesem Tag und etlichen Momenten, in denen sie hin und wieder etwas Bekanntes an ihm gesehen haben mochte, an jemanden erinnerte. Ein Blick, eine Geste...manchmal war es nur ein verwirrender Augenblick. Und dennoch.

Nun aßen sie zusammen zu Abend und Ira nutze das gemütliche Beisammensein für einen Ausblick auf den nächsten Tag:
“Morgen vormittag werden wir uns ein schönes Plätzchen suchen und ich zeige dir noch ein paar andere Übungen. Ich hab heut viel von dir gehört, morgen will ich sehen, wie du das Schwert schwingst. Wir können auch mit den Hunden was machen, wenn du Lust hast. - ist dir schon mal einer an die Kehle gesprungen?” sie schmunzelte spitzbübisch, “Scheiße, das ist keine schöne Erfahrung, nimmt dir aber die Angst vor diesen Viechern, ähm, auch wenn sich das echt schräg anhört.” erklärte sie ihm den Hintergrund, bevor sie allerdings ein anderes Thema anschnitt.
“Ich würde gerne noch ein bisschen mehr über dich erfahren, über dich persönlich, über deine Familie, wie du aufgewachsen bist….und so. Keine Sorge, ich hab nicht vor, etwas gegen dich zu verwenden,” Ira lachte erheitert auf, als sie seinen Blick vernahm. “Und auch nicht gegen deinen Schwertvater. Aber ich weiß jetzt so viel von dir, und trotzdem nicht das Naheliegendste. Hast du denn Geschwister? Wer sind deine Eltern? Wo bist du aufgewachsen?” Sie sah ihn interessiert an, aber da war nicht nur Neugierde in ihr, sondern ihr ging es klar um noch etwas anderes. “Tut mir leid, ich kenne hier in der Baronie noch nicht jede Ecke und mit etlichen der Häuser bin ich noch immer nicht vertraut,” sagte sie ehrlich. ”Aber das möchte ich ändern. Du weißt doch, ich komme nicht von hier.”
Bei sich dachte sie: Die Frage ist eher, woher kommst du, Folcrad, der du mich immer wieder an meinen Bruder Gereon erinnerst.
Zuerst hatte sie dieser Empfindung keine Beachtung geschenkt, sie als zufälliges Spiel ihrer Erinnerung abgehakt. Irgendwann dann hatten sich die Erinnerungen gemehrt, je länger sie sich mit dem Baldurstolzer nun auseinander setzte.
Überrascht sah sie der Knappe an: “Ähm… also, ich bin auch nicht von hier, müsst Ihr wissen. Geboren wurde ich in Altenwein,” - Ira stutzte ihrerseits überrascht. Altenwein? - “das ist ein Dorf im gleichnamigen Junkergut und liegt in der Baronie Schwertleihe.”
“Ja ja, ich weiß, mein Bundbruder Aureus kommt ursprünglich von dort. - Entschuldigung, ich wollte dich nicht unterbrechen.”
“Mein Vater ist Godehard von Baldurstolz. Meine Mutter Miril starb bei der Geburt meiner kleinen Schwester. Eraclea wurde aber nur zwei Jahre alt. Wir wohnten im Haus meines Großvaters, des berühmten Ritters Maldoram von Baldurstolz, der dem Junker Yolhag immer ein guter Freund und Waffenbruder war. Großvater ist schon sehr alt und Vater kümmert sich um ihn. Meine beiden Tanten, die älteren Schwestern meines Vaters sind schon lange tot. Naja, das heißt, bei Rondragard wissen wir es nicht so genau. Sie ist vor vielen Jahren fortgelaufen, um einer arrangierten Ehe zu entgehen. Großvater ist immer sehr aufgebracht, wenn wir von ihr reden, aber ich glaube eigentlich ist er sehr traurig, dass er nicht weiß, wo sie ist und was aus ihr geworden ist. Großvater hat Vitold bei sich aufgenommen, nachdem seine Eltern verstorben waren, deshalb ist Vitold wie ein Sohn für ihn, aber in Wahrheit ist er Vitolds Onkel. Er hat ihn auch als Pagen und später Knappen genommen und zum Ritter ausgebildet. Und Vitold dankt es ihm, indem er mich ausbildet. Als Vitold zum Ritter geschlagen wurde, ist er nach Obena gegangen, zum Bunten Schloss, und hat um Anstellung ersucht. Eisenstein ist nämlich unser eigentlicher Ursprung. Maldorams Mutter war dort Hofdame, also in Obena. Und nach der sogenannten Hax`schen Tragödie hat Vitold vom Baron, für seine treuen Dienste, Titel und Lehen eines Edlen zu Hinterwald erhalten. Das war, glaube ich, im Peraine… 1040… ja, genau, 1040 BF. Seitdem wohnen wir dort, wenn wir nicht für den Baron unterwegs sind, oder bei Hofe.”
“Dein Großvater ist ein Freund Yolhag Sturmträgers?” fragte Ira verdutzt und kratzte sich die juckende Nasenspitze, weil sie nachdachte, was dies für den Bund bedeutete - was es für Aureus bedeuten würde.
"Ja. Der vorherige Junker hat meinen Großvater schlecht behandelt. Aber Yolhag war immer gut zu ihm. Auch, wenn sich das Junkergut finanziell keinen Ritter leisten konnte. Yolhag hat ihn weiter beschäftigt und ihm ein Haus in Altenwein geschenkt. Und er hat dafür gesorgt,dass mein Vater eine Anstellung bei seinem Vogt findet. Wer sonst hätte ihn denn eingestellt mit seinem steifen Bein?"
“Dein Vater hat ein steifes Bein? Warum das denn?” fragend sah sie ihn an, ihr Interesse war aber eigentlich ein anderes, wie er sogleich erfuhr, als ihr Gemüt wiedermal einen Sprung machte und sich ihre Verwunderung zu Skepsis verbog: “Duuu weißt, dass jener Junker vor dem Sturmträger Familie hatte?” fragte sie vorsichtig, fast etwas argwöhnisch. Prüfend.
Der Knappe blickte zu Boden: "Ähm, ja… schon. Aber, was damals passiert ist, ist ja nicht meine Schuld. Und auch nicht die von Herrn Aureus, oder?"
“Natürlich nicht!” kam es mit Vehemenz von der Ritterin. “Aureus…” Sie lehnte sich etwas zu Folcrad hin, “...ist nicht nur einer meiner Bundbrüder, sondern einer meiner engsten Freunde! Und wenn du auch ein Orgilsbundler werden willst, solltest du wissen, dass ich durchaus bereit bin zu pri--” kurz überlegte sie, nach einem Wort suchend, “...anders: du solltest dir gut überdenken, wie du zu Aureus stehen willst, wenn du in den Bund möchtest. Eins solltest du wissen: er ist nicht sein Vater!”
