Feldzug Rabenmark, Kapitel 5: Rommilys

Rommilys

Gastfreundschaftliche Ankunft in der Mark Rommilys

Seitdem sie Gareth verlassen hatten und sich auf den Weg weiter gen Rahja begeben haben, war das stolze Aufgebot oft von misstrauischen Blicken begleitet worden. Nicht jeder freute sich über die Recken in glänzenden Rüstungen, wie es kleine Kinder taten. Viele sahen in der waffenstarrenden Truppe eine Bedrohung, eine Gefahr für ihr Hab und Gut – hatten die Erfahrung sie doch eben genau dies gelehrt. Unter diesen Umständen war es kaum verwunderlich, dass eine Abordnung des Landvogtes den Zug bereits an der Grenze zur Markgrafschaft in Empfang nahm und von dort weiter geleitete. Angeführt wurde die kleine Truppe von Leutnant Hardin Darpater, einem schlaksigen Mitdreißiger, der die traviagefällige Gastfreundschaft in Ehren hielt.

Aller Gastlichkeit zum Trotz, hatte sich jedoch schnell gezeigt, dass der Leutnant in einigen Punkten nicht zum Spaßen aufgelegt war. So hatte er bereits kurz nach der Grenze den Heerzug sein erstes Lager aufschlagen lassen. Das Rittergut Randolphshöh grenzte unmittelbar an die Reichsstraße an und verfügte über weite Weideflächen, auf denen Baron Jost und die Seinen – in Sichtweite des Turms des Ritters – lagerten.

Am nächsten Morgen war auf einen frühen Aufbruch gedrängt worden, sodass das Aufgebot am späten Nachmittag endlich vor Rommilys eintraf. Als sie schließlich Halt machten, war die Straße zu den Toren der Stadt entfernt in Sicht.

Den Weg weisend, war Leutnant Darpater ins Weichland um die Stadt abgebogen und vorbei an Höfen zu einem ansehnlichen Anwesen geritten. Sich in einem wahren Idyll befindend, fiel es schwer, die dunklen Götterläufe im Ringen mit den Dämonenkaiser und den Schattenlanden für real zu erachten. Erste Lichter erhellten die Fenster der Bauernhöfe in der Umgebung, während die Mauern der Stadt von den Strahlen der untergehenden Sonne in warmes, heimeliges Licht getaucht wurden. Der Schoß der Travia-Kirche hatte sie willkommen geheißen und verhieß Geborgenheit.

Gut zu erkennen hatte eine gute Seele bereits den Lagerplatz für die Nordmärker abgesteckt, während eine Koppel mit saftigem Gras auf die zahlreichen Pferde wartete. Auf der anderen Seite des Anwesens beobachtete derweil eine Herde Darpatrinder die plötzliche Unruhe, ohne sich dabei selbst aus der Ruhe bringen zu lassen. Gemächlich das Grün wiederkäuend lagen sie auf der Weide oder liefen langsam umher, während gelegentlich ihre Glocke schellte. Der Lageraufbau wurde soeben in Angriff genommen und tatkräftig packten die Leute von Leutnant Darpater mit an, während dieser zum nahen Anwesen ritt. Es dauerte nicht lang und bereits kurze Zeit später kehrte er in Begleitung einiger Personen zurück. Neben dem Leutnant ritt dabei ein älterer Mann ohne Rüstung, wobei fünf Gerüstete den beiden Männern folgten. Mainulf von Firunslicht, Vogt der Mark Rommilys hatte es sich nicht nehmen lassen diesen Recken hier einen Zwischenstopp zuzugestehen. Als ein Gefolgsmann der Markgräfin und überzeugter Darpatier konnte er nicht anders, als ihr Ansinnen gutzuheißen. Nichts würde den alten Ritter glücklicher machen, als sein Darpatien wieder erstehen und Swantje von Rabenmund auf dem Saphirthron zu sehen.
Um die Nordmärker willkommen zu heißen hatte er zudem im Hof des Anwesens Vorbereitungen für eine Begrüßungsfeier treffen lassen. Über einem Spieß drehte sich den ganzen Praioslauf über schon ein schmackhafter Ochse, in diversen Kesseln köchelte herzhafter Eintopf und auf den Tischen lagen zahlreiche Brote. Nichts davon hätte er tun müssen, doch wollte er jene unterstützen, die Darpatien unterstützen. Leutnant Darpater hatte seinen Herren direkt zum Trossmeister der Nordmärker geführt, woraufhin dieser nach einem kurzen Gespräch wieder zurück zum Gebäude geritten war. Immerhin war schnell alles Nötige gesagt. Ein erstes kurzes Willkommen, eine allgemeine Einladung zum Festschmaus auf dem Hof und der Heeresleitung zu einem kleinen Bankett, sowie das Angebot Dreierzimmer für die Zeit des Aufenthalts.

Keine fünf Wegminuten vom Lager entfernt war das Anwesen des Markvogtes hell erleuchtet. Zahlreiche Feuerschalen erhellten den Hof und tauchten diesen in ein angenehm warmes Licht. Der verlockende Duft von Essen lag in der Luft und hieß die Gäste willkommen. Sogar eine kleine Bühne war vor einem Wirtschaftsgebäude aufgebaut worden und Musiker spielten auf. Stallung, Wirtschaftsgebäude und Haupthaus waren wohl gepflegt und großzügig mit traviagefälligen Schnitzereien verziert worden. Unter dem Vordach des Haupthauses hing dabei eine polierte Silberscheibe mit einer typisch darpatischen Darstellung Travias, die von einer Schar Gänse gehalten wurde.

Der Trossmeister selbst war einer der letzten, die am Anwesen des Marktvogtes ankam. Die Ordnung im Heerlager beziehungsweise die Zuordnung der Plätze auf dem Feld vor Rommilys, hatten ihn lang in Beschlag genommen. Als er nun aber auf das Wirtschaftsgebäude des Anwesens zugeritten kam, sah er zufrieden und gelöst aus. Ja, es schien, als freue sich der Baronet, Rommilys, die erste Station des Feldzuges erreicht zu haben.

“Mutter, darf ich mich zu den Musikern gesellen?” Die Augen Maires leuchteten, denn das Musizieren war - neben einigen Verteidigungszaubern - eines ihrer Talente. Die Magierin, die in Wahrheit gar nicht die Mutter der 15-jährigen war, sondern die Frau, die sich um das Waisenmädchen kümmerte und sie zur Magierin ausbildete, sah argwöhnisch zwischen der Varaldyn und der Bühne hin und her, ehe sie nickte. Sie war so begeistert. “Ja, darfst du. Aber denke dran, dass du die armen Musiker ihre Arbeit tun lässt! Ich möchte nicht, dass mir Klagen kommen, du würdest sie ablenken. Hör zu, sieh zu. Nicht mehr. Hast du verstanden?” Das letzte sagte sie mit Strenge. Es war schon vorgekommen, dass die junge Varaldyn vor Neugierde oder Entzücken Unruhe stiftete. Natürlich machte sie das nicht absichtlich, aber ihre Fragen und vor allem, dass sie irgendwann selbst mitspielen wollte und ein Instrument erbat, brachte eine Gruppe Musiker schon mal durcheinander. In letzter Zeit aber hatte Turi an dem Mädchen Veränderungen festgestellt, die dem Mädchen wahrscheinlich weniger bewusst waren, als ihr, der sie bereits erwachsen und erfahren mit Männern war. Ihre schmale kindliche Gestalt war der einer jungen Frau gewichen, welche zwar immer noch eine schlanke Taille besaß, doch ihre wachsenden Brüste und ein runder Po das Auge auf sich zogen. Auch ihr Gesicht hatte die Zeichen der Kinderzeit überwunden, so waren ihre Augen glänzender, ihre Lippen voller, die Konturen straffer. Sie besaß einen Liebreiz, den Männer nun auch mit den Augen bemerkten. Maire hingegen war… so unbedarft. Und forschend gleichermaßen. Eine gefährliche Mischung, wie Turi fand, und warum sie daher mit mütterlicher Sorge beobachtete, wie das blonde Mädchen nach einem artigen Nicken davonsprang und sich nur wenigen Augenblicke später mit einem der Barden im Gespräch befand. Einem jungen gutaussehenden Kerl, der die Laute schlug und der natürlich nichts dagegen hatte, dass sich das hübsche fremde Mädchen neben ihn setzte, um zuzuhören, während es ihn und seine Kunst geradezu anhimmelte.
“Hast du Maire erlaubt bei den Musikern zu sitzen?” verwundert tauchte Turis Gemahl Hane neben ihr auf, seinen Blick ebenfalls auf die kleine Bühne gerichtet, wo nun seine Ziehtochter bei den Musikern saß, als gehöre sie schon immer dazu. Sie klatschte sogar im Takt. Bald schon würde sie eine Flöte in der Hand halten und selbst mitspielen, Melodien abzunehmen und eigene beizusteuern war ihr ein Leichtes…
“Ich sagte ihr, sie solle sich benehmen.”
“Das wird sie tun, ich bin mir sicher. Wir haben ihr das ja schließlich in letzter Zeit immer wieder deutlich gemacht und sie hat versprochen, sich zurückzuhalten in ihrer Neugierde. Warum schaust du denn dann so verbissen hinüber?”
“Ich schaue nicht verbissen, Hane. Ich beobachte.” quetschte Turi zwischen ihren schmalen Lippen hervor. Natürlich war da Verbissenheit in ihr.
“Gut, dann…hier.”
Turis Blick fiel auf die beiden Krüge in seiner Hand. Einen davon drückte Hane ihr gerade in die verbliebene Hand und nahm ihr dafür gekonnt den Magierstab ab. “Dann kannst du dich ja jetzt entspannen. Komm, trink mit mir auf unseren Besuch in Rommilys, Liebste. Ich freue mich schon sehr auf eine Einkehr am Großen Herdfeuer.”
“Lass uns bitte einen Platz suchen, wo wir sie sehen können.”
Hane musterte seine Angetraute. “Findest du das nicht etwas ...übervorsichtig? Ich meine, sie ist ja kein kleines Kind mehr.”
Turi seufzte. Sah er das denn nicht? Oder war er von seinen Vatergefühlen für Maire so verblendet, dass er dem Manne in sich nicht gestattete, sie mit den Augen eines Mannes anzusehen? Hatte er denn nicht bemerkt, dass das kleine Mädchen zur Frau geworden war? “Eben deswegen.”
“Ach, sie wird doch wohl kaum später mit einem der Bar--”. Was er ursprünglich im Spaß sagen wollte, ließ ihn augenblicklich verstummen. Dann setzte er sein Praioten-Gesicht auf, das, mit dem er Tadel auszusprechen gedachte, eigentlich eher gegen die Kindern und im Götterdienst. Aber nun sah er Turi damit an. “Du tust ihr unrecht!”
“Hane, ich möchte nur, dass sie nicht… Nein, schon gut. Du hörst keinen Widerspruch. Wahrscheinlich übertreibe ich wirklich.” sagte sie. Sie hielt es allerdings nicht für übertrieben, dieser Entwicklung wenigstens zuzusehen, denn sie wollte nicht verpassen, wenn es zu Problemen kam. Zur Bekräftigung ihrer Worte trank sie einen Schluck. “Gutes Bier.” stellte sie fest, wie zur Ablenkung.
Hane blickte wieder zu der kleinen Bühne, dann zu seiner Frau, die ihm zuliebe ihre Worte verschluckt hatte. Oh, er kannte sie ja so gut. Das ließ ihn schmunzeln und das strenge Gesicht brach auf. “Komm, da drüben ist ein gutes Plätzchen. Von dort können wir der Musik lauschen.”

Eine große Feier. Es war zu erwarten gewesen. Madalbirga hatte sich einen Krug mit verdünntem Wein genommen und einen Platz etwas abseits im Schatten gesichert. Schon seit längerem verspürte sie keinen Drang mehr zu ausgelassener Fröhlichkeit. Doch sie wusste, dass zumindest die Ansprache wichtig sein würde, zumal sie Mainulf von Firunslicht als aufrechten Darpaten schätzte und ihm - wie alle anderen auch - für das gute Lager zu Dank verpflichtet war. Und dazu roch der Hammel wirklich verführerisch. Während sie weiter am Wein nippte, ließ sie ihren Blick durch das Lager schweifen.
Als sie ihre Mann eben dort sah, von wo der gute Geruch herkam, musste sie unweigerlich schmunzeln. Sie hätte es sich denken können. Eigentlich wollte er ja nur kurz ‘alte Bekannte’ grüßen. Nun jedoch sah es so aus, als sei der Hammel eben jener ‘Bekannte’. Manche Dinge änderten sich halt nie und der Große Schröter würde vermutlich immer auch einen Großen Appetit haben.

Borix beaufsichtige wie die Angroschim seines Halbbanners ihren zugewiesenen Lagerplatz eingenommen hatten und wie die Tage zuvor ihre Zelte bei dem Trosswagen aufgestellt hatten. Danach beauftragte er den Fähnrich sich um die Verpflegung der kleinen Truppe zu kümmern.
Er selbst machte sich dann nach einer kurzen Reinigung seiner Uniform auf zu dem Anwesen des Marktvogtes.

Als das Gros der Gäste eingetroffen war, stellten die Musiker ihr Spiel ein und machten die Bühne für den Vogt frei. „Im Namen der gütigen Herrin Travia begrüße ich Euch herzlich.“ Eröffnete er jovial. „Mein Name ist Mainulf von Firunslicht, im Dienste Ihrer Erlaucht der Markgräfin Vogt über die Lande der Mark Rommilys. Ich heiße Euch hier, vor den Toren der Stadt aufs herzlichste Willkommen und möchte Euch alle dazu anhalten Euren Aufenthalt dazu zu nutzen die Perle am Darpat und das Herz der Travia- Kirche zu besuchen. Über zwei Dekaden kämpfte ich um das, was einst Darpatien war, und es erfüllt mich Zuversicht, dass auch kommende Generationen den Kampf um die Freiheit des Mittelreiches fortführen werden. Es erfüllt mich mit Stolz zu sehen, dass das Band der Freundschaft und Verbundenheit nicht nur zwischen Ihrer Erlaucht der Markgräfin und dem Herzog der Nordmarken besteht, sondern auch zwischen dem Adel des Herzogtums Nordmarken und den Erben Fürstin Irmegundes. So lasst uns gemeinsam anstoßen, speisen und feiern.“ Und während Mainulf von Firunslicht die kleine Bühne wieder verließ, kehrten die Musiker zurück und nahmen ihre Arbeit wieder auf.

Wunnemar hob den Becher gewässerten Weines und prostete dem Landvogt zu, der ihm wie aus der Seele gesprochen hatte. Es war gut zu wissen, dass sie in ihm und seiner Herrin einen Befürworter ihrer Sache hatten.
Als Mainulf von Firunslicht infolge die Bühne wieder verließ, trat der Trossmeister auf ihn zu.
“Hochgeboren?” Wunnemar wartete, bis sich der Landvogt ihm zuwandte. “Ihr danke Euch für die warmen Worte. Es erfüllt mein Herz mit großer Freude hier so empfangen zu werden. Meint ihr die Markgräfin wird uns eine Audienz gewähren?”
Natürlich konnte der Vogt nicht für seine Herrin sprechen, allerdings war er zuversichtlich, dass der Markgräfin, ebenso wie ihm, am Erfolg dieser Unternehmung gelegen war. "Ihre Erlaucht ist eine vielbeschäftigte Frau, jedoch bin ich frohen Mutes, dass sie etwas Zeit für Euch und Eure Sache erübrigen kann." Erwiderte er dem jungen Trossmeister, nicht ohne sogleich die Gelegenheit zu ergreifen selbst Erkundigungen einzuholen. "Doch sagt, gab es irgendwelche Probleme oder Unzulänglichkeiten mit dem Lagerplatz oder war alles zu Eurer Zufriedenheit?"
Der Baronet nickte lächelnd ob der Antwort. “Dann will ich diese Zuversicht mit Euch teilen. Ich hege den innigen Wunsch vor Ihrer Erlaucht das Knie zu beugen und ihr im Namen meiner gesamten Familie zu danken, nicht nur für den traviagefälligem Empfang, sondern auch für die Hoffnung, die vom Saphirthron ausgeht.”
Worauf er hoffte, ließ der Baronet unausgesprochen, doch es war klar, was er damit meinte - ein wiedervereintes Darpatien unter dem Haus Rabenmund. Solche Gedanken aber offen auszusprechen wäre leichtsinnig gewesen, immerhin war der Herr der Rabenmark ein Mersinger.
Was er hörte, erfreute Mainulf sehr. Er selbst war in Darpatien geboren und aufgewachsen, erst als gestandener Ritter hatte er mit ansehen müssen wie seine Heimat vom Feind angegriffen, verwüstet und dämonisch verseucht worden. Wie gern würde auch er das Fürstentum wieder erstehen sehen. Wie gern würde er, bevor ihn Boron zu sich berief, wieder dem Fürstentum Darpatien zu Diensten sein. Doch aus dem gleichen Grund, wieso der junge Ritter es nicht aussprach, warte auch Mainulf von Firunslicht diesen innigen Traum in seinem Inneren. Den Mersinger sah er dabei tatsächlich nicht als Problem an, immerhin hatte dieser bereits als Graf unter Fürstin Irmegunde regiert. So beließ der Markvogt es bei einem wohlmeinenden Nicken.
“Was das Feldlager betrifft, so seid unbesorgt”, wechselte der Trossmeister das Thema. “Es ist alles wie es sein sollte. Auch deswegen gebührt Euch mein Dank.
Werden wir, wie mir gegenüber in unserer Korrespondenz angedeutet, eine Eskorte bekommen, die den Heerzug bis zum Rand der Mark Rommilys begleitet?”
Mit einem zufriedenen Lächeln quittierte er die zufriedenstellenden Vorbereitungen seiner Gefolgsleute und würde sie später für ihre Leistungen loben lassen. “Weibel Darpater und seine Leute werden Euch bis zum Verlassen der Mark zur Seite stehen. Sollten sie Hilfe brauchen, wird ihnen diese zügig zugeteilt werden.”
“So dann”, erhob Wunnemar erleichtert seinen Becher, “ist alles derart bestellt, wie es sein sollte. Ich danke Euch nochmals.”
Der Baronet senkte kurz den Kopf in Richtung des Vogts der Mark. “Ich darf mich nun empfehlen Hochgeboren. Ich werde bei den Meinigen sehen, ob ich noch etwas tun kann und dann rasch wieder ins Heerlager zurückkehren. Travia mit Euch.”
Einen tüchtigen Mann, der auch noch in guter Sache agierte, wollte der Vogt nicht aufhalten. Stattdessen wünschte er ihm und seiner Sache den Segen der Zwölf und hoffte, dass dieser Trupp Nordmärker weiter zur Befriedigung des Landes beitragen würde. "Travia mit Euch und möge ihr Herdfeuer Euch stets wärmen."

Derweil im Feldlager

Da der Tempel der Helferin Travia für die erzzwergischen Angroschim nicht interessant war, hatte Borix beschlossen das Halbbanner während der Marschpause im Feldlager zu belassen und die Zeit für ein wenig exerzieren zu nutzen.
Deshalb hallte am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang schon der Weckruf des Fähnrichs durch das kleine Zwergenlager und wenig später begann das Exerzieren mit lauten Befehlen und Stiefeltritten.
So marschieren die Zwerge wohl gut zwei Stunden auf dem Platz hin und her, nahmen verschiedene Formationen an und übten Verteidungs- und Angriffsstellungen.
Dann erschallte der Befehl zum Frühstück.
Nach dem Frühstück begann das Waffentraining. Die Zwerge übten mit ihren Hämmern und gingen mit sich nicht gerade zimperlich um.
Bis es dann Zeit zum Mittag war, gab es für die meisten der kleinen Truppe einige blaue Flecke und Prellungen.
Nach der Pause begann der Drill wieder von vorne.
Borix übergab den Befehl über das Halbbanner an den Fähnrich weiter und machte sich dann auf den Weg nach Rommilys, wo er dem Angrosch-Tempel einen Besuch abstatten wollte.

Opfergabe auf Zwergisch

In der Stadt angekommen fragte Borix nach dem Weg zum Angrosch-Tempel. Seine erste Vermutung, dass sich der Tempel des Zwergengottes irgendwo in der Nähe des auf dem Hügel errichteten Fürstenpalastes befindet und dort ein paar Stollen und Feuerschächte angelegt worden waren, wurde schwer enttäuscht als er den wahren Standort erfuhr: Ein Tempel der Zwerge im Hafenviertel, fast direkt am Darpat.
Er musste darüber auf dem Weg mehrfach den Kopf schütteln und in sich hinein schmunzeln. Als er dann an einem Juwelierlädchen vorbeikam, kaufte er noch einen kleinen tiefblau leuchtenden Lapislazuli, den er im Tempel Angrosch opfern wollte.
Am Portal des kleinen Tempels wurde er von einem der Diener des Herrn der Erde begrüßt. Dieser hatte bereits gehört, dass sich auch einige Angroschim unter den Teilnehmern des Feldzuges befanden und darauf gewartet, dass sie sich auch in dem letzten Tempel vor den schwarzen Landen einfinden würden.
Gemeinsam betraten sie die heilige Halle, die aus dunklem Basalt erbaut war. An den Wänden waren die Meisterstücke der ansässigen Zwergenhandwerker als Opfergaben aufgestellt, so dass das Innere des Tempels eher wie eine Werkstatt aussah. Dieser Eindruck wurde noch von der lodernden Esse verstärkt, die sich in der Mitte der Halle erhob. Dort legte er den Edelstein ab und sank dann auf die Knie, um in Ruhe ein Gebet an Angrosch zu richten.Nachdem er eine Weile in Versenkung ausgeharrt hatte, erhob er sich wieder und bat den Geweihten ihn und sein Halbbanner zu segnen.
Dieser breitete die Arme aus und sprach den Segen des Angrosch.
Danach dankte ihm Borix und verließ den Tempel wieder. Nach einem kleinen Umweg über den Markt bei dem er noch ein Fäßchen Bier erstand, ging es wieder zurück in das Lager des Halbbanners.
Seine Soldaten erfreuten sich an diesem Abend noch an dem Mitbringsel ihres Hauptmanns.

Die Altenbergerin (die Nachzüglerin)

Alana von Altenberg zog die Luft tief ein. Die letzten Wochen waren mehr ein Gehetze, denn ein leichter Ritt durch das Land. Als die Nachricht über den Rabenmarkfeldzug sie in Gratenfels erreichte, war ihr sofort klar, dass sie die Familie ihrer Schwertmutter Thalina von Sturmfels-Maurenbrecher, die Tante von Baron Jost, unterstützen wollte. Seit ihrem Ritterschlag vor 12 Götterläufen, zog es sie immer wieder zurück nach Hlutharswacht. Ihr eigenes Haus, Haus Altenberg, sah sie als Außenseiterin, da sie die Einzige war, die das Schwerterhandwerk erlernt hatte. Seit Generationen herrscht der Aberglaube, dass die Ausbildung am Schwert Unglück über die Familie bringen würde. Und vielleicht war es gerade deswegen, dass ihr Haus zu den unbedeutenden Familien in den Nordmarken gehörte. Thalinas Familie hingegen behandelte sie immer wie eine der Eigenen. Traurigerweise nahm ihre Schwertmutter nicht am Feldzug teil, aber ihre Tochter Mersea. Mersea von Sturmfels-Maurenbrecher war ihr wie eine Schwester und Alana freute sich, endlich mit ihr zusammen auf Rondras Pfaden zu wandern. Nach einer schwierigen Reise über den Greifenpass, erreichte sie Gareth und verpasste den Rabenmarkfeldzug um wenige Tage. Die Ritterin reiste alleine auf ihrem Pferd Yppolita und nahm schnell die Fährte der Reisenden auf. Ein Heerzug in dieser Größe hinterließ Spuren und Geschichten. Und so führte sie es nach Rommilys. Dem glücklichen Zufall überlassen entdeckte sie Baron Jost und die Seinigen auf dem Weg in den Traviatempel, um das heilige Paar zu besuchen. Alana folgte ihnen.

Im Tempel der Gans (20. PRA 1042 BF)

Rommilys zeigte sich in diesen Tagen von seiner besten Seite. Die Markgräfin hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass die Gäste aus den Nordmarken als jene Freunde empfangen werden sollten, die sie waren. Und auch die Stadtvögtin legte wert darauf, dass Ihre einstigen Landsleute sich wohl fühlten. Wen weder das eine noch das andere viel scherrte, der sah doch das gute Geschäft, welches so viele Besucherinnen und Besucher bringen konnten.
Als schließlich die erste Stunde nach Mittag immer näher rückte, da machte sich der Zug auf den Weg von den Toren der Stadt zum höchsten Haus Travias auf Dere. Am Weg standen in regelmäßigen Abständen Angehörige der Friedensgarde, um über die gute Ordnung zu wachen. Alle Kämpferinnen und Kämpfer des Heerzuges, die es begehrten, sollten am Göttinnendienst im Friedens-Kaiser-Yulag-Tempel teilnehmen dürfen. Schon am Tag zuvor waren viele Geweihte der Gütigen Göttin in das Lager gekommen, um denen mit Wort und Rat beizustehen, die das wünschten. Wobei einige Äußerungen aus dem Heerzug und von denen, die der Herrin Rahja näherstanden als der Herrin von Heim und Herd munkelten, sie hätten wohl auch gleichermaßen über Sittsamkeit und Tugend wachen sollen. Sie hatten auch gerne und bereitwillig schlichte Friedensbänder verteilt, denn niemand sollte heute in den Tempel treten, der einige Klinge führte und diese nicht damit versehen hatte.

Auch viele Pilger waren wie immer in der Stadt und suchten den Tempel auf. Schnatternd kündeten die Gänse des Tempels, Nachfahren Domaras, davon, dass sie ihm immer näher kamen. Weit standen seine großen Tore offen und offenbarten die große Statue der Herrin Travia darin. Auch die Schreine ihrer Alveraniare waren prachtvoll anzusehen. Doch neben ihnen und auch dem Heiligen Kessel waren es vor allem die vielen einfachen Gaben, die den Tempel schmückten. Seit jeher kamen die Pilger hierher und ob sie einfacher Tagelöhner oder gütige Gräfin waren, viele hatten etwas aus ihrer Heimat mitgebracht, was sich heute hier fand. Zeichen für die Größe der Familie der Gläubigen.

Eine gewaltige Tafel war vor der großen Statue aufgebaut, auf der frisch gebackenes Brot und einfache Speisen lagen. Auch waren wohl einige Fässer aufgebockt worden. Die Schwestern und Brüder der Kirche begrüßten den Zug freundlich am Tor und führten sie in die Tempelhalle. Hier gab es keine feste Ordnung oder eine strikte Trennung nach Rang und Namen. Was zählte waren die Familie, Freundschaften und die gemeinsame Heimat.
Einzig die Markgräfin und ihr Gefolge hatten schon einen festen Platz nahe der Tafel eingenommen und grüßten die Neuankömmlinge freundlich.

Jost führte die Seinen in das Heiligtum Travias. Durchaus ergriffen, diesen berühmten Ort erblicken zu dürfen, schritt er andächtig und auch ein bißchen staunend in Richtung der Tafel. Zwar war ihm sein Cousin Vieskar in den letzten Monden gehörig mit der Göttlichen Gans auf die Nerven und auch auf die Geldbörse gegangen - doch richtete sich diese leichte Antipathie eher gegen den Mann denn den Glauben. Denn Gemeinschaft, füreinander einstehen und sich als Teil eines Großen Ganzen zu sehen, Josts spezieller Glaube an die Hornisse, fand sich stark in Travia wieder. Glaubten nicht manche, dass Shinxir ein Sohn Praios und Travias sein könnte? Er hatte sich, dem Ort angemessen, zurückhaltend eingekleidet und die letztjährige Mode aus dem Horasiat im Zelt gelassen. Und doch mochte er so manchem, der es arg mit Bescheidenheit und Armenpflege hielt, trotzdem wie ein eitler Gockel erscheinen.
Selbstbewusst und wenig demütig, aber mit einem charmanten und freundlichen Lächeln im hübschen Gesicht trat er schließlich vor die Markgräfin und zeigte seine Dankbarkeit mit einer tiefen Verbeugung. “Euer Erlaucht, ich, Baron Jost Verian von Sturmfels-Maurenbrecher, Initiator und Stifter dieses kleinen Feldzuges, und meinen Begleiter danken von Herzen durch Eure Lande und Eure Stadt reisen zu dürfen, um unseren Freunden und Verbündeten zur Seite zu stehen. Freundschaftliche und tief verbundene Grüße überbringe ich aus meiner Heimat, den Nordmarken, in die Lande am Darpat. So lange meine Anwesenheit in Travias Stadt währet, seid Euch meiner Dienste gewiss.”
Die Markgräfin musterte den Baron freundlich. Aus ihren langen Jahren in den Nordmarken am Hofe ihres Schwertvaters war sie mit dem dortigen Adligen wohl vertraut. ‘Kenne Dein Gegenüber’, eine Lektion, die sie schon früh verinnerlicht hatte und in den Jahren fern der Heimat besonders wichtig gewesen war. “Es freut uns immer, Freunde aus den Nordmarken in unseren Landen begrüßen zu können, Hochgeboren. Genießt die Gastfreundschaft der Rommilyser Mark und von Rommilys. Lasst uns wissen, wenn es Euch an etwas fehlt.”
Ehrfürchtig betrat Gundeland den Tempel der Travia. Es war sein zweiter, nein sein dritter Besuch dieser heiligen Hallen und auch dieses Mal war wer er ergriffen. Er ging ein gutes Stück in Richtung der Tafel und dann einige Schritte zu Seite um einen Platz einzunehmen. Dort ging er auf beide Knie schloss die Augen und betet zu Travia. – ‚Gütige Mutter. Ich bitte dich, halte deine Hand schützend über meine Frau und all jene, die daheim in Flusswacht geblieben sind. Halte jenes Unheil fern von Ihnen, das in diesen Zeiten durch die Baronie und vielleicht durch die ganzen Nordmarken umher streift. Bitte gib uns die Kraft, die vor uns stehenden Aufgaben zu bewältigen und dein Herdfeuer wieder in die Lande zu tragen und dort für Wärme und Geborgenheit zu sorgen und im Anschluss an das eigene Herdfeuer zur eigenen Familie zurück zu kehren.‘
Andächtig und gemessenen Schrittes betrat Praiodara die große Halle. Ihr Ornat war auf Hochglanz gebracht und gereinigt. Jede Falte saß an ihrem Platz, die halbhohe Filzmütze war korrekt ausgerichtet, das lange, blonde Haar zu einem kunstvollen Zopf geflochten, Szepter und Sphärenkugeln glänzten um die Wette. Alles war in perfekter Ordnung. So sollte es sein. Bei den ersten Schritten spürte sie deutlich die Anwesenheit alveranischer Harmonien. Sie waren anders, als die ihr vertrauten, doch gleichzeitig wohltuend. Sie spürte förmlich die Wärme, die Gastlichkeit - das Heim. Ihr Amt gestattete es ihr nicht sich gaffend und mit offenem Mund umzusehen, wie viele der einfachen Pilger es taten, die wie sie zum ersten Mal hier waren, dennoch wanderte ihr Blick von einem Ort zum anderen. Sie wollte das Höchste Haus der Heiligen Mutter mit allen Sinnen genießen. Sie fühlte den Boden, die Luft, die Anwesenheit der Menschen; sie sah die einfache Pracht, die kunstvollen Schnitzereien, die Freundlichkeit in den Gesichtern der Geweihten; sie roch das frische Brot, das prasselnde Herdfeuer, die Blumen und Kräuter mit denen der Tempel geschmückt war und später würde sie das Brot kosten und die Stimmen der Gläubigen hören, wie sie sich im Gesang vereinen würden, der Göttin zum Wohlgefallen. Bevor sie sich einen Platz suchte, ging sie zur Statue der Göttin, knickste, senkte den Kopf und sprach ein stummes Gebet. Dann zog sie vier Kerzen aus ihrem Ärmel und legte sie der Göttin zu Füßen.
Schließlich trat das Hohe Paar in die Tempelhalle, begleitet von Geweihten und zahlreichen Novizen. Sie hatten es nicht eilig und schritten durch die Halle, ihr Ziel war der Platz zwischen Tafel und Statue. Immer wieder hielten sie an. Sei es bei einem einfachen Pilger, einer Waffenmagd des Heerzuges oder einem Ritter. So erreichten sie schließlich ihr Ziel und blickten freundlich in die Runde der Versammelten.

