Auf Travias Wegen

Auf Travias Wegen

Der Travia Geweihte Vieskar von Sturmfels-Maurenbrecher trifft in Hlûtharsruh auf den Dienstritter des Barons von Hlûtharswacht Wunnemar Thankmar von Galebfurten. Wunnemar erkennt die tiefe Glaubenskrise, in welcher der Traviageweihte steckt, und versucht, diesem auf dem Weg zurück zur Herrin des Herdfeuers zu helfen.


Ort: Stadt Hlûtharsruh, Baronie Hlutharswacht

Zeit: Frühling 1040 BF

Personen:


Auf Travias Wegen I

Der Baronet von Tälerort kam häufig herunter ins Tal nach Hhlûtarsruh. Diesmal hatte er seinen Schild beim Zwergen Grax, Sohn des Graxim ausbessern lassen, welcher weithin als meisterlicher Plättner galt und war hinterher wie stets im Praios- Tempel vor dem Schrein der gütigen Mutter Travia in stillem Gebet vertieft gewesen. Da er im Anschluss noch etwas Zeit hatte bis die Nacht hereinbrechen würde und er hungrig war, kehrte er in das größte Gasthaus der Stadt, dem Waldschrat ein.

In der großen, urigen Stube des Waldschrats war es bereits gut gefüllt. Am Stammtisch saßen die Tempelvorsteherin des Praiostempels, die Ritterin Thalina und einige Zwerge beisammen und spielten Karten. An anderen Tischen aßen sowohl einige Reisende als auch Bürger der Stadt einen guten, deftigen Eintopf und ließen es sich gut gehen. Mehrere Dienstmägde und Burschen liefen hin und her und brachten Krüge vom hiesigen Bier, dunkeln schäumend, an die Tische.
An einem dieser Tische saß ein Kopf. Zumindest lag dieser auf dem Tisch, eine orangefarbene Haube bedeckte die Haare und dahinter hing noch ein recht beleibter, rundlicher Körper, gekleidet in ebensolches orange, auf dem Stuhl. Eine leere Schüssel Eintopf und wohl nicht das einzige Bier an diesem Nachmittag stand vor ihm. Mit einer Hand bedeckte er eine Art Malerei. Mit Kohle war das Gesicht einer Frau auf ein Pergamentblatt gemalt.
Der Mann, wohl ein Traviageweihter, fing viele mitleidigen, aber auch verständnislose oder gar erboste Blicke der Gäste ein. Doch dies kümmerte ihn wenig in seinem Schlaf.

Wunnemar nahm seine dampfende Schüssel Eintopf und einen großen Humpen Ziegenmilch und ging rüber zu dem Tisch des Klerikers. Mit einem bewusst gesetzten Scheppern setzte er beides vor sich ab, bevor er sich ihm gegenübersetzte.

Während er dasaß und aß viel sein Blick wiederholt auf das Stück Papyrus. Als er aufgegessen hatte lehnte er sich vor und zog das Blatt unter der Hand des Schlafenden hervor um es zu betrachten.

Das Scheppern schien den Geweihten kaum zu stören. Er drehte lediglich seinen Kopf von der einen Seite auf die andere und schnarchte weiter.

Als Wunnemar das Bild unter den Händen des Schlafenden hervorgezogen hatte, wurde dieser unruhig und murmelte „Lieska, nein, Achtung, hinter dir… Travia, wieso?“ Er wachte aber immer noch nicht auf.

Die Frau auf dem Bild schien eine weitere Geweihte der Herrin Travia zu zeigen. Dies ließ die gansförmige Fibel an ihrem Hals schließen. Darunter war ein Boronsrad gezeichnet, und ein Datum. 08. Rahja 1039.

Der Baronet wägte kurz ab, entschied sich dann aber kurz entschlossen für den einfachen Weg. Er bestellte mit einem Handzeichen zwei Humpen Ziegenmilch bei einer der Bediensteten und hämmerte dann mit der flachen Hand auf den Tisch. Die leere Schale und der Löffel darin tanzten geräuschvoll auf der massiven Holzplatte. Alle Gäste schwiegen daraufhin kurz und blickten zum hlutharswachter Dienstritter und dem Geweihten herüber. Sein Blick durch die gute Stube des Wirtshauses ließ die Gaffer sich jedoch recht schnell wieder anderen Dingen wie ihren alten Themen widmen.

Verständnislos glotzend und mit einem Sabberfaden im Mund stemmte sich der Geweihte stöhnend vom Tisch hoch in eine nunmehr sitzende Position.

Wunnemar indes lächelte den Kleriker an. “Eure Gnaden, es freut mich euch so munter zu sehen. Macht mir doch die Freude und trinkt einen Humpen mit mir.”

Der Wirt kam irritiert zu ihrem Tisch und stellte die Ziegenmilche ab, nur um sich dann schleunigst wieder hinter seinen Tresen zu verziehen. Ihm schien die ganze Sache nicht ganz geheuer.

„Hmmm wassssislos?“ Noch nicht im Wachsein angekommen blickte Vieskar auf den Krug, der so plötzlich vor ihm aufgetaucht war. Dann hob er den Kopf und sah Wunnemar aus blutig unterlaufenen Augen an. Alkoholschwangerer Atem drang an die Nase es Baronets. Der Geweihte langte nach dem Krug, nahm einen tiefen Schluck. Es dauerte etwas bis dieser den Inhalt erfasste, dann Blickte er vorwurfsvoll den Krug an, ganz so als ob dieser etwas dafür konnte kein Bier zu enthalten.