"Vitold will, dass ich mir immer selbst ein Bild mache. Ich kenne den Vater von Herrn Aureus nicht. Und Herr Aureus scheint mir ein guter und netter Mann zu sein. Außerdem werde ich vermutlich eher in Eisenstein bleiben, wenn ich den Ritterschlag empfangen habe und nicht nach Altenwein gehen. Aber, dass weiß ich noch nicht so genau."
“Beim Baron?” entfuhr es ihr ungläubig.
"Das ist wohl anzunehmen. Außerdem wird das sicherlich die Stellung unseres Hauses festigen, wenn ein zweiter Baldurstolz dem Baron die Treue schwört. Seine Hochgeboren ist ein schwieriger Mensch, aber Vitold hat jetzt Verantwortung über die Untertanen in Hinterwald und möchte verhindern, dass das Lehen an jemand anderen geht, wie zum Beispiel den Eschengrund."
Der Baron, ein schwieriger Mensch?!? Das hielt Ira für seeehr untertrieben, aber das behielt sie für sich. Sie fand auf der anderen Seite Gefallen daran, wenn sie dem perversen Tyrann im Hintertreffen wusste, weil sie mit den Baldustolz gemeinsame Sache machte, allein dadurch, dass Folcrad ihr Bundbruder wäre. Der Gedanke ließ sie fein grinsen. “Ich verstehe diese Motivation sehr gut. Ist vielleicht echt nicht verkehrt.”
Sie schaufelte anschließend einige Löffel still in den Mund, im Geiste schoben sich die Vorteile vor ihr zusammen. Ein erfreuliches Bild. Dann sah sie wieder auf und deutete mit dem Löffel in Folcrads Gesicht. “Ich weiß, ich hab schon ganz oft zu dir gesagt, dass du dies und das wissen oder gut durchdenken solltest. Aber das hier solltest du dir wirklich mal überlegen: der Baron mag mich nicht, das ist dir sicher nicht neu, und wenn du nun auch zum Orgilsbund gehören möchtest, sollte dir bewusst sein, dass dies deine...Stellung am Baronshof, in dieser Baronie ...verändern könnte. Also...nur so als Gedankenspiel am Rande.”
Der Knappe ließ den Löffel sinken und schaute Ira ernst an: "War euch allen das denn klar, als ihr den Bund gegründet habt? Jeder, der hier Teil hat, wird irgendwann merken, dass er zwei Herren zu dienen hat. Was, wenn die zukünftigen Lehnsherren von Herrn Aureus und Herrn Alrik sich befehden und die beiden gegeneinander ins Feld schicken? Dann müssten sie wortbrüchig werden. Entweder dem eigenen Bundbruder oder ihrem Herrn gegenüber. Dieser Gefahr sind wir alle ausgesetzt. Und ich denke, dass ihr das damals bewusst in Kauf genommen habt, weil euch die Ideale des Bundes wichtiger waren und sind."
Dieser Junge war ein kluges Bürschchen, fand Ira, denn er brachte es genau auf den Punkt. Daher nickte sie: “Scheiße, ja, Loyalität kann ein Problem werden, das hast du sehr richtig erkannt. Die Götter mögen uns davor bewahren! Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie der Baron reagiert, wenn ich mich in so einem Falle gegen ihn stellen müsste. Aber ja, mir sind meine Bundbrüder, öhm... tendenziell wichtiger. Was ich aber eigentlich sagen will, Folcrad, ist, dass deine Loyalität zu mir... als deine Bundschwester… hier in der Baronie nicht unbedingt auf...hm, wie sagt man das...auf Anerkennung...stoßen wird. Dessen sei dir bewusst. Und das muss auch Vitold bewusst sein.”
"Vitold kann sich durchsetzen, zur Not auch mit der Faust. Einzig dem Baron gegenüber ist er Rechenschaft schuldig. Ich muss mir meinen Platz ohnehin erst noch verdienen und man wird es mir nicht leicht machen, aber wenn ich weiß, dass ich Freunde habe, wird mir dieser Weg nicht ganz so schwer fallen."
Etwas überrascht von so viel Opferungsbereitschaft stutze Ira beiläufig. Na, zumindest hatte sie ihn nun vorgewarnt. Wenigstens das mochte er ihr zukünftig nicht vorwerfen können. Eines blieb: “Du wirst deinen Weg machen, ganz bestimmt. Ich meine eher, dass du dir lieber bewusst sein solltest, dass der…” Sie sah sich kurz um, aus Angst vor den weitreichenden Ohren ihres Dienstherrn. “...dass es mit der von dir erwünschte Stellung am Hof in Obena...naja...dass das eben nichts werden könnte, wenn du Mitglied im Bund bist. Eben weil der Baron - na du weißt schon.”
"Wenn der Baron mich nicht will, dann muss ich mir einen anderen Dienstherrn suchen. Hat Großvater ja auch getan. Wäre schade, aber nicht zu ändern. Und, was andere Kandidaten für diese oder jene Stellung bei Hofe angeht, Vitold sagt immer, dass Taten mehr zählen als Worte. Der Bund ist ja noch neu und stellt damit keine Gefahr für den Baron dar. Gut, Ihr seid Gründungsmitglied, aber dass bedeutet ja nicht, dass Ihr dem Bund befehlt und ich denke der Baron weiß das. Macht Euch nicht so viel Sorgen, ich werde schon zurecht kommen."
Einen Moment musste er sich Iras harten musternden Blick noch gefallen lassen. Sie behielt ihre Gedanken besser für sich. Dann aber schmunzelte sie. “Natürlich wirst du das.” Sie glaubte es besser zu wissen. Glaubte zu wissen, dass der Baron auch Folcrad Steine in den Weg legen würde. Doch der musste das selbst erfahren.
“Es ist sicher kein Fehler, wenn man nach seiner Ausbildung erst einmal für einige Zeit raus in die Welt zieht, um mal was anderes zu sehen… Erfahrungen zu machen....” wagte Ira einen Inhaltswechsel, ohne zu vergessen, dass sie ihre eigene Heckenzeit erst für ein nachgeschobenes Lehrjahr bei Jost und dann zugunsten ihrer Heirat nach Rickenbach aufgegeben hatte. Zwangsweise.
Sie unterhielten sich noch etwas über Heckenzeit und Pläne, während Darek sie mit seinem skeptischen Blick stumm beobachtete und aufpasste, dass sich seine Herrin nicht mehr als nötig öffnete. Er hatte von der Familie ihres Mannes Order erhalten auf die Plötzbogen aufzupassen. Ihre wachsende Sympathie für den Hosenscheißer des Hinterwalders nahm er daher mit ebenfalls wachsender Besorgnis zur Kenntnis, ein Eingreifen hielt er allerdings noch nicht für nötig. Er würde abwarten, wie sich diese zarten Bande entwickelten.

