Feldzug Rabenmark, Kapitel 7: Gallys, das neue Wehrheim

Gallys, das neue Wehrheim

Gallys, das neue Wehrheim

An der Reichsstraße I gelegen auf dem Weg von Wehrheim nach Warunk, galt Gallys mit seinen beiden Kasernen, in denen die Schwadron ‚Grenzreiter‘ und das Schwadron kaiserliches Garderegiment ‚Ochsengarde‘ untergebracht waren, als das ‘Neue Wehrheim.’ Als solche war Gallys von enormer Bedeutung für die Sicherung der Grenzen im Rahja der Rommilyser Mark.
Neunhundert Einwohner zählte die Stadt, welche zur Zeit der Wildermark in dessen Zentrum gelegen war und wohl deswegen auch einen Kor-Tempel besaß. Sie mlag am und auf einem etwa achtzig Schritt hohen Hügel.
Auch hier, vor den Toren Gallys machte der Heerzug Rast, errichtete ein Heerlager für mehr als nur eine Nacht, so wie es bereits beim Feldzug gen Medena, gegen den Reichsverräter Helme Haffax gewesen war. Vorrangig mussten Vorräte aufgefrischt werden, bevor der letzte Teil der Wegstrecke sie durch die Trollpforte Richtung Rabenmark führen sollte. Hier aber verabschiedeten sich auch die Soldaten der Markgräfin, welche die Nordmärker von Rommilys aus begleitet hatten und dem Heerzug mit Bannern des Hauses Rabenmund, aber ebenso mit dem der Markgrafschaft Rommilyser Mark vorangeritten waren.

Die schon einmal da waren

Waren tatsächlich mehr als drei Götterläufe vergangen? Fragte sich der junge Schwarzen Queller und kam nicht umhin sich diese Frage selbst mit ja zu beantworten. Anfang Ingerimm hatten sie hier ihr Lager aufgeschlagen und anschließend auf die Ankunft der Kaiserin gewartet. Damals war er noch voll Vorfreude und Aufregung gewesen, immerhin war es damals sein erster Feldzug und er ein Junge der ausschließlich die Epen heroischer Taten kannte gewesen. Der Verräter Haffax war lediglich ein Feindbild gewesen, dessen Niederwerfung zahlreiche neue Epen hervorbringen würde.
Der Schattenmarschall hatte jedoch nicht vor gehabt, sich so einfach zu einem bezwungenen Schurken abwerten zu lassen. Stattdessen hatten sie schon vor den Grenzen seiner Domäne, hier vor Gallys, die ersten Opfer zu beklagen gehabt. Einen nordmärker Ritter den man nackt in einem Faß mitten im Lager des Herzogtums abgestellt hatte. Kurze Zeit später waren Pferde auf der Koppel vergiftet worden. Seitdem hatte Alrik den Feldzug mit anderen Augen gesehen. Hatte erkannt, dass der Feind nicht im Angesicht des kaiserlichen Aufgebots die Waffen strecken würde. Stattdessen würde jeder schmutzige Trick, jeder Hinterhalt und alle Heimtücke, die die Gefolgsleute der Niederhöllen aufzubieten hatten, aufgefahren werden.
Dann kam die Tesralschlaufe und der Tod der Baronin. Nicht das Blutbad und die unzähligen Leben, die an diesem Praioslauf durch mechanischen Kreaturen beendet worden, hatten ihn damals so erschüttert - es war der Tod der Baronin gewesen. Die ruhige und zurückgezogen regierende Baronin, der sein Herr so bereitwillig gedient hatte. Sie war gestorben, im Gefecht gefallen als sie sich für Nordmark, den Herold der Nordmarken, opferte. Ihr selbstloses Opfer und der Verlust der Anführerin hatte ihn erschüttert.

