Anreise Ankunft

Die Anreise

Tagsüber trafen nach und nach die Gäste ein. Einige waren über den großen Fluss nach Erdeschmünd gereist und von dort aus dem Pfad entlang des klaren Gebirgsbachs bis zum Hesindekloster in Haxhaus gefolgt. Von hier waren es nur noch wenige Meilen bis die ersten schmäleren Siedlungsausläufer vereinzelter Bauerkaten auftauchten, die unmittelbar vor den Toren Obenas bewirtschaftet wurden.

Andere hatten den Breewald durchquert oder waren von Altenfurt dem breiten Karrenweg nach Rickenbach gefolgt. Hiernach mussten sie nur noch die „aale Bosch“, einen alten, abergläubisch gemiedenen Wald umwandern bis sich rahjawärts das bunte Schlösschen über alten, steilen Felsen erhob.

Obena selbst war die größte Ortschaft der Baronie. Die Wege waren gepflegt und überall wuselten geschäftig Menschen zwischen den Häusern umher. Die steinernen Wände der randständigen, meist zweigeschossigen Häuser waren direkt an den Felsen gebaut, so dass eine der Wände reines, kaltes Gestein war. So fügte sich der Ort in die Umgebung ein, als sei er bereits seit jeher dort gewesen. Immer schon ein Teil der Landschaft und der Berge. Über der Siedlung erhob sich auf dem steinernen Burgberg das bunte Schlösschen, das zweifelsohne nicht dazu bestimmt war, unauffällig zu sein. Wer zum ersten Mal hier war, dem mochte die ungewöhnliche Architektur mit den zahllosen Säulen, Erkern und Balkonen und den etlichen Türmen, alle in den unterschiedlichsten Farben gehalten, den Atem stocken lassen. Oder die Frage aufwerfen, ob solche Kunst hier oben, weit weg von Elenvina, in der Einöde des Gebirges nicht verschwendet war.

Eine Einladung zu den Sommerkonzerten des Barons von Keyserring war eine Ehre, ein Privileg und eine Aufgabe. So – oder ähnlich – hatte man es ihr angetragen, als sie das prunkvolle Schreiben mit ihrem Namen überantwortet bekommen hatte. Sie solle einmal nicht Köchin sein, sondern sich in Aufgaben des Standes dort blicken lassen, um eine gute Figur abzugeben. Dies würde ihr wahrlich gelingen, immerhin war das Äußere nicht abschreckend und die höfischen Weisen ihr nicht unbekannt. Lange überlegte sie, in was sie sich kleidete, ehe sie für einige Tage in dem fernen Lehen packte.

Auf ihrer treuen Grauschimmelstute Mantilla, einer klein geratenen, aber temperamentvollen Yaquirtalerin, ritt sie den Weg zu dem Austragungsort der höfischen Zusammenkunft. Auf dem Ritt im Damensattel – man wollte auch auf dem Pferd eine gute Figur machen – trug sie neben einem langen, weißen Unterkleid mit leichtem Besetz von echter Drôler Spitze, welches eng anlag und aus feinster Seide gefertigt war, ein Überkleid aus rauchigem Blau. Dieses war aus einem fast durchsichtigen Gemisch aus Seide und Baumwolle, nur ein wenig weiter als das Unterkleid, mit angenestelten Ärmeln, welche zu beiden Seiten kokette Einschnitte hatte, so dass die Ärmel des Unterkleides hindurchscheinen konnten. Im Licht der Sonne oder des Mondes sah man viele kleine, blitzende und funkelnde Stellen, scheinbar war ein Teil des Webfadens mit Staub von Edelsteinen versehen worden, so dass das Kleid wie der Nachthimmel selbst daherkam. Es schmeichelte wahrlich der zierlichen, weiblichen Figur, zudem wurde es von einem silbrigen Stoffgürtel mit Brokatbesatz um die Taille geschnürt, um diese noch weiter in den Vordergrund zu stellen. Die Haare waren zu einer Fallera geflochten, gehalten mit vielen Spangen aus Silber, welche mit kleinen Türkisen und Splittern von gelben Citrin besetzt waren. Ebenso lagen u m Hals und Handgelenke solcherlei Schmuckstücke, allerdings eine Sonne darstellend. Auf dem Kopf ein sittlicher Schapel, die Füße in feinen, rauchblauen Brokatstiefelchen und die Hände in feinsten, weißen Reithandschuhen, sah man ihr den Niederadel kaum an.

Staunend besah sie sich das Schloss, diese Begeisterung für Simse, Absätze und Balkone in sich haltend, um es sich nicht gleich ansehen zu lassen. Die Gedanken schweiften einen Augenblick ab und sie wünschte sich fast schon sehnlich die Nacht herbei, doch Geduld war eine Tugend. Wunderschön, auch die Farben, die Blumen und der Duft. Hier wusste man, wie man sich in Szene setzte. Ein Mann mit Stil – und vielen verschiedenen Aspekten, wenn man den Gerüchten glauben durfte. [Berylla]

Manchmal fragte sich der junge Knappe schon, was an dieser Ausbildung eigentlich ritterlich sein sollte. Lares von Mersingen, ein hagerer drahtiger Mann eher kleinerer Statur, neigte nicht zur Befehlsverweigerung – im Gegenteil, die Treue zu seinem Herzog und dem Allwasservogt waren ungebrochen. Dennoch: In letzter Zeit fand er sich vermehrt auf lustwandlerischen Abendveranstaltungen, dann in aufregenden Abenteuern wieder. Der höfische Zuschnitt seiner Knappschaft kam alles andere als erwartet. So sehr sein Intellekt angesprochen wurde, so wenig fühlte er sich – notwendig. Insbesondere beschlich ihn der Verdacht, dass man eine unliebsame Aufgabe auf ihn abgewälzt hatte, ohne dass er sich dagegen zu wehren wusste. Und trotzdem trat er wie ihm aufgetragen die Reise nach Obena an, um dem Haus von Keyserring einen Besuch abzustatten und zugleich das herzögliche Haus zumindest im Ansatz zu vertreten.

