Die Reifepruefung


Die Reifeprüfung

Ort: Elenvina

Zeit: Peraine 1042 BF

Personen: Der Allwasservogt Gorfang vom Grossen Fluss und sein ehemaliger Kappe Lares von Mersingen.

Eine Briefspielgeschichte von SimPs und IseWeine.

Inhalt: Nach der zweiten Jungerfernfahrt der Concabella hat Lares ein Anliegen. Und etwas zu Berichten (Dokument hängt an).

Die Reifeprüfung

Peraine, 1042 BF Lares, der frischgebackene Ritter und Sohn des Edlen von Rosenhain, hatte noch immer die ermahnenden Worte der Ira von Plötzbogen im Ohr, als er eilig die Auen des großen Flusses hinter sich ließ und im Galopp auf Elenvina zuhielt. Sein Pferd, sein bisher einzig wertvoller Besitz, schnaubte und die kräftigen Muskeln bewegten sich unter dem schwarzen, vor Schweiß glänzenden Fell. Obwohl heute der gewaltige Strom ruhig dahinfloss – die peitschenden Wellen und das Röhren des Wasserdrachen waren verschwunden; man konnte fast meinen, der alte Fluss sei träge und wolle jeden Moment eine Pause einlegen – waren die Gedanken des jungen Mersingers aufgewühlt. Immer wieder wanderten sie zurück zu dem Moment als kalter Stahl seine Schultern berührte. Nachgerade zärtlich ließ der Herzog sein mächtiges Schwert auf dem Haupt des Ritters – Landritters wohlgemerkt – ruhen. Der versammelte Hoftag schaute zu. Vor aller Augen! Der Rausch der Aufmerksamkeit hatte den im Grunde mürrischen jungen Mann absolut in seinem Bann. Eine größere Ehre hätte er im Angesicht seines Standes nicht erfahren können. Doch mit Ehre geht Pflicht einher. Das hatte sein Oheim, sein hochgeschätzter Schwertvater, immer gesagt. In diesem Moment, den Wind um die Ohren, den Stolz in der Brust, hätte Lares dies fast vergessen. Wären da nicht die ermahnenden Worte der Ritterin von Plötzbogen gewesen: Zu allererst sucht Ihr gefälligst euren Schwertvater auf, hatte sie gesagt. Jawohl. Das würde er tun. Nachdem er das weite Land hinter sich gelassen hatte und den ungezähmten großen Fluss bis Elenvina hinaufgeritten war, gönnte er sich und seinem Pferd nur eine kurze Ruhepause. Er erfrischte sich kurz, zog einen frischen, nicht vollends durchgeschwitzten Wappenrock in den Farben seiner Familie an – viel zu selten trug er diese ritterliche Klamotte – und pochte an die Tore der Eilenwïd-über-den-Wassern.

Die am Tor diensthabenden Flußgardistinnen waren ihm vom Sehen bekannt – eine Sache, die auf Gegenseitigkeit beruhte, ihn indes aber nicht von dem rituellen Fragespiel nach 'Woher und wohin' entband. Und so dauerte es die übliche Zeit, ehe er an die Tür der Amtsstube des Allwasservogtes klopfte und der klangvolle Bariton seines bisherigen Knappenherrn ihn hereinrief. „Ah, Lares.“ Gorfang blickte von seinem Schreibtisch auf und ein Lächeln zog sich durch seinen mittlerweile mit Weiß durchsetzten, präzise getrimmten Vollbart. „Habt ihr die Concabella dieses Mal ausnahmsweise nicht auf Grund laufen lassen?“ Das Schmunzeln in der Stimme des Allwasservogtes nahm den Worten die Spitze. Nichtsdestrotz waren seine Augen höchst aufmerksam, als er auf den Stuhl vor dem Schreibtisch wies. „Gibt es etwas, das Ihr mir erzählen wollt?“ „ Ja, dieses Mal hat es das Schiff in den Hafen geschafft. Wenigstens.“ Der junge Ritter wich dem forschenden Blick seines Schwertvaters aus. „Richtig heil ist es nicht geblieben, aber damit war nach einem Angriff durch einen Wasserdrachen auch nicht zu rechnen. Ich bin froh, dass der Herzog diesen Höllenritt überlebte. Nicht nur um sein Leben, sondern auch um das Leben des Landgrafen von Gratenfels mussten wir bangen. Es war eine deutlich“, der Mersinger machte eine kurze Pause – er suchte nach dem richtigen Wort – „bewegtere Reise, als es für die Sicherheit unseres Herzogs gut gewesen wäre.“ Lares stockte. Eigentlich wollte er ja über etwas ganz anderes reden, aber so sehr er von seinem eigenen Triumph erzählen wollte, so sehr konnte er es nicht. „Mein Oheim, ich fürchte um die Sicherheit des Herzogs. Die Angriffe auf das Herzogenhaus häufen sich. Und sie werden von Mal zu Mal schwerwiegender.“

