Belhanka41 Unter Freunden

Belhanka 1041: Unter Freunden

Ein Götterlauf war vergangen, seit sie alle hier in der wunderschönen Heimstatt Rahjens gewesen waren. Ein ganzer Götterlauf, in dem viel passiert war. Jost war mit der Baroness, dir ihn das letzte Mal begleitet hatte, verlobt. Ira hatte ihr Einverständnis zur Ehe ebenfalls einem Eisensteiner gegeben. Wunnemar hatte mit Quendan von Hornisberg einen Knappen bekommen, die Plötzbogen einen strammen Sohn namens Leuhart, außerdem Jost einen horasischen Pagen und der Orgilsbund in Gereon von Rickenbach endlich das lang ersehnte fehlenden Mitglied. Darüber hinaus waren Wunnemar und Lioba ein ganzes Stück weiter in die Traditionen an Baronshof zu Hlutharswacht hineingewachsen, letzterer war mit Mann und Maus aus den Bergen um Burg Drachenwacht hinunter ins Tal nach Hluthars Ruh, dem Hauptort der Baronie, gezogen, wo die Arbeiten zum Bau von Josts Schloss begonnen hatten. In Gareth waren sie alle gewesen, um beim großen Kaiserturnier gegen Ritter aus dem ganzen Reich anzutreten, weit gekommen war keiner von ihnen, aber alle hatte an Erfahrungen und neue Bekanntschaften gewonnen, nicht zuletzt jene Ihrer Majestät der Kaiserin. Daneben waren Ira und Jost mit Sigiswolf bei den Vertragsverhandlungen von Mantrash’mor und auf der Geburtssegenfeier der kleinen Prinzessin Ilara gewesen, hatte Ira nicht nur eine Reise mit der unglückseligen „Concabella“ unternommen, sondern auch eine in Flussvaters Reich. Nun warfen die kommenden Ereignisse ihre Schatten voraus, erst Iras Hochzeit mit Lupius von Schellenberg, wegen der sie nun endgültig aus Josts Diensten schied, dann Josts Hochzeit mit der Baroness Odelia, zu der der halbe Adel Isenhags und Albenhus‘ geladen war. Anschließend wollte man sich erneut im Garether Turnierwettstreit unter den Augen Kaiserin Rohajas beweisen – Josts Hochzeitsreise würde demnach in die Kaiserstadt gehen - und dann wollte man mit einem kleinen Aufgebot an Verbündeten in den Osten, um die zu Wunnemars Familie gehörigen Ländereien zu befrieden.

Für Jost und seine drei Dienstritter sollte diese Reise nach Belhanka allerdings mehr sein, als der bloße Besuch des Turniers der Eisernen Ketten. Der junge Baron zu Hlutharswacht wollte zum einen die kleine Halblanze einen, die ihm nicht nur unterstand, sondern die er auch im Kampf entsprechend seiner Lehren formte, damit er mit Lioba und Wunnemar in der selben intelligenten Kampfweise agieren konnte, wie schon zuvor mit Ira und Sigiswolf. Der Feldzug und nicht zuletzt Mendena gab allen Grund dazu, die etwas andere (alt bosparanische) Kunst des Mannschaftskampfes fortzuführen. Jost hatte bewusst nur wenig Personal dabei, denn er mochte die Möglichkeit, mal nicht als Baron mit weitreichendem Gefolge aufzutreten, sondern als Ritter unter Rittern mit dem Aspekt, nicht das Dienstverhältnis sondern die Kameradschaft hochzuhalten. Tief im Herzen bedauerte er Iras Weggang. Er würde sie schrecklich vermissen, wenn sie mit ihrer Hochzeit in 2 Monden in die Baronie seiner baldigen Schwiegereltern wegheiratete, das wusste er jetzt schon – verbanden ihn und die kleine Plötzbogen doch auf ewig viele Dinge, nicht nur die Tatsache, dass er ihr Schwertvater und sie seine erste Knappin gewesen war. Daher wollte er die Gunst der Reise durchaus für einen würdigen Abschied ihrer gemeinsamen Zeit nutzen. Er hoffte zum einen, dass er ihr mehr als das Führen eines Rapiers beibringen konnte. Zum anderen, dass das, was er mit ihr begann, weiter wachsen würde. Der Vorteil des kleinen Gefolges bestehend aus reinen Waffentreuen war natürlich auch, dass auf der Reise niemand durch etwaige unbeteiligte Mitreisende (wie etwa hübsche Damen oder in Iras Fall ungeborene Kinder) abgelenkt wurde und sich so das „Kleeblatt“ um Jost intensiv der Neuformung widmen konnte. Bei diese Übungseinheiten konnte Ira nicht nur einmal nützliche Kniffe an die beiden anderen Dienstritter weitergeben. Seit dem Turnier in Gareth schien zumindest der schwarze Schatten der Trauer von seinem ehemaligen Schützling abgefallen zu sein, das freute ihn. War doch Belhanka, die Serenissima Belissima, eine Stadt, die vieles verzieh, nur traurige Gesichter nicht. (Jost)