~*~

In der ersten Nacht, in der sie hier lagerten, träumte die Plötzbogen schlecht. Ira träumte fast jede Nacht schlecht. Von Vampiren, von Geliebten, und Geliebten, die zu Vampiren wurden, von Kindern und Kindervampiren, von gefährlichen Schiffspassagen und Schiffen, die gegen die Felsen krachten, geheimnisvollen rettenden Inseln, auf denen doch nur wieder irgendein Grauen wartete, von Werwölfen, Werwolfvampiren, Vampirrittern, und immer wieder vom Krieg gegen die Schergen des Reichserzverräters, denen so viele Leben zu Opfer gefallen waren. Damals. Vor drei Götterläufen. Die Schreie und all das viele Blut… Je näher sie den Schwarzen Landen kamen, umso mehr Bilder furchtbarer Erinnerungen drängten sich in Iras Träume. Nun, da der Heerzug Gallys erreicht hatte, meinte Ira beim Blick über die Bärnfarnebene noch die Überbleibsel der letzten Feldzugs, der hier mit der Kaiserin lagerte, zu erkennen. Die Erinnerungen an das Massaker an den Pferdetränken wurden vor allem in der ersten Nacht nach Ankunft zu düsteren Ängsten und grauenvolle Traumbildern.
“Habt ihr wieder schlecht geträumt?” grummelte Darek vom anderen Ende des Zelts, mittlerweile juckte es ihn schon gar nicht mehr, dass seine Herrin mitten in der Nacht auffuhr. Zu anfangs hatte er noch versucht, ihr etwas Gutes tun zu wollen, in dem er ihr etwas zu trinken reichte und sein Ohr, wenn sie wollte, denn er mochte die junge Ritterin gut leiden und bewunderte die Plötzbogen sehr dafür, dass sie dem Baron immer so furchtlos entgegen trat. Mittlerweile hatte der Rickenbacher sich allerdings an die Marotte gewöhnt und bewegte sich nachts nur noch, wenn die Herrin es wünschte. Ab und zu ließ er sich hinreißen, nachzufragen, was ihre Albträume gewesen waren. Manchmal antwortete die Ritterin. Meist allerdings machte sie die quälenden Nachtgeister mit sich selbst aus, oder mit denen, die sie ihre engsten Freunde nannte: junge Rittsmänner, attraktive Gesellen, die allermeisten davon ledig, wie er mittlerweile wusste. Die Plötzbogen schien tiefe Gefühle für diese vor Jugend, Ungebundenheit, Ambiotionen und Manneskraft strotzenden Recken zu besitzen. Darek beäugte das skeptisch - wusste er doch um die junge Ehe der Herrin und davon, dass Rickenbachs Zukunft von eben dieser abhing. Daher reagierte der Waffenknecht auch sehr mürrisch, als die Herrin mitten in der Nacht aufstand, sich anzog und mit dem Schwertgehänge in der Hand das Eisensteiner Lager verließ, um einen ihrer ‘Bundbrüder’ aufzusuchen. Sie würde nicht lange fort sein, er solle sich nicht sorgen, sagte sie noch. Dann war die Herrin fort und Darek lehnte sich - trotzdem besorgt - zurück.

Bald schon hatte sie ihn dank der Informationen der anderen gefunden. Mit einem “He, Räblein!” gesellte sie sich zu ihm und legte im nächsten Moment einfach nur die Hand auf Boronians Oberarm. Er hatte sich zur Nachtwache einteilen lassen. Die komplette Nacht lang. Damit er nicht schlafen musste. Ira konnte ihren Vetter gut verstehen. Wenn sie schon die finstersten Alpträume plagten, wie sehr musste dann er, der vor gut 3 Jahren in dieser Ebene durch Gift sein Leben verlor, leiden? Damals, bei der Sache mit den vergifteten Pferdetränken.
“Füchslein. Irgendwie wusste ich, dass du kommst.” Im Feuerschein der Fackel, die neben dem Ritter von Schwertleihe im Boden steckte, sah die Plötzbogenerin das Gesicht eines nachdenklichen jungen Mannes, dessen Augen unter seiner schwarzen Augenbrauen in das nächtliche Dunkel blickten.
“Ja, ich, ähm, wollte mal sehen, wie es dir geht.”
“Das ist lieb von dir, Ira. Aber geh zurück und leg dich hin. Du brauchst deinen Schlaf.”
