Feldzug Rabenmark, Kapitel 11: Altzoll

Altzoll

Ankunft in Altzoll

Das Land in unmittelbarer Umgebung Altzolls schien weitgehend verschont geblieben zu sein vom Krieg und dessen Auswirkungen. Die bisher entlang ihres Weges immer wieder auftretenden, verstörend korrekten, geometrischen Flächen ausgezehrten- toten Landes wurden immer weniger und fehlten schließlich ganz in Umland.
Am 6. Boron war es, dass der Feldzug das Zentrum der Rabenmark erreichte, jene einstmals von den Häschern des schwarzen, untoten Kaiserdrachen - Razzazor - und nach seinem Ende den Horden um den gefallenen Großmeister der Golgariten Lucardus von Kemet gehaltene Stadt- den ehemaligen Herrschersitz der Landgrafschaft Trollzacken, bei einsetzender Dämmerung.
Das Wappen der Stadt war aus der Ferne nur noch schwer zu erkennen. Es wehte über dem überdachtem Wehrgang oberhalb der geöffneten Torflügel- auf Blau ein von goldenen Münzen bewinkeltes, silbernes, mittenausgebrochenes Schragenkreuz.
Altzoll hatte den Heerzug erwartet, natürlich. Diesen Eindruck jedenfalls erweckte das penibelst gerodete Feld links der Reichsstraße in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer.
Drei Reiter lösten sich aus dem Halbdunkel unterhalb des Tores und ritten der Spitze des Zuges entgegen, als sich diese auf eine halbe Meile an die Stadtmauer angenähert hatte.

Im Näherkommen konnten die Nordmärker und ihre Verbündeten erkennen, dass der mittig-reitende Mann, er nahm in diesem Moment vermutlich die Rolle des Herolds der Markgrafschaft ein, von großer, sehniger Statur war. Sein Gesicht, welches eine feierliche Miene zur Schau stellte, zierte ein gepflegt gestutzter Bart.
Der Gesandte war nur leicht gerüstet, trug lediglich einen Gambeson, sowie darüber einen Wappenrock, welcher zwei springende blaue Fische über blauem Wellenschildfuß auf goldenem Grund zeigte. Das Wappen derer von Galebfurten.
Flankiert wurde der Edle durch zwei Soldatinnen, die schlichte leichte Plattenüstungen und darüber den Wappenrock der Markgrafschaft trugen.
“Im Namen des Kanzlers der Rabenmark - Exzellenz Ernfried von Trollenwehr - begrüße ich euch in Altzoll hochgeborene Herrschaften”, wurde das Wort an die Nordmärker gerichtet, als sich die Delegation aus Altzoll auf nur wenige Schritt angenähert hatten und der Heerzug zum stehen gekommen war.
“Mein Name ist Ilgar von Galebfurten und es ist mir eine Ehre euch die letzten Meter geleiten zu dürfen, euch- die ihr mit so hehren Zielen in unsere Heimat kommt.”
Der Edle wies auf das gerodete Feld.
“In Travias Namen seid willkommen. Das Feld nahe der Stadt ist vorbereitet, so dass ihr euer Lager aufschlagen könnt. Unsere Tore und die jedes Gotteshaus der Stadt stehen euch offen. Wem der hohen Herrschaften es nach einem Umtrunk dürstet, den lade ich hiermit herzlich in den Gasthof Zur alten Weide ein. Alle anderen mögen in einer der Tavernen und Gasthöfen, auf Ihre Kosten kommen. Besonders das Zum Schwarzen Raben erfreut sich bei den Weibeln und Hauptleuten einiger Beliebtheit. Solltet Ihr noch etwas benötigen, die Stellmacher wissen von Eurem Kommen und auch die großen Kontore der Kalmbach, Kolenbranders und von Stoerrebrandt, werden Euch gerne empfangen. Aber auch alle anderen Händler. Ihr Zunftmeister Jarulf Weidner bat mich, Euch auszurichten, dass er tun wird, was in seiner Macht steht, um Euch behilflich zu sein."
Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. "Morgen jedoch wünscht der Markgraf Euch in der Grafenburg zu empfangen."
Nun ritt eine Frau aus der Spitze des Heerzugs heraus. Nur wenige Pferdelängen vor den anderen hielt sie an. Ihr Wappenrock wie Schild zeigte den silbernen Drachen des Baronshauses zu Hlutharswacht. In einer Hand hielt sie stolz erhoben das Banner der Baronie Hlutharswacht. Es war Mersea von Sturmfels- Maurenbrecher, die Base des Barons, die er erst wenige Tage zuvor zur Heroldin ernannt hatte. Wohl, weil auch diese Position - wie die der stellvertretenden Heerführung - bisher noch nicht durch eine konkrete Personen besetzt gewesen war.
“Der Heilige Hlûthar und die Götter zum Gruße, Mutter Travia allen voran. Seid herzlichst gedankt für dieses warme Willkommen, das ihr uns im Namen Eures Herrn ausspracht, und für eure Gastfreundschaft - die wir von Herzen gerne annehmen wollen. Es ist im Gegenzug uns eine Ehre, von euren offenen Armen Freundschaft und Unterstützung in unserer Sache zu erhalten. Seine Hochgeboren Jost Verian von Sturmfels- Maurenbrecher, Baron zu Hlutharswacht und Träger des Heiligen Hlûthars von den Nordmarken im Wappenschild wünscht diesen Landen Frieden und Fortbestand und freut sich auf das Treffen mit Seiner Exzellenz.”
Nach den Worten, die aus der Distanz ausgetauscht worden waren, brachte der Herold der Rabenmark sein Pferd im Schritttempo näher an die Spitze des Zuges heran und hielt erst auf Höhe der Bannerträgerin. Seine Bedeckung folgte ihm.
Leicht irritiert hob Ilgar von Galebfurten eine Augenbraue, als er registrierte hatte, dass Jolenta nicht unter den Anwesenden zu Pferde war. Das machte ihn stutzig.
“Verzeiht,” wandte er sich irritiert an die Bannerträgerin. “Ich hatte gehofft auf Jolenta von Galebfurten, meine Base zu treffen.”
Seine Worte waren an der Heerspitze gut vernehmbar.
“Die hohe Frau Jolenta schont sich derzeit noch,” versuchte Mersea es erst einmal diplomatisch. “Wir hatten vor einigen Tagen heftigen Kontakt mit etlichen, deren Willkommen wesentlich kühler ausgefallen war.” Mehr wollte die Ritterin nicht sagen und deutete stattdessen hinter sich, machte gar den Weg frei für ein Geleit des Herolds zur Heerzugspitze.
Jost blickte dem Rabenmärker freundlich entgegen. Er saß zwar gerüstet und aufrecht, aber ein erfahrener Kämpfer oder Menschenkenner sah, dass er den linken Arm entlastete, in dem er ihn auf den Schenkel ablegte und den Pferdezügel nur mit rechts hielt. Er sah bleich aus “Mersea, wir können unserem geschätzten Gastgeber ruhig sagen, dass es Anhänger des Nagrach waren, die uns angriffen.” erklärte er beherrscht. “Habt noch einmal persönlich gesagt Dank für Eure wohltuenden Worte der Gastlichkeit.”
Der Kopf des Herolds wanderte beherrscht langsam zu Seite, bis er in Josts Richtung blickte. Seine Miene war versteinert. Die Neuigkeiten ließen ihn ganz offensichtlich nicht kalt.
“Die Friedensstifterin stehe uns bei! Und das im Efferd der Mark”, stieß Ilgar um Fassung ringend halblaut hervor. “Wieviele Tote gibt es zu beklagen?”, begehrte er zu wissen?
“Zu viele - aber dank dem beherzten Eingreifen der Teilnehmer dieses Feldzuges wohl weniger, als die Angreiferseite gehofft hatte.” antwortete der Baron.
“Ich möchte Euch zwei meiner Mitstreiter vorstellen, ihre Namen sind Euch sicher bekannt. Dies hier ist mein Trossmeister, Wunnemar von Galebfurten, Erbbaronet von Tälerort und mein hochgeschätzter Dienstritter. Er wird wie immer den Aufbau des Lager bestens koodinieren und ist Euer vertrauensvoller Ansprechpartner, wenn es um die Versorgung geht,” deutete Jost auf den weißhaarigen jungen Mann neben sich. “Und dies ist Borontrud von Hornisberg, geborene Galebfurten, Junkerin zu Hornisberg und meine Adjudantin.” Jost gefiel dieses Wort besser als ‘stellvertretende Heerführerin’. „Sie ist Eure Ansprechpartnerin, wenn es darum geht, eure Einheiten während der Zeit unseres Hierseins im Falle des Falles zu unterstützen.” Der Baron warf der Junkerin ein dankbares Lächeln zu.
Immer noch um Fassung bemüht, nickte der Galebfurtener Heeres- und Trossmeister nacheinander zu, wobei ihm die Familiennamen der benannten zumindest ein Zucken seiner Mundwinkel entlockte.
Als er daraufhin mit leicht gesenkter Stimme das Wort ergriff, war seine Stimme wieder klar und beherrscht. “Ich freue mich auf einen regen Austausch und werde eure Sache so weit unterstützen, wie es in meiner Macht steht.”
Borontrud von und zu Hornisberg wartete kurz ab, bis der Baron geendet hatte. Seit ihrer Ernennung zu Stellvertreterin des Heermeisters war sie ruhiger geworden. Gleich am nächsten morgen suchte sie die Barbier im Tross und ließ sich wieder einen ordentlichen Wehrheimer Bürstenschnitt verpassen. Gaben ihr die langen Haare endlich etwas weibliches, so kamen jetzt wieder ihre harten, kantigen Gesichtszüge zur Geltung.
Die Junkerin musterte ihren Verwandten, ihren Cousin genauer gesagt, bevor sie sprach. “Ich kann mich nur den Worten meines Vorgängers anschließen, danke für Euer liebes Willkommen, lieber Vetter. Ich stamme aus dem Haus Galebfurten und Jolenta ist ebenfalls meine Base.” Sie machte eine kurze Pause, sprach dann aber rasch weiter. “Sie ist schwerst verletzt. Es wäre zu begrüßen, wenn wir sie und die anderen Verletzten unseres Heeres als erstes im Perainetempel versorgen lassen könnten. Wäret ihr so frei uns den Weg zu geleiten?”
Das waren weitere, schlechte Nachrichten, die die Wangenknochen des Galebfurtenes deutlich sichtbar hervortreten ließen. “Sicher”, bestätigte er dennoch mit fester Stimme, die seine Betroffenheit trotzdem nicht verhehlen konnte.
Ilgar blickte zur Seite, zu einem der Ritter, die ihn begleiteten und gab Anweisung im Ordenshaus der drei Schwestern alles notwendige vorbereiten zu lassen. Ohne eine Rückfrage riss der Gerüstete die Zügel zur Seite, wendete seinen Rappen und donnerte in Richtung Stadttor davon.
Der Herold indes wandte sich wieder an die Heermeisterin. “Im Ordenshaus der drei göttlichen Schwestern ist sie am besten aufgehoben. Ich werde am Stadttor warten. Bringt sie dorthin, ich werde sie persönlich geleiten.”