Als kleiner Junge hatte er den Ort verlassen, an dem er geboren worden war, als Ritter und wohl baldiger Erbe des Baronstitels seiner Heimat kehrte er nun zurück. Viel war in der Zwischenzeit geschehen. Er hatte dem Baron von Galebquell als Page und später als Knappe gedient, war mit ihm im großen Kriegszug nach Mendena gezogen, hatte an der Seite des Herzogs der Nordmarken gekämpft und ihm in der Not zur Seite gestanden, was dieser ihm wiederum mit dem Ritterschlag gedankt hatte.
Seine Aventurie hatte ihn danach durch die gesamten Nordmarken, im Anschluss durch Albernia und den Kosch bis wieder zurück in die Grafschaft Albenhus, nach Hlutharswacht geführt, wo er in die Dienste des dortigen Barons getreten war, um von ihm alles zu lernen, was es bedurfte um seinen Platz in der praiosgegebenen Ordnung der Welt einzunehmen. Ob er dafür bereit war, wusste Wunnemar nicht und jedes weitere Mal, das er darüber nachdachte, wurden die Zweifel größer. Doch waren eben jene Zweifel nicht ein positives Zeichen dafür, dass er die Verantwortung ernst nahm? Konnte man sich auf eine solche Aufgabe überhaupt angemessen vorbereiten, oder musste die Aufgabe selbst den Menschen formen, mussten die Anforderungen und Erfahrungen erst das Bewusstsein, das Gefühl dafür schaffen, was erforderlich war, um Menschen und Land ein gerechter Herrscher zu sein?
Wunnemar blinzelte und befreite sich von all den überwältigenden Gedanken und kehrte ins hier und jetzt zurück.
Der Marsch des Heeres und all seiner Mitglieder durch Rommilys hatte ihn mit Stolz erfüllt, doch das geschlossene Betreten des Travia-Tempels, des Zentrums IHRER Kirche auf dem Kontinent war erhebend. Mehrfach musste er Tränen wegblinzeln, während ein riesiger Kloß sich in seinem Hals breitmachte. Sie waren alle Teil einer großen Sache.

Quendan hingegen bekam in eben jedem Moment den Mund nicht mehr zu. Mit weit aufgerissenen Augen bewunderte er den Tempel. Gerührt wie sein Schwertvater war er hingegen nicht. Der junge Knappe sah alles um sich herum durch die Augen eines Kindes und freute sich auch wie eines. Mehrfach musste Wunnemar seine Hand auf die Schulter Quendans legen, um ihn dazu zu bewegen weiterzulaufen und nicht Hindernis für die Nachfolgenden zu werden.

Thankmar ergriff die Hand seiner Frau, als sie die Schwelle des Friedenskaiser-Yulag-Tempels überschritten. Hier waren sie einst vor so vielen Jahren getraut worden, waren den Traviabund eingegangen. Hierher kehrten sie nun zurück mit ihrem Sohn, einem ihrer Söhne. Doch gemessen an alledem, was die vergangenen Jahre gebracht hatten, was alles geschehen war, war es ein wahres Wunder, dass es so gekommen war, dass sie alle am Leben waren. Koradin jedoch fehlte, war verschollen, noch immer. Gab es Hoffnung?
Liebevoll lächelnd wandte der Hüne den Kopf zu seiner Amazone. Thankmar wusste um die dunklen Schatten, die sich bisweilen auf Madalbirgas Gemüt legten. An niemanden, der in der Heimat geblieben war, waren die Jahre der Schreckensherrschaft, der Wildermark spurlos vorbei gegangen. Das traf auf ihn selbst ebenso zu wie auf jeden anderen, den der Nadoreter kannte. Aus der einstigen Frohnatur war ein zeitweise sehr nachdenklicher, schwermütiger Mann geworden, der nur wenig verlangte von seinen Lebensabend und gleichzeitig so viel - Frieden im Kreise seiner Familie.
Thankmar war kriegsmüde, war das Kämpfen leid. An Turnieren hatte er noch seine Freude, doch er fürchtete, dass die nächste Schlacht auch seine letzte sein würde. Der Große Schröter hatte seinen Kampfeswillen eingebüßt, seinen Biss verloren, so kam es ihm selbst jedenfalls vor.
Madalbirga betrat den Tempel an der Seite ihres Mannes Thankmar. Ein Stück der Vergangenheit kehrte zurück mit der Erinnerung an ihre Hochzeit. Sie lächelte unwillkürlich, als die alten Bilder vor ihrem inneren Auge erschienen. Während sie weiter ging, wurde sie wieder ernst - so viel war seitdem passiert. Doch dann schob sie die Gedanken beiseite. Ja, viel war passiert und es würde noch mehr passieren, aber nun würde es wieder gut werden. Sie wandte den Kopf und schenkte ihrem Mann ein Lächeln.
Thankmar sah stolz aus. Unzweifelhaft war er dies aufgrund seines Sohnes, den vor ihnen schritt. Als er bemerkte, dass seine Frau ihn anstrahlte, wandte er den Kopf zu ihr und erwiderte das Lächeln.
"Waren wir jung", sprach der Große Schröter nicht ohne Schalk. "Du siehst immer noch so zauberhaft aus wie damals meine wilde Amazone, aber ich für meinen Teil fühle mich ziemlich alt. Jeden Morgen knirschen meine Knochen, wie ein morscher Dachstuhl bei Sturm." Er nickte in Wunnemars Richtung und schüttelte fast ein wenig ungläubig den Kopf. "Unser Sohn ist groß und ein Mann geworden."
Dann plötzlich mischte sich ein anderer, ein trauriger Ton in seine Stimme. "Leider werden wir wohl nie Großeltern werden, doch ist dies wohl der Preis den wir zahlen müssen, dafür dass die Götter uns zumindest einen Sohn gelassen haben."
Thankmar schüttelte den Kopf, als wolle er die dunklen Gedanken vertreiben. "Verzeih mir", setzte er erneut, entschuldigend an. "Wir sind im Haus der gütigen Mutter. Ich sollte nicht so sprechen."
Mit einem leichten Tadel in den Augen und der Stimme erwiderte sie nur kurz “Sei dankbar alt zu werden, vielen ist dies in den vergangenen Götterläufen nicht vergönnt gewesen!” Doch sie war nicht in der Stimmung sich den Frieden des Göttinnendienstes verderben zu lassen und so fügte die versöhnlicher hinzu. “Bei unserer Feier zum Traviabund hattest du mehr Sorge, dass du nur einfaches Brot zu rssen bekommen könntest - oder hast du etwa nicht genügend Hammel abbekommen? Der Große Schröter wird doch nicht beim Kampf am Fleischspieß verloren haben?” Grinsend musterte sie ihn.
Der Nadoreter drückte die Hand seiner Frau ein wenig fester. Sie wusste im selben Moment, dass er dankbar war für ihr Verständnis. So viele gemeinsame Jahre Seite an Seite ließen sich nicht leugnen, hatten ihre beider Seelen nahezu untrennlich vor der gütigen Göttin verwoben.
Thankmar, in mancherlei Hinsicht aber eben auch nur ein gewöhnlicher Mann, konnte die ironische Bemerkung seiner Frau nicht einfach stehen lassen, ja nahm die humoristische Offerte gerne an, um seinen Schwermut hinter sich zu lassen.
"Ein gewöhnlicher Hammel wird mich niemals besiegen meine Amazone. Wie du weißt habe ich mich noch keinem Braten ergeben. Aber ich gebe zu, dieser hat sich tapfer gewehrt." Thankmar klopfte mit der freien Hand auf seinen Bauch und lachte leise. Dann beugte er sich zu Madalbirga hinab und küsste sie.
Sie schenkte ihrem Mann noch ein aufmunterndes Lächeln, dann wandte sie sich dem Göttinnendienst zu.

Rahjodan von Keyserring hatte sich ebenfalls im Tempel der Gütigen eingefunden. Übertriebenes Traviagetue, wie es die Darpatier an sich hatten, war ihm fern und begann ihm schon jetzt auf den Geist zu gehen. Travia war eine Göttin, die für Ehe und Treue zuständig war. Doch war Treue ein sehr weit dehnbarer Begriff, wie er wusste. Einige Gläubige gingen in seinen Augen viel zu weit mit ihrem Verständnis. Und seiner Meinung nach aus sehr ichbezogenen Gründen. Verbargen doch die meisten von ihnen unter dem vorgeschobenen Getue Traviagefälliger Redlichkeit, die eigenen Ängste vor ihrer Sexualität und ihren Gelüsten. Rahja war ebenso eine der 12e. Der Dienst an ihr konnte nicht bedeuten, Travia zu sündigen. Zumindest nicht in der Glaubenswelt des Eisensteiners. Rahja war die Göttin der Lust, der Hingabe. Und diese Tugenden waren kurzatmig. Was Travia auszeichnete, ihr großer Verdienst, war die Langatmigkeit ihrer Treue. Und zwar der Treue im Sinne der Verbundenheit. Und diese erlangte man in der Ehe und in der Familie. Selbst Freundschaften… sie waren vergänglich. Allein die Familie hatte Bestand. Von Blut konnte man sich nicht trennen. Es war immer dicker als alles andere.

Neben Rahjodan hatten seine Dienstritter Platz genommen. Der riesige Mann neben dem Baron, der etwa doppelt so breit war wie dieser und Oberarme hatte, die muskulöser waren als die Schenkel vieler anderer, hatte die Augen geschlossen. Er bat Travia seit Jahren um dasselbe: Eine Frau. Er wollte heiraten. Sein Baron hatte ihm versprochen ein gutes Wort bei seinen Belehnten einzulegen, doch bislang ohne Erfolg. Anselm wusste, an was es lag: er war groß und schüchterte die Frauen ein. Aber war es nicht genau das, was sie wollten? Wollten sie denn keinen Mann, der ihnen überlegen war. Der Baron sagte das jedenfalls und er war sowohl verheiratet als auch ansonsten sehr beliebt bei den Damen. Also musste es stimmen. Er sollte noch mehr zu Travia beten als bisher. Er sollte diesen Heerzug nutzen und die Göttin um ihren Segen bitten. Ihm eine Frau zu gewähren. Die Ehe.

Mit gemächlichen Schritten folgte Alana den Leuten in den Tempel. Noch nie hatte sie die Möglichkeit Rommilys und den Haupttempel der Travia zu besuchen. Die Größe und die einfache Schönheit der heiligen Hallen überwältigte sie und sie fühlte sich ergriffen. Fast hätte sie ihren eigentlichen Grund vergessen und schaute wieder nach der Gesuchten. Den Baron Jost wollte sie nicht hier und jetzt ansprechen, aber es erst einmal bei deren Base tun. Sie reckte ihren Hals in der Hoffnung Mersea von Sturmfels-Maurenbrecher zu entdecken. Doch sie war nirgends zu entdecken. Langsam aber sicher suchten sich die Besucher einen Platz. Alana schaute sich um und entdeckte noch einen freien Platz neben dem Baron von Eisenstein. Persönlich war sie ihm nie begegnet, doch kannte sie das Wappen gut. Ihre Schwertmutter lag viel daran, die Wappen der Nordmärker Familien gut zu kennen. Die breitschultrige Ritterin, trug das Wappen ihrer Familie, einen blauen Dreiberg vor Silber, über ihren Kettenhemd. Sie war recht blass, was wiederum ihre blauen Augen und die Sommersprossen im Gesicht zur Geltung brachten. Das kastanienrote Haar trug sie kurz und ließ sie oft streng wirken. “Travia zum Gruße, euer Hochgeboren. Ritterin Alana von Altenberg mein Name. Habt ihr etwas dagegen, wenn ich diesen freien Platz wähle?” Respektvoll schaute sie den Baron an.
“Ritterin.” sagte er mit einem belustigten Tonfall. “Dies ist ein Tempel. Nehmt euch den Platz eurer Wahl.” Er sah auf und blickte in junge, blaue Augen. “Dieser ist frei. Nehmt ihn euch.” Er lächelte sie an und deutete dann auf den Platz neben sich.
Etwas irritiert von dem belustigten Tonfall des Barons, nahm Alana platz. “Habt dank, euer Hochgeboren.” Sie streckte sich und zog ihren Wappenrock gerade. “Verzeiht meine Frage, euer Hochgeboren. Wisst ihr, ob Mesea von Sturmfels-Maurenbrecher ebenfalls hier ist?”
Rajodan zuckte mit den Schultern: “Ebenfalls eine Ritterin?” fragte er mit wiederum erheitertem Ton: “Ihr solltet meinen Schwiegersohn fragen.” sagte er kurz. “Es wird wohl eine seiner Verwandten sein.”
Alana war genervt. Arroganz war etwas, was sie bei niemanden leiden konnte. Und wie es schien, kümmerte es den Schwiegervater wenig, wer zur Familie von Baron Jost gehörte. Wie so oft hatte sie eine falsche Entscheidung getroffen. Hätte sie doch bloß weiter nach einem freien Platz gesucht. Ihr Blick fiel auf den großen und kräftigen Dienstritter, den sie vorsichtig musterte. Als dieser seine Augen wieder öffnete, nickte sie ihm zu. Anscheinend war sie von Eisensteinern umgeben.
Anselm musterte die Ritterin eingehend. “Danke, Herrin.” flüsterte er tonlos. Er hatte schon so oft zu Travia gebetet, dass sie ihm ein Weib schicken möge. Doch hier in ihrem wichtigsten Haus, konnte es nur ein Zeichen sein, dass unmittelbar nach seiner Bitte eine Frau auftauchte. Er versuchte sich an einem Lächeln und nickte ihr aufmerksam zu.
Ein leichter Schauer rannte über Alanas Rücken, als der grobe Hüne sie aufmerksam betrachtete. Sie kannte den Blick von ihren Gegenüber, wenn sie nicht nur oberflächlich betrachtet wurde. Kannte er sie? Die Ritterin war sich nicht sicher. Noch einmal reckte sie ihren Hals in der Hoffnung die Tochter ihre Schwertmutter zu entdecken.
Da! Dort hinten hatte sie jemanden ausgemacht, der aus der Ferne Mersea sein konnte.
Plötzlich spürte sie ein Zupfen an ihrem Ärmel und als sie sich umwandte blickte sie in verträumte grüne Augen. “Oh! Bitte entschuldigt, aber eine der Flammenspitzen meines Szepters hat sich verfangen, wenn Ihr kurz still haltet, kann ich es entfernen, ohne dem Stoff zu schaden.” Für eine Praiotin eher untypisch lächelte diese, während sie sanft den Stoff zwischen zwei zierlichen Fingern fasste, um die Falte zu glätten und dann das goldene Standessymbol entfernte. “Schaut bitte nach, ob auch kein Schaden entstanden ist.”
Beinahe hätte Alana der Komik geschuldet aufgelacht, wäre sie nicht im Traviatempel bei einer Andacht und wäre es nicht eine Praiosgeweihte gewesen. Intuitiv halfs sie beim glätten des Stoffes. Dabei berührten sich ihre Finger für einen Augenblick. “Ich glaube … ich glaub, alles ist in Ordnung, euer Gnaden …?” Sie schaute sie fragend an, nach der Suche nach einem Namen.
“Ich bin Lichtträgerin Praiodara Calderine von Altenwein”, lachte diese.”Die korrekte Anrede wäre also Ehrwürden. Aber grämt Euch nicht, die verschiedenen Weihegrade unserer Kirche sind nicht leicht auseinanderzuhalten. Manchmal liegt der Unterschied im Detail z.B.: die Art des Stoffes. Aber genug von mir. Mit wem habe ich denn die Ehre?”
Die Ritterin stand vor ihren platz auf und verneigte sich vor der Praiosgeweihten. “Ich bin Alana Tharvuna von Altenberg, Ritterin am gratenfelser Hof, ehemalige Knappin Thalina von Sturmfels-Maurenbrecher, die Edle zu Hlutharsruh. Es ist mir eine Ehre!” sagte sie mit einem funkeln in den Augen. Dann setzte sie sich wieder hin. “Ich werde den Baron Jost bei diesem Feldzug unterstützen.” Alana lächelte Praiodara an.
“Oh wie schön! Ihr seid vom gratenfelser Hof. Ich durfte das letzte Jahrzwölft das Haus der Sonne meine Heimat nennen.” Sie lächelte ebenfalls.”Ich kann mich leider nicht erinnern Euch im Gottesdienst gesehen zu haben, doch das liegt sicherlich daran, dass ich mich jedesmal im Glanze des Herrn verliere”. Alana konnte sehen, dass selbst hier, im Hause Travias, Praiodaras Blick in die ferne gerichtet schien, so wie man es von manchen Geweihten aller Kirchen kannte. Dennoch war sie auch hier und hörte offenbar jedes Wort ihrer Unterhaltung.
“Es führte mich öfter in Rondras Tempel als in den des Herren Praios, obwohl mein Haus sehr dem Götterfürsten nahe steht. Meine Ur-Großmutter Jaunava von Altenberg gründete die dortige Rechtsschule. Eine entfernte Tante leitet sie heutzutage, Prianna von Altenberg. Ich gehe davon aus, dass ihr sie kennt?”
“Aber natürlich, wir arbeiten eng mit der Rechtsschule zusammen. Ich durfte einmal selbst einige Anfänger unterrichten, als einer der Lehrer krank war. Aber das ist schon ne Weile her. Soll ich ihr schreiben und erwähnen, dass wir uns hier getroffen haben?” Sie lächelte Alana an.
Alana winkte ab.”Das ist nicht nötig, Ehrwürden. Aber ich muss sagen, es freut mich sehr euch kennen zulernen. Ich hoffe wir haben noch mehr Gelegenheiten dazu.” Sie lächelte sie mit einem ehrlichen Lächeln an.
“Die gibt es gewiss, obwohl ich Eure Pflichten hier nicht kenne. Aber ich gedenke mich mit seiner Hochwürden abzusprechen, ob es nicht sinnvoll wäre regelmäßig Götterdienste abzuhalten. Größere gemeinsam, alle anderen getrennt, weil wir doch so viele Teilnehmer des Feldzuges haben. Vielleicht kommt ihr ja vorbei? Sollte es allerdings Einwände vom Heerführer geben, so werde ich mich auf persönliche Andachten beschränken bei denen Ihr mir Gesellschaft leisten könnt, so Ihr denn wollt.”
“Ich komme gerne auf euer Angebot zurück, Ehrwürden. Ich bin froh dass ihr mich willkommen heißt.” Alana teilte einen warmen Blick mit ihr.
Die Geweihte blinzelte: “Warum denn auch nicht? Oder lastet Euch etwas auf der Seele, von dem Ihr glaubt, ich könnte es verurteilen?”
“Nein, Ehrwürden. Aber ich komme gerne zu euren Andachten.” Alana war froh, dass es jemanden gab der sie freundlich aufnahm. Sie hoffte für alle, dass der Feldzug kaum Opfer fordern würde.

Neben Anselm saß Vitold von Baldurstolz. Ihm war nicht ganz wohl, denn im Gegensatz zu den meisten Besuchern fühlte er sich hier nicht wirklich zugehörig. Er war fast 30 Jahre alt und noch immer unverheiratet und kinderlos. Seine Eltern waren schon in seiner Kindheit verstorben, weshalb er von seinem Onkel großgezogen und ausgebildet worden war. Zudem war er sich nicht sicher, wie Göttin und Kirche zu seinen Gefühlen, Sehnsüchten und Wünschen standen. Er bemühte sich zwar dem Göttinnendienst zu folgen, doch schweiften Gedanken und Blick des öfteren ab. Das Gebäude imponierte ihm und auch einige Teile der Zeremonie und er beneidete diejenigen, die echte Hingabe empfanden, doch vermochte er nicht sich als Teil des Ganzen zu fühlen. Der Muskelberg neben ihm schien sich sogar regelrecht anzustrengen Travias Gunst zu erlangen. Der Baldurstolzer beschloss sich später einem der Geweihten anzuvertrauen und ihn um Rat zu fragen. Vielleicht konnte er sich ja doch mit der Göttin aussöhnen - wer weiß?

Ira genoss jede Möglichkeit, die sie nicht mit den anderen Eisensteinern verbringen musste, sondern im Kreise ihrer Freunde weilen konnte. Sie und ‘ihre Jungs’ hatten den Tempel zusammen betreten und verfolgten den Göttinnendienst etwas abseits der Hauptgruppe sitzend. Nur Wunnemar war nicht bei ihnen, er saß bei seinen Eltern - was ihm jedoch keiner von seinen Bundgeschwistern übel nahm. Sie alle führte eine Aufgabe im Namen Travias her und der, wie auch Wunnemars besonderer Stellung bei dieser Unternehmung, waren sich alle bewusst. Daher hatte Ira auch mit ihm noch nicht über die Schrecken der jüngsten Vergangenheit gesprochen. Erstens war einfach noch nicht die Gelegenheit dazu gewesen. Zweitens wollte sie ja über das Versagen des ‘Kleeblatts’ nicht in aller Öffentlichkeit sprechen. Und drittens wusste sie, dass ihrem Schwertbruder die Anwesenheit seiner beiden Eltern wahnsinnig viel bedeutete und er, der sie so lange und oft entbehren musste, daher gerne jedes Sandkorn mit ihnen verbringen wollte. Ira war sich sicher, dass die Bilder vom Alptraum in Hlutharsruh auch Wunnemar verfolgten, sie wollte aber nichts erzwingen. Außerdem war da noch das Gedenken an Talina, der Wunnemar nach wie vor in Liebe verbunden war. Und da die Plötzbogen wusste, dass der Galebfurter, der die Herrin Travia über alles stellte, sich von Herzen gewünscht hätte, an der Seite seiner Liebsten nach Rommilys zu kommen, machte ein Gespräch darüber, dass der Tod in Hlutharswacht bei der Hochzeit des Barons viele Eheleute getrennt hatte, die Sache natürlich nicht besser.
Durch das Beten gelang es Ira ihre Aufmerksamkeit wieder zu sammeln. Irgendwann zwischendurch fand sie es hier im Tempel der Gans sogar wider Erwarten wirklich schön. Irgendetwas Magisches besaß dieser Ort, was nicht von dieser Welt schien und was direkt ins Herz ging, um dort eine intensive Wärme zu hinterlassen, ebenso wie das Gefühl tiefer göttlicher Nähe. Ira kannte dieses Gefühl schon von ihrem Besuch im Tempel der Schönen von Belhanka. Nur hatte das Gefühl göttlicher Wärme dort aus absoluter Befriedigung bestanden. Ira seufzte, als sie unweigerlich bei der Wärme in ihrem Innern und der Erinnerung an Göttinnendienst mit Travingo an ihr letztes Beisammensein mit dem feurigen Horasier denken musste. Da wurde ihr plötzlich anders, als ihr auffiel, dass sie ihren Bundbrüdern in diesem Zusammenhang noch etwas gestehen musste. Etwas, von dem sie nicht wusste, wie zum einen die Herrin Travia darüber dachte und zum anderen ihre Freunde. Ein wenig haderte sie mit sich. Dachte an ihr Schreiben, das ein jeder von ihnen für die Traviakirche verfasst hatte, und daran, dass sie im Bund hinsichtlich ihres Anliegens, die Waffenweihe aus der Hand des Heiligen Paares zu erhalten, besprochen hatten, gegenüber der Kirche der Herdfeuerherrin in allen Punkten aufrichtig zu sein. Noch wusste keiner von ihnen, ob man dort das Anliegen des Orgilsbunds unterstützen würde. Konnten sie sich denn sicher sein, dass man sie nicht immer noch prüfte? Dass SIE sie alle nicht immer noch prüfte?

Seit dem Heerlager von Gareth verbrachten die Liepensteiner und Albenholzer viel gemeinsame Zeit. Hier und da gab es zwar Unstimmigkeiten, doch im Großen und Ganzen konnte man eine freundschaftliche Bande wachsen sehen. So wunderte es auch nicht, dass die beiden Gruppen gemeinsam zur Andacht im Tempel der Gans gingen.
Neben Eoban saß Liebgardis, seine Base. Die Gespräche mit ihr hatten seine Stimmung deutlich aufgehellt. Er sah noch immer die Gefahren für seine Familie. Daran hatte sich nichts geändert. Doch seine Zuversicht war gewachsen und verdrängte das Gefühl von Hilflosigkeit. Endlich konnte er wieder einen Weg vor sich erahnen. Und das war gut. Bis tief in die Nacht hatte er darüber nachgedacht, welche Wünsche er in seinem Gebet an die Herrin von Heim und Herd einbinden solle.
Jetzt, im Tempel beruhigten sich seine Gedanken. Er spürte den warmen Laib Brot in seiner Tasche, den er als Gabe für die Göttin mit sich führte. Beinahe war es ihm, als würde sich diese Wärme zunehmend auch in ihm ausbreiten.

Die Andacht

Das Erhabene Paar erhob nicht die Stimme, um die Anwesenden in der großen Halle um Ruhe zu bitten. Auch keine der zahlreichen anderen Dienerinnen der Herrin Travia taten es. Sie wussten, der Moment der Ruhe würde kommen. Auf jeden wirkte das höchste Haus Travia anders, so wie auch eine jede Heimstatt anders war.
„Am Anbeginn der Zeiten war die Erde leer und die Kinder Sumus zogen rastlos durch die Ödnis“, klar und deutlich war die Stimme des Hohen Vaters, Trautmann Fjoldrijn von Falkenberg-Rabenmund, in der großen Tempelhalle zu vernehmen. Kaum hatte er geendet, da vollendete Traviata von Rabenmund, die Hohe Mutter, das seit den Tagen des Alten Reiches überlieferte Zitat: „Dies dauerte die Gütige Mutter und sie gab einem jeden von ihnen Heim und Zuflucht.“
„Wir alle haben ein Heim und in den düsteren Tagen, die über uns alle gekommen sind, fanden viele, die es verlassen mussten, an anderen Orten eine traviagefällige Zuflucht.“ Voll Milde wanderte ihr Blick über die Gläubigen und blieb schließlich auf einem älteren Pilger hängen, dessen Gewand von besseren Zeiten kündete, der sich auf eine deutlich jüngere Frau neben ihm stützte. „Oft war es nur eine einfache Zuflucht. Denn viele haben der Hilfe bedurft. Entbehrungsreich waren die Tage, die zu Monden und zu Jahren wurden. Und doch hielt die Hoffnung auf das Heim, die Heimat die Menschen aufrecht.“
Sie schritt auf den Mann und die Frau zu. „Dies hier ist Ifirbald Wingenter, der Junker von Brandhus im fernen Tobrien und bei ihm ist Gunelde Heidegüßer.“ Auch wenn Traviata nun vor allem zu den beiden sprach, vernahm die Versammelten ihre Wort klar und deutlich. „Du musstest Brandhus verlassen, als der Bethanier und mit ihm die Horden der Finsternis kamen. Es fiel Dir schwer, doch als Junker hast Du die Deinen bis nach Gareth geführt. Euer Leben war karg und entbehrungsreich, doch nie hast Du den Schwur vergessen, den Du am Tag der Flucht geleistet hast. Der Tag der Heimkehr sollte kommen und er ist gekommen.“ Sie legte dem alten Junker die Hand auf die Schulter, der sichtbar mit sich rang. „Gunelde“, sie wandte sich schließlich der Kämpferin an seiner Seite zu. „Du kanntest die Heimat Deiner Familie nur aus Erzählungen und doch gehörtest Du zu denen, die sich sofort auf den Weg machten, als Brandhus befreit war. Du hast gespürt, dort ist Deine Heimat. Ihr habt sie zurückgewonnen und auch wenn Euch dort Entbehrungen erwarten, die Spuren des Feindes der Zwölfe und der Schöpfung erst nach und nach getilgt werden, so habt Ihr nicht gezögert.“
„Ihr habt einen Schwur geleistet und gerne erfüllen wir Euch Euren Wunsch“, Trautmann war derweil an das heilige Herdfeuer getreten und beugte sich herab. In der Rechten hielt er einen Holzspan, den er entzündete, um damit eine kupferne Laterne in seiner Linken zu entzünden, die mit traviagefälligen Symbolen verziert war. „Nimmt dies am Heiligen Herdfeuer entzündete Licht und tragt es nach Brandhus. Entzündet damit die Feuer in den Höfen, Häusern und Katen.“ Während er sprach, schritt er auf die beiden und seine Gemahlin zu. Ein junger Geweihter trat hinzu und nahm respektvoll die Laterne entgegen. „Bruder Ugdalf wird Euch begleiten, das Feuer hüten und den Segen der Gütigen in Brandhus erbitten.“ Das Erhabene Paare umarmte die beiden Tobrier und was sie ihnen in diesem Augenblick sagten, war allein für ihre Ohren bestimmt.
„Travia“, der Stimme des alten Junker war anzuhören, wie ergriffen er in diesem Moment war. „Travia, Peraine und ihr anderen guten Götter droben in Alveran. Nimmer werden wir vergessen, welch Güte und Hilfe wir in allen Jahren empfangen haben. Wenig können wir geben, denn unsere tiefe Dankbarkeit.“ Er nickte der kräftigen Kämpferin zu, die sich darauf umdrehte und einen kleinen Sack nahm und zur gedeckten Tafel schritt. „Dies ist ein Teil unserer ersten Ernte in Brandhus. Wenig und doch rein und Zeichen unserer Heimkehr. Möge es Travias Tafel dienen, um die zu speisen, die weniger haben und die, die uns immer geholfen haben.“
„So sei es!“ Bekräftigte das Erhabene Paar die Worte des Mannes.
Trautmann trat in die Mitte und breitete die Arme aus und stimmte das Hausgebet der Badilakaner an: „Schenke uns die Kraft, Herrin Travia, um mit den Kraftlosen zu sein. Bescheiden wollen wir sein und geben was wir haben. Dir, Sankt Badilak, weihen wir unser Tun. Das Laster wollen wir bekämpfen durch Worte und Taten. Anstand und Tugend seien unsere Richtschnur allzeit. So sei es!“
„Ihr treuen Seelen, die ihr aus Aventurien den Weg hierher gefunden habt.“ Trat Traviata neben ihren Gemahl. „An diesem Tag ist eine Schar unter uns, die den Segen der Gütigen Herrin für eine Queste begehrt. Sie wollen dafür Sorge tragen, dass die Lande im Osten sicherer werden. Noch immer gibt es dort jene, deren Seelen verdorben sind und die keine Gnade vor den Göttern erwarten können. Ja, Travia ist die Güte, die Gnade und Vergebung schenken kann. Doch es gibt auch die, welche diese Gnade nicht erfahren werden. Deren Taten einst vor Rethon nur ein Urteil kennen!“ Erinnerte die Hohe Mutter daran, dass Travia auch strafen konnte. „Lasst uns beten, wie es unsere Brüder und Schwestern stets vor dem Kampf im Namen Travias taten“, die Hohe Mutter nickte einer Geweihten zu.
Eine Geweihte, die bisher in der Nähe der Markgräfin gestanden hatte, trat hervor. Mariella von Rabenmund, letztes Oberhaupt der Gänseritter und in diesen Tagen Gerichtsherrin der Rommilyser Mark.