Ein Gefallen für einen Gefallen

“Mädchen, was schaust du so bedröppelt?” fragte der alte Gelehrte die Frau seines Großneffen, als er einen kleinen Rundgang durch das Lager der Eisensteiner machte. “Du bist am Leben. Die Schlachten sind geschlagen. Bald geht es in die Heimat zurück. Müsstest du nicht glücklich sein?”
“Naja… wie man’s nimmt, Onkel Hesindiard.” antwortete die Ritterin, die mittlerweile gelernt hatte, dass es keinen Sinn hatte, vor diesem Mann etwas zu leugnen oder ihm zu widersprechen. “Ich freue mich wirklich sehr, wieder nach Hause zu kommen, zu Leuhart, nach Rickenbach.... Aber es hätte mich auch gefreut, hier noch mit meinen Freunden eine Sache zu tun,” sie seufzte,”...die ich aber nicht tun kann, weil, nunja, die anderen haben nun mal keinen unmittelbaren Dienstherren dabei, der andere Pläne hat.” schnitt sie das Thema zwar an, aber konkreter werden lag ihr erstmal nicht im Sinn. Zu viele Zuhörer.
Letzteres störte den Alten allerdings nicht im Mindesten. “Welche Pläne hat der Rotzlöffel denn?” fragte er interessiert.
“Der ...öh…” Sie machte große Augen über das, was der Alte da so locker von sich gab, traute sich jedoch das Wort nicht selbst auszusprechen, so viel Angst machte nur die Vorstellung von dem Ärger, der sie treffen könnte, wenn jemand würde hören, wie sie den Baron so nannte. “Naja, Eisenstein reist mit dem Heer ab, das heißt ich auch. Meine Freunde hingegen bleiben noch und begleiten stattdessen Ihre Gnaden Rutmaide mit der Lanze nach Warunk.” Sie seufzte. “Tja, ich werd also wohl als einzige Ritterin des ORGILSbund nicht dabei sein, die Lanze des Heiligen ORGILS an ihren neuen Bestimmungsort zu bringen. Damit muss ich wohl leben. Könnte sein, dass ich deswegen vielleicht ...bedröppelt… ausschaue.” Niedergeschlagen warf die Plötzbogen den fettigen Lappen, mit dem sie bis zu seinem Erscheinen Lederriemen gepflegt hatte, vor sich auf den Boden. Keine Frage, der Umstand frustrierte sie sehr.
“Hast du den jungen Baron gefragt? Ob du mitgehen kannst?”
“Baron Jost?”
“Ne, den jungen Eisensteiner, meine ich. Diesen Rajodan. Das fiese Früchtchen.”
Ach, sie vergaß immer wieder ganz, dass der Alte in anderen zeitlichen Dimensionen dachte. “Ach, Ihr meint den Baron!” Sie seufzte abermals, schüttelte aber dann ganz leicht den Kopf.
“Na dann komm. Das erledigen wir direkt.”
“Äh, was??” Irgendwie reute Ira es, dass sie eben den Lappen weggeworfen hatte. “Äh, nein, das machen wir nicht!” kam es mit Protest aus ihrem Mund.
“Doch, doch.” und ihre Einwände ignorierend, drehte er sich suchend um: “Hm, wo ist der kleine Kerl denn?”
Den kleinen Kerl wollte Ira gar nicht sehen. Sie wollte auch nicht mit ihm reden, denn sie kannte des Barons Entscheidung ja bereits. Sein Wort würde Nein lauten und allein durch ihre Frage gab sie diesem Tyrannen wieder einen Grund in die Hand, sie zu piesacken. Aber mittlerweile hatte sie gelernt, dass sich der alten Rickenbacher genauso stur wie uneinsichtig verhielt und dass ihr Protest wohl keine Früchte tragen würde. Stöhnend stand sie daher auf und deutete auf ein Zelt. “Da drüben. Aber, Onkel Hesindiard, bitte nennt ihn nicht so. Kleiner meine ich. Ihr wisst doch, dass ich es dann später nur abbekomme.”
“Natürlich nicht. Ich nenne ihn so, wie es ihm zusteht.”
Dann hatte der Gelehrte den entdeckt, den er suchte und marschierte schnurstracks auf den Baron zu.

