Belhanka41 Rat Am Lagerfeuer

Belhanka 1041: Rat am nächtlichen Lagerfeuer (Ira und Wunnemar)

Das Grinsen wollte gar nicht mehr aus Iras Gesicht weichen, als sie irgendwann doch endlich auf ihrer Liege lag und noch einmal den vergangenen Tag Revue passieren ließ. Bei Rahja… Was für ein Tag! Erst der Tempelbesuch und zuletzt hatten sie und der Rizzi sich über den Wellen der Bucht unter dem glänzenden Sternenhimmels ein weiteres Mal ihren Gefühle hingegeben. Ira fuhr sich mit der Zungenspitze über die rauen Lippen. Ganz trocken waren diese. Außerdem hatte Travingos Bart am Ende ganz schön gepikst. Götter, es war eine Schande, dass sie niemandem erzählen konnte, was sie alles miteinander getrieben hatten. Es würde wohl selbst auch ein Rapiro Floretti rot.

Ein tiefes wohliges Seufzen entrann ihrer Brust während sie sich in ihre Decke kuschelte. Die Erinnerungen an die sinnlichen Momente mit Travingo brachten ihr Innerstes zum Glühen, denn es war ja nicht nur Leidenschaft, die sie in sich fühlte, sondern da war weitaus mehr. Viel mehr. Scheiße, zu viel mehr, als dass sie es ignorieren konnte. Ihr fiel sogar auf, dass sie Travingo nach diesem halben Tag Zusammensein stark vermisste und sie reute es dann doch, seiner Bitte, mit ihm noch den Rest der Nacht zu verbringen, nicht nachgekommen war, und da war dann die schöne Stimmung auch schon wieder hinüber. Grummelnd wälzte sie sich herum. Das Grinsen hatte sich mittlerweile aufgelöst und um ihr verliebtes Herz legte sich der dicke, schwere Pelzmantel aus mahnender Vernunft, der die unangebrachten Empfindungen unter sich zu begraben gedachte, leider daran scheiterte und Ira abermals – wütend über die Götter – das Schicksal verfluchte. Sie hasste es auch, dass sie nicht über ihre Gefühle sprechen konnte, dass sie sie in sich verwahren musste. Und nur, weil sie bald den Schellenberg zum Mann nahm? Das alles kam ihr so ungerecht vor! So drecksdämlich gemein! Sie war doch kein herzloser Golem, nur, weil sie sich für eine sinnvolle Sache entschieden hatte - eine, die noch dazu derzeit in der Zukunft lag! Gönnte ihr denn niemand ein bisschen Glück zwischendurch? Was war mit Wunnemar, vertraute er ihr etwa auch nicht, was die Sache mit dem Rizzi anging? Wunnemar! Ja. Ihr fiel auf, dass sie gar nicht genau wusste, ob er ähnliches dachte, wie Jost. Eine Weile dachte sie erfolglos darüber nach. Dann setzte sie sich auf. Ob er schon schlief? Oder auch wach lag, so wie sie? Vermutlich nicht, denn ihr Freund war durch und durch ausgeglichen. Oh, dieser Traviafrömmler. Hatte immer einen borongefälligen Schlaf. Ach scheiß drauf!

Entschlossen schwang sie sich von ihrer Liege. Sie brauchte jetzt ein paar Antworten…. Und außerdem einen Freund zum Reden… selbst wenn dieser nur zuhörte...

Die junge Rittersfrau musste sich gar nicht die Mühe machen bis zum Zelt des gebürtigen Rabenmärkers zu gehen, denn der Baronet saß gegen seinen Sattel gelehnt am Feuer in der Mitte des Hlutharswachter Lagers und schien zu dösen. Als sie näher schritt, erkannte sie, dass Wunnemars Augen geschlossen waren, sich seine Lippen jedoch fortwährend bewegten, ohne einen Ton von sich zu geben. Die rechte Hand ihres Bundesgenossen lag ruhig auf dem Griff seines Schwertes, jener grün schimmernden Klinge, die er in Mendena erbeutet hatte.