Still wurde der Allwasservogt angesichts von Lares Worten. Besorgt strich sich Gorfang durch seinen Bart und betrachtete nachdenklich den jungen Mersinger. „Was befürchtet Ihr?“ Eine Ansprache , die Lares fast in den Stand eines Ansprechpartners auf Augenhöhe erhob und auch dem jungen Mann nicht entging. Ebensowenig wie das nur minimale Zusammenziehen der Augen des weitaus Älteren, was von dessen ungeteilter Aufmerksamkeit berichtete.

Der Mersinger hielt dem Blick stand. Zu tief war er in eigenen, düsteren Gedanken versunken, um sich in Bedenken bezüglich seines Ranges zu tragen. „Das Schiff wurde nicht nur von einem beherrschten Wasserdrachen angegriffen, sondern die Mannschaft darüber hinaus nach der sicheren Landung eingekerkert und der Herzog entführt. Nur mit Müh und Not konnten wir unserem Gefängnis entkommen und das Schlimmste verhindern.“ Er schluckte. „Der Herzog sollte in einem düsteren Ritual geopfert werden, um das Reichsrichtschwert zu entweihen und die schreckliche Seuche des Vampirismus nicht mehr bekämpfen zu können. Mit Calderine von Hardenfels war eine Hochadlige in diese Verschwörung verstrickt! Noch dazu eine, deren Verhalten ohne Tadel und Leumund ohne Zweifel war.“ Die Augen des jungen Mannes zogen sich tief in die Höhlen zurück, die Schatten auf seiner Stirn wurden tiefer. „Wir fanden ein Dokument, das darauf hindeutete, dass es jedenfalls in dieser Familie weitere Vampire gab oder gibt. Was, wenn sie nicht die Einzige hohen Ranges war?“ Lares strich sich über die Furche, die seine rechte Augenbraue durchschnitt.

„Dann müssen wir das herausfinden.“ Der Allwasservogt verschränkte die Hände – seinem Bart tat dieses Nachdenken entschieden nicht gut. „Wir sollten aufmerksam bleiben. Wenn es von ihrer Brut noch mehr im Hochadel gibt, werden sie sich früher oder später zeigen.“ Er sprang auf und lief, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, einige Schritte durch den Raum, ehe er sich wieder zu Lares umwandte. „Was sollten wir tun? – Eure Einschätzung, Lares.“