„Heim und Herd wollen wir schützen,
so wie sie uns stets Schutz schenken.
Gleich der Gans, werden wir unsere Schar verteidigen.

Travinian, Du gabst Dein Leben,
Dein Glauben war Dein Schild und Wehr.
Gleich der zornigen Gans fuhrest Du unter Deine Feinde.

Deine Taten beflügeln uns,
Deine Worte spenden uns Kraft.
Vergehen sollen die Feinde von Heim und Herdfeuer.
So sei es!“

„In Freundschaft seid Ihr vereint, die Ihr vor uns tretet, um in die Rabenmark zu ziehen.“ Der Hohe Vater sprach nun wieder. „Freundschaft, ein Band, so stark wie wenig anderes in dieser Welt. Ein Band welches oft Grundlage für den stärksten aller Bünde bereit, den Ewigen Bund vor der Herrin Travia! Ein Zeichen in diesen Tagen, da so mancher davon spricht, der Erzverräter Haffax und all die anderen deren Seelen voll Düsternis sind, seien besiegt. Nun können die Menschen dort sich doch selbst um den Aufbau kümmern. Nein! Noch immer gibt es diejenigen, die ihr schändliches Werk vollbringen. Gibt es ganze Landstriche, derer wir uns annehmen müssen. Die Verseuchungen und Verheerungen gemeinsam, wie es uns der Dreischwesterorden zeigt, zurückdrängen. Finger um Finger und Schritt um Schritt.“
„Wenn Ihr in die Rabenmark zieht, werdet Ihr sehen, dass die Menschen dort um ihre Heimat kämpfen. Sie Entbehrungen in Kauf nehmen und doch nicht zögern, weil es ihre Heimat ist. Stützt sie und helft Ihnen. Doch kündet auch all denen davon, die Ihr nach Eurer Rückkehr trefft und dies nicht sehen wollen. Es ist der vermeintlich einfachste Wege, mit der Klinge voran gegen einen Feind zu ziehen, ihn niederzuringen und dann als Sieger von dannen zu ziehen. Und nicht gering ist dieser Dienst an denen, denen es allein an der Stärke hierzu fehlen würde. Doch vergesst nie, der schwierige Teil kommt danach. Der Kampf des Aufbaus, der Kampf um die Seelen der Menschen, er dauert viele Jahre und womöglich Generationen.“ Bei diesen Worten galt die Aufmerksamkeit des Hohen Vaters vor allen den jungen Ritterinnen und Kämpfern des Heerzuges.
„Gerne rufen wir den Segen der Herrin Travia gemeinsam herab auf die, welche in den Kampf ziehen wollen.“ Traviata fuhr nun milder fort. „Denn Ihr Werk ist ein Werk der Freundschaft, ein Kampf um Frieden an Heim und Herd. So lasst uns denn gemeinsam beten.“
„Travia, Gütige Mutter. Blicke auf uns herab, die wir hier versammelt sind.
Siehe das Werk, welches Dir zu ehren Männer und Frauen in die Fremde treibt.
In Freundschaft vereint, wollen sie streiten für die Heimat anderer.
Travia, Du bist Strenge und Güte zu gleich.
Lass Sie gutes Tun in Deinem und dem Namen Deiner göttlichen Geschwister von Alveran.
So wie Domara und Yalsicor strafend unter die fahren, die keine Gnade und Vergebung verdient haben, sollen sie streiten.
Doch so wie Du Gnade und Güte bist, sollen sie denen beistehen und auf den Pfad der Tugend zurückführen, deren Seelen dies verdient haben.
So sei es!“
Kaum das die Hohe Mutter geendet hatte, war von draußen das Schnattern der Tempelgänse zu vernehmen. Ganz so als wollten sie die Worte bekräftigen.
Das Erhabene Paar trat zusammen in die Mitte der Tempelhalle und mit Ihnen stimmten die Geweihten und Akoluthen den Yalsicor-Choral an. Diejenigen, welche den Göttinnendienst regelmäßig aufsuchten, fielen sogleich mit ein.

„Freundschaft schöner Götterfunken,
Tochter Alveraniums,
Wir betreten freundschaftstrunken
Travia, dein Heiligtum.
Deine Wunder binden wieder,
was die Zwietracht hat geteilt;
Alle werden wieder Brüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.

Wem der große Wurf gelungen
der Familie Teil zu sein,
wer ein holdes Weib errungen,
mische seinen Jubel ein.
Wer auch nur ein and’res Wesen
Freund nennt auf dem Dererund,
dessen Freude ist erlesen,
ewig währe dieser Bund.

Freundschaft sind die starken Schwingen,
tragen gütig Yalsicor.
Freude, Freundschaft wird gelingen
Denn die Mutter sieht´s so vor.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Praios aus dem Firmament,
Freunde lauft zu jenen Heime
die ihr treu Familie nennt.

Freude sprudelt in Pokalen,
in der Rahja rotem Blut.
Kor mag sich in Sanftmut aalen,
Hass wird so zur Freundschaftsglut.
Auch die Ahnen sollen leben,
in die Freud´ sie stimmen ein.
Allen Treuen soll gegeben,
Ihr Platz bei der Mutter sein.“

Der Choral hallte in der großen Halle nach, da traten die Geweihten, das Erhabene Paar voran, an die große Tafel und begannen damit, die Speisen unter den Gläubigen zu verteilen. Dabei machten sie keinen Unterschied nach Rang und Namen. Jedem galt ein kurzer Augenblick der Aufmerksamkeit gleichermaßen. Mal unterstützt von dem aufmunternden Griff zur Schulter, einer Umarmung und anderen Gesten der Freundschaft und der Familie.

~*~

Valeria genoss den Götterdienst im Haus der Schwester ihrer Göttin und gab sich mit geschlossenen Augen dem Hochgefühl hin unter Gleichgläubigen zu sein. Einige Choräle der gütigen Schwester kannte sie sehr wohl - und so stimmte sie aus vollem Herzen und mit selig geschlossenen Augen, ein entrücktes Lächeln auf dem Gesicht, eines der Lieder mit an - vollkommen selbstvergessen und in diesem einen Moment übersehend, wie ihren Nebensitzenden das Singen in der Kehle stockte, die Gesichtszüge sich zu Masken des Schreckens verzerrten und sich ein entsetztes Schweigen wie die Kreise, die ein in Wasser geworfener Stein zog, in weiten Reihen um sie verbreiteten.
Wunnemar, der nahezu unmittelbar neben Valeria saß, behielt den Blick krampfhaft nach vorn gerichtet. Es ließ sich jedoch nicht vermeiden, dass er aufgrund der schrägen Tonlage leicht das Gesicht verzog. Das er noch ein wenig lauter sang half zumindest ein wenig.
Voller Inbrunst steigerte sich Valerias Stimme zum Schlusschoral und erlangte die Qualität, die in den Zähnen vibrierte und den Nebensitzenden beinahe körperliche Schmerzen zufügte.
Selig lächelnd sann sie den letzten Tönen nach und verstummte dann mit einem andächtigen Lächeln im Gesicht, noch immer in der Wonne der genossenen Andacht gefangen.
Vorsichtig nahm Madalbirga den Zeigefinger wieder aus dem linken Ohr, wie es schien, hatte Valeria wie die anderen aufgehört zu singen. Nur selten war sie so froh gewesen, dass ein Choral zu Ende ging. Und dass sie nicht direkt neben ihrem Sohn saß, der es noch schlimmer getroffen hatte.

~*~

Wunnemar fühlte sich entrückt, war außerstande sich zu bewegen, oder einen Ton herauszubringen. Der Besuch des Tempels, die Atmosphäre in ihm, die ihn vom ersten Moment an gefesselt hatte und nicht zuletzt die Predigt des Heiligen Paares, die Choräle ließen ihn die Nähe der göttlichen Mutter derart intensiv, fast greifbar spüren, dass er nicht wieder in die ‘Wirklichkeit’ zurückkehren konnte, nein wollte.
Längeren Zeit, oder vielleicht auch nur ganz kurz - Wunnemar wusste es nicht, denn er hatte jegliches Zeitgefühl verloren - saß er mit geschlossenen Augen auf der Bank neben Vater und Mutter und vergoss schwere Tränen der Rührung.
SIE war die Göttin, der er dienen wollte. IHR Werk wollte er vollbringen, denn nur SIE konnte die Menschen, die so viel Leid und Elend ertragen hatte, mit ihrer Vergangenheit versöhnen, konnte Hoffnung schenken und die Gemeinschaft stärken. SIE war die Zukunft der Rabenmark und eines neuen Darpatiens, nie war er sich dessen so sicher gewesen.
Wunnemar fühlte sich in alledem bestärkt, bekräftigt was ihn antrieb und dieser Antrieb war es schließlich, der ihn ins Hier und Jetzt zurückholte, der ihn seine Augen öffnen und trocknen ließ. Es galt etwas, nein- soviel zu tun bevor sie Rommilys wieder verlassen konnten.

Kein Zweifel konnte bestehen in IHRER allumfassenden Wärme. Die Zuversicht, der Glaube an die Werte, die IHR zugeschrieben worden, war absolut.
Thankmar lächelte derart innig beseelt und drehte den Kopf zu Madalbirga, seiner Frau und zu Wunnemar neben ihr, den die Predigt offenbar auch sehr bewegt hatte.
Tiefe Dankbarkeit sprach aus seinen Augen des Großen Schröters diesen Moment mit den Seinen erleben zu dürfen. Das Warum und das Wofür lagen niemals so klar vor ihm.
Jeden dieser kostbaren Momente stumm auskostend, wartete der Großer Schröter auf die Speisung durch das Heilige Paar, die er als eine große Ehre empfand.

Die Art und auch die gewählten Worte des Heiligen Paares waren außergewöhnlich, sie schufen eine Atmosphäre von Geborgenheit und Wärme wie Alrik es noch nie erlebt hatte. Natürlich glaubte auch er an die Zwölfgötter und all das Gute das sie repräsentierten. Ja sie waren die guten Götter dennoch hielten sie nicht alles Übel von ihren Gläubigen fort, stattdessen ermöglichten sie es ihnen sich in Herausforderungen zu Beweisen und daran zu reifen. Sein Hiersein und seine Teilnahme an diesem Feldzug basierte auf der beschworenen Freundschaft. Freundschaft, die ihm die Kraft gab, Dinge zu erledigen, die für andere eine unüberwindbare Hürde darstellen würde.

Die Beichte

Als der Götterdienst zu Ende ging und sich sowohl die Pilger als auch die Nordmärker Gäste von den Plätzen erhoben, gehörte Ira mit als Erste dazu. Sie sprang regelrecht auf die Beine, um ihren Bundbrüdern zuvorzukommen: “Ähm, wartet mal, Jungs, ich...äh, muss euch noch was sagen, bevor wir gleich das Hohe Paar fragen, ob es uns die Weihe gewährt.”
Boronian musterte seine Base. Dass sie während der Andacht unruhig auf ihrem Po herum gerutscht war, hatte er, der neben ihr gesessen hatte, wohl bemerkt. Nun seufzte und schmunzelte der schwarzhaarige Hüne zugleich: Dass sie aber auch nie aufhören konnte, zu überraschen. “Brauchen wir Wunnemar dazu? Gut, ich geh ihn holen.” Ohne eine Antwort abzuwarten machte der Schwertleiher sich davon, um kurz darauf Wunnemar die Information zu geben, dass ihre Bundschwester mal wieder eine Ansprache halten wolle.
Aureus verdrehte die Augen und seufzte leise. Auch er kannte Ira nur zu gut und gleichzeitig fürchtete er, dass ihm das, was sie gleich sagen würde, Schmerzen bereiten könnte. Ja, er hatte sich damit abgefunden, dass sie ein Kind hatte und verheiratet war, aber es war doch immer noch etwas anderes sich vorzustellen, dass sie sich auf “Abenteuer” einließ. Schicksalsergeben fragte er: ”Was hast Du denn nun schon wieder angestellt?”, und blickte seine Bundschwester traurig an.
Für seine jüngste Geschichte musste Alrik zugeben, sah die Stadt erstaunlich gut aus. Die Schwarzen Lande waren nie fern gewesen, der Feind hatte lange Götterläufe in direkter Nachbarschaft gelauert und dennoch war die Heimat der Travia-Kirche unbeschadet. All der Vernichtung, den Toten und Vertriebenen zum Trotz, hatte dieses Heim bestand. Aus Elenvina kannte der Schwarzen Queller die Wehrhalle, wie er persönlich fand ein imposanter Bau. Doch nichts im Vergleich zur Stadt des Lichts, die er erst kürzlich besucht hatte. Ganz ähnlich verhielt es sich mit dem Haus der Gütigen im heimatlichen Vairningen und dem Friedenskaiser-Yulag-Tempel. All diese Gebäude waren Alveran geweihte Stätten, doch verfügten die beiden Haupttempel über eine vollkommen andere Präsenz. Es war nicht der Überfluss an Gold in Gareth oder die Größe des Rommilyser Göttinnenhauses, es war etwas anderes, was gleichzeitig zeigte, wie klein und unbedeutend sie doch waren, und zugleich ihnen das Gefühl von Wohlwollen und Fürsorge vermittelte.
Es waren Gedanken wie diese, die ihn seit Betreten der Stadt beschäftigt und sein Umfeld vergessen hatten. Als Ira nun etwas von ihnen wollte. Scheinbar etwas wichtiges das sie unbedingt noch vor der Audienz beim Heiligen Paar loswerden wollte, kam der frischgebackene Ritter nicht umhin das schlechte Gewissen der Bundesschwester zu erahnen. Ihr Sohn, den der Rickenbacher glücklicherweise anerkannt hatte, konnte es nicht sein. Was also hatte sie ausgefressen, das ihr in diesem Augenblick derart auf der Seele brannte?
“Als ob ich ständig etwas anstellen würde,” entgegnete Ira ihrem Freund Aureus patzig. Die jungen Männer wussten jedoch mittlerweile, dass sie stets wie ein Igel die Stacheln spreizte, wenn sie sich ertappt fühlte. Und wenn sie ganz genau wusste, dass die Kritik an ihr berechtigt war. Es gehörte zu ihr wie die bosparanische Bedeutung ihres Namen - welcher übersetzt sinnigerweise Zorn bedeutete. “...Und als ob ihr alle so brave Schäflein seid.”
Aureus verschränkte die Arme und sah Ira streng und fragend zugleich mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Sein Blick enthielt zwei nicht ausgesprochene Worte: Etwa nicht?

Bis Wunnemar zu ihnen stieß, dauerte es tatsächlich einige Zeit, da sich der Baronet, zu dem Zeitpunkt, da Boronian ihm mitteilte, dass sich der Orgilsbund versammeln möge, gerade mit seiner Mutter im Gespräch mit dem Heiligen Paar befand.
Als sich der Galebfurtener dann schließlich zu ihnen gesellte, sah er zufrieden aus. Das “Rittmeisterin, was können wir für Euch tun”, kam demnach auch mit einer Spur Humor aus seinem Mund.
Ira ging auf das Frotzeln gar nicht erst ein, sondern blickte Wunnemar nur kurz genervt an. Sie bemühte sich, so etwas wie Zuneigung in jeder Bemerkung ihrer Freunde zu sehen. Zugegeben, manchmal etwas, das schwerfiel. Doch nicht nur das. “Bevor wir gleich gemeinsam rüber zum Hohen Paar gehen, wollte ich euch noch was sagen.”
“Das sagtest du bereits. Und nun sind wir alle ganz Ohr, Frau Hauptmann,” Boronian stieß Wunnemar feixend mit dem Ellbogen an.
Oh diese großen Kinder. “Ja ja, macht euch ruhig lustig über mich. Ich versuche euch gerade etwas zu erklären, weil ich glaube, dass es besser wäre, wenn ihr es vor unserem Gespräch mit den Erhabenheiten erfahrt. Aber so…” Sie ließ eine Kunstpause, in der sie theatralisch mit den Schultern zuckte, ehe sie schnippisch wurde und sich einer seltsamen Art zu berichten bediente: “...so erfahrt ihr eben nicht, dass ich in der Nacht nach unserer Feier im Wald nicht allein in meiner Kammer geschlafen habe, weil ich nicht weiß, ob ihr euch nicht auch darüber lustig macht. Drum erzähl ich euch auch nicht, dass ich meine letzte Nacht als Ledige genossen habe, obwohl wir uns, scheiße nochmal, echt bemühen mussten leise zu sein, damit ihr Sittenwächter draußen vor der Tür nichts mitbekommt.”
Wunnemar blähte die Wangen und stieß hörbar die Luft aus. Der Blick, der Ira traf, war anklagend, dennoch verkniff er sich jeden in diese Richtung gehenden Kommentar.
“Danke, dass wir es auf diesem Wege erfahren”, sprach der Baronet ohne erkenntliche Regung. “Ich hoffe, dass uns das nicht auf die Füße fallen wird.”

Derweil hatte sich ein junger Knappe der Gruppe genähert und wartete nun in gebührlichen Abstand darauf wahrgenommen zu werden. Palinor nutzte die Zeit um die Mitglieder des Orgilbunds ausgiebig zu mustern. Unter den Knappen Elenvinas gab es ein paar Geschichten, die man sich über diese Ritter erzählte und einigen galten sie als Vorbilder, denen sie nacheifern wollten. Gerade schienen sie so etwas wie einen kleine Zwist zu haben, wie ihm die Gesichter und Körper verrieten, und das, was er von ihrem Gespräch mitbekam.
Palinor bemerkte eine Bewegung neben sich, als ein weiterer Knappe sich neben ihn gesellte. Mit auf dem Rücken verschränkten Armen und in gerader, militärischer Haltung schien auch dieser den Orgilsbund zu mustern. “Ich bin Folcrad von Baldurstolz. Darf ich fragen, ob Ihr ebenfalls um Aufnahme bitten wollt?”, fragte dieser in flüsterndem Tonfall, ohne jedoch den Blick von der Szenerie zu wenden.
Leise flüstere Palinor zurück: “Sehr erfreut, ich bin Palinor von Wasserthal. Eigentlich bin ich hier um mich dem Bund vorzustellen. Mir wurde die Aufgabe übertragen die Meldungen der Nachhut an die Mitglieder des Orgilbundes zu überbringen. Da ist es von Vorteil, wenn sie mich bereits kennen und ich mich nicht erst erklären muss.” Neugierig sah er sein Gegenüber an. “Nimmt der Orgilbund denn neue Mitglieder auf?”
Dieser drehte nun seinen Kopf in Palinors Richtung. “Freut mich ebenfalls. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht genau, aber fragen kostet nichts, oder?”, grinste er. “Wenn ja, dann will ich bereit sein. Ich beneide Euch, dass man Euch bereits eine so wichtige Aufgabe übertragen hat.” Kurz sah es so aus, als ob er noch etwas sagen wollte, aber er riss sich zusammen und schwieg.
Fragend sah der andere Knappe Folcrad an. “Bitte, Ihr könnt hier frei sprechen.” bot Palinor seinem Gegenüber an. In Gedanken sah er sich schon als Ritter des Bundes, auch wenn dies noch gute 5 Götterläufe dauern würde, wenn überhaupt. “Sollen wir gemeinsam fragen?”
Folcrad zögerte zunächst, doch dann seufzte er, offenbar erleichtert jemanden zum Reden gefunden zu haben:” Manchmal weiß ich einfach nicht, was mein Schwertvater von mir will. Er ist sehr streng und will, dass ich Verantwortung übernehme, aber eine Aufgabe, wie die Deine, verschafft er mir nicht. Ich weiß ja, dass man seinen Schwertvater nicht anzweifeln soll, aber manchmal verstehe ich ihn einfach nicht.”