Der Anblick entlockte der Plötzbogen ein kurzes Schmunzeln und war ihr Einladung genug (Wobei sie sich in diesen Momenten auch eingeladen hätte, wäre er schlafend im Zelt gelegen), So ließ sie sich neben dem Weißhaarigen auf dem Boden nieder und seufzte zur Begrüßung tief und gedankenschwer, ehe sie wieder angestrengt Atem holte. Der Galebfurtener kannte Ira, schließlich hatten sie schon so vieles gemeinsam erlebt, waren Freunde, Vertraute, dienten nicht nur beide dem Baron sondern sich auch gegenseitig, und so merkte er schon als Ira kam, dass sie etwas auf dem Herzen trug. Auch, weil sie niemand war, der seine Gefühlen gut verschließen konnte.

„Hei…. Ruhige Nacht, was?“

Mit einem leicht amüsierten Lächeln quittierte der Baronet die Frage. “Das ist sie in der Tat.” Er behielt die Augen geschlossen. “Es scheint dennoch, als ob du nicht schlafen könntest.”

„Ach, was heißt nicht schlafen…“ Kurz ließ der Gedanke sie abermals seufzen, dass sie wohl in Travingos Arm sehr gut geschlafen hätte. „…aber ja, du hast Recht,“ gab sie zu. „Boron scheint mir mal wieder kein Freund zu sein. Und was ist mit dir? Ist aber eine sehr nachlässige Wache, die du da machst.“ Am Ende versuchte Ira es mit einer neckischen Bemerkung.

"Ich geniesse die laue Nacht, die Prasseln des Feuers und Talinas Gegenwart bis mich der Schlaf irgendwann übermannt." Seine Stimme klang ein wenig abwesend. Während er sprach tätschelte er seine Waffe. "Nachlässig? Nun auf meiner Aventurie hat diese Art der Wache vollkommen ausgereicht und hier denke ich nicht, dass wir mit mehr Ungemach rechnen müssen." Wunnemar grinste plötzlich frech. "Meinst du nicht, dass der Herr Boron mit deiner Schlaflosigkeit wenig zu tun hat?"

„Scheiße ja das mag sein,“ brummte Ira missmutig. Sie wusste eigentlich ganz genau, dass der Herre Boron keine Schuld trug, und auch, dass Wunnemar das wusste. Sie seufzte erneut tief und es herrschte einen Moment lang nur das Prasseln des Feuers über die nächtliche Stille. Klar, auf dem Zeltplatz eines großen Turniers war es nie vollkommen still. In der Ecke, in der die Hlutharswachter ihre Zelte gebaut hatten, hörte man irgendwoher leises Schnarchen und von fern noch immer Musik und Gelächter.

„Manchmal bewundere ich dich wirklich, Wunnemar,“ murmelte die Plötzbogen, während sie ein kleines Stöckchen ins Feuer warf, das dort knisternd verging. „Dass du immer noch mit ihr sprichst, als würde sie uns gegenüber sitzen. Ich kann das nicht. Ich bin, wie es scheint, nicht gemacht für diese… öh, endgültige… hm, Liebe… weißt du? Ich meine, Hagrian ist die Vergangenheit, ich hab ihn losgelassen, ich glaube das war gut, und Lupius ist die…“ Ein kurzes Zögern vor dem Wort. „Zukunft.“ Noch etwas flog ins Feuer und Ira sah den Baronet an. „Wunnemar, mal angesehen von deinem Eid und was er mit dir macht, aber kannst du dir vorstellen, dass du irgendwann - also nur rein hypothetisch betrachtet! - dass du irgendwann in deinem hoffentlich noch langen Leben, für jemanden… ähm…ähnlich empfinden kannst wie für Sie? Scheiße! Was, wenn dir das Leben, das Schicksal oder die Götter eine neue Chance für dein Herz aufzeigen…unabhängig davon, ob der Zeitpunkt gut oder drecksdämlich beschissen ist?“

Wunnemar atmete tief ein und aus, bevor er die Augen öffnete und den Kopf zu Ira wandte, um sie interessiert anzusehen.

"Ich glaube zwar nicht, dass es das ist, was dich vom schlafen abhält, aber ich will dir die Frage dennoch gern beantworten. Vielleicht fällt es dir dann leichter zum Grund deiner Schlaflosigkeit zu gelangen."

Wunnemar rutschte etwas tiefer am Sattel herab, schlug die Beine übereinander und fand eine bequeme, nun fast liegende Position.