Für einen Augenblick weiteten sich die Augen des jungen Ritters. Er fasste sich, doch wollten die nächsten Worte wohl abgewogen sein. Deshalb trat eine unbequeme Stille ein, die nur durch die energischen Schritte des ergrauten Allwasservogts unterbrochen wurde. Lares Hand schnellte zum Mund, während er sich hörbar räusperte, um die Anspannung abzubauen. „Das Problem unserer bisherigen Situation ist meines Erachtens nach, dass wir von den Angriffen dieser von den Zwölfen verfluchten Kreaturen hilflos ausgeliefert waren und sie nur mit Klauen und Zähnen abwehren konnten. Weil die Angriffe teils aus dem innersten Kreis von Familie – so im schrecklichen Falle der Hochzeit auf Hlûtharswacht – oder Lehensleuten kamen, konnten sie uns unvorbereitet treffen. Mein Oheim, ich bin der Auffassung, wir sollten die Initiative ergreifen. Aus den üblen Begegnungen haben wir gelernt, wie wir die Biester bekämpfen können, wenn wir ihre Schwächen kennen! Aber in der Defensive ist es zumeist eine reine Frage phexgefälligen Zufalls, ob uns die richtige Waffe zur Verfügung steht. Das heißt für mich, wir sollten uns einen Vorsprung verschaffen. Dazu müssen wir die Kreaturen identifizieren, bevor sie zuschlagen. Das heißt, wir müssen ihre Identität, aber auch ihre Verwundbarkeit kennen und die Krankheit dann an der Wurzel ausmerzen, damit sie sich nicht noch weiter verbreitet!“ Der zukünftige Edle von Rosenhain hatte sich in Rage geredet. Seine Stimme war von Wort zu Wort düsterer geworden und zu einem Zischen geschrumpt. Man hörte ihm an, wie sehr er den Zorn unterdrücken musste, der mit jedem Gedanken an diese Bedrohung für den Herzog aufflammte. Mit einem langgezogenen Seufzer atmete er aus, um Klarheit der Gedanken zurückzugewinnen. „Aber: wir müssten sie dazu erst einmal erkennen können. Irgendeine Methode hierfür muss es doch geben!“

Gorfang Reto wandte sich ruckartig um und betrachtete seinen Exknappen. „Ohne Geweihte werdet ihr die vermutlich nicht finden.“ Er strich sich überlegend über seinen dichten Bart. „Das wird aufwendig – wird aber vielen Leuten den Hals retten. Fangt am besten gleich morgen damit an, Ansprechpartner bei den Kirchen auszusuchen. Einen Empfehlungsbrief stelle ich Euch aus.“

„Ich danke euch.“ Lares klang, als ob diese Aufgabe „Normalität“ wäre. Er war gedanklich woanders. An die Möglichkeit Geweihte beizuziehen hatte er bereits zuvor gedacht. Er wollte den Allwasservogt sprechen lassen – damit er nicht insgesamt wirkte, als ob er bereits mit einem vorgefertigten Plan erschienen wäre. Problematisch war nur, welchen Geweihten er sich diesbezüglich anvertrauen sollte. Diese Frage hatte er noch nicht geklärt, also stellte er sie seinem Oheim. „Wir werden genau zu erwägen haben, welche Geweihten wir mit so einer delikaten Angelegenheit betrauen. Wegen ihrer besonderen Stellung böten sich natürlich die Hofkaplane an. Desgleichen würde auch seine Exzellenz Godefroy von Ibenburg-Luring wegen seiner unverbrüchlichen Treue zum Herzogenhaus in Frage kommen. Dennoch: Können wir von seiner Exzellenz klandestines Vorgehen erwarten?“ Der ehemalige Knappe des Allwasservogts hatte während der Worte in den Boden gestarrt und hob jetzt seinen Blick. Trotzdem schien er noch immer am Kopf Gorfangs vorbeizuschauen. „Ich kann mir vorstellen, sollte ich Hochwürden von Ibenburg-Luring zutragen, was ich Euch erzählte, so würde er dem praiosgefälligen Zorne verfallen und eine großangelegte Untersuchung einläuten.“ Kurz umspielte ein Lächeln die Lippen des grimmigen Mersingers. „Nicht, dass mir das nicht gefallen würde, diese erbärmlichen Kreaturen im Lichte unseres Herrn PRAios brennen zu sehen! Ich fürchte nur, auf diese Art und Weise werden wir ihnen nicht habhaft.“ Er blickte kurz nach links, dann nach rechts, als ob er etwas suchen würde. „Ihr hattet immer Recht, wenn ihr darauf beharrtet, wie wichtig die Stellung des Grauen Vogts im Eichernen Gemach war. Wenn man ihn einmal bräuchte…“ Lares schüttelte den Gedanken sichtlich ab. „Und die Auswahl der fraglichen Geweihten mag auch den Anlass prägen, bei dem wir ein derart großes Zusammenkommen veranstalten könnten. Von einem Geweihten des Herrn BORon könnten wir wenigstens Verschwiegenheit erwarten. Aber ein Begräbnis?“ Der Mersinger stockte. Gab es denn in nächster Zeit ein hochrangiges Begräbnis? Eines, bei dem der Herzog würde beiwohnen müssen? Der Abscheulichkeit Calderine von Hardenfels würde doch kein borongefälliges Begräbnis zu Teil werden? Oder doch? Oder würde es demnächst eine Totenfeier geben? „Sagt, fände sich nicht demnächst ein Todestag, in dessen Andenken eine Feier stattfinden könnte? Will der Herzog womöglich dem Tod seines Vaters öffentlich gedenken?“

