Arrangement Zwischen Haeusern

Ein Arrangement zwischen zwei Häusern

von: Catrin, Chris, Tanja und Stefan

Ende Firun 1040: Drachenwacht, Hlutharswacht, Baronie Hlutharswacht

Nach Nales überstürzter Abreise, vielleicht auch schon früher, womöglich auch durch den Brief seiner Mutter, war Jost Verian von Sturmfels-Maurenbrecher klargeworden, dass eine Hochzeit mit Odelia von Keyserring die beste Option darstellte. Für sein Haus, seine Baronie und vielleicht auch für ihn persönlich.

Aber er wollte nicht einfach einen Boten senden. So wäre der Tatsache zwei Häuser des Hochadels zu verbinden, keine angemessene Würdigung zuteilgeworden. Daher hatte er beschlossen, seine zukünftige Verlobte persönlich nach Hause zu geleiten.

Ohnehin würde er mit seinen treuen Rittern am Turnier in Belhanka teilnehmen. Und lag es da nicht nahe seinen zukünftigen Schwiegervater zuvor formell um die Hand Odelias zu bitten und sie direkt mit in die Stadt der Rosen zu nehmen? Außerdem würde er so ohne größeren Aufwand mit einem starken Gefolge aufschlagen und seine Position und Absicht angemessen verdeutlichen. Immerhin ging es hierbei nicht um einen Höflichkeitsbesuch. Es ging um Politik. Um Heiratspolitik. Und er wollte demonstrieren, dass er es ernst meinte, dass er mächtig war, und dass er ein Bündnis auf Augenhöhe wollte. Keine verschacherte Braut.

Demgemäß brach neben Odelia, Prianna und ihren drei Begleitern auch Jost mit seinem Gefolge auf, um die Gäste in die Heimat zu begleiteten. Zehn Getreue begleiteten den jungen Baron: Aus dem kämpfenden Stand, die drei Ritter Sigiswolf von Flusswacht, Ira von Plötzbogen und Wunnemar von Tälerort-Bienenturm, allesamt Träger des Flusskönigsordens. Unter ihrer Aufsicht zwei Waffenknechte und des Barons junger Knappe Ado von Zweigesang. Zudem hatte Jost auch die Lichtträgerin des Hluthersruher Götterhauses und ihre Novizin- eine Angehörige seines eigenen Hauses- sowie seinen Hofmagus Rhys Gwenlian aufgefordert ihn zu begleiten.

Dem treuen Alwin, dem alten Haushofmeister seines Vaters, wollte der junge Baron die Ehre erweisen, ihn nach Belhanka begleiten zu dürfen. Ein Dank für viele treue Jahre- gute Jahre- und für dessen grenzenlose Loyalität. Der arme Mann hatte allerdings zunächst alles andere als begeistert gewirkt, die Baronie so lange allein zu lassen. Und so hatte er allerlei Argumente angeführt, warum er auf keinen Fall mitreisen könne. Argumente, die Jost freilich allesamt abtat. Die Baronie würde noch stehen, wenn sie wiederkehrten. Und auch der Nachwuchs musste sich schließlich beweisen.

Dass Ira sich bei dem Gedanken erneut nach Obena zu reisen und auf den Baron zu treffen nicht sonderlich wohl fühlte, bemerkte Jost nicht. Er wusste, wie launisch sie manchmal sein konnte und sie hatte ihm nie von den Unhöflichkeiten des Eisensteiners erzählt, die ihr entgegengebracht worden waren als sie dort gewesen war, um Odelia abzuholen.

Odelia selbst war aufgeregt. Ihr Herz hämmerte und sie konnte es immer noch nicht recht fassen. Sie erinnerte sich zurück an den fürchterlichen Jagdausflug, als sie schon ihre Zelte auf Burg Drachenwacht abbrechen wollte. Und jetzt würde sie bald dorthin zurückkehren – als Baronin. An der Seite eines gutaussehenden, vom Herzog persönlich geehrten Ritters. Ihre Schwester wirkte zufrieden. Durch dieses Arrangement konnte sich die Ältere nämlich ein Stück ihrer Freiheit zurückkaufen. Das war zumindest ihre Hoffnung. Aber nicht nur das- beide freuten sich auch zurück zu kehren zu ihren jüngeren Schwestern, die Prianna ohnehin nur ungern zurückgelassen hatte.