Alrik hielt es für besser lieber überhaupt keinen Kommentar abzugeben, immerhin war er erst kürzlich zum Ritter geschlagen worden und nach weitläufiger Wahrnehmung überhaupt erst mündig geworden. Gedanken aber machte er sich diesbezüglich dennoch. Was Iras mit ihrem Geständnis angedeutet, machte klar, dass in beiden Fällen nicht ihr Gatte oder künftiger Gatte bei ihr gelegen hatte und egal wie sehr sie über ihre rossige Stute schimpfte, scheinbar war sie ja kaum besser. Vielleicht sollte sie sich selbst auch einmal außer Reichweite entsprechender Gefahren festsetzen lassen.
Boronian indes lachte laut los. Sein Lachen hallte von den Wänden des Tempels wider und zog Blicke auf die kleine Gruppe Jungritter. Zweifelsohne, seine dunkle Stimme war so durchdringend wie die seines Vaters Traviadan.
“Ich hab ja nicht gewusst, dass wer auf mich wartet, wenn ich zurückkomme!” presste Ira zur Verteidigung zornig zwischen ihren Lippen hervor und funkelte vor allem ihren über sie lachenden Vetter böse an. “Außerdem war ich ja noch nicht verheiratet, Mann!! Was soll uns da also auf die Füße fallen…” Mittlerweile sah sie ihren Fehler ein. Und zwar den, die Sache zu beichten. Mochte Travia das ihrige darüber denken - zumindest war es gesagt und der Aufrichtigkeit damit Genüge getan. Mehr konnte keiner von ihr verlangen.
Das Lachen des Schwertleihers verebbte und japsend wischte er sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln. Er fand Ira einfach bezaubernd. Bezaubernd naiv ebenso wie bezaubernd authentisch in dem, was sie tat. “Sag bloß es war dieser Dings...” Ihm war der Name entfallen. “Dieser Horasier vom Kaiserturnier?”
Der Baronet indes schloss kurzzeitig die Augen und schüttelte den Kopf über Iras Entgegnung auf Boronians Worte hin. Wunnemar war aber immer noch nicht bereit die Sache auszudiskutieren. Es machte für ihn schlicht keinen Sinn, noch war dies angemessen im Tempel.
“Was geschehen ist, ist geschehen und auch wenn ich es nicht gutheiße, kann Ira daran nichts mehr ändern”, appellierte er an die anderen. “Wir müssen trotzdem versuchen die Schwertweihe wie geplant durchführen zu lassen und hoffen, dass man uns für würdig erachtet.”
Ira hob die Arme. “Also ICH habe jetzt KEINE Geheimnisse mehr. Wie sieht es mit euch aus?” stellte die Herrin Rickenbachs ihre provokante Frage in die Runde. Sie schien immer noch verstimmt und blieb wahrscheinlich just aus diesen Gründen Boronian eine Antwort schuldig.
“Nicht alle von uns können ein derart spannendes und abenteuerliches Leben führen.” Stellte der Schwarzen Queller freundlich fest. Womöglich schwang dabei auch mit, dass Alrik ein derartiges Gespräch weder an diesem Ort noch zu dieser Zeit angebracht war. Schließlich war dies nicht nur ein Tempel der Göttin Travia, ihrem bedeutendsten Heim auf Dere. “Sollte dennoch einer von uns etwas Ähnliches aufzubieten haben, wäre es schön, wenn wir das außerhalb dieser Mauern bereden könnten.”
“Wunnemar und Alrik haben recht. Wir können es nicht mehr ändern. Und für andere Beichten dieser Art ist es jetzt wohl zu spät. ” Dabei funkelte er Ira böse an.
Der ging gerade das sprichwörtliche Messer in der Tasche auf. Erst meinte der eine also, eine Zweckehe sei spannend und der Dienst unter dem Eisensteiner ein Abenteuer. Und dann tat der andere so bedauernd… Wie verständnisvoll ihre Freunde doch waren. Nicht einer von ihnen hatte sie für ihren Mut gelobt. Besonders enttäuscht war Ira aber von Aureus. Gerade von ihm hatte sie sich wesentlich weniger Tadel erwartet. Ach, dann maß ihr Freund wohl mit zweierlei Maßen, wie es schien. Oder warum tat er jetzt so, als hätte es bei der Feier die wilde Knutscherei zwischen ihm und ihr nicht gegeben? Sie wollte gerade den Mund auftun, um etwas dazu zu sagen, als der Altenwein hinter ihre kleine Gruppe deutete:
“Zudem haben wir Besuch bekommen.” Aureus wies auf die beiden jungen Männer hin, die etwas abseits auf sie warteten. Einer von Ihnen sah Gereon erstaunlich ähnlich.
Wunnemar nahm den Hinweis sogleich zum Anlass sich denjenigen zuzuwenden, die anscheinend darauf warteten gehört zu werden.
Der Blick des Baronet, der die anderen Mitglieder des Ogilsbundes streifte machte deutlich, dass er nicht wollte, das noch ein weiteres Wort über die Sache verloren wurde, solange Fremde diese hören konnten. Ira war eine von ihnen und egal was sie getan hatte, Loyalität bedeutete Wunnemar alles.
Bevor Palinor und Folcrad sich weiter über Schwertväter und Aufgaben austauschen konnten, wurden die beiden Jungen angesprochen:
“Kann ich euch behilflich sein”, fragte schließlich einer der Mitgliedern des Orgilsbundes, als diese sich Palinor und Folcrad allesamt zugewandt hatten. Der Sprecher war noch jung, nicht sonderlich groß, dafür aber recht kompakt gebaut. Am auffälligsten waren aber in Anbetracht seines Alters ohne Zweifel seine fast weißen Haare und der graumeliertem Vollbart, es war der Trossmeister.
Offensichtlich ertappt brach Folcrad das Gespräch zu dem Gleichaltrigen ab und nahm augenblicklich Haltung an. “Ich - ähm wir,” stammelte er zunächst, bevor er sich räusperte und mit fester Stimme sprach: ”Dies ist Palinor von Wasserthal und ich bin Folcrad von Baldurstolz. Wir wollten euch ersuchen uns als Anwärter für den Orgilsbund in Erwägung zu ziehen. Knappe Palinor hat zudem ein weiteres Anliegen an euch. Palinor?” Die Wangen von Folcrad nahmen langsam eine rötliche Färbung an.
Als Ira den Eisensteiner Knappen sah, drehte sie sich im ersten Moment weg und fasste sich an die Stirn. Das durfte doch jetzt nicht wahr sein. Oh Herrin, ist das nun deine Strafe? Na, das fehlte ihr gerade noch zu ihrem Glück. Hoffentlich hatte der Bengel nicht alles mit angehört. Seufzend wandte sie sich den beiden wieder zu, vor allem Folcrad musste sich ihren giftigen Blick gefallen lassen.
Palinor zuckte zusammen. “Ron…Rondra zum Gruße, Trossmeister.” stammelte der Knappe, bevor er sich zusammenriss und Haltung annahm. “Ich werde die Meldungen der Nachhut an den Orgilsbund weitergeben. Deswegen wollte ich mich vorab schon mal vorstellen, damit es während des Zuges gen Tälerort keine Fragereien gibt, wer ich bin und ob die Meldungen auch echt sind.” Er wagte einen kurzen Seitenblick zu Folcrad. “Darf ich anmerken, dass ein zweiter Melder durchaus sinnvoll wäre?”
Wohlwollend nickte der Trossmeister, der bis dato ruhig zugehört hatte, Palinor zu, um dann eine Frage anzufügen. “Habt ihr diesbetreffend einen Vorschlag zu unterbreiten?”
Der Knappe nickte. “Ein anderer Knappe, wie Folcrad von Baldurstolz hier. Dadurch würde die Nachhut nicht weiter geschwächt werden.” Er schluckte und sah dem Trossmeister ins Gesicht. “Falls Ihr unser Anliegen, dem Orgilsbund beizutreten, ins Auge fassen würdet, könntet Ihr uns auch in dieser Zeit beobachten und einen ersten Eindruck von uns bekommen.” Inzwischen war Palinor hochrot angelaufen. Hatte er das gerade wirklich vorgeschlagen?
Folcrad riss erstaunt die Augen auf, wagte aber nicht Palinor anzuschauen. Auch er musste heftig schlucken, bevor er hinzu fügte: ”Ich müsste natürlich erst meinen Schwertvater fragen, aber er sagt immer ich solle mehr Verantwortung übernehmen. Es wäre mir eine Herausforderung und Ehre euch in dieser Weise dienen zu können, falls er zustimmt.”
Ein Schmunzeln zeigte sich auf den Zügen des Baronet von Tälerort. Die Direktheit der beiden gefiel ihm. Betont langsam sah er zu den anderen Bundesbrüdern, die immer noch bei ihm standen. “Ich halte das für keinen schlechten Vorschlag. Einwände?”
Aureus von Altenwein musterte die beiden Knappen und ging dabei einmal betont langsam um sie herum. Ihm entging dabei nicht, wie sich bei Folcrad ein Schweißtropfen löste und langsam an dessen Wange herunter glitt. Dann schaute er erst Wunnemar und dann die anderen Orgilsbündler an: ”Also… von mir nicht. Was sagt ihr?”
“Vielleicht sollten wir alle mal um sie herumlaufen.” kam es daraufhin aus dem Munde der einzigen Ritterin der Gruppe, die ihre Worte sogleich in die Tat umsetzte. Wenn Aureus nun das Gefühl bekam, dass sie sauer auf ihn war und ihn daher auf die Schippe nahm, so entsprach das der Wahrheit. Und wenn Folcrad das Gefühl bekam, dass sie sich vor allem für ihn interessierte, ihn musterte, so entsprach dies ebenfalls der Wahrheit. Zwar wurde auch Palinor von der Ritterin mit den Kupferfarbenen langen Haaren beäugt, nur etwas weniger intensiv als der junge Baldurstolz.
Grundsätzlich fand Ira die Idee, mit der die beiden jungen Männer auf sie zugekommen waren, ja gut, und den Mut, sie und die anderen gerade jetzt anzusprechen, bewundernswert. Es passte zu den Plänen, den Bund wachsen zu lassen. Aber musste es ausgerechnet Vitolds Knappe sein? Schließlich blieb sie hinter den beiden selbsternannten Anwärtern stehen: “Das mit dem Melden ist eine gute Sache.” Zu einer Aufnahme wollte sie sich erst einmal nicht äußern. Zumindest nicht vor den beiden. Außerdem hatte sie gerade sowieso das Gefühl, dass ihre Bundesbrüder im Moment nicht viel auf das gaben, was von ihr kommen würde.
Auch Alrik musterte die beiden Knappen und wurde sich bei ihrer Anfrage bewusst, dass sie ihrem Bund dringend mehr Struktur verleihen mussten. “Ein zweiter Meldereiter kann sicherlich nicht schaden, allerdings sollte dieser verantwortungsvoller Posten nicht ohne die Zustimmung des Schwertvaters besetzt werden.” Ging er vorerst nur auf einen Teil des Angesprochenen ein und ließ erst einmal bewusst das Vorpreschen zum noch jungen Bund außen vor. Einen Moment lang ging sein Blick hinüber zu den anderen Mitgliedern, immerhin stellten die Bedingungen zum Zeitpunkt der Gründung eine Ausnahme dar. “Ein Anwärter wird durch ein Mitglied des Orgilsbundes vorgeschlagen und muss von den Mitgliedern angenommen werden.” Wies er auf die bisher vereinbarten Regeln hin, wobei ihm bereits durch den Kopf ging, dass diese unter Umständen nochmals zu Überdenken wären, wenn der Bund tatsächlich weiter wachsen sollte. “Damit ist klar, ein Beitrittsersuchen gibt es nicht, aber natürlich könnt ihr euch auf diesem Schwertzug beweisen.”
Auch auf diese Worte antwortete der Trossmeister zunächst mit einem Nicken, einem knappen, nachdenklichen diesmal.
"Dem ist so", bekräftigte der Baronet die Worte Alriks nüchtern, hatte dazu aber noch mehr zu sagen. Etwas spitzfindiger fuhr er fort: "Das heißt aber nicht, dass wir euer Ersuchen, danach eure Eignung zu prüfen, nicht vernommen haben. Mein Bundesbruder sagte es bereits. Wenn ihr euch uns gegenüber beweist, dann wird es sicher einen aus unseren Reihen geben, der für euch spricht und euch somit zu Anwärtern macht."
Oh bitte nicht. Im Stillen sandte Ira ein Stoßgebet zur Herrin Hesinde. Auch wenn in ihr die kleine Stimme der Vernunft anmerkte, dass es doch auch ein Gewinn sein konnte, wenn gerade Folcrad zu ihnen gehörte, so überwog doch momentan die Abscheu vor dieser Vorstellung. Das ließ sie ablehnend den Kopf schütteln - was natürlich nur ihre Freunde sehen konnten, weil sie ja immer noch hinter den beiden Knappen stand.
Nachdem der Baronet jene Worte an Palinor und Folcrad gerichtet hatte, machte er eine Pause und sie noch einmal eindringlich, aber durchaus nicht abweisend an.
"Dieser unser Bund basierte bisher auf gemeinsam erlebten und durchlebten Grauen, auf der Erfahrung einander eine Stütze zu sein, seien zu müssen, einander aufzurichten, Leid und Verlust zu teilen und zu vertrauen, nicht zuletzt auf Freundschaft. Versteht, dass es für uns, die aus Mendena zurückgekehrt sind, nicht einfach ist andere in unsere Reihen aufzunehmen, auch wenn wir wissen, dass der Schwertzug gegen Haffax nun Vergangenheit ist. Dennoch gibt es mindestens zwei Dinge, die auch in Zukunft Zeit brauchen werden, die wachsen müssen: Freundschaft und Vertrauen. Diese Werte sind neben ritterlichen Tugenden nicht diskutabel, auch wenn dies heißen mag, dass wir immer wenige bleiben."
Wunnemar machte eine Pause. Seine Worte entsprachen der Wahrheit, aber dennoch wollte er diese abweisenden 'Hürden' nicht einfach so stehen lassen.
"Verzagt nicht und haltet an euren Zielen fest. So ihr beharrlich, aufrichtig seid und ihr euch als würdig erweist, werdet ihr am Ende dieses Feldzuges einen Fürsprecher finden."
Der 15 Götterläufe alte Junge mit den kurzgeschorenen schwarzen Haaren und den tiefblauen Augen schluckte schwer bei den Worten des Trossmeisters. ‘Aber,’ sagte er sich, ‘aber man hat unsere Bitte nicht völlig verworfen.’ Ihnen war ein Weg aufgezeigt worden und Palinor wollte ihn gehen. Er warf Folcrad einen fragenden Blick zu.
Als der gleichaltrige Knappe mit den dunkelblonden Haaren, die er zum Pferdeschwanz gebunden mit Undercut trug, und den grünen Augen Palinors Blick auf sich ruhen spürte, wandte er kurz den Kopf, lächelte und zwinkerte ihm aufmunternd zu. Dann sah er Wunnemar an: ”Habt Dank für diese Bewährungsprobe. Wir werden unser Bestes geben. Wir wollen einander Freunde sein und füreinander, aber auch für euch einstehen.” Dabei deutete er in die Runde der Orgilsbunder und wandte sich dann Palinor zu, streckte ihm seine Hand entgegen und fragte: ”Freunde?”
Folcrads Worte hatten in Palinors Ohren schon beinahe den Charakter eines ungelenken Schwurs. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass sie sich hier in einem Tempel befanden. Bevor er noch richtig darüber nachdenken konnte, rutschte ihm auch schon ein "Es sei!" heraus, noch bevor Folcrad ihm seine Hand entgegenstreckte.
Scheu lächelnd ergriff Palinor die ihm angebotene Hand mit einem bekräftigenden "Freunde!"
“Freunde, es sei!”, lächelte dieser, zog Palinor heran und klopfte ihm mit der freien Hand kräftig auf den Rücken. “Ich finde, wir sollten darauf anstoßen, also nachher beim Gastmahl. Oder heute Abend, wenn wir beide frei kriegen.”
“Das machen wir.”, erwiderte Palinor mit einem breiten Grinsen.
Ira verdrehte zuerst die Augen. Oje, wenn das Gesülz so weiterging, würde sie sich noch hier an Ort und Stelle übergeben müssen. Eigentlich war der Moment ganz schön. Da gab es zwei, die zu ihnen, dem Orgilsbund, gehören wollten und die sich nun zusammenschlossen, wie einst sie selbst und ihre Bundbrüder, lange bevor sie Bundgeschwister wurden. Leider wurde diese Erkenntnis von ihrer schlechte Stimmung getrübt. Dennoch: Ira erinnerte sich daran, wie es war, als sie die anderen Knappinnen und Knappen in der Hesindeschule während Feldzugs kennenlernte. Damals waren sie nur wenig älter gewesen als Palinor und Folcrad heute. Bilder von gemeinsamen Erlebnissen, von Scherzen und Aufregern, von Freud und Leid tauchten in ihr auf. Bilder von Gesichter, damals so lebendig, heute so tot. Unweigerlich schob sich eines in den Vordergrund: Talina. Und dann noch eines, das zwar nicht richtig dazugehörte, aber das auf immer und auf ewig mit Iras Erinnerungen an den Feldzug, die Schwarzen Lande und damit auch mit dem Orgilsbund verknüpft sein würde: Hagrian. Seinem Gedenken galt ihr Schwur. Seiner Liebe hatte sie so vieles zu verdanken, nicht zuletzt die Kraft, ein Vermächtnis in einen Schwertbund zu gießen. Ein Bund, der sich auf den Idealen von Freundschaft gründete und dessen Mitglieder sie gerade gar nicht freundschaftlich behandelte, in dem sie ihnen völlig kindisch und grundlos zürnte wegen… theoretisch Nichtigkeiten.
Wunnemar lächelte. ‘Sie waren jung. So jung wie sie selbst einst, unbedarft, voller Träume und Hoffnungen. Fast schon schmerzte es ihn, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach Dinge auf diesem Feldzug sehen, erleben würden, die den letzten Rest Kindheit, den sie noch in sich tragen mochten, abrupt und gewaltsam beenden würden.’ Doch dies war der ihnen vorbestimmte Weg, der Wille der Götter, oder etwa nicht?
“Gut”, befand er mit einem leichten Seufzen. “Dann sprich mit deinem Schwertvater“, sagte der Baronet an Folcrad gewandt. “Und richte ihm meine Grüße aus. Danach sehen wir uns wieder. Komm zu uns und teile uns seine Entscheidung mit.”
“Soll ich dich begleiten? Ich meine, falls dein Schwertvater Fragen zur Aufgabe hat.” erkundigte sich Palinor bei Folcrad.
“Das ist eine gute Idee, aber lass mich vorgehen. Mein Schwertvater ist manchmal etwas… schwierig.”
Palinor nickte. “Du führst, ich folge.” Er sah sich nochmal zu den versammelten Rittern um und verbeugte sich vor ihnen. “Wenn Ihr erlaubt, gehen wir jetzt. Es war uns eine Ehre Euch kennenzulernen.”
“Dem ist nichts hinzuzufügen”, verbeugte sich auch der Baldurstolz. “Zuletzt habe ich ihn dahinten irgendwo gesehen.”
Als die beiden jüngeren sich umwandten, um den Kreis der Orgilsbunder zu verlassen, war da niemand mehr in ihrem Rücken, denn die Plötzbogen war zur Seite getreten und sah nun auch nicht mehr so streng drein. Sie lächelte sogar saft, fast zögerlich. Auch Folcrad erfuhr dieses Lächeln und sogar eine Erwiderung seiner Verbeugung durch ein Nicken der Rickenbacher Ritterin.
Der Knappe lächelte zurück und wollte gerade losgehen, da hielt er nochmal inne und sprach leise und ruhig zu Ira: ”Ich weiß nicht, womit ich Euer Mißfallen erregt habe, aber ich würde mich freuen, wenn Ihr mit mir darüber sprechen wolltet.”
“Mal sehen,” entgegnete Ira dem jungen Mann. Und damit musste Folcrad sich wohl erst einmal begnügen.
Kaum war der Bund wieder für sich, hielt Ira es nicht länger aus. Sie wollte, nein, musste noch etwas klären….erklären. Bei Travia, sie wollte nach wie vor nicht, dass etwas zwischen ihnen allen stand. Auch so ein dämlicher Zank nicht. Mit jener Entschlossenheit, die bekanntermaßen in ihr wohnte, trat sie noch einmal vor ihre Bundbrüder und griff mit einer Stimme nach Aufmerksamkeit, die sich belegt anhörte: “Jungs, bitte, ich möchte noch etwas sagen.” Sie musste sich räuspern. “Ich weiß, dass ich euch gerade wahrscheinlich mit dem, was ich sagte, vor den Kopf gestoßen habe. Das tut mir leid. Und es tut mir leid, dass ich euch so angefahren habe,” kam es recht zerknirscht aus der Plötzbogen. “Ich wollte doch eigentlich nur sagen...” Sie suchte Wunnemars Blick, er war der travianischste von allen, “...Dass das mit eurer Ehrenwache jedenfalls wirklich eine sehr, öhm, schöne Idee war, keine Frage....” Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, denn als schön hätte Ira es empfunden, im Morgengrauen erst zurück auf die Burg zu torkeln, um ihre Großmutter zu brüskieren, aber es war auch nicht ganz verkehrt, denn die ehrenvolle Geste war durchaus bei ihr angekommenen.
“...Und dass ich wirklich nicht wusste, dass sich ein Besucher in meine Kammer geschlichen hat. Bis eben sah ich keine Notwendigkeit euch davon zu erzählen. Aber hei, wo sind wir hier und wer sieht zu? Ein Gefühl während der Andacht riet mir dringend, euch aufzuklären! Jungs, bitte, seid mir nicht böse. Es, scheiße, naja, hat sich da an diesem Abend einfach so...ergeben..., wisst ihr? Wie so vieles andere ja auch.” Sie lächelte Aureus zaghaft an. “Und bitte glaubt mir auch, dass Travingo weder versucht hat mir diese Ehe auszureden, noch, dass ich sie mir hätte ausreden lassen! Dass er bei mir war, hat, wie ihr wisst, nichts an meinem Wort Lupius und Leuhart gegenüber geändert. Es…” Sie seufzte tief. “...war nur schön, einfach noch einmal etwas mit einem guten Freund” (sie vermied das Wort Geliebter) “zu teilen. Nicht nur das Bett. Auch, scheißeverdammt, bestimmte… dings… Gefühle… und so.” Nicht alle wussten, dass sie den Horasier mehr mochte, als es ihr guttat. Entsprechend schwer fiel es ihr gerade dieses Detail noch einmal aufzuwärmen. Sie wünschte jedem von ihnen, dass er aus Liebe heiraten durfte. Nicht so wie sie der Pflicht wegen. “Es war ein schöner Abschluss, den ich mir von niemandem kaputt machen lassen wollte. Das mit Travingo und mir, das ist nämlich nun vorbei, weil: Ich bin ja jetzt verheiratet und ich würde nie....” Den Satz ließ sie unvollendet. Stattdessen sah sie in die Runde. “Bitte lasst uns nicht mehr darüber streiten, einverstanden? - Ähm… Freunde?” Dabei streckte sie die Hand aus, wie gerade eben einer der Knappen und lächelte etwas unsicher, während sie sich mit der anderen verlegen das Haar hinters Ohr strich.
“Ach, Füchslein, aber na klar doch.” brummte Boronians dunkler Bass lachend. Mit der Rechten schlug er erst in Iras Hand ein, dann zog der Hüne seine Base am Arm an sich. “Komm her, du kleiner Sturschädel! Lass dich drücken.” Was er dann auch tat.
Wunnemar indes konnte so leicht nicht aus seiner Haut. Er missbilligte das was Ira getan hatte, speziell wo ihre Freunde doch Ehrenwache gehalten hatten. Sie hatte diesen Freundschaftsdienst durch ihr Handeln in keinster Weise gewürdigt, ja in gewisser Weise sogar die Freundschaft an sich verraten, weil sie wusste, wie wichtig vor allem dem Galebfurtener dieser Dienst gewesen war. Doch was geschehen war war geschehen und Ira hatte sich entschuldigt. Dennoch dauerte es eine Weile, bis der Baronet mit kratziger Stimme zu sprechen begann, um auch von seiner Seite den Zwist beizulegen.
“Wir sind alle nur Menschen und als solche fehlbar. Bedeutsam ist wie wir mit unseren Fehltritten umgehen. Es zeugt von Größe, dass du uns von deinen gebeichtet und dich entschuldigt hast.”
Wunnemars Blick glitt über die Mienen der anderen Brüder des Orgilsbundes. “Wenn wir alle diese Größe besitzen, dann werden wir unsere Freundschaft und mit ihr, die Einigkeit des Orgilsbundes niemals gefährdet sehen.”
Auch Wunnemar trat nun an Ira und Boronian heran und umarmte sie - beide.

Etwas später in einer Nische des Tempels. Palinor stand etwas abseits und konnte beobachten, wie Folcrad mit seinem Schwertvater sprach. Gedämpft drang eine zornige Stimme an sein Ohr: ”Du hast was?” Der Ritter ließ seine Hand nach oben schnellen, bereit sie mit Wucht auf des Knappen Wange landen zu lassen. Folcrads Blick wies zunächst Spuren von Angst auf, doch dann reckte er das Kinn und sah seinem Schwertvater direkt in die Augen. Der Ritter verharrte einige Augenblicke, dann machte sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit:”Gut gemacht, Junge”, lobte er, “Also, wo ist dieser Palinor und vor allem, wo ist sein Schwertvater? Wir haben einiges zu besprechen.” Die beiden kamen auf Palinor zu und Folcrad stellte die beiden einander vor. “Nun denn junger Wasserthal, was ist das für eine Aufgabe, die Du meinem Knappen schmackhaft gemacht hast und was sagt Dein Schwertvater dazu?”
Mit angehaltenem Atem hatte Palinor die Szene zwischen Folcrad und seinem Schwertvater verfolgt. Nun verstand er auch was Folcrad gemeint hatte, als er von ‘schwierig’ sprach. Auch wenn der Mann durchaus einschüchternd wirkte, so versuchte Palinor dies nicht zu zeigen. Schon allein deshalb wegen Folcrad. “Mein Schwertvater, Radulf von Wasserthal führt die Nachhut, bestehend aus seiner Lanze und einem Halbbanner… “Palinor suchte gerade nach dem richtigen Wort um den zusammengewürfelten Haufen treffend beschreiben zu können. “...Landwehr. Nach Willen des Trossmeisters soll er den Rittern des Orgilsbunds, welche die Flanken unseres Schwertzugs schützen, dabei beständig Meldung machen. Er hat mich dazu abgestellt diese Meldungen zu überbringen.” Palinor hielt kurz inne, ein Hauch von Verlegenheit lag auf seinem Gesicht. “Naja, und als wir vorhin so zusammenstanden kam mir der Gedanke, dass zwei Melder doch viel besser wären. Denn wer soll eine zweite Meldung überbringen, wenn ich bereits mit einer Nachricht unterwegs bin? Ich bin mir sicher, dass mein Schwertvater das ebenso sehen wird”
“Soso”, sagte Vitold mit strengem Blick, bei dem sich Palinor sicher war er könnte seine Seele entblößen, wenn der Ritter ein Praios- oder Borongeweihter geworden wäre. “Ich denke, dass sollten wir ihn gleich selbst fragen. Führ`mich zu ihm.” Vitold stand einen Schritt hinter seinem Schwertvater wie ein Soldat in Hab - Acht - Stellung. Mit seinen Lippen formte er stumm die Worte: Alles gut. Dann zwinkerte er.
Der Knappe nickte knapp. “Sehr wohl. Bitte folgt mir.” Palinor setzte sich an die Spitze der kleinen Gruppe, die er zum Tempel hinaus führte. Draußen angekommen steuerte der Knappe auch schon direkt auf einen hochgewachsenen etwa 40 Sommer zählenden Mann zu, dem man unschwer die Familienähnlichkeit mit Palinor ansah, welcher gerade in ein Gespräch mit einem anderen Tempelbesucher war. Seine Stirn legte sich in Falten als er die Gruppe auf sich zukommen sah. Radulf von Wasserthal verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner und ging auf die Gruppe zu. Fragend sah der Schwertvater erst seinen Knappen, dann Vitold und Folcrad an. Palinor stellte die Herrschaften einander vor, trat anschließend seitlich versetzt hinter seinen Schwertvater. “Was kann ich für Euch tun?” Brach Radulf das Schweigen, an Vitold gewandt.
“Nun, ich wollte den Mann kennenlernen, der diesem jungen Knappen soviel Mut beigebracht hat, dass er kurzerhand andere Knappen rekrutiert.” Es war eine Feststellung frei von Vorwürfen, doch mochten unerfahrene Knappen darin einen Tadel vermuten. Dementsprechend warf er kurz einen strengen Blick auf Palinor.
Die Augenbraue des Ritters wanderte nach oben als er seine Aufmerksamkeit Palinor zuwandte. “So, so, rekrutiert. Palinor, möchtest du mir das kurz erklären?” Die Stimme des älteren Wasserthalers war betont ruhig, trotzdem konnte man die unterschwellige Schärfe durchaus wahrnehmen. Palinor wurde unter den Blicken der beiden Ritter erst kleiner, dann richtete er sich wieder auf und streckte sein Kinn streitlustig vor. “Zwei Meldereiter für die Nachhut sind doch besser als nur einer, findet Ihr nicht? Ich meine, was wenn eine zweite Meldung gemacht werden muss, wenn der eine Melder schon mit einer NAchricht unterwegs ist?” Radulf starrte den Knappen einen Moment lang nachdenklich an, bevor er langsam nickte. “Und da hast du einfach so entschieden, einen anderen Knappen “anzuwerben”.” Der Ritter wandte sich wieder Vitold und Folcrad zu. “Gerne würde ich die Lorbeeren dafür annehmen, aber ich habe Palinor auch nur vorübergehend als Knappen. Eigentlich ist Baroness Durahja vom Berg seine Schwertmutter. Allerdings hat sie kaum Zeit für die kriegerische Ausbildung meines Vetters, da sie als herzogliche Kämmerin vor allem in Elenvina weilt. Damit aber dieser Teil nicht zu kurz kommt und Palinor auch den Krieg kennenlernt, habe ich ihn jetzt bei mir.” Radulf seufzte und sah Vitold an. “Was haltet Ihr von seiner Idee? Sonderlich gefährlich wäre die Aufgabe jedenfalls nicht.”
“Eine zusätzliche”, er betonte das Wort, “Aufgabe ist sicher nicht schlecht. Alt genug sind die beiden ja. Zudem sollte das extra Maß an Verantwortung ihnen die Flausen aus dem Kopf treiben. Und die beiden können sich so vor dem Orgilsbund beweisen, stehen also auch unter der direkten Beobachtung unseres Trossmeisters. Das könnte für ihre Zukunft nützlich sein. Aber auch für ihre Disziplin.” Er schaute beide Knappen streng an.
“Palinor ist wirklich beim Orgilsbund vorstellig geworden?” Überrascht und mit einem Hauch von Stolz in den Augen sah Radulf zu seinem Knappen. “Die Erlaubnis dafür hattest du ja, von der Baroness.” Dann wandte er sich wieder Vitold zu. “Ich stimme Euch in allen Punkten zu.” Er musterte die beiden Knappen aufmerksam.
Der Knappe hingegen musste sich zusammenreißen um den strengen Blicken standzuhalten. Als die beiden Ritter ihren Blick von den Knappen nahmen, grinste Palinor Folcrad erleichtert an. Damit war das geschafft. Nun mussten sie nur noch dem Orgilsbund Bescheid geben.
Folcrad grinste zurück und hatte offenbar denselben Gedanken. “Nun, dann sollten wir den beiden jetzt Gelegenheit geben sich ihrer neuen Verantwortung bewusst zu werden und wir beide sollten uns vielleicht auch abstimmen, damit keiner den Lehrplan des anderen versehentlich zunichte macht. Zudem könnte es unter Umständen von Vorteil sein gemeinsame Trainingsstunden einzuplanen.”
“Einverstanden.” stimmte der ältere Ritter den Worten Vitolds zu. “Kennt Ihr zufällig einen gemütlichen Ort, wo wir das in Ruhe besprechen können?” Radulf sah sich um. “In dieser Stadt kenne ich mich nicht aus.” Gab er unumwunden zu.
“Wenn ihr erlaubt, der Trossmeister hat uns aufgetragen, ihm mitzuteilen, ob ihr uns den Beitritt zum Orgilsbund erlaubt.” Palinors Blick wanderte zwischen Radulf und Vitold hin und her. Radulf nickte. “Wenn es euch vom Trossmeister persönlich aufgetragen wurde.” meinte er mit einem verschmitzten Lächeln. “Was meint Ihr?” Fragend sah er zu Vitold hinüber.
“Befehl ist Befehl!”, sagte dieser mit gespielter Strenge.”Zur Perainestunde seid ihr aber zurück. Und macht uns keine Schande.” Die letzten Worte waren wieder mit schneidender Schärfe gesprochen. An Radulf gewandt fügte er hinzu:”Natürlich nur, wenn Ihr keine anderen Pläne für Euren Knappen habt.”
Bei diesen Worten seines Schwertvaters fing Vitold an über beide Ohren zu grinsen. Er hatte den Abend frei, nicht lange, aber immerhin. “Komm Palinor, wir wollen doch den Heerführer nicht warten lassen”, feixte dieser und konnte es kaum erwarten lozulaufen. Ein strenger Blick Vitolds ließ ihn jedoch schnell wieder Haltung annehmen.
Radulf schüttelte den Kopf. “Nur zu, jetzt verschwindet schon. Aber das mir keine Klagen über euch zu Ohren kommen! Hast du verstanden, Palinor?” Ein letzter strenger Blick von Radulf und ein hastiges Nicken von Palinor, dann rannten die beiden Knappen auch schon los. Als sie außer Hörweite waren, wandte sich Radulf wieder Vitold zu. “Ihr habt Euren Knappen gut erzogen. Er spurt sofort. Aber erklärt mir bitte eins. Was finden die jungen Burschen nur so interessant an dem Orgilsbund?”
Der Baldurstolz lachte. “Wisst Ihr denn nicht mehr, wie wir in dem Alter waren? Umgeben von Helden, die sich dann als gewöhnliche Menschen entpuppten und einem immer nur niedere Aufgaben zuteilten? Der Orgilsbund ist jung, genau wie sie. Und sie ersehnen sich ewigen Ruhm, wollen dass man ihre Namen niemals vergisst. Wenn der Orgilsbund in zwei-, dreihundert Jahren ein großer Ritterorden geworden ist, dann wären sie von Anfang an dabei gewesen. Hättet Ihr damals eine solche Chance nicht ergriffen? Zudem erhoffen sie sich den Orden mitgestalten zu können, was bei den altehrwürdigen Ritterorden ihrer Schwerteltern wohl kaum möglich ist, nicht wahr? Aber lasst uns nicht weiter von Träumen reden. Ich glaube dahinten ist ein Wirtshaus, wenn sie dort noch Platz haben und das Essen gut ist, können wir uns noch über die Aufgaben der Beiden unterhalten.”
“Das ist schon so lange her. Waren wir wirklich jemals so jung?” schmunzelte Radulf während sie das Wirtshaus ansteuerten. “Ja, Ihr habt recht. Außerdem ist es wichtig jemanden nacheifern zu können. Ach verdammt, der Junge hätte sich schlechtere Vorbilder aussuchen können.”
“Wohl gesprochen, Hoher Herr, wohl gesprochen.”
“Los, wir sollten uns beeilen!”, drängelte Palinor überglücklich. Dabei wusste er gar nicht, wo sie eigentlich hin sollten. “Glaubst du der Trossmeister ist noch im Tempel?”
“Na, hoffentlich”, lachte Folcrad, “und wenn nicht, dann werden wir ihn wohl überall suchen müssen. Selbst an so unwahrscheinlichen Orten wie den Wirtshäusern.” Dabei zwinkerte er seinem neuen Freund verschwörerisch zu.
“Eine schwierige Aufgabe, aber wir werden sie meistern.” Grinsend steuerte Palinor den Eingang des großen Travia-Tempels an, den sie erst vor kurzem verlassen hatten. Ein oder zwei Biere in einem Gasthaus würden niemanden wehtun und schließlich hatten sie was zu feiern. Der Knappe zog die Tür auf und winkte Folcrad hindurch, bevor er ihm folgte. Neugierig lugte er an der Schulter Folcrads vorbei, versuchte den Trossmeister oder ein anderes Bundesmitglied zu erkennen.
Unweit des Eingangs auf dem Platz, an dem neben dem Friedenskaiser-Yulag Tempel der Travia auch ein Gotteshaus der Peraine sowie das gemeinsam betriebene Spital liegen, konnte Vitold einige Mitglieder des Orgilsbundes ausmachen. Die markanten grauen Haare des Trossmeisters waren allerdings nicht zu entdecken.
Folcrad drehte sich zu Palinor um:” Ich glaube, sie stehen draußen auf dem Platz, zumindest einige von ihnen.”
Palinor scholt sich selbst. Er war wieder mal Hals über Kopf einfach losgelaufen und dabei nur auf den Tempel fixiert gewesen, so dass er draußen gar nicht auf seine Umwelt geachtet hatte. “Dann lass uns dahin gehen. Du führst!”
Diesmal war es der junge Baldurstolzer, der die wuchtige Tempeltür aufhielt. “Da vorne links, siehst Du?” Eiligst strebte er der kleinen Runde zu.
“Ja.” Eilig schloss Palinor zu Folcrad auf und folgte ihm.

Als Ira den Baldurstolzer Knappen mit Palinor im Schlepptau auf die kleine Gruppe zuhalten sah, verdrehte sie genervt die Augen. Auch ohne große Menschenkenntnis konnte man förmlich das ungehaltene Fauchen ihrer unausgesprochenen Frage hören: "Was wollen die Nervensägen denn jetzt noch?"
"Entspann dich, du musst nicht mit ihnen reden", beruhigte Firin die Plötzbogen. "Ich frag die beiden, was sie wollen. Geht doch schon vor und wir treffen uns am Rondratempel."
Mit diesen Worten löste er sich gefolgt von Aureus aus der Gruppe und ging den beiden Knappen entgegen. "Na, ihr seht aus, als seid ihr auf der Suche nach uns. Was gibt es? Wie kann ich euch helfen?"
“Wir suchen den Trossmeister. Er hatte uns doch aufgetragen nachzufragen, ob unsere Schwerteltern damit einverstanden sind, dass wir gerne dem Orgilsbund angehören würden und wegen der Sache mit dem zweiten Melder. Danach sollten wir ihn aufsuchen und ihm berichten”, brach es aus Palinor hervor, noch bevor Folcrad etwas sagen konnte. Um Verzeihung heischend sah er zu seinem neuen Freund hinüber.
Als der Altenweiner den Wortschwall aus dem Mund des Knappen vernahm und dann in das verdutzte Gesicht des jungen Baldurstolzers sah, musste er sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Statt dessen schmunzelte er. ”Gemach, gemach. Der Bund, und somit auch der Heerführer, bereiten sich auf eine Zeremonie vor. Aber wir werden eure Botschaft weiterreichen. Was genau sollen wir denn nun weitergeben?”
Fragend blickte Palinor zu Folcrad. Warum sagte der nicht mal was? Es war so ungewohnt, die Führung zu übernehmen. “Was meinst du, würden wir damit den Auftrag wortgetreu erfüllen?” Er wollte nicht über den Kopf von Folcrad hinweg entscheiden.
“Ich glaube er sagte: kommt zu uns, und meinte damit wohl den Orgilsbund, falls er nicht das pluralis majestatis benutzt hat, aber das glaube ich nicht, dazu müsste er ja mindestens Markgraf sein, oder?”, grübelte dieser und kam dann grinsend zu dem Schluss:”Also, Auftrag erfüllt.”
Erfreut grinste Palinor seinen neuen Freund an. “Ich sehe da zwei kühle Bier.” Meinte er leise, aber dann wandte er sich den beiden Rittern vor ihnen zu. “Verzeiht, das musste erst geklärt werden. Also, unsere Schwerteltern haben beidem zugestimmt. Folcrad wird ebenfalls als Meldereiter in der Nachhut tätig sein und das mit dem Orgilsbund ist auch in Ordnung.” Palinor sah fragend die beiden Ritter an. “Was für eine Zeremonie ist das, für die Ihr Euch vorbereitet?” Das ‘dürfen wir zuschauen’ stand auf seiner Stirn geschrieben, auch wenn er es nicht aussprach.
“Die Nachricht, dass eure Schwerteltern”, kurz überlegte Firin und erinnerte sich, dass er Folcrad beim Baldurstolzer gesehen hatte, “Euer Wohlgeboren von Baldurstolz und …”, auffordernd blickte der Landwachter Palinor an.
Der Knappe blickte bedrückt zu Boden. “Meine eigentliche Schwertmutter ist Ihre Exzellenz Durahja vom Berg, Baroness von Meilingen und herzogliche Kämmerin. Derzeit übernimmt aber der Hohe Herr Radulf von Wasserthal, Hausritter zu Meilingen, diese Aufgabe.”
“Ah, gut. -... und der Hohe Herr von Wasserthal ihre Zustimmung gegeben haben, übermitteln wir gerne an den Trossmeister”, bestätigte Firin Aureus Zusage nochmals.
“Wir wollen vor dem Feldzug nochmals im Rondratempel einkehren, um den Segen der göttlichen Leuin zu erbitten. Außerdem wollen wir die Lanze des Heiligen Orgil, in dessen Namen wir ja unseren Bund gegründet haben, sehen, denn sie wird im hiesigen Tempel verwahrt.” Bei den letzten Worten hatte seine Stimme einen feierlichen Klang und seine Miene einen vorfreudigen Ausdruck bekommen. ”Wie habt ihr überhaupt von uns, also vom Orgilsbund gehört?”, wollte er dann von den beiden wissen.
Ein begeistertes Glänzen war in Palinors Augen erschienen. ‘Die Lanze des Hl. Orgil.’ Für ihn stand fest wohin er heute noch gehen würde. “Der Orgilsbund ist eines der Gesprächsthemen der Knappen in Elenvina.”
“Und was genau erzählt man sich über den Bund an der Knappenschule?”, fragte der junge Ritter neugierig.
Wow! Die Lanze des Heiligen Orgil. Folcrad verschlug es den Atem; was nicht oft vorkam. Aber einen heiligen Gegenstand hatte er noch nicht zu Gesicht bekommen. Er spürte Firins Blick auf sich ruhen. Hatte er nicht gerade eine Frage gestellt? “Ähm...Der Herr Vitold lässt sich immer den Aventurischen Boten und natürlich auch den Nordmärker Greifenspiegel kommen. Er sagt, dass es wichtig ist informiert zu sein. Und im Greifenspiegel hat Ritter Aureus etwas über den Orgilsbund erzählt. Ich habe dann versucht immer wieder Nachrichten über den Bund zu bekommen, was leider nicht geklappt hat.” Mit leicht beleidigter Miene fügte er noch leise an Aureus gerichtet hinzu: ”Ihr hättet ruhig häufiger Artikel in den Greifenspiegel setzten können.”
“Na na, nicht frech werden”, lachte Aureus und drohte mit dem Zeigefinger. “Aber er hat recht”, wandte er sich an Firin, “wenn wir bekannter werden wollen, könnte es nicht schaden, wenn wir häufiger im Greifenspiegel auftreten. Vielleicht beginnen wir damit den Leuten zu erzählen, wer wir sind. Was meinst Du?”
“Hmm, ja, wahrscheinlich eine gute Idee”, stimmte Firin halbherzig zu und blickte seinen Bundesbruder nachdenklich an. Darüber hatte er sich bislang ehrlich gesagt noch keinerlei Gedanken gemacht. Ob und wie sie Zuwachs gewinnen wollten.
Die Frage Firins wieder aufgreifend mischte sich nun auch wieder Palinor in das Gespräch ein, nachdem er erst ein wenig darüber nachdenken musste. “Geschichten über eure Taten werden gerne erzählt und auch über die Gründung selbst wird gerne gesprochen. Es gibt welche, die es euch gerne gleichtun würden. Und dann wäre da noch die Geschichte über den Trossmeister, wie er seine Liebe auf dem Totenbett geheiratet hat.” Letzteres ließ nicht nur Knappinnen dahinschmelzen, sondern auch diverse Hofdamen. “Entweder schmachten sie euch an oder sie wollen euch nacheifern.” Schloß er.
“Wenn das so ist, dann werde ich Dich später nach diesen Geschichten fragen, ich will nicht, dass irgendwelche Märchen über uns erzählt werden”, antwortete der Altenweiner.
“Das mache ich sehr gerne.” Palinor nickte enthusiastisch.
Das hörte Firin gern und gefiel ihm gut. ‘Erzählungen über unsere Taten. Ganz wie bei den großen Helden.’ “Ich nehme mal an, dass ist auch der Grund, aus dem ihr euch uns anschließen wollt.” Sicherheitshalber ergänzte er noch mit einem Grinsen. “Natürlich um es uns gleich zu tun.”
Wieder nickte Palinor. Die gehörten Geschichten hatten ihn begeistert und dieser Gedanke einer Gemeinschaft anzugehören, die füreinander einstand, war geradezu unwiderstehlich. ...und vielleicht würden dann auch ihn die Mädchen mal ansehen.
“Die Geschichten will ich auch hören”, platzte es aus Folcrad heraus. Erschrocken hielt er sich die Hand vor den Mund. Aureus musterte ihn streng, musste dann aber grinsen. Was dazu führte, dass auch Folcrad grinsen musste.
Palinor grinste ebenfalls. “Wie ihr wünscht. Dazu bedarf es aber einem Bier, um die Kehle anzufeuchten.”
“Na, wenn es weiter nichts ist”, antworteten Aureus und Folcrad unisono, da sich beide angesprochen fühlten. Sie sahen sich an und grinsten. Des Ritters Geldbeutel war zwar leidlich gefüllt, dennoch kramte er zwei Münzen hervor: ”Hier für euch, aber benehmt euch.” Er drückte jedem Knappen einen Heller in die Hand.
Die beiden Knappen wandten sich grinsend um und zogen los, den frisch gewonnen Heller im nächsten Gasthaus auszugeben. Mit einem leicht abwesendem Blick schaute Firin noch einen Moment in die Richtung, in die der Wasserthaler mit der trainierten Gestalt des blonden Baldurstolzers abgezogen war. Kaum wahrnehmbar hatte ein feiner, noch undefinierter Gedanke sein Bewusstsein gestreift: ein Hauch nur, nicht stärker als das leichte, zarte Streicheln einer weichen, flauschigen Daunenfeder auf der Haut. Einen Gedanken, den er nicht fassen konnte. Achselzuckend tat er den Augenblick ab. “Komm, wir sollten uns ebenfalls für die Zeremonie vorbereiten”, forderte er Aureus auf ihm zu folgen.