Der Weg in die Stadt

Die Wachen des Wehrgangs über dem Tor, angetan in schmucklosen Rüstungen und mit Hellebarden in den Händen, betrachteten die Nordmärker argwöhnisch, doch das mochte an der schieren Anzahl liegen, die nun unmittelbar vor ihren Toren lagerte und ihnen verdeutlichte, dass die Streiter des Markgrafen ihre liebe Mühe hätten, sollte es zu Unruhen kommen.
Die Menschen Altzolls jedoch begrüßten die Nordmärker freudig, einige sogar überreichten den ersten, die durch das Tor schritten Blumen und dankten ihnen im Namen der Zwölf für ihr Bestreben den Frieden weiter zu sichern. Nicht zuletzt aber freuten sich die vielen Handwerker, Krämer, Händler und Schankwirte auf zahlende Kundschaft.

Der Altenweiner hatte bereits eine Flasche Wein intus, als er sich in der Abenddämmerung auf den Weg ins Lager machte. Sein Alkoholkonsum der letzten Tage war bereits soweit fortgeschritten, dass er nicht mehr wankte nach “nur” einem Maß des Rebensaftes. Doch reichte es wohl aus sich in einer fremden Stadt zu verlaufen und so sah er sich plötzlich dem mächtigen Eingangsportal des Borontempels gegenüber. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Sollte, konnte er es wagen? Er starrte den Tempel an und der Tempel starrte zurück. Aureus bekam Angst. Was würde der göttliche Rabe von ihm halten? Würde er ihn abweisen? Der junge Ritter machte einen Schritt nach vorn, dann wieder zwei zurück. Unschlüssig blickte er wieder zum Portal. Er hatte Schuld auf sich geladen, schwere Schuld. Auch, wenn andere sagten, es wäre der Dämon gewesen, der ihn getrieben hatte, so fühlte er sich doch schuldig und hatte Angst vor dem göttlichen Richtspruch. Der Ritter trat von einem Bein aufs andere. Ging wieder auf den Tempel zu. Blieb stehen. Drehte sich um, wollte gehen. Drehte sich wieder um und starrte auf die dunklen Mauern. Der Tempel wartete geduldig. Aureus empfand er hätte etwas Lauerndes. Er biss sich auf die Unterlippe. War er ein Ritter oder ein Hasenfuß? Seine Hände zitterten, als er das Portal öffnete. Stille erwartete und Dunkelheit umfing ihn, als er das Haus Borons betrat.

Derweil sich Wunnemar in der Funktion des Trossmeisters darum kümmerte, dass das Heerlager ordnungsgemäß errichtet wurde und alles seinen ihm zugewiesenen Platz einnahm, sorgte sein Vater, der Große Schröter dafür, dass Jolenta umgehend in das Ordenshaus des Dreischwesternordens gebracht wurde. Wenn man dem Oberhaupt des nordmärkischen Zweigs der Familie seines Sohnes helfen konnte, dann in dem Haus, dem selbst die Geweihten der gütigen Mutter nachsagten besonders von ihrer Göttin gesegnet zu sein.

Nachdem sein Kettenhemd beim Angriff am Wäldchen Schaden genommen hatte, war Alriks erste Amtshandlung, nach dem Aufschlagen seines Lagers, der Gang zum Schmied. Mit etwas Fragen war der Weg leicht zu finden und dennoch war er glücklich das typische Klingen des Schmiedehammers zu vernehmen um auf dem letzten Stück seines Weges geleitet zu werden. Bereits wenig später konnte er die Schmiede auch schon wieder verlassen, wohl wissend das sein Kettenhemd bis zur Abreise wieder repariert sein würde.
Anschließend machte sich der junge Schwarzen Queller auf den Weg zum Marktplatz, dort - so hatte ihm der Schmied verraten - wollte er den örtlichen Tempel der gütigen Herrin Travia aufsuchen und ihr für ihren Segen und Beistand wider die Feinde der Schöpfung danken.

Im Gasthof zur alten Weide

Der Weg zum Gasthof offenbarte welchen Wandel die Stadt Altzoll durchgemacht hatte und noch durchmachte. Die Befreiung lag nun Jahre zurück und imposante Bauwerke, allen voran der Tempel zu Ehren des Schweigsamen, waren errichtet worden. Es gab aber auch noch Gassen mit Ruinen, heruntergekommenen Gebäuden. Doch das Gasthaus "Zur alten Weide" lag direkt an der Reichsstraße, die durch die Stadt führte. Hier fanden sich die großen Kontore und Niederlassungen von Handelshäusern, ebenso Geschäfte und die Werkstätten angesehener Vertreterinnen ihrer Zünfte.
Das Gasthaus hatte ein steinernes Souterrain auf dem ein Stockwerk aus Fachwerk und das mit einigen Gauben versehen Dach anschlossen. Die namensgebende Weide mochte einst am dem großen Teich hinter dem Haus gestanden haben, doch heute kündete nur noch das schmucke Schild über dem Eingang vom Baum. Die große Gaststube war mit Holz vertäfelt und in einem großer Kamin prasselte ein Feuer. Die Wände schmückten einige Schilde und verzierte Messingteller. Wie alles andere waren auch die eichenen Stühle und Tische eher schlicht aber von guter Qualität. Dies war unverkennbar ein Haus, dass vor allem von Händlern und wohlhabenderen Durchreisenden aufgesucht wurde.
Für die Gäste fanden sich auf einem Tisch verschiedene Speisen. Brot, Schmalz, Schinken und Wurst sowie Käse warteten darauf, verspeist zu werden. Die Wirtin und zwei Schankknechte standen bereit, um den Gästen Bier oder Würzwein zu reichen.

Alana von Altenberg stand vor dem Tisch mit den Speisen, als eine Hand sanft nach der ihren griff. “Nimm mit, was du willst, und dann komm! Ich hab hier im Haus ein Zimmer genommen...” raunte ihr die vertraute Stimme Merseas zu, bevor die Ritterin flüsternd hinzufügte “Uns.” Sie selbst trug schon einen Teller in der Hand, auf dem sich von allen angebotenen Speisen etwas befand, während ihre leuchtenden Augen hungrig auf ihre Freundin niedersahen.
Etwas überrascht blickte die Ritterin sich um und grinste dann. Ohne zu antworten belegte sie sich schnell einen Teller und folgte Mersea. Die Tage in der Rabenmark waren anstrengend und zehrend. Abwechslung, vor allem mit einer Dame des Herzens, war mehr als willkommen. “Auf den Nachtisch freu ich mich am meisten.” flüsterte sie der Freundin zu.