Rajodan stand vor seinem Zelt und war gerade mit Vitold von Baldurstolz und Anselm von Eschengrund in ein Gespräch vertieft. Er runzelte die Stirn als der Alte auf ihn zusteuerte. Und warf Ira, wie sie erwartet hatte einen ungehaltenen Blick zu.
“Meister Rickenbach. Wie nett. Ein Besuch. Und ihr habt eure Nichte mitgebracht. Wie schön, dass es euch wieder besser geht, Plötzbogen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Es war ziemlich knapp, wie ich … gehört habe.” wandte er sich lächelnd an Ira. Doch sie sah die kalte Berechnung in seinen Augen. Vermutlich weil er genau das wollte.
Beim Anblick der beiden Kettenhunde überkam Ira das Gefühl, dass es schlimmer werden würde als erwartet. Und die Ansprache des Barons reichte bereits aus, um ihr einen flauen Magen zu bereiten. “Ich lebe noch, Hochgeboren,” grüßte sie formell, den anderen Rittern warf sie nur ein Nicken zu.
“Wie man sieht.” erwiderte der Baron nur trocken.
“Erfolgreicher Heerzug. Glückwunsch. Viel Blut. Viel Tod. Genau eure Kragenweite.” Die Nase des Alten kräuselte sich.
“Ah, die alte Abneigung des Weisen.” sagte der Baron kalt. “Dennoch habt ihr kein Problem damit den Schutz unserer Waffen anzunehmen, wenn es euch nutzt.”
“Nun, ihr haltet es für opportunistisch. Ich nenne es klug. Wenn Waffen diese Welt beherrschen, dann nutze ich sie, um das zu erlangen, was diese Welt wirklich regiert. Wissen.” er lächelte den Baron an.
“So?” Der Blick des Barons wanderte zu Ira.
Die hob, leicht hinter dem Gelehrten stehend, unschuldig die Schultern, um auszudrücken, dass sie nichts für den Aktionismus des Alten konnte.
“Ja. Genau. So. Sagt, ihr da…” und Hesindiard sah Vitold von Baldurstolz an: “Euer Dienstvertrag enthält doch sicher die Klausel, dass ihr kurzfristig für dringende Familienangelegenheiten unter Soldverzicht von eurem Dienst befreit werdet?”
Rajodans Miene verfinsterte sich, während sein Blick Ira streifte, die sich gerade wünschte, woanders zu sein und als erste Reaktion den Blick abwandte, ehe sie sich dann doch sammelte und an den Gelehrten herantrat. Aber eher mit dem Versuch, zu verhindern, dass die Demütigung nicht noch tiefer ging. “Onkel Hesindiard, bitte…”
Der Baldurstolzer hob eine Augenbraue: "Welche Familienangelegenheit denn? Mein Knappe ist hier, sein Vater sitzt in Altenwein und kümmert sich um dessen Vater. Wo sich der Boroni gerade aufhält, weiß ich nicht. Er sollte aber in Almada sein. Also, wer von denen hat denn etwas mit mir zu klären und traut sich nicht mich persönlich anzusprechen?"
“Es geht nicht um eine Familienangelegenheit von EUCH. Es geht mir um euren Dienstvertrag. Um eine allgemeine, rechtliche Frage.”
Des Barons Blick verfinsterte sich, ihm schwante dass der Alte auf etwas hinaus wollte, was ihm nicht passte.
“Ich wüsste nicht, was Euch die Details meines Dienstvertrages angehen. Aber nehmen wir einmal an, es gäbe eine solche Klausel, dann einzig unter der Prämisse, dass es sich dabei um Angelegenheiten der eigenen Familie, im Sinne von Blutsverwandten, eventuell auch verschwägerten Verwandten, handelt. Eine andere Auslegung dieser Klausel halte ich für rechtswidrig. Mit Verlaub, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ihr mich benutzen wollt, um seine Hochgeboren, nennen wir es mal: in die Mangel zu nehmen. Falls das der Fall sein sollte, möchte ich Euch bitten direkt und offen zu sprechen. Ich bin kein Garadan - Stein, den man nach Lust und Laune verschieben kann.”
“Oh, ihr seid ja empfindlich. Das müsst ihr ablegen mein Junge. Gesunde Skepsis ist ein Segen, aber zu leicht werden Paranoia daraus. Achtet auf eure Seele, ihr habt nur eine.
Aber nun zurück zur Sache: Ich wollte lediglich wissen, ob es weiterhin üblich ist, so wie es beim alten Baron war, diese Klausel in den Vertrag aufzunehmen. Das ist alles.”
“Ich habe lediglich meinen Standpunkt klargemacht. Aber zu Eurer Frage: soweit ich weiß, ist diese Klausel durchaus noch üblich. Allerdings glaube ich kaum, dass ein Dienstritter einen Rechtsanspruch auf diese Klausel hat. Wenn sie bei Vertragsunterzeichnung nicht verhandelt wurde, dann ist sie auch nicht Bestandteil des Vertrags. Natürlich steht es einer der Vertragsparteien zu die andere um Neu- oder Nachverhandlungen zu bitten. Üblicherweise wird damit der alte Vertrag nichtig, auch wenn er in den meisten Fällen übernommen und nur um die Veränderungen ergänzt wird. Ist Euch damit geholfen?”
“Oh, ja. Vielen Dank, Wohlgeboren.” Der Alte grinste und drehte sich zu Rajodan um, der ihn mit bösem Blick gegenüber stand. “Nun, da vermutlich mein Neffe das Vertragswerk für die junge Ira durchgesehen hat, gehe ich davon aus, dass diese Klausel darin zu finden ist, nicht wahr?”
Der Baron drehte sich zur jungen Plötzbogen um: “Fragt doch eure Nichte. Ist es nicht ihr Vertrag ebenso wie es der meine ist?” mit zusammengezogenen Brauen ruhte sein Blick auf Ira.
“Ach was.” entgegnete der Alte: “Sie ist doch fast noch ein Kind. Ihr hingegen seid recht bewandert in solchen rechtlichen Dingen.” Was wie ein Kompliment klang, wirkte, wenn es der Alte aussprach eher wie ein Vorwurf. “Ich werde wohl kaum zu einer Jungritterin gehen, wenn ich auch Euch fragen kann. Oder seid ihr der Meinung, sie kenne sich besser aus als Ihr?”
“Das tut nichts zur Sache. Ihr Vertrag ist nicht eure Angelegenheit. Und ich habe nicht vor sie mit euch zu erörtern.”
“Aber, aber. Selbstverständlich geht es mich etwas an. Wenn es so eine Klausel gibt, möchte ich euch bitten, Ira für einen solchen familiären Dienst freizustellen. Für einige Tage. Ich möchte weiter in den Osten. Die Sterne bieten hier ungeahnte Informationen.”
“Weiter in den Osten? Dies ist allerdings wirklich zu befürworten.” dass Rajodan eine finale Lösung seines Problems mit dem Alten meinte, war seinem Tonfall zu entnehmen.
“Allerdings hat eure Nichte hier die Verantwortung für einen Teil der Truppen. Wenn sie das Problem lösen kann, dass jemand diese Aufgaben übernimmt und sie dann selbst die Bitte an mich heranträgt, -und nicht euch vorschickt wie ein kleines Mädchen-” Ira holte gerade Luft zu einer Erwiderung, weil sie keineswegs den Alten vorgeschickt hatte und das klarstellen wollte, “und mit den Regelungen zur Nacharbeit der Stunden - wie sie im Vertrag geregelt sind - einverstanden ist, spricht selbstverständlich nichts dagegen, dass sie euch in den Osten bringt.” antwortete er dem Alten kühl, was dazu führte, dass die Plötzbogen von ihrem Vorhaben, etwas zu sagen, absah.
“Und wenn das alles war?”
Hesindiard nickte und drehte sich zum Gehen um:
“Ach-” setzte der Baron noch nach: “Womöglich könnt ihr ja eine Familienzusammenkunft herbeiführen. So viele Verschollene eurer Familie könntet ihr dort finden.”
Hesindiards Blick gefror: “Ich werde nicht in Rondras Reich einkehren, wenn mich Boron abberuft, aber habt Dank für euer … Mitgefühl.” Damit wandte sich der Alte entgültig zum Gehen.
Ira nickte dem Baron und seinen Kettenhunden zu, bevor sie Lupius’ Onkel erfreut über das, was er für sie erreicht hatte, folgte. Sie würde einen Gefallen einfordern. Und sie wusste auch schon bei wem.