Ein wenig enttäuscht setzte er den Übeltäter wieder ab und erinnerte sich an den Spender. „Ich trinke gern mit Dir, doch was soll die Milch?“

Wunnemar indes tat einen tiefen Schluck aus seinem eigenen Krug. “Sagt sie euch nicht zu? Ich komme öfters hierher, weil ich sie so schätze.” Er lehnte sich vor und senkte die Stimme.

“Eure Gnaden. Darf ich fragen ob dies hier”, er drehte das Bild zu dem Geweihten und schob es ihm wieder herüber, “der Grund eures Zustandes ist?”

„Mir scheint, ich habe es bisher erfolgreich vermieden, dich zu bemerken.“ Er schnaubte spöttisch und lies seinen Kopf einmal kreisen. „Fast kaum zu glauben, wo das hier doch eigentlich mein Wohnzimmer und immer öfters auch Schlafstube ist.“

Dann lenkte er seinen Blick auf das Bild und legte hastig seine Hände darauf. Ein goldener Ring am Ringfinger des Geweihten fiel Wunnemar dabei ins Auge, schlicht, ohne Edelsteine oder sonstigen Schmuck, und daher irgendwie schlicht und schön.

„Ich weiß zwar nicht, wieso Du mich das fragst, aber nein, nicht sie ist der Grund für, ja, was für einen Zustand meinst Du denn?“

Es klang leidlich ablehnend, wie er so dahin sprach, nicht gewillt, langatmige Gespräche zu führen.

Dann bemerkte er den Speichel an seinem unrasierten, speckigen Kinn und wischte ihn mit dem Ärmel seiner Robe ab.

Wunnemar überging die Frage und wagte einen neuen Gesprächsansatz.

“Eure Gnaden, ich bin in einer Provinz geboren in dem einst der rote Bullenkopf auf Gold dafür stand das Travias Gebote das heiligste waren was das Volk besaß. Darüber hinaus ist die Kirche der gütigen Mutter mir seit dem Verlust meiner Frau und meinem Gelübde in Mendena eine große Stütze gewesen, ebenso wie der Dreischwesternorden und es schmerzt mich einen ihrer Diener so zu sehen.”

Er ließ dem Mann Gelegenheit das gesagte zu verdauen bevor er weitersprach. Seine Tonlage war ohne Spott, aber auch ohne Mitleid. Nein, es war aufrichtiges Interesse was in seiner Stimme mitschwang.

“Ich habe noch Zeit bis ich den Ritt hinauf nach Hlutharswacht antreten muss. Also lasst mich hören was euch quält.”

Voller Grimm funkelten Vieskars Augen bei den Worten des jungen Ritters. „Ah, Deine Frau hat sie also in Mendena geholt? Na, wenigstens durftest Du noch mehr Zeit mit ihr verbringen als ich. Die meine wurde mir schon in Eslamsbrück aus den Armen gerissen. Sie war wohl neidisch auf uns, dass sie unsere Liebsten jetzt schon bei sich haben wollte. Und alles nur dank dieses schwanzwedelnden Herzogs, der einer Kaiserin gefallen will.“

Diesmal war es Wunnemars Faust die auf den Tisch hämmerte. “Wie könnt ihr es wagen so von eurer Göttin zu sprechen? Wenn ihr kein Geweihter wärt würde ich euch jetzt draußen in die Pferdetränke tauchen auf das ihr zur Besinnung kommt.”

Der Baronet stand auf. Mit hochrotem Kopf war er bereits im Begriff sich abzuwenden, offenbar auch um seine Selbstbeherrschung nicht noch weiter auf die Probe zu stellen.

Schwankend erhob sich auch der ziemlich wohlbeleibte Geweihte, watschelte um den Tisch wo er sich vor Wunnemar aufbaute. Von der Körpergröße her musste sich Vieskar nicht vor dem Ritter verstecken, und in den Armen war nicht alles Fett. Die Hände zu Fäusten geballt und in die Hüften gestemmt, fauchte er zurück: „Gerade, weil ich mein Leben ihr geweiht habe, kann ich so über sie reden, Bursche. Ich schenkte ihr meine Kindheit, meine Jugend, meine erste und einzige Liebe, und wie vergolt sie es mir? Sie ließ sie von aufgebrachten Menschen zerreißen die wir eigentlich retten sollten. Tobrier, pah! Aber wenn es nur meine Weihe ist, die Dich zurückhält, nun, das können wir ändern.“ Und er fummelte seine Gansspange von der orangenen, mit Bratensaft und Bier besudelten Robe ab und legte das Zeichen seiner Erzpriesterwürde auf den Tisch. Hernach krempelte er die Ärmel seiner Robe zurück und hob die Fäuste auf Brusthöhe, bereit für eine deftige Prügelei!

Wunnemar blickte kurz gen Himmel. Er fragte sich ernsthaft womit er das nun wieder verdient hatte. Dann blickte er den Geweihten ein wenig resigniert an und schüttelte den Kopf. “Ich werde dieses Haus nicht durch eine Prügelei entehren. Wenn ihr mit raufen wollt, dann ab vor die Tür!”

Während er dem Kleriker an die frische Luft folgte tat er einen weiteren Versuch ihn mit Worten zu erreichen. “Dass was ich auf dem Weg nach Mendena uns später in der Stadt selbst gesehen habe war weit weg vom Einfluss der Zwölf. Es waren viel mehr ihre Widersacher, welche die Menschen in ihren Klauen hielten und sie als Werkzeuge benutzen, das ist meine Überzeugung. Nicht SIE ist für den Tod eurer Frau verantwortlich.

Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern die Menschen der Ostprovinzen auf den richtigen Weg zurückzubringen! Bedenkt wie lange sie unter dem Joch der Dämonenanbeter gestanden haben. Ich weiß das, meine Heimat ist die Rabenmark nahe Altzolls, wo die Schädelpriester herrschten bevor der Mersinger Lucardus von Kemet zur Strecke brachte.

Euer Verlust dauert mich guter Mann, aber ihr seid scheinbar auf einem Weg, der euch in die Hände IHRES Widersachers treibt, wenn ihr solchen Hass auf sie verspürt.

Bitte versucht zu verstehen. Es wird euch nichts bringen euch mit mir zu schlagen. Die Rastlosigkeit wird euch weiterhin plagen, solange ihr euch nicht jemanden anvertraut.

Ich habe meine große Liebe auf ihrem Sterbebett im Lazarett vor den Toren Mendenas geheiratet und ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Seit sie tot ist spüre ich eine Kälte, die sich in meinem Inneren ausbreitet und nur IHR Herdfeuer vermag diese zu vertreiben. Ich kenne die meisten Geweihten Travias von hier bis Angbar, von dort bis nach Havena und zurück nach Elenvina und ich habe meine Trauer mit den meisten von ihnen geteilt. Ich kenne die Gnade die sie mir zuteilwerden lässt. Ihr dürft euch dem nicht verschließen.”

Vieskar, eben noch aggressiv und streitlustig, lies plötzlich die Schultern hängen. Er drehte sich halb von Wunnemar fort und warf einen sehnsüchtigen Blick zum Rittergut seiner Tante. Langsam atmete er hörbar aus, schaute zum Ritter aus Darpatien zurück, Tränen rannen in Strömen seine dicken Wangen herab. „Du fühlst ihre Wärme?“ Er trat einen Schritt auf Wunnemar zu und legte diesem eine Hand auf die Schulter. „In mir ist nur leere, eisige Einsamkeit. Kein Feuer, nur Bier das meinen Schmerz ertränkt.“ Er wandte sich erneut ab und ging in Richtung der Stadtburg derer von Sturmfels-Maurenbrecher. „Richte dem saufenden Hurenbock von Cousin Grüße von mir aus. Und mögest wenigstens Du Trost durch sie erfahren.“

Er wankte durch den Abendnebel, der vom Fluss her wehte, um wieder einmal Vergessen im Schlaf zu finden. Und wenn auch nur für einige Stunden.

Auf Travias Wegen II

Fluchtartig hatte er das Rittergut, nein, den Hexenkessel, zu dem dieser seit dem großen Umzug seines Cousins geworden war, verlassen. Es war wie ein Stich in einen Ameisenhaufen gewesen, der die Familie in Aufruhr versetzt hatte. Bisher galt der Baron da oben und die anderen hier unten. Alle waren damit glücklich und hatten sich eingerichtet und damit arrangiert. Doch das war nun vorbei. Nun saßen die Familien aller drei Kinder des ehrwürdigen [Vater von Ulfried, Opa von Jost] in Hlûtharsruh aufeinander und missfielen sich gegenseitig. Der Baron fand die Kartenspiele seiner Tanten, immerhin eine Praiosgeweihte und der Ritterin der Stadt, verwerflich. Praiadne, eben jene Praiosgeweihte warf ihrem Neffen dessen früheren freizügigen Eskapaden nach Albenhus und damit Scheinheiligkeit vor. Thalina, bisher die erste Ritterin der Stadt, sah sich zurückgesetzt und in ihrer eigenen Wichtigkeit beraubt. Auch fürchtete sie die Entdeckung ihrer langgehegten Affäre mit der Tochter des Schratwirts, von der zwar ihr Mann, nicht jedoch das Familienoberhaupt wissen musste. Zumal dessen neue entdeckte Travfiafrömmigkeit für mehr als erstaunen in der Stadt sorgte. Sogar ein Armenhaus wollte er errichten, wobei der Ort dafür, das neue Schloss Sturmfels-Maurenbrecher, auch wieder für den Vorwurf der Scheinheiligkeit sorgte.

Dem Hexenkessel entzog sich der Baron durch langwährende Reisen zu den verschiedensten Veranstaltungen. Turnier in Belhanka, Kaiserturnier, Allaventurischer Konvent waren zeitraubende Stationen des „Reisenden Baronshofes“, wie er schon beim fleißigen Kartenkloppen im Schrat belästert wurde.

Eigentlich sollte er, als Geweihter der Herrin des Herdfeuers, für Frieden und Zusammenhalt in der Familie sorgen, ganz so, wie es seiner Göttin gefällt. Aber wenn er ehrlich zu sich war, es war ihm Scheißegal ob sie sich in innigen Umarmungen mit wem oder was auch immer ergingen oder sich die Köpfe einschlugen. Gleichgültigkeit hatte sich in Vieskar breit gemacht in diesem Frühjahr 1040. Süffige Regelmäßigkeit bestimmte seinen Tageslauf, der am frühen Abend stets im Vollrausch endete. Seine Tante Thalina hatte es bisher nicht übers Herz gebracht, ihn aus der Burg zu schmeißen, auch wenn sie ihm das schon mehrmals angedroht hatte. Zu sehr fürchtete sie sich davor, die Herrin Travia noch weiter zu erzürnen, würde sie deren rahjagefälliges Treiben mit einer anderen Frau wohl nicht gutheißen. Nun gut, er gestand sich ein das er wirklich nicht im Stall mit den Schlachtrössern hätte kotzen müssen. Aber was hätte er denn machen sollen, wo er den Weg in sein Zimmer nicht gefunden hatte. Seit diesem blöden Umzug des Barons war er in einer kleinen Kammer unterm Dach untergebracht. Wohl aus purer Gehässigkeit hatte Thalina ihm dieses Zimmer gegeben, so dass er ob seiner Fettleibigkeit die Treppen ein jedes Mal verfluchte und sie auch schon einige Male schnell und schmerzhaft kennenlernen musste.