Tatsächlich war es Ira im letzten Jahr zur selben Zeit wirklich nicht gut gegangen, das wusste jeder von ihnen. Sie hatte mit ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft zu kämpfen gehabt, und mit dem Tatsache, dass der Vater ihres Kindes nicht wiederkehren würde, aber vor allem damit, dass ihre Zukunft nicht die war, die Ira sich selbst gewünscht hätte. Sie hatte nicht nur irgendwen verloren, sondern auch eine Liebe. (Und wer um die näheren Umständen wusste, also jene, die für immer geheim bleiben mussten, verstand etwas mehr, warum die damals erst 17-jährige so litt.) Nun, einen ganzen Götterlauf und ein Kaiserturnier später war Ira geradezu erblüht. Die Stadt der Liebe war ihr im letzten Jahr noch zuwider gewesen und eine Seelenpein noch obendrein, nun jedoch sprudelte sie über vor Freude, Aufregung und Lust, sich an den dargebotenen Genüssen erfreuen zu wollen. Die Aussicht darauf, endlich Travingo wiederzusehen, wärmte ihr Herz, denn sie mochte den schneidigen Horasier, den sie am Kaiserturnier kennenlernen durfte. Sie mochte ihn sehr sogar. Weil seine Zuneigung sich wie Balsam auf die Wunde in ihrem Innern legte, die Hagrians Tod geschlagen hatte. Ja, es gab im Moment niemanden, mit dem Ira die Stadt Rahjas auf Dere lieber erkunden wollte, als mit ihm. Travingo war ein Schürzenjäger, jeder wusste das. Er hatte anfangs auch den Schoß der Plötzbogen als Jagd-Trophäe auserkoren gehabt. Allerdings hatte Ira im Verlauf ihres Kennenlernens auch andere, verletzlichere, zahmere Seiten an dem Unterfelser erfahren, sogar einige dramatische, die niemand an an einem solchen Lebemann vermuten würde. Sich in Travingo verliebt zu haben bestritt sie. Vehement. Er sei lediglich ein guter Freund geworden. Doch die Intensität, mit der die Ritterin und der Cavalliere in Gareth – nicht nur in der Tjoste – aufeinander geknallt waren, und die Art, wie Ira seit ihrem Aufbruch dem Wiedersehen mit dem Unterfelser Draufgänger entgegenfieberte, sprach Bände. (Ira)

Wunnemar hatte hingegen viel seiner grüblerischen, schwermütigen Stille verloren seit ihrem letzten Besuch im Lieblichen Feld. Ein Umstand der vielleicht auch seinem lebensfrohen Knappen geschuldet war, aber eben nicht nur. Wunnemar hatte nichts von seiner Ernsthaftigkeit verloren mit der er Travias Gebote und sein Gelübde lebte, doch schienen seine abendlichen Gespräche mit seiner verstorbenen Liebe am Feuer viel von ihrer früher vorhandenen Traurigkeit eingebüßt zu haben. Ja, er schlief sogar im Lager und zog sich nicht wie im Vorjahr und auch in Gareth jede Nacht in den Travia- Tempel zurück. Das er kein Gotteshaus der lieblichen Göttin betreten würde hatte er hingegen bereits auf der Reise nach Belhanka deutlich gemacht, dass widersprach weiterhin seinen Prinzipien. Das Talent zum beidhändigen Kampf, welches der Baronet zweifelsohne schon vor seinem Dienstantritt bei Jost besessen hatte, war von diesem noch weiter vertieft und vortrefflich verfeinert worden. Doch immer noch waren es nicht Rapier und Linkhand die er führte, sondern das merkwürdig- grünlich schimmernde Langschwert, Kriegsbeute aus Mendena und ein moderner Klingenbrecher, den er einzusetzen verstand. Die immer mehr bullige, gedrungen wirkende Statur des eher kleinen rabenmärker Adelssprosses wurde zu sowas wie seinem Markenzeichen. Der ‘Kleine Schröter’, dem Beinamen, den die Hlutharswachter das erste Mal von Wunnemars Vater auf dem Kaiserturnier vernommen hatten, passte immer mehr zu ihm. Der Baron selbst hatte in den vergangenen Götternamen einen gewissen Wandel an Wunnemar bemerkt. War er früher enorm erpicht darauf gewesen sein Erbe in Tälerort anzutreten, so schien er nun, da er durch Jost einem tiefen Einblick in die Verantwortung hatte, die ein Lehnsherr trug, fast froh noch Schonzeit zu besitzen. Den geplanten Zug der Nordmärker gen Rabenmark, in seine Heimat fieberte er dennoch entgegen und versuchte die Mitglieder des Orgilsbunds dazu zu bewegen sich ihm anzuschließen. (Wunnemar)