Anfang Tsa 1040, buntes Schlößchen, Obena, Baronie Eisenstein

Anfang Tsa erreichte die sechzehnköpfige Gruppe dann nach mehreren anstrengenden Tagen Erdeschmünd, den einzigen Hafen der Baronie Eisenstein. Sie folgten dem kleinen Pfad entlang der Erdesch die felsige Landschaft hinauf und kehrten für eine Nacht in einer Gaststätte ein.

Zur Praiosstunde des folgenden Tages erreichten sie schließlich Obena. Während sich der eisensteiner Ritter verabschiedete und sich Josts Waffenknechte um die Unterbringung der Pferde kümmerten, hatte Alwin sich bereits auf den Weg gemacht, um den Kontakt mit Küche und Personal herzustellen. Aus der verkleinerten Runde empfahl sich dann auch Prianna, die während der Vorbereitungen und der Rückreise zunehmend nervös geworden war und schon von ihren aufgeregten Schwestern in der Halle erwartet wurde.

Jost und seine Würdenträger wurden augenblicklich, nachdem sie sich bei der Wache vorgestellt hatten durch das große Tor geführt und von einem jungen Mann empfangen, der sich als kommisarischer Verweser vorstellte. Er empfing die Gruppe zwar ziemlich unsicher, aber dennoch äußerst höflich und voller Ehrehrbietung und bot die Möglichkeit an, sich nach dem Ritt etwas frisch zu machen, bevor man den Baron träfe. Jost ging allzu gern auf das Angebot ein, hatte er doch ohnehin vorgehabt, sich in angemessener Garderobe zu präsentieren.

Die Gäste wurden darauf von dem jungen, eistensteiner Rittter in einen kleinen, der großen Halle vorgelagerten Raum, geführt. Hier konnte sich der junge Baron dann mit Hilfe Alwins, der in der Küche warmes Wasser, Tücher und Seife beschafft hatte, rasch umkleiden und schnell auch Staub und Schweiß der Reise abwaschen.

Dann erst betrat Jost die große Halle und schritt auf den Baron, seinen zukünftigen Schwiegervater, zu. Bereits der erste Eindruck des Schloßes deutete die Rahjaaffinität des anderen an, denn einige hohe Statuen und kunstvolle Wandteppiche zeugten schon hier von dessen Kunstbegeisterung. Iras Blick wanderte zu dem Hackklotz, der wie bei ihrem letzten Besuch noch immer an gleicher Stelle zentral im Blickfeld der Besucher stand. Sie selber schritt hinter Jost und Odelia her, neben ihr Wunnemar und Siggi. Jost, der Odelias Hand gegriffen hatte, um sie zu ihrem Vater zu geleiten, wurde von seiner Hofkaplanin und Rhys flankiert während Ardo mit dem gehissten Hluterswachter Banner neben der Gruppe herschritt.

Der Baron von Eisenstein seinerseits erwartete, auf seinem Baronsstuhl sitzend, den Einmarsch des anderen. Seine dunklen, stechenden Augen beobachten die Ankunft der Gäste, und sein dunkles Haar, das fast bis hinter seine Ohren zurückgegangen war, rahmten sein immer noch gebräuntes Gesicht ein. Seine blonde Gemahlin mit der blassen Haut und den hellen blauen Augen, kontrastierte seine Erscheinung auffällig. Traurig und fast völlig emotionslos verfolgte diese die Ankunft ihrer Tochter. Sie musste einmal ein ebenso schönes junges Mädchen gewesen sein wie Odelia und trotz ihres Alters hatte sie noch immer eine jugendliche, rein und frische Haut, einen vollen, rot glänzenden Mund und eine atemberaubende Figur. Doch aus ihren Augen drang keine Wärme oder Freude. Es waren die Augen eines gebrochenen Menschen. Neben ihr standen– gerade und aufrecht, zwei Geweihte, gehüllt in die Roben von Erzpriestern. Die Praiosdienerin mochte bereits siebzig Götterläufe hinter sich gelassen haben, während der Rahjani sicherlich vierzig Winter weniger auf den Knochen hatte. Während Praiotrud mit strengem Blick im Gesicht des Ankommenden nach Verfehlungen und Lasterhaftigkeit suchte, lächelte ihm Rahjan freundlich und ohne Arg entgegen.