“Brauchen wir nicht alle irgendwas? Schlaf? ...Oder einen Freund an der Seite?”
“Gute Güte, Ira, bist du unter die Poeten gegangen?” Er schmunzelte und seh sie an. “Geh zurück und leg dich wieder auf dein weiches Lager. Du musst nicht hier sein bei einem einsamen Raben wie mir.”
“Aber vielleicht WILL ich ja bei einem einsamen Raben wie dir sein. Jetzt halt die Klappe.”
Boronian schmunzelte noch einmal, richtete aber den Blick wieder in das nächtliche Dunkel.
Ira tat es ihm gleich. Schwarz lag das Land, die Ebene vor ihnen, während die Stadt mit ihren vereinzelten Lichtern sich deutlich abhob.
“Weißt du noch?” murmelte sie.
“Hm.” machte er, “wie könnte ich das vergessen.”
“Ist noch gar nicht so lang her, wenn man drüber nachdenkt.”
“Ich denke nicht darüber nach. Du solltest es auch sein lassen, Ira. Die Rösser starben, wir leben.”
Ira rutschte enger an den Schwertleiher heran. “Hast du mit deinem Schwertvater jemals darüber gesprochen?”
“Du meinst, dass er lieber seinem Gaul das Antidot gegeben hat? Nein. Das ist Vergangenheit.”
“Scheiße, Boronian, der Arsch hätte dich sterben lassen!” Sie griff geschockt in seinem Arm. Wie konnte ihr Vetter nur so ruhig darüber sprechen, dass er vor 3 Jahren genau hier in diesem Tal sein Leben durch Gift verloren hatte, und sein Schwertvater die Möglichkeit gehabt hätte ihn mit einem Fläschchen Antidot zu retten, das dieser aber damals lieber seinem ebenfalls vergifteten Streitross gegeben hatte. Die Ungerechtigkeit und ihr Unverständnis darüber hatten Ira damals schon den Glauben an das Gute gekostet. Heute, Jahre später, verspürte sie immer noch unbändige Wut auf diesen Mann. Der sich Schwertvater schimpfte, Baron, ja, der sogar ein Geweihter der Zwölf war - mittlerweile. Sie ballte ihre Fäuste und spürte den Drang in sich, etwas kaputt zu machen.
Boronian legte jedoch einen seiner Arme um die Ritterin, zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf ihr Käppchen. “Ach, Ira… lass doch gut sein. Es ist, wie gesagt, Vergangenheit. Und jetzt sei leise, ich hab Wache zu halten und muss in die Nacht hinein hören.” wies er sie an. Sie gehorchte.
Eine Weile hielt Boronian sein Füchslein im Arm. Sie war immer so schrecklich leicht aufzuregen. So leicht zu erschüttern. Und dennoch so stark.
Irgendwann, Boronian dachte schon daran, dass sie vielleicht eingeschlafen war, weil ihr Atem gleichmäßig und lange ging, da fuhr sie plötzlich auf:
“Macht dich das nicht wütend? Nicht mal ein kleines bisschen?”
“Was brächte es mir, Ira, außer Hader. Nein, Ira, ich habe damit abgeschlossen. Und das solltest du auch. Schau, die Götter haben zwar Lucrann einen seltsamen Charakter gegeben, doch sie schickten auch die Geweihte, um mich von Golgaris Rücken zu zerren. Ich wurde geheilt und lebe. Ich bin jetzt ein Ritter und mein eigener Herr. Ich ganz alleine entscheide darüber, an welche Erinnerungen ich zerbrechen oder mich aufrichten will.”
“Ich sage doch nicht…”
“...Und wenn ich sage, dass diese Sache für mich durchgestanden ist, dass ich sie hinter mir gelassen habe, dann ist das so. Ich muss keine Wut empfinden. Nicht mehr.”
“Aber…”
“Nein, Ira. Lass es gut sein.” Er lächelte sie an und schüttelte sie neckisch, um die dunklen Gedanken, die sie hatte, zu verjagen. “Ich lebe. Sieh her. Das zählt.”