“He, wie wär's mit einem kleinen Spielchen?” Firman zog einen Beutel aus dem Wams, in dem es schepperte. Die Mitglieder des Albenholz-Clans saßen gesellig zusammen an einem Tisch: Firman, der älteste der Geschwister und zukünftige Edle Waldwachts, und der fast gleichaltrige Eoban, der eigentlich ein Vetter war, trotzdem von allen ‘Bruder’ genannt wurde, weil er mit Firman und den anderen aufwuchs. Daneben der Krieger Ossian, Firmans erster von vielen jüngeren Brüdern, und Liebgardis, die traviageweihte jüngere Schwester aller. Selbige aber hatte sich gerade aus der Runde verabschiedet, um ins Haus der 3-Schwestern zu gehen, das seit ihrer Ankunft eine rege Faszination auf die Hlutharswachter Traviadienerin ausübte.
“Ach, für ein Trinkspiel bin ich immer zu haben,” ließ der kauzige Ossian verlauten und winkte sogleich einen der Schrankknechte herbei, damit er ihre Krüge auffüllte.
“Eoban und du?” Der Hlutharswachter Ritter ließ alle Würfel aus dem Beutel auf den Tisch fallen und machte sich sogleich daran, sie unter ihnen aufzuteilen. Wie alle wussten hatte Firman die kleinen Spielsteine aus Hartholz aus dem heimischen Wald selbst gefertigt. Nebenher steckte er sich einen Happen von einem der Teller in den Mund, die mit verschiedenen Speisen beladen, in der Mitte des Tisches für alle standen.
„Ich bin dabei.“ erklärte Eoban. Er zeigte auf seine rechte Schulter. „Aber heute mit Links. Mal sehen, ob mir das Glück noch hold ist.“
Ossian brummte “Hab dich nicht so. Hättest auch den Arm verlieren können. Haste aber nicht.”
Eoban wollte gerade etwas erwidern, besann sich jedoch eines Besseren. Er nahm einen der Würfel auf und drehte ihn nachdenklich zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand.
Firmans Blick fiel auf einen anderen Hlutharswachter, der gerade den Schankraum betrat und sich umsah: “Olf, mein Freund, hier ist noch Platz!” winkte er seinen Schwager her - denn Firman hatte vor etlichen Jahren Olfs Schwester Tsamara geheiratet. Als dieser an den Tisch der drei Albenholz-Kämpen getreten war: “Komm setz dich!”
Ossian deutete auf den freien Stuhl neben sich, “Haben gerade was zu trinken bestellt. Du kannst gern Liebgardis’ Humpen haben, die kommt sowieso nicht mehr.” Der Krieger mit dem Schnauzbart schob dem Werthwieser einen leeren Holzkrug hin.
“Spielst du eine Partie Reichsstraßebauen mit?” erging Firmans Frage.
“Habt Dank werter Schwager, habt Dank.” Olf stolzierte zu dem Tisch und setzte sich sehr formvoll und strich sein Gewandt glatt. “Einem Spiel bin ich nicht abgeneigt und zu etwas zu trinken habe ich wohl selten nein gesagt.” lächelte er.
Nach einer Runde Würfelspiel sagte er verhalten. “Firman, ich war eben im Tempel des Boron - ja ich weiß, ich habe nie etwas mit Boron zutun gehabt, und nein, ich handelte nicht aus Angst.” Er lehnte sich zu Firman und senkte die Stimme: “Ich hatte unterwegs ein Gefühl, eine Eingebung. Ich würde es nicht Vision nennen, doch es war sehr stark. Deswegen war ich im Tempel. Der Geweihte räucherte mich ein und gab mir einen bitteren Schnaps. Ich kam mir lächerlich vor und kicherte kurz, er drückte zwei Finger auf meine Stirn und begann im tiefen Bass zu summen. Meine Gedanken schwammen davon und er stellte mir Fragen an die ich mich nicht erinnern kann. Als ich nach einer ganzen Weile wieder wach, also wach ist das falsche Wort, ich habe ja nicht geschlafen, naja wie auch immer. Der Geweihte sagte zu mir ich werde die Antwort nur in mir finden. Was meint er mit diesem Blödsinn? Ich wollte Antworten, nun habe ich nur noch mehr Fragen.”
Der Albenholz sah etwas skeptisch drein. Ratlos. Besser noch: für den Moment überfordert. Aber er versuchte dem Freund, der offensichtlich plötzlich in unerwartete Seelennot gekommen war, zu helfen. “Naja, ich denke, das kommt auf deine Fragen beziehungsweise diese Eingebung an, die du gehabt hast.” Firman warf einen Blick zu Ossian und Eoban, die gerade in das Spiel vertieft und deswegen mit der Aufmerksamkeit woanders waren. “Willst du uns nicht davon erzählen? Teilen erleichtert ungemein.”
“Du erinnerst dich an Ritter von Taubenstein? Der mit der kleinen Kaschemme mit Turm, die er stolz Burg nannte? Als wir auf dem letzten Kriegszug waren starb er im Abschnitt neben uns. Sein linker Arm flog… nun ja du weißt schon.” Olf macht eine weite Bogenbewegung.
“Wir sahen ihn sterben und trotzdem hatte ich das Gefühl, als wir die Straße hierher entlang geritten sind, ich würde ihn wiedersehen, lebendig, unversehrt, so wie ich dich vor mir sehe.”
Bei der knappen Beschreibung des fliegenden Armes musste sich Eoban unweigerlich an seine rechte Schulter fassen...
“Du musst dich getäuscht haben. War sicher nur jemand, der ihm ähnlich schaute. Kann einem ja manchmal so gehen.” Firman schmunzelte und legte seinem Schwager beruhigend eine Hand auf die Schulter. “Ach, Boronis sagen doch oft Dinge, die man nicht versteht. Sofern sie überhaupt etwas zu einem sagen und nicht nur bedeutungsschwere Blicke auf dich werfen, meine ich.” seine Hand drückte die Schulter Olfs leicht. “Wenn ich dir einen Rat geben darf: Gib dem ganzen nicht so viel Bedeutung. Der Mann ist tot. Dein Auge hat sich geirrt. - So. Du bist wieder an der Reihe,” reichte Firman die Würfel, die ihm sein Bruder just zuschob.

Erste Begegnung

Nachdem der Trossmeister die Eckpunkte des Feldlagers abgesteckt und darüber gewacht hatte, dass die wichtigste Zelte ordnungsgemäß errichtet und gesichert waren, hatte Wunnemar zum Spital begeben, um zu sehen, wie es um Jost- Verian und Jolenta bestellt war.
Der Baron war auf dem Weg der Besserung, die Junkerin hingegen hatte erneut das Bewusstsein verloren. Die Geweihten schlugen vor, Jolenta nach St. Boronia zu bringen. Im Kloster des Herrn Boron, welches sich in ihrem Rücken, nahe der Trollpforte befand, könnte man ihr helfen, so vermuteten sie. Es waren Worte, die nach Wunnemars Empfinden mehr der Hoffnung denn Zuversicht entsprangen. Thankred, sein Vater versprach ihm eine Eskorte zusammenzustellen, die Jolenta überführen würde.
Nach diesem Besuch rief den Trossmeister wieder die Pflicht. Er wandte sich den Kontoren der Stadt zu, um Proviant aufzufrischen. Die Listen, die den Ist- und den Sollzustand der Vorräte festhielten, hatte er noch unterwegs vom Platz des Überfalls nach Altzoll mit der neuen Heermeisterin abgestimmt.
Es war daher bereits spät, als der Baronet ins Wirtshaus zur alten Weide kam. Er war müde, fühlte sich abgekämpft und sehnte sich nach Ruhe, doch die Pflichten wogen schwerer, also ließ er sich einen Becher verdünnten Weines reichen und mischte sich unter die Gäste.
Schnell hatte Wunnemar Ilgar von Galebfurten, den Herold des Markgrafen und rechte Hand des Kanzlers der Mark, gefunden. Höflich bedankte sich der Baronet bei dem Edlen für die Gastfreundschaft und klärte einige Formalitäten, die unter anderem in Zusammenhang mit der Nutzung der Brunnen, sowie den nächtlichen Schließungen der Stadttore standen.
Auf einmal jedoch, mitten im Satz brach Wunnemar ab. Er war wie vom Donner gerührt beim Anblick einer jungen Frau, die sich durch die Menge hindurch bewegte und somit in sein Blickfeld trat.
Ihr Ziel war offenbar Ilgar. Die mit einem Kettenhemd gerüstete Ritterin schritt auf ihn zu. Der Wappenrock mit dem roten Flachssparren auf silber wies sie als Angehörige der in diesen Landen weiter verbreiteten Haus Sturmfels aus. Der blaue, springende Zwölfender-Hirsch musste zu einem der zahlreichen Zweige gehören. Das Wappen war dem Baronet bereits in Rommilys im Umfeld der Markgräfin untergekommen.
Die Ritterin schien sich gerade erst aus dem Sattel geschwungen zu haben. Im Gürtel steckte ein Paar Handschuhe und ein Rabenschnabel hing an ihrer Seite. Das vielleicht schulterlange Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Sie nickte dem unbekannten Baronet kurz zu und wurde sogleich vom Herold begrüßt.
„Hohe Dame, Ihr trefft gerade rechtzeitig ein“, er drehte sich halb zu Wunnemar. „Dies ist Hildelind von Sturmfels. Die Ritterin wurde von ihrer Erlaucht, der Markgräfin der Rommilyser Mark, mit einigen Frauen und Männern gesandt, um ganz im Geiste der Freundschaft beider Marken zu helfen, dass Euer Feldzug gut gelingt. Sturmfels, dies ist Wunnemar von Galebfurten, Baronet von Tälerort.“ Sie grüßte Wunnemar mit dem Schwertgruß. „Travia zum Gruße, Hochgeboren“, ihre Stimme war äußerst angenehm. Der Herold fuhr fort. „Hochgeboren, die Ritterin ist Eure Ansprechpartnerin, wenn es um Fragen des Proviants und die Versorgung Eures Lagerplatzes geht.“
“E- E- Erfreut”, entgegnete Wunnemar immer noch verdattert und erwiderte den Schwertgruß in seiner Ausführung weniger vollendet. “Travia zum Gruße Hohe Dame.”
Nach einem kurzen Moment, den der Baronet benötigte, um die Selbstsicherheit wiederzufinden, ergänzte er: “Ich freue mich auf die Kooperation.” Doch schon da entglitten ihm seine Gedanken erneut.
Sie gefiel ihm... außerordentlich. Ihre Stimme, ihr Lächeln, ja schlicht ihre Gegenwart machte ihn… nervös.
Seit jener finsteren Nacht in Mendena, da seine Talina zu Boron ging, hatte er nicht mehr so empfunden. Hatte er sich diesen Gefühlen nur verschlossen, oder hatten sie schlicht nicht existiert? Wunnemar wusste es nicht und es war auch egal, denn es durfte nicht sein. Er hatte einen Eid, ein Gelübde abgegeben- Treue bis in den Tod. Er würde keine neue Liebe zulassen, nicht zulassen dürfen. Und doch… sie gefiel ihm.
Er musste raus. Er musste an die frische Luft. Er wollte fliehen.
Rasch bedankte sich Wunnemar bei Ilgar und brachte die Ausrede hervor, dass er nun wieder nach dem Rechten sehen musste im Heerlager. Wachten teilten sich schließlich nicht alleine ein.
Bei der ebenso knappen Verabschiedung von der Ritterin des Hauses Sturmfels jedoch konnte Wunnemar nicht anders: er schenkte Hildelind ein aufrichtiges Lächeln und merkte nicht einmal, dass seine Wangen brannten, als er durch den Saal eiligen Fußes dem Ausgang entgegenstrebte.

Als Wunnemar in dieser Nacht Yalsicors Heimstatt am Marktplatz Altzolls aufsuchte, um im Tempel der Travia zuflucht zu suchen, hatte er jene Frau, die sein Innerstes aufgewühlt hatte immer noch nicht vergessen.
Doch was im Nachhinein noch viel schwerer wog war etwas anderes - noch Bedeutenderes. In dieser Nacht war Talina ihm nicht wie gewöhnlich am heiligen Herdfeuer erschienen. Sie kam nicht, um ihm Wärme und Frieden zu schenken. Sie war nicht gekommen.
Zweifel befielen den Baronet und drohten ihm aus seinem Innersten aufzufressen. Rastlos war sein Geist in dieser Nacht.