Auf der Seite des Barons stand sein Verweser und neben diesem die vier weiteren Töchter Rahjodans, von denen keine ihre Abstammung verleugnen konnte, so ähnlich sahen sie dem Baron: Prianna war das jüngere, weibliche Ebenbild ihres Vaters und an sie geschmiegt stand ein etwa sechsjähriges, flachsblondes Kind, die den stechenden Blick des Vaters bereits bestens imitierte. Die beiden anderen Schwestern sahen den Ankommenden interessiert und mit großer Neugierde entgegen.

Als Jost schließlich vor dem Baron angekommen war, verbeugte er sich tief. Tiefer als es die Etikette verlangte, aber nicht so tief, dass er kriecherisch gewirkt hätte. Sein Auftreten, seine Worte, ja sein ganzer Habitus sprachen von Respekt und Ebenbürtigkeit als er verkündete:

„Euer Hochgeboren, diese reizende Tochter aus dem Hause Keyserring führe ich heute heim, um sie in den Schoß ihrer Familie zurück zu geleiten. Eine Familie die so die Götter wollen in Bälde auch die meine sein wird.“

Der Eisensteiner erhob sich nach den Worten. Freudig trat er von dem kleinen Podest hinab. Er hatte sich trotz seines Alters eine geschmeidige und schlanke Figur erhalten. Die im Krieg verlorenen Pfunde waren zwar noch nicht zur Gänze zurückgewonnen, aber er wirkte gesund und agil und roch angenehm nach einem Hauch Seife. Er nahm Odelias Hand entgegen und streckte Jost die andere zum hin. Zu einem Handschlag zwischen Männern. Einer ersten Besiegelung der Worte des Jüngeren. Und einer ungesagten Erwiderung auf dessen Wunsch nach einem Bündnispartner auf Augenhöhe.

Ira, den Baron von Eisenstein so dicht vor sich wissend, war nicht ganz wohl. Sie hatte das dringende Bedürfnis sich zu übergeben. Doch lange musste sie das Gefühl glücklicherweise nicht ertragen, denn Jost bat formell um Gastung, die der Eisensteiner erfreut gewährte. Alles weitere wollte man in den kommenden Tagen besprechen.

Zunächst zog man geschlossen an die große Tafel, die zu einem Mittagsschmaus vorbereitet war. Man hatte leinene mit orangenen Gänsen bestickte Tischdecken daraufgelegt und zwischen den Platten mit dampfenden Köstlichkeiten lagen kleine Ästchen mit Bucheckern. Jost wurde eingeladen am Kopf des Tisches neben seiner zukünftigen Braut Platz zu nehmen, neben ihm der Baron nebst Gattin. Prianna saß neben Odelia, die jüngste Schwester immer noch eng neben sich, während die beiden älteren neben ihrer Mutter Platz genommen hatten.