Der Allwasservogt betrachtete Lares, als müsse er grübeln, wen er hier überhaupt vor sich habe. Der Mersinger konnte erkennen, dass auch sein Gesprächspartner mit den Gedanken kurzfristig minimal abgeschweift war. „Nicht dass ich wüsste. Und ich habe der Toten gerade auch wirklich genug, dass ich mir eine Trauerfeier wünschen würde. Die Gräfin selbst bekommt sicher kein borongefälliges Begräbnis – nicht, dass genug dafür von ihr übrig wäre. Hoffe ich doch.“ Gorfang strich sich abermals durch seinen Bart, wie er es gerne tat, wenn er in Gedanken versunken war. „Ihr seid ein von Mersingen – und habt genug Borongeweihte in Eurer Familie. Oder wollt Ihr ob der Geschichte mit der Pfalzgräfin zu Mersingen eher außerhalb der Familie suchen?“

Der letzte Satz seines Schwertvaters traf den jungen Ritter tief. Er legte die Stirn in Falten und wandte sich dem Fenster der Schreibstube zu. Eine absolute, finstere Stille trat ein und verschluckte das Bedürfnis, auch nur ein Wort zu sprechen. Hinter seinem Rücken allerdings knirschte das Leder der Reiterhandschuhe, die er vor lauter Eile vergessen hatte, abzulegen. Er hatte seine Rechte zur Faust geballt und die Finger gruben sich immer tiefer in den Handballen. Der junge Mann musste sich schwer am Riemen reißen, doch nach einem Augenblick, der wirkte, wie eine kleine Ewigkeit, fasste er sich. „Ja, tatsächlich“, war die einzige Bemerkung, die er sich zur Frage Gorfangs erlaubte. „Wir müssen sicherstellen, dass die Geweihten, die wir in das Vertrauen ziehen, aus der delikaten Angelegenheit keinen eigenen Wert ziehen können.“ Seine Stimme wurde rau. „Naja und: Es sollten Geweihte sein, deren Erscheinen anlassbedingt zu erwarten ist. Wir wollen ja nicht, dass es auffällig wirkt. Dementsprechend müssten es Geweihte sein, die einen Rang genießen, der eine Einladung zu einer Feierlichkeit des Herzogs wahrscheinlich macht.“ Und jetzt brauchte es noch eine Feierlichkeit, bei der nicht nur Geweihte, sondern am Besten der gesamte Hofstaat und alle höherrangigen Lehensnehmer erscheinen würden. Oder einen anderen Anlass. „Hochgeboren, habt Ihr gehört, ob es bereits Fortschritt in dieser delikaten Angelegenheit mit den Stapelrechten gibt?“ „Sie schlagen sich noch immer die Köpfe darüber ein – anstatt dass jemanden die Kanzleiräte da packt, wo es weh tut, und so lange schüttelt, bis die den Antrag ausspucken.“ Gorfang schüttelte den Kopf, verständislos über dieses Herumgeiere. „Das nächste große Treffen wird der Lehnseid der Albenhuser Gräfin in Elenvina sein – dort wird sich versammeln, was Rang und Namen hat, und durch die Gründung des Vierschwesternordens wird es dort auch von Geweihten wimmeln – nicht nur von denen der vier Schwestern. Es würde mit dem Namenlosen zugehen, wenn Ihr dort nicht findet, was wir brauchen – unauffällig, aber im Überfluss.“ Die ganze Angelegenheit gefiel dem Allwasservogt nicht – nicht im Ansatz. Und noch weniger, dass nun auch noch eine Aktion seinerseits erwartet wurde. Üblicherweise waren die anderen seiner Familie, die sich bei solchen Angelegenheiten mit Schwung in die Bresche und ganz nach vorn brachen – oder eine Heldengruppe schickten. Wäre es eine Angelegenheit gewesen, die sich mit klaren Worten oder einer klaren Faust regeln ließe … . „verdammte Kriecher!' knurrte er und seine Augen blitzten. „Wir müssen herausfinden, wie wir dieses Kroppzeug erkennen – und aus unserer Mitte entfernen. Je schneller und gründlicher, desto besser!“