Verwirrung stand ihr im Gesicht, als sie sich von ihm löste. “Ist da nicht mal ein ganz ganz kleines bisschen Ärgernis in dir?”
“Nein. Ich richte den Blick nach vorn. Rabenstein ist meine Vergangenheit. Meine Zukunft - keine Ahnung, die wird sich noch zeigen. Erst einmal bin ich hier, mit dir und den anderen, und streite in Travias Namen gegen die Dunkelheit. Das ist ein gutes Gefühl. Ich würde es schmälern, wenn ich mich von der Vergangenheit vereinnahmen lassen würde.” Boronian tippte seinem Füchslein auf die Stirn.
Wie sah ihre Zukunft aus. Ja, das war eine gute Frage. Wie würden die Nordmarken aussehen, wenn sie zurückkämen. Falls sie zurückkämen. Wo würden die nächsten Vampire ihr unheilvolles Werk tun?

Die Albernierin

Die Wiesen vor Gallys waren satt, es wuchs gutes Futtergras darauf. Man konnte auf ihnen auch gut den einen oder anderen Ritt oder Übungskampf bestreiten. Fläche war ja genug da, denn anders als vor 3 Jahren, als hier das riesige Heer der Kaiserlichen lagerte, gab es Platz und auch Wasser für alle. Knechte und Knappen schöpften aus einem der kleinen Bäche, welche die Wiesen durchzogen. Es war eine mühselige Plackerei. Die Tiere fraßen viel und tranken auch entsprechend. Doch der Gang zum Wasser war weniger weit, als der Weg in die Stadt auf dem Berg - wie das während des Haffaxfeldzugs für etliche Knappen der Fall gewesen war.

An einem jungen Morgen, die Luft war noch frisch und feucht vom Nebel, der noch in den Niederungen lag, aber so mancher Knecht oder Knappe bereits auf den Beinen, konnte, wer zum Bach kam, ein interessantes Schauspiel mitansehen. Inmitten des Bachbetts, das etwas tiefer lag als die umgebenden Wiesen, stand mit nackten Füßen eine junge Frau. Ihr einfaches weißes Gewand hatte sie zum Schutz vor dem Wasser auf einer Seite unterhalb der Hüfte in einem behelfsmäßigen Knoten hochgebunden, so dass der Blick frei war auf ihre beiden langen schlanken Beine bis übers Knie - und auf einer Seite sogar noch ein Stück höher. Die junge Frau besaß die schlanke Figur eines Mädchens, das sich an den richtigen Stellen schon zur Frau wandelte, und hüftlange glatte Haare in einem Sandton, die sie offen und gerade über eine der Schultern nach vorn gestreift trug. An ihrem Hals baumelte ein luftiger Anhänger und in der linken Hand hielt sie einen unterarmlangen Stecken, der wie die kleinere Ausgabe eines Magierstabs aussah, während sie mit den Fingern der Rechten unsichtbare Zeichen in die Luft malte. Dabei blickte sie unentwegt aufs Wasser. Sie schien sehr konzentriert bei dem zu sein, was sie tat.

Wichard, ein Knappe aus den Reihen der Liepensteiner, war gerade auf dem Weg zwei Eimer Wasser aus dem Bach zu holen - von einer Stelle, deutlich vor Erreichen des Lagers, natürlich. Schließlich wollten sie das Wasser zum Kochen benutzen, ohne sich hinterher mit Flinkem Difar quälen zu müssen. Zumindest betonte das unentwegt Ossian, einer der Albenholzer, mit denen die Liepensteiner in diesem Heerzug reisten.
Wenige Schritte außerhalb des Lagers hielt Wichard abrupt an. Mitten im Bach stand ein Mädchen, das einen Stecken in der einen Hand hielt und mit der anderen seltsame Figuren in die Luft zeichnete. Die jüngsten Vorfälle in der Heimat beschäftigten auch Wichard. Was hatte er nochmal über Hexen gelernt? Haben einen Besen, oder irgendeine andere Art Stecken zum Fliegen. Geben sich oft als schöne junge Frau, um andere Menschen zu betören. Haben manchmal ein Tier bei sich, vielleicht eine Kröte oder eine Schlange am Wasser? Sind gefährliche Zauberer. Nicht alle sind bösartig, vielleicht. Zumindest hat Ossian ihm erzählt, dass die Mutter seines Schwertvaters Eoban auch eine Hexe ist. Und die hatte ihn schließlich alleine in der Welt ausgesetzt.