Es war nur ein winziger Stich, den Prianna spürte. Wäre ihr Vater nicht der Mensch, der er war, und wäre vorallem ihre Mutter nicht so, wie sie nun mal war, könnte sie dort sitzen. Glücklich und zufrieden mit einem Baron- als Erbbaroness einer reichen Baronie. Aber die Götter hatten ihr einen anderen Weg bestimmt. Einen schwierigeren Weg. Sie selbst hatte diesen Weg gewählt, weil Travia ihr alle anderen verschlossen hatte. Der gallige Geschmack der Hader legte sich über ihren Gaumen und über die Platten mit dem köstlichen Küchenzauber hinweg suchte sie Rhys. Andere Wege hatten bei weitem mehr Vorteile, befand sie und genoß die Süße des karameliesierten Fenchel, während sie darüber nachdachte, wie sie ein letztes Stelldichein mit dem Magus arrangieren konnte.

Dieser hatte an der langen Tafel Platz genommen, neben ihm die Tempelvorsteherin aus Hlutherswacht mit ihrer Novizin aus dem Hause Sturmfels-Maurenbrecher, rechts von ihm die drei Dienstritter Josts mit seinem Knappen Ado. Sie alle hatten ihre Orden angesteckt und bemühten sich um Konversation mit der eisensteiner Ritterschaft, die sich auf der anderen Seite der Tafel niedergelassen hatten. Rhys gegenüber saß der junge Ersatz-Verweser, den es kaum interessierte sich mit einem Magus, Kriegsheld hin oder her, zu unterhalten. Zu sehr konzentrierte er sich darauf der Dienerschaft Anweisungen zu geben, was diese durch seine teils widersrüchliche Anweisungen das ein oder andere Mal gehörig durcheinanderbrachte.

Alwin – mit all seiner Erfahrung als langjähriger, höchster Diener seines Barons- hatte das natürlich bemerkt und es sich zur Aufgabe gemacht nicht nur seinen Herrn und dessen Braut zu bedienen, sondern auch durch die ein oder andere Handbewegung ein aufkommendes Gewusel unter den Dienstboten zu verhindern. Und er war stolz, dass er es so tat, dass es niemandem außer dem Personal selbst auffiel.

Und während sich die Praiotinnen angeregt über irgendeinen Fall der herzöglichen Rechtssprechungen aus dem Jahre 1029 unterhielten, suchte Rhajan, der zweite, jüngere Hofkaplan des Eisensteiners das Gespräch mit dem Magiekundigen. Rhajan war ebenfalls viel herumgekommen in Aventurien und so konnten sich die beiden Männer während des Essens angeregt über ihre Reisen und Erlebnisse austauschen.

Das Essen war aus dem üblichen Wintergemüse zusammengestellt worden und es gab neben dem obligatorischen Hühnerfleisch auch einige gut gegarte Wildgerichte. Keine seltene Mahlzeit im bunten Schlößchen wie Jost erfuhr - war der Baron von Keyserring doch ein passionierter Jäger. Es gab wenige klassische Gerichte, einige waren offensichtlich mit mehrtägigem Aufwand zubereitet und fast alle hatten durch die Kombination seltener Kräuter und Gewürze einen besonderen provinziellen Pfiff. Und so winkte Jost Alwin zum Ende der Mahlzeit zu sich, um ihn wissen zu lassen, eben jene Rezepte von der experimentierfreudigen Köchin für die heimische Küche zu erbitten.

Während des Essens hatte er sich in seichter Unterhaltung mit Rahjodan von Keyserring geübt, die ein oder andere Jagdanektote des Barons angehört, aber dessen Einladung zur Jagd auf das Frühjahr verschieben müssen. Jost berichtete von seinen Plänen nach Belhanka zu reisen und sprach in diesem Rahmen bereits vorsichtig an, dass er Odelia gerne zu dieser Reise einladen würde. Besonders interessant für den jüngeren Baron war allerdings, dass sein zukünftiger Schwiegervater dieses Schloß selbst hatte bauen lassen und ihm einiges dazu erzählen konnte. Die Zeit eines Essens reichte nicht dazu aus und so vertagten sich die Männer auf weitere Gespräche in intimeren Rahmen. Dort würde man auch die Bedingungen der Eheschließung verhandeln.

