Ein Erbe Fuer Kyndoch

Ein Erbe für Kyndoch

Elenvina, Ende Rondra 1040 BF
Ausgezogen waren die tapferen Streiter des Herzogtums um dem Ruf der Kaiserin Folge zu leisten. Bis nach Mendena waren sie gezogen und nur so wenige waren wieder in die Heimat zurückgekehrt. Konnte man seiner Hoheit die Schuld daran geben, das die Befreiung Tobriens mit derart viel nordmärksichem Blut erkauft wurden war? Sie selbst war Pflichtbewusst dem Landgrafen gefolgt, hatte ihre eigene und die Klingen ihrer Untergebenen ins Feld geführt. Wunnemine von Fadersberg hatte das Grauen überlebt. Ihre blauen Augen hatten Schlimmes gesehen, schlimmeres noch als damals im Konflikt mit dem Fürstentum Albernia.
Den gesamten Heimweg über hatte sie Zeit gehabt an einem Schreiben zu feilen und die Zeit auch bedurft. Ihr einzig lebender Verwandter Larael von Fadersberg war im Sturm auf Mendena ums Leben gekommen. Sie hatte ihn nicht gut gekannt, doch verband sie beide eine nicht von der Hand zu weisende Gemeinsamkeit – sie beide waren Barone gewesen. Mit nicht einmal dreißig Götterläufen hatte sie bereits fast ein Drittel ihres Lebens auf dem Thron von Ambelmund gesessen, während ihr Vetter fast doppelt so alt die Geschicke der isenhager Baronie Kyndoch gelenkt hatte. Zugegeben sie hatten nur wenig Kontakt zu einander und dennoch gehörten sie dem gleichen Haus an, folglich musste sie auf ihr Erbe bestehen oder etwa nicht? Unzählige Versuche hatte es sie gekostet bis sie mit ihrem Brief an Graf Ghambir zufrieden gewesen war. Einige Versionen beanspruchten kaum mehr als das Viertel einer Seite und andere hatten sich gleich über mehre Seiten erstreckt. Letztlich jedoch hatte sie auf etwas mehr als einer Seite ihre Ansprüche dargelegt und begründet.

Es war Glück das der Brief bereits in Elenvina an seine Hochwohlgeboren übergeben wurden war, erst auf Burg Calbrozim angekommen hätte der Graf sich erst der angesammelten Probleme und Fragen angenommen. So aber lass er mit skeptischen Blick die fein säuberlich niedergeschriebenen Zeilen und tat anschließend wofür er allgemein bekannt war. Er dachte gründlich darüber nach. Erst kurz vor seiner Abreise ließ er einen Schreiber sein Problem niederschreiben und veranlasste dass der Stammbaum des Hauses Fadersberg in Augenschein genommen werden sollte.

Elenvina, Mitte Efferd 1040 BF
Auch wenn ihr und ihrem Haus die Listen von Nordmark schnellst möglich bereitstellte wurden, hatte Gwenn von Ahnwacht alle Hände voll zu tun. Ob Tod oder Verschollen, die Stammbäume der betroffenen Adligen musste aktualisiert werden. Nicht nur hier in Elenvina wo sämtliche Unterlagen zentral vorlagen, sondern auch in Albenhus, Gratenfels und Senalosch wo für die jeweilige Grafschaft von ihren Verwandten gesammelt, ermittelt und gepflegt wurde. Wenig verwunderlich und zudem jedem Bittsteller mitgeteilt, dauerte es etwas länger als üblich bis die Anfrage in Erbangelegenheiten bearbeitet werden konnte.