So war er nun wieder einmal auf dem Weg in den Schrat, die Schultern hängend, die Arme baumelnd und kraftlos. Seine Robe war eine wandelnde Speisekarte der letzten Wochen des guten Schratkoches, nur, dass dieser wahrscheinlich auf diese Art von Werbung für seine Künste hätte verzichten können. Ein struppiger, wild gewachsener Vollbart und genauso lange nicht geschnittene, stoppelige Haare samt beginnender Glatze am Hinterkopf vollendeten dieses Bild des Elends. Seine Hände zitterten, als er die Türe des Gasthauses öffnete. Doch Vieskar übersah dieses Zeichen seines Körpers, genauso wie die Übelkeit, das Blut das er zuweilen erbrach und sein laut pochendes Herz. Er wollte es nicht sehen, obwohl er, tief in sich wusste, dass er sich gerade zu Tode soff.

Wunnemar, dessen Platz nun auch unten in Hlutharsruh an der Seite des Barons war, arrangierte sich erst langsam mit der neuen Situation. Der Baronet hatte die Ruhe und Abgeschiedenheit der alten Burg schätzen gelernt und war darüber hinaus schnell ihrem Charme erlegen gewesen.

Eine Tradition jedoch war schnell begründet für Wunnemar in Hlutharsruh, der große Humpen Ziegenmilch nach seinem Wachdienst. Und so fand sich der Baronet auch an diesem Tag im Schrat ein, hängte sein Gürtel samt Schwert über seinen Stuhl am Tresen und machte es sich bequem.

Der Wirt, welcher den wenig gesprächigen Gast mittlerweile gewohnt war, brachte ihm was er wollte ohne aufgefordert worden zu sein. Ein schlichtes, beidseitiges Nicken als Gruß reichte vollkommen aus. Und auch die anderen Gäste hatten sich an den Weißen Witwer mittlerweile gewöhnt und beachteten ihn nicht weiter.

Da er an beschriebenen Tag etwas später dran war als üblich, lief er so auch noch dem Travia- Geweihten über den Weg, an den er eher weniger positive Erinnerungen hatte. Seine Gnaden betrat gerade den Schrat, als Wunnemar seinen Humpen gelehrt hatte und im Begriff war zu gehen.

„Ach, sieh an, der weiße Wittwer.“ Begrüßte der Geweihte den Ritter spöttisch. Er blieb in der Türe stehen, versuchte das Zittern seiner Hände zu verbergen, indem er sie vor dem Bauch faltete.

„Na, hat Dich unser Herr Schönling denn auch auf diese bescheuerte Jungfernfahrt geschickt? Händchenhalten mit dem Herzog? Derweil er sich wahrscheinlich schon mit seiner künftigen Verlobten vergnügt, dieser Hurenbock von einem Cousin.“

Wunnemar seufzte und verdrehte die Augen. Irgendwie hatte er gewusst, dass es so kommen musste. Er wirkte müde und offenkundig wenig streitlustig, als er zu einer Erwiderung ansetzte.

“Spart euch euren Hohn für jemand anderen auf eure Gnaden. Ich bin ich niemand der euch böses will. Ich hatte gehofft ihr habt dies bereits bei unserem ersten Aufeinandertreffen erkannt. Ich hätte euch auch einfach den Arsch versohlen können.” Ein schiefes Grinsen begleitete seinen letzten Satz und verdeutlichte seine ironische Tonlage noch weiter.

Der Baronet stand auf und es für einen Moment so aus, als wolle er ohne ein weiteres Wort gehen. Doch dann hielt er doch inne und wandte sich noch einmal an Vieskar.

“Nein, ich werde nicht mit auf die Fahrt gehen. Aber beantwortet mir auch eine Frage. Wie kommt es eigentlich, dass ihr auf meinen Dienstherren so schlecht zu sprechen seid?”

Vieskar ging am Ritter vorbei zur Theke, wo der Wirt schon vorsorglich ein Maß Bier gezapft und bereitgestellt hat. Diesen hob er an und trank gierig einige tiefe Schlucke, um sich danach den Mund mit seiner Robe abzuwischen. Immerhin hatte er die Höflichkeit, den aufkommenden Rülpser in seine Faust fahren zu lassen und fügte sogar ein „Tschuldigung“ hinzu.

Dann lehnte er sich an die lange und momentan nur spärlich besetzte Theke.

„Ach der Baron.“ Er lachte kurz auf. „Als er klein war haben wir viel Zeit miteinander verbracht, der Hosenscheißer und ich. Dann ging er ins Liebliche Feld um zum Ritter zu werden und kam als blasierter und arroganter Affe zurück. Wenn ich ihn beschimpfe, dann ist es nur halb ernst gemeint. Meistens zumindest. Seine Jahre als Jungritter, die er herumhurend und saufend in Albenhus verbrachte hat mich viel Kraft gekostet. In dieser Zeit war ich mit Lieska schon im Tempel von Albenhus und bereitete mich auf die Erzpriesterwürde vor. Meinen Tempeleltern gefielen die Eskapaden des Baronets mit seinem Freund Sigiswolf natürlich überhaupt nicht und ich musste andauernd Gespräche mit einem renitenten und größenwahnsinnigen Ritter führen. Damals wollte er von Travia nichts hören, und heute plant er sogar ein Armenhaus, immerhin.