Nach dem Essen wurden die Gäste auf ihre Zimmer geführt und ihnen die Möglichkeit gegeben nach der anstrengenden Reise bis zum Abendmahl zu ruhen. Nur Wunnemar wurde bereits am späten Nachmittag von Jost zu sich gerufen, um ihn und den Baron von Eisenstein zu einer kleinen Schloßführung zu begleiten. Obwohl Jost einiges an der Umsetzung und Architektur des fremden Schloßes inspirierend fand, war ihm die Rahjagefälligkeit, die hier aus jeder Pore troff, eine Nuance zu akzentuiert. Überall mischten sich die Stile, kein Wandteppisch war wie der andere und in einige Fenster hatte man farbiges Glas eingesetzt, so dass selbst das Licht an jeder Stelle des Schloßes andersfarbig hereinfiel. Dem jungen Baron missfiel diese Stilmischung und er entschied im Stillen, sich in seinem eigenen Heim für eine einzige architektonische Richtung zu entscheiden.

Während Rahjodan und Anselm Wunnemar und Jost durch das Schloß führten, lag Ira auf ihrem Bett. Schlafen konnte sie nicht wirklich. Immer wieder schreckte sie auf, spürte eine Anspannung, die von ihrer Antipathie gegen dieses Schloß und seinen Herren rührte. Ausgerechnet diese Baroness musste Jost ehelichen. Ausgerechnet.

Die folgenden drei Tage

Die kommenden Tage waren angenehm für das Hlutharswachter Gefolge. Ihr Herr zog sich jeden Tag mit dem Gastgeber zu stundenlangen Gesprächen zurück. Währenddessen hatten sie viel Zeit sich auszuruhen und in dem ungewöhnlichen Schloß umzusehen. Die Baronin bekamen sie selten zu Gesicht, Prianna nahm sich an ihrer Mutter statt der Rolle der Gastgeberin an und zeigte ihnen am ersten Tag die große Kunstsammlung ihres Vaters. Mit unterhaltsamen Geschichten zu den einzelnen Stücken verstand sie es die Zeit der Gäste kurzweilig zu gestalten. Auch nötigte sie am Nachmittag ihren Schwestern ein kleines Hauskonzert ab, um den Hlutharswachter die Langeweile zu vertreiben.

Am letzten Tag ihres Aufenthalts, an dem sich die beiden Barone wie am Vortag erneut für Stunden zurückzogen, bot Prianna den Rittern an, ihnen ein wenig die Baronie zu zeigen und ihr auf einen kleinen winterlichen Ausritt zu folgen.

Ira war die einzige, die die schönen Stunden ohne Aufgaben und Pflichten nicht recht genießen konnte. Ihr anfängliches Unbehagen hatte sie nicht ablegen können, sie schlief schlecht und ihr Unwohlsein wirkte sich auch auf das Wesen in ihrem Unterleib aus, das mittlerweile schwer in ihrem Becken lag und sie nun rabiat boxte.

Während sein Gefolge die kurze Zeit der Ruhe genoß, vergingen für Jost und Rahjodan die Stunden in endlosen Gesprächen über Schloßbau und Hochzeitsvorbereitungen.

Der junge Baron nutzte die Zeit zunächst und präsentierte Rahjodan seine Ideen und die ersten Entwürfe der geplanten Residenz. Der Eisensteiner merkte schnell, dass der Jüngere eine fundierte Ausbildung genossen hatte und es verstand planerisch und strategisch an ein so großes Projekt heranzugehen. Jost hingegen schätzte die Erfahrungen und die Ratschläge des Alten. Rahjodan von Keyserring mochte in manchen Kreisen einen schlechten Ruf genießen, weil er als kalt und herzlos galt, doch Jost erkannte während der vielen Stunden im privaten Arbeitsraum des Barons, was den anderen antrieb. Eine tiefe, sehr konservative und strenge Praiosfürchtigkeit. Und dieselbe eiserne Disziplin, die er den Menschen in seiner Umgebung abverlangte, lebte er selbst.