Der alte Mersinger - Auf der Grafenburg

Anwesende höhergestellte Persönlichkeiten:
Gernot von Mersingen, Markgraf
Arntrude von Hengefeldt, Vögtin von Markherrlich Altzoll und Herrin Altzoll
Praigunde von Beilunk, Inquisitorin der Rabenmark, Tempelvorsteherin des Praiostempels
Yanessa von Brabak, Landmeisterin des Kastells Seelenwacht der Golgariten

Die Grafenburg der Rabenmark, errichtet auf dem namensgebenden Grafenberg, thronte über der Stadt und unterstich den Willen seines Herren und des gesamten Reiches, diese Lande nicht erneut an finstere Horden verlieren zu wollen. Nur Schreckensgeschichten künden noch von den Tagen als hier der Verräter Lucardus von Kemet und andere Schergen der Niederhöllen hausten. Alle Hinweise auf diese Tage waren getilgt und ganze Stockwerke neu errichtet worden. Es hieß Diener des Schweigsamen und die Inquisitorin dieser Lande hätten selbst alles dämonische ausgetrieben. Vor allem die Kellergewölbe sollen dabei ihre Aufmerksamkeit genossen haben.

Es war ein zweckmäßiges, robustes Bauwerk, welches die Bezeichnung Burg im Gegensatz zu vielen Bauwerken in anderen Städten des Reiches noch vollends zu Recht trug. Schon von außen waren zudem einige borongefällige Verzierungen zu erkennen, welche sich im inneren fortsetzen sollten.
Der Pallas war schlicht gehalten und auch der Thronsaal des Markgrafen ebenfalls nur sparsam geschmückt. Auffällig waren vor allem die Schilde mit den Wappen aller Baronien der Provinz. Doch wäre es falsch gewesen den Saal oder die Burg an sich ärmlich zu nennen. Vielmehr setzt sich die „pragmatische“ und von borongefälliger Enthaltsamkeit geprägt Art des Markgrafen in den Gebäuden der Burg fort.

Im Hof angekommen wurde sich der Reittiere angenommen. Der Herold der Mark begrüßte die Abgesandten des Feldzuges kurz und freundlich, ehe er sie selbst in den Pallas und den Grafensaal geleitete. Mit lauter Stimme kündigte Ilgar von Galebfurten seinem Herrn den Besuch aus den Nordmarken und anderer beteiligter Provinzen an, wobei er die Namen der Gäste samt deren Titel nannte.
Gernot von Mersingen saß etwas erhöht auf einem schlichten Thron aus dunklen, borongefälligem Ebenholz. Über einem Kettenhemd trug der Markgraf einen schlichten, dunklen Wappenrock.
Zu seiner Seite stand eine sichtlich ergraute und von vielen Kämpfen gezeichnete Frau. Sie war in ein feines, dunkles Junkergewand gekleidet. Auf der anderen Seite des Mersingers ruhte auf einem Tisch mit samtenen Kissen die Krone der Markgrafschaft.
Vor dem Thron hatte sich die Prälatin der Praioskirche mit den Insignien einer Inquisitorin eingefunden. Die kleingewachsene Dienerin des Götterfürsten mochte kaum mehr denn fünfundreissig Götterläufe gesehen haben.
Neben ihr stand eine drahtige, kaum ältere Frau in einer geschwärzte Plattenrüstung und dem Rock der Golgariten. Beide schauten die Gäste interessiert an, wobei ihr Blick auch etwas Lauerndes hatte.
Der großgewachsene Markgraf erhob sich, als die Gäste aus den Nordmarken an den Thron herangetreten waren und nickte ihnen freundlich zu. Obwohl er die sechzig schon länger hinter sich gelassen hat, strahlte er noch immer Kraft aus. Er mochte seinen Zenit als Kämpfer schon überschritten haben, doch fiel es leicht, in ihm den Ritter zu erkennen, der seit Generationen für das Reich und viele Jahre für die Kirche des Borons stritt.
„Wir grüßen Euch, allen voran im Namen des Schweigsamen Herrn Boron und seiner gütigen Schwester Travia, in Altzoll und den Landen der Rabenmark. Es freut uns zu sehen, dass so viele tapfere Frauen und Männer im Geiste der Freundschaft gekommen sind.“ Lächelnd fuhr er fort. „Umso mehr dauert es uns, dass Euer Zug schon angegriffen wurde. Doch es zeigt uns auch, dass die Feinde der zwölfgöttlichen Ordnung sich vor dem fürchten, was sie alle ereilen wird.“
Lange hatte Jost darüber nachgedacht, was er sagen sollte, doch nun standen sie hier vor dem alten Mersinger, jenem Landesvater, der es nicht zustande brachte, die Seinen in ausreichender Weise zu schützen, dass es notwendig war, dass Nordmärker kommen und es richten mussten. Da hörte Josts Verständnis auf. Eigentlich war ihm der Markgraf auch völlig gleichgültig. Der saß da neben seiner Krone und hielt Hof, während es anderswo in seinen Landen weniger gemütlich zuging. Solche Leute verachtete er, und eigentlich hatte er keine Lust zu diesem Empfang gehabt. Aber seine ‘Ratgeber’ waren hartnäckig gewesen. Deswegen stand er nun vor dem Mersinger. Da mussten einfach einige Worte des Grußes sein.
“Boron und Travia und der Heilige Hlûthar auch mit Euch!” erwiderte Jost den Gruß des Gastgebers. Er war der Initiator dieses Zuges, der, der alle diese Streiter zusammengerufen hatte, somit oblag ihm das Recht als Ersterzu sprechen. “Wie wir es schon vor Eurem Herold ausdrückten: wir freuen uns über das herzliche Willkommen. Verzeiht, dass wir Euch hier und heute kein Geschenk überreichen - doch soll das Werk unserer Schwerter eines sein, mit dem wir hoffen, hierzulande in guter Erinnerung zu bleiben.” Dann warf der Baron von Hlutharswacht seinem Pagen einen Blick zu, woraufhin der Junge mit einem Stück Stoff auf den Händen nach vorn trat. Ein gastliches Zugeständnis, zu dem er sich hatte überreden lassen, aber welches er ganz sinnig fand, weil es ebenso Symbolcharakter als auch eine gewisse Intelligenz besaß, ohne anmaßend zu sein.
Jost erklärte: “Bis dahin soll der Heilige Hlûthar an den Mauern Eurer Feste wehen und ein Zeichen unserer Verbundenheit sein zu Euch und Euren Landen.”
Das Stück Stoff entfaltete sich als Banner der Baronie Hlutharswacht, auf dem über einer silbernen Feste der güldene Hlûthar stand, das Schwert schützend erhoben, wehrhaft, selbstbewusst. Zu Helfen bereit.
“Taten sollten es stets sein, durch die wir anderen in Erinnerung bleiben”, der Markgraf nahm das Banner in seine Hände und musterte es schmunzelnd. “Viele Götterläufe sind vergangen, da ich noch regelmäßig in Weidleth bei meiner Base weilte...”
Dann galt sein Blick gänzlich dem jungen Baron vor ihm und das Schmunzeln wich aus seinem Gesicht. “Wir werden es in Ehren halten. Doch wäre es vermessen, würden wir Eurem Ansinnen entsprechen. Oder haben sich die Sitten im Herzen des Reiches so gewandelt, dass dieser Tage das Banner einer Baronie gehisst wird, wenn man am Hofe einer anderen Provinz weilt?”
Jost stutzte, fand aber sogleich Worte: “Es wäre doch ein schönes Zeichen, wenn Ihr all denen, die unser Hiersein mit Sorge und möglicherweise auch mit Argwohn betrachten, verdeutlicht, dass das Heer unter dem Banner des Heiligen Hluthars in travianischer Freundschaft gekommen ist.” Dann setzte der junge Ritter ein charmantes Lächeln auf, das seinen jungen Zügen eine spitzbübische Heiterkeit verlieh. “Ich verlange ja nicht, dass Ihr Eures dafür abnehmt.”

Erleichtert atmete der Baronet aus und bemerkte, dass er eine ganze Zeit lang die Luft angehalten hatte.
Bei der Eröffnung seines Dienstherrn hatte Wunnemar gedacht- ‘ist Jost noch bei Trost?’ Auch wenn der Dienstritter des Hlûtharswachters zu keinem Zeitpunkt die aufrichtige Motivation in Josts Rede angezweifelt hatte, diese Art Geschenk und vor allem die Art und Weise der Übergabe, das konnte man fast nur falsch verstehen. Der Mersinger hingegen musste es falsch verstehen. Er war wohl aus dem gleichen, vermoderten Holz geschnitzt wie Rajodan von Keyserring.
Inbrünstig hoffte der Baronet nun, dass der Markgraf nicht noch weiter ‘drauf rumreiten’ würde. Beim Eisensteiner war sich Wunnemar sicher, wäre dies sicher der Fall. Vor allem der letzte Satz wäre dem vermutlich aufgestoßen.
Die nun streng militärisch wirkende Junkerin Borontrud von und zu Hornisberg musste kurz schmunzeln, fand aber recht schnell zu ihrem Firunsgesicht zurück. Ihr Blick wanderte zu Wunnemar und wartete ebenfalls ab.