Bei ihrer Zeltstatt legte sie eine Hand auf die Schulter des gewitzten Verhandlungsführers. “Danke, Onkel Hesindiard, dass Ihr das für mich gemacht hast. Kommt Ihr wirklich mit in den Osten? Oder war das nur ein...Spruch..., um dem Baron einen Grund zu liefern, damit ich frei bekommen, um mit meinen Brüdern zu ziehen?”
“Selbstverständlich gehe ich mit in den Osten! Der Baron mag ein Grünschnabel sein. Das macht ihn aber nicht weniger gefährlich. Ihn zu belügen wäre keine kluge Idee gewesen. Allerdings…” und der Alte beugte sich etwas nach vorne: “wäre ich auch ohne dich gegangen. Nur muss ich das ja nicht laut sagen, nicht wahr?” Er wandte sich zum Gehen. “Und lies diesen Vertrag. Wissen ist das einzige, dass dich vor Menschen wie ihm schützt. Wissen und Anstand. Aber Anstand…. wer hat den schon?” damit stiefelte er zu seinem Wagen.

*

Am selben Tag noch tauchte Ira unvermittelt bei ihrem Nachbarn aus Hinterwald auf. Sie hatte eine günstige Gelegenheit wie auch den Ritter von Baldurstolz abgepasst, als dieser von seiner Wachschicht kam, und ging auf Vitold und seinen Knappen zu, kurz nachdem beide bei ihren Zelten angekommen waren. Die Gelegenheit war wirklich außerordentlich günstig: der Eschengrunder befand sich auf Wachdienst und der Baron im Heerlager der Hlutharswachter - wie ihr ein Vögelchen zwitscherte.
Mit einem freundlichen Gruß trat sie auf die beiden hin. Folcrad konnte nun, nachdem sie beide einige Zeit gemeinsam verbracht hatten, jetzt immerhin einen nicht mehr ganz so skeptischen Blick und damit verbunden sogar ein feines Lächeln ernten. Es war zwar nicht so weit gekommen, dass sie in dem Jungen einen Freund sah, aber immerhin lehnte sie ihn nicht mehr kategorisch ab.
“Vitold, wir müssen mal was besprechen. Können wir kurz? Dauert auch nicht lange.” Ihre Stimme klang ehrlich bemüht freundlich.
Der Ritter hob überrascht eine Augenbraue, während der Knappe hinter seinem Rücken freundlich winkte, nahm jedoch schnell Haltung an, bevor sein Ritter die Bewegung wahrnehmen konnte. “Gewiss”, mit einer fließenden Bewegung deutete er auf den Zelteingang. “Nach Euch. Folcrad, bereite Wein und bring die Datteln.”
“Ja, Herr”, nickte der Junge und hakte einen kleinen Kessel in die Kette am Dreibein über dem Feuer ein. Dann füllte er ihn mit Wein und warf ein kleines Leinensäckchen hinein.
“Ach, macht euch doch bitte keine Umstände wegen mir. Ich hab nicht vor lange zu bleiben. Ihr wollt euch doch bestimmt ausruhen, das verstehe ich, daher fasse ich mich auch kurz.” Sie lächelte. “Versprochen.”
“Es macht mir keine Mühe Travias Geboten zu folgen”, meinte der Hinterwalder und bot ihr einen Stuhl an.
Das Zelt des Ritters war militärisch akkurat aufgeräumt. Es gab zwei transportable Betten, drei Truhen, eine davon mit einem Vorhängeschloss, einen Tisch mit zwei Stühlen, ein Dreibein mit Waschschüssel und ein Gestell für Vitolds Rüstung. Auf dem Tisch war ein hölzerner Kerzenständer mit drei kostbaren Stumpenkerzen aus Bienenwachs.
“Also, worum geht`s?”
“Darum, dass der Onkel meines Mannes mich, wie Ihr ja bereits wisst, bat, ihn noch ein Stück in den Osten zu begleiten und ich Euch gerne bis zu meiner Rückkehr die Hunde anvertrauen möchte,” kam sie sogleich zum Punkt. Darek hatte ihr zwar geraten, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, aber das Diplomatische lag ihr nicht. Wenngleich sie wusste, wie sie es einzusetzen hatte. “Im Gegenzug…” Ihr Blick sah hinaus zu dem Knappen und sie zögerte kurz, aber Handeln hieß schließlich Nehmen UND Geben. „werde ich mich gegenüber meinen Bundbrüdern dafür aussprechen, dass Folcrad Anwärter im Orgilsbund werden kann, so wie es ja sein sehnlicher Wunsch ist.”
Ein Gefallen für einen Gefallen.
Sie seufzte innerlich, denn sie wusste ebenso um die Gefahr, dass das alles schief ging. “Einverstanden?”
Der Baldurstolzer lehnte sich vor und sah der Ritterin in die Augen: “Ira”, wählte er die freundschaftliche Anrede. Ob er sie damit ehren oder ärgern wollte, war ihr nicht klar. Skeptisch nahm sie just kaum merklich Abstand. “Ich möchte nicht, dass Ihr Folcrad vorschlagt, nur um jemandem einen Gefallen zu erweisen. Ebensowenig werdet Ihr selbst das wollen, noch Eure Bundbrüder und erst recht nicht Folcrad. Ihr sollt ihn vorschlagen, weil er würdig ist, oder es bleiben lassen. Mir ist bewusst, dass wir zwei kein gutes Verhältnis haben, doch halte ich es für falsch, dass dadurch der Junge leiden soll.” Er musterte sein Gegenüber. “Aber, als Zeichen meines guten Willens und weil Ihr bereit wart Euch Folcrad genauer anzusehen, und nicht, weil Ihr möglicherweise bereit seid ihn vorzuschlagen, werde ich mich um die Meute kümmern, sofern Ihr nicht gedenkt alle Eure Hundeführer mitzunehmen. Einige davon werde ich brauchen.”