Das, was Jost bei Odelia und noch mehr bei Prianna beobachtet und heimlich belächelt hatte, praktizierte auch deren Vater: Er stand früh auf, begann jeden Tag mit athletischen Übungen und nahm immer zur exakt gleichen Stunde seine Mahlzeiten ein. Am Morgen des dritten Tages schloß sich der Baron von Hlutharswacht dem Gastgeber an, schließlich wollte er sich auch möglichst dezent von den Kampffertigkeiten des anderen überzeugen. Er war positiv überrascht, denn die täglichen Schwertübungen hatten aus dem älteren Mann einen talentierten und ausdauernden Krieger gemacht, der seine Waffe mit großem Geschick zu führen verstand.

Am Ende ihres letzten Gesprächs versprach der ältere Baron dem Jüngeren sein Bauprojekt mit zwei ganzen Schiffsladungen harter Mauersteine zu unterstützen und ihm drei Monde lang einen fähigen Steinmetzmeister mitsamt Gesellen zu überlassen. Dann legte Rahjodan väterlich seine Hand auf Josts Schulter und sprach aus, was er bereits mehrmals angedeutet hatte und adelte Jost erneut mit den Worten: „Ich erkenne viel von Ulfried in Euch, junger Mann.“

Die Verhandlungen über den Ehevertrag waren ebenfalls freundschaftlich und nicht allzu hart geführt worden, kamen sich beide Parteien doch hier und da entgegen und die anfängliche Sympathie zwischen den beiden Männern festigte sich im Laufe der wenigen Tage. Jost hatte das Gefühl, in dem älteren Baron einen guten Partner gefunden zu haben. Politisch gesehen, standen sie sich scheinbar nahe und auch ihr gemeinsames Interesse an Rahjas Genüssen war der Verbindung der Häuser zuträglich. So konnte tatsächlich nach dem kurzen Aufenthalt bereits die erste Vorversion des Ehevertrages in groben Zügen auf Pergament gebracht werden. Praiotrud von Keyserring, die eisensteiner Hofkaplanin, erbot sich das Schriftstück - hier und da lediglich stichpunktartig festgeschrieben- in angemessener Form auszuformulieren und dann nach Hlutharswacht zu schicken. Schlussendlich wurde vereinbart die Verträge am 1. Praios zeitgleich zu unterzeichnen und dem Vertragspartner zuzusenden.

Ein Abschied

Kurz nachdem Rhys sein Gemach betreten hatte, knarzte die Tür und in seinem Rücken gegen das schwere Holz gelehnt stand Prianna. Er war sich sicher gewesen die Tür abgeschlossen zu haben- aber das tat seiner Freude keinen Abbruch. Diese Frau schien mehr zu verbergen als er anfänglich bemerkt hatte. Und nun stand sie da. Schaute ihn an. Gier loderte in ihrem Blick. Eine Gier, die er schon kannte. Doch die junge Frau sagte nichts. Sie wirkte auch in keiner Weise schuldbewusst. Wartete einfach nur ab. Auf seine Reaktion.

Der Magus legte den Kopf in den Nacken und lachte herzhaft als er ihrer gewahr wurde. Als er Prianna kurz darauf wieder ansah, schüttelte er erneut amüsiert den Kopf, wie er es bereits zuvor in der Öffentlichkeit getan hatte und grinste über beide Ohren. „Du bist eine gute Schauspielerin und ich muss dir für deine hervorragende Vorstellung danken, denn sie war mir gleichzeitig auch eine Lektion. Sicherlich nicht jede Frau, die Geheimnisse hat, meint es am Ende so gut mit mir wie du, eure Hochgeboren.“ Erneut lachte er und schritt dann langsam auf die Adlige zu.