Er schaute sich um. Die Eimer noch in den Händen haltend. Andere Mitglieder des Heerzuges, die in der Nähe zelteten, schienen der Szene keinerlei Beachtung zu schenken. Hexen hatten auch schlimme Flüche zur Täuschung und der Verblendung. Er zögerte einen Moment. Sollte er Hilfe holen? Oder erlaubt sich hier gerade nur ein Mädchen einen Scherz mit ihm? Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und rief zu ihr herüber: „He, wer seid Ihr? Was macht Ihr da?“
Auf den Ruf Wichards hin hielt das Mädchen in ihren Handbewegungen inne, drehte den Kopf und sah den Knappen aus unergründlichen Augen musternd an. Angst, ertappt worden zu sein, besaß sie augenscheinlich nicht. „Ihr?” Das Schmunzeln in ihrem hübschen ovalen Gesicht verriet ihr Amüsement. Vielleicht wurde sie nicht oft wie eine hohe Dame angesprochen? Oder dies war ihre Art, dem ernsten Ton in der Stimme des jungen Rittsmanns zu begegnen. "Komm her und schau's dir an.” forderte sie ihn auf, bevor sich ihre Augen angestrengt verengten. “Wichard, richtig?”
Hatte er richtig gehört? Hatte sie ihn gerade bei seinem Namen genannt? Hexen sollen auch sehr viel Talent für das Gedankenlesen besitzen. Jetzt versuchte sie auch noch, ihn zu sich zu locken.
Er schaute sich noch einmal um. Noch immer zeigte keiner der anderen Lagerbewohner Interesse an den beiden.
„Ich…“, säuselte aus ihm heraus. Dann etwas mutiger, mit tiefer Stimme, „… hab mich verlaufen. Ja. Dort, dort hinten wollte ich eigentlich hin.“ Er deutete mit wackeligem Finger und klapperndem Eimer in Richtung Zeltlager. "Ja, habt... gehabt Euch wohl." Mit einem Schwung drehte er sich auf der Stelle, wobei das nasse Gras unter seiner Sohle quietschte, und mit stoischem Blick und eiligen Schrittes marschierte er zurück in Richtung Lager. Dabei versuchte er sich an die Verse oder Strophen gottesfürchtiger Lieder zu erinnern. Aber alles war weg. Als hätte er sie nie gelernt. Hatte sie ihn etwa mit Vergessen verflucht? Damit er sich nicht an sie erinnerte! Trotz der morgendlichen Frische rann ihm eine Schweißperle von der Stirn.
Ein lautes Lachen zog die Aufmerksamkeit des Mädchen im Bach auf sich. Ein Lachen, das auch dem jungen Knappen Wichard nicht entgangen sein konnte. Eine Knappin, mit schulterlangen, dunkelblonden Zöpfen, dunkelbraunen Augen und Grübchen am Kinn, strahlte ihr entgegen. So mochte an die achtzehn Götterläufe zählen, den sie hatte schon den Leib einer ausgewachsenen Frau. Sie trug einen grünen Waffenrock, der von einem breiten, ledernen Gürtel geteilt wurde. “Ich sage dir, Jungs lassen sich von schönen Mädchenbeinen einschüchtern. Wer weiß, was der gedacht hat, was du vorhast.” Sie kam näher an die Böschung. “Silvagild von Ulmentor. Und wer bist du?”, fragte sie frei heraus.
“Maire ni Varaldyn.” sagte das Mädchen selbstbewußt, welches jünger als die Ulmentor war, obwohl die Schöne Herrin schon sichtbar an ihrem Körper arbeitete. “Ich weiß, wer du bist. Ich kenne alle eure Namen, denn ich kann mir Dinge gut merken. Du bist zum Beispiel die Schildmaid der Frau Hornisberg.”