Dem Anlass gerecht werdend, verzichtete er auf seine sonst häufig getragene, funktionale Kleidung und hatte sich in Schale geworfen. Aus einem Besuch in Vinsalt hatte er eine Abendrobe mitgebracht, die an jedem anderen Mann seines Alters womöglich stattlich ausgesehen hätte. Er jedoch wirkte in der schwarzen Samtrobe verloren und noch dünner, als er tatsächlich war. Seine dunklen, eingefallenen Augen wurden durch die Farbe des Stoffes noch betont – man könnte annehmen, der Träger weile nicht mehr unter den Lebenden. Zugleich wirkte das Kleidungsstück zu dick aufgetragen. Böse Zungen behaupteten, der junge Mann hätte noch viel zu lernen. [Lares]

Mit großer Freude war Borindarax der Einladung des Barons von Eisenstein gefolgt, schließlich lag das Lehen am Rande der Ingrakuppen nicht weit entfernt von Nilsitz und war somit ebenso Teil des Isenhag, seiner Heimat. So war die Gelegenheit günstig sich nicht nur mit einem seiner Nachbarn bekannt zu machen, sondern auch weitere Persönlichkeiten des N ordmärker Adels kennenzulernen.


Mit ihm reiste die Vögtin von Oberrodasch, Utsinde von Plötzbogen, welche er in Elenvina kennen- und schätzen gelernt hatte. Durch einen erst kürzlich eingerichteten Austausch über Brieftauben hatten beide Diener des Grafen ausgemacht sich gemeinsam auf den Weg zu machen.

Und so war Utsinde mit einigen Getreuen nach Senalosch gekommen. Ihr Vertrauter, Muragosch, ebenfalls ein Vertreter des Volkes der Angroschim und äußerst erfahrener Baumeister war wie geplant in Senalosch verblieben, um Baupläne eines von Borax geplanten Gebäudes zu studieren, während Utsinde und er mit kleiner Bedeckung gen Eisenstein zogen. Auf dem Hinweg hatte sie die Chance genutzt und in Calbrozim Halt gemacht, um mit Graf Ghambir einige wichtige Themen zu bereden. Sie hatten auf der Burg genächtigt und waren am nächsten Morgen ausgeruht und gestärkt weiter nach Obena gereist.

Borax genoss die Reise, die Konversation mit der gealterten Ritterin und letztlich die Chance heraus zu kommen aus Senalosch, denn auch wenn er die Stadt, welche sowohl Hauptstadt Isnatoschs, als auch Verwaltungssitz des Vogts war, liebte und schätzte, so war er die letzten Monde seit seiner Ernennung kaum herausgekommen. Die Arbeit, die sein Amt mit sich brachte war immens, gerade weil er vieles anders handhaben und gestalten wollte, als Kalman, der alte, auf dem Feldzug gen Mendena gefallene Herr von Nilsitz.

Was Borax weniger liebte war der harte Sattel unter ihm, der schwankende, breite Rücken des Ponys und sein furchtbar schmerzendes Hinterteil. Umso erleichterter war der Zwerg, als das Schloss von Obena in Sichtweite kam. Sogleich stieg er ab, um sein kurzbeiniges Reittier bei den Zügeln zu fassen und die letzten Teil des Weges so zurückzulegen. [Borax]

Utsinde genoss die Gesellschaft von Zwergen, so auch die des neuen Nilsitzer Vogts, denn die Angroschim waren ihr in einer Welt, die immer schneller und hektischer zu werden schien, eine angenehme Konstante – behäbig, gemütlich, aber vor allem eines: entschleunigt. Auch wenn ihr neuer Freund, dieser junge Angroscho aus Senalosch so viele Pläne und Neuerungsideen mit brachte, die manch einen seines Volkes vor den Kopf stießen, so war und blieb er doch immer noch ein angenehmer Zeitgenosse, der den Genuss guten Bieres neben einem entspannten Gespräch in gemütlicher Atmosphäre genauso schätzte wie sie selbst. Manchmal kam sich Utsinde albern vor, wenn sie sich aus dem Blickwinkel derer betrachtete, die nicht verstanden, dass Zeit nicht immer eine Rolle spielte. Oben in den Bergen, zwischen den höchsten Gipfeln der Ingrakuppen, in denen sie auf ihrem Gut umgeben von Naturgewalt schon so lange Zeit ihres kurzen Menschendaseins lebte, hatte das Leben einen anderen Rhythmus. Wie auch in den Bingen Xorloschs beherrschte der dumpfe, stetige Herzschlag des Erzes das Leben. Und Utsinde mochte ihn. Er war ihr schon immer lieber gewesen als das hastig flatternde, unruhigen Puls es strömende Blut der Herzogenstadt, der sie entstammte. Intrigen und politisches Geplänkel, menschlicher Egoismus, falscher Stolz und die Überheblichkeit, Wichtigkeit würde nur allein mit Macht einhergehen, waren ihr schon als Mädchen zuwider gewesen. Der Ritterstand hatte sie aus den Ketten ihrer dienstbeflissenen Ministerialenfamilie befreit, die Erhebung zur menschlichen Vögtin eines Zwergenkönigreichs die Möglichkeit eröffnet, der Welt zumindest für einige Monde im Götterlauf zu entfliehen. Ihr tadelloses Rogolan und ihre grundehrliche Art, sich mit den Vertretern des Zwergenvolkes zu verstehen, auch ohne Worte, hatten ihr diese Stellung eingebracht. Sicherlich, ihr zwergischer Dickkopf und so manche Eigenart, die sie mit den Angroschim teilte, auch.