"Nein. Ich kann es mir nicht vorstellen um ehrlich zu sein. Talina ist bei mir, egal wohin ich gehe. Auf meiner Reise durch die Nordmarken, Albernia und den Kosch hatte ich viele Nächte alleine am Feuer und habe gelernt ihre Nähe als nicht tragisch, sondern als Geschenk zu sehen. Ich weine nur noch selten über ihr Schicksal, fühle mich nicht allein, solange ich nur am Feuer zu Travia beten und Talina so zu mir rufen kann. Bevor eine andere Frau Bedeutung in meinem Leben erhalten könnte, müsste Talina mich freigeben und die gütige Göttin meinem Eid aufheben." Der Baronet lächelte. "Ich halte beides für äußerst unwahrscheinlich, Ira. Aber es ist gut wie es ist. Ich habe diesen Weg gewählt und ich gehe ihn ohne Verdruss."

Ira verkniff sich ein missmutiges ‚Das ist ja schön für dich‘, weil sie Wunnemar nicht verletzen wollte. Aber sie hatte nicht das Gefühl, dass sie vom selben Thema sprachen. Hatte er denn nicht zugehört, nicht verstanden, was sie ihm versuchte mitzuteilen? Musste sie es denn unbedingt aussprechen? Ernsthaft? Ihr widerstrebte das. Aber wenn Wunnemar nicht anders begriff...

Ira seufzte abermals tief und setzte sich dann ihm zugewandt auf die Knie, legte ihre Hände erst in den Schoß, dann an den Kopf, zuletzt griff sie sich ins Haar, nur um einen Lidschlag später mit den Handflächen unstet über ihre Schenkel zu fahren. Keine Frage, etwas wühlte sie auf, quälte sie.

„Pass auf, ich mach‘s kurz..“ fing sie an, hielt aber doch inne und schüttelte unentschlossen den Kopf, murmelte erst leise „ach scheiß verdammter!“ bevor sie einen prüfenden Blick in Richtung der Zelte von Jost und Lioba warf, ehe sie fortfuhr und das Folgende eilig herunterratterte: „Ich weiß, der Zeitpunkt ist so was von dämlich, und ja, glaub mir, ich hadere so langsam wirklich mit dem Schicksal, aber ich kann nichts machen, ich habe Gefühle für Travingo und er hat auch Gefühle für mich. Starke Gefühle. Ehrliche. Jedenfalls keine von der Sorte, die man hat, wenn man einfach nur zusammen der Schönen huldigt, du weißt bestimmt, was ich meine. Wir mögen uns. Sehr. Aber wir sind nicht dumm, wir wissen beide, dass das mit uns keine Zukunft hat, verstehst du? Und was mich bei all der Sache,“ ihre Stimme bekam den raschen Wechsel vom Bedauerlichen zum Ärgerlichen mit Bravour hin, „-- abgesehen davon, dass das Schicksal ein mords Arschloch ist! – so wütend macht, richtig dreckswütend, ist, dass Jost doch wirklich ernsthaft glaubt, ich würde wegen Travingo alles hinschmeißen. Die Hochzeit. Lupius. Rickenbach. Also echt wahr, der Mann hat sie doch nicht mehr alle! Er hat Travingo sogar gedroht, dass er sich von mir fern halten soll. Pfff... Scheiße, Wunnemar, ich hoffe, DU denkst nicht auch so.“

Als sie geendet hatte schien ein Stein von ihr gefallen, denn sie wirkte irgendwie ruhiger. Trotz der Aufregung geerdet. Weil einige ihrer Gedanken, die sie bislang mit sich selbst ausmachen musste, ausgesprochen waren.

Lange beobachtete Wunnemar die Rittersfrau nach dieser Offenbarung. Seine Miene verriet indes nichts von dem was dabei in ihm vorging, oder worüber er nachdachte.

Schließlich malten seine Wangenknochen und er nickte bedeutsam. “Ira, mal angenommen deine Gefühle trügen dich nicht und das, was in dir vorgeht, ist keine trügerische Leidenschaft, geweckt in einem der bedeutendsten Tempel der Schönen Göttin der bekannten Welt. Nehmen wir einmal an, es ist so, dann, aber auch nur dann….” Der Baronet brach ab, schloss kurz die Augen und seufzte schwer.