Quendan Bodar von und zu Hornisberg passte gut zu seinem Schwertvater Wunnemar. Der Junge war sehr strebsam und tüchtig, aber auch eigenständig und besaß zu vielem eine eigene Meinung. Ein Umstand, den der Baronet zu fördern schien. Er fragte viel und brachte Wunnemar damit häufig nahezu um den Verstand, doch schien es dem Galebfurtener gut zu tun ihn an seiner Seite zu haben. Die verschlossene Art des Baronet wich nach und nach. Wunnemar lehrte seinem Knappen nicht nur Tugenden und Fertigkeiten des klassischen Rittertums, sondern verbrachte auch einige Zeit darauf ihm das Bogenschießen und das Axtwerfen näherzubringen. Vor allem letzteres war eine Tätigkeit, die der Baronet oft nutzte um nachzudenken und die ihn scheinbar tief in sich versinken ließen. Der bereits jetzt im jungen Alter großgewachsene Hornisberger besaß Ausdauer und Geschick. An Kraft mangelte es ihm in vielen Situationen häufig noch, aber das würde sich im Laufe der kommenden Jahre geben, wenn er zum Manne reifte. (Quendan)

Auf ihre Art hatte die gratenfelser Ritterin ihre Freude an der Reise. Es war nicht ihre Art, mit ihren Gefühlen hausieren zu gehen, sie war nicht ausgelassen fröhlich und lachte laut heraus - nein Lioba Thomundson tendierte dazu sanft zu Schmunzeln und sich innerlich zu freuen. Dabei musste sie ganz andere Entdeckungen während der Reise machen, Entdeckungen ganz persönlicher Natur. Gleichermaßen hatte sie dergleichen Ersehnt und Befürchtet, weshalb sie sich momentan noch gänzlich unsicher war wie sie mit ihrem neuen Zustand umgehen sollte. Seitdem ihre kleine Tochter Guda geboren wurde hatten sie und Quirin es weiter versucht, doch seit vier Götterläufen harrten sie aus und warteten auf den Segen der jungen Göttin. Doch jetzt war es endlich soweit. Lioba freute sich ungemein darüber, doch zugleich fragte sie sich ob sie dem Kind eine gute Mutter sein würde. Sie konnte mit kleinen Kindern nichts anfangen, unfähig sah sie zu wenn ihr Gatte mit ihrer gemeinsamen Tochter spielte und bei einem weiteren Kind würde sich daran sicherlich nichts ändern. Sie war keine mütterliche Frau, bemuttern lag ihr einfach nicht. Es brauchte ein gewisses Alter bis sie wusste wie sie mit einem Kind umzugehen hatte, wobei sie persönlich fand das ein Page womöglich noch zu Jung ist. In diesem Wissen und mit dieser Ungewissheit hatte sie häufig während der Reise ihren Pagen Malzan bei seinen Übungen beobachtet. 'Kinder, welch rätselhafte Wesen!' Dachte sie sich dann ein jedes mal. (Lioba)