Derzeit bin ich allerdings wirklich mies auf ihn zu sprechen, hat er mich doch zu dieser dämlichen Jungfernfahrt verdonnert. Sogar gedroht hat er mir, meine Rechnungen aus dem Schrat nicht mehr begleichen zu wollen.“

Vieskar breitete die Arme aus, als wolle er etwas umfassen und lachte dabei hämisch.

„Dabei sind wir doch eine so glückliche und große Familie, da kann er mich doch nicht einfach verstoßen wollen, oder?“

Wunnemar, der zunächst reserviert zugehört hatte schien nun doch interessiert und lehnte sich seinerseits an den Tresen neben Vieskar und hakte nach.

“Ihr nehmt es ihm wirklich übel, dass er etwas dafür einfordert, dass er eure… Trinkgelage bezahlt? Noch dazu ist diese Aufgabe doch wohl nichts wirklich dramatisches, eine Schiffsfahrt die mehr einer Feier ähneln sollte. Ich denke ihr werdet nicht auf dem trockenen sitzen.” Wunnemar grinste wiederum schief. Setzte jedoch gleich nach.

“Er mag früher ein freizügiges Leben geführt haben, doch Menschen ändern sich mit den Jahren und heute, so wie ich ihn kennengelernt habe ist er ein anderer. Noch dazu möchte ich anmerken, dass ihr mit dem trinken zur Besinnungslosigkeit weder Travia noch Rahja ehrt guter Mann. Dabei gibt es Menschen hier die euren Beistand als Priester benötigen.”

Vorwurfsvoll blickte Vieskar dem Ritter ins Gesicht. „Natürlich nehme ich es ihm übel. Wozu hat man denn sonst Familie, wenn sie nicht auch einmal für einen die Bierrechnung begleicht? Und die paar Silber machen den Herrn Baron nun wirklich nicht arm. Und ich werfe ihm vor, mich aus meinem gemütlichen Trott herauszureißen! Ich will nicht unter Menschen, will nicht auf einer fröhlichen Feier gute Miene machen müssen, das geht schief, seht mich doch an!“

Zumindest so viel Selbstreflektion schien der Geweihte der Travia noch zu beherrschen um sich, in seinem derzeitigen Zustand, auf ein feierndes Flussschiff voller Hochadeliger zu versetzen.

Dennoch schüttelte Wunnemar fast schon Mitleidig den Kopf über die Ansichten des Geweihten. Dieser jedoch ließ sich nicht beirren und fuhr fort.

„Und ich will auch gar nicht irgendeine Göttin oder Gott ehren. Ich sagte es Dir doch schon, ich ehrte sie für so viele Jahre, und gebracht hat es nichts, im Gegenteil. Also komm mir nicht mit Travia, die ist nicht hier. Nicht mehr.“ Fügte er traurig hinzu und leerte seinen ersten Humpen.

“Warum tragt er dann noch eure Robe, wenn ihr so denkt?”

Traurige, blutunterlaufene Augen blickten lange in die Wunnemars. Trauer, Verlust, Verzweiflung und jede Menge Alkohol erzählten eine Geschichte, die oft an einem Seil oder einem tiefen Fluss endete. Leise antwortete Vieskar schließlich: „Ich weiß es nicht“

Überzeugt und energisch kam die Erwiderung des Baronets, als habe er diese Antwort erwartet.

“Aber ich. Ihr legt sie nicht ab weil ihr SIE ebenso wenig aufgegeben habt wie SIE euch. Ihr durchlebt eine Glaubenskrise, doch habt ihr mitnichten kapituliert.

Habt ihr einmal darüber nachgedacht seelischen Beistand eines Glaubensbruders zu erbeten?”

Gedankenverloren spielte Vieskar mit seinem Ehering, drehte ihn am Finger während erneut Tränen über die dreckigen, unrasierten Wangen kullerten. „Ich war seit dem Begräbnis meiner Frau nicht mehr in meinem Tempel. Ich kann diesen Ort nicht betreten ohne an sie zu denken. Und andere Geweihte gäbe es zwar genug, allerdings hatte meine liebreizende Mutter Praiadne nur wenig Verständnis für mich in ihrem kaltenh, goldenen Herz. Ich kann es ihr nicht verübeln, hat die doch selbst letzten Winter ihren Mann, meinen Vater Branjan verloren. “Vieskar blickte auf, besah sich Wunnemar, scheinbar das erste Mal direkt und ohne seine polternde Angriffslust im Gesicht. „Ich weiß nicht warum Du Dich für mich interessierst, aber danke.“

Wunnemar lächelte.

“Weil Zweifel etwas Menschliches ist und es ein Dienst an der Göttin ist einen jeden Menschen, insbesondere einen ihrer Diener zurück an ihr Herdfeuer zu geleiten.

Kommt. Wir werden euch waschen, rasieren, etwas Sauberes anziehen und dann gehen wir gemeinsam beten.”