Die Endsechzigerin hatte sich bereit erklärt, sich des neuen Vogts von Nilsitz ein wenig anzunehmen. So war auch der Vorschlag durch ihren Mund gekommen, man könne doch das Sommerkonzert in den Eisensteinen gemeinsam besuchen. Die Eisensteine – die Baronie war nicht unbedingt ein bevorzugtes Reiseziel Utsindes. Nicht mehr zumindest, seit der alte Rathard von Keyserring zu Boron gefahren war, denn sein ungezogener Sprössling Rajodan ließ es an Respekt und Höflichkeit grausam mangeln. Aber da Utsinde jeglicher Mängel seitens des herrischen Barons erhaben war, zählte für sie nur, ihre m neuen Freund Borindarax ein Erlebnis zu bieten, von dem er zu 'Dienstantritt' zehren konnte - und sei es nur, wenn sie den Angroscho einigen Leuten vorstellte. Der 'Junge' kam schließlich überraschend zu seiner Ehre und Utsinde fand, dass da ein bisschen bei-der-Hand-nehmen nicht schaden konnte.

"Borax, verratet mir, was tut ihr da?" Utsinde beobachtete mit Verwunderung, dass ihr zwergischer Begleiter abstieg und die letzten Schritte zu Fuß zu gehen gedachte. "Bitte steigt wieder auf, ansonsten hält man euch noch für einen meiner Bediensteten," lachte die Ritterin, während ihr Hinweis durchaus ernst gemeint war. Sie selbst hatte nicht vor, Obena zu Fuß zu betreten. Niemand, der etwas auf sich hielt, und noch dazu weiblichen Geschlechts war, tat dies. (Utsinde)

Der Angesprochene machte eine betretene Miene und seufzte. "Ihr habt recht”, war seine nüchterne Antwort. "Dennoch wünschte ich mir, ihr hättet etwas mehr Mitleid mit meinem Allerwertesten", fügte er mit einem frechen Zwinkern an.

"Bei Angroschs Barte. Ich bin das Reiten wirklich nicht gewohnt. Welch eine üble Plackerei! Da verbringe ich lieber Schicht um Schicht am Hochofen und schaufle Kohlen.”

Leicht unwillig schüttelte Borax den Kopf, nur um dann einzulenken. “In Ordnung, ich sehe es ja ein. Gebt mir bis zum Tor, dann steige ich wieder auf und wir reiten gemeinsam ein.” (Borax)

Im Gesicht der Ritterin wuchsen die bereits vorhandenen, durch langes Leben entstandenen Falten, als sie die Stirn ärgerlich zusammenschob. “Wollt ihr nun, dass ich Euch zeige, wie man sich standesgemäß verhält?? Dann kneift jetzt für den Moment noch die Backen zusammen und folgt meinem Rat! - Euer Hintern, der wird später schon noch ein weiches Kissen finden. … Oder wollt Ihr hier gleich zu Beginn als Schwächling gelten? Glaubt mir, hier vermag Euch so etwas viel e Unliebsamkeiten einzubringen.”

Und resolut an den Ritter gewandt, der die Oberrodascherin begleitete: “Faldor, sei so gut, reite vor und kündige uns an!”

Der Ritter nickte und beschleunigte sein Ross, während Utsinde ihres noch immer mahnend neben dem Zwergenpony hielt. Nur Augenblicke später tönte ein Hornstoß. Der Ritter hatte das Tor erreicht und geöffnet.

Die feuerroten Brauen des Zwerges ruckten zusammen, als er auf die Worte Utsindes hin stehen blieb und sie fixierte. Seine Stimme war noch tiefer als gewohnt und verbarg auch nicht den Zorn, welchen Borax in diesem Moment verspürte.

„Ob Ihr nun recht habt oder nicht. Nennt mich meinetwegen wie Ihr wollt, aber setzt Ihr noch einmal das Wort schwächlich in Verbindung zu mir, sind wir Freunde gewesen.“

Ruckartig wendete er sich ab und hievte sich wieder zurück in den Sattel, nur um mit eiserner Miene das letzte Wegstück zurücklegen. [Borax]

Bei diesem Gebaren lachte die alte Dame amüsiert auf. Junge Zwerge, dachte Utsinde bei sich und seufzte in sich hinein, stolz und eitel und noch so viel zu lernen. Dieser Borax war ja schließlich nicht der Erste, der ihr begegnete. (Utsinde)

***

Rozen hatte sich ungemein über die Einladung zum Sommerkonzert gefreut. Endlich eine Gelegenheit, wieder zu reisen. Noch dazu versprach es ein interessanter Aufenthalt zu werden: Der Baron war für seine Wertschätzung der Kunst und der Rahjakirche gegenüber bekannt, aber persönlich hatte die Tempelvorsteherin aus Orbatal in Albernia ihn noch nicht kennen gelernt. Auch von seinem Garten hatte sie schon viel Erstaunliches gehört und wollte ihn unbedingt selbst sehen und erkunden. So hatte sie manches Mal auf der Reise ihre Mühe, ihrer schönen weißen Stute Bahira nicht einfach die Zügel laufen zu lassen und den ganzen Weg wie der Wind dahin zu galoppieren. Aber sie war ja nicht alleine unterwegs.