Gespräche mit dem Hohen Paar

Nach dem Göttinnendienst verließ Madalbirga ihren Mann und suchte die Nähe ihres Sohnes, der ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht trug, aber auch nervös wirkte. Mit ihm zusammen wartete sie auf eine Gelegenheit, das hohe Paar anzusprechen, hielt sich jedoch im Hintergrund. Als ein weiterer Bittsteller gerade mit einer Verbeugung zurücktrat, traten die beiden vor und um Demut vor der Göttin und den Willen zu dienen zu zeigen, knieten sie beide auf einem Knie nieder, so dass sie das freundliche Lächeln des Hohen Vaters Trautmann nicht sehen konnte. Nach seinem ruhigen “Seid gegrüßt im Haus der Gütigen Mutter, was führt euch zu uns?” Erhoben die beiden sich.
Aufgeregt, ja mit leicht feuchten Händen trat der Baronet von Tälerort vor das Hohe Paar, als die Predigt beendet und der Segen gespendet war. Seine Stimme zitterte, fand erst von Wort zu Wort zu mehr Selbstsicherheit.
“Eure Erhabenheiten”, nacheinander sah er die beiden Hochgeweihten an und senkte ehrfurchtsvoll das Haupt. “Mein Name ist Wunnemar Thankmar von Galebfurten-Bienenturm und Trossmeister des Barons von Hlutharswacht.
Ich danke euch für diesen Empfang und die Ehre die ihr uns damit erweist uns den Segen unserer Göttin auszusprechen.”
Ruhig musterte der Hohe Vater Wunnemar. Er hatte es schon immer besser verstanden auf die Menschen einzugehen und so überließ Traviata ihm wie gewohnt das Wort. Hier jedoch wartete er, schien der Ritter doch noch etwas sagen zu wollen.
“Ich habe ein Anliegen. Würdet ihr mir erlauben es vorzutragen, oder soll ich mich an einen der anderen, anwesenden Geweihten wenden? Sicher könnte jener oder jene es zu späterem Zeitpunkt auch an euch tragen. Ich möchte eure kostbare Zeit nicht über Gebühr Anspruch nehmen, doch es ist mir wichtig”, sprach der Baronet demütig.
Still und beobachtend stand Madalbirga hinter ihrem Sohn. Sie wusste, wie wichtig ihm der Tempel war und wie hoch er Travia ehrte, doch es wäre ihr lieber gewesen, er hätte direkt sein Anliegen vorgebracht. Hoffentlich verwies das Hohe Paar sie nicht weiter. Sie bemühte sich um Ruhe, damit man ihre Gedanken nicht in ihrem Gesicht lesen konnte.
Doch Trautmann lächelte warm und freundlich “Oh, bitte, eure Frage ist doch keine Last. Stellt sie!”
“Meine Familie plant einen Tempel der gütigen Herrin Travia in Trutzenhain zu errichten, nachdem das Haus Peraines letztes Jahr fertiggestellt wurde. Handwerker und Werkzeug hierzu befinden sich im Tross des Heerzuges.
Wäret ihr bereit einen Geweihten zu entsenden, der jenes Haus weiht?
Eine Geweihte gibt es bereits in Trutzenhain. Gwiduhenna Traviafest ist ihr Name und sie gehört zum Dreischwersternorden. Sie wird Vorsteherin des Hauses, es sei denn ihr möchtet einen anderen Geweihten dauerhaft entsenden. Meine Familie richtet sich nach eurem Wort.”
Madalbirga überlegte kurz, ob sie ergänzen sollte, dass dieser Tempel den Menschen wieder eine Heimat geben sollte und die verlorenen Seelen heim zu den Zwölfen holen. Dass sie wollte, dass die Kinder wieder initiiert wurden und nicht mehr im Glauben an Naturgeister und Dämonen aufwuchsen. Dass dies den Einfluss der Gütigen Mutter im Osten stärken würde - alles, was für das Hohe Paar und die Kirche des Herdfeuers einen Vorteil darstellen musste, aber so wie ihr Sohn gesprochen hatte, wäre dies unangemessen und so wartete sie ergeben auf die Entscheidung des Hohen Paares.
“Wenn Schwester Gwiduhenna bereit steht und der Orden sie gerne entsendet, dann soll sie dem Tempel vorstehen.” Der Blick des Hochgeweihten glitt zur Mutter von Wunnemar und blickte auch sie freundlich an. “Und wenn es Euer Wunsch ist, dass der Friedenskaiser-Yulag-Tempel der Muttertempel von Trutzenhain ist, dann werden wir dem gerne entsprechen. Alles weitere wird sich finden, wenn die Zeit dafür gekommen ist.”
Wunnemars Gesichtszüge drückte die Wärme und Dankbarkeit aus, die er im Inneren in jenem Moment empfand. Alles fügte sich so, wie er es sich erhofft hatte- für seine Familie und letztlich auch sich selbst.
"Habt Dank, für alles." Mehr brachte der Baronet in jenem Moment mit kratziger Stimme nicht heraus. Der Bau des Tempels und dessen Weihe bedeutete ihm sehr viel, verband er mit dem Haus gütigen Göttin des Herdfeuers doch auch jenen Ort, an dem er seiner verstorbenen Liebe gedenken wollte. Travia würde das Band der Liebe erhalten, bis er selbst einziehen würde in ihr Paradies, um wieder mit Talina vereint zu sein.
In einer fast schon hilfesuchenden Geste griff Wunnemar nach der Hand seiner Mutter und drückte sie. Sie spürte seine Schwäche, seine Ergriffenheit.
Erschrocken zuckte Madalbirga zusammen, damit hatte sie nicht gerechnet. Nach einer kurzen Verunsicherung drückte sie ebenfalls Wunnemars Hand, ahnte sie doch, wie viel ihm dieser Tempel bedeuten würde. Dann neigte sie den Kopf vor dem Hohen Vater, freundlicher und entgegenkommender hätte er kaum sein können, wenn der Haupttempel der Muttertempel des neuen werden würde, dann würde er ein wichtiger Tempel der Familie sein. Sie freute sich für ihre alte, neue Heimat, auch wenn sie wusste, das dies ebenso eine Bürde sein würde. Als das Hohe Paar sich schon wieder abgewandt hatte, hob sie den Kopf und sah ihren Sohn Wunnemar an, er wirkte immer noch ergriffen.
Dieser Eindruck wich erst langsam und machte schließlich einer gewissen Verlegenheit platz. “Ich schätze ich muss um einiges redegewandter werden”, brachte Wunnemar seufzend hervor, nur um dann doch erleichtert zu lächeln.
Und auch wenn Wunnemar nun ‘erwachsen’ sein mochte, ein Mann geworden war, so kannte er in diesem Moment dennoch keine Scham seine Mutter liebevoll in den Arm zu nehmen. Im Haus der Travia gab es keine Scheu Gefühle zu zeigen.
Madalbirga erwiderte seine Umarmung. Ihr war nur zu klar, dass der kommende Feldzug auch Gefahren bringen mochte und niemand wusste, wie diese ausgehen würden. Sie wollte nicht noch einen Sohn verlieren! Sie zwang ihre Gedanken auf den Tempel zurück und als Wunnemar sich von ihr löste, hatte sie immer noch einen Kloß im Hals und ging nur mit einem Nicken zu ihm ihrer Wege.

Die heilige Lanze des Orgil

Im Anschluss an den für viele so bewegenden Tempelbesuch, zog es einen Großteil der Teilnehmer des Feldzuges zurück ins Lager vor der Stadt. Ein kleiner Teil der Besucher blieb jedoch in Rommilys, um Verwandte zu besuchen, Einkäufe zu tätigen oder in offiziellem Auftrag Würdenträgern ihre Aufwartung zu machen. Die Mitglieder des Orgilsbundes hatten wiederum anderes im Sinn. Sie zog es zum Tempel der Leuin, in der die heilige Lanze ihres Namenspatrons aufbewahrt wurde.

Da die Schwertschwester des Tempels dieser Tage nicht in Rommilys weilte, war es an dem Ritter der Göttin Geromar 'Fortis per animi ‘ von Wehrheim die Gruppe im Tempel der Leuin zu empfangen. Der Tempel der Heiligen und unerschütterlichen Leuin lag im kleinen Viertel Donnerfeld, welches von einer eigenen Mauer geschützt wurde und neben dem Tempel aus der Kriegerakademie und dem alten Ogerschlacht-Museum bestand. Während der Eroberung von Teilen der Stadt im Jahr des Feuers, war dieses Viertel lange Hort der Verteidigung. Doch diese Spuren waren schon lange beseitigt. Einzig die zahlreichen kleinen Platten mit Namen Gefallener an den Wänden und auf dem Boden des großen Innenhofes des seinerseits als Wehrtempel errichteten Gebäudes, kündeten von dieser Zeit. Im Hof fanden sich auch zahlreiche Gläubige von denen einige sich gar in einem rondragefälligen Zweikampf übten.
Geromar erwartete die Gäste in der Haupthalle des Tempels, voll gerüstet mit einem Kettenhemd und Plattenteilen, darüber der schlichte Wappenrock des Schwertbundes. An seiner Seite einen Anderthalbhänder. "Rondra zum Gruße", sein Schwerthand ging zum Herzen. Der Geweihte mochte um die 40 Götterläufe gesehen haben. "Ich grüße Euch im Tempel der heiligen und unerschütterlichen Leuin."
Den Gruß des Geweihten energisch erwidernd neigte der Trossmeister kurz das Haupt vor dessen Autorität.
“Ehrwürden”, begann Wunnemar danach fast ein wenig feierlich im Ton, “es ist uns eine große Ehre von euch empfangen zu werden. Dies hier”, der Baronet wies mit jeweils einer Hand zur Rechten und Linken, wo die anderen standen, “sind die Brüder- und schwester des Schwurbundes des heiligen Orgil, der sich nach dem Feldzug gegen den Reichsverräter Helme Haffax gegründet hat.”
Auch wenn er jünger war als Wunnemar, so war der junge Schwarzen Queller doch gut sechs Finger größer als dieser. Mit ernster Miene blickte er dem Geweihten direkt an und grüßte ihn mit einem angemessenen “Rondra zum Gruße!”, während er zugleich mit der Schwerthand zum Herzen ging. Dem Baronet die Rechte auf die Schulter legend, fuhr er fort. “Was unser Bruder vergaß zu sagen, ist, dass es seine und die Belange seiner Familie sind, die uns erneut gen Rahja führen. Wunnemar von Galebfurten ist sein werter Name und so es die Götter wollen wird er eines Tages seiner Großmutter im Amte nachfolgen.” Nochmals klopfte er mit der Hand auf die Schulter seines Bundesbruders, eh er diese sinken ließ. “Achja, bevor auch ich vergesse mit vorzustellen. Alrik vom Schwarzen Quell,” sprach er und deutete eine leichte Verbeugung an.
Die einzige weibliche Ritterin der Gruppe trat vor und schlug sich zu einem huldvollen Kopfneigen die Faust aufs Herz. “Iradora von Plötzbogen ist mein Name. Ich war Knappin des Barons von Hlutharswacht, des Initiators dieses Feldzugs, und als frühere Dienstritterin am Hlutharswachter Hof Schwertschwester Wunnemars”, stellte sich auch Ira nun dem Geweihten vor. “Ich überbringe die Grüße der alten Rittergeschlechter Schellenberg und Rickenbach, der Familie meines Mannes, die seit Generationen schon Streiter in die Reihen der Kirche der Leuin stellen. Mein… Schwager… ein Ritter der Leuin fiel in den Schwarzen Landen.” Das war nicht mal gelogen.
“Und ihr Sohn heißt Leuhart! Bei diesem klangvollen Namen wird er sicher auch einmal das Noviziat beginnen,” ergänzte der großgewachsene Hüne mit dem breiten Rücken, schwarzem Haar und dem gepflegten schwarzen Vollbart, der währenddessen neben die junge Rittsfrau trat. Seine Stimme besaß hörbar Stolz bei dieser Bemerkung, bevor auch er sich vorstellte: “Lucrann Boronian von Schwertleihe. Pate des kleinen Leuhart,” ein Zwinkern in Richtung der Ritterin, bevor auch er sich tief verbeugte. “Der Herrin Rondra und meinen Freunden hier treu ergeben.”
“Wie ein jeder von uns”, versicherte der jüngste unter den anwesenden Bundesmitgliedern. Auch er erwiderte den Kriegergruß und entbot dem Geweihten mit einer kurzen Verbeugung seinen Respekt. “Ich bin Firin von Landwacht und …”, begann er und stockte, wusste er doch nicht so recht, was er noch sagen sollte. Aber er wollte noch mehr sagen, so wie die anderen auch. ”Und, ähm, ich war Knappe im eben schon genannten Hause Schellenberg. Bei Halmar von Schellenberg. Ähm, ja”, beendete er wenig eloquent seine Vorstellung. Schnell trat er einen halben Schritt zurück und schob Brun vor, damit dieser in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückte.
“Brun vom Kranickteich!”, verkündete dieser, während er - eigentlich unpassend - Firin neben sich fest an der Schulter fasste, um zu überspielen, dass er gerade kurz seines Gleichgewichts verlustig gegangen war. “Es ist mir eine außerordentliche Ehre.” Er neigte vor dem Geweihten sein Haupt.
Zu guter Letzt trat nun auch Aureus vor, schlug die Faust gegen die Brust und neigte den Kopf. “Ich bin Aureus Praioslaus von Altenwein und kann leider nicht auf einen großen Namen blicken, da die Verfehlungen meines Vaters dessen Ruf schädigten. Doch gab er mir gleichzeitig dadurch die Möglichkeit diesen Namen in neuem Glanz erstrahlen zu lassen, sollte ich mich durch Wort und Tat als würdig erweisen.” Der Altenweiner wusste nicht recht, ob seine Worte unpassend waren, doch er fand, dass der Geweihte auch von der Schande, die Aureus zeitlebens mit sich trug, wissen sollte.
"Ihr begehrt die Lanze dessen zu sehen, dessen Name Euer Bund führt. Wohl an", der Geweihte drehte sich zum Altar um, der etwas erhoben am Ende der Halle stand, wo eine junge Geweihte wartete. Auf sein Zeichen hin, enthüllte sie die Lanze, die bis eben unter einem roten Tuch verborgen gewesen war. Der Ritter der Göttin trat zum Altar hoch und verbeugte sich ehrfürchtig zur Statue dahinter, ehe er die Lanze nahm und sie mit beiden Händen präsentierte.
"Dies ist die Lanze des heiligen Orgil von Orgilsheim. Seit sie in Rommilys weilt, wurde sie oft in seinem Sinne verwandt und gegen den Feind im Osten geführt."
Kurz verharrte Wunnemar andächtig und mit stummen Blick auf die heilige Reliquie. Das mehr geflüsterte denn vernehmbar gesprochene “Für die Toten und die Freunde”, konnten nur diejenigen verstehen, die unmittelbar neben dem Trossmeister standen. Dann jedoch senkte er das Haupt und kniete nieder, um ein stummes Gebet an die Sturmherrin zu richten.
Das war sie also, die Lanze des heiligen Orgil. So recht hatte Alrik nicht gewusst was ihn erwarten würden, nun wusste er es - eben eine Lanze mit unterarm langer Spitze. Was er nicht wusste war, dass eben jene Spitze einen Fingerknöchel des Heiligen in sich barg und nach ihrer Erschaffung vor zwei Dekaden nach Rommilys gebracht worden war. Dennoch stellte er seine nüchterne Ansicht zur Lanze nicht zur Schau, sondern schloss sich dem Vorbild Wunnemars an und sandte ein kurzes Gebet gen Alveran.
Himmlische Leuin, gewähre uns dein Wohlwollen bei unsere Queste. Verleihe uns die Kraft und stärke unseren Mut, auf dass wir die niederhöllische Verseuchung in Tälerort bannen können.
“Die Lanze des heiligen Orgil”, hauchte Firin mit ehrfürchtiger Stimme und die vorherige Unruhe, die ihn auf dem Weg vom Friedenskaiser-Yulag-Tempel auf dem Weg hierher ergriffen hatte, wich von ihm. “Für die Toten und die Freunde”, bekräftigte er, den Wahlspruch des Bundes wiederholend, Wunnemar, der zu seiner linken stand. Ehrfürchtig blickte Firin auf die heilige Waffe, die sich schon so oft im Kampf gegen die dämonischen Horden bewährt hatte. Wie zuletzt auch hier vor gerade einmal zwei Götterläufen bei der Belagerung von Travias Heimstatt durch Haffax’ elendigen Schergen.
“Für die Toten und die Freunde,” fiel Ira in den Kanon ein, während auch sie niedersank. Rommilys schien voll von Bildern verblasster Geliebter. Es kam ihr ein ganz spezieller Toter in den Sinn und weil sie beim Anblick der Lanze das Gefühl hatte, dass etwas in ihr hochkroch, was sie gerade gar nicht gebrauchen konnte, drückte sie die Augenlider wie auch die Lippen fester aufeinander.
Boronian erfüllte die Muse. Ganz der Poet, der er nun mal war, fiel er in den Wahlspruch ihres Bundes mit ein, wobei er noch etwas hinzu fügte: “Für die Toten und die Freunde. Bei Praios und Rondra! Siehe Leuin Alverans, vor Dir knien 6 von 7 für Dich und Deinen Heiligen entflammte Herzen. Wir tragen das Andenken vieler und die Gedanken unseres jüngsten Bruders in der fernen Heimat mit hierher zu Dir in Dein Haus. Demütig beugen wir Knie und Haupt vor Dir und Deiner Macht, oh Schwertmutter unser aller.”
“Für die Toten und die Freunde”, flüsterte auch Aureus. Er war fast der Einzige, auf dessen Seite im Bundbuch noch kein Name stand. Seine Familie war zu klein und so hatte Boron keine Ernte während des Haffax-Feldzuges halten können. Doch die beiden aufeinanderfolgenden Zeremonien ließen einen Gedanken in ihm reifen. Wie Viele tote Streiter mochte es wohl geben, welche als letzte ihres Hauses niemanden hatten, der ihrer Gedenken würde? Wie Viele Freundschaftsbande zogen gemeinsam, nicht getrennt, übers Nirgendmeer? Er verspürte den Wunsch auch dieser Recken zu gedenken, da sie ihr Leben gaben, um die Gemeinschaft der Zwölfgöttergläubigen zu schützen.Doch, da er nicht das ganze Jahr über Trauer tragen wollte, musste er sich etwas überlegen. Er wollte Firin fragen, denn auch dieser hatte keine Angehörigen während des letzten Feldzuges verloren und zumindest Aureus schämte sich etwas deswegen.
Brun hatte nur noch Augen für die junge Geweihte. Als er für einen kurzen Moment ihren Blick auf sich spüren glaubte, reckte er Brust und Kinn stolz hervor und legte in einer einstudierten Geste seine Hand auf den Schwertknauf.
Dann wurde ihm bewusst, dass sie ihn anblickte, weil er als einziger nicht auf die Knie gesunken oder im Gebet vertieft war. Also tat er so, als habe er mit der Hand nur das Schwertgehänge beiseite schieben wollen, und kniete sich ebenfalls pflichtschuldig hin. Der jäh einsetzende Schmerz in den Knien erinnerte ihn an die Tempelwacht vor der Schwertleite.
Firin spürte Geromars Augen auf sich ruhen. Er hatte den Eindruck, dass der Rondradiener jeden einzelnen von ihnen abwägend betrachtete, ja musterte, als suche er nach etwas Bestimmten. Ohne Scheu und selbstbewusst hob Firin seinen Blick und schaute dem Geweihten geradewegs in die Augen. Dessen Blick schien bis in Firins Seele vorzudringen und sie zu prüfen, ob sie von reiner Gesinnung und festem Glauben sei, voll Ehre, Aufrichtigkeit und Demut. ‘Soll ich etwa...? Könnte es tatsächlich sein, dass…’, durchfuhr es den Landwachter. Er fühlte sich berührt, von der Göttin selbst erwählt, und war sich sicher, dass er der nächste Träger der Lanze des Heiligen Orgils sein würde. ‘Die heilige Waffe führend werde ich an der Spitze eines jeden Angriffs gegen die Dämonenhorden reiten und diesen niederhöllischen Makel vom Antlitz Deres tilgen.’ Schon wollte Firin demütig einen kleinen Schritt vortreten, niederknien und die Lanze aus den Händen Geromars empfangen, als die Worte des Geweihten ihn zurück in die Wirklichkeit holten.

Der Ritter der Göttin schaut ruhig auf die jungen Streiter vor ihm und drehte sich schließlich wieder zum Altar, wo er die Lanze würdevoll ablegte. “Wohl an”, der Geweihte musterte die Schar vor ihm, beinahe schien es, er suche etwas bestimmtes. “Dies hier ist Rutmaide Rubinklaue von Gratenfels”, die Geweihte trat einen Schritt hervor. Offenbar trug sie einen Anteil elfischen Erbes in sich. Ihre Schwertfibel kündete davon, dass auch sie die zweite Weihe erhalten hatte und dem Schwertbund wohl schon seit vielen Jahren diente.
“Heladis Kagorad von Drîleuen, Meisterin der Ewig Wehrenden, der Senne Mittellande entsandte sie aus Warunk hierher. Schwester”, er trat einen Schritt zu Seite.
Ira horchte auf. Drileuen? Das Drileuen, in dem sie mit ihren Freunden Jost und Sigiswolf gegen einen hexenverfluchten Ritter aus dem Hause Schwertleihe kämpften, von dem sie beim Reichstag in Beilunk hörten?
Die Frau erhob nun ihre Stimme: “Einig standen und stehen wir zusammen im Kampf gegen die Feinde der Zwölfe. Zahlreich sind die Beispiele des Beistands und der Hilfe. So war es auch, als die Nordmarken ihren Freunden und Schwestern in Rommilys die Lanze der Heiligen Orgil sandten. Viele Male wurde sie seitdem gegen die Feinde in den Kampf geführt. Auch Geromar und ich durften sie führen. Doch die Lande am Darpat sind nicht mehr der Ort an dem die Lanze in diesen Tagen dringend benötigt wird. Euer Zug ist ein Beleg dafür. Im Osten, in den Landen der Rabenmark, im Umland von Beilunk, den Landen der Mark Warunk und im noch immer nicht gänzlich befreiten Tobrien, bedarf es der Lanze dieser Tage weit mehr.”
“Die Brüder und Schwestern aus den Nordmarken trugen es vor und wir entsprechen ihrem Wunsche gerne. Die Lanze soll fürderhin nicht mehr in Rommilys sein. Warunk ist es, von wo aus die Lanze fürderhin im Geiste Sankt Orgils gegen die Feinde aller Zwölfe geführt werden soll.” Sprach nun wieder der Ritter der Göttin. “Rutmaide wird die Lanze dorthin bringen.”
“Doch zuvor werde ich den Feldzug begleiten”, erklärte die Geweihte und musterte die jungen Ritter eindringlich. “Eine Schwester der Nordmarken soll es sein und Nordmärker sollen mich begleiten. Ihr habt einen Bund im Namen des Heiligen begründet. Gut so! Nun ist es an Euch zu beweisen, dass Ihr seiner auch würdig seid.”
Das war wahrlich eine gute Nachricht. Die Züge des Trossmeisters drückte Freude aus. Ein Geweihter der Leuin war stets ein guter Berater und Wunnemar wusste, dass er dann und wann eines Rates bedurfte. Die Rolle des Trossmeisters war nur mit der nötigen Erfahrung wirklich passend, ausreichend auszufüllen, Erfahrung, die er sicher noch nicht besaß, auch das wusste der Baronet. Die Geweihte zu Rate zu ziehen konnte ihm darüber hinaus niemand übel nehmen und es würde auch seine Autorität nicht untergraben. Im Gegenteil sie im Zug zu Wissen und nicht zu Stabsbesprechungen zu laden und anzuhören wäre eine Beleidigung ihrer Person und der Kirche, für die sie stritt.
"Es ist uns eine Ehre", antwortete der Trossmeister darum ehrlich. "Persönlich freue ich mich auf einen Austausch und fachkundigen Rat. Ich kann nicht für alle meine Bundesbrüder und -schwestern sprechen, aber soweit es mich betrifft, wird der Orgilsbund nach dem Feldzug eure Bedeckung sein, wenn die Lanze nach Warunk überführt wird."
Bekräftigend nickte Firin zu Wunnemars letzten Worten. “Unbedingt. Voller Stolz werde ich Euch und die Lanze begleiten. Der Sturmgöttin und ihrer Kirche zur Ehre, den Unterdrückten der warunker Lande zur Hilfe und wider das verderbte, dämonische Gezücht”, versicherte der landwachter Ritter voller Inbrunst und Überzeugung. “Euer Gnaden, reitet schon jetzt während des Feldzugs in unserer Mitte, wir wollen Eure Bedeckung sein und an Eurer Seite in die Schlacht ziehen. Lasst uns gemeinsam die Herzen unserer Streiter mit Mut und ihre Arme mit Kraft füllen, wenn wir unaufhaltsam Furcht und Verzagen unter unsere Feinde tragen und ihre Reihen ausdünnen. Der Sturmherrin zum Wohlgefallen!”, platzte es aus Firin heraus, beseelt von seinem Tagtraum und ehe er auch nur darüber nachdenken konnte. Mit angehaltenem Atem erwartete er die Reaktion der Rondrageweihten.
“Bei Praios und Rondra, so soll es sein!” bekräftigte der Schwertleiher. Er hatte den beiden Vorrednern nichts hinzuzufügen.
Ira riss bei den Worten der beiden Geweihten die Augen auf. Die Geweihte wollte, bitte was? DEN FELDZUG BEGLEITEN? ...Und anschließend sollte der Orgilsbund WAS?
Der Ritterin wurde plötzlich heiß und kalt. Scheiße verdammt! Das war beileibe etwas, mit dem Ira absolut gar nicht gerechnet hatte. Sofort kamen ihr Fragen in den Sinn: Was nur würde Jost sagen, wenn er erfuhr, dass die Kirche der Rondra eine Schwertschwester entsandte, die an ihrer aller Seite im Osten kämpfen wollte? Und: Was würde nun aus Josts Plänen werden, wenn es plötzlich jemanden im Heer gab, der eine ganz andere Ansicht von Kriegstreiberei besaß, als er? Und der dann auch noch das Recht besaß, Dinge durchzusetzen oder gar...zu verbieten? Eines war sicher: Jost würde bei dieser Neuigkeit alles andere als glücklich sein.
Iras eigene Empfindungen waren aus diesem Grund recht zweigeteilt. Auf der einen Seite haderte sie mit all die schönen Pläne, auf die sie sich schon freute - nämlich die uralten, manchmal recht wenig rondrianischen Kriegstaktiken zu erproben, - auf der anderen Seite empfand sie das Ansinnen der Kirche natürlich auch als große Ehre für sich selbst und ihren noch blutjungen Schwertbund. Nie hatte sie oder einer von ihren Bundbrüdern zu wagen gehofft, dass ihnen die Lanze mitgegeben würde, noch, dass sie die Aufgabe bekommen sollten, die Lanze zu eskortieren. Das war ja nicht nur einfach irgendeine Lanze, sondern ein heiliges Artefakt der Rondrakirche! Mochte Jost diese mögen oder nicht, diese Tatsache konnte auch er nicht leugnen. Und genau dieses heilige Artefakt sollte nun in die Obhut des Orgilsbunds übergehen? Gut, sie verblieb in der Hand der Geweihten Rutmaide, aber immerhin. Ja. Ihr kleiner Ritterbund durfte dabei sein, sie schützen, sehen, wie sie ihr wunderbares Werk tat, sie nach dem Feldzug sogar an einen neuen Bestimmungsort bringen. Was für eine ehrenvolle Aufgabe und Erlebnis noch dazu. Ein weiterer Gedanke, der sich Ira bei diesen Gedankengängen anschloss, war die Sorge darüber, was ihr Dienstherr wohl zu ihrer neuen Aufgabe sagen würde. Der Baron war zwar Ritter, besaß jedoch eine ganz eigene Vorstellung davon, wie Dienstritterschaft auszusehen hatte und vermutlich würde darin kein Platz sein für eine weitere Aufgabe - selbst, wenn diese von der Rondrakirche ausging. Wahrscheinlich würde der Baron sich ihre Entbehrlichkeit einiges kosten lassen. Ach, scheiße. Sie würde mit Sicherheit bluten müssen. Es war ja nicht das erste Mal, dass Rajodan versuchte, sie mit Schikanen zu unterjochen. Das Gefühl von Schmerz stellte sich ein, als Ira daran dachte, dass es eben genau ihr, der einzigen Ritterin des Bundes, nicht möglich sein konnte, an der Seite der Lanzenführerin zu reiten, und erneut neidete Ira ihren Brüdern, dass sie alle ‘frei’ waren, um die Dinge einfach nehmen zu können, wie sie kamen. Sie schaute aus all diesen Gründen daher recht gequält drein. Als ihr bewusst wurde, dass ihr Seufzen lauter gewesen war, als beabsichtigt, atmete sie durch und fasste sich neu. Später würde noch genügend Zeit für Erklärungen sein. (Irgendwie kam sie ausgerechnet heute nicht aus dem Erklären heraus, was war da nur los?)
“Es ist uns eine Ehre, Hochwürden, in Euren Diensten stehen zu dürfen wie einst der Heilige Orgil für den Heiligen Hlûthar es tat.” sagte sie, und hoffte, dass dies letztlich auch auf sie zutraf.
Bruns Herz hatte einen Sprung gemacht, als er hörte, dass die hübsche Geweihte - Rutmaide - den Zug begleiten würde. Vor seinem geistigen Auge spielten sich Heldenszenen ab, in welchem er, Brun von Kranickteich, Rutmaide und die Heilige Lanze ganz alleine vor anstürmenden Feinden verteidigte. So, dessen war er sich sicher, würde es geschehen, und er würde nicht nur den Namen seiner Familie mit Heldenglanz schmücken und im Ansehen seiner Bundkameraden steigen, nein, er würde auch Rutmaides Herz erobern.
Aureus stimmte seiner Bundschwester nickend zu:”Wie Orgil für Hlûthar!” Es klang schon fast wie ein Schlachtruf und er fügte das Bundmotto hinzu:”Für die Toten und die Freunde!” Mehr Worte bedurfte es seiner Meinung nach nicht.
“Wohl an also. Ich werde mich morgen in Eurem Lager einfinden”, die Ritterin der Göttin nickte den Versammelten zu. “Ihr seid der Bund des Heiligen. Handelt in seinem Sinne und erhaltet Euch die Freundschaft, für die nicht zuletzt der Hohe Drache Yalsicor, Bruder des Löwenhäuptigen Famerlor, steht.”
Geromar trat neben die Geweihte und legte ihr seine Schwerthand auf die Schulter. “So sei es. Lass uns deine Aufgabe mit Gebet und einen Kampf, der Göttin zum Gefallen, ehren.” Er schaute auf die Streiter vor ihm. “Möge die Herrin Alveransleuin mit Euch sein!”
Nochmals senkte der Trossmeister sein Haupt gegenüber den beiden Geweihten, dann wandte er sich gemessenen Schrittes ab, nicht jedoch ohne noch einmal ein Blick auf die Lanze zu werfen. Sie war ein Symbol, mehr jedoch als das, war sie auch Inspiration für die Jungritter in dem Sinne, dass sie sich auf die Werte des Bundes besinnen sollten, um den Weg, der von ihnen lag, tugendhaft zu bestreiten. Wunnemar wusste dies und erkannte darüber hinaus in diesem Moment das Risiko.
Rutmaide würde sie begleiten. Einerseits war dies zu begrüßen, andererseits konnte ihr Wort den Bund zerbrechen lassen, wenn sie sie eben nicht für würdig befand und dies den Kirchenoberen kundtat. Ohne die Fürsprache der Kirche der Leuin würden sie den Namen des Heiligen Orgil kaum führen dürfen. Ihre Anwesenheit war also wie so vieles im Leben: ein zweischneidiges Schwert.
Erfüllt von neuem Elan und von Zuversicht verabschiedete sich auch Brun von den Geweihten, nicht ohne Rutmaide ein gewinnendes Lächeln zu zuwerfen Er wusste nun, warum er bei diesem Kreuzzug dabei war, und er würde wahrlich sein Bestes geben, um mehr als nur seinen Anteil zum Erfolg beizutragen.