Als er wieder einsetzte sprach er schneller als zuvor, weniger aufgeklärt, als stehe er über den Dingen. Nein, es war Ira als beschäftigen ihn diese Dinge sehr wohl. “Wenn du ihn liebst und er dich, dann solltet ihr ausloten, ob es für euch eine gemeinsame Zukunft gibt, vielleicht hier in seiner Heimat. Ich stelle die Wege der gütigen Göttin und damit der Liebe über die Standesordnung des Götterfürsten. Seit euch aber aller Konsequenzen bewusst, wie ich es war, als ich Talina zur Frau nahm.” Mahnend erhob er beide Augenbrauen.

“Mein Vater nahm meine Mutter gegen den Rat der Familienältesten des Hauses Nadoret zur Frau und zog sich damit mutwillig deren Unmut auf sich. Doch er hat es nie bereut, denn Travia schenkte ihnen ihre Liebe.”

Einige Herzschläge schwiegen sie sich nach dieser Flut an ehrlichen Worten an, denn Ira brauchte einen Moment, um sich den Vorschlag – oder war es ein Ratschlag? – Wunnemars noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. War das wirklich sein Ernst? Riet er ihr wirklich, mit dem Rizzi ein gemeinsames Leben hier im Horasiat zu beginnen, er, der ihr vor ihrer Verlobung mit Lupius imaginäre Tempelgänse auf den Hals gehetzt hatte, nur, weil sie sich von Travingo hatte hofieren lassen? So ganz mochte sie es nicht glauben, war doch das, was er eben sagte, gar nicht passend zu den Tönen, die der Baronet sonst anschlug. Dermaßen verwundert, nicht eine traviagefällige Belehrung zu hören, war die sonst so wortgewandte Ritterin sprachlos.

Der Baronet unterbrach das Schweigen und lachte kurz auf. „Habe ich es tatsächlich geschafft, dass dir die Worte ausgehen?” Wunnemar grinste weiter, sah dann aber wieder ins Feuer.

“Das Leben stellt uns vor Entscheidungen, die wir nicht bereit sind zu treffen Ira. Richtig oder falsch ist einzig abhängig vom Blickwinkel. Es gibt kein schwarz und weiß. Von wirklicher Bedeutung ist nur, dass DU mit deiner Wahl Leben kannst. DU lebst DEIN Leben und niemand anderes. Doch egal wie du dich entscheidest Ira. Ich bin und bleibe dein Freund.”

„Du verurteilst mich also nicht?“ Ihre Frage klang etwas verwundert, ob dieser Erkenntnis. „Wunnemar, du weißt, dass ich bedingungslos zu meinem Wort stehe, wenn ich jemandem eines gebe, so wie Hagrians Bruder. Ich kann und werde es nicht brechen. Was ich will ist zweitrangig. Das heißt, ja, diese Hochzeit wird stattfinden, auch wenn ich nicht weiß, ob ich mit dieser Entscheidung leben kann – Denn mir ist keine Herrin Alverans so nah wie die Ewig-Liebreizende und ich mag es sehr, nein, lass es mich so ausdrücken: ihr mit Travingo zu dienen ist mehr als bloße… Befriedigung. Weißt du, wir… wir passen einfach so verdammt gut zueinander, was das angeht. Ich meine, nicht nur das Körperliche.“ Sie errötete schamhaft. Begeistert fuhr sie fort. „Als wir gemeinsam in IHREM Tempel waren, hab ich sie gespürt, Wunnemar! Stell dir vor, SIE war in uns, erfüllte nicht nur unsere Körper, sondern auch unsere Herzen, ach, Scheiße, und ja, wenn ich den Rizzi vor dem Antrag des Schellenbergs kennengelernt hätte, hätte ich vermutlich genau das gemacht, was du eben vorgeschlagen hast.“ Wieder seufzte sie, ihr eigenes Schicksal bedauernd. Aber annehmend. Ihr Blick folgte seinem zu den goldgelben Flammen, die in warmem Schein tänzelten. Ein unstetes Flackern und Knistern. Genauso unstet schlug ihr Herz, wenn sie in sich hinein hörte. „Ich weiß nicht genau, ob ich ihn...liebe. Das wäre vielleicht zu viel gesagt. Ich fühle mich mit ihm, hm,… verbunden… ihm sehr nahe… Mein Herz glüht in seiner Gegenwart… Es ist wie damals mit Hagrian… und doch ganz anders!…. Dir kann ich das ja sagen. Jost hingegen würde mir eine Ohrfeige verpassen, wenn er wüsste, wie ich empfinde. Aber Travingo ist viel mehr als Jost Ahnung hat. Er ist ein hitzköpfiger Frauenheld, ja, aber das ist nur eine Seite an ihm. Er kann auch ernsthaft sein, ein wahrer Edelmann sein. Er ist ein sehr tiefschichtiger Mensch, weißt du, gebildet, aufregend tiefsinnig, erfrischend humorvoll, noch dazu aus gutem Haus, jemand, der eben auch schon einiges im Leben mitgemacht hat.“ Sie dachte an die Sache mit dem Meucheltod von Travingos Mutter. Hatte sie bis eben nur neben ihrem Freund gesessen und ins Feuer gestarrt, drehte Ira jetzt Wunnemar den Kopf wieder zu. Ehrliche Zuneigung für den Rizzi ließ sie warmherzig lächeln. Im nächsten Augenblick sank sie neben dem Baronet nieder und bettete ihr Haupt auf den Brustkorb des Ritters. „Travingos Freundschaft bedeutet mir sehr viel, Wunnemar, aber ich bin kein Träumer. Ich kenne meine Pflichten! Daher nehm ich den einen und muss den anderen, … gehen lassen…“ Sie nahm an, dass er verstand. „Ich wünschte nur, Jost würde das ebenso sehen.“ Seufzend schloss sie die Augen und klammerte sich etwas enger an ihren Bundbruder. „Ach scheiße… Wunnemar… tut mir leid, dass du das alles anhören musst. Aber danke. Danke, dass du es tust. Du bist wirklich ein Freund."