Nachdem er all die Toten verzeichnet hatte, war es schon irgendwie erleichternd für Traviard von Ahnwacht nach einem Lebenden zu suchen. Länger als erwartet musste er suchen bis er schützende Lederrolle gefunden hatte. Irgendjemand hatte sie verkehrtherum in das Regal gelegt, sodass das in den Deckel gebrannte Wappen nicht zu sehen gewesen war. Ein wenig darüber verwirrt das der schützende Wachs, der den Behälter abdichtete und zugleich vor unerlaubten Veränderungen bewahrte, schon etwas älter war, begab er sich zurück an sein Schreibpult. Erst hier brach er das wächserne Siegel und zog vorsichtig eine Papierrolle heraus. Das Ende auf der einen Seite seines Pultes verklemmend rollte er den Bogen ab und legte die Holzrolle in die dafür vorgesehene Kuhle. ‚Tatsächlich!‘ Dachte sich der junge Mann als er sah dass der im Schreiben erwähnte Tod des kyndocher Barons noch nicht verzeichnet war. ‚Scheinbar hatte nicht nur ich Schwierigkeiten dich zu finden. Dann gucken wir doch erst einmal ob seine Hochgeboren tatsächlich in Borons Hallen weilt.‘ An der Stirnseite der Schreibstube hatte seine Mutter mehrere Pulte aufstellen und auf ihnen die Verlustlisten auslegen lassen. Gelassen schritt Traviard darauf zu und suchte nach dem Eintrag Laraels. Dabei hetzte er sich nicht, Sorgfalt war wichtiger als Schnelligkeit und wenn er den Namen überlas müsste er in einem weiteren Durchgang das Fehlen des Namens bestätigen – nur um anschließend die Abschrift prüfen zu lassen. Und er hatte nicht vor sich gegenüber seiner Mutter diese Blöße zu geben. Als er schließlich >Larael von Fadersberg zu Kyndoch, gefallen< fand, ging er zurück zu seinem Schreibpult und öffnete sein Tintenfass. Sehr sorgfältig, ordentlich und peinlich genau, wie man es ihn gelehrt hatte, trug der junge Ahnwachter des Boronstag des Barons ein und ergänzte die typische Garnitur für Verstorbene am Stammbaum-Eintrag.
Erst jetzt, wo diese Formalie erfüllt war, nahm sich Traviard Ludorich Glismut von Ahnwacht tatsächlich der gräflichen Anfrage an. Ihre Hochgeboren von Fadersberg hatte mit ihrer Darstellung durchaus Recht und bei ihr handelte es sich um die letzte lebende Verwandte Laraels zu Kyndoch. Wenn da nicht der Vermerk seines Oheims einen unehelichen Sohn benannt hätte. Seitdem das Haus Ahnwacht seiner Aufgabe nachkam pflegte es gute Kontakte an die großen und kleinen Adelshöfe der Nordmarken, aber auch zu deren Umfeld. Zumeist ungeahnt, verzeichneten die, in den Archiven gesammelten, Stammbäume weit mehr Bastarde als dem Adel des Herzogtums bewusst oder gar lieb war. Dieser Liafwin Debiras war eines dieser Kinder. Eines das nie offiziell Anerkannt worden war, eines das womöglich Vater oder Mutter nie kennengelernt hat. ‚Soll Mutter entscheiden was wir dem Grafen antworten.‘ dachte er sich und machte sich auf den Weg zum Arbeitszimmer Gwenns von Ahnwacht.

Elenvina, Mitte Travia 1040 BF
Traviard war sich nicht sicher wie er seine kleine Reise bewerten sollte, doch hatten die Worte seiner Mutter immer in seinen Ohren geklungen und ihn angetrieben. Deutlich erinnerte er sich auch jetzt noch an sie: „Pack deine Sachen und beschaff uns weitere Informationen zu dem Burschen.“ Mit genau diesen Worten hatte sie in nach Kyndoch geschickt. Dort hatte er den Schein waren müssen, es sollte immerhin nicht auffallen welche Art seine Anwesenheit vor Ort war. Mehrfach hatte er am Baronshof vorgesprochen und im Einverständnis mit dem Vogt die Archive nach bisher nicht erfassten Todesfällen, Hochzeiten oder Geburten durchforstet. Eine Aufgabe die sie immer mal wieder an einen Hof führen konnten, für ihn jedoch hatte es eine Möglichkeit dargestellt sich mit dem Burgpersonal zu unterhalten und auch ein paar privatere Schreiben Laraels zu studieren. Nach Außen hielt sein Haus die gütige Travia hoch in Ehren, im Inneren jedoch war ihnen allen nur zu bewusst das sie einzig mit der Hilfe des Listenreichen erfuhren was sie wissen wollten.