Silvagild war beeindruckt. “Ja, die bin ich. Und du bist Albernierin. Schweinsfold liegt ja genau an der Grenze. Zu wem gehörst du, Maire?” fragte sie gleich zurück.
“Albernierin, ja! Meiner Familie hat mal ein Gut in Niederhoningen gehört, aber wir wurden entmachtet von diesem Herlogan. Waldersbach. Nicht weit vom Udenauer See. Kennst du es? Ich bin Schülerin der Magistra Turi Eslebon. Sie ist die Gemahlin von Feldkaplan Hane von Ibenburg-Luring.” Darauf schien sie ebenfalls stolz zu sein, wie auf ihre Herkunft.
Ein kurzer trauriger Blick huschte über ihre braunen Augen, doch lächelte sie diesen schnell hinfort. “Ja, das sagt mir was. Meine Tante Amadis weilte oft in dieser Gegend.” Dann kräuselte sie ungläubig ihre Stirn. “Ein Geweihter des Götterfürsten verheiratet mit einer … Magierin?”
“Warum denn nicht?” entgegnete Maire, als wäre es das Normalste von der Welt. “Geweihte sind doch trotz allem Menschen. Die beiden haben sogar einen Sohn. Reo. Aber der ist nicht mit. Die Magistra sagt, dass Kinder in einem Heerzug nichts verloren haben. Sie versteht daher auch nicht, warum der Baron von Hlutharswacht seinen Pagen mitgenommen hat….” Ein Stirnrunzeln, dann ein abschließendes Schulterzucken. Anscheinend hatte sich die Thematik dann für sie erledigt, denn sie legte nun den Kopf schief und sah die Ältere an. “Das ist dein erster Feldzug, nicht wahr? Für mich ist es der zweite. Ich war schon beim Zug der Kaiserin gegen den Reichserzverräter dabei.” sagte das Mädchen, ebenfalls mit einer Normalität, welche die junge Magierin reifer wirken ließ, als sie wohl war.
Sichtlich beeindruckt nickte Silvagild. “Ja, mein erster. Dann kennst du unsere Route schon?”
“Ja. Das stimmt sogar.” Ihre Augen leuchteten auf. Offenbar hatte sie selbst diesen Gedanken noch gar nicht gehabt, und drum freute sie sich jetzt. “Einige kenne ich noch von damals. Die meisten sind jetzt Jungritter…” erzählte sie, wobei das Letzte sie wohl eher langweilte.
“Wichard war aber auch noch nicht dabei.” Maire deutete mit ihrem Kinn dem Entschwundenen nach. “Er sagte zwar er habe sich verlaufen, aber das stimmt - das sieht doch jeder - weil er Eimer dabei hatte, die er nicht mal voll gemacht hat. Komischer Kauz.” Sie schüttelte verstört den Kopf darüber. Ganz offensichtlich verstand sie den Zusammenhang zwischen weiblicher Störkraft und männlicher Schwäche noch nicht.
Silvagild musste lachen.
Wichard versuchte nicht hinzuhören, was die beiden Mädchen da sprachen. Einige Wortfetzen ihres Fluches waren dennoch an sein Ohr gedrungen. Jungs… Mädchenbeine… Schildmaid… Was? Wichards Schritte wurden langsamer. Er versuchte sich noch mehr auf das Gesagte zu konzentrieren und hing der Begegnung dennoch an. War er etwa auf einen schlechten Scherz hereingefallen? Er erreichte eines der äußeren Zelte des Lagers und warf den Blick zurück. Irgendwie ließ ihn der Gedanke an das seltsame Mädchen nicht los. Und noch während er die Szenerie am Bach beobachtete, zog er selber missgelaunte Blicke auf sich. Ein bärtiger Mann in Nachthemd war gerade dabei, Wasser zu erhitzen und raunzte ihn unfreundlichen an, was er hier mache. „Oh, entschuldigt. Ich… bin vom Weg abgekommen.“ stotterte Wichard und trat einen Schritt zurück auf die Wiese.