Maeve Bastrasunya, ihre älteste Novizin, begleitete sie. Ihre geheime Hoffnung war es ja, dass das junge Mädchen sich durch diese erste, lange Reise vom heimischen Tempel weg inspirieren lassen würde und bald bereit wäre, die Weihe zu empfangen. Manchmal bedurfte es eben ganz spezieller Funken, um das Feuer für die Herrin der Leidenschaft gänzlich zu empfangen…

Als dann Obena, das Ziel ihrer Reise in Sicht kam, konnte Rozen ihrem Spieltrieb keinen Einhalt mehr gebieten. „Komm, Maeve, nur noch ein kurzes Stück!“ lachte sie auf, trieb Bahira an und preschte davon. [Rozen]

Maeve hatte gerade ihre Arme an Hals und Schultern ihres jungen Rotfuchs gelegt und das Tier mit all ihren Sinnen gespürt; das erste Mal konnte sie die ruhige Einheit von Pferd und Reiter genießen.

Trotz der Unterweisungen Rozens hatte sie bis hierher noch Unruhe und Unsicherheit verspürt. Ruari war zwar erst kürzlich von einem Gönner dem kleinen orbataler Tempel geschenkt worden, aber Maeve vermochte sich nichts vorzumachen. Es war die Reise ins Unbekannte, die sie selbst hemmte und mit Unruhe erfüllte – diese erste große Reise, in der sich Rozen nun vollkommen auf sie verlassen musste, nachdem Maisie und Aydan geweiht worden waren und zumindest Aydan den Tempel verlassen hatte. Insgeheim befürchtete Maeve auch den Weggang ihrer Freundin, nachdem Maisie in den vergangen Monden hin und wieder mit diesem Gedanken gespielt hatte.

Die Novizin blickte ihrer Lehrmeisterin nach und folgte ihr dann rasch – weniger aus Leidenschaft als vielmehr aus Anstand gegenüber dem ihr unbekannten Gastgeber. [Maeve]

***

Nach den Ereignissen im Winter hatte Mikail vor allem eines gelernt: Es gab so unglaublich viel über die Menschen zu lernen. Die Pilgergruppe, die er zum Schrein seiner Herrin führen sollte, musste plötzlich einen Mord aufklären und über Nidari, seiner kleinen Nidari zu Gericht sitzen. Sein alter Freund, der Praiosgeweihte Branjan war ermordet worden!

Als alles vorbei war, hatte er es nicht mehr in den Koschbergen ausgehalten. Etwas zog ihn hinab ins Tal, in die Lande der Menschen. Er wollte sie kennenlernen, verstehen lernen und versuchen, diesen harten und barschen Flachländern Ifirns Milde und Gnade nahe zu bringen. So hatte er sich von seiner Lehrerin verabschiedet. Er war hier- und dorthin gereist, hat te mit vielen verschiedenen Menschen gesprochen und ließ sich treiben wie die Schneeflocke vom Wintersturm getrieben wird. Nie hielt er es lange an einem Fleck aus, stets zog es ihn wieder in die Wildnis, in die Natur, deren Sprache er um so vieles besser beherrschte als die, die in den Menschenstädten gesprochen wurde.

Und irgendwann hatte er von diesem großen Konzert gehört. Musik gehörte in den leisen und langen Stunden der Wanderschaft zu seinen Begleitern, wenn er sanft auf einer Flöte aus Gebein sein Heimweh nach den Bergen in bittersüße Melodien kleidete. Also beschloss er, obwohl er nicht eingeladen war, dennoch diesem Bunten Schloss einen Besuch abzustatten. Da er wusste, was sich gehörte, erlegte er kurz vor dem letzten Aufstieg nach Obena noch schnell einen Fuchs, dessen Pelz mit Sicherheit als Gastgeschenk angenommen werden würde. [Mikail]

Domna Verema Artigas aus Almada/Cres war eine zierliche Junkerin und mochte um die 30 Götterläufe zählen, mit dunkelbraunem, gelockten Haaren. Als stellvertretende Zuchtmeisterin des herzoglichen Gestüts war sie in die Nordmarken gereist, erst zum Baron von Rabenstein, dann zu Wohlgeboren Merkan von Rickenbach. Die Einladung zur berüchtigten Festivität "Eisensteiner Sommerkonzert" hatte sie aufrichtig überrascht. Aus Neugier und natürlich ihrem eigentliches Auftrag folgend - suche und finde passendes Blut, Tier und Mensch, für das herzögliche Gestüt - hatte sie sich auf die Reise gemacht. An ihrem Ziel angekommen stutzte sie verwirrt über die unerwartete Architektur, zügelte ihre junge, temperamentvolle Elenvinerstute Quebra- drahtig muskulös, dunkelbraun und ohne Abzeichen- und sah sich nach einem Stallburschen um. Als ihr ein Angestellter hilfreich entgegeneilte, stieg sie ab und übergab ihm ihr Pferd. Sie selbst trug gehobene almadanische Reitkleidung und eine lederne Schultertasche. "Ihr, Bursche, kennt Ihr Euch mit Pferden aus? Das ist Quebra, Ihr seid nun für sie verantwortlich. Achtet besonders auf ihre Beine, und spritzt sie etwas ab. Ich sehe nachher noch nach ihr. Ach, wie war gleich noch Euer Name?" [Verema]

Der junge Bursche mit den kurzen hellbraunen Haaren sah sie verwirrt an. „E…Edo, euer ..äh… Wohlgeboren.“ Nach einem kurzen Moment, in dem er sie und ihr Gewand irritiert musterte, überschlugen sich seine Worte: „Natürlisch Herrin, natürlisch. Isch wäd misch wirklisch guut um se kümmere.“ Und während der Junge die Stute rasch in Richtung der Ställe führte, kam ein weiterer Diener, um Verema zum Garten zu geleiten.