“Ihr verlangt nicht?” Gernot von Mersingen blickte kalt auf den Baron von Hlutharswacht herab. Auch der Blick der Inquisitorin zeigte erkennbare Missbilligung ob seiner Worte. “Ihr glaubt, es bedarf eines Zeichens der travianischen Gastfreundschaft?” Ohne den Blick vom Nordmärker zu lösen, sprach er zu seinem Herold. “Galebfurten, habt Ihr so Eure Aufgaben vernachlässigt, dass daran Zweifel bestehen könnten?”
"Ich hoffe doch nicht Euer Erlaucht", entgegnet der Herold voller gespielter Bestürzung. "Jedenfalls bin ich mir keiner Nachlässigkeit oder gar Schuld bewusst. Das Gastmahl am gestrigen Abend war wohl ohne jeden Zweifel eines Fürsten würdig.
Aber", Ilgar von Galebfurten räusperte sich. Ein kurzes, spitzes Lächeln huschte über die sonst so distanzieren Züge des Edlen. "Ich würde einen Mann, wie seine Hochgeboren von Sturmfels- Maurenbrecher nicht allein an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen. Die jedenfalls und das sollte außer Frage stehen, sind über jeden Zweifel erhaben. Außerdem hat mir der ‘Große Schröter’ von jenem Moment höchster moralischer Reinheit berichtet, da der Baron von Hlûtharswacht sich dazu entschlossen hat das Schwert zu nehmen, um unser geliebten Heimat einen Dienst zu erweisen, der den Göttern zum Wohlgefallen ist." Ilgar verzog keine Miene, bei diesem doch eher fragwürdigen Vergleich.
"Daher...", Der Herold nahm das Banner und legte es sich höchst würdevoll über den Arm, nur um dann einmal liebevoll darüber hinwegzustreichen. "Möchte ich dennoch oder vielleicht gerade deswegen empfehlen den heiligen Hlûthar zur rechten eures Banners zu hissen… selbstverständlich angemessen… etwas niedriger."
„Eure Familie mag es so halten, wenn ihr am Ziel des Zuges in Tälerort angekommen seid“, erwiderte Gernot kühl. Damit war das Thema für ihn erledigt und ging zu etwas anderen über.
„Mit Sorge haben wir vom Angriff auf den Zug gehört. Was genau ist geschehen?“
“Wir wurden von Buhlen des Verfluchten Fürsten von Frost und Kälte überfallen. Sie schossen mit verderbten Eispfeilen auf uns und griffen unter anderem unseren Tross mit Weißen Hetzern an. Wir erlitten Verluste, aber gingen als Sieger hervor.”
“Mhm”, kommentierte der Mersinger das eben vernommene. “Ein Späher, der den Kampf sucht und doch wissen muss, welches Ende es nehmen musste. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Diener der Niederhöllen welche der Ihren opfern. Womöglich eine Ablenkung für die wahren Späher des Feindes.” Sein Blick wanderte zur Landmeisterin der Golgariten. “Es ist sicher kein Zufall, dass wir Berichte aus anderen Teilen der Rabenmark vernehmen, die von Zwischenfällen und Übergriffen künden. Die Feinde des Reiches und der Zwölfe rühren sich und wollen uns binden. Es fragt sich nur, ob Ihr der Grund seid oder dem Feind gelegener Anlass für eine Riposte.” Er nickte seiner einstigen Untergebenen zu.
“Auch die Schwingen und Federn des Ordens sind gefordert”, Yanessa von Brabak musterte weiter die Nordmärker vor ihr. “Der Markgraf bat den Orden, Euch auf dem Zug zu begleiten. Und wir werden mit Euch ziehen.” Sie wandte sich Gernot zu. “Ich selbst werde die Feder anführen, die sie begleitet.”
“Gut, derweil werden wir uns bereit halten, um schnell dorthin zu ziehen, wo der Feind noch zuschlagen mag.” Der Mersinger schaute auf seine Gäste, ob sie noch etwas zu sagen wünschten.
Jost nickte. Angesichts der vorherigen Verstimmung des Landesherrn, die warum auch immer entstanden war, blickte er zu dem Mersinger auf und bedachte auch die Ordensmeisterin mit einem demutvollen Blick. Es war nicht schlecht, wenn geweihte Kämpfer des Ordens mitritten. Freilich, jeder Geweihte, den Jost nicht kannte, erhöhte die Gefahr, dass irgendwer sich an seinen Kommandos stieß, aber abzulehnen kam nicht in Frage. Die Diener des Boron hatten jedoch einen Vorteil: sie scherten sich ebenfalls nicht um einen überzogenen Ehrbegriff und in ihrer Kampfweise waren sie effektiv. Das kam seinen Unternehmungen gelegen.

Abseits der hohen Politik

Aureus fühlte sich sichtlich unwohl. Er hatte sich herausgeputzt, zumindest so weit, wie seine spärliche Geldkatze es zuließ. Doch empfand er die Einladung Wunnemars als unpassend im Hinblick dessen, was er getan hatte. Eine solche Ehre stand ihm, seiner Meinung nach, nicht zu. Aber Wunnemar wollte den gesamte Orgilsbund dabei haben und er war ein Teil davon. Also hatte er sich rasiert, sich neue Kleidung gekauft und hatte heute darauf verzichtet zur Flasche zu greifen, was ihm beunruhigenderweise schwer gefallen war, doch machte er sich darüber keine Gedanken. Viel mehr machte ihm die Anwesenheit des Baldurstolzers Sorgen, der seinen Herrn den Baron Rajodan von Eisenstein begleitete und ihn ständig anzusehen schien. Schlimmer noch waren die Blicke der hochstehenden Geweihten. Er hatte das Gefühl, als würden sie auf seine Seele blicken und diese dabei bis auf die nicht vorhandenen Knochen ausziehen. Er biß sich auf die Unterlippe und fing an zu schwitzen. Mühsam gelang es ihm sich nicht den Kragen zu öffnen, obwohl ihm das Atmen und Schlucken schon schwer fiel. Sein Herz dröhnte in seinen Ohren und er glaubte, dass alle im Raum es hören müssten. `Beruhige Dich endlich!`,mahnte er sich selbst,`So entlarvt man Sünder!`
Der Baronet jedenfalls war erleichtert, ja freute sich sehr, dass Aureus seiner Einladung gefolgt war… trotz der Geschehnisse, die seinen Freund zurecht belasteten. Doch wozu war ihr Bund gut, wenn sie nicht zumindest versuchen würden einander Halt zu geben? Aureus würde sie brauchen, oder er würde vor die Hunde gehen, daran hatte der Trossmeister kaum einen Zweifel. Rhys hatte den Galebfurtener auf dessen Nachfrage detailliert erläutert, was sich im Zelt zugetragen hatte und Wunnemar konnte ehrlicherweise nicht einmal erahnen, was Aureus durchmachte. Doch Bestürzung und Mitleid brachten ihn nicht weiter.
Entschlossen trat Wannemar an die Seite des Altenweiners und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, dabei fragte er mit ruhiger Stimme: “Hast du mit einem Diener der Zwölf gesprochen, dich jemandem anvertraut?”
“Ich war gestern im Haus des Raben und habe mit der Tempelvorsteherin gesprochen. Sie sagte mir stünde ein schwerer Weg bevor und riet mir Praiodara nach Sancta Boronia zu schicken. Ich wage es allerdings nicht ihr unter die Augen zu treten.”
Nun wandte sich der Baronet dem Altenweiner zu. Seine Miene war ernst, jedoch drückte sie immer noch Entschlossenheit aus.
“Wenn es dir recht ist, dann rede ich mit ihr. Und Aureus,” Wunnemar hob leicht die Stimme, als wolle er sein Gegenüber Mut zusprechen, “in Tälerort wird es für dich, für euch immer einen Platz geben. Wenn du dich entschließen solltest nicht wieder in die Heimat zurückzukehren, ob nun vorerst, oder auf Dauer meine ich.
Alles was ich damit sagen will ist, dass es stets einen Ausweg gibt.”
“Ich danke Dir und werde darauf zurückkommen.” Aureus lächelte unsicher. Dem Galebfurtnener fiel nun auf, wie sehr sich Aureus verändert hatte. Die Ringe unter den Augen zeugten von Schlafmangel, er hatte abgenommen, die Wangen schon leicht eingefallen. “Weißt Du, gestern im Tempel, da war es so still und doch fühlte ich mich geborgen. Ich konnte zum ersten Mal wieder schlafen, seit… jener Nacht. Die Tempelvorsteherin hat mich dann auch schlafend vor dem Altar gefunden. Ein anderer hätte mich bestimmt aus dem Tempel gejagt, aber sie hob mich auf und fragte, ohne zu drängen und ich begann zu reden. Einfach so. Es tat einfach gut.”
Wunnemar nickte. “Weißt du, nach dem Tod Talinas habe ich nur am Herdfeuer, in den Tempeln der Gans wirklich Ruhe, Frieden gefunden. Um ehrlich zu sein denke ich, dass es immer noch so ist.
Wenn der Schweigsame es ist, der dir Trost zu spenden vermag, so solltest du nicht zögern seinen Beistand zu suchen. Es war SEINE Widersacherin, die euch ins Verderben reißen wollte, warum sollte ER euch jetzt nicht Rückhalt sein und helfen?
Vielleicht könnt ihr beide in St. Boronia… zu euch selbst finden und jenen Albtraum hinter euch lassen.”
Der Baronet legte Aureus eine Hand auf die Schulter. “Hoffnung gibt es immer, es ist nur manchmal sehr schwer, sie in sich zu finden.
Also, soll ich mit deiner Schwester sprechen?”
“Ja, bitte tue das. Aber mein Platz ist hier an eurer Seite. Ich werde mein Versprechen nicht brechen, auch wenn es mir schwer fällt. Für die Toten und die Freunde!”
Fest wurde da der Griff des Baronet an Aureus Schulter, als er darauf eine Erwiderung sprach. "Du stellst Treue und Loyalität über dein eigenes Wohlbefinden, dafür gebührt dir großer Respekt. Deine Bereitschaft zur Aufopferung ist uns allen ein Beispiel. Wisse jedoch, dass ein Zeitpunkt kommen mag, an dem meine Sorge um dich so groß sein wird, dass ich es nicht mehr gut heißen kann, dass du dir keine Ruhe gönnst. Jedes tugendhafte Streben wird ad absurdum geführt, so man sich selbst daran zu Grunde richtet."
Als wenn Wunnemar Aureus wachrütteln wollte, ruckelte er einmal an dessen Schulter. "Also rede mit mir, oder mit einem der anderen. Wir können dir die Hilfe nur anbieten, annehmen musst du sie selbst."
Verstört sah er den Baronet an, während seine Augen feucht wurden. Schnell blickte er zu Boden. "Du hast Recht. Ira drängt mich auch schon seit Tagen. Kann...kann sich der Bund morgen treffen? ...Irgendwo, wo wir ungestört sind?"
“Natürlich”, bestätigte Wunnemar und trachtete in diesen, Aureus schwachen Momenten danach seinen Freund vor den Blicken anderer Gäste abzuschirmen.
“Ich rede mit den anderen. Wir könnten uns aber auch gleich nach dem Ende des Empfangs irgendwo gemeinsam einfinden. Es sind ohnehin die meisten anwesend hier. Was meinst du?”
Der Altenweiner erschrak. Er hatte dieses Gespräch schon ein paar Tage vor sich her geschoben und jetzt sollte es heute Abend werden. Aber wahrscheinlich war es besser so. Er nickte.
“Ich sorge mich darum, dass so viele wie möglich da sein werden”, versprach der Baronet und löste sich von Aureus, nicht jedoch bevor er ihm brüderlichen auf die Schulter geklopft hatte.