An den Abenden jedoch hatte er die Zeit genutzt und sich bei einem guten Bier mit den Leuten im Umfeld Liafwins unterhalten. So hatte Traviard erfahren das dieser in besonderer Gunst des alten Barons gestanden hatte. Immer zu hatte dieser Versucht das Beste aus Liafwin heraus zu kitzeln und ihn trotz seines geringen Alters und seiner scheinbar niederen Abstammung als Adjutanten mit auf den Feldzug genommen. Tatsächlich soll er sich dabei sehr gut geschlagen haben. Angeblich soll, er als Larael fiel, einige dessen Männer um ihren sterbenden Baron geschart haben um seinen Leichnam zu schützen, während er dem Rest befahl weiter zu kämpfen und den Herzog beizustehen. Außerdem gab es auch einige subtile Ähnlichkeiten die den meisten vermutlich entgangen wären, nicht aber jemanden der Verwandtschaft an mehr als nur den getragenen Farben und Offensichtlichkeiten Merkmalen festmachen konnte.
Nachdem er sich ein reinigendes Bad gegönnt und frische Kleider angelegt hatte sprach er bei seiner Mutter vor. Gwenn von Ahnwacht empfing ihr ältestes Kind in ihrem Arbeitszimmer, einem Raum der gleichermaßen für sich beanspruchte der Welt der Gelehrten und der Krieger anzugehören. Unbeschriebene Seiten lagen fein säuberlich gestapelt auf der linken Seite des großen Schreibtisches, bereit um für einen Brief verwendet zu werden. Gleich mehrere ordentlich verkorkte Tintenfässer, verschiedener Farben, reihten sich an der Stirnseite auf, zusammen mit einem Federmesser, einigen schönen Schreibfedern und einer Schale voll Löschsand. Der rechte Rand ihres Tisches jedoch war abgesehen von ihrem dort ruhenden Langschwert leer. Die Wand hinter ihr wurde von einem soliden Regal eingenommen, gefüllt mit einem Sammelsurium an Büchern, Lederrollen und einigen Erinnerungsstücken. Das Zentrum jedoch bildete ein großes Gemälde, welches die Begründerin des Hauses Ahnwacht zeigte. Gegenüber der Fenster hingen sechs Langschwerter mit jeweils einem kleinen Messingschildes auf den ein Name eingraviert war. Waffen die Gwenns Ahninnen und Hesines Nachkommen bei ihrer Schwertleihe durch den jeweiligen Herzog erhalten hatten. Eines, hoffentlich fernen Tages, wenn ihre Tochter umd Erbin Ravena ihr nachgefolgte, würden sich ihre Klinge und ihr Name ebenfalls dort wiederfinden. Ein letztes Indiz für die kämpferische Natur des Familienoberhaupts war vermutlich der Rüstungsständer auf dem Kettenhemd, neben stählernen Arm- und Beinschienen hing. So erfüllte sowohl der Geruch nach Papier und Tinte, als auch nach Waffenfett das geräumige Arbeitszimmer. In eine leichte Lederrüstung gekleidet lauschte die große und schlanke Gwenn aufmerksam dem Bericht ihres Sprosses und setzte, nachdem dieser geendet hatte, ein Schreiben an Graf Ghambir auf. Anmutig schwang sie ihre Feder und bannte die soeben gehörte Darlegung Traviards auf Papier, in einer Form wie sie ein geschickter Kaligraph hätte kaum besser abliefern können. Letztlich siegelte Gwenn von Ahnwacht ihren Brief und ließ ihn von Traviard an einen Boten überbringen.