Wunnemar, der sich zwischenzeitlich etwas verkrampft hatte, als Ira sich ihm auf derartig geschwisterliche Weise nahe gerückt war, atmete alsbald wieder ruhig und gleichmäßig. Das stetige auf und ab seines Brustkorbs sorgte auch dafür, dass die junge Ritterin sich langsam beruhigte, dass das innere Aufgewühltsein abklang.

"Ich verurteile niemanden, der versucht, auf sein Herz zu hören, Ira", setzte der Baronet zu einer Erwiderung an. "Was ich hingegen tadele sind Arrangements, die weder von Kopf noch Herz gelenkt sind. Da ich nun aber weiß, das dieser Horasier und du euch nicht nur körperlich nahe steht, wirst du keine diesbezügliche Bemerkung mehr von mir hören, versprochen…. Aber Ira, versprich mir eines bitte." Er machte eine lange, bedeutungsschwere Pause, in der Ira gespannt den Kopf hob.

"Keine auch nur angedeuteten Berichte aus dem Rahja-Tempel mehr." Wunnemar lachte.

Die Plötzbogen brauchte kurz einen Moment, bevor sie begriff, warum er lachte. „Hä, was für…? Oh! Ach so. Äh. Ja. Tut mir leid.“ Murmelte sie schuldbewusst, während ihr Kopf wieder auf Wunnemars Brust niedersank.

Eine kleine Weile harrten sie so aus und Ira genoss die Nähe des Anderen. Wirklich schlafen konnte sie nicht in dieser Haltung. Wollte sie aber auch nicht. „Wunnemar?“ durchbrach sie irgendwann die einschläfernde Stille, was zeigte, dass sie immer noch die ganze Zeit über grübelte.

Sie wartete sein Grunzen ab. „Meinst du, ich soll den Rest der Nacht mit ihm verbringen? Ich finde, es ist doch eigentlich wurstegal, in welchem Bett ich noch ein wenig ausruhe. Ich muss in ein paar Stunden eh aufstehen, und dann nach Paradiesela rüberfahren, wo mich der Geweihte wegen der Sache mit der Narbe erwartet. Ich brauche nur jemanden, der…. hm… alsooo… naja…“ Druckste sie herum und erhob sich von seinem Brustkorb, um ihn anzusehen. „Könntest du vielleicht?... Oder Quendan?... Du weißt doch, Gise ist so genügsam..."

"Nein Ira." Wunnemars Stimme war plötzlich wieder deutlich härter und sie vermochte allein bei diesen zwei Worten einen gewissen, ihr bekannten Unterton herauszuhören. "Wenn du weißt, das du dein Eheversprechen einhalten wirst, dann erachte ich es für falsch, den Rest der Nacht mit dem Horasier zu verbringen", tadelte er sie. "Fang jetzt damit an die Grenze zu wahren. Je eher desto besser für alle Beteiligten."