Begengnung unter anderen Vorzeichen

Wunnemars Herz machte einen Sprung, ob er nun wollte oder nicht. Dies lag nicht in seinem Ermessen, es war als sei er nur Zuschauer in dieser Sache.
Da war sie wieder, jenen wundervolle Wesen, dass ihn schon am Vortag in seinen Bann geschlagen, ja ihn gegen seinen Willen verzaubert hatte. Und wieder wollte er wegrennen, fliehen. Doch dies würde nicht noch einmal geschehen. Diesmal würde er sich ihr stellen. Er wusste nun um die 'Gefahr', um Rahjas süsse Verlockungen. Er würde standhaft sein.
Mit klopfendem Herzen und leicht weichen Knien trat der Baronet Hildelind von Sturmfels entgegen. “Hohe Dame”, sprach er sie an. “Ich möchte mich für meinen etwas … überhasteten Aufbruch gestern entschuldigen.”
“Hochgeboren”, sie nickte ihm freundlich zu. “Travia zum Gruße. Ihr seid Trossmeister des Zuges, ich bin sicher, Ihr hattet gute Gründe.” Schmunzelnd fuhr sie fort. “Dies ist ein Feldzug und wir sind nicht in den Landen am Yaquir, wo die Etikette über allem steht.”
Gegen seinen Willen - erneut - musste der Trossmeister lächeln. Sie war nicht nur ungeheuerlich schön, die besaß auch Schneid.
“Da habt ihr natürlich recht”, entgegnete Wunnemar mit einem knappen, gewinnenden Lachen. “Zugegeben, ich bin froh das wir nicht im Reich des Horas sind. Alles was ich weiß ist, dass es sehr anstrengend sein muss sich an jede der dort vorherrschenden Etiketteregeln zu halten - und vermutlich ermüdend. Meine kurzen Besuche auf den Turnieren in Belhaka haben mir da leider nicht sonderlich weitergeholfen. Es ist wohl zwingend erforderlich dort am Hofe aufgewachsen zu sein, um sich wirklich alles merken zu können.” Wunnemar schmunzelte. “Wenn ihre eine Horasierin wärt, hätte ich mich wohl gnadenlos blamiert.”
“Nun, ich bin mir sicher, dass mein Haus auch am Yaquir vertreten ist. Doch ich für meinen Teil kann Euch versichern, unter meinen Ahnen finden sie sich nicht.” Sie griff seine Wort auf. “Belhanka? Dort gibt es Turniere? Die Stadt”, sie dachte kurz nach, “war mir bislang eher für andere Dinge bekannt. Ich hoffe, die Sturmherrin war Euch bei den Besuchen hold.”
Wunnemar grinste schelmisch. “Das war sie in der Tat. Ich habe zwar beide vergangenen Jahre meinen Meister gefunden, doch war dies jenseits der ersten Runden.” Ja, er wurde langsam besser. Da musste auch so sein, die ewigen, harten Stürze vom Pferd vertrug niemand auf Dauer.
“Vorletztes Jahr habe ich aus Unkenntnis einen älteren Comto gefordert”, fuhr der Jungritter fort. “Ein ziemlicher Etikettebruch, man ist ja dort nicht in Weiden. Sie nennen diesen rondragefälligen Wettstreit auch hochtrabend ‘Turnier der Eisernen Ketten.’
Naja, wegen dem verdatterten Gesichtsausdruck jenes, älteren Herren muss ich immer schmunzeln, wenn ich an Belhanka denke.” Der Baronet konnte es sich nicht verkneifen, er grinste erneut. “Nun ja, er setzte mich auf den Hosenboden. Das ist das Ende der Geschichte. Ich habe draus gelernt.”
“Das Liebliche Feld verbindet wohl keiner im Raulschen Reich mit Rittertum.” Sie dachte kurz nach. “Verzeiht meine Direktheit, aber was treibt Euch immer wieder zu einem Turnier nach Belhanka?” Das Lächeln der Ritterin zeigt, dass die Frage aus Neugier gestellt wurde und nicht als Vorwurf gedacht war. “In Weiden oder der Rommilyser Mark wird sich auch gemessen und das Rittertum genießt höchstes Ansehen.”
“Mein Dienstherr”, antwortete der Baronet freimütig. “Der Schwertvater seiner Hochgeboren von Sturmfel s- Maurenbrecher war seine Excellenz Zandor von Nervuks, der Landvogts der Krondomäne und Befehlshaber der Goldenen Legion. Jost - Verian liebt das Reich des Horas, die weit verbreitete, ‘hohe’ Kultur und im speziellen den Wein von dort.”
Wunnemar zuckte mit den Schultern. “Aus eigenen Stücken wäre ich nicht dorthin gereist nur wegen eines Turniers. Aber ich muss zugeben, die Architektur der Stadt hat mich fasziniert.”
“Interessant, bisher wusste ich vor allem um die Bande zwischen dem Markgrafen des Windhag und Herzog Grangoriens mit dem Haus vom Großen Fluß.” Die gewählte Reihenfolge mochte nicht der Etikette entsprechen, offenbarte aber deutlich den Blick auf den Diener zweier Reiche. “Nun wird mir aber zumindest einiges klarer, was ich von seiner Hochgeboren hörte.” Umso wunderte sie sich um den Fauxpas beim Markgrafen oder hatte der Baron ihn bewusst reizen wollen?
“Ich selbst war noch nie in den dortigen Landen und kenne nur Geschichten,” lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung. “Vor allem das, was ich über Gernbrecht von Oppstein und aus seinem Umfeld hörte. Der ehemalige Kommandant der Gardereiter der Fürstin verdingt sich dort als Condottieri oder so ähnlich.”
“Ich bin mir nicht sicher, was ich von dieser Art Kriegsführung halten soll, die im Lieblichen Feld vorrangig betrieben wird”, warf der Baronet ein. “Im Grunde genommen sind diese Condottieri doch auch ‘nur’ Sölder.”
Wunnemar zuckte mit den Schultern. “Zugegeben, dort geht es irgendwie gesitteter zu und besagte Herren sind zum Teil auch echte Ehrenmänner. Doch anders herum betrachtet, ist es wirklich ehrenvoll aus der Sicht eines Adligen diese Condottiere dafür zu bezahlen, dass sie für sie in den Krieg ziehen? Ist dieses Vorgehen ‘zivilisierter’, als die Einberufung eines Heerbannes aus Vasallen?” Der Baronet zuckte mit den Schultern. “Ich weiß es nicht.”
Unvermittelt stahl sich ein Lächeln in das zuvor ernste Gesicht des Galebfurteners. Alle Vorsätze für die Begegnung waren längst nur noch blasse Schatten am Rande seines Bewusstseins. Ihre Gegenwart ließ ihn vergessen was war. Sie befreite etwas in ihm.
“Ich muss euch langweilen”, sprach der Baronet seine Befürchtung aus und schüttelte amüsiert über sich selbst den Kopf. “Ich könnte jetzt etwas zu trinken gebrauchen”, gestand er und bot Hildelind seinen Arm an. “Macht mir die Freude eurer Gesellschaft und stellt mich einigen Herrschaften am Hofe des Markgrafen vor.”
“Das will ich gerne tun”, nahm sie den angebotenen Arm und übernahm dann auch die Führung, um verschiedene Personen anzusteuern.