Burg Fadersberg, Baronie Ambelmund, Ende Boron 1040 BF
Ungläubig schaute Wunnemine von Fadersberg auf das soeben erhaltene Schreiben. Mehrfach hatte sie schlucken, Zeilen ein weiteren mal lesen müssen, das Siegel unter dem Brief überprüft und letztlich resigniert feststellen müssen das diese Farce tatsächlich vom isenhager Grafenhof stammen musste. >Nach gründlichen Untersuchungen sind Wir zu dem Ergebnis gelangt das Eure Darstellungen zutreffend sind.< Hatte dort gestanden. ‚Natürlich sind sie zutreffend, was sollten sie denn auch sonst sein.‘ Schimpfte sie noch immer im Stillen, doch war darauf nicht gefolgt was Wunnemine erwartet hatte. >Allerdings wurde uns von fachkundiger Stelle vorgetragen das unser Gefolgsmann Larael von Fadersberg zu Kyndoch einen unehelichen Spross habe und dieser, wenn auch nicht als offizieller Erbe anerkannt wurde, so wurde dieser Nachkomme dennoch von Hochgeboren zu Kyndoch protegiert.< Bei diesen Zeilen war ihr die Kinnlade herunter geklappt. ‚Will dieser Zwerg mich verarschen? Will er tatsächlich irgendeinen dahergelaufenen Bastard meinen Ansprüchen vorziehen?‘ Gebannt starrten ihre strahlend blauen Augen auf das Papier in ihrer Hand, als könnte ihr Blick allein es in Flammen aufgehen lassen. Inzwischen hatte sie ihren Mund geschlossen und Zornesröte war ins Gesicht gestiegen. Allerdings hatte es noch mehr zu lesen gegeben, eine dunkelbraune Strähne aus dem Sichtfeld streichend sog sie auch diese in sich auf. >Da Ihr jedoch bereits als Baronin von Ambelmund meinem Standesgenossen Untertan seid, habe ich Euere Anfrage, sowie den Bericht zu den Erbverhältnissen an den Herzogenhof in Elenvina überstellt. Mit der Bitte das seine Hoheit verfügen möge welche Erbansprüchen er mehr Gewicht beizumessen gedenkt.< Das war einfach zu viel gewesen. Wunnemine konnte es schlichtweg nicht glauben und schleuderte, in einer Mischung aus Zorn und Unglauben den Brief Graf Ghambirs in Richtung des wärmenden Kaminfeuers, kurz davor segelte es jedoch zu Boden und zog sich, leicht angesengt, vor dem verzehrenden Feuer zurück.

Elenvina, Anfang Hesinde 1040 BF
Noch unter Jast Gorsam hatte Gwenn ihren Ritterschlag empfangen und war seither häufig am Hof zugegen. Das soeben beendete Gespräch mit seiner Hoheit und seinem Oheim jedoch hatte es in sich gehabt. Es mochte unter Hagrobald keinen grauen Vogt mehr geben, allerdings nahm Graf Frankwart geschickt eine ähnliche Rolle bei der Beratung seines ungestümen Neffen ein. Zur Beratung der Erbsache Kyndoch hinzugezogen war ihre kleine Gruppe, rein zufällig, auf Liafwin Debiras getroffen. Sie war sich sicher das Frankwart den Bastard des verstorbenen kyndocher Barons unter irgendeiner fadenscheinigen Begründung auf die Eilenwid geladen hatte, nur um dieses Treffen zu provozieren. Es war nicht im Interesse des Hauses vom Großen Fluss das ein Mann oder eine Frau in den Nordmarken Herr zweier Baronien würde. Auf diese Weise hätte Hagrobald bei der Entscheidung ein Gesicht vor Augen und würde voraussichtlich ohne diesen Hintergedanken die richtige Entscheidung treffen. Was der Graf nicht ahnen konnte, war wie gut sein Plan aufgehen sollte. Zur großen Überraschung erkannte der Herzog den jungen Mann wieder. Auf dem Feldzug hatte es viele Schlachten zu schlagen gegeben und dennoch erinnerte sich Hagrobald erstaunlich gut daran wie die Kyndocher ihm zur Seite geeilt waren als er drohte eingekreist zu werden. Einprägsam gemacht hatte die Situation wohl die Tatsache das Larael in diesem Kampf gefallen war, auch wenn Hagbrobald nicht gesehen hatte wie es dazu gekommen war, hatte er doch beobachtet mit welcher Ergebenheit Liafwin seinem Herrn über dem Tod hinaus die Treue gehalten hatte. Unbeirrt des um sie wogenden Gefechts hatte der Adjutant Leute um den Verstorbenen gescharrt, hatte dafür Sorge getragen das seinem Leichnam nicht einer von so vielen geworden war und hatte selbst schwer blutend über ihn gewacht. Da es kurz darauf um eben jenen jungen Mann gehen würde, war für den schnell entschlossenen Herzog die Entscheidung spielen einfach gefällt. Vermutlich war es der Schalk gewesen, der Gwenn zu ihrem Vorschlag verleitet hatte. Nachdem die notwendigen Schreiben verfasst wurden waren, würde Liafwin nichts ahnend die Nachricht überbringen die sein Leben grundlegend verändern würde.