Doch nur Augenblicke später ritten drei weitere Rösser in den Hof. Eines davon war ein Zwergenpony mit massiger Brust, kurzen starken Beinen, langem dichtem Haar und einem passenden Reiter obenauf, dessen Gesichtsausdruck leicht gequält wirkte.

Von einem der Pferden glitt behände eine ältere Frau, die ihr graues Haar zu einem langen Zopf auf dem Rücken gebunden hatte und neben gemütlicher Reisekleidung nur ein Wappen auf der Brustseite ihrer enggeschnittenen Lederjacke trug. Selbige fasste eine schmale Silhouette mit ehemals breitem Kreuz ein und ließ die alte Dame mit der hohen faltigen Stirn, den farblich passenden hohen Reiterstiefeln, und den Sporen an eben jenen strenger wirken, als es ihr Lächeln, mit dem sie die wesentlich jüngere Edeldame grüßte, vermuten ließ.

Der Mann neben ihr war mittleren Alters und schien offenbar ihre Bedeckung zu sein, denn er war mit Gambeson, Kette, Brustpanzer, Schulterplatte, Halskragen und Wappenrock gerüstet und mit einem Schild am Sattel unterwegs, an dem noch eine Zweitwaffe hing. Er mochte in der Sommerhitze RAHJAS gut schwitzen unter all dem Metall.

Das Wappen auf beider Kleidung war ein schwarzer Adler mit stattlichem Gefieder in einem schwarzen Zinnenkranz auf Silber, während der Angroscho einen güldenen Gebirgsbock auf Grün trug.

„Seht ihr, Borax, wir sind doch nicht allein. Welch ein Glück wir doch haben, dass sich die Aufmerksamkeit unseres Gastgebers somit auf mehrere Köpfe verstreut und ihr nicht fürchten braucht, vom Herrn Rajodan allzu sehr ausgefragt und auf die Probe gestellt zu werden,“ ließ die ältere Dame in Richtung des Zwergen verlauten, nicht ohne einen amüsierten Unterton in ihren Worten.

„Die Zwölfe mit Euch! Ein schönes Pferd habt ihr da.“ Dieser Gruß galt der Almadanerin.[Utsinde]

Der Angroscho, welcher etwas langsamer und auch weniger elegant von seinem robust wirkenden Pony abgestiegen war, wendete sich nach Utsindes Begrüßung nun auch der Dame zu. „Angrosch zum Gruße!“(Borax)

Die Almadanerin blickte erfreut zu den Neuankömmlingen. "Vielen Dank, sie macht mir bis jetzt auch viel Freude." Ihr Blick fiel auf das kräftige Zwergenpony "Entschuldigt bitte, natürlich auch den Zwölfen zum Gruße, mein Name ist Domna Verema Artigas aus Cres, na ja , eigentlich bin ich Junkerin in Likan, aber meist bin ich in Cres...Ähm… Ich schweife ab, verzeiht.“(Verema)

Utsinde schmunzelte und gab der jungen Frau e in Zeichen, dass alles gut war.

„Ein nettes Pony, kürzlich war ich bei einem Züchter und hab etwas über diese Rasse gelernt. Bisher hatte ich eine völlig falsche Vorstellung." (Verema)

Die Nervosität, die aus dem plappernden Mündlein der jungen Frau aus der Nachbarprovinz drang, fand Utsinde äußerst erfrischend. „Domna Verema, es freut mich sehr, eure Bekanntschaft zu machen. Die Eisensteine sehen viel zu selten Gäste aus den fernen Provinzen! Mein Name ist Utsinde von Plötzbogen. Ich bin die Vögtin von Oberrodasch.“ Utsinde fiel ein, dass es der Almadanerin wohl unmöglich war, Oberrodasch zu kennen, daher fügte sie hinzu: „... das ist eine Länderei hoch oben unter den Gipfeln dieser Berge, der Ingrakuppen. Nicht weit von hier. Wenn ihr die großen Steinadler sehen und Gämsen jagen wollt, seid ihr dort richtig.“ Stellte sich die ältere Dame vor, bevor sie auf die anderen beiden deutete: „Das ist übrigens mein geschätzter Amtskollege Borindarax, Sohn des Barbaxosch aus der Vogtei Nilsitz,… und mein treuer Begleiter der Herr Faldor von Hetzenberg.“ (Utsinde)

Der Gerüstete an der Seite der alten Dame nickte zum Gruß, als sein Name fiel, hielt sich aber ansonsten vornehm zurück und kümmerte sich stattdessen um das Gepäck.

"Ach da, ja, die Ingrakuppen sagen mir was.." sie schmunzelte "Ich werde die Nordmarken schon noch kennen lernen...und ihre Bewohner auch. Manche scheinen etwas, nun ja, eigen zu sein. Aber in Almada ist das auch nicht anders." Dabei verdrehte sie leicht die Augen und stöhnte gespielt.