Befleckte Seelen

Der offizielle Teil des Empfangs war schon lange vorüber, als sich die Mitglieder des Orgilsbundes am Rondra-Schrein zu Altzoll trafen, der sich im Stadtteil Cavenalis befand.
Aureus wartete dort bereits auf sie und ging unruhig vor dem Göttinnenbild auf und ab. Jeder konnte sehen, dass er nervös war. Erst, als alle versammelt waren, stand er endlich still. Unsicher blickte er von einem zum anderen. “Ich...ähm...also. Nein. Vielleicht wisst ihr...also...der Grund”, stammelte er und biss sich auf die Unterlippe. Warum war das denn so verdammt schwer? Hilfesuchend sah er zu Ira und Wunnemar, die ihm beide aufmunternde Gesten und blicke zuwarfen. Er drehte sich zu Rondra um und starrte sie eine Weile stumm an, dann atmete er einmal tief durch und wandte sich wieder seinen Freunden zu. Mit zitternder Stimme erzählte er ihnen alles, was geschehen war. Die Prophezeiung seiner Schwester, ihr Sturz vom Pferd, gemeinsam mit dem Knappen Folcrad am anderen Ende des Zuges. Das Angebot der Anconiten einer Traumreise, die Vorbereitungen, die Erlebnisse in der Traumwelt, das böse Erwachen und die Ereignisse im Zelt danach. Am Ende stand ein bleiches Häufchen Elend unter den strengen Augen der Göttin, das sich weinend und zitternd am Altar festhalten musste.
Als Alrik sich am Schrein eingefunden hatte, hatte er nicht wirklich gewusst was ihn erwarten würde. Nach seinem Erlebnis während des Überfalls wusste er momentan jedoch auch nicht so recht, welcher Gottheit er sich derzeit andienen sollte. Es war ein Kampf auf Leben und Tod gewesen, es ging um Ehre und beides gehörte doch schließlich in die Domäne der Sturmherrin. Allerdings hatte er seine Klinge in den Dienst der gütigen Travia gestellt, in den Freundschaftsdienst an Wunnemar, der ihn hier in die noch immer belasteten Lande der Rabenmark geführt hatte. So hielt er sich eher im Hintergrund und lauschte Aureus, unsicher wie er das Gehörte bewerten sollte.
Ira, die die Geschichte ja schon kannte und die Aureus ihre eigene Meinung dazu bereits ausführlich dargelegte hatte, schaute in die Runde. Ihr Blick ging von Aureus zu den anderen und wieder zurück. Er tat ihr so leid. Wie er da stand und von dem, was ihm widerfahren war, zitternd Bericht abgab, hoffend, aber nicht wissend, wie die anderen Brüder im Bund seine Verfehlung, seine Beichte aufnahmen.
“Also, wenn es von euch keiner tut,” sagte die Plötzbogen nach einem lauten Seufzen und überwand die Distanz zu Aureus, um das zittrige Häufchen Elend in die Arme zu schließen. “Bei der, vor der wir gerade stehen!” warf sie mit tadelndem Blick la in die Reihen ihrer Bundbrüder, während sie dem jungen Mann in ihrem Arm mütterlich über das Haupt fuhr. “Ist Schweigen alles, was ihr dazu zu sagen habt? Aureus trifft natürlich keine Schuld! Das ist doch klar - oder.” Ihre Frage am Ende war eher eine Aussage, denn für sie stand die Unschuld ihres Bruders ohne Zweifel fest. “Er war schließlich nicht er selbst, als das alles passierte!”
Etwas leiser raunte sie Aureus zu: “Das war gerade sehr mutig von dir. Und richtig. Ich bin stolz auf dich. Und du kannst es auch sein.”
“Danke”, flüsterte er zurück, “aber warum sagen sie denn nichts? Sie starren mich an und sagen nichts!”
“Nimm’s ihnen nicht übel, für sie ist es neu und heftig.”
Ohne, dass sonst jemand etwas sagte verstrich die Zeit und auch, wenn Alrik selbst nicht wusste, wie er auf die Beichte reagieren sollte, ergriff er das Wort. “Ich muss zugeben, nicht zur Gänze begreifen zu können was du uns soeben geschildert hast. Seit dem Heerzug nach Mendena habe ich vieles gesehen und dennoch mag ich einiges davon noch heute nicht verstehen. Genauso geht es zumindest mir mit dem, was du sagst, die Worte sind da, aber ihre Bedeutung bleibt mir dennoch ein Stück weit verborgen. Zugegeben möchte ich mir einiges davon auch überhaupt nicht vorstellen.” Gestand der junge Schwarzen Queller ein klein wenig lapidar ein, ohne dies jedoch herabwürdigend zu meinen und fuhr sogleich mitfühlend fort. “Allerdings glaube ich nicht, dass du dich willentlich an den Zwölfen versündigst! Wir sind Brüder, durch Verlust und Erfahrung zu einer Familie geschmiedet. Gemeinsam beschreiten wir den Weg der Zwölf und wer ihn verlässt, den schleife ich persönlich darauf zurück!” Tatsächlich strotzten seine Worte vor Überzeugung, wobei der Schluss für jeden deutlich für bare Münze zu nehmen war.
Boronian brummte bejahend und nickte auf die Worte Alriks hin zustimmend. “Und du hast das seither alles mit dir herumgetragen?” Er rieb sich beeindruckt wie auch erschüttert mit der Pranke übers Gesicht und zupfte nachdenklich seinen immer voller werdenden Bart. Seine Miene war ebenso sorgenvoll wie mitfühlend. “Warum bist du denn nicht eher zu uns gekommen? - Zu uns allen, mein ich.”
“Weil .. .ja, also … ich …”, versuchte Aureus zu erklären, fand aber nicht die richtigen Worte. Dann fasste er Boronian an den Schultern und sah ihm tief in die Augen. Ernst, aber leise fragt er: “Hättest Du das denn gekonnt, wenn Dir dasselbe widerfahren wäre?”
“Wenn unsere Gemeinschaft an so etwas zerbricht ist sie nichts wert.” Dann richtete der große Schwertleiher das Wort an alle, erwiderte dabei Aureus’ Schulterdrücker mit der eigenen Pranke brüderlich: “Lasst uns keine Geheimnisse voreinander haben. Nur dann können wir uns gegenseitig stützen. Niemand von uns muss etwas allein ertragen!” ließ er wahrhaft heroisch verlauten, während er in die Runde sah, “...von schlechten Dienstherrn mal abgesehen.” fügte er mit einem Schmunzeln und Blick auf Ira hinzu.
Die erwiderte das Schmunzeln zwar, war aber mit ihren Gedanken bei einem Geheimnis, das keiner von ihren Brüdern wissen durfte. Nur, wenn sichergestellt war, dass sich diese entweder dem Geheimnis anzuschließen oder zu sterben bereit waren. Letzteres ließ sie schwer schlucken.
Von Brun waren keine Worte der Ermutigung zu vernehmen. Stattdessen hatte er während des Berichts die Arme verschränkt, sein Gesicht hatte einen abweisenden Zug bekommen, der bei jedem freundlichen Zuspruch, den seine Bundkameraden aussprechen, mehr und mehr zu einem Firunsgesicht geworden war.
Firin ging es ähnlich wie seinen Bundbrüdern. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es sich für Aureus anfühlen musste, so etwas durchlebt haben zu müssen. Andererseits kreisten seine Gedanken um ihrer aller Verletzlichkeit. “Unser Feind hat bestimmt noch mehr solche Sachen vor. Wir sollten uns klar machen, dass es jederzeit jeden von uns in ähnlicher Weise treffen kann. Lasst uns deswegen gemeinsam beten um Stärkung durch die Herrin Rondra. Will jemand etwas sprechen?” Er sah ihn die Runde, denn er wollte niemandem etwas auf-, oder sich gar in den Vordergrund drängen.
“Vielleicht sollten wir uns sogar eine Art gemeinsames Ritual überlegen, das wir täglich wiederholen, um uns immer wieder neu stärken zu können in einem traviagefällig gesprochenen Gebet an die Leuin,” ergänzte Boronian, der diese Idee gut fand und der sogleich einen Blick auf den Schrein der Herrin warf.
“Jungs,” meldete sich die einzige Frau in der Runde zu Wort. “Das ist ja eine schöne Idee.” Der Meinung war Ira wirklich. “Aber wir sollten uns auch überlegen, wie wir Aureus jetzt helfen können. Wenn es die Runde macht, was da war, bekommen die Leuten sicher Angst. Und wenn sie Angst haben, kommen sie auf komische Gedanken, und dann tratschen sie und während der Tratsch wandert, ändert er sich...” Ira seufzte. Tratsch war böse, denn er war selten nicht sinnverdrehend. Sie umklammerte den Arm des Altenwein, unter den sie sich eingehakt hatte. “Wie wollen … können wir verhindern, dass die Welt aus unserem Aureus,” Ira drückte den Arm noch etwas fester, “einen schäbigen Verbrecher vor den Göttern macht? Wie retten wir sein Ansehen, seinen .. .Namen? Vorschläge?”
“Wie wäre öffentliche Abbitte? So wie das hier nur auf einem Marktplatz und durch einen Praiosgeweihten bestätigt.”
“Spinnst du, Räblein?!? Dann können wir ja gleich den Greifenspiegel darüber berichten lassen. Ich sagte retten! Nicht brandmarken!”
“Warum ist es an UNS, Aureus’ Namen zu reinzuwaschen? Vermögen wir das überhaupt? Ich - ich mein e… Hat unser Bund nicht einen tieferen, heiligen Sinn, als sich darum zu scheren, was die Leute denken?”
“Ihr sollt meinen Namen nicht reinwaschen, dass kann nur ich allein! Ira möchte nur verhindern, dass falsche Gerüchte aufkommen und in Umlauf gebracht werden. Außerdem… wenn ich keinen guten Leumund mehr habe, welches Licht wirft das denn auf den Bund? Wie können wir wachsen, wenn man schlecht über mich, und in einem Atemzug, den Bund redet?”
“Also… mir will leider nichts Gescheites dazu einfallen.” seufzte Firin bedauernd.
Boronian brummte. “Immerhin bist du ehrlich.” Dabei nickte er dem Jüngeren zu.
“Wie gehen wir damit um, wenn uns jemand fragt? Ich meine, irgendwann wird jemand ankommen und sagen ‘Ihr seid doch die Freunde von dem da, der während des Feldzugs...dings...’” konkretisierte Ira.
“Ich sage einfach, dass mein Bundbruder über alle Vorwürfe erhaben ist und dass seine Unschuld zweifelsfrei feststeht. Und dann sage ich dem Kerl noch, dass ich diesem Altenwein jederzeit mein Leben anvertrauen würde, egal, was andere von ihm halten.”

Wunnemar, der die Bundesbrüder und ihre -schwester zusammengetrommelt hatte, hielt sich lange Zeit bewusst zurück. Als er dann erkannte, dass ‘der Bann’ gebrochen und sich alle versammelten Mitglieder des Orgilsbundes mit ihren Gesten und Worten für Aureus aussprachen, nickte der Baronet zutiefst zufrieden und trat seinerseits auf den Altenweiner zu, um ihn in seine Arme zu schließen.