Da stand er schon wieder, mit zwei leeren Eimern in der Hand, Blick in Richtung der jungen Frauen. Er lauschte. Die beiden schienen such gut zu unterhalten. Über ihn? Als er Bewegung hinter sich hörte und das Knurren des Bärtigen vernahm, machte er einen weiteren Schritt.
Wichard wusste nicht, was unangenehmer war. Unangekündigt in einem fremden Zeltlager am frühen Morgen aufzutauchen, mit leeren Wassereimern zurückzukehren, ein paar Mädchen auf den Leim zu gehen oder von einer Hexe verflucht zu werden. Er versuchte weitere Wortfetzen aufzuschnappen und quälte sich weiter langsam vorwärts aus dem Lager. Ein kurzer Blick zurück offenbarte ihm einen mürrischen, abschätzig blickenden Bärtigen, der bedrohlich die Hände in die Seite stemmte. „Ein…Einen guten Tag wünsche ich noch!“ stotterte Wichard.
Mit gesenktem Haupt und besonders vorsichtig näherte er sich wieder den jungen Frauen am Bach. Bereit, jeden Augenblick abwehrend und … heldenhaft die Wassereimer in die Höhe zu reißen.
“Warum kommst du zurück, Wichard aus Liepenstein?” empfing ihn die junge Maid, die immer noch im Wasser stand, den Kopf leicht schief gelegt. Dabei warf sie Wichard ein Lächeln zu.
Wichard hielt inne und schaute das Mädchen mit aufgerissenen Augen an. Er schluckte den Klos in seinem Hals herunter. „Ich… hole Wasser…“ Er lächelte nervös. Und schwitzte. Dann wanderte sein Blick zu der anderen. Aus der Nähe erkannte Wichard nun auch die junge Frau mit dem grünen Waffenrock. Er fasste seinen Mut und setzte an, die Uferböschung hinab zu rutschen.
“Natürlich. Nur zu.” entgegnete das langhaarige Mädchen dem Knappen lächelnd und machte sogar eine einladende Geste mit dem Arm, in dem sie den kleinen Stab hielt. “Es ist genug für alle da. Ich kann auch später weitermachen.” Sie stand nach wie vor mit den Füßen im Wasser, nahm aber eine lockere Haltung ein und beobachtete Wichard interessiert. “Willst du nicht fragen, was ich hier mache? Wolltest du doch schon wissen, als du das erste Mal hier warst. Nicht wahr?”
“Trau dich ruhig, Maire wird dich schon nicht beißen”, neckte die Knappin Silvagild den Jungen.
Sie vielleicht nicht, dachte Wichard. „Sicherlich macht Ihr irgendwas, damit… das Bachwasser noch frischer schmeckt und in ausreichender Menge sprudelt. Das wäre sehr nett von Euch.“ Wichard rutschte die Böschung herunter. Jeden weiteren Schritt setzte er bedächtig, um nicht doch noch auf eine Schlange, Kröte oder irgendein anderes Hexengetier zu treten. Nur für den Fall der Fälle. Dabei schielte er regelmäßig zur jungen Albernierin herüber.
“Wasser ist, was dich interessiert, nicht wahr?” entgegnete Maire ihm fragend und hob nun wieder ihren Stab und winkte den jungen Mann gleichzeitig mit der anderen näher. “Dann schau mal genau hin!” forderte sie auf und blickte selbst in den kleinen Bachlauf. Die rechte Hand hielt sie dabei wieder auf Schulterhöhe über das Wasser, ihre Finger bewegten sich - und plötzlich war da wie aus dem Nichts gekommen ein kleiner Schwarm schillernder Fische, die dort unweit vom Ufer, wo Wichard stand, im Wasser schwammen. Die Sonne reflektierte sich glitzernd im Schuppenkleid der Tiere. Ähnlich einem Marionettenspieler gleich folgte der Schwarm den Bewegungen von Maires ausgestreckten Fingern.