~*~

“He! Kann mich mal einer von euch zwicken, damit ich weiß, dass das gerade wirklich passiert ist und wir tatsächlich die Ehre haben, mit der Lanze zu kämpfen?” bat Boronian, der völlig euphorisiert schien, als sie das Haus der Sturmherrin verließen.
“Jaaa! Unglaublich. Ich kann es auch noch nicht fassen.” Es schien fast als tanzte Firin vor Freude um den Schwertleiher herum, als er Boronian statt des gewünschten Zwickens einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter versetzte. “Ist das nicht fantastisch?” Firins Augen leuchteten regelrecht auf: ein recht sicheres Anzeichen dafür, dass er im Geiste bereits einige Heldentaten mit der Lanze vollbrachte.
Das Erlebte hing ihnen allen nach. Nur mit der Freude darüber ging jeder anders um, wie das Beispiel der Plötzbogen zeigte, die wieder genauso nachdenklich und missmutig wirkte, wie sie es die letzten Tage und Wochen über gewesen war. Launisch schob sie den Arm des Schwertleihers von sich. “Jaja, wir waren alle dabei.”
“Freust du dich denn nicht?” wollte ihr Vetter wissen.
“Doch, doch. Ich… ähm freu mich natürlich schon.” Iras Worte passte allerdings nicht zu ihrem Tonfall.
Boronian blickte sein Füchslein verwundert an. “Na, so hört sich das aber nicht an. Ira! Die Lanze des Heiligen Orgil! BAMM!” Er machte einen Lanzenstoß nach und wirbelte mit der imaginären Lanze über seinem Kopf. “Und wir, die Getreuen des Orgil,” dabei schlug er sich stolz auf die Brust und Ira auf den Rücken, “Wir dürfen an ihrer Seite reiten, das ist doch fantastisch! Ich glaube nicht, dass unsere Väter - oder in deinem Falle deine Mutter - jemals in ihrem Leben so eine Chance hatten!.. Ich verstehe daher nicht, warum du jetzt so ein Grummelsack bist.”
Ira seufzte. Sie konnte ihren Brüdern nicht sagen, warum Jost alles andere als erfreut sein würde über die Geweihte und einen rondrageweihten Gegenstand in seinem Heer, aber sie konnte ihnen sagen, warum wenigstens sie die Aussicht nicht so genoss wie die anderen, es gab ja reelle Gründe. “Also, es ist toll für euch, dass ihr an der Seite Ihrer Gnaden Rutmaide kämpfen könnt, und dass ihr dann die Lanze auch noch nach Warunk begleiten dürft. Aber ICH,” sie schlug sich selbst auf die Brust, “hab davon nichts. Ich kann meinem Baron nicht so einfach sagen ‘Hör mal Rajodan, ich habe eine neue Pflicht, also steck dir deine in den Allerwertesten’!” erklärte sie mit verstellter Stimme, damit sie sich wie ein Mann anhörte, während sie gleichzeitig den Kopf schüttelte. “Ich kann mich nicht um zwei Lanzen kümmern, der Baron wird das ganz sicher nicht mitmachen. Aber ich freu mich wirklich sehr für euch, dass ihr diese große Ehre annehmen könnt.” Ein Lächeln, das sie durchaus ehrlich meinte, aber einen traurigen Beigeschmack besaß, weil sie gerade mit voller Wucht spürte, was es hieß, Verantwortung zu haben: der Verlust von Freiheit und Selbstbestimmung.
Boronian dachte kurz nach. “Wir können gern bei deinem Baron ein gutes Wort für dich einlegen.”
“Seid ihr bescheuert??” Oh nein. Alles bloß das nicht.
“Zumindest für die Reise nach Warunk - da solltest du schon dabei sein. Du bist schließlich eine von uns! Das kriegen wir sicher hin - oder, Jungs?” wandte er sich anschließend an die anderen, immer noch den Arm um seine Base gelegt, die er dabei etwas enger fasste.
Wunnemar nickte. “Gen Warunk werden wir erst ziehen, wenn der Zweck des Feldzuges erfüllt ist. So wir keine schweren Verluste erleiden oder ähnlich gravierendes geschieht, gibt es kaum einen Grund dir den Ritt nach Warunk zu verwehren.”
Der Baronet hob sogleich abwehrend die Hände, als er sah, dass Ira protestieren wollte. “Ich weiß, ich weiß. Der Eisensteiner sieht viele Dinge aus Prinzip anders. Dennoch, meinst du, er würde sich gegen den Wunsch seines Schwiegersohnes stellen? Ich meine Jost könnte in dieser Sache doch mal ein gutes Wort für dich einlegen.”
“Ja, genau, auf jeden Fall!”, bekräftigte Firin seine Vorredner. “Und ich meine, im Prinzip ist es ja auch eine Einladung, nein vielmehr eine nahezu schon verpflichtende Aufforderung der Rondrakirche. Die kannst du ja schlecht einfach so ausschlagen. Wir müssen das Rajodan nur passend verkaufen.”
Oh ja, und mich noch mehr in die Scheiße reiten. Davon hielt Ira erst recht nichts, sie wollte Wunnemar aber nicht schon wieder eine Enttäuschung bereiten, also sagte sie stattdessen grummelnd “Mal sehen.” und biss sich für weitere Kommentare auf die Zunge
“Ach komm schon, Ira, sei doch ein bisschen optimistischer. Irgendwie werden wir das schon deichseln, dass du uns begleiten kannst.” Firin überlegte einen Moment. “Wir wäre es, wenn wir ihm vielleicht eine Art Ausgleichsdienst anbieten.”
“Was soll das sein?” War das gerade Firins Ernst?
“So in der Art: Du kannst einen oder zwei Monde später nach Rickenbach zurückkehren und dafür dient einer von uns entsprechend lange in Eisenstein. Ganz wie in diesem horasischen Roman: Einer für alle und alle für einen!” Nach Zustimmung suchend blickte der Landwachter in die Runde seiner Bundesbrüder, wobei er über Wunnemar hinweg glitt. Dieser würde sicherlich nach Ende des Feldzuges von seinen neuen Verpflichtungen und Aufgaben in Tälerort genug beansprucht.
Ein...Ausgleichsdienst?? Einer ihrer Brüder, der sich ihretwegen ebenfalls dem Joch des Keyserrings unterwarf? Kurz schien sie über Firins Idee nachzusinnen. Dann brach die Ritterin in ein kurzes künstliches Lachen aus, an dessen Ende ihre Miene wieder so düster wurde wie zuvor. “Ne-e-e-e-ein,” wieherte sie und schüttelte bekräftigend den Kopf dabei, “da würde der gute Rajodan nur wieder in sein dämliches Fäustchen lachen und sich die drecks Hände reiben auf der Suche nach einer neuen scheiß Demütigung für Rickenbach und mich! - Also wehe einer von euch kommt auch nur auf die Idee meinen Baron irgendetwas derartiges vorzuschlagen, den klopf ich.”
“Ja jaaaa, das wissen wir, Füchslein,” lachte Boronian, der immer noch einen Arm um die Schulter der Plötzbogen geschlungen hatte und von dem sich Ira gerade nicht ernst genommen fühlen brauchte. Wie um sie weiterhin zu ärgern tätschelte und strich er der Kleineren feixend mit der Pranke den Kopf, dabei grinste er breit. “Windelweich prügelst du uns dann, das ist uns schon klar.” Ihre Versuche, sich wegzuducken wusste er zu verhindern, in dem er sie einfach fester an sich zog.
Mit einem verärgerten “Ihr versteht das nicht.” versuchte sie sich durch Herauswinden der überzogenen Zärtlichkeiten zu entfliehen.
“Doch doooch.” entgegnete ihr Vetter ihr amüsiert und zwinkerte den anderen jungen Männern zu.
“Nein, tut ihr nicht. Der Baron ist - Mann, Boronian, hör jetzt auf mit dem Scheiß! - der ist echt nicht zu unterschätzen. Der dreht mir aus allem einen Strick. Das ist wie mit diesem Folcrad. Der ist nämlich der Knappe vom Kettenhund des Kettenhunds des Barons und wenn die wollen, dann erzählt der denen alles über uns.” erklärte sie nun auch ihre Abneigung gegen einen der Anwärter. “Ihr kennt den Baron nicht. Ihr könnt echt scheiß froh sein, dass ihr ihn nicht kennt!”
“Mein Schwertvater mochte ihn auch nicht, aber sooo schlimm kann der doch gar nicht sein, wie Du immer sagst. Vielleicht werd ich mal zu ihm hingehen, einfach nur, um den Kerl kennenzulernen, was meinst du?” lachte der Schwertleiher weiter. Aus seinem Ton ging nicht ganz hervor, ob er das ernst meinte oder nicht, das drohende Brummen aus Iras Brust ignorierte er und streichelte ihr weiterhin spielerisch übers Haar. “Och, Ira, du bist sooo süß, wenn du so sauer bist,” lachte er dabei.
“Jetzt lasst Ira mal in Ruhe”, schaltete sich nun der Altenweiner ein, woraufhin Boronian das sich windende Füchslein mit einem gespielt gelangweilten "Na gut,” losließ.
“Der Baron ist offenbar ein echtes Problem für sie und als Bundbrüder sollten wir uns zusammensetzten und ernsthaft darüber nachdenken, wie wir ihr helfen können, beiden Aufgaben gerecht zu werden, anstatt sie damit aufzuziehen.” Etwas sanfter meinte er dann zu Ira: ”Das bedeutet aber auch, dass Du uns nicht jede Idee madig machen musst. Wir sind doch auf Deiner Seite. Und was die beiden Anwärter angeht, so kannst Du nicht einfach jemanden der Spionage beschuldigen. Ich dachte wir wollen wachsen und nur die aufnehmen, die würdig genug sind. Wenn wir aber die Kandidaten ausschließen, bevor wir sie getestet und kennen gelernt haben, wie wollen wir dann je zu neuen Mitgliedern kommen?” Er blickte in die Runde und wartete auf Iras Protest. Sicherlich war sie noch wütend wegen vorhin.
Wunnemar, der sich bislang zurückgehalten hatte während des kleinen Disputs, nickte bekräftigend zu diesen, letzten Worten des Altenweiners.
“Von mir aus können die Anwärter aus Maraskan kommen… aber ausgerechnet der Knappe eines Ritters aus Eisenstein? Leute! Sein Schwertvater gehört zu Rajodans Bluthundbande!!” Sie wollte nicht Erzfeind sagen, das klang irgendwie schräg. Auch, wenn es Iras Meinung nach momentan niemanden gab, der auf diese Beschreibung besser passte. Vielleicht noch Josts Augenstern - kotz, würg! - Odelia, zwischen ihr und der hinterhältigen Baroness gab es genug Differenzen. Deren Vater aber war weitaus schlimmer und das in vielerlei Hinsicht. “Aber bitte, bitte.” Ira hob beschwichtigend die Arme. “Ich darf doch wohl noch sagen, dass das meiner Ansicht nach nen blöden Beigeschmack für mich hat, oder?”
“Ja, klar. Natürlich darfst und sollst du sagen, wie du die Sache findest. Und ich glaube, wir haben verstanden, dass es für dich bis zum Himmel stinkt”, bestätigte Firin. “Aber ich, wir wollten dich auch aufmuntern und ich meinte, dass mit dem Ausgleichsdienst wirklich ernst. Ich finde, wir sollten nichts unversucht lassen, damit du uns begleiten kannst. Und vielleicht können wir Rajodan ja einfach erstmal fragen”, gab der Landwachter zu bedenken. “Ich meine, vielleicht hat er ja gar nichts dagegen. Und”, sicherheitshalber hob Firin seine Hand, um sofortige Einwände seitens Ira zu unterbinden, “und vielleicht kannst du mir oder uns mal etwas genauer erklären, woher deine weitreichende Abneigung gegenüber dem Eisensteiner Baron kommt?” Fragend blickte er Ira an.
“Du meinst wohl meine begründete Abneigung” brummte sie nach wie vor streitlustig. Außerdem ging es ihr auf die Nerven, dass ihr immer jemand den Mund verbot! Andauernd machten sie das. Darum hatte Ira keine große Lust, über den Baron und dessen Widerlichkeit zu sprechen. Sie sah jedoch die Notwendigkeit, dass ihre Bundbrüder Bescheid wissen mussten, damit sie von ihnen Verständnis fordern konnte. Daher gab sie sich einen Ruck. “Gut, ich erklär euch ein paar Dinge. Aber dafür kehren wir bitte irgendwo ein. Über Rajodan spricht sich leichter bei einem Krug in der Hand.”

Das Arschloch

Wenig später saßen die Mitglieder des Orgilsbunds im lauschigen Garten einer Rommilyser Taverne unter einer alten Linde, die mit ihrem Blätterdach angenehmen Schatten spendete. Sie hatten sich etwas zu trinken bestellt, sich mehrfach vergewissert, dass das, über was sie sprechen wollten, keinen Weg an fremde Ohren fand, und natürlich hatten sie noch einmal über die Lanze unterhalten, wie auch darüber, dass sie sich am Abend in Vollrüstung zum Traviatempel begeben wollten, um die Weihe ihrer Schwerter in passender Kluft zu erbeten. Streiter im Namen Travias wollten sie sein. Und das sollte jeder sehen.

Irgendwann schlug Iras Stunde und sie kam nicht umhin, zu erzählen. Von dem Baron. Was dieser ihr täglich abverlangte, nur, um sie zu gängeln, weil sie eine Frau war und Frauen in den Augen des Barons nur zu einem gut waren, nämlich zum Ficken und Kinderkriegen. Dass ihr Lehensherr sie daher als Ritterin nicht ernst nahm und sie sich ständig beweisen musste, eigentlich in allem, was sie tat, wissend, dass es niemals ausreichen würde, weil sie ja nicht nur jung, sondern durch ihre Heirat auch eine Rickenbach geworden sei. In dem Zusammenhang erzählte sie von der Feindschaft zwischen dem Baron und der Familie ihres Mannes und wie diese sie stets von Neuem vor den Machenschaften des Barons warnte, damit Ira ja nicht vergesse, wie gefährlich der Baron sei. Als ob sie dies vergessen könnte. Es gab schließlich genügend Momente in ihrer kurzen Zeit auf Rickenbach, die ihr Bild von dem Baron geprägt hatten. Seine widerlich anzügliche Art, seine tyrannischen Gemeinheiten, seine verdammte Art, letztlich doch immer wieder die drecks Oberhand zu gewinnen. In jedem Gespräch, jeder Diskussion, jedem Aufeinandertreffen. Wie er sie geschickt gezwungen hatte, seine Dienstritterin zu werden, und wie er sich jedes noch so kleine Entgegenkommen teuer bezahlen ließ: in Frondienst oder mit güldener Münze. Dass der Baron alle diejenigen, die ihm nicht bedingungslos folgten, wie es die beiden ‘Kettenhunde’ Anselm von Eschenbach und Vitold von Baldurstolz taten, gnadenlos bestrafte, und das nicht nur in wörtlichem Sinne. Ira berichtete von der Herzlosigkeit, mit der er selbst diejenigen knechtete, die ihm das tägliche Brot auf den Teller brachten, von übertriebenen Gewaltstrafen, grausamem Gefügigmachen und jedweder fehlender Achtung anderen gegenüber, was seine Familie und die arme Baronsgemahlin mit einschloss - die Ira als Abbild eines ehemals hübschen Wesens beschrieb, das an der Kälte im Herzen ihres Angetrauten zerbrochen war und deren einziger Freund die Resignation und die Sehnsucht nach einem baldigen Tode sei, da auch ihre Töchter teilweise die Grausamkeit des Vaters geerbt hätten. Ira nannte zwar keine Namen, aber ihre Worte ließen keine Zweifel daran, dass sie auch die junge Baronin von Hlutharswacht nicht zu ihren Freunden zählte, die ja bekanntlich Odelia von Keyserring, Tochter und Erbin des Eisensteiners war. In dem Zusammenhang kam sie nicht umhin zu erwähnen, dass Rajodan zwar ein kunstsinniger Mann und Mäzen der Rahjakirche, aber ein wahnsinnig schlechter Vater sei, und ihr Freund Jost, der Baron, von der Falschheit seiner geliebten Braut nichts wisse, weil ihn die Liebe blind mache. Es ließen sich generell viele von dem elegante Auftreten des Barons blenden, von seiner charmanten Art, Gesprächspartner einzulullen, von dem Geld, das er jedoch nur geerbt hatte, aber dass genau darin der Fehler im Umgang mit dem Keyserring läge! Sie hatte Seiten an dem Baron kennengelernt, die er nur dann zeigte, wenn sich sein Gegenüber nicht blenden ließ. Sie hatte sich auch damit abgefunden, dass das beharrliche Ertragen seiner Gängeleien nun zu ihrem Leben als Edlengemahlin dazu gehörte und sie nur dadurch, dass sie sich eben nicht brechen ließ, die Chance bekommen würde, zumindest ihr Ansehen und das Rickenbach nach außen hin, quasi in die Nachbarlehen hinein, zu festigen, um einen Status von demonstrierender Stärke aufrecht zu erhalten, den es nicht zu verteidigen geben bräuchte, wäre der Mann auf dem Baronsthron nur ein bisschen mehr so wie Jost und nicht das tyrannische Arschloch, das sich gegenüber anderen außerhalb der Baronie oder anderen Mitgliedern des Hochadels durch eloquentes Reden, übertriebenes Herrschertum, vorgeschobene Frömmigkeit, traviaungefällige rahjanische Lebensweisen und teure Pelzmäntel tarne, während die ihm Anvertrauten um ihr Leben fürchten müssen, handelten sie auch nur einer der vielen Regeln zuwider. Das gelte natürlich nicht für den regierenden Adel, so wie sie, doch stünde Rickenbach wegen seiner alt-dargewesenen Macht aufgrund von Geld wegen des Gestüts von allen Lehen der Baronie stets im Fokus des Interesses, und darum müsse sie, Ira, stets darauf achten, was sie tue und sage, um dem Baron keine Gelegenheit zu geben, ihrer neuen Familie den angestammten Einfluss zu beschneiden oder gar ganz zu nehmen. Auch gegenüber den beiden Bluthunden des Barons müsse sie vorsichtig sein und bleiben, was ihr oft schwer falle - vor allem der Eschengrunder wäre von einfachem Gemüt, daher vom Baron indoktriniert, sie nicht aus den Augen zu lassen und immer schon zu piesacken. Und daher sei es für sie so schwierig, diesem Folcrad ohne Groll zu begegnen, auch wenn der Junge wohl am wenigsten für ihr Schicksal konnte. Ebenso sei die Sache mit der Lanze ein Tanz auf der Klinge, da sie Verantwortung für 5 Rickenbacher Soldaten habe. Die waren ihr zwar vom Baron aufgebrummt worden und stammten genau genommen bis auf ihren Waffenknecht Darek nicht aus dem Rickenbacher Lehen, trotzdem hatte der Baron ihre Einheit als ‘Lanze Rickenbach’ tituliert, was hieß, dass sie zusehen musste, dass möglichst viele von diesen Männern wieder nach Hause kamen, wollte sie verhindern, dass sich die Katastrophe vom Haffaxfeldzug wiederhole. Damals hatte der Baron die Rickenbacher Einheiten vermutlich gezielt, doch jedenfalls grob fahrlässig zu Tode kommen lassen, in dem er sie in eine Alveransmission nach der anderen schickte. Dies war dem Lehen nicht gut bekommen, es konnte seinen Schutz nicht mehr gewährleisten. Der Baron habe daraufhin in seiner unendlichen Güte einen Teil seiner eigenen Männer nach Rickenbach abgestellt - allerdings gegen ein enorm hohes Schwertgeld, das noch immer zu zahlen sei, weil auch noch immer Soldaten des Barons auf der Hyndanburg stationiert seien, weil es der Familie ihres Mannes bislang nicht gelungen war, geeignete Leute vor allem für die wichtigen Posten zu finden. Zwar hatte Jost ihr zu ihrer Hochzeit ein paar Hlutharswachter Soldaten ‘geschenkt’, die er ihr auch finanzieren wollte, doch sei dies natürlich keine Lösung auf Dauer, daher habe Ira vor, dringend an dem katastrophalen Umstand Waffenfähiger im Lehen etwas zu ändern, aber das konnte erst nach dem Winter geschehen, wenn ihr 6-Monde-andauerndes Dienstjahr unter dem Baron in jene Zeit übergehe, in der sie sich mit der Baronieverwaltung befassen und eigene Vorhaben realisieren könne. Fünf Götterläufe würde sie nun im Dienst des Barons stehen. Erst danach wolle ihr Baron entscheiden, ob sie das Amt der Vögtin von Rickenbach übernehmen dürfe. Fünf Götterläufe Dienstritterschaft, die erst 1047 ihr Ende finden würde… Fünf Götterläufte Knechtschaft unter dem direkten Kommando des Keyserrings. … Fünf drecksverdammt scheißlange Jahre...

Nachdem sie das alles so erzählt hatte, war die Plötzbogen leicht angetrunken, denn sie hatte ihren vom Erzählen trockenen Mund gern und oft mit Bier gespült. Allerdings hatte das Ganze auch ein Gutes: ihre Laune besserte sich dadurch etwas. Sie grummelte nicht mehr ganz so verdrießlich und spieh auch kein Gift mehr. Stattdessen entschuldigte sie sich mehrmals bei allen dafür, dass sie so über ihren Lehnsherrn sprach und ebenfalls dafür, dass sie gehofft hatte, die Vampire auf Josts Hochzeit würden auch Rajodan zu Boron schicken.
“Also, ihr Süßen… denkt ihr jetzt immer noch, dass es eine gute Idee ist, wenn ihr versucht, euch für mich einzusetzen?”
Wunnemar presste lange Zeit die Lippen aufeinander während seine Bundesschwester sprach. Der Galebfurtener hatte in Roklan von Leihenhof einen Pagen- und Schwertvater besessen, der ihn stets streng, aber dabei auch väterlich behandelt hatte und zu dem er immer noch eine enge, freundschaftliche Bindung pflegte. Nach dem Ritterschlag war der Baronet in der komfortablen Lage gewesen sich seinen Dienstherren selbst auszusuchen und auch nach dieser Zeit würde er vermutlich in Tälerort weitgehend sein eigener Herr sein, so die Zukunft so aussah, wie er sie sich ausmalte.
Die Umstände, die Ira beschrieb, konnte er sich deswegen beim besten Willen nicht vorstellen. Es fiel ihm schwer Worte hierfür zu finden. Die einzige Reaktion war ein wiederholtes, verständnisloses Kopfschütteln.
Wunnemar schwieg, er wollte zunächst hören, was die anderen zu sagen hatten. Vielleicht konnten sie sich besser in Iras Lage hineinversetzen.
Was Ira beschrieb, war alles andere als leichte Kost - ganz im Gegenteil. So traurig es auch war, doch war es nicht unwahrscheinlich, dass sich dergleichen überall im Reich auf gleiche oder zumindest ähnliche Weise zutrug. Nicht jeder, der über ein Lehen herrschte war, ein gutmütiger und fürsorglicher Mensch. Nicht jeder sorgte sich um das Wohl seiner Vasallen, scherte sich gar einen Dreck um ihr Leid. Die Schilderungen Iras mochten für sie, die sie noch jung und unerfahren waren, erschütternd sein, doch war es das tatsächlich? Was wirklich die Bestürzung der Anwesenden erweckte, war nichts anderes, als der Umstand, dass mit Ira eine von ihnen betroffen war.
Nichts anderes blieb ihnen, als ihrer Bundesschwester ein Beistand zu sein, wohl wissend, dass sie nichts an der Situation zu ändern vermochten, und selbst zu hoffen, dass ihnen, sollten sie einst über ein Lehen gebieten, ein besserer Dienstherr beschert werden würde.
“Ach Bosparanienblüte”, sagte der Altenweiner und nahm Ira in den Arm. “Natürlich schaffen wir das schon und stehen Dir bei.” Er war gewillt ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, doch musste er an die Kettenhunde und Spione des Barons denken, von denen sie gerade noch gesprochen hatte, und ließ sie wieder los. Stattdessen gab er ihr einen Handkuss. “Dafür sind wir doch da. Du musst Deine Kämpfe nicht allein durchstehen.”
“Manche leider schon.” Ira seufzte, lächelte aber und ihre Wangen färbten sich dabei. “Aber wie du das sagst, das ist sooo lieb von dir.”
“Du hast ja auch Liebe verdient”, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste ihre Stirn.
Da errötete Ira noch etwas mehr. Eigentlich mochte sie so schwülstiges Geblabbere nicht und für gewöhnlich deutete sie an, sich mit dem Finger im Mund erbrechen zu wollen. Diesmal nicht.
‘Arme Ira!’ Firin fühlte mit seiner Bundesschwester. Er hatte zwar nicht erwartet, dass Rajodan von Keysering frei von Fehl und Tadel sei. Man hatte immerhin schon mal die ein oder andere nicht ganz so positive Geschichte gehört. Aber das, was Ira erzählte, und in dem Umfang. Nein, das war wahrlich weit mehr als gedacht. Ihm war schon klar gewesen, dass der Baron sich nicht nur Freunde machte. Sowohl sein Vater Filwald als auch sein Schwertvater Halmar waren ihm gegenüber offen negativ aufgetreten und hatten kein gutes Wort für und über ihn gesprochen. Woher diese Feindschaft stammte, wusste er nicht. Aber nur zum Spaß hatten sich seine “Väter” sicher nicht mit dem Baron der Nachbarbaronie überworfen - ob das auch für Rajodan galt, konnte Firin, Insbesondere nach Iras Bericht, kaum beurteilen. Innerlich dankte er den Göttern, dass er es mit Halmar als Schwertvater um ein Vielfaches besser getroffen hatte und auch bislang während seiner Zeit als Heckenritter nicht an einen derartigen Tyrann geraten war. All dies bestärkte ihn in der Idee, Iras Freistellung zu erreichen, um ihr eine Atempause zu verschaffen, einen Moment des Stolzes und der Erfüllung zu gewähren, wenn sie inmitten des Orgilsbundes die Lanze des Heiligen Orgil nach Warunk überführen würde. Aber er hütete sich Ira davon in Kenntnis zu setzen, konnte er sich doch gut ausmalen, wie empört und aufgebracht sie darauf reagieren würde. ‘Nein, das müssen wir ohne ihr Wissen arrangieren. Und jetzt, da wir wissen, wie der Baron agiert, müssen wir umso vorsichtiger vorgehen. Boronian und XXX sehen das bestimmt ähnlich.’
Der Baronet war immer noch unentschlossen, sah sich nun aber genötigt noch etwas zu sagen. “Ich bin nach alledem was unsere Bundesschwester gesagt, hat anderer Meinung als zuvor. Wir sollten Iras Wunsch respektieren. Sie muss mit dem Eisensteiner leben und auskommen, noch bedeutend länger als dieser Kriegszug währen wird. Wenn, dann ist es an ihr selbst mit dem Baron zu sprechen, immerhin ist es sicher auch Ira ein großer Wunsch die Lanze zu begleiten, uns zu begleiten. Dieses Anliegen darf ihr aber in der Zukunft nicht in der Art durch den Eisensteiner nachgetragen werden, dass sie davon große Nachteile, weitere Repressionen erfährt.”
Wunnemar schüttelte den Kopf. “Die Gemeinschaft ist wichtig, doch sollten wir sie nicht über das Wohl eines Einzelnen stellen. Dies ist Iras Kampf und ich bin davon überzeugt, dass sie ihn wie eine Löwin ausficht. Als Sekundanten können wir ihr beistehen, aber wir sollten nicht gegen ihren Willen eingreifen.”
“Ach wisst ihr, das ist eeecht voll goldig, wie ihr mir da alle helfen wollt.” lächelte Ira und warf jedem ihrer Freunde einen raschen Kussmund zu. “Aber eigentlich ist es egal. Der… Dings… findet immer irgendwas, wie er mir wieder eins reinwürgen kann, macht euch da keine Illusion. Keine Illusion!... Trotzdem geb ich unserem Wunni recht.” Nickend griff sie ungefragt nach dem Krug, der vor Aureus stand, weil ihrer schon leer war, und trank einen tiefen Schluck. “Das mit der Lanze… Leute, das muss ich, glaube ich, selbst erledigen. Aber he! Was haltet ihr davon, wenn ich ihm anbiete, dass ich seine besch… die Farben seines Lehens für den Ritt anlege, statt meine?”
Wunnemar stutze bei diesem Vorschlag. Das kam ihm zu einfach vor.
“Du meinst ernsthaft, dass sich der Baron mit einer solche Geste umstimmen lässt?” hakte er nach. “Ich dachte der Eisensteiner steht über solchen Honigschmierereien. Klar, es würde seinen Namen ins Gespräch bringen. Das Haus Keyserring würde genannt werden, sobald von der Überstellung der Lanze die Rede ist, aber bedeutet ihm das etwas, oder sieht er nur, dass du, der ihn hasst, sich selbst demütigt- seine Farben trägt, um dabei zu sein?”
“Oh, unterschätz nicht, wie sehr dem Mann gefällt, wenn sich andere vor ihm vor Schmerzen winden,” antwortete Ira in düsterer Erinnerung schwelgend. “Ich bin gern bereit mich für diese Sache zu demütigen. Das ist zwar mords nervig, aber naja… mich bringt’s ja nicht um. Mir wär’s das wert,” entgegnete sie. Das war ihr lieber, als eine 'Strafe' dafür, dass jemand ihrer Brüder sich für sie einsetzen wollte.
Wunnemar nickte und dabei lag Anerkennung in seinem Blick ebenso wie Unbehagen darüber, einem Sadisten das zu geben, wonach er verlangte.