Dunkle Schatten im vormals gleißendem Licht

“Eure Gnaden?”, mit möglichst sanfter, einfühlsamer Stimme versuchte der Baronet die Aufmerksamkeit von Praiodara von Altenwein zu erlangen.
Er hatte sie dort gefunden, wo er sie erwartet hatte, im Tempel vom “Praios Schein wider der Finsternis.” Die Geweihte kniete vor dem Altar und war in sich versunken, doch der anwesende Kleriker des Gotteshaus hatte Wunnemar ermutigt sie anzusprechen, da sie seiner Meinung nach auch menschlichen Zuspruch benötigte.
Sie drehte leicht den Kopf, damit sie besser hören konnte, sprach aber ihr stummes Gebet zu Ende. Als sie sich erhob, zitterte sie ein wenig, aber jede ihrer Bewegungen war aufrecht, gerade und würdevoll. Sie knickste noch einmal vor dem Götterbild, bevor sie sich umdrehte. Ihre Augen waren rot und auf den Wangen glitzerten Spuren von getrockneten Tränen. Dennoch schenkte sie dem jungen Baronet ein Lächeln: “Was kann ich für Euch tun, Wohlgeboren?”
Der Baronet erwiderte das Lächeln.
“Ich würde gern mit euch sprechen. Euer Bruder bat mich dies zu tun, da er in großer Sorge um euch ist”, gestand er offen. Nur die Wahrheit konnte vor einer Dienerin des Götterfürsten bestehen, daran hatte Wunnemar keinen Zweifel.
“Indes bin ich ebenfalls in Sorge um euren Bruder und komme als sein Freund zu euch. Geleitet ihr mich ein Stück?”
Bei dem Wort `Bruder` zuckte ihr linkes Auge und die Gesichtszüge froren ein. “Aber gewiss”, antwortete sie und ging auf ihn zu. “Was für Sorgen treiben Euch denn um?”
Wunnemar wies mit einer Geste Richtung des Ausgangs des Tempels und wartete dann, bis Praiodara voranschritt. Der Baronet setzte sich an ihre Seite.
“Vorab, der Hofmagus meines Dienstherren hat mich eingehend über das informiert, was im Zelt geschehen ist.” Wunnemar ließ eine kurze Pause entstehen, bevor er fortfuhr.
“Ich werde nicht um irgendetwas drumherumreden. Aureus sorgt sich um eure seelische Verfassung. Er selbst hat sich uns- dem Orgilsbund anvertraut, weil er weiß, dass er am Abgrund steht, weil er erkannt hat, dass er alleine Fallen wird.
Praiodara”, wählte der Baronet die persönliche Anrede, obwohl sich die beiden so gut wie fremd waren. “Ihr beide dürft nicht zulassen, dass der Dämon obsiegt, indem ihr euch entzweit. Das ist es doch was er will- Zwist sähen, Leben zerstören und die Menschen dahinter verderben.
Ihr wisst besser als ich, dass ich die Wahrheit sage. Lasst euch helfen und verhindert, dass es so kommt. Ich, nein wir- der Orgilsbund werden tun, was in unserer Macht steht.”
Die Lichtträgerin schluckte. Unzählige Gefühle drangen auf sie ein. Als erstes war da Wut. Wut auf ihren Bruder, wegen seiner Tat. Wut auf diesen Wunnemar, der hier vor sie trat und sich um ihren Bruder sorgte. Und ja, auch ein klein wenig Wut auf Praios, dass er sie nicht beschützt hatte. Doch den letzten Gedanken schob sie schnell beiseite, konnte es doch ein Tor sein, dass sie nicht aufstoßen wollte. Dann war da Neid. Denn ihr Bruder hatte hier Freunde, die sich um ihn kümmerten, ihm zur Seite standen. Wer aber kümmerte sich um sie? Wer tröstete sie? Gab ihr Halt? Angst und Verzweiflung hatten sich sogar verbündet und drangen gemeinsam auf sie ein. Was sollte jetzt aus ihr werden? Die Verlobung, ihre Stellung innerhalb der Kirche. Würden sie Bestand haben? Sie war geschändet, entehrt. Was, wenn sie schwanger war? Sollte sie abtreiben oder das Kind austragen und Tag für Tag an den grausamsten Moment ihres Lebens erinnert werden? Was, wenn der Dämon recht hatte und sie den göttlichen Funken ihres Herrn verloren hatte? War es wirklich Gerechtigkeit, nach der es sie verlangte, oder Rache? “Auch Ihr habt die Wahrheit verdient, Wunnemar. Ich hadere mit mir. Als Praiotin ist es meine Pflicht Recht und Gesetz zu wahren. Soll ich die Taten meines Bruders zur Anzeige bringen? Immerhin stehen fahrlässiger Totschlag an Noiona, Angriff auf eine Geweihte und Vergewaltigung im Raum. Unserem Gesetz nach bedeutet dies 30 Dukaten Geldstrafe, Brandzeichnung, Abschlagen von Zunge oder Hand, den Tod und Brechen der Beine, Abschneiden der Ohren oder Tod. Gegebenenfalls durch Vierteilen. Bei der Kombination würde ein Richter sich wohl für die härteste Strafe entscheiden. Oder was meint Ihr? Und ich? Vermutlich war es meine Hand, die den Wohlgelehrten Herrn Gilig erschlug. Vielleicht war ich es, die ihren Bruder vergewaltigte. Auf Mord steht Tod. Auf Vergewaltigung, wie eben erwähnt, Brechen der Beine oder Abschneiden der Ohren oder der Tod. Theoretisch könnte man uns beiden auch Paktiererei vorwerfen, was ebenfalls mit dem Tod bestraft wird. Wenn ich ihn anzeige, lösche ich das Haus Altenwein aus, denn auch meine Verbrechen müssen dann zur Sprache kommen und gesühnt werden. Also, wen soll ich verraten? Meine Familie oder den Herrn Praios? Und selbst, wenn weltliche Gerichte uns frei sprechen, denn es war ja der Dämon in uns und nicht wir, wenn ich schwanger bin, was soll ich dann tun? Soll ich das Kind in meinem Leib ermorden, noch bevor es geboren wird, oder soll ich ihm Tag für Tag, Woche für Woche, Mond für Mond in die Augen sehen, und mich an diese schreckliche Nacht erinnern, bis es alt genug ist für sich selbst zu sorgen? Und da ich nun entehrt bin, nehme ich an, das Ihr die Verlobung lösen werdet. Wer will mich denn jetzt noch heiraten? Da ich nun einen Makel trage, wird die Kirche mir noch einen Tempel anvertrauen? Soll ich das Kind verstoßen, da ich kaum mehr für mich selbst sorgen kann? Sagt, Wunnemar, da ihr mir, und meinem Bruder, helfen wollt, was soll ich tun? Wozu ratet Ihr mir?” Ihre Stimme war kalt, doch konnte der Baronet deutlich die Verzweiflung hören, die in ihrem Innersten wütete.
Wunnemar ignorierte die direkte Frage und kam zunächst auf etwas anderes zu sprechen. Er hoffte, dass er Praiodara damit zumindest ein wenig würde beruhigen können.
“Der hochgelehrte Herr Rhys Gwenlian ist dabei einen Bericht zu verfassen. Wie ihr an seiner Robe sicher erkennen konntet gehört er zum Bund des weißen Pentagramms. Er ist Exorzist und besitzt dadurch entsprechende… Expertise, die auch vor eurer Kirche Anerkennung findet.
Er wird bezeugen, dass weder ihr noch euer Bruder bei Sinnen gewesen seid, als jene schrecklichen Ereignisse über euch hereinbrachen. Euch beide trifft keine Schuld, dies wird er bezeugen. Allein ihr müsst dies auch für euch selbst erkennen.”
Wiederum ließ der Baronet eine kurze Pause entstehen.
“Ich rate euch für einige Zeit in ein Kloster zu gehen, um seelische zu gesunden. Zudem wird sich eine Priesterin der Tsa sich eurer annehmen können, was die Frage einer Schwangerschaft angeht.
Lasst euch helfen Praiodara”, bat Wunnemar eindringlich, ja fast flehentlich.
Die Altenweinerin schwieg. In ihrem Kopf tobte ein Kampf. Gedanken, Gefühle, die Worte Wunnemars und die Lehren der Kirche führten Krieg miteinander. Der Baronet musste schon ein gehörig Maß an Geduld aufbringen, bevor sie sich vor ihn stellte und tief in die Augen sah. Es war der Blick, den die gestrengen Geweihten nutzten, um ihr gegenüber zu prüfen. Die Art Blick, bei der man sich fühlte, als würde der Schauende einem auf die Seele blicken und sie langsam, Schicht für Schicht, entblößen. “Ich höre Eure Bitte und werde Ihr nachkommen. Die profane Schuld mag getilgt werden ohne das Haus Altenwein zu vernichten. Doch sind unsere beiden Seelen nun befleckt und ich bin mir nicht sicher, ob sie je wieder rein werden. Ich werde mich nach Sancta Boronia begeben, wo man mir helfen kann das… Erlebte… zu verarbeiten. Danach begebe ich mich auf Arras de Mott in Klausur, um mich der vierten Säule Integritas zu widmen. Ich werde allerdings nicht die Seele eines Ungeborenen in TSAs Schoß zurückschicken. Insbesondere dann nicht, wenn sie möglicherweise dämonisch pervertiert ist. Dann wäre es besser das Kind großzuziehen und zu beobachten. Vielleicht kann mit der richtigen Erziehung trotzdem ein guter Mensch daraus werden. Mit Hilfe des Herrn werde ich meinen Weg schon finden. Ihr aber, Wunnemar von Galebfurten, sorgt mit eurem Orgilsbund dafür, dass mein kleiner Bruder nicht den Halt verliert, denn ich kann, und werde, lange Zeit nicht für ihn da sein. Habe ich Euer Wort?” Die Worte waren streng, doch vermochte der Baronet erkenne, dass diese Strenge eine Maske war unter der immer noch Gefühle miteinander rangen.
“Ihr habt mein Wort in Travias Namen”, sprach der Baronet und die Geweihte konnte kein anderes Gefühl erspüren, als aufrichtige Sorge und den wahrhaftigen Wunsch zu helfen.
“Ich werde tun was in meiner Macht steht, um euren Bruder Halt zu geben. Wenn ihr die Kraft besitzt mit ihm zu sprechen, so möchte ich euch bitten ihm zu raten mit mir in Tälerort zu bleiben, wenn der Feldzug sein Ende findet. Abseits seines gewohnten Umfeldes wird er am ehesten die Gelegenheit finden zur Ruhe zu kommen.”
Schmerz verzerrte ihr schönes Antlitz und sie drehte sich zur Seite, damit Wunnemar diese Fratze nicht sehen musste. Er konnte sie leise Schluchzen hören, dann wischte sie offenbar ein paar Tränen aus dem Gesicht, bevor sie sich ihm wieder zuwandte. “Ich… kann nicht. Ich ertrage seinen Anblick und seine Nähe nicht mehr. Es tut mir leid.” Wieder tauchten Tränen in ihren Augen auf.
Aus einem Impuls heraus trat der Baronet weiteren Schritt an die Geweihte heran und ergriff sie sanft bei den Schultern. “Grämt euch nicht”, sprach er fast im Flüsterton. “Ihr dürft jedes Verständnis dafür verlangen. Ich werde versuchen ihn auf meine Weise zu überzeugen.
Und nun sagt mir, ob ich euch noch irgendwohin geleiten soll, oder ob es euch lieber wäre, wenn ich mich empfehle?”
Sie lächelte zaghaft. “Hättet Ihr die Güte mich zum Traviatempel zu geleiten? Ich möchte Wissen, ob ich die Göttin erzürnt habe.”
“Selbstverständlich gern”, erwiderte Wunnemar lächelnd. “Dies ist auch mein Weg, da ich stets im Tempel der Gütigen nächtige, wenn dies möglich ist. Seit dem Tod meiner Frau in Mendena vermag ich nur am Herdfeuer wirklichen Frieden zu finden.”
“Ihr seid Witwer? Das tut mir leid. Möchtet Ihr mir von Ihr erzählen? Wie war sie so?”
“Das will ich euch gern erzählen.” Der Baronet bot Praiodara den Arm und nachdem diese sich eingehakt hatte, schritt er mit ihr gemessenen Schrittes aus dem Tempel des Götterfürsten, um ihr dann von Talina, seiner Talina zu berichten.