Überrascht war der richtige Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie den Kopf von seiner Brust nahm und ihn irritiert ansah. Empört traf es aber auch. „Was? Aber du hast doch vorhin noch gesagt, ich soll—“ Plötzlich hielt sie inne, weil eine Selbsterkenntnis sie erreichte. „Ist das in deinen Augen so ein Arrangement, das weder von Kopf noch Herz gelenkt wird?“ Zitierte sie seine eigenen Worte. „Ich will’s nur verstehen.“

Wunnemar seufzte. "Nein. Das ist etwas anderes." Da war es wieder, das Unverständnis für weibliche Logik. Der Baronet setzte sich ebenfalls auf. Er wollte ihr in die Augen sehen beim folgenden.

"Denkst du nicht, dass es einfacher sein wird die notwendige körperliche Distanz aufzubauen, wenn du jetzt damit anfängst? Dein Traviabund steht kurz bevor...“

„Ja-haa, weiß ich doch.“ Erwiderte Ira genervt. Da war sie wieder die alte Leier.

„…Du solltest gefestigt in deiner Entscheidung sein, Hagrians Bruder zum Manne zu nehmen, wenn der Geweihte vor euch steht. Dies ist einmal ratsam im Sinne des Segens der Göttin und andererseits als zumindest kleine Respektsbekundung für den Mann, den du in Zukunft an deiner Seite hast. Er ist in gewisser Weise der Leittragende der Situation. Du willst ihm doch kein Unrecht tun, oder? Sich für ihn entschieden zu haben und dennoch die Nacht mit einem anderen zu verbringen ist nichts anderes, Ira."

Gefestigt sein, Respektsbekundung, Leidtragender, Unrecht,…. Redeten sie eigentlich noch vom gleichen Thema? Ira war sich sicher, dass es so war, aber sie fragte sich gerade, ob sie darüber hinaus etwas wichtiges verpasst hatte, nämlich den Zeitpunkt, ab dem aus dem herrlich verständnisvollen Freund ein giftiger Priester geworden war. Die Hände empört in die Seiten gestemmt, musste sie über die Komik der Situation dann allerdings doch lachen. Oh Wunnemar, wenn Talina dich so einen Stuss reden hören können würde…. Kopfschüttelnd suchte sie dabei den einsichtigen Freund in ihm, der ihr eben noch geraten hatte, auf ihr Herz zu hören.

„Warum sollte ich Lupius denn ein Unrecht tun, wenn ich mich mit Travingo treffe? Denkst du etwa, mein ach so toller Verlobter lebt meinetwegen enthaltsam? Pff, der doch nicht. Wir sind verlobt, Wunnemar! Das heißt nicht, dass wir uns füreinander… aufsparen. Uargh. Wär ja noch schöner. Ich heirate ihn ja nicht, weil ich mit ihm ins Bett will. Es reicht völlig aus, dass uns nach der Hochzeit der Eid im Nacken sitzt, das muss nicht auch schon vorher so sein, also nein, mein Freund, mit mangelndem Respekt hat das gar nichts zu tun. Und der arme, arme Leidtragende ist Lupius auch nicht – die Hochzeit war nämlich seine Idee!“

Mit diesen Worten stand die Ritterin auf und klopfte sich die Erde von der Hose. Im Grunde hatten sie Wunnemars Worte nur noch einmal bestärkt. „So lieb ich dich habe, Tälerorter, als Freund, als Bruder, aber manchmal ist meine Welt echt nicht die deine.“ Sie schien das eher zu amüsieren, denn immernoch lachte sie ihn an. „Grüß mir Talina. Bis später, Wunnemar.“ Dann machte sie sich in die fortgeschrittene Nacht davon – wissend, dass der Rizzi ihretwegen heute nicht im Hotel, sondern nicht weit entfernt im Turnierlager nächtigte.

Wunnemar sah Ira nur kopfschüttelnd hinterher, sie aufhalten zu wollen, um ihr nocheinmal ins Gewissen zu reden, würde ja doch zu keinem anderen Ergebnis führen. Also lehnte er sich alsbald wieder an seinen Sattel und sah zu den Sterne hinauf.