Wichard hielt augenblicklich inne. Der Klos in seinem Hals war wieder da. Dann sah er die Fische. Er machte einen Satz zurück. Das war unheimlich, aber irgendwie auch schön. Wichard konnte nur noch glotzen. Dann kam ihm ein Gedanke. Was wäre, wenn er als nächstes wie eine Puppe am Seil durch den Bach plätschern musste. Er kaute nervös auf seiner Unterlippe.
“Angst vor ein paar kleinen Fischchen, die es gar nicht gibt?” lachte das seltsame Zaubermädchen hell, während es weiterhin die Bahnen des Schwarms nur mit Hilfe von Fingerbewegungen steuerte.
Fische die es gar nicht gibt? Er blickte noch einmal genauer auf den Schwarm vor sich. War da gerade eines der Fischlein durch einen Stein geschwommen? Und schwebte nicht ein anderes über dem Wasser? Immerhin wirkte dieses Trugbild nicht gefährlich. Wichard gefiel nicht, dass das Mädchen ständig über ihn lachte. Sie schien ihren tückischen Spaß zu haben. Augen zu und durch, dachte er sich. Er ging zum Wasser und tauchte den ersten Eimer ein.
“Ach, wenn dir Fische zu langweilig sind,” murmelte Maire und ballte die Hand zur Faust, woraufhin der Fischschwarm verging.
Wichard hob gerade den Eimer aus dem Wasser, da sah er durch die tänzelnden Wellen und das aufgewühlte Bodensediment eine Schlange auf sich zu schwimmen. Sie hatte das Aussehen einer Natter. Und Nattern besaßen Giftzähne, deren Gift zwar für Menschen nicht tödlich aber dennoch unangenehm war.
Der junge Mann erschrak und wollte einen großen Schritt zurückspringen. Der gefüllte Eimer aber brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Vielmehr taumelte er nach hinten und stürzte dann über einen großen Kiesel. Schmerzhaft landete er auf dem steinigen Untergrund. Der Eimer indes entleerte sich über ihm und rollte zur Seite.
“MAIRE NI VARALDYN!” Drang von oben auf der Kante zum Wiesengrund der messerscharfe Ruf einer hageren Frau mit kurz geschnittenem Haar, der den beiden Knappen und dem Mädchen, die im Bach stand, durch Mark und Bein ging. Auch sie trug eine weiße lange Robe, aber ihr Stab war der herkömmlicher Magier und bodenlang. Ihr fehlte ein Arm, aber das tat ihrem strengen Blick keinen Abbruch.
“Hast du wieder der Magica Phantasmagorica gefrönt?! 100 mal wirst du den Fulminictus Cantus niederschreiben zu Strafe. Und jetzt komm augenblicklich aus dem Wasser, Reussenstein, oder ich komme zu dir und schleppe dich am Ohr durchs Lager.”
Das Mädchen sprang daraufhin erschrocken aus dem Bachbett.
“Junger Herr,” ertönte die Stimme der Maga, sie richtete sich offensichtlich an Wichard. “Wenn meine Ziehtochter und Scolarin Euch in irgendeiner Weise beschämt, verstört oder verletzt hat, leiste ich hiermit Abbitte für ihr untragbares Verhalten.”
Auch wenn die Knappin Silvagild das Necken der Scholarin belustigend fand, so ging die Stimme der Maga ihr durch Mark und Bein. Intuitiv straffte diese sich und ihre Grinsen verflog. Unbeteiligt machte sie einen Schritt den Knappen zu und hob den Eimer auf. Diesen hielt sie dann Wichard hin. “Nur ein kleiner Scherz ….” murmelte sie vor sich hin.
Wichard drehte den Kopf nach hinten um zu sehen, wessen Stimme die Luft durchschnitten hatte. Er verharrte für einen Augenblick und versuchte sich zu erinnern, wo er diese Frau schon einmal sah. Märini Waraldin? Er drehte den Kopf zu dem Mädchen und blickte ihr hinterher, als sie aus dem Bachbett sprang. Er stotterte ein „schon gut“ heraus, stand auf und nahm mit einem leisen „Danke“ der Knappin den Eimer ab.