Nicht minder traurig und nachdenklich, zeitweilig auch abwesend, ließ sich Vieskar von Wunnemar zu seinem Zimmer in der Stadtburg derer von Sturmfels-Maurenbrecher begleiten – nicht jedoch ohne noch sein Maß Bier zu leeren, Frühstück musste sein!
Auf dem Weg ins oberste Stockwerk kamen den beiden ungleichen Männern viele Dienstmägde- und Männer entgegen, die zu weil höflich grüßten und doch neugierig schauten während sie frische Wäsche, Getränke oder Staubwedel trugen.
Aus der Küche drangen leckere Gerüche herauf, und die lauten rufe Alvins, der zur Ordnung rief und zur Eile mahnte, waren seit dem Umzug noch lauter geworden.
Vieskars Zimmerchen unter dem Dach war eine brütend heiße, stinkende und unaufgeräumte Kammer. Viele Briefe und Bilder lagen auf einem kleinen Tisch herum. Sie wirkten wie tausendmal gelesen und betrachtet und glichen einem Fenster in eine andere Zeit.
Eine fast leere Wasserschüssel stand auf dem Boden. Aber wenigstens der Nachttopf war geleert und gesäubert, immerhin. Der dickliche Geweihte ließ sich auf seinem Bett nieder, das protestierend knarrte, und blickte aus seinen braunen Augen recht ratlos zu Wunnemar auf.

Dieser klatschte energisch und voller Tatendrang in die Hände.

“Aller Anfang ist schwer. Wartet einfach hier, ich hole Wasser, Rasierzeug und saubere Kleidung für euch.”

Gesagt, getan. Der Baronet wartete keine Antwort ab, sondern marschierte los.

Als er kurz darauf zurückkam hatte er besagte Dinge und Utensilien dabei und half Vieskar sich vorzeigbar herzurichten. Dabei versuchte Wunnemar den Geweihten mental auf den bevorstehenden Besuch im Tempel und das Gebet vorzubereiten, wusste er doch welch dunkler Schatten über seinem Glauben lag.

“Sagt mir Vieskar, wie ist es dazu gekommen, dass ihr die Weihe empfangen habt? Warum gerade Travia, gab es ein Schlüsselereignis?”

Während der Prozedur, die Vieskar zu einem Bestimmten Grad als peinlich befand – welcher erwachsene Mann musste sich denn schon so herrichten lassen? – spürte er Angst vor dem bevorstehenden Besuch im Praiostempel, und speziell, dem Schrein seiner Göttin in sich wachsen. Würde SIE ihn abweisen? Der Schrein zerbersten? Oder sogar gleich Praios Bannstrahl ihn zerschmettern?

Die Frage Wunnemars lenkte ihn dann doch wunderbar von dem nagenden und bohrenden Monster in seinem Bauch ab, so dass er dann schnell antwortete:

„Ich bin als Kind zweier Praiosgeweihter aufgewachsen. Branjan und Praiadne integrierten mich seit meiner Geburt in die Abläufe und die Welt des Herrn Praios und des Tempels. Mein Vater nahm mich mit auf seine Rundreise in die Bergdörfer und Höfe, meine Mutter hatte mich Praiostags bei sich während den Götterdiensten im Tempel. Es war ohne Frage, dass meine Initiation dann auch in die Kirche des Herrn des Lichts geschehen sollte. Ich wurde also 12 Jahre, meine Eltern richteten einen wundervollen Gottesdienst aus, die Familie war da und freute sich auf einen herrlichen Feiertag. Sogar der alte Baron war von seiner Burg mitsamt Rittersleuten und Gefolge herabgekommen, was ja eine kleine Sensation für sich darstellte. Normalerweise sah man von Ulfried ja nicht so viel im Jahreslauf.

Tja, und als dann mein Vater die Initiation wirkte, war die Verwunderung groß! Er verkündete, dass es nicht der Herr Praios war, für den meine Weihe erfolgen sollte. Denn es war allen klar, dass ich, als Sohn zweier Geweihter, ebenfalls ein Diener der Götter werden sollte. Und alle hatten auch erwartet das ich, als einziges Kind meiner Eltern, in ihre Fußstapfen treten sollte.

Mein Vater verkündete dann aber, dass die Herrin Travia meine Seele gezeichnet hatte. Lange witzelte mein Papa später darüber, er habe den Gänsebraten schon in mir gesehen, bevor meine Wampe sich füllte und füllte.“ Hier lachte Vieskar dann und klopfte sich auf den beachtlichen Bauch, wobei es ob des Todes seines Vaters im letzten Winter ein trauriges Lachen war.

„Tja, das Fest war dennoch ein schönes, sofern ich mich daran erinnern kann. Der Altbaron Ulfried gab mir Bier zu trinken und freute sich, als ich es nicht vertrug und kotzen musste. Das brachte natürlich seinen jüngeren Bruder und auch Thalina, seine Schwester gegen ihn auf die sich um das Ansehen der Familie in der Stadt sorgte. Sie sorgt sich andauernd musst Du wissen, um alles und jeden, dabei ist sie es selbst die eine, sagen wir es so, besondere Freundin hat. Du verstehst?

Tja, einige Tage später reiste wir drei nach Albenhus und sprachen beim Hohen Vater und der Hohen Mutter vor. Sie stimmten dann auch nach einem langen Gespräch mit mir zu, mich ins Noviziat aufzunehmen.“

Bei dieser Erinnerung leuchteten Vieskars braune Augen, und er begann, wohl unbewusst, zu weinen.

„Es sollte noch ein Mädchen mit mir das Noviziat beginnen, weißt Du. Ich lernte sie an meinem ersten Tag im Tempel kennen. Ein Mädel, dunkle Haare und lachende Augen, die ersten Anzeichen von Weiblichkeit schon zaghaft sichtbar. Ich sah sie als meine Eltern mich in den Traviatempel führten, und wusste, diese eine werde ich mal heiraten. Es traf mich, und, so sagte mir meine Lieska später, sie auch als sie mich zum ersten Mal sah.“

Vieskars massige Schultern begannen zu beben, als die Trauer ungehemmt aus ihm herausbrach, und er sein Leid laut heulend den Göttern, der Welt und, in diesem Moment, Wunnemar klagte.