Plötzlich Hochgeboren!
Wieso genau Liafwin Debiras vor dieser gefühlten Ewigkeit auf die Eilenwid bestellt worden war wusste er nicht mehr, aber inzwischen war er sich sicher dass es sich um einen Zufall gehandelt hatte. Doch sei es drum, sein Schaden war es offenkundig nicht gewesen. Der Herzog hatte sich an ihn erinnert, wusste noch wie Liafwin mit einigen anderen Kyndochern zur Seite geeilt war als Hagrobald drohte umzingelt zu werden und er hatte sich daran erinnert wie er, Liafwin, selbst schwer blutend vehement die Stellung am verstorbenen Baron gehalten hatte. Als dessen Adjutant hatte er eine kleine Schar um sich gesammelt, während die restlichen Kämpfer des Barons weiter den Vorstoß begleiten sollten.
Ewigkeiten war das her, so kam es ihm zumindest jetzt auf der kyndocher Baronsburg Efferdwacht vor. Nach diesem Gespräch bat Graf Frankwart ihn ein Schreiben nach Calbrozim zu überstellen, ein wichtiges Schreiben an den Grafen das keinen Aufschub gewährte. Was hätte er tun sollen? Er konnte schlecht dem Oheim des Herzogs in dessen Anwesenheit diesen Wunsch ausschlagen! Auf der Grafenburg des Isenhag hatte man ihn nach zwei Praiosläufen endlich vor Graf Ghambir treten lassen. Deutlich überfordert hatte er vorgesprochen und dem Haushofmeister Xalbarosch, Sohn des Andorosch das Schreiben aus Elenvina überreicht. Diese Zwerge und ihre verdammten steinernen Mienen, beim besten Willen hatte Liafwin nichts von ihnen ablesen können. Leise seiner Hochwohlgeboren etwas zuflüsternd hatte Xalbarosch sein Schreiben dem Grafen übergeben. Während der Sohn Gruins dieses gelesen hatte, hatter er ihn immer mal wieder über den Blattrand hinweg gemustert und schließlich mit ernster, kräftiger Stimme gefragt: „Hat er etwas zu dem hier Niedergeschriebenen zu sagen?“ Am liebsten hätte er geschrien, wieso sollte er denn etwas dazu sagen? Er wusste doch nicht einmal um was es in diesem vermaledeiten Schreiben ging! „Nein …. Hochwohlgeboren.“ Hatte er dann endlich hervorgepresst. Die Augenbraue hochziehend war er anschließend eindringlicher gemustert worden. „Kann es sein das er nicht weiß um was es hier geht?“ „Ja …. Hochwohlgeboren.“ Donnernd hatte das Lachen des Zwergenfürsten den Saal erfüllt, währenddessen hatte der Haushofmeister seinen Zeremonienstab hart auf den Hallenboden gestoßen und über das Lachen seines Herrn hinweg klar verständlich ausgerufen. „Tretet vor und kniet nieder!“ Natürlich hatte er getan wie ihm geheißen, doch noch immer hatte er nicht verstanden. „Nach sorgfältiger Überprüfung durch das Haus Ahnwacht und auf ausdrücklichen Wunsch seiner Hoheit Herzog Hagrobald Guntwin vom Großen Fluss wurdet Ihr Liafwin Debiras als rechtmäßiger und alleiniger Erbe seiner Hochgeboren Larael von Fadersberg zu Kyndoch bestimmt.“ Rückblickend musste er zugeben, war er in diesem Augenblick aus allen Wolken gefallen. Das kurze Getuschel und Gewusel im Hintergrund hatte er überhaupt nicht registriert und war doch sehr erstaunt als plötzlich ein Diener Angroschs und des Götterfürsten neben dem Thron standen. In ihrer Anwesenheit hatte seinen, das musste man sich einmal vorstellen, SEINEN Lehenseid geschworen. Der erneute Klang des niedergestoßenen Zeremonienstabes hatte ihn aus seinem Schockzustand befreit, wobei das direkt darauf ausgerufene: „Erhebt Euch Liafwin von Fadersberg, Baron zu Kyndoch!“ Ihn prompt wieder in diesen Zurückholte. „Auf meinen Wunsch und Befehl hin werden Hochgeboren die kommenden Praiosläufe hier auf der Burg verbringen und Unterweisungen erhalten.“ Mit einem „Habt dank, äh selbstverständlich …. Hochwohlgeboren.“ Hatte er anschließend Saal verlassen.