Das Turnierlager der Hlutharswachter stand schon, als Jost und seine Dienstritter in Belhanka eintrafen. Der vorgeschickte Trupp aus Wagen mit aufgeladenem Equipment hatte nicht nur Stand- und Anmeldegebühr beglichen und alles aufgebaut, was es zum Aufbauen gab, sondern tatsächlich alles für die nachreisenden Herrschaften bereitet: Betten aufgestellt und Decken ausgelegt, jeder hatte seine Gewandtruhe ins Ritterzelt gestellt bekommen, die kleine Unmenge an Lanzen war im Rüstzelt untergebracht, eine Pferdekoppel eingezäunt, die persönlichen Gegenstände des Barons arrangiert und das, was fehlte geliehen, gekauft oder anderweitig organisiert. Auch hatten fleißige Hände vor vor Ort frisch eingekauft, so dass die Nordmärker wie immer bestens versorgt sein würden. Das Lager, über dem das Banner des silbernen Maurenbrecherdrachen auf Rondra-Rot im Wind flatterte, der von der See herwehte, war vielfach kleiner als im Vorjahr. Nur die Zelte der vier Ritter standen sich gegenüberliegend. Keines fürs höhere Gefolge, denn Jost hatte seinen Haushofmeister und Kammerdiener zuhause gelassen, und es waren auch keine hochadligen Damen anwesend, die besondere Wünsche gehabt hätten, um die man sich hätte besonders kümmern müssen. Trotzdem konnte das Zeltdorf sich sehen lassen, denn Jost gedachte durchaus, beziehungsweise vor allem hier, beim wichtigsten Frühlingsturnier des Horasiats und einem der größten Turniere Aventuriens als derjenige Hochadlige aufzutreten, der er war. Unter einem gespannten Sonnensegel, das den Platz zwischen den Zelten gegen die Frühlingssonne abschirmte, die hier im Süden eine größere Strahlkraft besaß als noch im verschneiten Albenhuser Land, standen einladend ein Tisch mit Tischtuch und Stühlen für die gemeinsamen Mahlzeiten des Barons und seiner Dienstleute. Auf der Mitte des Tisches eine große Schale, überreichlich mit Obst gefüllt, sowie ein Ensemble aus verzierten silbernen Trinkpokalen und passenden Karaffen, die verdünntem Wein und aromatisiertes Wasser enthielten, daneben eine Schale mit Belhankaner Konfekt. Josts mit Fell ausgekleideter Lehnstuhl mit der kunstvoll geschnitzter Lehne, die im Kopfnähe einen Drachen ausgearbeitet besaß, stand thronend am Tischende. Vor jedem der Zelte zeigten daneben eindrucksvoll Rüstung, Schilde und Waffen, warum man hier war. Die kleine Herde Pferde, die in einem mit Seilen abgesteckten Karré untergebracht war, hatte ebenfalls ein Sonnensegel gespannt bekommen. Vier Wachen aus der Garde des Barons sorgten dafür, dass alles an seinem Platz blieb. Jost, Wunnemar, Lioba, Ira und die kleine Schar Zöglinge hatten also nicht mehr viele Handgriffe tun müssen, als sie dem Segler der Piastinzas entstiegen beim Lager angekommen waren. Vor allem den Knappen machte dieser luxuriöse Umstand herzlich wenig aus, setzte dem einen oder anderen die Fahrt übers große offene, nicht durch Flussufer begrenzte und daher launische Efferdsgewässer doch etwas zu.

Nach der Anlandung hatte Ira ihr Zelt bezogen und ihre Pferde versorgt. Das hatte sie wie stets allein gemacht, denn ihr stand, anders als bei den anderen dreien, kein Page oder Knappe zur Seite. Sie bedauerte diesen Umstand nicht. Ihr reichten die Dinge, für die sie bisher Verantwortung zeigen musste, völlig. Den Nachmittag ward Ira nicht mehr gesehen, weil sie sich mit ihrem Kontrahenten aus Gareth zu einem Stadtrundgang verabredete, kaum dass sie und der schwarzhaarige Cavalliere sich im Turnierlager über den Weg liefen. (Ira) In ihrem Lager angekommen machte sich auch Lioba daran dieses zu Inspizieren, wobei ihr Page sich diensteifrig daran machte jede Beanstandung auszubessern. Nur bei den Pferden machte die Ritterin eine Ausnahme, nicht das sie Malzan nicht vertraute, aber hier ging es um das gegenseitige Vertrauen das zwischen Reiter und Tier unbedingt notwendig war. Sie hatte ihre Umstände bereits erkannt, wenn auch das Wissen mit niemanden geteilt, und so beabsichtigte sie noch immer am Turnier teilzunehmen. Erstmals, denn bei den bisherigen Veranstaltungen hatte sie sich bewusst herausgehalten.. (Lioba) Bei ihrer Ankunft im Lager hatte Jost Verian, ebenso wie die Anderen, sein Zelt und die örtlichen Begebenheiten inspiziert und vom Logistiktrupp einen Bericht geben lassen. Sie hatten überwiegend zu seiner Zufriedenheit gearbeitet, so dass er ihnen einige Münzen in die Hand drücken und in die Stadt entlassen konnte. Nachdem er sich und sein kleines Gefolge, bestehend nur aus seinem horasischen Pagen und dem Knappen von Zweigensang eingerichtet hatte, konnte er sich einen kleinen Spaziergang durch das Lager nicht verkneifen - wollte er doch sehen wer schon da war, wen man kannte und welche Einladungen zum einen oder anderem Umtrunk sich auszusprechen lohnten. (Jost)