„Der Name meines Vaters öffnet mir nicht unbedingt die Herzen der Menschen.“ Konterte sie. Es war nicht so, dass sie ein Unrechtsbewusstsein hatte. Oder glaubte sich entschuldigen zu müssen. „Dies ist eure letzte Nacht hier. Da wollte ich dich noch ein letztes Mal sehen. Mich verabschieden. Sie lächelte ihn an und Rhys konnte sich der humoristischen Seite der Szene nicht entziehen, zeigte weiterhin einen belustigten Gesichtsausdruck, als er kurz vor Prianna stehen blieb. Seine Mundwinkel zuckten. „Ich habe schon viel von deinem Vater gehört, jedoch scheint es mir, da ich ihn nun persönlich kennengelernt habe, dass er gegen so manchen Patrizier aus Gareth ein überaus umgänglicher Mann ist.“

„Lass dich niemals hinreißen zu glauben, jemand, der nicht umgänglich ist, sei NICHT IN DER LAGE dazu. Mein Vater WILL einfach meistens nicht nett sein. Immerhin ist er aber ausreichend diplomatisch einen zukünftigen Schwiegersohn nicht zu brüskieren.“ Während sie sprach, berührte sie mit ihrer rechten Hand seinen Oberarm. Strich mit krabbelnden Fingerspitzen bis zu seiner Schulter hinauf, ließ dann aber ihren Arm fallen, nicht ohne dabei ihre Nägeln sachte über seinen Ärmel und seine Hand gleiten zu lassen. Im beiläufigen Plauderton fuhr sie fort: „Nun denn, Rhys… möchtest du eine nächtliche Führung durch das Schloss? Es gibt einige … verborgene Nischen…, die viel zu lange schon von niemandem erkundet worden sind.“

Frech grinsend wie ein vorlauter Knabe legte Rhys den Kopf schief. „Am Ende wird mich euer Vater noch übers Knie legen und versuchen mir den Hintern zu versohlen.“ Gespielt hielt er inne und tat so als wenn er anstrengen überlegen würde. „Ja, ich glaube dieses Risiko bin ich bereit einzugehen für eure… Führung.“ Ihre Finger glitten in die Taschen ihres Umhangs. „Zieh dir am besten deinen Mantel über.“ Flüsterte sie, während sie ein langes, zusammengefaltetes Tuch hervorzog. Eine Augenbinde. „Vertraust du mir und deiner Magie genug?“ fragte sie leise. Er streckte beiläufig den Arm aus und sein Stecken flog aus einer Ecke des Raumes in seine Hand. „Ich werde mich gerne von dir des nächtens durch das Schloss führen lassen, aber ich werde mich nicht blind in fremdes Terrain begeben. Prianna“, er trat nah an sie heran, so dass sie seinen Atem spüren konnte, „DIES könnte ebenso gut ein äußerst gefährliches Spiel sein. Dass ich dich nicht kenne und darüber hinaus nicht weiß, was dich antreibt, hast du mir recht eindrucksvoll demonstriert.“

Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass er sich ihr anschliessen würde. Aber einen Versuch war es allemal wert gewesen. „Zu schade.“ Er war eben ein kluger Mann. „Wie jedes Schloß verfügt auch dieses über geheime Türen. Geheime Gänge. Aber selbstverständlich müssen sie das bleiben. Geheim meine ich.“ Ihre Hand mit der Augenbinde glitt zurück in die Tasche. „Ich zeige dir etwas anderes. Weniger Geheimes, aber dennoch … atemberaubend.“ Sie streckte ihre Hand aus und beschwichtigend lächelnd glitten Rhys Finger hinein. Er wollte sie nicht zurückweisen, aber er konnte auch kein Risiko eingehen. „Nun denn, wohin entführst du mich, ich bin neugierig?“

Gewandt zog sie ihn hinter sich her. Quer durch das Schloß – ohne dass sie auch nur einem anderen Menschen begegneten. Bis hin zu einem der großzügigen Seitenflügel, der sich firunwärts genau über den tiefen, dunklen Wäldern erhob. Riesige Fenster machten den unbeheizten Raum unglaublich kalt und Rhys ließ fröstelnd seinen Blick hinaus schweifen: Das volle Madamal warf seinen Glanz über den Schnee und brach sein Licht in dem kleinen Bach, der sich aus dem weiß bedeckten Garten von der Hochebene Obenas über den dunklen Schatten der Bäume hinabstürzte. Der Sternenhimmel leuchtete über den Wäldern und in der Ferne flimmerten heimelige Feuer aus entfernten Dörfern. Die Baronie wirkte so unendlich friedvoll, dass Rhys einen Moment lang gefangen war und sich nicht losreissen konnte.