„Ist an der Gründung dieses Ordens nicht auch seine Exzellenz von Sturmfels-Mauernbrecher beteiligt? Er war bei der Vernichtung dieser widerlichen Unkreatur von Hardenfels ebenfalls zugegen und ist dementsprechend bereits in das Geschehnis eingeweiht. Zwar ist die Prüfung der Seele wohl nicht sein Fall, wie er sagte, aber schlecht ist es jedenfalls nicht, ihn an unserer Seite zu wissen. Bei der Gründung eines Ordens sollte die Präsenz von Geweihten tatsächlich keine große Sache sein. Wisst Ihr etwas vom Verbleib des grauen Vogts? Seine Dienste wären, denke ich, sehr willkommen.“ Er räusperte sich. „Glaubt mir, ich freue mich auch schon auf den Tag, an dem ich wieder einem von diesen Abscheulichkeiten den Schädel einschlagen kann!“ Der junge Mann griff sich instinktiv an die rechte Augenbraue und fuhr die tiefe Narbe nach, mit der der Vampir im Reichsforst sein Gesicht entstellt hatte. „Aber wir müssen uns noch etwas gedulden. Auch wenn wir diese Viecher identifiziert haben, müssen wir sie auskundschaften und ihre Schwachstellen identifizieren. Deswegen böte es sich an, die Geweihten möglichst vieler Gottheiten vor Ort zu wissen; vielleicht haben unterschiedliche Kirchen hierzu unterschiedliche Mittel. Wenn wir soweit sind, wird eine solche Säuberungsaktion militärische Kapazitäten brauchen und einiges an Wirbel hervorrufen. Hoffentlich betrifft es nicht so viele Ziele, doch wenn diese Pest um sich gegriffen hat: Wie stellen wir die Stabilität des Herzogtums sicher? Mit Calderine von Hardenfels war ja nun eine Hochadlige betroffen. Herr PRAios bewahre, wenn noch mehr Mitglieder des Hochadels oder zumindest höherrangige Lehensleute des Herzogs infiziert sein sollten. Es muss für diesen Fall eine ‚Notfallplanung‘ her.“ Die Mundwinkel des Allwasservogtes zuckten angesichts der ungebremsten Energie des Jungen. „Ihr müsst das alles nicht alleine stemmen, von Mersingen. Der Graue Vogt war selbst zu Zeiten des vorletzten Herzogs schwer zu greifen – wo er sich jetzt aufhält, kann ich euch nicht sagen. Er wird euch finden – nicht umgekehr. Seid zuversichtlich.“ Der Graue Vogt tauchte immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten erwartete – aber glücklicherweise nicht über Gebühr oft. Gorfang selbst hatte erst ein halbes Dutzend Mal das zweifelhafte Vergnügen genossen, das immer mit Arbeit und meistenteils mit gelindem Entsetzen verbunden. Aber in einer Situation wie dieser wäre e r richtig und wirklich nützlich gewesen. „Kümmert Ihr euch um die Geweihten und eine Möglichkeit, dieses Kroppzeug zweifelsfrei zu identifizieren und seine Schwächen herauszufinden. Alles weitere werde ich in die Wege leiten.