Sie fügte etwas vorsichtig, fast schüchtern hinzu: "Wollen wir gemeinsam zum Baron gehen? Ich hab seltsame Geschichten gehört, so richtig wollte mir keiner Auskunft geben, aber oft hieß es sowas wie `Ach, Ihr werdet schon sehen, he, he` oder so." (Verema)

Utsinde lächelte, als sie auf die letzten Worte der Domna Bezug nahm. Sie wollte nicht im Vorfeld Vorurteile streuen – sollte sich jeder selbst ein Bild vom Baron machen – dennoch wollte sie dieses herzige Mädchen auch nicht so einfach ins offene Messer rennen lassen. „Meine Liebe, ihr müsst wissen, der hiesige Hausherr ist zwar vieles, aber eines nicht: so furchtbar wichtig, dass es euch ängstigen müsste! Er hat seine, hm, Eigenarten und ich würde euch empfehlen, vielleicht unter Umständen nicht gleich jedes Wort von ihm auf die Waagschale zu legen, aber,“ sie fing zu lachen an und legte mütterlich tröstend eine Hand auf den Unterarm Veremas. „sind wir nicht wegen des musikalischen Genusses hier? -- Oder was führt euch aus dem sonnigen Almada in diese steinige Gegend? Ihr erwähntet, dass ihr bei einem hiesigen Pferdezüchter war d… Sagt, seid ihr in den Nordmarken um gar einige Rössern zu erwerben?“

Die Berührung schien die jüngere Frau zu bewegen und, man könnte viel es aus ihren Augen interpretieren, zu beruhigen. "Werte Dame, ich versuche, mich kurz zu fassen. Ich bin stellvertretende Zuchtmeisterin des herzöglichen Gestüts in Elenvina.“

Utsinde nickte überrascht, aber anerkennend.

„Wir wollen es etwa s – wie sagt man da am besten? – pflegen. Eine Hofreitschule aufbauen und die Qualität der Pferde verbessern." Sie hielt kurz inne, als müsse sie einen Gedanken einfangen, "Ja, deshalb komme ich hier he rum, sogar bis zu diesem Herren hier. Ich suche Züchter und Liebhaber der Elenviner, die uns helfen. Beschäler mit guten Eigenschaften und... ach, ich schweife wieder ab. Lasst uns doch den hochgeborenen Gastgeber begrüßen, dann können wir ja noch etwas plaudern, wenn Ihr wollt."(Verema)

„Sehr gern, meine Liebe, sehr gern. Ich bin gespannt zu erfahren, wie ihr zu den Ehren gekommen seid, das ‚Amt‘ der herzoglichen Zuchtmeisterin zu bekleiden. Eine sehr ehr en volle Aufgabe, aber auch nicht wirklich ohne – wenn ihr mir die Bemerkung gestattet, Domna. Es muss gewiss Griesgräme unter meinen Landsmännern geben, die euch diesen Posten neiden. Zumal ihr ja aus den Nachbarlanden seid und euer Name hierzulande noch kein Gewicht hat.“ Noch etwas schelmischer lächelnd: „Ich freue mich aber, wenn sich dies ändert.“ (Utsinde)

*

Die Neuankömmlinge waren kaum von den Bediensteten des Barons versorgt worden, da kamen schon die nächsten Gäste an. Auf einer weißen Stute ritt eine bewundernswert schöne Frau in den Hof. Schwarzes, glattes Haar fiel ihr lang und frei über die Schultern. Sie trug feine Reisekleidung aus rotem Stoff und Leder, sowie rote lederne Reitstiefel. Ihr feingliedriges Gesicht war von ausgesprochener Symmetrie und wurde bestimmt von den großen smaragdgrünen Augen und den dazu in feurigem Kontrast glutrot geschminkten Lippen. [Rozen]

Hinter der rassigen Schönheit folgte ein junges Mädchen in roter Leinentunika auf einem jungen Rotfuchs, der unruhig hin und her tänzelte. [Maeve]

Behände stieg die ältere Frau von ihrem Pferd, jede Bewegung wohlgesetzt und elegant. Freundlich lächelte sie den Burschen an, der ihr und ihrer Begleiterin entgegengeeilt war, um ihre Pferde in Empfang zu nehmen und nun sichtlich Mühe hatte, sich zu konzentrieren.

„Hallo. Ich bin Rozen Tarfilasunya, Vorsteherin des Tempels der Leidenschaft in Orbatal und das ist Maeve Bastrasunya, meine Schülerin. Bitte, kümmere dich gut um unsere Tiere. Und, gibt es einen Raum, in dem wir uns ein wenig frisch machen können?“ Ein bezauberndes Lächeln folgte diesen Worten und der Wunsch der Rahjageweihten wurde prompt erfüllt. [Rozen]

Vor ziemlich genau vier Götterläufen hatte Tassilo die Führung des Albenhuser Tempels der schönen Göttin übernommen. Zeit, in der er vieles gelernt hatte, hatte er sich doch mit Aufgaben konfrontiert gesehen, die jenseits der Seelsorge von Gläubigen oder der Ausrichtung eines Festes lagen. Allerdings hatten eben diese Pflichten fast dafür gesorgt, dass er seinen Flusssegler verpasst hätte. Während seine bereits gepackten Taschen samt Packpferd von einem Bediensteten des Tempels bereits zum Hafen geführt worden war, hatte er weit länger in einem Gespräch verbracht als er beabsichtigt hatte. Allerdings konnte er einer Kriegern, die die Schrecken des fast einen Götterlauf zurückliegenden Feldzugs noch immer nicht verarbeiten konnte, mit ihren Ängsten nicht allein lassen. Also hatte er ihr allen Trost und Beistand angedeihen lassen, den er aufbringen konnte. Als Konsequenz hatte er die Fuchsstute aus dem Gestüt des Tempels etwas mehr antreiben müssen, als dass es sich innerhalb der Stadtmauern eigentlich geziemt hätte. Die letzten Sandkörner im Stundenglas verrannen soeben als er am Anleger zum Stehen gekommen war, sodass er seine sichtlich zufriedene und ausgelassene Stute, wenn auch ungern, direkt auf den Segler führte.