Erst als sich der Magus wieder zu Prianna umwandte, erkannte er lebensgroße Statuen, die vereinzelt in dem Raum lange Schatten warfen. Aus einem trat nun Prianna auf ihn zu. Ebenso nackt wie die außergewöhnliche Kunst der Bildhauerei, die sie umgab. „Ich habe bedeutend weniger schöne Kunstwerke in Tempeln der Rahja gesehen.“ Rhys machte eine umfassende Geste was die Statuen betraf. „Der Künstler war wirklich inspiriert als er all das hier erschuf. Aber ihr“, seine Augen schenkten im nächsten Augenblick nur noch ihrer Silhouette ihre Aufmerksamkeit, „lasst selbst sein Können erblassen.“ Und noch während der Magus sprach, ging gemessenen Schrittes auf Prianna zu, jeden Moment des Anblickes, welcher sich ihm bot, auskostend.

Es war der Hauch der Gefahr. Der Etikettebruch. Dieses leise Prickeln, ob nicht doch jemand hierher kam und sie beobachtete. Und als Rhys schließlich vor Prianna stehenblieb, schlang sie ihre Arme um seinen Hals, ihre Beine um seine Taille und presste ihren heißen, erregten Leib gegen seine Lenden. Mochte er sie nehmen. Hier in ihres Vaters Schloß. Inmitten des kalten, nackten Marmor, der nichts bedeutete, verglichen mit ihren pochenden Herzen und dem warmen, feuchtem Atem, den sie auf ihren nackten Leibern spürten. Und allein der einsame Kauz, der über dem schlafenden Schloss seine Runden flog, sollte Zeuge werden, als sie sich im Licht des vollen Madamals liebten

Die Abreise

Auch seine Bitte hatte Jost erneut vorgetragen. Und nach kurzem Zögern willigte Rahjodan tatsächlich ein, Odelia zu gestatten, ihren Verlobten nach Belhanka zu begleiten. Allerdings unter der Bedingung und mit der Bitte, Jost möge auch Odelias jüngere Schwester Luzia und seine Ehegattin mitnehmen. Eine Dienstbotin und der Hofklapan würden die drei Frauen dann überdies begleiten müssen.

Also waren es am Ende erneut fünf Eisensteiner, die sich den Hlutharswachtern anschlossen. Eine strahlende Odelia, die sich darauf freute, Zeit mit ihrem künftigen Gemahl zu verbringen und ihn besser kennenzulernen; Ihre aufgeregte Schwester, die genau wie Odelia zum ersten Mal die Nordmarken verlassen durfte; Eine traurig dreinblickende Baronin, die nicht einmal die Aussicht die Stadt der Rosen zu sehen aus ihrer Melancholie zu reißen vermochte, mit ihrer Kammerzofe; und der Rahjageweihte, der sich freute Belhanka wieder zu sehen und den Mut nicht sinken ließ, auf dieser Reise der Baronin ein Stück ihrer Lebensfreude wieder zu geben.

Und so machten sich erneut sechzehn Personen auf, zum großen Fluß zu gelangen. Diesmal führte sie der Weg allerdings auf der anderen Seite durch die Baronie und sie mussten Rickenbach durchqueren. Iras Herz versetzte es einen Stich. Und Josts spürte den seit Tagen vergessenen Schmerz in seinem Knie als sie durch die kleine Ortschaft ritten, die gerade keinen Herrn hatte, da die Neubelehnung ruhte, bis der als verschollen geltende Hagrian für tot erklärt werden würde. ---

Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.CatrinGrunewald - 05 Sep 2017