Denn seine Weihe, sein Noviziat, war für ihn auf ewig mit seiner ersten und, so hatte er sich geschworen, einzigen Liebe seines Lebens verknüpft.

Für immer.

Der Galebfurtener hörte dem Geweihten aufmerksam zu und verrichtete währenddessen wortlos sein Werk, bis er merkte, dass die Trauer Vieskar übermannte. Als die Tränen dann zu fließen begannen, legte er das Rasiermesser weg, stand nur bei ihm und legte eine Hand auf seine Schultern um ihm Anker zu sein. So harrte Wunnemar aus, bis der Geweihte wieder von seinem Stuhl aus zu ihm aufsah.

“Es ist gut das ihr euch mir anvertraut habt Vieskar. Darüber zu sprechen hat auch mir geholfen. Wir sind uns in einem Punkt sogar recht ähnlich wie mir scheint. Auch ich habe meine Talina erblickt und wusste, dass es nur diese seien könnte, die ich vor Travia zur Frau nehmen würde. Allerdings habe ich sie mühselig überzeugen müssen.” Wunnemars Augen lächelten bei den letzten Worten.

“Vielleicht solltet ihr darüber nachdenken eine Zeit lang in den Osten zu gehen. Der Dreischwestern- Orden sucht ständig tatkräftigen Beistand um die Menschen der befreiten Provinzen wieder auf den richtigen Weg zu bringen. In Tälerort, meiner Heimat sind sie auch präsent und helfen das zerstörte wiederaufzubauen. Ich könnte mir vorstellen das euch solch eine Aufgabe helfen könnte zu Travia und euch selbst zurückzufinden. Überdenkt diese Möglichkeit. Ich könnte mit einem Brief an meine Großmutter die Baronin versuchen alles in die Wege zu leiten.”

Wieder lächelte der Baronet, dann beendete er sein Werk.

“So, ich denke die Leute hier haben euch längere Zeit nicht mehr so gesehen. Jetzt werden wir in den Tempel gehen und gemeinsam vor dem Schrein der gütigen Mutter niederknien. Ich kann euch nicht die Angst nehmen, aber ich versichere Euch, dass Travia auch nicht zurückweisen wird. Lasst mich einfach für euch sprechen.

Ich werde jeden Tag kommen nach meinem Wachdienst. Irgendwann werdet ihr selbst Worte finden und dann werdet ihr den ersten Schritt gegangen sein, den ich imstande bin euch Beistand zu sein.”

„Ich denke nicht, dass ich so bald wieder in die Lande reisen werde, in denen meine Lieska ermordet wurde“ erwiderte der Geweihte mit zitternder Stimme.

Nachdenklich und mit wackelnden Knien ließ er sich von Wunnemar dann in den Praiotempel begleiten. Tatsächlich staunten einige der Burgbewohner nicht schlecht, als sie einen herausgeputzten und sauberen Vieskar an der Seite des stattlichen Ritters mit dem grauen Haar durch die Gänge laufen sahen.

Der Tempel lag nicht weit entfernt und war durch die steinerne Kuppel, die erst vor einigen Jahren in frischem Weißgold getüncht war, schon von weitem gut zu erkennen. Sicherlich hatte dieser kleine Tempel nicht die Größe und den Prunk der Praioshäuser in Elenvina oder Garet, aber er strahlte dennoch die Pracht des Götterfürsten über die beschauliche kleine Stadt Hlûtharsruh.

Der Tempel bestand aus einem runden Zentralbau mit je einem flachen Anbau in allen vier Himmelsrichtungen. Durch das große, von Hohen Drachen bewachte Eingangsportal ging es direkt in den Tempelrund und das Heiligtum. Zu dieser Zeit waren nur wenige Gläubige anwesend. Unter dem neugierigem Blick Hochwürden Praiadnes, der Mutter von Vieskar, gingen die beiden Traviagläubigen zum Schrein der Hüterin des Herdfeuers. Als solches war dieser auch gestaltet: Eine zum Heiligtum offene Feuerstelle befand sich an einer Seite des Tempelinnern. Die Ziegel des Kamins waren mit Symbolen der Familie, der heiligen Gänseschar und der Heiligen der Kirche geschmückt. Ein kleines Feuer glomm vor sich hin, doch der Topfhaken, den man herausnehmen konnte, war leer. Neben dem Herdfeuer stand der große Topf, leicht staubig und wohl lange unbenutzt, und auch das kleine Tischchen, das zur Zubereitung von Speisen dienen sollte und über dem allerlei Küchenutensil hingen, war verwaist.

Vorsichtig und zurückhaltend kniete sich Vieskar schließlich vor dem Herdfeuer nieder. Er hatte versucht, alle Gedanken und Ängste beiseite zu drängen und lauschte Wunnemars Worten.

Der Baronet nahm sich die Zeit die er immer benötigte, um sich im Geiste auf die Zwiesprache mit der Göttin des Herdfeuers vorzubereiten. Erst als er sicher war im Gleichgewicht zu sein erhob er das Wort.

“Gütige Mutter. Ruhe und Geborgenheit erfahre ich in deinem Haus und dies spüre ich in meinem Innersten. Hab Dank für deine Gaben die mir, wie auch in dunkelster Stunde nie verwehrt geblieben sind. Da wo du bist, dein Feuer brennt und ich mein Haupt bette ist Zuhause!”