“ Die Möglichkeit, genügend vertrauenswürdige Krieger zur Hand zu haben, um nötigenfalls auch den nächsten Grafen festzusetzen, war eine Aufgabe schon mehr nach dem Geschmack des Allwasservogtes. In seinem Kopf formte sich bereits ein Plan, 'unauffällig' mit den in Frage kommenden Kommandanten durch die wichtigsten Tempel zu tingeln. Das versprach kurzweilig zu werden. Er schlug mit der Faust in seine offene Hand. „So machen wir's! Habt Ihr noch Fragen?“ „Nein! Ich werde alles Nötige in die Wege leiten. Für den Herzog!“, salutierte der junge Ritter. Anstatt sich jedoch zu entfernen und auf seine Entlassung zu warten, hielt er die hohe Lehne des hölzernen Stuhls vor dem Arbeitstisch Gorfangs umklammert. Obwohl es noch so viel zu sagen gäbe, brachte er seinen Mund nicht auf. Der Allasservogt wollte sich bereits wieder seinen Aufgaben zuwenden und war vom Verhalten seines – ehemaligen – Knappen entsprechend irritiert. „Danke“, presste der junge Mersinger hervor. Der Allwasservogt nickte – und runzelte die Stirn. „Ist noch etwas, das Ihr mir sagen wollt, Lares?“ Normalerweise tat der junge Mann vielerlei Dinge – aber ein Trödler war er nicht. Er legte das Pergament, das er gerade zur Hand genommen hatte, wieder beiseite. „Spuckt es aus.“ „Danke für alles. Für Eure Geduld. Für Eure führende Hand. Für die vielen notwendigen Standpauken und das Lob, wenn ich es mir einmal verdient habe.“ Die Stimme des Ritters wurde brüchig. Mit emotionalen Dingen kam er einfach nicht zurecht, ob es nun Frauen oder Abschiede waren. „Ich habe Euch alles zu verdanken. Und Ihr könnt Euch versichert sein, dass ich Euch und der Sache des Herzogs auf immer treu ergeben sein werde. Und ich bin stolz, ein Landritter des Herzogs zu sein.“ Und er erzählte, welch glückliches Ende die Flussfahrt und die Befreiung des Herzogs für ihn persönlich genommen hatte. „Bei den Zwölfen! Und das sagt Ihr mir erst jetzt?! Er rumpelte hinte rseinem Schreibtisch hervor, baute sich vor dem deutlich schmächtigeren Mersinger auf, breitete die Arme aus und drückte den Bursche n an seine Brust, bevor dieser wusste, wie ihm geschah. Mit der Wucht eines Schmiedehammers drosch die Hand des Allwasservogts auf Lares Schulter, ehe er ihn wieder freigab. „Hat mich der Gauner um den Ritterschlag gebracht! Das wird er mir zahlen! Meinen Glückwusch, Ritter! Kommt mit – das muß gefeiert werden!“ Mit diesen Worten bugsierte er seinen ehemaligen Knappen nach draußen, in Richtung seiner bevorzugten Taverne in der Nähe der Burg – mit der festen Absicht, den Nachmittag in einem freuchtfröhlichen Abend ausklingen zu lassen.

-- Main.IseWeine - 26 Aug 2019