Endlich ergab alles einen Sinn. Wieso er damals mit Mutter nach Kyndoch gezogen war. Wieso der Baron ihn immer wieder gefordert und gefördert hatte. Wieso er es gewesen war den der Baron immer und immer wieder in seinem Namen auf Reisen geschickt hatte. All das und vieles mehr war endlich logisch und zugleich hatte er dies bisher nie in Frage gestellt. Er hatte einfach den Baron nie enttäuschen wollen. Im Dienste des Barons hatte er so bereits die kyndocher Lande und seine Bewohner sehr gut kennengelernt, hatte die Vasallen des Barons besucht und ihre Lehen erkundet. Das im Vergleich winzige Rodenbrück, welches im Zipfel zwischen Großen Fluss und Rodasch für die Sicherheit auf den beiden Strömen Sorge trug. Kronau, das Edlengut welches fast zweidrittel der firunwärtigen Grenze mit seinen Äckern und Weiden bedeckte. Seine Einwohner hatte er gemocht, sie waren einfach, bodenständig und nahmen das Leben wie es ihnen die Götter gaben. Dass ihnen die alte Baronsburg, die Halburg, suspekt war, konnte er nur zu gut verstehen. Von seinen Besuchen in den dortigen Archiven war er noch immer fest überzeugt dass dort ein Geist spukte. Was der Tatsache entsprach und dennoch niemand wusste, Praiodan Alberich Siegismut von Halburg-Kyndoch, ehemaliger Stadtmeister der Stadt Kyndoch, war einst von den Handlangern des Priesterkaisers Aldec I. in ihrem Burghof als Ketzer hingerichtet worden. Die Zollstation und die Schleuse die in dem Gut betrieben werden, sollte er jedoch weiterhin im Auge behalten. Sein Vater, irgendwie fühlte sich dies komisch an, hatte darauf besonderen Wert gelegt und vermutlich angenommen das man ihm Gold vorenthalten wollte. Was den Handel am Rodasch anbelangt noch ein wenig wichtiger als Kronau war der Ort Ostendorf und das gleichnamige Edlengut. Das mit Abstand größte und Bevölkerungsreichste Gut nach den Landen des Barons verläuft am verbleibenden Drittel der firunwärtigen Grenze entlang und reicht tief ins Landesinnere. Nur das kleine Rittergut Tannwald, ganz im Praios der Baronie teilte sich noch mit dem Edlengut die Grenze zu Tandosch. Und während aus Tannwalds Destillen das gute Goldwasser stammte, war es Ostendorf das allerlei an Feldfrüchten, Wein, Vieh und dank dieses zwergischen Krans Sand- und Kalkstein auf die Flussschiffe verladen konnte. Der Ort, welcher gefühlt nur aus steinernen Lagerhäusern bestand, wurde durch eine Straße mit Taindoch verbunden. Zwischen den auf dem Edlengut gelegenen Zwillingskuppen mit ihren Gruben hindurch und weiter über die Straße durch die immer wieder zu rodenden Wälder bis hin in das Gewimmel Taindochs. Inmitten von hölzernen Häusern stechen dort die steinernen Bauten der Gilden, Zünfte und Handelshäuser hervor, genauso wie die Tempel des Efferd und des Phex. Der Albenhuser Bund hatte das Land noch reicher gemacht und dabei jede Menge Dukaten in die Schatulle des Barons gespült – in seine Schatulle. Ganz anders hingegen war Seeldorf, ebenfalls direkt dem Baron unterstellt, lebten hier viele Viehbauern vollkommen unbeeindruckt von den Wirren der Außenwelt. Zu guter Letzt gab es dann noch das Rittergut Linnartstein. Wie er wusste hatte der gute Ritter Thyron vom Traurigen Stein bereits gegen die Invasion der schwarzen Horden gefochten und war als einziger von zehn Ritter aus dem Gefolge des ebenfalls gefallenen Barons zurückgekehrt. Dabei schlug er sich mit den Bewohnern seines Gutes herum, sich darüber ärgernd das seine Leibeigenen häufiger Rat und Schutz beim Kloster der Praioten als bei ihm suchten. St. Aldec wusste der junge Mann hingegen noch nicht so recht einzuschätzen. Dann waren da noch die Efferdwacht, die Baronsburg und das Versorgungsdorf Rodaschmund, seine Heimat und der Ort den er in den vergangenen Götterläufen zu Hause genannt hatte. Einen Handel mit der Reichstadt Kyndoch, von dem er vom Baron einmal erfahren hatte, würde er wohl beibehalten. Da die Lagerstadt Kyndochs auf dem Grund der nordmärkischen Baronie lag hatte man vereinbart das Nutzer der Fähre keine erneuten Zölle entrichten müssen, für Händler ein ungeheuerlicher Vorteil da sie von der Lagerstadt aus direkt auf die Reichsstraße III gelangten.