Anders als bei einer seiner letzten Reisen auf dem Großen Fluss, wurde sein Schiff diesmal nicht von diebischen Gesindel angegriffen und Tassilo konnte erholt in Erdeschmünd von Bord gehen. Sehr zur Freude seiner Reittiere, die eine Reise auf dem Fluss wohl weit weniger b equem fanden als er dies getan hatte. „Rahja zum Gruße Ehrwürden, mein Name ist Baldos von Münzberg und man bat mich Euch den verbleibenden Weg zu begleiten.“ Wurde er von einem jungen Mann von kaum mehr als 20 Götterläufen begrüßt und er fragte sich, wer es denn vollbracht hatte ihm diesen Geleitschutz aufzuzwingen. Doch ließ er sich dies nicht anmerken, stattdessen schwang er sich in den Sattel seiner freudig tänzelnden Füchsin und bedeutete dem Ritter ihn zu begleiten. „Rahja zum Gruße hoher Herr, es freut mich, dass Ihr mir auf dem restlichen Weg be i steht.“ Gemeinsam folgten sie dem sprudelnden Bach bis sie schließlich das Hesinde-Kloster erreichten und auf den letzten Abschnitt ihres Wegs einschwenkten. Schließlich hielt Tassilo seine eigene Neugierde nicht mehr aus und fragte nach wer Ritter Baldos entsandt hatte. „Mein Herr, der Junker von Ostendorf, bat mich, Euch hier in Empfang zu nehmen und zu geleiten, Ehrwürden.“ Gab ihm dieser daraufhin als Antwort und dem Rahja-Diener war sofort bewusst, dass seine kleine Schwester ihren ehemaligen Trossmeister um diesen Dienst gebeten haben musste. Doch war das Eis gebrochen und den restlichen Weg le g te das sehr ungleiche Gespann sich fröhlich unterhaltend und lachend zurück. Bis sie schließlich auf dem Hof des bunten Schlosses einritten. Auf seiner eleganten Fuchsstute sah man Tassilo Timerlain den Segen seiner Göttin an, leicht wog sein langes nussbraunes Haar im Wind, strahlend blau funkelten seine Augen und sein athletischer Leib wurde in den engen Stiefeln aus weichem Leder, der enganliegenden roten Lederhose aus einem ähnlich weichen Leder und dem eng anliegenden roten Hemd nur zu v orteilhaft betont. Neben ihm, ein Packpferd mitführen ritt Baldos von Münzberg auf seinem kräftigen Schlachtross. Im nahen Kyndoch war seine Familie nicht arm und das sah man auch dem Spross des Ritters von Klein Münzberg deutlich an, geradezu um diesen Umstand zu untermauern zierte sein Wappenrock ein Berg aus goldenen Münzen auf grünem Grund. Seinen muskulösen Leib in Unterzeug, Kettenhemd und stählerne Schienen gekleidet, trug er eine n prächtigen Anderhalbhänder auf dem Rücken und ein nicht minder prächtiges Langschwert an der Seite. Doch trotz all des glitzernden Metalls zeigte sein kantiges Gesicht keine Spur von Hochnäsigkeit. Stattdessen war sein blondes Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden, während seine grünblauen Augen aufmerksam die Umgebung beobachteten.

Freudig schaute sich Tassilo um, besah sich die stolzen Rösser und sprang elegant aus seinem Sattel. Treu trottete seine Stute ihm hinterher als er sich auf der Suche nach einem Burschen den Ställen näherte. [Tassilo]

Ohne Probleme wurde er fündig, überließ das verschwitzte Ross den kundigen Händen einer jungen Magd und wurde dann von einem freundlichen, überhöflichen Dienstboten durch das Schloss zum Eingang des Gartens geführt.

Fulco, der führende Ritter auf Gut Kranickteich, einem nicht unbedeutenden Lehen in der jüngst unrühmlich zu Berühmtheit gelangten Baronie Kranick, ritt auf seinem Rappen durch das Tor. Die Einladung hatte seiner Baronin gegolten, die selbige nicht wahrnehmen konnte – oder wollte, wer wusste das so genau – und die daher die Einladung des Eisensteiner Barons an ihre Edlen weitergereicht hatte. Eigentlich war Fulco auf dem heimischen Gut unentbehrlich. Er hatte aber auch Befürchtungen, welches Licht sein Bruder Arlan bei einer solchen Veranstaltung auf die Familie werfen könnte, würde er ihn anstelle Baronin Irianes schicken. So blieben ihm denn alle anderen Möglichkeiten als selbst herzukommen, verwehrt. Behände sprang der Veteran des Tobrienfeldzugs von seinem Pferd. Während er sein Reittier an den Zügeln zum nächsten Stallburschen führte, strich er seinen knielangen hellgrünen Wappenrock glatt und fuhr sich einmal durch die kurzen dunkelblonden Haare. Sein stechender Blick nahm die Eindrücke der Umgebung gierig in sich auf. Jetzt wo er angekommen war, hatte ihn die Neugierde tatsächlich überkommen. Es hieß, dass der Baron es immer schaffte, wahrhaft talentierte Sänger zu seinen Konzerten zu holen und Fulco freute sich drauf etwas anderes als Trommeln und Hörner zu vernehmen. [Fulco)