Warum sollte der Junge denn leiden? Lag ihr auf der Zunge, aber sie verkniff sich die Zwischenrede. Warum der Ritter das genau so hatte sagen müssen, blieb ihr ein ärgerliches Rätsel, auf das sie nicht näher eingehen wollte, um dies hier nicht in Streit enden zu lassen. Etwas anderes aber war ihr wichtig zu erwähnen: “Vitold, es ist allerdings genau so: ich werde Folcrad vorschlagen, da habt ihr mein Wort, obwohl ich es wahrscheinlich unter anderen Umständen nicht tun würde, eben weil wir beide kein gutes Verhältnis haben. Das mit uns will ich jedoch hinten anstellen, denn Folcrad scheint ein anständiger Kerl zu sein, dem die Ideale unseres Bunds etwas bedeuten und er ihnen nacheifern will in allen Konsequenzen. Tja, und mit eurem Wort, meine Hunde zu nehmen - natürlich mit der Hundemeisterin und ja, auch den meisten Führern -” Sie seufzte. Hatte er wirklich gedacht, sie würde alle Soldaten abziehen und ihm die Hunde führerlos überlassen? “...haben wir nun einen Übereinkunft.”
So streckte sie ihm die offene Hand entgegen. Oh ihr Götter, Merkan würde toben, wenn er davon erfuhr.
Zum ersten Mal sah sie den Baldurstolzer lächeln. Er schlug ein: “Abgemacht!” Zufrieden lehnte er sich wieder zurück. "Nun sollten wir noch die Details klären: wann gedenkt Ihr aufzubrechen, und wann zurückzukehren? Was passiert, wenn Ihr, die Götter bewahren, nicht wiederkommt?"
“Nun, ich muss mich mit meinem Onkel abstimmen, doch es ist durchaus sinnig, dass wir uns Ihrer Gnaden Rutmaide anschließen, die ebenfalls weiter in den Osten zieht.” Dass sie genau wusste, dass der Weg der Rondrianerin und damit auch der Weg der Orgilslanze und ihrer Bundbrüder nach Warunk führen würde, brauchte der Baldurstolz ja nicht wissen. “Was meine Rückkehr angeht, könnt Ihr ruhig wissen, dass ich nicht allzu lange vorhabe, zusätzliche Zeit im Osten zu verbringen. Ich möchte meinen Sohn wiedersehen, meinen Mann...meine Familie, sowohl die meine als auch die Rickenbacher!... und deshalb, Vitold, habe ich auch vor zurückzukommen. Auf jeden Fall!” Noch einmal würde sie nicht sterben. Nein. Auf keinen Fall. Es war das erste Mal nach ihrer ‘Wiederauferstehung’ gewesen, dass sie diesen Wunsch so äußerte. Als ihr das bewußt wurde, und auch, vor wem sie es gesagt hatte, erröteten ihre Wangen.
Folcrad erschien am Zelteingang und Vitold winkte ihn hinein. Der Knappe brachte eine Schale mit Honig getränkten Datteln und einen kleinen Teller für die Kerne. Dann stellte er einen weiteren Teller auf den Tisch, holte eine silberne Kanne von dem Dreibein mit der Waschschüssel, sowie ein sauberes Leinentuch. Dann reichte er erst Ira, danach seinem Herrn das Wasser. “Der Wein wird noch einen Augenblick brauchen. Habt ihr sonst noch einen Wunsch?” Als Vitold verneinte, macht sich der Knappe wieder auf den Weg nach draußen.
“Was haltet Ihr von ihm?”
“Er ist sehr ordentlich. Gewissenhaft, in dem, was er tut. Er ist klug und götterfürchtig und hat, soweit ich das beurteilen kann, ein gutes Herz, wie gesagt, ein anständiger Bursche...” Dann überlegte sie, ob sie ihrem Gegenüber möglicherweise eine zu indiskrete Frage stellte, wenn sie gleich mit dieser Sache herausplatzte, aber die Plauderei und Vitolds unerwartetes Entgegenkommen, nicht nur gastlich, machten, dass sie sich doch etwas in diese Richtung wagte. “Er hat mir von seiner Familie erzählt - eurer Familie. Ich wusste ja nicht, dass er seine Mutter so jung verlor… Und dass Euer Haus, auch Ihr, schon so viele Verluste erlitten habt. Das...das tut mir ehrlich gesagt sehr leid.”
"Danke", antwortete der Ritter. "Der Herr Boron hat scheinbar Gefallen an unserer Familie gefunden und reiche Ernte gehalten."
Beinahe hatte sie sich in Sympathie treiben lassen. Weil es aber dann doch seltsam für sie war, mit jemandem wie Vitold über den Tod zu sprechen, nahm sie Abstand. “Jemand wird aber auch vermisst, hat Folcrad erzählt. Eine eurer Tanten, wenn ich das recht erinnere…?”
Vitold hob eine Augenbraue: "Meine Tante Lioba ist tot. Ihr meint wahrscheinlich meine Cousine Rondragard. Ja, es stimmt. Sie ist 1009 BF von zuhause fort gelaufen und wir haben nie wieder von ihr gehört."
Ira nahm sich eine Dattel und biss hinein. “Und diese Dame ist von Folcrad...was? Tante? Hm…” Sie hatte die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt, was aber wahrscheinlich nicht auf den Geschmack der Frucht in ihrem Mund zurückzuführen schien.
"Ja, seine Tante. Warum? Wisst Ihr etwas über sie?"
“Tut mir leid, eine Rondragard kenne ich nicht. Wirklich. Bedaure.” dann doch ehrlich mitfühlend schüttelte sie den Kopf. Dass sie aber etwas nicht aussprach, weil sie sich nicht sicher war, ob sie darüber sprechen konnte, zeigte für einen flüchtigen Augenblick ihr Ausdruck.
"Das ist sehr bedauerlich. Ihr müsst wissen, Maldoram geht es nicht gut. Vermutlich wird er bald Golgaris Schwingen hören und es wäre sicher leichter für ihn, wenn er wüsste, was aus seiner Tochter geworden ist. Und er sie noch einmal sehen könnte."
Ja, Ira verstand das. Gerne hätte sie diesen Menschen weitergeholfen. Sie musste jedoch selbst noch etwas über die Dinge nachdenken, die ihr im Kopf herum gingen. So verabschiedete sie sich schließlich bald darauf..