Alte Freundinnen

Alana von Altenberg war aufgewühlt nach dieser Andacht des Hohen Paares. Familie war etwas, was sie immer wollte, doch fast nie hatte. Selbst jenen Menschen, mit dem sie eine innige Freundschaft geteilt hatte, hatte sie irgendwann loslassen müssen. Aber sehr wahrscheinlich würden sie sich hier wiedersehen. Zurück an der frischen Luft wartete sie vor dem Tempel, um endlich die Ritterin Mersea abzufangen. Auch hoffte sie natürlich zu Baron Jost zu gelangen, um ihn in Kenntnis zu setzten, dass sie sich diesem Feldzug in seinem Namen anschließen würde. Aber Mersea wiederzusehen - darauf freute sie sich schon lange.
Mersea ließ nicht lange auf sich warten. Die strohblonde Ritterin mit dem halblangen welligen Haar befand sich im Gespräch mit einem Mädchen, das denselben Waffenrock trug und ungefähr 14 oder 15 Jahre sein musste. Das Allianzwappen zeigte einerseits den silbernen Maurenbrecher-Drachen unter der rot-weißen Sturmfels-Barke auf Rot, andererseits das Abbild einer nackte Frau. Ein Wappen, das Alana auch bekannt war, denn es stammte von der Edlenfamilie Albenholz.
Als Mersea die sich nähernde Altenbergerin sah, ließ sie augenblicklich von dem Mädchen ab und steuerte mit eiligen Schritten genau auf diese zu. "Alana? Ich werd nicht mehr! Bist du das? Ja, Mensch, was machst DU denn hier?"
Sobald sich die beiden Frauen erreicht hatten, zog die blonde Ritterin die andere überwältigt in ihre Arme und drückte diese einmal fest an sich, bevor sie wieder einen Schritt zurückwich und die andere wohlwollend musterte. "Auf Pilgerfahrt? Nein, so sieht du nicht aus."
Die breitschultrige Ritterin, die das Wappen ihrer Familie, einen blauen Dreiberg vor Silber, über ihren Kettenhemd trug, lächelte zurück. Alana war recht blass, was wiederum ihre blauen Augen und die Sommersprossen im Gesicht zur Geltung brachten. Sie trug ihr kastanienrotes Haar kurz, das sie bisweilen streng wirken ließ. Doch nicht in diesem Moment, ihre Freude kam vom Herzen. “Nein, ich bin gekommen, um am Feldzug deines Vetters teilzunehmen. Deine Mutter hat mir einen Brief geschrieben. Und nun bin ich hier, mit dir zusammen das Schwert zu ziehen.” Sie nahm noch einmal ihre Freundin in den Arm.
“Würdest du mich dem Baron vorstellen, damit ich ihm die Ehre erweisen kann?” Bittend schaute sie Mersea an.
“Natürlich. Mein Vetter wird sich bestimmt auch sehr freuen, dass du dich uns anschließen möchtest. Wenn du magst, dann fühl dich in der Lanze ‘Hlutharsruh’ willkommen!” Mersea strahlte. Die Aussicht, dass die nur wenig jüngere unter ihrem Kommando ritt, und sie so Zeit miteinander verbringen konnten, fand die Hlutharswachterin schön. Denn mit Alana verband sie so vieles. Ein Seufzen entrann ihr bei den Erinnerungen an damals, als sie heimlich ihre ersten vorsichtige Küsse getauscht hatten. Dann fiel ihr ein, dass da noch jemand war: “Meine Liebe, darf ich dir meine Knappin Hetta von Albenholz vorstellen? - Hetta, die Frau Alana und ich kennen uns schon lange, denn sie war Knappin bei meiner Mutter.”
Das Mädchen lächelte freundlich zurück und schlug die Faust auf die Brust zum Kriegergruß.
Alana erwiderte den Gruß. “Ich bin sehr erfreut, Hetta. Es wird mir eine Ehre sein mit euch zu reisen und zu kämpfen.” Die Altenbergerin strich sich durch Haar.”Wollen wir?” fragte sie höflich. “Ich würde gerne erst zu deinem Vetter. Du weißt doch: erst die Arbeit und dann das Vergnügen.”
Daraufhin grinste die Hlutharswachterin. Um von dem Rotwerden abzulenken: “Wie hast du uns gefunden? Musstest du dich viel durchfragen oder sind unsere Hinterlassenschaften groß genug?” lachte Mersea, während sie zusammen zu ihrem Vetter, dem Baron, gingen.
“Das war einfach. Der Feldzug ist groß genug, dass die Leute darüber sprachen und so ungefähr konnte ich mir den Weg ausmalen, den ihr wählen würde. Aber das ist alles nicht mehr wichtig, nun habe ich dich, äh habe ich euch gefunden.“ Auch die Altenbergerin schmunzelte nun errötend.
Nach einer Weile des Spaziergangs erreichten sie endlich Merseas Vetter, den Baron Jost.
Dieser freute sich darüber, dass ein weiteres Schwert seinen Heerzug ergänzen wollte. Die Altenbergerin war Jost allerdings nur vage bekannt. Wohl wusste er, dass sie Knappin im Hause seiner Tante Thalina gewesen war, aber mehr auch nicht. Er wollte Mersea zuliebe auf eine detaillierte Befragung der Ritterin nach Kampfesweisen und -Vorlieben verzichten und unterstellte sie kurzerhand wie von Mersea vorgeschlagen dem Kommando seiner Base.
“Komm, ich stell dich den anderen vor.” Schlug Mersea vor, als sie zwischen den Zelten der Hlutharswachter hindurch zu denen aus ihrem Heimatlehen gingen. “Hetta holt uns von Meisterin Tsaja ein schönes Bockbier, und dann musst du mir unbedingt erzählen, was du die letzten Jahre über getrieben hast.- und mit wem.” Mersea zwinkerte Alana zu.
Nun entspannte sich Alana endlich. Sie war angekommen und nun Teil des Feldzuges. Und Mersea zu sehen holten alte Gedanken und Gefühle zu Tage, die sie vermisst hatte. Nun es war Zeit neue zu machen. Fröhlich folgte sie der Ritterin. Der Abend versprach ein guter zu werden.

Die Waffenweihe

Das erhabene Paare hatte den Yalsicor-Schrein dazu auserkoren, die Streiter und Streiterin des Orgilsbunds zu empfangen. Vor einer Stunde war das Abendmahl beendet worden und in der großen Tempelhalle waren nur noch wenige Pilger und Gläubige. Vor allem Geweihte und Novizen war nun dort, sorgten dafür, dass alles seine gute Ordnung hatte und saßen in
Gruppen beisammen.
Ehrwürden Cordovan von Rabenmund, ehedem als ‚Stummer Fürst‘ bekannt und Kronverweser der Traviamark, empfing die kleine Schar dort und deutete ihr, sich noch etwas zu gedulden. Er stand links vom Schrein. Eine kleine Tafel baumelte an seinem Gürtel, die er nutzte, um mit den Gästen und anderen zu kommunizieren.
Sie mussten nicht lange warten, da kam das Erhabene Paar in Begleitung einer weiteren Geweihten aus einem kleinen Portal in der Nähe des Schreins. Die Geweihte war auch beim Göttinnendienst zugegen gewesen, Mariella von Rabenmund. Während das Erhabene Paar dem Erzpriester freundlich zunickte, umarmte Mariella ihren Vater kurz, ehe sie sich rechts neben dem Altar stellte, so dass das Erhabene Paar in der Mitte stand. Es schien, als wäre es von einem leichten, orangenen Licht umgeben. Ein Gefühl von Geborgenheit ging von Ihnen aus.
„Travia zum Gruße“, begrüßte Trautmann die Gäste im Tempel. „Euer Wunsch wurde uns vorgetragen und die Kirche der Gütigen Mutter hat ihn wohl geprüft.“ Während er sprach blickte Traviata freundlich auf die jungen Kämpfer vor ihr. Doch ihr Blick schien tiefer zu dringen, als es ein oberflächlicher Blick je könnte. „Was Ihr begehrt, begehren nicht viele. Sankt Orgil ist es, dem Ihr Euch verbunden fühlt. Seine Lanze wird Euren Zug begleiten. Unsere Gemeinschaft“, er machte mit seiner Rechten eine Geste, die die beiden Geweihten neben dem Altar umschloss, „hat den Weg des Kampfes hinter sich gelassen. In einer Familie hat alles seinen rechten Platz und seine gute Ordnung. Und auch wenn die Gans wehrhaft ist, so vertrauen wir nun wieder der Löwin an unserer Seite.“
„Und doch, wir verehren Sankt Travinian, der mutig den Schrecknissen der Niederhöllen entgegenschritt und sein Leben im Kampf gab.“ Der Blick der Hohen Mutter ruhte noch immer auf der kleinen Schar vor ihr. „Wir sind bereit Euch den Segen, die Weihe zu erteilen, nach der Ihr strebt. In Freundschaft, als Gemeinschaft wollt Ihr in den Osten ziehen. Nur als solche werdet Ihr auch bestehen und vor der Gütigen Herrin Travia Gnade finden. Prüft Euch, geht in Euch. Seid Ihr wahrlich bereit, Euch an die Gebote der Herrin Travia zu halten? Vergesst nicht, Sie ist auch die Schützerin der Schwüre. Sie blickt tief in Eure Herzen, in Eure Seelen und erkennt was Euch wahrlich bewegt und antreibt.“
„Wenn Euer Begehr zwar von Freundschaft und Verbundenheit getragen ist, Euer Herz in den kommenden Kämpfen, in dem Ihr Eure Waffen führen werdet, aber einem anderen der Großen Familie Alverans gehört, dann folgt diesem. Wir werden dann das unsere Tun, auf das Ihr in seiner Kirche erfahrt, wonach es Euch tatsächlich begehrt.“ Der Hohe Vater sprach nun wieder zu den Besuchern aus den Nordmarken. „Eines sollte Euch bewusst sein. Wir kennen viele Eurer Verfehlungen, doch Travia kennt sie alle. Sie ist auch Vergebung und wer ein Leben der leichtfertigen Art geführt hat und nun davon ablassen möchte, den empfängt Domara unter ihren wärmenden Flügeln. Wer in seinem Stamm Frauen und Männer hat, die allzu leicht die Gebote der Gütigen Mutter missachten und dagegen mit Worten und eigenen Taten stehen will, bei dem wird die Allzeit Treue stets sein. Wer den gestrauchelten auffangen hilft und ihn wiederaufrichtet, dem steht die Heilige Familie bei.“
„Travia hat uns dies durch Yalsicor offenbart, als wir Euer Ansinnen prüften“, Traviata von Rabenmund trat einen Schritt vor. „Als Bund begehrt Ihr die Weihe der Waffen. Wisset, nur als Bund werdet Ihr auch vor Ihr bestehen! Mein Gemahl sagte es. Wenn Ihr noch immer die Weihe begehrt, dann werden wir Travia um ihren Segen bitten. Doch wenn einer oder eine von Euch vor Travia fehlt geht, dann werdet Ihr alle Ihren Segen verlieren.“ Eindringlich musterte sie die Kämpfer. „Wisset auch, mancher ist unter Euch, wäre er oder sie allein vor uns getreten, wir würden eine Pilgerfahrt gen Wolfskopf oder Travingen verlangen. Darum prüft ein letztes Mal, was Ihr begehrt und was ihr wünscht. Ob Ihr bereit seid, die Entscheidungen als Gemeinschaft zu tragen. Sucht im Gebet den Ratschluss der Gütigen Mutter, sucht bei Yalsicor die Einsicht.“ Ein letztes Mal ruhte der Blick auf den Gästen. „Vater und Tochter stehen bereit, sie werden Euch helfen, so ihr es wünscht. Sie werden uns rufen, wenn Ihr soweit seid.“ Die Hohe Mutter nickte ihrem Gemahl zu und gemeinsam schritten sie in Richtung der großen Statue in der Mitte der Tempelhalle, wo ein Geweihter mit einem halben Dutzend junger Novizen in ein Gespräch vertieft war.

Wunnemar indes hörte die Mahnungen der Hochgeweihten und griff in einer spontanen Geste nach den Händen derjenigen Bundesbrüder, die zu seiner Rechten und Linken standen, Alrik und Boronian.
Die Weihe würden sie nur gemeinsam erhalten, dass war nun deutlich geworden, nicht jeder einzelne. Vor den Augen der gütigen Göttin konnten sie als gewöhnlicher Ritterbund nicht bestehen, sondern als ein Bund aus Brüdern und Schwestern.
Auch wenn er mit ihnen gemeinsam den Bund des heiligen Orgil begründet hatte, so kannte Alrik seine Brüder und Schwestern dennoch hauptsächlich aus ihrer gemeinsamen Zeit während des Feldzugs gen Mendena. Er wusste nicht welche Verfehlungen sie begangen haben mochten, wenn er einmal von der Beichte Iras absah, noch erachtete er dies letztlich als wichtig. Als Menschen waren sie fehlbar, jeder von ihnen hatte mit Sicherheit bereits ein Gebot der Zwölfgötter verletzt. Tatsächlich war es doch unmöglich es allen Göttern recht zu machen. Wer Phex huldigte verstieß schnell gegen Gebote des Herrn Praios und wer der Rahja allzu freudig versündigte sich vor Travia.
Mit sich selbst war Alrik deshalb im reinen, auch weil er sich bisher vor keinem der Zwölfgötter einen größeren Fehltritt hatte zu Schulden kommen lassen. Er ehrte sie, wie es ihn gelehrt worden war. Als Ritter war er Schild und Schwert, doch noch mehr als Bauer und Magd wollte er die seinen Schützen.
Boronian fand es im ersten Moment seltsam, dass Wunnemar nach seiner Hand griff. Unter Männern war das ja sonst nicht üblich, und als Streiter drückte man sich anders Verbundenheit aus. Er verstand jedoch die Geste Wunnemars und woher sie rührte, also drückte er die ihm gereichte Hand fester und reichte auch seine noch freie Hand weiter.
Aureus nahm Alriks Hand und ergriff auch die von Firin. Er war wegen seiner Freunde hier. Sie gehörten zusammen und wenn einer Hilfe brauchte, so kamen sie um zu helfen. Er fühlte, dass es so sein sollte, ganz so wie an dem Abend, als der Bund gegründet wurde.
Auch Brun fügte sich in die Reihe ein, ergriff eine ihm dargebotene Hand und reichte die andere an den Nächsten weiter. Er war ungewöhnlich ernsthaft, seine Gedanken kreisten um seine Familie. Handelte er nicht in Travias Namen, wenn er die Familie stärke, aus deren Schoß er entsprossen war? Die Reinigung des Namens derer von Kranickteich, das war der Gedanke, der seinen Geist füllte.
Firin empfand ein wohliges Gefühl. Sie waren jung. Ihr Leben lag eigentlich noch vor ihnen. Vielleicht mochte das Schicksal sie in alle Himmelsrichtungen. - Aber heute und jetzt standen sie gemeinsam hier, nur das zählte.
Ira verstand alles, die Prüfung, die Skepsis des Hohen Paares, die Eindrücklichkeit, mit der man sie alle hier musterte, dass sie die Weihe nur als Gemeinschaft erhalten konnten, und in dem Zusammenhang auch, dass sie alle die Weihe verlören, würde auch nur einer von ihnen vor Travia fehlgehen. Nur eines hatte sie nicht ganz verstanden: was es bedeutete, wenn sie in den kommenden Kämpfen dem Ruf eines anderen Gottes folgte. Was hatte das denn mit dem Anliegen zu tun, weswegen sie hergekommen waren?
Wie lauteten die Worte noch gleich:
Wenn (...) Euer Herz in den kommenden Kämpfen (...) einem anderen der Großen Familie Alverans gehört, dann folgt diesem. Wir werden dann das unsere Tun, auf das Ihr in seiner Kirche erfahrt, wonach es Euch tatsächlich begehrt,
Was sie daran nicht verstand war die Tatsache, dass jeder von ihnen doch zwangsweise im Kampf nicht die Herrin des Herdfeuers im Herzen trug, sondern… nun, eben, weil die Herrin nicht die Herrin des Schwertes oder des taktischen Manövers war, das wusste doch jeder. Und was Ira somit auch nicht wirklich verstand, war, dass eine Huldigung an Rondra, oder Rahja, oder an wen auch immer, doch nicht gleichzeitig bedeutete, dass man sich Travia gänzlich verschloss. Sicher, würde sie, Ira, um Rahja zu gefallen mit einem anderen das Bett teilen, als mit ihrem in Travia angetrauten Ehemann, gut, dann verstand sie schon, dass sich die Gänseherrin echauffierte. Aber im Kampf? Was hatte Travia nur gegen ihre Schwestern Rondra und Hesinde?... Oder hatte Ira da etwa etwas nur grundlegend missverstanden? Im Geiste warf sie die Warnung noch ein paar Mal hin und her und bat auch den Ziegenhäuptigen um die angesprochene Einsicht.
“Vater, Mutter,” fasste sich Ira schließlich ein Herz, griff ihren Topfhelm fester und trat einen Schritt aus der Gruppe heraus und auf den Schrein mit den beiden bereitstehenden Rabenmundern zu. “Ich denke, ich brauche tatsächlich Hilfe. Ich verstehe etwas von dem, was gerade gesprochen wurde, nicht.” Sie machte dabei einen vielmehr verwirrten, als verärgerten Eindruck, der auf den ersten Blick offenbarte, dass sich da wohl ein Konflikt für die junge Ritterin aufgetan hatte.
Der Diener Travias musterte sie freundlich und griff nach seiner Tafel. Flüssig und gut leserlich schrieb er darauf und zeigte der Ritterin den Text. ‚Was ist es? Was sagt Dir Dein Herz?‘. Ruhig blickt er sie an und wartete auf ihre Antwort.
Herrje, dass manche Geweihte aber auch immer gleich so hochtrabend daherkommen müssen, dachte sie kurz, aber ein inneres Schmunzeln erhellte ihren Gedanken. So eine Sprache hatte sie von etlichen ihr gut bekannten Geweihten gehört, auch Hagrian hatte die Angewohnheit besessen, hin und wieder so gestochen daherzureden. Die Erinnerung an ihre erste große Liebe, von der sie ihr Kind bekommen hatte, nahm jeglichen Argewohn von ihr. So besann sich Ira auf die Formulierung ihrer Frage. Sie war schließlich wichtig. Vielleicht auch für einen der anderen.
“Was meinte der Hohe Vater, als er sagte, dass wir im Kampfe unserem Herzen folgen sollen? Das werden wir selbstverständlich tun. Jeder aufrechte Streiter sollte stets seine Schwert mit dem Herzen führen, allein schon, um Gut von Böse, Not von Notwendigkeit oder Gnade von Strafe zu unterscheiden. Was ich dabei nur nicht verstehe, ist: was hat das damit zu tun, weshalb wir hierher gekommen sind? Ich äh, gebe zu, das...öhm...verwirrt mich.” Kurz schielte sie nach rechts und links. Oder hatte nur sie sich an diesem Punkt die Frage gestellt, ob sie vielleicht etwas falsch verstand? “Naja, vielleicht habe ich Seine Erhabenheit ja auch nur falsch verstanden und er wollte etwas völlig anderes damit ausdrücken….” Erst im Nachhinein fiel ihr auf, dass sich das wie ein Vorwurf anhörte. Und es gebot sich nicht für jemanden wie sie, Jemanden wie das Hohe Paar zu kritisieren. Allerdings hatte sie es überhaupt gar nicht als Kritik ausgesprochen. Ihre Ambition war lediglich herauszufinden, ob sie fälschlicherweise einem banalen Missverständnis aufsaß. Ira hoffte es.
Während Ira ihren Fragen und vielleicht auch ihren inneren Zweifeln Ausdruck verlieh, sah Wunnemar seine Bundbrüder nacheinander an und sprach dabei feierlich und zum Teil mit stockender Stimme die Namen derer aus, die es nicht bis hierhin geschafft hatten. Er benannte diejenigen, die auf dem Feldzug gen Haffax gestorben, gefallen waren: Freunde, Verwandte, geliebte Menschen.
Als er geendet hatte hob er den Blick zum Altar, denn er richtete seine Worte nicht an das heilige Paar, sondern an die gütige Göttin selbst. Sie würde ihnen den Segen erteilen, sie würde entscheiden.
“Oh göttliche Mutter. Im Namen derer, die wir verloren haben und derer, die nun neben mir stehen, gelobe ich sie zu schützen, zu respektieren und zu ehren, als seien sie meine leiblichen Brüdern und Schwestern. Weiterhin gelobe ich alles in meiner Macht stehende zu tun, deine Lehren und die der unteilbaren Zwölf in die Mark des Raben zu tragen, die Schwachen zu beschützen, Unrecht zu bekämpfen und die Saat der Hoffnung auszubringen.”
Noch während der Aufzählung Wunnemars hatte der hünenartige Boronian die beiden eben erst ergriffenen Hände abgeschüttelt, allerdings, um stattdessen jeweils einen Arm um die Schultern der beiden Ritter neben sich zu legen und die Reihe so noch enger zu fassen.
Als der Baronet Aufzählung und Gebet beendet hatte, ließ der Schwertleiher ein lautes “Für die Toten - und die Freundschaft!” erschallen, jenes Motto, das sie sich für ihren Bund erwählt hatten. Wobei er letzterem nicht nur stimmlich etwas mehr Bedeutung verlieh, sondern er die Ritter in seinem Arm dabei auch noch etwas fester drückte.
Aufmerksam hatte Alrik der Frage Iras gelauscht, um Wunnemar in seinem Gedenken an die Gefallenen jedoch nicht zu unterbrechen wartete er bis dieser geendet war, eh er sich äußerte. “Ich denke, was das Hohe Paar damit ausdrücken wollte, Ira, ist dass unsere Motivation, der Grund wieso wir das Schwert führen, im Sinne der gütigen Herrin Travia sein sollte. Nicht nach Ruhm und Ehre vor der Leuin sollen wir dabei streben, sondern das durch Travia gesegnete Schwert nutzen, um den einfachen Bauern wieder ein sicheres Heim am geborgenen Herdfeuer zu verschaffen…. Denke ich zumindest…” Wobei seine letzte Äußerung durchklingen ließ, dass auch er sich nicht gänzlich sicher dabei war.
Auch Boronian dachte kurz nach. Dann zuckten er mit den Schultern. “Ja, Alrik. Eigentlich genau das, was wir schon immer vorhatten.” ergänzte er, fand es aber notwendig seiner manchmal doch sehr amazonenhaften Base das nochmal etwas aufzubereiten. Nicht, weil Alriks Erklärung falsch war, sondern weil er Ira einfach von allen hier am längsten kannte: “Wir machen das nicht für uns, sondern kämpfen dort in Tälerort für die Familie von unserem Wunnemar hier,” er drückte den kleinen Weißbärtigen, den er um fast 2 Köpfe überragte, erneut neckend an sich, “damit er und die Seinen ihren Anvertrauten ein friedliches Heim bieten können. Man kann sagen wir erfüllen unseren Schwur, den wir unserem Bundbruder gegenüber gesprochen haben, damit er wiederum mit seiner Familie eigene Pflichten und Schwüre, erfüllen kann.”
Ira hörte erst Alrik, dann ihrem Vetter aufmerksam zu. Sie nickte eigentlich die ganze Zeit dabei. “Ja, ja genau. Ach gut, “ sagte sie, nachdem auch Boronians Worte verklungen waren, und atmete dabei erleichtert lächelnd und etwas beschämt errötend aus. “Dann habe ich das wohl nur falsch verstanden. Tut mir leid, Hochwürden. Dann, ähm, ziehe ich meine Frage natürlich zurück.” Wie zur Verdeutlichung machte die Ritterin den Schritt rückwärts und reihte sich wieder ein.
Die Bedeutung ihrer Mission musste Ira niemand erklären. Sie trug sie im Herzen, denn ihr bedeutete dies alles viel. Sie war hier ja nicht nur als Wunnemars Bundschwester, sondern auch als eine enge Freundin des Barons, der ihr schon immer mehr der große Bruder statt Schwertvater war und mit dem sie in Mendena ganz besondere Erlebnisse teilte, nicht nur ihren Ritterschlag. Ganz zu schweigen davon, dass ihr die Befriedung der Schwarzen Lande eine Herzensangelegenheit war, weil der Vater ihres Sohnes dafür starb - grob gesagt.
Für die Toten und die Freundschaft…
“Wenn das so ist, habe ICH zumindest keine Fragen mehr.” erklärte sie sich abschließend, sah aber vorsichtshalber in die Runde und ob der Geweihte noch etwas auf seine Tafel schrieb.
Der Geweihte musterte die Ritterin und ihre Gefährten. Nach einem kurzen Blick zu dieser, sprach Mariella von Rabenmund zu den Gästen. "Der Grund Eures Zuges ist deutlich und der Herrin Travia wohlgefällig. Den Segen dafür habt Ihr und ich hoffe, dass der Göttinnendienst Euch hierfür Kraft geschenkt hat. Und doch, hier geht es um mehr. Wir Diener der Gütigen Mutter haben unser Leben diesen Werten und Idealen verschrieben: Bescheidenheit, Friedfertigkeit, Gastfreundschaft, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft sowie Sittsamkeit und Treue. Wenn Ihr diese, die Werte, die Gebote Travias achtet, wenn sie Euch Richtschnur sind und in den kommenden Wochen vor allem Euer Antrieb, dann sollt Ihr an diesem Abend den Segen erhalten. - Könnt und werdet Ihr diesen Geboten in den kommenden Wochen folgen? Nach Ihnen handeln? Werden sie, wenn es soweit ist, Euer Tun und Handeln bestimmen? Sagt nicht leichtfertig, dass Ihr das tun werdet, wenn in Eurem Herzen zuvörderst andere Ideale einen Platz haben. Ich kenne das Leben im Feld, ich kenne die Schlacht und was Kampf bedeutet. Meine Augen sahen, was in einem Tross geschehen mag und wie sich die verhalten, denen Prunksucht und Prasserei näher sind, als es gut wäre. Die andere arbeiten lassen und sich selbst dem Müßiggang hingeben. Von Travia und uns als ihren Dienern die Weihe der Waffen zu erbeten, ist eine Gabe, die einem einiges abverlangt." Sie lächelte. "Unsere Gebote und Ideale leben wir. Und es sind unsere Taten, die für sie sprechen. Wenn Ihr keine Fragen habt, wohl an, dann werden wir das Erhabene Paar holen." Vater und Tochter blickten in die Runde, ob noch einer der Kämpfer etwas zu sagen wünschte.
Jede Sache hatte grundsätzlich einen Haken, jede Bitte eine Bedingung. Auch ihre. Mit den Geboten, wie die Geweihte sie gerade aufzählte, sah Ira jedoch kein Problem. Abgesehen von der angesprochenen Friedfertigkeit, mit der sie bei empfundenen Ärger (und der fand sie irgendwie immer recht schnell) leicht in Konflikt geraten konnte, konnte sie ein jedes Gebot abnicken. Das mit der ehelichen Treue war zwar noch immer neu für Ira, weil ihre junge Ehe gerade erst ein paar Monde alt war, Treue ansich aber nicht, und etliche der anderen aufgezählten Gebote waren ihr ebenfalls nicht fremd, sogar Grund für ihr Hiersein - stand Travia doch auch für Familie und Freundschaft, Frieden, Heimat, Traditionen und Verlässlichkeit.
Einen Moment lang spielte Ira mit dem Gedanken, darauf hinzuweisen, dass sie als Bund ja nicht erst gestern entschieden hatten, sich wegen der Weihe an die Kirche der Gans zu wenden, sondern, dass dies eine gut und lange durchdachte, wohl überlegte Bitte war. Doch kam ihr der Einwand belehrend und unhöflich vor, daher unterließ sie es, noch etwas zu sagen. Sie löste stattdessen sanft die Hände aus denen ihrer Brüder, um sich ihr Schwert abzugürten und machte es einmal wie sonst Wunnemar: sie sank nieder auf die Knie. “Für die Toten und die Freundschaft - und all das, was die Herrin in unseren Herzen sieht” verlieh sie dem Motto des Bundes eine eigene Note.
Der so in Gedanken durch Ira bemühte tat es dem Beispiel seiner Bundesschwester sogleich nach. Wunnemars Meinung nach war alles notwendige gesagt. Fragen hatte es in seinem Herzen ohnehin keine gegeben. Die gütige Mutter wärmte sein Innerstes seit längerer Zeit, alles andere würde sich fügen.