Tsalinde von Kalterbaum, Herrin auf Gut Kalterbaum, genoss den Ritt durch die herrliche Landschaft. Auf dem Rücken ihrer Fuchsstute fühlte Tsalinde sich so frei, wie schon sehr lange nicht mehr. Endlich schienen die Schatten ihrer Vergangenheit zu verblassen, der große Krieg war geschlagen und auf ihrem Gutshof lief alles seinen geordneten Gang. Es hatte sich für die junge Frau als schwieriger herausgestellt als gedacht, einen Gutshof zu verwalten. Zwar gehörten zum Gut und den anliegenden Ländereien nur wenige Menschen, dafür aber umso mehr Zwerge, deren Starrsinn es der jungen Frau nicht immer leichtgemacht hat. Inzwischen wusste sie den Rat und die Erfahrungen dieser langlebigen Rasse sehr zu schätzen. Überhaupt hatte sie sich an den Umgang mit anderen Rassen erst gewöhnen müssen. Bis sie auf das Gut zog, belief sich ihr Kontakt zu Zwergen und Elfen auf ein Minimum. Ihr Vater hatte alle anderen Rassen gehasst und für minderwertig empfunden, was, so musste Tsalinde sich eingestehen, auch auf sie abgefärbt hatte.

Doch inzwischen hatte sie ihren Vater weit hinter sich gelassen. Die Menschen in den Siedlungen rund um Gut Kalterbaum hatten ihre neue Herrin zu lieben und schätzen gelernt und diejenigen, die ihren Vater gekannt hatten, waren nun davon überzeugt, dass sie nicht wie er war oder werden würde.

Lächelnd schweifte ihr Blick hinüber zu ihrem Begleiter. Ein junger Mann, gekleidet in die farbenfrohe Tracht eines Gauklers, ritt neben ihr. Aerol war von Anfang an sehr liebenswürdig zu ihr gewesen und hatte ihr versichert: „Herrin, macht euch keine Gedanken um die Treue derer, die hier arbeiten. Wir alle wissen, wer ihr seid und kennen eure Vergangenheit, doch wir werden euch weder nach den dämonischen Vergehen eures Vaters und eurer Brüder, noch nach den zerbrechlichen Bildern und Klängen eurer Mutter beurteilen. Ihr seid die neue Herrin und euch haben wir die Treue geschworen.“ Bei diesen Worten hatten ihr damals die Tränen in den Augen gestanden und sie hatte zum ersten Mal wieder die Hoffnung gehabt, ein Zuhause zu bekommen.

Genauso war es geschehen. Gut Kalterbaum, gelegen in einem kleinen Tal in der Baronie Gernebruch, war ihr Heim, ihre Zuflucht, ihr Herz. Zumindest, ein Teil davon, denn ein anderer Teil, das wusste sie, gehörte bereits unwiderruflich ihrem schwarzhaarigen Begleiter, der ein guter Jäger und Kämpfer war, aber noch besser die Flöte beherrschte. Er entlockte einem aus gehöh l ten Stock mit Löchern Melodien, die lieblicher waren als alles, was Tsalinde je zuvor gehört hatte. Ihm hatte sie diesen Ausflug zu verdanken, denn wie es schien, hatte sich Aerols Talent inzwischen auch in anderen Kreisen herum gesprochen. In seiner Satteltasche steckte die Einladung zu diesem Fest und sie hatte keine Sekunde gezögert, als er sie gefragt hatte, ob sie ihn begleite n würde. Es war ihr eine Ehre.

So ritten sie nun gemeinsam daher, der junge Mann in der bunten Tracht, auf einem edlen, schwarzen Hengst und die junge Frau in den schlichten, dunkelgrünen Gewändern auf dem Rücken ihrer braunen Stute. Ein Musiker und eine Malerin, gemeinsam auf dem Weg zu einem Fest, in dem es ausnahmsweise nur um ihr Vergnügen gehen würde.(Tsalinde)

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Es war viel passiert seitdem Borix mit seiner Familie im letzten Herbst nach Senalosch gezogen war und nach dem harten Winter und dem schönen Frühling in der neuen Umgebung, war es Zeit, mehr seiner Zeit mit seiner Frau zu verbringen.

Und Murloschtaxa – oder Murla wie sie alle, die sie kannten, nannten – hatte auch eine Idee. Sie hatte auf dem Markt in Senalosch von diesem Konzert, diesem „Eisensteiner Sommerkonzert“, gehört.

Also hatte sie Borix überredet, hierherzukommen. [Borix]

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‚Vergleichsweise… eine wirklich entspannte Flussfahrt diesmal‘ ging es durch Eppos Kopf, als er die kleine Muschel fest umklammerte. Er hatte sich die letzten Wochen viele Gedanken gemacht, wie er diese Reise antreten würde, viel mit seiner recht frischen Ehefrau darüber diskutiert und sich dann doch entschieden, sie anzutreten. Als Rahjan ihm nach der Fahrt auf der Concabella davon erzählte, sah Eppo eine wichtige Möglichkeit, seinen „Gerstenbrandt“ unter die Leute zu bringen.
Sorgfältig hatte er mit seinem hügelzwergischen Brandtmeister zwölf Sorten ausgewählt, von herrlich mild bis torfig und rauchig und in Flaschen abfüllen lassen. Drei Flaschen für jede Gottheit.

Der Transport war bisher nicht sehr schwierig, aber bis zu seinem Zielort würde er definitiv Hilfe benötigen, vielleicht eine Kutsche oder Packtiere.

Entgegen seiner Befürchtungen kamen alle drei Kisten, das letzte Stück bis zum Ort Festlichkeit mit Trägern, sicher an. Sein Blick schweifte über den Ort, seine Gedanken glitten zurück an die Zeiten, die er in Belhanka lebte. Das „Spiel“ konnte also mal wieder beginnen…

[Eppo]