*
Das Gespräch mit Vitold aber ließ sie nicht los. Weswegen Ira am Abend vor ihrer Abreise nach Warunk den Baldurstolzer noch einmal in seinem Zelt aufsuchte. Sie hatte ihm die Hundestaffel bereits übergeben und auch sonst alles für ihre Abreise geregelt. Nur dieses eine musste noch geregelt werden. Sie bat den Ritter um ein Gespräch unter vier Augen.
“Vitold. Ich habe nachgedacht. Und ich kam zu dem Schluss, dass ich euch noch etwas sagen muss. Folcrad betreffend. Naja. Das ist vielleicht nicht ganz richtig… Hm. Anders: als er bei mir Knappe war… Nein. Anders: Kennt Ihr das, wenn euch jemand an jemanden erinnert, sei’s durch einen Blick, eine Geste, sein Gebaren? Ich weiß auch wirklich nicht, ob es Zufall ist, oder nicht, oder ab wie vielen Zufällen man eigentlich nicht mehr von Zufall reden kann… Und es kann natürlich auch sein, dass ich total danebenliege, weil mich das alles böse täuscht, aber… Wahrscheinlich haltet Ihr mich sowieso für verrückt!... Trotzdem lässt mich das seither nicht mehr los...und ich habe auch mit Darek darüber gesprochen. Er war dagegen, dass ich es Euch sage! Naja, ich nehme an, weil er nicht viel von Euch…egal. Ich aber denke, dass es möglicherweise, wirklich das ist jetzt tatsächlich nur ganz ganz spekulativ und ich möchte, dass Ihr es auch als das betrachtet: als reine Spekulation… doch falls da etwas dran ist, dann, ach, keine Ahnung,...Vielleicht könnte es Euren Onkel auf seine sterbenden Tage glücklich machen. Darum glaube ich solltet Ihr wissen, dass mich euer Neffe in manchen Momenten an meinen Freund Gereon erinnert. Gereon von Rickenbach, den jüngsten Sohn Merkans. Er ist Knappe in Tandosch und daher nicht hier dabei, aber als Folcrad bei mir war, da musste ich viel an ihn denken. Wie gesagt, das kann auch wirklich nur purer Zufall sein, dass er mich in manchen Augenblicken wahnsinnig an Gereon erinnert…..Aber…vielleicht auch nicht.”
Vitold hob überrascht eine Augenbraue. Dieses Gestammel war etwas, was der Baron nicht ausstehen konnte und nun wusste Vitold auch warum. Konnte diese Frau nicht einfach auf den Punkt kommen? "Gereon von Rickenbach und Folcrad ähneln sich also, sagt Ihr?", fragte er nachdenklich. "Nun, dann werde ich dem auf den Grund gehen. Ich danke Euch für diese Beobachtung. Vielleicht habt Ihr damit ein altes Rätsel gelöst." Er lächelte. Insgeheim machte er sich keine Hoffnungen, denn solche hatte es in den letzten Jahren viele gegeben und sie alle waren zerschlagen worden. Aber er würde dem nachgehen.

Später grübelte Ira noch lange darüber nach, ob es wirklich richtig gewesen war, ihre Spekulation kundzutun. Doch es lag nicht mehr in ihrer Hand. Sie hoffte nur, dass sie möglicherweise hatte helfen können, eine Familie wieder zu vereinen, und nicht, dass man ihr später anlastete, eine andere im Übermut zerstört zu haben.
Scheiße. Diese Sache mit Travia war wirklich gewöhnungsbedürftig… aber sie konnte die Lanze als Orgilsbunderin begleiten. Das war ihr sehnlicher Wunsch gewesen, der sich nun erfüllte. Und Travia spielte DABEI immerhin auch keine kleine Rolle.