Sie hatten sich also entschieden. Die Geweihte trat einen Schritt vor. "Wohl an, nehmt Eure Waffen und legt sie auf den Altar." Derweil schritt ihr Vater in Ruhe zum Erhabenen Paar, welches mit ihm nach einigen Minuten zurückkehrte.

"Was nun folgen wird, wird erst enden, wenn der Gong des Praiostempels viele Male geschlagen hat." Der Hohe Vater blickte auf die Streiter. "Es wird am Ende die Göttin sein, die entscheidet. Wir sind nur ihr Werkzeug." Er schaute liebevoll zu seiner Frau. "Wollen wir beginnen?" Die Hohe Mutter lächelte und reichte ihrem Gemahl eine Hand. Gemeinsam fingen sie an zu beten. "Travia. Gütige Mutter bist Du uns. Doch streng ist Dein Blick für die, die sich gegen Dich und die göttliche Familie von Alveran wenden."

"Diese hier erbeten von Dir, Deinen Segen." Traviata fuhr alleine fort. "Sie wollen in die Heimat eines Freundes ziehen. Freundschaft ist es, was sie vor allem im Herzen führen. Gleich Yalsicor, der unter seinen Brüder Freundschaft stiftete und einen jeden an seine Aufgabe erinnerte, wollen auch sie die Freundschaft bewahre. Sie wollen den geschundenen Seelen in der Rabenmark zu Hilfe eilen. Aufbauen, was zerstört wurde. Heimstätten schützen und das ihre tun, auf das die wohlgefällige Herdfeuer wieder brennen, wo sie einst erloschen."

"Sie sind jung, große Mutter", Trautmann lächelte. "Wie es die Natur der Jugend ist, so suchen sie auch nach Bewährung. Nach Taten um sich zu messen und nach Ruhm den sie erringen können. Dir entgeht nichts, Du wachst über Deine Familie und Deine Schar. Du erkennst, ob es der Geist der Freundschaft ist oder allein schnödes Streben nach wetlichen Dingen, was sie antreibt."

"Wir haben sie geprüft, gütige Mutter. Wir haben erkannt und gesehen, welche Lasten sie tragen. Seien es die eigener Taten oder die ihrer Ahnen und Familien. Als Freunde treten sie heute vor Dich und nur als Freunde werden sie vor Dir bestehen. Nur so kann Dein Segen Bestand haben. Nicht als Prüfung oder Mahnung, sondern als Ansporn aufeinander Acht zu geben. Wir alle straucheln in unseren Leben. Wir alle gehen Fehl und müssen zurück finden. Glücklich sind die von uns, die auf eine Gemeinschaft, auf Freunde bauen können, die dann bei Ihnen sind."

"Travia", die Hohe Mutter blickte über die Köpfe des Bundesgenossen auf die große Statue der Göttin in der Tempelhalle. "Du bis Gastfreundschaft und Dein Herdfrieden ist uns heilig. Heim und Herd schützen wir und auch in der düstersten Stunde des Kampfes ehren wir die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft, die uns durch Tamano einst offenbart wurden. Diese hier werden dies achten und solange sie es tun, so bitten wir Dich, gewähre ihnen Deine Gunst auf das ihre Klingen Deinen Segen empfangen."

"Travia", Trautmann führte nun wieder fort und es begann ein steter Wechsel der beiden. "Chaos ist Dir Fremd. Ein jedes und ein jeder hat einen festen Platz in der Welt. Mäßigung, die Wahrung von Sitte und Anstand, wie Du es uns gelehrt hast, sind das starke Fundament auf denen dies beruht. Wie ehren unser Wort, denn Du bist die Eidherrin. Wir reden nicht einfach dahin und suchen in Worten um Anerkennung. Wir wissen, dass Taten es sind, durch die wir uns bewähren. Wir Prahlen nich, wir geben uns nicht falscher Eitelkeit hin. Dort wo Zwist und Neid sind, dort stehen wir dagegen. Wir mäßigen uns und das in allem was wir tun. Wir wissen, dass dies die Wurzeln aus denen großes Übel erwächst bekämpft. Doch wir strafen nicht die, die so handeln. Wir sind die, die ihnen helfend zur Seite stehen, um aus unrechtem Tun, gutes erwachsen zu lassen. Diese hier werden dies achten und solange sie es tun, so bitten wir Dich, gewähre ihnen Deine Gunst auf das ihre Klingen Deinen Segen empfangen."

"Travia, Güte bist und in Güte blickst Du auf die Welt. Barmherzigkeit lehrtest Du uns und barmherzig wollen wir sein. All die von uns, die zu höhrem berufen worden, die über anderen stehen und Macht haben, tragen eine große Bürde. Wir mahnen sie, Dich und Deine Gebote nicht zu vergessen. Wir sind ihnen Beispiel durch unsere eigene Taten. Wir sind demütig, denn wir wissen, dass aus Macht und Besitz stest Verantwortung folgt. Wir wissen, sie sind kein Selbstzweck, die allein den Ruhm einzelner dienen. Dort wo sie gebraucht werden, um den Hungernden zu helfen, denen ein einfaches Dach und Mahl zu spenden, die es ohne Schuld verloren haben, dort wirst Du geehrt. Diese hier werden dies achten und solange sie es tun, so bitten wir Dich, gewähre ihnen Deine Gunst aufdass ihre Klingen Deinen Segen empfangen."

Der stumme Geweihte trat einen Schritt auf das Erhabene Paar zu und reichte dem Hohen Vater einen kleinen Tiegel. "Travia, dies ist Asche aus dem Heiligen Herdfeuer. Damit wollen wir Ihre Stirn zeichen", nacheinander trat er auf die knienden Rittersleute zu und zeichnete ihre Stirn mit einer stilisierten Gans. Ein Zeichen welches auch viele Pilger trugen, wenn sie ihre Heimat auf der Pilgerfahrt gen Rommilys verließen.

Während er noch fortfuhr, sprach die Hohe Mutter weiter. "Kampf ist es, den ihr erwartet und in jugendhaftem Leichtsinn womöglich in euren Herzen auch erhofft. So lasst Euch Sankt Travinian stets Mahnung und Ansporn sein."
Kaum hatte sie geendet ergriff die Gerichtsherrin der Rommilyser Mark das Wort. Sie hatte ein einfaches Büchlein aufgeschlagen und begann daraus vorzutragen:
„So lernte der Heilige Travinian zunächst zu Fechten und zu Töten und zog in den schrecklichen Jahren der Magierkriege als Kämpfer durch das Land, immer bereit zu töten und Blut zu vergießen. Er war mitleidlos und selbstsüchtig und bereicherte sich auch an denen, die wenig hatten. Dies missfiel Travia und so verfluchte sie den blutdurstigen Kämpfer, dass er sich ohne Ross, Waffe und Rüstung im Wald wiederfand und niemand ihn mehr aufnehmen wollte. So zog er lange umher und verzweifelte mehr und mehr an seiner Lage. In den Trollzacken schließlich sank er demütig in einer Grotte zu Boden und bat Travia um Gnade und flehte um Erlösung von seinem Fluch. Und tatsächlich erbarmte die Gütige Mutter sich seiner, erschien ihm und nahm den Fluch von ihm, nachdem sie die Reue in seinem Herzen gesehen hatte. Und er dankte es ihr und erbaute an der Stelle, da sie ihm erschienen war, das Kloster Wolfskopf, in dem noch heute jeder Reisende traviagefällige Unterkunft erhält. Doch Travinian selbst zog weiter und versuchte nun Hoffnung, Frieden und Freundschaft unter die Menschen zu tragen, denen er zuvor nur Leid gebracht hatte. Es war schließlich in Rommilys, dass sein Schicksal sich erfüllte. Als eine Gruppe finsterer Magier die Herrschaft über die Stadt mit Hilfe von Dämonen gewinnen wollte, zog er allein und bar einer Waffe gegen sie und flehte im Namen Travias um Verschonung für den Ort und die Menschen darin, welche ihn Heim nannten. So stand er allein vor der Horde von frevelhaften Kreaturen, die ihn in Stücke reißen wollten – doch die Kraft der alveranischen Mutter erfüllte ihn dermaßen, dass die Schrecken ob der Macht des Friedens, der Freundschaft und auch des Opferwillens geblendet vergingen. So ward Rommilys durch die Tat Travinians vor der dämonischen Verheerung gerettet, doch der Heilige selbst zahlte einen hohen Preis für diesen friedlichen Kampf, der all seine Kraft gekostet hatte, so dass er kurz darauf verstarb. Erfüllt war der Himmel vom Rauschen Yalsicors hiernach, als er die Seele des Heiligen gen Alveran trug."

"Travia ist strafend und Sie ist Vergebung, vergesst das nie! Ihr begehrt Ihren Segen und wollt ihr ihn gewinnen und erhalten, so tragt dies stets fest in Euren Herzen."

Trautmann hatte alle vor ihm gezeichnet und reichte dem Geweihten die Schale zurück. "So lasst uns die Herrin nun um ihren Segen bitten." Das Erhabene Paare wandte sich dem Altar zu und kniete vor ihm, die beiden anderen Diener der Göttin taten es ihnen gleich. Gemeinsam begannen sie das als Gebet der Pilger bekannte 'Travias Gänseflug' und kaum das sie geendet hatten begannen sie es von vorne. Ein gutes Stundenmaß wiederholten sie die Worte wieder und wieder:

"Gleich der Gänseschar – ziehen wir zu Dir.
Groß ist die Gemeinschaft – Güte bist Du.

Wir sind friedfertig – bescheiden und fromm.
Große Barmherzigkeit – Treue bist Du.

Fürsorge nehmen – Mitleid geben wir.
Warm ist Dein Herdfeuer – Heimat bist Du.

Schau auf die Uns‘ren – sie bleiben daheim.
Schenk ihnen Zuversicht – Freundschaft bist Du."

Ruhe herrschte danach für eigene Augenblicke, ehe sich die Geweihten erhoben. Ein leichter Glanz lag in ihrer aller Augen. Das Erhabene Paar trat einen Schritt zur Seite und deutete auf den Altar.

"Yalsicor, Travias himmlischer Drachenfreund, ist der Alveraniar der Freundschaft. Ihn hat Euch Travia zur Prüfung erwählt. Nehmt nun die Klinge eines Freundes auf und folgt uns gleich einer Gänseschar zum heiligen Herdfeuer. Haltet die Waffe dort in das heilige Feuer." Der Hohe Vater setzte direkt nach seiner Frau an. "Beantwortet dem Ziegenköpfigen diese Frage: was bedeutet der Freund, dessen Waffe ihr haltet, für Euch und was wollt ihr ihm bedeutet." Und damit schritt das Erhabene Paar gen Heiligem Herdfeuer, den Abschluss bildeten Vater und Tochter. Beim Feuer angekommen nahmen die beiden Erhabenheiten links und recht davon Aufstellung und warteten, wer vom Orgilsbund beginnen würde.

Wunnemar, der sich nach der Aufforderung des Geweihten sogleich Iras Schwert ergriffen hatte, hielt es am ausgestreckten Arm ins Feuer und sah seine Bundesschwester an.
"Dir würde ich jederzeit mein Leben anvertrauen, denn ich weiß, du würdest nicht zögern deines für mich in die Waagschale zu werfen, ebenso wie ich es für dich, deinen Sohn und jeden unserer Brüder tun würde. Ich habe meinen leiblichen Bruder lange verloren. In dir und unseren Bundesbrüdern fand ich andere, denen ich zwar nicht im Blute, aber nicht weniger von Bedeutung in Überzeugung verbunden bin.
Dort wo Worte nicht mehr helfen mögen wird dieses, dein Schwert, ebenso wie das meine für den anderen eintreten, wenn es sein muss und es der gerechten Sache dient. Gemeinsam streiten wir, gemeinsam werden wir in IHREM Namen siegen oder uns wiederfinden vor IHREM ewigen Herdfeuer.”
Ira dachte nach. Es gab in ihr tiefe Gefühle für einige ihrer Bundbrüder, während andere wiederum noch nicht mehr als Namen und Gesichter, kombiniert mit der einen oder anderen persönlichen Erinnerung waren. Mit Wunnemar einte sie ein starkes Band, das durch den gemeinsamen Verlust und ihre verbrachte Dienstzeit bei Jost gewachsen war. Baron Wunderbar, wie Gereon ihn mal genannt hatte, besaß bereits einen Platz in ihrem Herzen. Sie hatten gemeinsam um Geliebte getrauert, unter demselben Dach gehaust, unter demselben Schwertherrn gedient, sogar zu der Zeit etliche Kampfmanöver verinnerlicht, bei denen sie sich blind aufeinander verlassen mussten. Natürlich hätte sie seinen Schwur in gleicher Weise erwidern können. Sie tat es nicht. Sie griff auch nicht nach dem Schwert ihres Vetters Boronian, oder dem von Aureus, obwohl sie mit beiden intime Dinge teilte, die ihrerseits geschwisterliche Liebe in ihr sein ließ. Genaugenommen wusste Ira nur, dass sie keines der drei Schwerter nehmen wollte. Stattdessen nahm sie Firins Klinge und hielt das glänzende Stück Todesmetall ehrfurchtsvoll in IHRE Ewige Flamme. Sie waren beide sehr jung zu Rittern geworden - vielleicht hatte sich ihre Hand deswegen so entschieden.
“Firin. Ich habe mich oft schon gefragt, zu welchen Menschen wir geworden wären, wenn wir aus Mendena nicht als Angehörige des Ritterstands zurück gekehrt wären, sondern wenn uns das Leben, und auch unsere Schwertväter noch Zeit gegeben hätten, uns noch die nötigen Jahre auf die Bürde des Ritterstands vorzubereiten. Verdammt, wir waren so jung. Kampfgeübt, schlachtenerfahren. Durch die Erlebnisse in den Schwarzen Landen ernüchtert und gestärkt. Wir dachten, dass uns nichts mehr schockiere und nichts mehr ein besserer Lehrmeister sein kann, als der Krieg. Er hat uns geformt. Zu Rittern gemacht. … Manchmal aber frage ich mich, ob wir wirklich alt genug dafür waren für all die Pflichten und Rechte und Blicke und Erwartungen anderer, die plötzlich auf uns lagen. Du weißt vielleicht von uns allen am besten, wie sich das anfühlt, kennst vielleicht ähnliche Gedanken und hast dir vielleicht selbe Fragen auch schon gestellt. Wir haben uns darüber bisher noch nie unterhalten. Eigentlich eine Schande. Lass uns das nachholen! Nein, nicht um gemeinsam zu zweifeln. Sondern viel mehr, um gemeinsam herauszufinden, was uns heute noch fehlt und wie wir uns stützen, helfen und weiterbringen können. Bruder, lass uns aus dieser Gemeinsamkeit etwas Starkes und Dauerhaftes machen, was auch unseren anderen Brüdern von Nutzen sein kann. - Ich bin dazu bereit.”
Nach seiner Base trat der schwarzhaarige Hüne mit dem Bastardfaden im Wappen an den Altar und griff ohne Zögern eine der Klingen. Sich einmal mit der Hand über das gefärbte Haar streichend, hielt er die Spitze des Schwertes in das Feuer. Boronians Stimme war dunkel und satt und besaß diesen rauchigen Unterton, den auch der Baron von Schwertleite besessn hatte, als er anhob zu sprechen.
“Brun von Kranickteich, wir sind beide nicht perfekt. Unsere Geburt setzte uns an eine Stelle, die uns nicht passen mag, mit der wir uns abfinden müssen, aber aus der heraus wir genauso viel erreichen können, wenn wir nur an uns und das, was uns ausmacht, glauben. Du als Nachgeborener, ich als Bastard. Beide hatten wir das Glück, einem Baron beziehungsweise einer Baronin als Knappe dienen zu dürfen. Würdigen wir das. Und wie du siehst haben wir Freunde fürs Leben gefunden, denen unsere Herkunft egal ist. Allein das zählt, denn es zeigt nicht, wer unsere Eltern waren, oder wie viele ältere Geschwister wir haben, sondern allein wer wir sind! Wenn dich also der Neid auf andere überkommt, möchte ich dir zeigen, was du schon besitzt. Wenn du dich minder fühlst, will ich dir sagen, dass du dich irrst. Wenn du den falschen Weg einschlägst, will ich dich zurückhalten.” Dann wich Boronians Blick, der bislang auf Brun haftete, für einen Augenblick zu Ira. Mit ihr und Brun teilte er ein Erlebnis, das in ihm das Bild Bruns nachhaltig prägte. Die Erinnerung an das, was während der Namenlosen Tage in Mendena geschehen war, verlieh seinem Bass einen fast drohenden Ton: “Wenn du nicht Herr deiner Selbst bist, will ich dich rütteln. Wenn du einem von uns ein Leid zufügst, will ich dir die Faust ins Gesicht schlagen.” Ein Moment der Stille folgte. Deutlich versöhnlicher fuhr Boronian fort: “Wenn du meinen Rat forderst, werde ich dich beraten. Wenn du meine Hilfe brauchst, will ich sie dir geben. Wenn dein Herz voll Missgunst und Eigensinn ist, will ich dich gemahnen. Wenn du einen Freund brauchst, will ich dir einer sein. Und wenn du für die Zwölfe und die Freundschaft kämpfst, will ich ebenfalls im Namen der Freundschaft an deiner Seite streiten. So wahr ich Lucrann Boronian von Schwertleihe heiße.”
Als Vierter von Sieben trat nun Aureus vor. Seine Hand schwebte über den Klingen. Er zögerte. Er wollte nicht wählen, bedeutete dies doch einen den anderen vorzuziehen. Aber die Göttin wollte es so und so griff er zu. Er drehte und wendete die Klinge, betrachtete sie von allen Seiten, ehe er sie in die Flammen hielt. “Wunnemar, mein Bruder. Du hast uns gerufen Dir beizustehen. Deine Heimat wurde verwüstet, Häuser wurden in Brand gesteckt, Männer gemordet und Frauen geschändet. Überall nur Chaos und dunkle Schatten. Auch ich verlor das Land meiner Vorfahren, wenn auch unter anderen Umständen. Ich will Dir helfen Deine Lande zu befreien, auf dass sie Dir wieder eine Heimat werden und aus Dir ein guter Vater dieses Landes werden kann, denn einen Vater braucht es. Einen Vater, der ein neues Heim baut, der sich um seine Untertanen kümmert, als wären es seine Kinder. Der Freunde empfängt, den Heimatlosen Obdach gewährt und die Hungernden speist. Lass mich der Vorfahr sein, der Dir mit Rat zur Seite steht, lass mich der Bruder sein, der Dir mit Tat zur Hand geht, lass mich der Nachfahr sein, der Deine Gedanken weiter trägt.”
Firin trat an die Schwerter heran. Drei lagen noch da. Er fühlte in sich hinein. Es waren viele Gefühle in ihm und der Moment, an dem er das Schwert fasste, kam dem Landwachter wie gewollt vor. Sie alle sollten hier sein. Genau jetzt. In diesem Augenblick. Verzückt sah er Boronian an, dessen Schwert er in den Händen hielt.
“Es war Schicksal, dass wir uns trafen, fanden und banden. Es ist Schicksal, dass wir hier miteinander stehen und das Tuch der Verbundenheit erneut weben. Und es wird Schicksal sein, dass wir uns immer auf eine ganz besondere Weise nahe sein werden. So soll es auch Schicksal sein, dass ich, Firin von Landwacht, nicht nur die Wacht im Namen trage, sondern fortan auch Wacht über dich und deinen Schicksalsweg halte, Boronian.” Er nickte dem Schwertleiher ergriffen zu. Mehr wollte Firin nicht sagen. Er fand seine Worte passend und schön.
Brun ergriff das vorletzte Schwert. Er hatte vorgehabt, Boronians Rede zu erwidern, denn der Faustschlag, gleichwohl er nur angedeutet war, brannte ihm im Gesicht. Doch er entschied sich für jemand anderen:
“Alrik - wir sind untrennbar verbunden durch den Ritterschlag, den wir am selben Tag und von unserem Herzog persönlich verliehen haben.” Gerade noch hatten sich Worte wie von selbst in seinem Geiste zusammengefügt, doch sie waren nun verschwunden. Verlegen leckte er sich über die Lippen. “Ich werde an Deiner Seite stehen wie an der Seite eines jeden anderen von Euch. Manchmal… da plagen mich Zweifel, ob ich gut genug dafür bin, in Euren Reihen stehen zu dürfen.” In ihm schrie etwas auf. Hatte er das wirklich gerade laut gesagt? Doch er sprach weiter: “Du, Alrik, treibst mich an, es Dir gleichzutun, über mich hinauszuwachsen. Ich will dasselbe für Dich tun, ein Ansporn, sein. Aber auch ein Rückhalt, wenn Du ihn brauchst.” Kurz blickte Brun zu Boronian, dann wieder zurück zu Alrik: “Dies schwöre ich Dir.” Er wollte noch mehr sagen, doch traute er seiner Stimme nicht mehr. Die Atmosphäre der Waffenweihe, insbesondere Boronians Worte hatten ihm so zugesetzt. Also schwieg er.
Bis zum letzten Schwert hatte Alrik ausgeharrt. Nicht weil er zögerte oder Unsicherheit ihn plagte, sondern weil es seinem Wesen entsprach. Es gab Augenblicke wo man mit gutem Beispiel voranschreiten musste, wo es gut war erster zu sein. Doch ein solcher Moment war dies nicht. Denn es gab auch jene Situationen wo man als letzter seinen Vertrauten den Rücken frei hielt und genau dies tat er jetzt und würde es auch bei künftigen Gelegenheiten tun.
Fest das Schwert von Aureus haltend, schritt er aufrecht auf die Flamme zu und erhitzte die Klinge. “Von Geburt an, sind wir unserer Familie verpflichtet.” Stellte er voll stolz fest. “Aureus so wir auch nicht vom gleichen Blute sind, so bist du dennoch mein Bruder und ein Bruder werde ich dir sein. Strauchelst du, fange ich dich auf. Verlierst du den Pfad aus den Augen, weise ich dir den Weg und wo ich es vermag, werde ich dir beistehen. Heute, Morgen, bis zu jenem Tag, an dem die Götter uns von Dere berufen.”

Zur gleichen Zeit im selben Traviatempel

Hetta betrat den Tempel und fühlte sich erneut wie zuhause auf Waldwacht. Der Geruch von Backwerk, Holzfeuer und Suppe. Die Geräusche von Menschen, die umhergingen, in Gespräche vertieft waren, Wärme, Geborgenheit. Es fehlte eigentlich nur noch die Schale mit den Honigkeksen, aus der sich alle Enkel gerne bedienten, ohne dafür gerügt zu werden, und die sonore Stimme ihres Großvaters, der abends den kleinen Menschlein vor sich Geschichten erzählte über den Heiligen Hlûthar oder die Herrin des Waldes, die es zu beschützen galt. Die junge Knappin schmeckte hier im Tempel sogar die Pfannkuchen auf ihrer Zunge, für die sich ihre Großmutter früher immer persönlich an den Ofen in der dunklen Küche auf der alten Waldwacht gestellt hatte. Kurz sog sie die Eindrücke und Erinnerungen in sich auf, das Bild der verstorbenen Ahnin vor dem inneren Auge und die Lust in sich auf deren legendär-leckere, leider nie wieder zur Verfügung stehende Mehlspeise. Sehnsuchtsvoll seufzend streifte ihr Blick durch die große steinerne Halle. Eigentlich war es irrsinnig, was sie hier machen wollten. Wäre es nicht Folcrad gewesen, der ihr von dieser Sache erzählt hatte, Hetta wäre wohl nicht hergekommen. Aber Folcrad hatte ihr nun mal davon erzählt und weil alles, was er in ihrem Beisein machte oder zu ihr sagte, ein angenehmes Gefühl in ihr auslöste - so ähnlich, wie die Erinnerung an Pfannkuchen - war sie nun zum zweiten Mal an diesem über die Schwelle dieser heiligen Hallen getreten. Ihre Schwertmutter und die Frau Alana hatten sie hergebracht, beide wollte irgendwo in der Stadt etwas trinken gehen, um ihr Wiedersehen zu feiern. Hetta sollte später mit den anderen beiden Knappen zurück ins Heerlager gehen. Hetta schmunzelte: nun, das bekam sie hin. Sie freute sich über so viel Vertrauen.
Die Gruppe Gerüsteten war Hetta gleich ins Auge gefallen. Die blankpolierten Rüstungsteile, in denen sich der Schein der Kerzen fing. Die Mitglieder dieses Orgilsbundes, für den Folcrad und Palinor regelrecht entbrannt waren. Ihr eigenes Interesse, zu diesen jungen Rittsleuten dazuzugehören, hielt sich bisher noch in Grenzen. Ihr ging es hier ja nicht um den Bund, sondern um Zeit mit Gleichaltrigen, mit denen sie nicht nur gut auskam, sondern von denen sie auch einen ziemlich nett und interessant fand.
Leise schloss sie zu den Knappen aus dem Isenhag auf und glitt lautlos neben den Baldurstolzer in die Bank. Sie wollte die Zeremonie, oder mit was auch immer dieser Bund und die Geweihten da zu Gange waren, ja nicht stören. Eine Frage konnte sie sich allerdings nicht verkneifen. “Und was machen die da jetzt genau?” wisperte sie Folcrad zu.
“Da bist Du ja”, flüsterte der und strahlte sie an, “Sie sind hier, um sich ihre Waffen weihen zu lassen.”
Hetta lächelte errötend zurück. “Hier? Aber da geht man doch zur Rondrakirche!” Dieser Bund war seltsam.
“Es geht dabei um die Freundschaft, deshalb Travia, nicht Rondra.”
“Ahaaa.” machte sie leise und sah zu der kleinen Schar hin. Freundschaft war ein gutes Ansinnen. Es gefiel der Herrin Travia. “Wusste gar nicht, dass die Herrin Travia auch Waffen weiht. Das eine oder andere Nudelholz, das ja. Aber Schwerter?” feixte die Albenholzerin und kicherte leise.”
Verstohlen betrachtete Palinor das Mädchen neben sich. Hetta war sehr schön und in ihrem Alter, aber leider schien sie nur Augen für Folcrad zu haben. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen verstand sich Palinor gut mit ihr. Es hatte etwas befreiendes sich mit jemanden unterhalten zu können ohne darauf achten zu müssen, dass man immer im rechten Licht erschien. Er wandte den Kopf und lächelte scheu, bevor er flüsternd antwortete. “Aber natürlich, es gab hier früher doch sogar den Herdfeuerorden. Hast du noch nie von den Gänserittern gehört?”
“Doch. Stimmt, da hast du recht.” Jetzt lächelte Hetta auch mal den anderen an, bevor sie sich dann wieder der Gruppe vor ihnen zuwandte und lauschte.
Gerade begann vorne jemand eine lange Liste von Namen vorzutragen. “Sag mal, wie viele Mitglieder hat denn dieser Orgilsbund eigentlich?” wunderte sich die Albenholzerin, da zuckte sie bei der Erwähnung des Namens Hilko von Albenholz von einem Augenblick auf den anderen zusammen.
Palinor wechselte einen besorgten Blick mit Folcrad. “Ähm, Hetta? Alles in Ordnung?”
Die Stimme der Hlutharswachterin klang bereits leicht dumpf und in ihren Augen glitzerte es schon, als sie hersah und ihre Hände Halt an Folcrad suchten: “D..d..die k.k..kennen meinen B..b..bruder?” stammelte sie verunsichert.
Der junge Baldurstolzer nahm sie instinktiv in den Arm und streichelte ihr den Kopf. “Gewiss haben sie ihn auf dem Feldzug kennen gelernt und vermissen ihn, fast so sehr wie Du. Deshalb gibt es ja den Bund, zum Gedenken. Ihr Wahlspruch lautet: Für die Toten und die Freunde.”
Beinahe hätte der Knappe seine Hand auf die Schulter Hettas gelegt, aber er überlegte es sich doch anders. Er wusste nicht, wie sie darauf reagieren würde und schließlich hatte Folcrad sie schon in den Arm genommen. So blieb ihm gerade nichts anderes übrig als stumm daneben zu sitzen und Hetta voller Mitgefühl anzusehen.
“W..w..was ist das bloß für ein blöder Spruch...” schluchzte das Mädchen mit piesiger Stimme. Dabei sprach eher nicht wirklicher Ärger sondern die Trauer aus ihr, von der die Albenholzerin offenbar gerade völlig überrascht worden war.
“Naja, der ist doch auch nicht so wichtig, oder? Wichtig ist doch, dass er nicht vergessen wird. Jeder von denen hat eine Erinnerung an ihn, eine, die Du nicht hast. Und Du hast die meisten Erinnerungen, die sie nicht haben. Und so lebt er weiter, in Dir und in Ihnen, auch, wenn er nicht mehr da ist.”
Neben ihm nickte Palinor zustimmend. “Mein Vetter, der ist Geweihter der Rondra, meinte, dass es etwas Gutes ist, wenn man seine Erinnerungen an einen geliebten Menschen mit anderen teilt und ihren Geschichten über ihn zuhört. Man soll sich an ihr Leben erinnern, nicht an ihren Tod.” Mitfühlend sah Palinor die Gleichaltrige an. “Ich kannte deinen Bruder nicht, aber wenn du willst, hören wir dir gerne zu.”
Deutlich bewegt fuhr sich die Albenholzerin mit beiden Händen über Gesicht und Haar, während sie sich in Folcrads Umarmung so weit es ging aufsetzte. Mit einem zaghaften “Ich danke dir,” und einem schüchternen Lächeln, bei dem sie ihn einen Moment lang voll Bewunderung ansah, wandte sie sich unter dem Arm des Baldurstolzer hindurch. Sie versuchte tapfer zu sein, sich nicht gehen zu lassen. Vielleicht erst recht nicht vor ihren neuen Freunden. Doch dass die Erinnerung weh tat, konnten die beiden jungen Männer auch ohne besondere Menschenkenntnis sehen. “Wir wussten alle, dass der Krieg im Osten Leben fordern würde, als Hilko mit seinem Schwertvater und Baron Jost aufbrach. Aber die Nachricht zu bekommen, dass es den eigenen Bruder getroffen hat, war…” Hetta schüttelte den Kopf und in ihren Augen glitzerte es. Aber dann wandte sie sich lieber dem Geschehen vorn am Schrein zu, interessiert und angewidert zugleich.
Palinor fand keine rechten Worte um Hetta aufzumuntern oder auch nur Trost zuzusprechen. So blieb ihm nichts anderes übrig als mitfühlend zu Hetta hinüber zu sehen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es wäre vom Tod Praidoras zu erfahren. Für einen kurzen Augenblick legte er seine Hand auf die ihre und drückte sie, dann zog er sie wieder zurück. Sein Blick war ebenfalls wieder auf die Zeremonie gerichtet. Zu gerne wäre er da vorne und würde ebenfalls an der Weihe teilnehmen.