Wunnemar warf einen Seitenblick auf Vieskar und lächelte. Deutlich konnte der Geweihte sehen wie sehr der grauhaarige Ritter von der Bedeutung seinen Worten durchdrungen war.

“Heute komme ich nicht alleine um zu dir zu beten oh Travia. Heute ist ein Freund an meiner Seite der wie ich im dunklen Osten gestritten hat und seine große Liebe verloren hat.”

Wunnemar legte eine Hand auf den Unterarm Vieskars neben sich und ließ ihn seine Nähe, seinen Beistand spüren.

“Mutter ich weiß das du ihn, deinen Diener nicht aufgegeben hast und ich spüre dein Wesen und Wirken noch immer in ihm. Doch er zweifelt, an allem. Er ist rastlos im Inneren und braucht deine Anleitung wieder an das schützende Herdfeuer zurückzufinden.

Bitte schenke auch ihm deine Gnade, so wie du sie mir jeden Tag zuteilwerden lässt.”

Wunnemar griff sich an seine Kette, holte den Anhänger mit den nebeneinander fliegenden Gänsen hervor und küsste ihn zärtlich.

“Bewahre meine Talina an deiner Tafel, an deinem wärmenden Feuer. So behüte auch die Seele Lieskas in deiner allumfassenden Güte. Schenke ihnen Ruhe und Geduld bis auch ihre Männer in dein Paradies einfahren werden, um mit ihnen in Liebe wieder vereint zu sein.”

Neid zuckte in Vieskar auf, als er das unermessliche Vertrauen und die Geborgenheit erkannte, die Wunnemar in die Herrin des Herdfeuers setzte und durch sie erfuhr. Es war lange her, dass er hier war und ähnliche Gefühle haben durfte. Auch schämte er sich, den Schrein nicht besser gepflegt und betreut zu haben. Zwar schien seine Mutter nach wie vor das Feuer am Leben zu erhalten, aber das wäre doch eigentlich seine Aufgabe gewesen. Und er hatte auch das vermasselt, den großen Kochtopf einstauben und unbenutzt gelassen und damit sicherlich das Ansehen der Göttin Travia hier in Hlûtharsruh beschädigt. Was würden die Menschen hier und seine Mutter vor allem von ihm halten? Ein unwürdiger Tropf war er, und besser er ersäufte sich gleich im Großen Fluss.

Doch dann betete Wunnemar auch für die Seele seiner Lieska, und das Bild seiner geliebten Ehefrau stieg in ihm auf, blickte ihn an und lächelte, voller Verständnis und Liebe. Sie verdrängte die hässlichen Gedanken, den bohrenden Selbstzweifel und die nagenden Vorwürfe. Sie würde auf ihn warten, versprach dieses Bild, und für einen kleinen Moment, so kostbar wie der erste Atemzug, der erste Kuss und die erste Erfüllung in rahjanischer Freude, spürte er die Wärme des Herdfeuers, den Segen der Herrin der Familie, in seiner Brust glimmen. So sachte und klein, ähnlich dem vernachlässigten Herdfeuer vor ihnen, glomm die Gewissheit, nicht verstoßen zu sein, wie ein kleiner Funken in ihm.

Und doch, gleichwohl er das Wirken seiner Göttin in sich fühlte, war dieser Funken nur ein winziges Flämmchen in einer unermesslich großen Hölle aus kalter Einsamkeit und alles erstickender Trauer. Was nützte ihm das Versprechen, seine Lieska im Tod wiederzufinden, wenn sie ihm jetzt, im Leben, so unermesslich fehlte? Wenn sein Herz stetig kalt und kälter wurde? SIE hatte es zugelassen, hatte sie ihm entrissen und ihn allein zurückgelassen. Wie konnte er sie preisen und loben? Zwar spürte er IHRE Vergebung in sich, doch konnte er IHR nicht vergeben.

Wunnemar erkannte die innere Zerrissenheit, die Vieskar erlebte. Er sah den einen kurzen Moment der Erkenntnis, als der Geweihte den Funken Travias in sich erfühlte. Er bemerkte die Tränen, die Verzückung, die Liebe die Vieskar spürte, als er seine Frau erblickte.

Doch dann sah er auch die Bitterkeit und den Zorn. Die Enttäuschung über die Einsamkeit. Vieskars Hände begannen erneut zu zittern als würgende Wut die Tränen der Liebe aus den braunen Augen des Geweihten verbannten.

Es reichte fürs erste. Trotz der Tatsache, dass den Geweihten am Ende wiederum negative Gefühle überwältigt hatten, war es richtig gewesen in den Tempel zu kommen. Das zaghafte Feuer des Herdfeuers war erneut in Vieskar geweckt worden, das hatte Wunnemar gesehen, er hatte es spüren können. Nun galt es jedoch den verletzlichen Funken zu nähren und wieder zu einer Flamme werden zu lassen, sonst wäre möglicherweise alles umsonst gewesen.

Der kräftige Arm des Baronets legte sich um die Schultern des Geweihten, brachten ihn zurück auf die Beine und führten ihn mit sanfter, aber bestimmter Hand wieder nach draußen.

Der erste Schritt war getan, doch noch zeigte sich dem Zweifelnden kein eindeutiger Weg. Es würde eine harte, entbehrungsreiche Zeit voller Rückschläge werden, doch Wunnemar war entschlossen Vieskar eine Stütze zu sein und ihn anzuleiten den Weg zu finden, wenn er ihn ließ.