Vor dem baldigen Aufbruch

Es war soweit. Nach dem Ende der Feierlichkeit zu Beginn des Travia-Mondes, die in Tälerort, durch die Nähe der Familie Galebfurten zur Göttin des Herdfeuers, wie stets gebührend gefeiert wurden, stand der Abschied unmittelbar bevor. In den kommenden Tagen schon würde der Heerzug gen Efferd aufbrechen, dem Herz des Reiches entgegen.
Wunnemar hatte seine Ordensbrüder und nicht zu vergessen Ira, ihre bisher einzige Ordensschwester, zusammengerufen, um mit ihnen über den bevorstehenden Zug nach Beilunk zu sprechen, wohin sie Rutmaide Rubinklaue von Gratenfels und die heilige Lanze des Orgil eskortieren würden.
Dies war jedoch nicht das einzige Anliegen des neuen Barons von Tälerort. Wunnemar wollte die Orgilsbündler darüber hinaus bitten in der Rabenmark, sprich, an seiner Seite zu verbleiben, um mit ihm die anstehenden Antrittsbesuche in den benachbarten Baronien zu absolvieren, wenn man aus Beilunk zurückkehrte.
Die meisten seiner Freunde aber hatten Verpflichtungen und mussten wieder in die Heimat ziehen, dessen war er sich bewusst. Natürlich würden ihn ebenfalls Vater und Mutter begleiten, die die Verhältnisse in der Mark und die Adligen der Umgebung gut kannten, dennoch konnte Wunnemar nach seinem Empfinden etwas Rückendeckung gebrauchen und eben dies von seinen Freunden.
Man kam im Perainetempel Trutzenhains zusammen, einem wunderschönen Holzbau in Form eines Oktogons, welcher etwas außerhalb der Umfriedung lag und von der Familie Pfiffenstock aus dem Perricum’schen gestiftet worden war, die in die Familie Galebfurten hineingeheiratet hatte. Schon in naher Zukunft würde das Wehrdorf selbst ebenfalls einen Sakralbau besitzen, der Travia geweiht sein würde. Den Grundstein hierzu hatte man im Rahmen eines Gottesdienstes am Tag der Heimkehr gelegt.

Nun aber stand Wunnemar unter dem Mandelbaum, der das Zentrum des Tempels zum Dienste am Lande zu Kvorvinas Ehr bildete und blickte lächelnd seinen Bundesgenossen entgegen, als diese sich nach und nach versammelten.
Nachdem sie vollzählig waren, bedankte sich der Galebfurtener für das Erscheinen seiner Geschwister, ebenfalls aber auch für ihre Unterstützung während des Feldzuges.
Seiner Bitte, in Tälerort an seiner Seite zu verweilen, wollten schließlich zwei Orgildbündler nachkommen: Alrik und Firin. Das freute den jungen Baron sehr. Speziell zu Alrik hatte Wunnemar eine besondere Freundschaft entwickelt in den vergangenen Woche und dies fußte nicht nur auf den Geheimnissen, die die beiden Jungritter seit jüngster Zeit teilten. Der Galebfurtener hoffte während ihrer verbleibenden, gemeinsamen Zeit, auch zu Firin eine derart innige Bindung aufbauen zu können. Er wünschte es sich.

Die heilige Lanze des Orgil und ihre Gnaden Rondralei Rubinklaue von Gratenfels wiederum, würde der Bund, so das Ergebnis der Zusammenkund, in einer angemessenen Stärke begleiten. Auch Ira würde nach einigen ‘Opfern’ - wie sie es nannte - mit nach Beilunk aufbrechen können. Zwar in erster Linie als Bedeckung ihres Onkels, des Hesinde-freudigen Alten, der dort nach den Sternen gucken wollte. Doch dank dieses Arrangements würde der Feldzug in die Rabenmark mit einer rondragefälligen Pilgerreise enden, die für den Schwurbund nach Vorbild des heiligen Orgil von herausragender Bedeutung war.

Abschied

Der Abschied von Jost-Verian und Wunnemar am Tag des Abzuges der Nordmärker verlief herzlich. Jedem Außenstehenden musste klar sein, dass dem mehr zugrunde lag, als das Verhältnis von Dienstherr und Gefolgsmann. Nein, hier standen sich zwei Männer gegenüber, die einander schätzen gelernt hatten. Lange währte das Gespräch der beiden.
Der Baron von Hlûrharswacht hatte dem kleineren, frisch belehnten Herrn von Tälerort eine beträchtliche Zeit davon die Hände auf die Schultern gelegt, während er sprach. Wunnemar hingegen nickte immer wieder zustimmend.
Die brüderliche Umarmung schließlich, welche ihren Abschied beschloss, verließ der Jüngere nicht ohne Tränen in den Augen und Wunnemar war sich nicht zu schade Jost den Steigbügel zu halten, als dieser aufsaß. Im übertragenen Sinne war es schließlich Jost gewesen, der ihm - Wunnemar - auf das Pferd geholfen hatte. Er war nun Baron, so wie er es sich immer gewünscht hatte und dank der Nordmärker saß er fest im Sattel, so fest, wie man es in der Rabenmark eben tun konnte.

Lange blickte Wunnemar, flankiert von seinen Eltern dem abziehenden Heerzug nach. Viele Männer und Frauen aus Tälerort liefen entlang der Reihen aus Streitern und verteilten Blumenkränze, Kinder rannten neben den Pferden hin und her und tollten auf den Wiesen entlang des Weges. Es war ein Freudentag, auch wenn der Abschied für einige wahrlich kein einfacher war.

Ira machte sich, wie schon so oft, um so vieles ihre eigenen Gedanken. Nachdem klar geworden war, dass ihre Gemeinschaft wie zu einer Bewährungsprobe für eine Weile auseinandergerissen werden würde, stimmte sie der Umstand zwar versöhnlich, dass Boronian und Aureus eine Weile mit ihr nach Rickenbach kommen wollten, um ihr beim Aufbau der Rickenbacher Land- und Burgwehr zu helfen, doch hatte sie Wunnemar so gerne, dass es ihr schwerfiel, in ihm jetzt einen Landesherrn zu sehen, der noch dazu so weit weg von ihnen allen leben würde. Mendena, der Schmerz in ihren Herzen weil Hagrian und Talina gestorben waren, ihrer beider Dienstzeit auf Drachenwacht, die gemeinsamen Reisen an der Seite Josts, nicht zuletzt hatte er ihre Schwangerschaft mit Leuhart miterlebt, als einer der ersten gewusst, wer dessen Vater gewesen war, seine Ratschläge Travingo bezüglich, nicht zuletzt die Sache bei der alten Mühle…. Das alles hatte zwischen ihnen beiden ein Band geschnürt, das jetzt zeigen musste, wie sehr es sich zu dehnen bereit wäre. Ein kleiner Trost war jedoch, dass sie von Warunk kommend noch einmal durch Tälerort reisen würden, bevor es endgültig zurück in die Nordmarken ging. Da würden sie sich also noch einmal wiedersehen.