Verbreitet die Kunde!
Morgens war er in aller Früh geweckt worden, hatte nur für die Mahlzeiten kurze Pausen erhalten und war letztlich des Abends vollkommen ausgelaugt in seinem Bett eingeschlafen. Die Fachleute Ghambirs hatte schließlich ganze Arbeit geleistet um ihn auf seine neue Position vorzubereiten. Unter der Bedeckung einiger Grimmer Zwergenkrieger des Grafen war Liafwin Anfang Tsa endlich auf der Efferdwacht angekommen. Mit anfänglichen Widerwillen und Unglauben hatte Lehensvogt Wihtred Wagenknecht diese Überraschung schließlich verdaut.
Es vergingen ein paar Praiosläufe in denen er sich einen Überblick über die Geschäfte Kyndochs verschaffte und von einem Schneider Maß nehmen ließ. Kleider machten Leute, so hatte es Larael ihm immer wieder gesagt. Er konnte nicht darüber hinwegtäuschen das der Adel Kyndochs als Adjutant des gefallenen Barons kannten, allerdings vermochte er es seine neue Stellung mit der richtigen Kleidung zu unterstreichen. Doch brauchte er die Zeit auch um sich unter anderem mit Dingen wie der Kyndocher Flussfahrtsgesellschaft in Kronau, welche die Schleuse und Fähren auf dem Rodasch betrieb, genauso wie mit der Kyndocher Kalkstein-Kunstmanufaktur in Ostendorf, welche wiederum Büsten und andere Kunstwerke aus Kalkstein schufen, zu befassen. Erst dann ließ er Boten entsenden.
Für den kyndocher Adel war viel Zeit vergangen, Zeit in der sie voll Ungewissheit ausharren mussten. Es hatte Gerüchte gegeben das die Baronin von Ambelmund die einzig lebende Verwandte des Barons gewesen sei und deshalb ihre Ansprüche geltend gemacht hat. Mit einer unverschämten Summe soll sie dabei ihrem Anspruch untermauert haben, aber das waren Gerüchte. Keine Gewissheit, nichts Sicheres hatte es bis an die Höfe geschafft. Grund dafür war auch der ungewohnt schwere Winter, der bisher verhindert hatte das neue Ausgaben des Greifenspiegels zugestellt werden konnten. Ein Ende wurde erst gesetzt als Boten in den Farben der Baronie ihre Nachrichten überbrachten.

Höret, Höret!
Im Namen seiner Hochgeboren, dem Baron von Kyndoch, wird der Adel der kyndocher Lande dazu aufgefordert am 25. Tsa 1040 BF, dem vierten Praiostag des Mondes, sich auf der Baronsburg Efferdwacht einzufinden. Gemäß ihren Pflichten, soll der versammelte Adel die gefassten Beschlüsse bezeugen. Gemäß ihren Pflichten, sollen Lehenseide geschworen oder erneuert werden. Gemäß seinen Rechten darf ein jeder seinem Lehensherrn nach besten Wissen und Gewissen bei der Wahl seiner Lehensnehmer und anderen Belangen beraten!
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Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.VonRichtwald - 08 Dec 2017